Watergate - Der Beginn der »Story«
Am Morgen des 17. Juni 1972, einem Samstag, rief mich Howard Simons an: »Du wirst nicht glauben, was gestern abend passiert ist.« Er hatte recht, ich konnte es kaum glauben. Mit einer Mischung aus Belustigung und Interesse hörte ich, wie er mir erzählte, daß ein Auto in ein Haus gerast sei, in dem sich gerade ein Pärchen auf dem Sofa liebte. Die beiden seien mitsamt ihrem Sofa durch die Rückwand des Hauses ins Freie befördert worden. Und als wollte er noch einen draufsetzen, erzählte mir Howard überdies die phantastische Geschichte, fünf mit Ärztehandschuhen ausgerüstete Männer seien bei einem Einbruch ins Hauptquartier der Demokratischen Partei im Watergate-Gebäudekomplex in Washington gefaßt worden. Präsident Nixon hielt sich zu dieser Zeit in Key Biscayne, Florida, auf, und sein Pressesprecher Ron Ziegler tat den Vorfall als »drittklassigen Einbruchsversuch« ab. Er fügte jedoch hinzu: »Gewisse Elemente könnten freilich versuchen, eine große Sache daraus zu machen.« Niemand von uns hatte natürlich die leiseste Ahnung, um welch große Sache es da in Wahrheit ging und was sich daraus noch alles entwickeln sollte. Dafür schien der Anfang, nachdem sich das erste Gelächter gelegt hatte, einfach zu grotesk. Joe Califano, der damals nicht nur für uns als Anwalt arbeitete, sondern auch Anwalt des Democratic National Committee war, hatte Howard telefonisch von dem Vorfall berichtet. Und Howard schritt sofort zur Tat. Er schickte als ersten Al Lewis los, der die Story recherchieren und darüber berichten sollte. Al war seit 1935 Polizeireporter der Post und kannte jeden im Polizeipräsidium. Wie immer ging er zuerst auf die zuständige Polizeiwache, um sich die Namen der Festgenommenen geben zu lassen wie sich herausstellen sollte, waren sie alle frei erfunden. Ein glücklicher Zufall wollte es jedoch, daß Al dort auf den amtierenden Polizeipräsidenten traf, mit dem er gut befreundet war. Die beiden begaben sich zusammen ins Watergate-Gebäude, wo es zuging wie in einem Bienenstock: Die Leute vom mobilen kriminaltechnischen Laboratorium versuchten, an der Eingangstür Fingerabdrücke zu sichern, und andere nahmen Platten aus der Decke, um nach Wanzen zu suchen. Lewis zog sein Jackett aus und blieb den ganzen Tag. Der Bericht über den Einbruch erschien auf der Titelseite der Sonntagsausgabe unter Lewis' Namen und der Schlagzeile: »Fünf Festnahmen bei Versuch, Wanzen im hiesigen Parteibüro der Demokraten zu plazieren«.
Verschiedene Redaktionsmitglieder hatten zu diesem Artikel beigetragen, darunter auch Bob Woodward und Carl Bernstein, die außerdem eine eigene Reportage mit Hintergrundmaterial über die mutmaßlichen Verschwörer beisteuerten, von denen vier, wie Carl herausbekam, aus Miami stammten, wo sie an Aktivitäten gegen Castro beteiligt gewesen waren. Phil Geyelins Leitartikel am folgenden Tag trug den Titel »Mission Incredible« (Unglaubliche Mission) - in Anspielung auf die CBS-Agentenserie im Fernsehen, >Mission Impossible< (deutsche Fassung: Kobra, übernehmen Sie!), aus der Phil eingangs zitierte: »Wie immer wird der Minister, sollten Sie oder jemand anders aus Ihrer Truppe gefaßt oder getötet werden, abstreiten, irgend etwas von Ihren Aktionen gewußt zu haben.« Was wir da sahen, war natürlich nur die legendäre Spitze des Eisbergs. Die wahre Größe dieses Eisbergs hätten wir vielleicht auch niemals herausbekommen, wären da nicht die außerordentlichen detektivischen Fähigkeiten der Reporter Woodward und Bernstein gewesen - heute berühmte Namen, doch damals zwei junge Männer, die noch niemals zusammengearbeitet hatten und von denen einer (Woodward) noch gar nicht lange bei unserer Zeitung war. Die beiden bildeten in gewisser Weise ein natürliches Gespann, weil sich ihre Qualitäten und Fertigkeiten ausnehmend gut ergänzten. Intelligent waren sie beide, aber Woodward war der gewissenhafte, fleißige, besessene Antreiber, während der unordentliche und undisziplinierte Bernstein besser schreiben konnte. Er war der einfallsreichere und kreativere der beiden. Ansonsten waren sie wie Öl und Wasser, aber was dabei herauskam, war gut, trotz - oder gerade wegen dieser seltsamen Mischung. Barry Sussman, als Stellvertreter Harry Rosenfelds, des Chefs der Lokal- und Regionalredaktion, für den District of Columbia zuständig, wollte, als er die ersten Einzelheiten dieses dilettantisch vermurksten Einbruchs mitbekam, unbedingt Woodward mit dem Fall betrauen. Dieser war direkt nach seinem Dienst bei der Marine zu uns gekommen. Er hatte zwar auch die Zusage für einen Studienplatz in der Juristischen Fakultät von Harvard in der Tasche, sich aber trotzdem für eine journalistische Karriere entschieden. Und ihm war so sehr daran gelegen, für die Post zu arbeiten, daß Rosenfeld einem seiner Stellvertreter auftrug, den jungen Mann zwei Wochen lang ohne Bezahlung auf Probe mitarbeiten zu lassen. Jeden Abend solle man sich genau ansehen, was Woodward geschrieben habe und was man damit anfangen könne. Doch keine der siebzehn Storys, die Woodward in den zwei Wochen geschrieben hatte, war gedruckt worden - für die Post also trotz guter Ansätze ein eher hoffnungsloser Fall. Harry Rosenfeld teilte Bob mit, er solle erst mal woanders Erfahrungen sammeln und in einem Jahr wiederkommen. Für Woodward war das ein Tiefschlag, aber nun wollte er es erst recht wissen - denn er faßte Harrys Worte nicht als endgültige Absage auf. Er bekam einen Job ganz in der Nähe, beim Montgomery County Sentinel in Maryland, und es dauerte gar nicht lange, da war er den Lokalreportern der Post immer um eine Nasenlänge voraus. Nach ein paar Monaten begann er dann wieder bei Harry anzurufen und erwischte ihn eines Tages zu Hause, als Harry Urlaub hatte und gerade auf der Leiter stand, um seine Kellerdecke zu streichen. Weil dies bei weitem nicht die erste Störung in seinem Urlaub war, war Harry ziemlich aufgebracht und beschwerte sich lautstark bei seiner Frau Anne über diesen jungen Springinsfeld, der sich die Freiheit nahm, ihn ständig zu Hause anzurufen und nicht lockerzulassen. Anne erwiderte ganz ruhig: »Ist das nicht genau so jemand, wie du ihn immer haben wolltest, Harry?« Natürlich hatte sie damit den Nagel auf den Kopf getroffen, und Harry beschloß, Bob Woodward einzustellen. Anfang September 1971 kam Bob zur Post, genau an jenem Tag, an dem, wie Bob mir später erzählte, »ohne daß jemand von uns davon wußte, Howard Hunt und Gordon Liddy ein Flugzeug nach Los Angeles bestiegen, um in das Haus von Daniel Ellsbergs Psychiater einzubrechen«. Bob hatte sich mit seiner Arbeit von Anfang an ausgezeichnet, und deshalb war es in der Redaktion auch keine Frage, wen man in den Gerichtssaal schicken wollte, als über den Watergate-Einbruchsprozeß zu berichten war. Carl Bernstein andererseits war schon seit Herbst 1966 bei der Post und hatte sich gerade nicht ausgezeichnet. Er konnte gut schreiben, aber seine undisziplinierte Arbeitsweise war schon damals in der Lokalredaktion ebenso sprichwörtlich wie sein umherschweifender Blick.
Daß Carl Bernstein nicht mit dieser Geschichte betraut wurde, lag nicht zuletzt daran, daß Ben Bradlee ihm eigentlich kündigen wollte. Carls unverantwortlicher Umgang mit seinem Spesenkonto und zahllose andere Schlampereien und Fehler hatten seinen Kredit bei den Chefs aufgezehrt - er hatte zum Beispiel einmal einen Mietwagen einfach auf einem Parkplatz stehenlassen, was der Zeitung eine astronomische Rechnung des Autoverleihs bescherte. Als Carl aber Bob Woodward über die Schulter sah, während dieser Al Lewis' Notizen zu einem Artikel verarbeitete, leckte er Blut. Diese seltsame Geschichte faszinierte ihn, und er legte sich sofort voll ins Zeug. Es war Harry Rosenfeld, der seine schützende Hand über Carl hielt, als Ben und Howard ihn feuern wollten, denn Harry konnte bestätigen, daß Carl die Watergate-Story mit Verve und Fleiß verfolgte und wesentliche Beiträge zur Berichterstattung leistete. Carl erkannte als erster eine Verbindung zwischen den druckfrischen Hundertdollarnoten, die man in den Taschen der Einbrecher gefunden hatte, und Wahlkampfspenden für Nixon. Woodward und Bernstein - oder »Woodstein«, wie wir sie bald nannten - waren eindeutig die Schlüsselreporter dieser Geschichte, aber auch viele andere bei der Post trugen von Anfang an etwas bei.
Ben Bradlee war der Spiritus rector des Ganzen, er trug letztlich die Gesamtverantwortung und plädierte stets dafür, die Sache trotz ständiger Anschuldigungen gegen uns und trotz einer massiven Einschüchterungskampagne unbeirrt voranzutreiben. Howard Simons nutzte seinen Verantwortungsspielraum ebenfalls, um Bewegung in die Sache zu bringen und ihr immer mehr auf den Grund zu gehen. Wenn die Berichte diffus zu werden drohten, sorgte er für Zielstrebigkeit. Vor allem im Anfangsstadium war Howard das Rückgrat des Teams. Harry Rosenfeld war dagegen ein altmodischer Lokalredakteur wie aus dem Bilderbuch: zäh und unbeugsam. Auch er gehörte für uns zu den wahren Helden der Watergate-Geschichte. Von Anfang an war die Sache für ihn ein Lokalknüller; hier konnte sich die Lokalredaktion der Post endlich einmal profilieren. Bevor sie endgültig auf der Titelseite gelandet war, hatte Harry die Kontrolle über die Story und plazierte sie fortlaufend auf der ersten Lokalseite. Barry Sussman wiederum konzentrierte sich nach einiger Zeit vollständig auf den Watergate-Job und wurde zum unentbehrlichen Faktenspeicher, auf den alle Beteiligten jederzeit zurückgreifen konnten. Phil Geyelin, Meg Greenfield und Roger Wilkins leisteten mit ihren Leitartikeln und Kommentaren unschätzbare Arbeit. Unermüdlich erläuterten sie die wahre Bedeutung des Geschehens, das sich da auf unseren Nachrichtenseiten entfaltete. Gerade in den ersten Monaten, als die Zusammenhänge noch nicht so klar waren, und lange bevor das Weiße Haus erstmals reagierte, wurden unsere Kommentatoren nicht müde, darauf hinzuweisen, welch ernste Konsequenzen sich aus den bekannten Fakten ergaben. Als die Sache gestorben zu sein schien, sorgten die Leitartikel der Post dafür, daß das Thema in der öffentlichen Diskussion gehalten wurde. Noch unmittelbarer war der Einfluß Herblocks. Von seiner ersten Zeichnung wenige Tage nach dem »drittklassigen Einbruch« an - zu sehen war ein Wachmann, der einen der Einbrecher aus der Parteizentrale der Demokraten hinauswirft, während Richard Nixon, Richard Kleindienst und John Mitchell dabeistehen; Bildunterschrift: »Na, wer kommt denn auf solche Gedanken?« - ließ Herblock nicht eine Minute locker. In seiner zu Recht berühmten Nixon-Karikatur vom 24. Mai 1974 (kurz vor Nixons Rücktritt) ist der Präsident zu sehen, wie er sich verzweifelt an zwei riesige Tonbandspulen klammert: Auf dem einen Band steht »I am ... «, auf dem anderen »... a crook«, und Nixon selbst trägt ein herausgeschnittenes Tonbandstückchen im Mund, auf dem das Wörtchen »not« steht. Der gesamte Text - eine Anspielung auf den Umgang des Weißen Hauses mit den belastenden Tonbändern vor deren Herausgabe - lautet also: »Ich bin . ». k ... ein Gauner.«
Mit seiner Sicht der Dinge eilte Herblock der Nachrichtenredaktion und mir allerdings weit voraus. Sechs Tage nach dem Einbruch, am 22. Juni 1972, zeigte er mir eine Karikatur, auf der zwei Männer bei der Untersuchung zahlreicher Fußspuren zu sehen sind, die unter anderem auf den Watergate-Einbruch und auf Nixons Wahlkampfspendenskandal hinweisen. Die Spuren führen allesamt direkt zum Hauptportal des Weißen Hauses, und darunter steht zu lesen: »Komisch - sie scheinen alle irgendeine Verbindung zu diesem Ort zu haben.« Ich lachte und sagte: »Das willst du doch nicht etwa drucken lassen?« Doch die Karikatur erschien schon am folgenden Tag. Der Präsidentschaftswahlkampf kam gerade erst richtig in Gang; zwei Wochen nach dem Einbruch in das Hauptquartier seiner Partei wurde George McGovern am 30. Juni zum Präsidentschaftskandidaten der Demokraten nominiert. Von Anfang an verfolgten Woodward und Bernstein die Spur der Watergate-Einbrecher mit Eifer, Sorgfalt und unter Einsatz ihrer Ellenbogen. Seit Bob im Gerichtssaal das Wort »CIA« gehört hatte, ließ ihn die Geschichte nicht mehr los. Als Carl mit Howard Hunts Adreßbuch ankam und die beiden darin den Namen »Colson« und die Adresse »W House« fanden, zogen auch Carl und Bob - wie zuvor schon Herblock - den Schluß, daß eine Verbindung zum Weißen Haus bestehen müsse. Und nachdem sie entdeckt hatten, daß vom Telefonapparat Bernard Barkers aus - er gehörte zu den Watergate-Einbrechern - zahlreiche Gespräche mit einem Büro geführt worden waren, das sich Gordon Liddy mit einem weiteren Anwalt beim Committee to Re-elect the President (CRP, Komitee für die Wiederwahl des Präsidenten) teilte, gab es kein Halten mehr.
Am 1. August, über einen Monat nach dem Einbruch, erschien unter den Namen Bernstein und Woodward der erste große Artikel über den Fall. Darin wurde über die Verbindung der Einbrecher zum CRP berichtet. Drei Wochen später, am 22. August, wurde Präsident Nixon mit großem Getöse auf der Republican National Convention in Miami erneut zum Kandidaten der Republikaner nominiert. In der Woche darauf verkündete Nixon, offenbar als Versuch, seinerseits die Watergate-Affäre für beendet zu erklären, daß sein Rechtsberater, John Dean, den Einbruch und alle damit zusammenhängenden Fragen gründlich untersucht habe. Wörtlich sagte Nixon:
»Ich kann mit Bestimmtheit feststellen, daß seine Untersuchung ergeben hat, daß niemand aus dem Stab des Weißen Hauses und niemand, der gegenwärtig in dieser Regierung beschäftigt ist, an diesem sehr bizarren Vorfall beteiligt war. Echten Schaden könnte in dieser Sache ohnehin nur ein Vertuschungsversuch anrichten.«
Wir erfuhren erst wesentlich später aus John Deans Mund, daß er von seiner eigenen Untersuchung bis zu dieser öffentlichen Äußerung des Präsidenten noch nie etwas gehört hatte. Wirklich seltsam.
Am 15. September beschloß eine Geschworenenkammer am Bundesgericht, gegen die fünf ursprünglichen Watergate-Einbrecher sowie gegen zwei ehemalige Mitarbeiter des Weißen Hauses, E. Howard Hunt und G. Gordon Liddy, Anklage zu erheben. Genau am selben Tag - aber auch das kam erst zwei Jahre später ans Licht - sprach Nixon mit zweien seiner Berater im Weißen Haus, dem Stabschef Bob Haldeman und John Dean, und drohte dabei der Post wirtschaftliche Vergeltungsmaßnahmen an: »Das wird ihnen Probleme bereiten ... Die Hauptsache ist, die Post kriegt wegen dieser Sache verdammt gräßliche Probleme, verdammt gräßliche Probleme. Sie haben eine Fernsehstation ... und sie müssen sie (die Sendelizenz) erneuern lassen ... Und dann wird sich hier verdammt viel tun ... Dieses Spiel muß mit ganz harten Bandagen ausgetragen werden.« Und über unseren Anwalt sagte Nixon: »Ich möchte nach dieser Wahl nicht in Edward Bennett Williams' Haut stecken. Den Hurensohn machen wir fertig, glaubt es mir. Den machen wir fertig. Das muß sein, weil er ein übler Mensch ist.« Zwei Wochen später erschien dann ein folgenreicher Artikel von Bernstein und Woodward auf der Titelseite der Washington Post. Die beiden waren an Informationen herangekommen, wonach es im Safe von Maurice Stans, dem früheren Handelsminister, der zu diesem Zeitpunkt als Leiter der Finanzen des CRP fungierte, einen Geheimfonds gab, zu dem nur fünf Personen Zugang hatten. Einer davon war John Mitchell, und mit Hilfe dieses Geldes sollten Informationen über die Demokraten gesammelt werden.
Dadurch erhielt die Affäre einen ganz neuen Stellenwert, denn nun war auch Mitchell selbst einbezogen - nicht nur in seiner neuen Rolle als Wahlkampfmanager, sondern auch in seiner alten als Justizminister. Woodward und Bernstein hatten nämlich von Mitchell abgesegnete Ausgabenbelege dieses Geheimfonds ausgegraben, die aus dem Vorjahr datierten. Das CRP dementierte diesen Bericht nach allen Regeln der Kunst, aber - nichtöffentlich auch in wesentlich drastischerer Form. Bei seinen Bemühungen, die Fakten zu überprüfen, hatte Bernstein von einem Pressesprecher des CRP nur zu hören bekommen, die Vorwürfe »entbehrten jeglicher Grundlage«, und daraufhin bei Mitchell direkt angerufen. Carl erwischte Mitchell in einem New Yorker Hotel selbst am Telefon. Und als er Mitchell die Story nun vortrug, explodierte dieser und schrie so laut herum, daß Carl an »eine Art Urschrei« erinnert wurde und schon befürchtete, Mitchell werde am Telefon sterben. Nachdem Carl die beiden ersten Absätze des Beitrags vorgelesen hatte, unterbrach ihn Mitchell, immer noch brüllend:
»Dieser ganze Scheiß, den wollt ihr in die Zeitung setzen? Das ist doch alles bereits widerlegt. Katie Graham wird ihre Titten durch eine dicke fette Mangel gedreht kriegen, wenn ihr das veröffentlicht. Du lieber Gott, das ist doch wirklich das Erbärmlichste, was ich je gehört habe!«
Bernstein war total verblüfft und rief Ben zu Hause an, um ihm die Mitchell-Zitate vorzulesen und zu beratschlagen, ob er sie noch in den fertigen Artikel einbauen solle. Ben riet Carl, alles zu verwenden außer dem Verweis auf meine »Titten«. Das abgewandelte Zitat lautete nun, man wolle »mich« durch die Mangel drehen. Ben entschied außerdem, es sei nicht nötig, mich vorzuwarnen. (Ich hätte übrigens genauso entschieden wie er.)
Als ich am nächsten Morgen den Zeitungsartikel mit den Zitaten las, war ich völlig geschockt. Nachdem ich dann noch gehört hatte, was Mitchell wirklich gesagt hatte, nahm meine Fassungslosigkeit über diese persönlich beleidigende Drohung noch zu. Als ich Carl am nächsten Tag zufällig über den Weg lief, fragte ich ihn, ob er etwa noch weitere derartige Mitteilungen für mich habe. Mitchell hatte in seiner Wut vollkommen die Kontrolle verloren - und besonders seltsam war, daß er mich »Katie« nannte (wie niemand sonst). Bob sagte mir später, für ihn sei das Interessanteste an Mitchells Bemerkung gewesen, daß sie ein gutes Beispiel für die irrige Meinung der Nixon-Leute darstellte, ich hielte alle Fäden in der Hand und sei diejenige, die persönlich dafür sorgte, daß all diese Dinge über Watergate veröffentlicht würden. Wie dem auch sei, das Mitchell-Zitat erhielt einen festen Platz in den Watergate-Annalen.
Im Oktober gewann die Geschichte weiter an Dynamik, als die Post zwei Artikel druckte, die zusammen den geballten Zorn der Regierung auf uns zogen. Im ersten Beitrag, der am 10. Oktober erschien, wurde der Einbruch, der den Stein ins Rollen gebracht hatte, als Teil einer massiven landesweiten Spionage- und Sabotagekampagne geschildert, die zugunsten der Bemühungen des Präsidenten um seine Wiederwahl ablief und von offiziellen Stellen im Weißen Haus und im CRP geleitet wurde. Dieser Gedanke wurde vom Hauptsprecher des CRP mit folgenden Worten abgetan: »Das ist nicht nur alles frei erfunden, sondern außerdem eine Sammlung von Absurditäten.« Nixons Pressesprecher Ron Ziegler begann seine morgendliche Pressekonferenz im Weißen Haus mit dem Vorwurf, es würden »Geschichten verbreitet, die auf Hörensagen, Unterstellungen und Anschuldigungen aufgrund unbewiesener Verbindungen basieren . .. Es muß wohl nicht eigens betont werden, daß diese Regierung weder Sabotage noch Spionage, noch die Überwachung einzelner duldet.« Am selben Nachmittag hielt auch Clark MacGregor, der inzwischen von John Mitchell den Posten als Nixons Wahlkampfleiter übernommen hatte, eine Pressekonferenz ab, bei der allerdings keine Fragen zugelassen waren, sondern nur eine vorbereitete Erklärung verlesen wurde. Er sagte, die Glaubwürdigkeit der Post sei
heute sogar noch tiefer gesunken als die von George McGovern. Mit Hilfe von Unterstellungen, von Informationen, die allein auf Hörensagen beruhen, von unbewiesenen Vorwürfen, anonymen Quellen und riesigen Schlagzeilen, die zur Einschüchterung dienen, hat die Post böswillig versucht, den Anschein einer direkten Verbindung zwischen dem Weißen Haus und dem Watergate-Einbruch zu erwecken - ein Vorwurf, der, wie die Post weiß und ein halbes Dutzend Untersuchungen festgestellt haben, unzutreffend ist. Das Markenzeichen dieser Kampagne der Post ist Heuchelei - und ihre berühmte »Doppelmoral« ist heute für jedermann deutlich sichtbar.
Wie sich herausstellte, waren diese beiden Pressekonferenzen nur Salven im Rahmen einer massiven Breitseite gegen unsere Zeitung. Natürlich mißfielen mir diese Attacken aufs äußerste, und ihre Heftigkeit war mir ein Rätsel. Senator Bob Dole schloß sich den Angriffen an. Er sagte, was er bisher über Watergate gelesen habe, sehe er lediglich als »Sperrfeuer mit unbegründeten und gegenstandslosen Beschuldigungen seitens George McGoverns und seines Partners in der Schlammschlacht, der Washington Post«, an. Ben, gelassen wie immer und überzeugt, daß die Angriffe auf unsere Zeitung sorgfältig aufeinander abgestimmt waren, antwortete den Reportern, die bei uns anriefen, ohne Umschweife, indem er sein eigenes Statement verlautbarte:
Die Zeit wird das Urteil fällen, wer recht hat: Clark MacGregor mit seiner Pressemitteilung oder die Washington Post mit ihren Berichten über die diversen Aktivitäten des CRE Für den Augenblick genügtes festzustellen, daß bisher nicht eine einzige Tatsache, die in den Berichten über diese Aktivitäten zutage gefördert wurde, erfolgreich bestritten und widerlegt wurde. McGregor und andere hohe Regierungsvertreter haben diese Enthüllungsstorys als »eine Sammlung von Absurditäten« bezeichnet und die Post »böswillig« genannt, doch die Tatsachen bleiben bestehen und sind bisher durch keinerlei Gegenbeweise widerlegt.
Dole griff am 24. Oktober mit einer Rede in Baltimore erneut an, in der er - wie Woodward und Bernstein gezählt haben - insgesamt fünfundsiebzigmal auf die Washington Post zu sprechen kam. Eine Kostprobe:
Der größte politische Skandal dieses Wahlkampfs ist die unverschämte Art und Weise, in der die Washington Post mit McGovern gemeinsame Sache macht, ohne sich - wie früher der Klerus - auf Sonderrechte berufen zu können ... Der Ruf der Post, objektiv und glaubwürdig zu sein, ist so tief gesunken, daß sie aus der Reihe der Großen schon fast verschwunden ist. Zwischen den Anhängern McGoverns und den Managern und Redakteuren der Post gibt es beträchtliche kulturelle und soziale Gemeinsamkeiten. Sie gehören alle zur selben Elite; sie leben Seite an Seite in denselben schicken, exklusiven Vierteln und plaudern auf denselben vornehmen Partys in Georgetown miteinander.
Zur Verbesserung des Klimas trug auch nicht gerade bei, daß die Post am Tag nach dieser Rede einen zweiten folgenschweren Artikel veröffentlichte. Darin wurde basierend auf Informationen, die Woodward bei einem Treffen mit seiner Hauptquelle erhalten hatte - berichtet, daß die fünfte Person, die autorisiert sei, Ausgaben aus der schwarzen Kasse für dunkle Machenschaften zu genehmigen, niemand anders sei als H. R. Haldeman, der Stabschef des Weißen Hauses. War es bisher bei untergeordneten Chargen des Weißen Hauses schwergefallen, politisch stichhaltige Verbindungen zu dem schmutzigen Geheimfonds ziehen, so lag der Fall diesmal völlig anders. Haldeman war nach dem Präsidenten der zweitmächtigste Mann in Washington, Nixons Alter ego und rechte Hand. Dieser Artikel führte die Watergate-Geschichte ganz nahe an die Zentrale des Weißen Hauses heran. Unter der Überschrift »Zeugenaussage zieht Verbindung zwischen Nixons Stabschef und Geheimfonds« war zu lesen, Haldemans Beteiligung sei den staatlichen Ermittlern bekannt gewesen; das gehe auch aus Protokollen über eidesstattliche Aussagen vor der Geschworenenkammer des Bundesgerichts hervor. Leider war den Reportern ausgerechnet in diesem an prominenter Stelle plazierten Beitrag ein kleiner Fehler unterlaufen fast der einzige im Lauf der monatelangen Berichterstattung. Der Inhalt des Artikels war vollkommen in Ordnung; der Irrtum betraf nicht die Fakten, sondern nur eine Schlußfolgerung im Detail. Woodward und Bernstein waren davon ausgegangen, daß Hugh Sloan, früherer Schatzmeister des CRP und Haldeman-Mitarbeiter, auch den Geschworenen von dem Geheimfonds berichtet habe. Doch in Wirklichkeit hatte er nur Woodward und Bernstein davon erzählt - und zwar allein deshalb, weil bei der gerichtlichen Untersuchung keiner der Geschworenen Sloan danach gefragt hatte. Daher konnte Sloan am nächsten Morgen den Bericht der Post durch seinen Anwalt dementieren lassen - was überall weitreichende Folgen hatte. Ron Ziegler setzte im Weißen Haus seine Schmähkampagne gegen die Post fort und bestritt kategorisch jeglichen Wahrheitsgehalt des Berichts. Er unterstellte der Post eindeutige politische Absichten und griff Ben Bradlee als erklärten Nixon-Gegner an.
Einige der stärksten Auswirkungen waren bei der Post selbst zu spüren. Harry Rosenfeld, der bis zur letzten Minute an genau diesem Beitrag gearbeitet hatte, war fest davon überzeugt, die Verbindung zu Haldeman bedeute, daß in Wahrheit Nixon hinter der ganzen Sache stecke. Harry sagte: »Wenn Haldeman das macht, dann macht es Nixon. Es gibt keine 'Trennungslinie zwischen Haldeman und Nixon.« Harry platzte allerdings fast vor Wut, wenn er nur daran dachte, seine Reporter könnten etwas vemasselt haben. Mit Howard Simons sprach er über eventuell erforderliche Richtigstellungen. Händeringend suchte man nach Woodward und Bernstein, die unauffindbar blieben. Nachdem die beiden schließlich wieder aufgetaucht waren, zogen sie mit Rosenfeld, der sich weigerte, irgend etwas zu widerrufen, ehe er mehr darüber wisse, gemeinsam ins Gerichtsgebäude, um die Verhandlungsprotokolle einzusehen. Am folgenden Tag erschien dann in der Post eine Teilberichtigung des Artikels: Widerrufen wurde jener Abschnitt, in dem es hieß, Sloan habe den Geschworenen von der Verbindung Haldemans mit dem Geheimfonds berichtet. Der Inhalt des Berichts aber blieb unverändert. Ich fühlte mich belagert. Die ständigen gegen uns gerichteten Angriffe des CRP und diverser Regierungsmitglieder zeigten Wirkung und forderten ihren Tribut. In jenen Monaten war der Druck auf die Post, die Berichterstattung einzustellen, intensiv und unbequem, um es vorsichtig auszudrücken. Unsere Enthüllungen erschienen zwar unglaublich, aber die zwingenden Beweise dafür, daß sich alles genau so zugetragen hatte, wie wir es berichtet hatten, ließen uns unbeirrt weitermachen. Viele meiner Freunde waren von unseren Berichten verwirrt. Joe Alsop setzte mir die ganze Zeit zu. Und auch mit Henry Kissinger hatte ich kurz vor der Wahl bei irgendeinem großen Empfang eine kurze Begegnung, die mich betrübt machte. »Was ist mit euch los?« fragte mich Henry: »Glaubt ihr nicht, daß wir wiedergewählt werden?« Er schien ziemlich beunruhigt zu sein. Ich versicherte ihm, daß ich die überwältigenden Ergebnisse der Meinungsumfragen genausogut wie alle anderen lesen könne und nicht den leisesten Zweifel an Nixons Wiederwahl hätte. Später erzählte mir Henry, er sei zwar niemals an konkreten Diskussionen beteiligt gewesen, die mit Drohungen gegen uns zu tun hatten, habe aber gewußt, daß Nixon nach gewonnener Wahl mit vielen Leuten offene Rechnungen begleichen wollte. Vielleicht war es nur Henrys Art gewesen, mich vorzuwarnen. Wie dem auch sei, Henrys Verhalten trug zur weiteren Verschärfung meiner inneren Anspannung bei.
Ich bekam auch Leserbriefe, in denen der Post unlautere Motive unterstellt wurden. Man warf uns schlechten Journalismus, Mangel an Patriotismus und alle möglichen Vertrauensbrüche vor - weil wir angeblich unbedingt Schlagzeilen machen wollten. Für uns bei der Post waren dies besonders einsame Augenblicke. Auch andere Zeitungen nahmen sich jetzt langsam der Story an, doch wir waren ihnen so weit voraus, daß sie uns nicht mehr einholen konnten. Woodward und Bernstein hatten sich die meisten Quellen bereits selbst gesichert. Weil eine exklusive Story meistens nur vierundzwanzig Stunden exklusiv bleibt, ehe sich auch alle anderen darüber hermachen, fragte ich mich persönlich oft: Wenn dies eine so verdammt gute Story ist, wo bleiben dann nur all die anderen? Der vollen Wucht des präsidialen Zornes ausgesetzt zu sein ist immer beunruhigend. Manchmal fragte ich mich, ob wir diese Anspannung noch weitere vier Jahre durchhalten könnten: diesen Druck, mit einer Regierung leben zu müssen, die total mit uns verfeindet war und alles daransetzte, uns Schaden zuzufügen. Doch gerade als wir uns besonders isoliert fühlten, kurz vor der Präsidentschaftswahl, kam Unterstützung.
Die CBS in Gestalt von Walter Cronkite und Gordon Manning (ein ehemaliger Newsweek-Redakteur, der damals CBS-Produzent war) entschied sich, in den Abendnachrichten zwei lange Berichte über die Watergate-Affäre zu bringen. Im Grunde hatte die Story bis dahin im Fernsehen überhaupt keine Rolle gespielt, denn es gab kaum Möglichkeiten, Bilder zu zeigen. Und die Geschichte war äußerst kompliziert, schwer nachvollziehbar und gespickt mit Namen von Leuten, die der Öffentlichkeit unbekannt waren. Zudem bestand sie aus mehreren Handlungssträngen, und es war nur schwer zu erkennen, wie das alles zusammenpaßte. Hinzu kam, daß - wie ich auch selbst bald am eigenen Leibe erfahren sollte - Fernsehen und Radio verwundbar sind, weil sie wegen der Erteilung und Erneuerung ihrer Sendelizenzen von einer Regierungsbehörde abhängig sind. Die drei großen Fernsehnetze besaßen allesamt lokale Rundfunk- oder Fernsehstationen, mit denen sie einen Großteil ihrer Gewinne erzielten. Darum erforderte es in ihrem Fall sogar noch mehr Mut als ohnehin schon, sich mit der Regierung anzulegen. Doch Cronkite, der als Nachrichtenmoderator eine absolute Autorität war, entschloß sich trotzdem, über den Fall zu berichten.
Der erste Beitrag wurde am Freitagabend, den 27. Oktober 1972, gesendet und beanspruchte vierzehn von zwanzig Sendeminuten der CBS Abendnachrichten - mehr, als je zuvor einer einzelnen Story eingeräumt worden waren. Diese Watergate-Sendung enthielt überwiegend Zitate aus Artikeln der Post und diverse Erwiderungen der Regierung auf die darin erhobenen Anschuldigungen. Ich werde meine Freude und Erleichterung nie vergessen, die CBS News auf unserer Seite zu wissen, wo die Story wie ein Mosaik sorgfältig zusammengesetzt und damit einem landesweiten Publikum genau erklärt wurde: was geschehen war, was bewiesen worden war und was nicht. Conkrite bestätigte unsere Glaubwürdigkeit, und die Fotos von Post-Seiten samt unserer Schlagzeilen im Hintergrund der Sendung waren äußerst hilfreich. Wie gesagt, diese Nachrichtensendung lief elf Tage vor der Wahl. Natürlich entgingen die CBS-Abendnachrichten auch dem im Weißen Haus für die Medienaufsicht zuständigen Hardliner Chuck Colson nicht, der durch seinen Ausspruch bekannt wurde, wenn es sein Job erfordere, würde er auch über die Leiche seiner Großmutter gehen. Colson rief Frank Stanton an und wandte sich dann direkt an CBS-Boß Bill Paley. Stanton hatte sich bei CBS nachdrücklich für die Pressefreiheit eingesetzt und der Nachrichtenredaktion den Rücken freigehalten. Paley aber war es einfach nicht gewohnt, von verärgerten Präsidenten oder deren Handlangern Anrufe zu bekommen.
Prompt knickte er bei Colsons Anruf ein, ließ den für die Nachrichtensendungen zuständigen Chefredakteur zu sich kommen und machte diesem die Hölle heiß. Der bereits gesendete Bericht sei von Übel, und der für den kommenden Abend vorgesehene zweite Teil müsse unbedingt abgesetzt werden. Daraufhin wurde dieser Teil - ein Kompromiß nach erheblichen hausinternen Auseinandersetzungen - von vierzehn auf acht Minuten zusammengestrichen. Wie lang der Bericht ausfiel, spielte letztlich keine große Rolle. Was wirklich zählte, war, daß CBS die Post im ganzen Land bekannt gemacht hatte - sogar gegen den Willen des verängstigten Bill Paley. Den Tag nach der ersten CBS-Sendung verbrachte ich in Glen Welby mit einer großen Gästerunde, zu der auch meine Freundin Pam Berry (inzwischen Lady Hartwell) und - besonders bemerkenswert - Nixons Wirtschaftsminister Peter Peterson gehörten sowie Petersons damalige Frau Sally, eine liberale Anhängerin der Demokraten. Sally nahm kein Blatt vor den Mund, und es ergaben sich an jenem Wochenende etliche unangenehme Momente - besonders als Sally nachdrücklich betonte, sie werde auf jeden Fall McGovern wählen (was im Weißen Haus bereits bekannt war), und als sie sich unverblümt kritisch über die Nixon-Administration äußerte. Einmal bezeichnete sie Nixon sogar als »Weichei.«
Wir alle waren peinlich berührt, aber es war auch unverkennbar, daß Pete seinen Chef nicht verteidigte. Daß Pete an jenem Wochenende überdies einen Anruf von Haldeman aus dem Weißen Haus bekam, der nach Glen Welby weitergeleitet werden mußte, war seiner Karriere sicher nicht förderlich. Er konnte sich auch nicht mehr lange im Amt halten. Henry Kissinger hingegen scheinen seine fortgesetzten Besuche in Glen Welby nicht geschadet zu haben. Auch während der gesamten Watergate-Berichterstattung der Post blieb Pete mein Freund. Ja, er berichtete mir sogar, daß nach dem Erscheinen der Post-Artikel von Ende Oktober mein Name bei Mitarbeiterbesprechungen im Weißen Haus noch häufiger genannt worden sei als vorher. Nachdem er oft genug gehört hatte, man werde mich »fertigmachen«, kam Pete eines Tages selbst in mein Büro und sagte: »Kay, ich weiß nicht, was die Wahrheit ist, aber es gibt da eine Gruppe total verärgerter Leute, die das Gefühl haben, daß du sie fertigmachen willst. Ich hoffe nur, daß du strengste journalistische Maßstäbe anlegst. Wenn du im Unrecht bist, ist das eine verteufelt ernste Angelegenheit; dann werden sie dich kriegen.« Wir taten immer unser Bestes, um sorgfältig und verantwortungsbewußt zu berichten, ganz besonders jedoch im Hinblick auf Watergate. Von Anfang an hatten die Redakteure beschlossen, diese Berichte mit außergewöhnlicher Aufmerksamkeit zu behandeln, sowohl was Fairneß als auch was Genauigkeit bis ins kleinste Detail anbetraf. Sie legten bestimmte Regeln fest, an die sich alle zu halten hatten. Erstens, jede einzelne Information, die aus einer nicht namentlich bekannten Quelle stammte, mußte aus wenigstens einer weiteren, davon unabhängigen Quelle bestätigt sein. Besonders am Anfang des Watergate-Skandals mußten wir uns stark auf vertrauliche Quellen stützen, aber auf jeder Stufe wurde jede Einzelheit doppelt überprüft, ehe wir sie druckten. Wann immer das möglich war, hatten wir für jeden Bericht sogar drei oder mehr Quellen. Zweitens, wir brachten nichts, das in einer anderen Zeitung, in Fernsehen, Radio oder anderen Medien berichtet wurde, sofern es nicht unabhängig davon durch unsere eigenen Reporter verifiziert und bestätigt worden war. Drittens, jedes Wort in jedem Artikel wurde von mindestens einem Mitglied der Chefredaktion gelesen, bevor es in Druck gehen konnte. Ein Top-Redakteur prüfte jeden Artikel auf Herz und Nieren, ehe er freigegeben wurde.
Jeder Journalist wird bestätigen können, daß dies wirklich rigorose Vorkehrungen sind. Trotz der großen Sorgfalt, die jedermann walten ließ, war ich weiterhin beunruhigt. Egal, wie gründlich und exakt wir arbeiteten, es war nie ganz ausgeschlossen, daß wir uns irrten, einen Fehler machten oder bewußt irregeführt wurden. Ben machte mir wiederholt Mut vielleicht wollte er mich auch mehr in Sicherheit wiegen, als er selbst sicher sein konnte -, indem er betonte, daß einige unserer Quellen Republikaner seien. Außerdem bedeute die Tatsache, daß wir die Story so gut wie exklusiv brächten, daß wir uns den Luxus leisten könnten, nicht alles umgehend zu drucken, sondern es vorher fast exzessiv zu überprüfen. Vieles, was wir vorsichtshalber nicht druckten, entpuppte sich allerdings im nachhinein als wahr. Damals beruhigte ich mich mit unserer »Zweiquellenpolitik«. Außerdem versicherte mir Ben, daß Woodward eine geheime Quelle habe, zu der er gehe, wenn er sich bei einer Sache nicht völlig sicher sei - eine Quelle, die uns noch nie irregeführt habe. Bei diesen Gelegenheiten hörte ich erstmals von »Deep Throat«, noch ehe der Betreffende von Howard Simons diesen Tarnnamen (»Tiefer Schlund«) erhalten hatte, der auf einen damals in bestimmten Kreisen populären Pornofilm Bezug nahm. Diese frühe Erwähnung ist der Hauptgrund, warum ich noch immer überzeugt bin, daß es diese Person wirklich gegeben hat: daß es ein Mann war und daß dieser Mann auch keine aus Zügen mehrerer Personen geschaffene Kunstfigur war, wie man später oft vermutet hat. Die wahre Identität von »Deep Throat« ist das einzige Geheimnis, von dem ich weiß, daß Ben es auch mir gegenüber gewahrt hat - wobei natürlich auch Bob und Carl wußten, wer ihr Informant war. Ich habe nie darauf bestanden, in dieses Geheimnis eingeweiht zu werden - nur ein einziges Mal im Scherz - und weiß daher immer noch nicht, wer »Deep Throat« in Wirklichkeit war. Diese Detailgenauigkeit und die Möglichkeit, nach unseren eigenen strikten Regeln zu spielen, gestatteten es uns, wie Harry Rosenfeld später sagte, »die ausgedehntesten Zeitungsstorys mit der geringsten Fehlerquote zu produzieren, die ich je erlebt habe und je erleben werde«. Die Auswirkungen unserer Berichte und der CBS-Sendungen vom Oktober 1972 machten sich weiterhin bemerkbar - für Nixon, aber auch für uns. Es gab nicht wenige Anzeichen dafür, daß die Kampagne des Weißen Hauses intensiver wurde, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Post und in jedes andere Nachrichtenmedium, das als regierungsfeindlich galt, zu unterminieren.
Ein derart kompliziertes und engmaschiges Netz aus Verbrechen, Schwarzgeld und böswilligen Intrigen, wie es Nixons Helfer geknüpft hatten, zu untersuchen und aufzudecken, wäre auch unter optimalen Bedingungen schon schwer genug gewesen. Aber durch die unverhüllten Drohungen sowie durch größere und kleinere Belästigungen seitens des Präsidenten und seiner Regierung wurde dieses Vorhaben natürlich erheblich erschwert. Besonders verhaßt waren mir Berichte, welche die Auseinandersetzung personalisierten, indem sie unterstellten, eine Art persönlicher Fehde habe das Verhältnis zwischen Post und Regierung vergiftet. Verstärkt kamen mir Gerüchte zu Ohren, die sich mit meinen eigenen Gefühlen für Nixon befaßten - ein Chor, der mit Unterstützung von Senator Dole immer lautstärker wurde, denn Dole hatte gesagt, ich hätte einem Freund erzählt, ich haßte Nixon was durch Radio und Fernsehen im ganzen Land verbreitet wurde. Dole verstieg sich sogar zu der Behauptung, hier liege der wahre Grund dafür, daß die Post all diese negativen Watergate-Berichte veröffentliche. Ich verabscheute diese Annahme und den Eindruck, wir von der Post seien nur darauf aus, Nixon aufs Kreuz legen, und wollten ihn und die Republikaner fertigmachen. Viele Leute mißverstanden die Rolle der Post in diesem Konflikt und glaubten, es bereite uns Vergnügen, »dem Präsidenten und den Republikanern vors Schienbein zu treten« oder ihnen »noch den letzten Blutstropfen auszusaugen«, wie ich mehr als einmal zu hören bekam. Abgesehen davon, daß dies absolut nicht unser Ziel war, bereitete uns die Sache auch kein Vergnügen. Wie ich einem Leser einmal schrieb, war »diese Regierung die einzige, die wir haben, und es würde uns wesentlich mehr Freude machen, wenn wir nicht zu berichten hätten, was wir leider berichten müssen«. So unglaublich es klingt, ich hatte von Zeit zu Zeit sogar einen direkten Draht zu John Ehrlichman.
Noch am Tag vor der Wahl schrieb ich ihm einen Brief, in dem ich richtigstellte, daß die von Dole verbreitete Geschichte über meinen Nixon-Haß reine Erfindung sei. Obwohl wir George McGovern nicht offen unterstützten und bei unseren Kommentatoren sogar deutliche Vorbehalte gegen ihn bestanden, sah es wegen unserer noch negativeren Haltung Nixon gegenüber so aus, als stünden wir hinter dem Kandidaten der Demokraten. McGovern machte sich die Watergate-Story als Kandidat allerdings kaum zunutze und beschwerte sich überdies - wie alle Kandidaten zu allen Zeiten - über die unzureichende Berichterstattung der Post über seinen Wahlkampf. Wie erwartet wurde Nixon mit einem Erdrutschsieg wiedergewählt: Er gewann 61 Prozent der abgegebenen Stimmen und konnte neunundvierzig der fünfzig Bundesstaaten hinter sich bringen. Allein dieses Ergebnis zeigt schon, welch geringen Einfluß Watergate auf die Wahl hatte und wie überaus mächtig diese wütenden, rachsüchtigen Männer im Weißen Haus waren - und nicht nur dort, sondern überall im ganzen Land, soweit sie Verbindung zum Präsidenten hatten. Doch anstatt durch diesen Sieg Selbstsicherheit zu gewinnen und seine Anstrengungen darauf zu konzentrieren, das Land wieder zu einen, wandte sich Nixon umgehend seinen Racheplänen und der weiteren Festigung seiner Macht zu. In einer Rede bei einem Siegesdinner mit Regierungsmitgliedern erwähnte er die Washington Post mehrmals.
Er bat alle Regierungsmitglieder in den oberen Rängen um ihren Rücktritt und machte sich anschließend daran, all jene, selbst »gute Republikaner«, zu ersetzen, die möglicherweise nicht hundertprozentig auf seiner Linie lagen. Eines der ersten Opfer war Pete Peterson, der kurz nach der Wahl höflich den Stuhl vor die Tür gesetzt bekam. In einem Artikel des Wall Street Journal wurde damals offen ausgesprochen, was wir alle dachten, nämlich daß Peterson wahrscheinlich vom inneren Kreis der Nixon-Vertrauten zur Strecke gebracht worden war. In dem betreffenden Artikel wurde jemand aus dem Weißen Haus mit den Worten zitiert: »Wie kann man einem Mann vertrauen, der sich mit Kay Graham zum Dinner trifft?« Direkt nach der Wahl, als die Atmosphäre zwischen der Post und dem Präsidenten am giftigsten war, versickerte die Watergate-Berichterstattung mangels Neuigkeiten. Dadurch schien sich der Eindruck endgültig zu bestätigen, die ganze Geschichte sei nur ein Machwerk aus durchsichtigen politischen Gründen gewesen: ein haltloser Angriff auf den Präsidenten zum Zweck der Wahlbeeinflussung. Doch hinter den Kulissen bemühten sich bei der Post weiterhin alle Beteiligten, noch mehr über Watergate herauszufinden. In jenem Herbst nach der Wahl begann ich - teilweise als Reaktion auf die, wie wir deutlich spürten, eskalierende Rufmordkampagne gegen die Post - in verstärktem Maß Vorträge zu halten, in denen ich die Presse ganz allgemein und die Post im besonderen gegen ungerechtfertigte Vorwürfe verteidigte. Eine der ersten großen Ansprachen war im San Francisco Commonwealth Club geplant, einer recht konservativen Gruppierung. Meg Greenfield leitete das Team, das diesen Vortrag, eine nachdrückliche Verteidigung der Pressefreiheit, ausarbeitete.
Wegen der geplanten anschließenden Diskussion geriet ich ein wenig in Panik, weil ich mir Sorgen machte, man könnte mich nach Einzelheiten der Watergate-Story fragen und ich könnte dann vielleicht nicht alle Beteiligten und die diversen Ereignisse korrekt aufzählen. Daher gab mir Meg eine Chronologie der komplizierten Geschehnisse mit, die vom Democratic National Committee zusammengestellt worden war. Ich wollte sie während des Fluges studieren.
Nachdem ich es mir für die lange Reise über den Kontinent bequem gemacht und zu lesen begonnen hatte, schlief ich jedoch prompt über meinem Dokument ein. Erst bei der Landung wachte ich auf, und da lehnte sich von seinem Sitz auf der anderen Seite des Ganges jemand zu mir herüber und sagte: »Guten Tag, Mrs. Graham, kann ich Ihnen mit Ihrem Gepäck behilflich sein?« Ich sah Senator Dole in die Augen und erstarrte sofort vor Angst, er könnte gesehen haben, daß ich ein von der Demokratischen Partei erarbeitetes Dokument studierte. Schließlich lagen seine Anschuldigungen noch gar nicht so lange zurück, wir hätten über Watergate nur berichtet, weil ich Nixon persönlich haßte. Doch entweder hatte er nicht bemerkt, was ich da lesen wollte, oder er überging es höflich. Jedenfalls war er sehr freundlich, half mir beim Aussteigen und trug tatsächlich meinen Koffer. Wir unterhielten uns nett, und schließlich raffte ich mich zu der Bemerkung auf: »Übrigens, Herr Senator, ich habe nie gesagt, daß ich Nixon hasse.« »Ach, wissen Sie«, erwiderte er beiläufig, »im Wahlkampf bekommt man solche Sachen in die Hand gedrückt, und dann liest man sie eben.« Diese Reaktion verwunderte mich sehr. Wie konnte er nur so leicht über etwas hinweggehen, das für uns alle bei der Post, und ganz besonders für mich, derart gravierende Auswirkungen gehabt hatte? Zur gleichen Zeit, als die Regierung dem Washington Star ein Exklusivinterview gewährte, begann sie, gegen uns einen regelrechten Boykott zu inszenieren. Wie ein namentlich nicht genannter Präsidentenberater aus dem Weißen Haus dem Nachrichtenmagazin Time verriet, war dieser Boykott speziell darauf angelegt, »der Washington Post die Daumenschrauben anzuziehen«.
Man dachte, wie Time berichtete, nur noch an eines: »Wie können wir der Post am meisten weh tun?« Unsere Anrufe sollten nicht beantwortet werden, und man wollte uns in bezug auf unsere journalistische Arbeit in jeder Hinsicht die kalte Schulter zeigen. Leute aus der Regierung sollten nicht mehr zum Lunch in die Redaktion kommen, und schon gar nicht zum Dinner zu mir nach Hause. Eine einzigartig lachhafte, kleinkarierte und seltsame Form der Rache äußerte sich darin, daß die Regierung unsere charmante, von allen respektierte, ja geliebte altgediente Gesellschaftsreporterin Dorothy McCardle, die damals schon achtundsechzig Jahre alt war, daran hinderte, über Partys zu berichten. Man ließ sie mutterseelenallein im Presseraum sitzen und schloß sie von einem gesellschaftlichen Ereignis nach dem anderen aus. Dieser Schuß ging aber nach hinten los, denn für ihre Kolleginnen und Kollegen im Washingtoner Pressecorps wurde Dorothy schnell zur Heldin. Im Star erschien sogar ein galanter Leitartikel, der uns unterstützte und sich gegen diesen Boykott aussprach. Darin hieß es, wenn die Post nicht über die Partys berichten dürfe, dann wolle auch der Star keine Sondervergünstigungen: Die Gesellschaftsreporterin des Star werde sich im Presseraum zu Dorothy setzen und sich so lange weigern, an den Ereignissen teilzunehmen, wie Dorothy der Zutritt verwehrt sei. Ich schrieb Newbold Noyes, dem Verleger des Star, einen Brief, in dem ich ihm für »die netteste, großzügigste Stellungnahme« dankte, »die ich mir zugunsten eines Konkurrenzblattes überhaupt vorstellen kann«. Außerdem scheine es mir »angesichts all dessen, was sich gerade ereignet ... von größter Bedeutung zu sein, daß die gegenwärtig Mächtigen wissen, daß uns das Ethos unseres Berufes noch etwas bedeutet und daß wir zusammenhalten. Denn man ist ja wohl fest entschlossen, ... nach dem Motto >Teile und herrsche< zu regieren.« Einige Wochen später berichtete David Broder in einem Artikel der Post, Richard Kleindienst, inzwischen zum Justizminister aufgestiegen, habe die Ansicht geäußert, die Washington Post habe »bei ihrer Berichterstattung den Fall gelegentlich übertrieben oder verzerrt dargestellt«. In Broders Artikel wird Kleindienst auch mit den Worten zitiert: »Ich habe ihr (Kay Graham) gesagt: >Regen Sie sich nicht so auf. Sie haben doch eine große Zeitung. Machen Sie einfach weiter, und gehen Sie mit der... Sache um, wie Sie wollen. Aber wundern Sie sich dann bitte auch nicht, wenn sich der Präsident ein bißchen aufregt und im Gegenzug Ihnen gegenüber ein wenig die Sau rausläßt.<«
In der Tat, die Regierung ließ nun uns gegenüber »ein wenig die Sau raus«. Man verlegte sich ganz bewußt auf eine Politik der Unterminierung der Glaubwürdigkeit der Presse, zumal man, wie sich zeigen sollte, auf diese Strategie dringend angewiesen war. Es gab zwar kaum konkrete Beweise, aber wir von der Post waren uns der Tatsache sehr wohl bewußt, nun Zielscheibe der Rachepläne Nixons und seiner Regierung zu sein.
Am 13. November griff Colson die Post erneut an. Diesmal nahm er sich Ben Bradlee vor: »Der Vorwurf der Untergrabung eines kompletten politischen Prozesses ist reine Phantasie eine Fiktion, die es an Auflagenstärke nur mit >Vom Winde verweht< und an Obszönität nur mit >Portnoys Beschwerden< (einem Roman von Philip Roth) aufnehmen kann ... Mr. Bradlee sieht sich jetzt als selbsternannten Führer ... einer kleinen arrogant-elitären Randgruppe, die den gesunden Mainstream des amerikanischen Journalismus mit ihrer ganz eigenen seltsamen Weltsicht infiziert.« Dabei sprach Colson nur zwei Tage nach dieser Schmähung wie wir später der Watergate-Anklageschrift entnehmen konnten - telefonisch mit Howard Hunt, der darauf drängte, den im Watergate-Prozeß Angeklagten müsse mehr Geld zur Verfügung gestellt werden. Was wir ebenfalls erst später herausfanden, war, daß Nixon zu einem bestimmten Zeitpunkt den Plan faßte, daß Richard Mellon Scaife (der rechtskonservative Millionär aus Pittsburgh) die Post kaufen solle. Als Beweis tauchten später im Nixon-Archiv Notizen auf, die sich Ehrlichman bei einem Treffen mit Präsident Nixon am 1. Dezember 1972 gemacht hatte: »Post. Scaife wird anbieten, sie zu kaufen. (Aktiva.) Klage von öffentlichen Aktionären, wenn sie (60 %) sich weigert (60 % war der Anteil meiner A-Aktien). Präsident kann nicht mit ihm sprechen.« Am 4. Dezember schickte Kenneth Khachigian, ein Mitarbeiter von Pat Buchanan, der damals im Weißen Haus als Redenschreiber tätig war, diesem ein Memo, das sehr detailliert aufführte, was man der Post als Zielscheibe des Zorns alles antun könnte: »Heute morgen hat Colson angerufen wegen eines Projekts, das der Präsident erledigt haben möchte.« Weiter heißt es dann:
Sie wollen einen Artikel haben, Magazinlänge, über die schlimmsten Sachen, die die Washington Post über RN gesagt hat. Die ganzen persönlichen Verunglimpfungen. Der Artikel sollte bis in die fünfziger Jahre zurückgehen und zeigen, daß sie schon damals böswillig gegen RN opponiert haben. Die Story sollte darauf hinauslaufen, daß die Vendetta der Post im Jahre 1972 Ausdruck äußerster Frustration ist. Nachdem sie Jahr um Jahr Schimpf und Schande auf RN gehäuft haben, hat die Öffentlichkeit RN trotzdem mit überwältigender Mehrheit unterstützt - etwas, das die Post einfach nicht aushalten konnte; daher die zunehmend schrille Hysterie auf ihrer Seite und der unverantwortliche Umgang mit Watergate. ... Colson sagt, es soll eine Art »Schlachtfest« werden - vielleicht für das Magazin der New York Times.
Natürlich herrschte die negative Stimmung zwischen der Post und dem Weißen Haus unter Nixon schon in der Zeit vor Watergate. Mein hitziger Schlagabtausch mit Vizepräsident Agnew in den Jahren 1969 und 1970 war Teil dieser giftigen Atmosphäre. Außerdem sollten später noch verschiedene Memos aus dem Jahre 1970 ans Tageslicht kommen, aus denen die Abneigung der Regierung Nixon gegen die Post ebenso detailliert hervorgeht wie der Wunsch, uns weh zu tun. Nachdem einige Mitarbeiter des Weißen Hauses eine Schwarze Liste mit Presseorganen erstellt hatten, die auf keinerlei Kooperationsbereitschaft des Weißen Hauses rechnen könnten, und nachdem man Szenarien für Leserbriefkampagnen entwickelt hatte, griff Nixon im Mai 1970 selbst aktiv ein. Er schickte Haldeman folgendes Memo:
Ich möchte, daß Sie mit Klein und Ziegler über einige sehr strikte Anweisungen zur Behandlung der New York Times und der Washington Post reden. Ich werde diese Anweisungen präzise fassen, und ich möchte, daß sie in den nächsten sechzig Tagen präzise ausgeführt werden. . .. Hinsichtlich der Washington Post bestätige und wiederhole ich die Anweisung, die ich schon vor zwei Wochen gegeben habe, die jedoch 9 bisher nicht befolgt wurde. Ziegler soll auf keinen Fall irgend jemand von der Washington Post empfangen, und auch kein anderer Mitarbeiter des Weißen Hauses soll irgend jemand von der Washington Post treffen oder telefonisch zurückrufen. Sie sollen genauso wie das allgemeine Pressecorps behandelt werden. Das gilt auch für Kilpatrick, Oberdorfer und alle anderen. Ich kenne das oftmals vorgetragene Argument, daß Oberdorfer uns in einem von zehn Fällen eine gute Story schreibt. Ich wiederhole jetzt nochmals die Linie, die ich befolgt sehen möchte - behandeln Sie die Post absolut kalt und unfreundlich alle ihre Leute müssen auf diese Weise behandelt werden ... Sollte es Ausnahmen von dieser Regelung geben, müssen diese direkt mit mir besprochen werden, und ich werde von Fall zu Fall entscheiden. Unter gar keinen Umständen darf jedoch irgendeiner unserer Mitarbeiter eigenmächtig von dieser Linie abweichen. Zugleich wünsche ich, daß der Washington Star, die Washington Daily News, die New York Daily I I News, die Chicago Tribune und, wenigstens vorübergehend, die Los Angeles Times und andere Blätter, die direkt mit der New York Times und der Washington Post konkurrieren, weiterhin besonders bevorzugt behandelt werden, wenn Ziegler und Klein zu dem Schluß kommen, daß das in unserem Interesse liegt. Sie werden darüber nicht glücklich sein, aber ich habe mich nach reiflicher Überlegung entschlossen, daß so verfahren werden soll, und ich will, daß diese Anweisungen befolgt werden.
Vor diesem Hintergrund also entfaltete sich die Watergate-Berichterstattung. Doch der Druck, der bislang auf uns ausgeübt worden war, war noch gar nichts im Vergleich zu dem, was folgen sollte. Am 27. Oktober, dem Tag der ersten CBS-Nachrichtensendung über Watergate, schickte Colson einem anderen Mitarbeiter im Weißen Haus folgendes Memo: »Bitte finden Sie für mich heraus, wann die einzelnen Sendelizenzen der Fernsehstationen der Washington Post zur Verlängerung anstehen. Ich möchte gern wissen, wie dieser Zeitplan aussieht.« Zufällig - und zum Glück für die Regierung - waren die Lizenzen der Stationen in Florida Anfang Januar 1973 fällig, und wie Colson wußte, waren die erforderlichen Lizenzerneuerungen ein gefundenes Fressen für die Rachepläne der Regierung. Von allen Bedrohungen, denen die Washington Post Company während des Watergate-Skandals ausgesetzt war - dazu gehörten Versuche, unsere Glaubwürdigkeit zu unterminieren, kleinkarierte Beeinträchtigungen und Begünstigungen der Konkurrenz -, waren die Anfechtungen der Sendelizenzen für unsere beiden Fernsehstationen in Florida mit Abstand am wirkungsvollsten. Es gab drei getrennte Einsprüche in Jacksonville und einen Einspruch in Miami, die alle - sicher nicht zufällig zwischen dem 29. Dezember 1972 und dem 2. Januar 1973 bei der Federal Communications Commission (FCC) eingingen. Da lag die Schlußfolgerung durchaus nahe, daß diese vier Petitionen zentral gesteuert worden waren. Von mehr als dreißig Stationen in Florida, deren Lizenzen zur Erneuerung anstanden, waren unsere Sender die einzigen, die sich Anfechtungen gegenübersahen - und das ist schon eine besondere Trefferquote, zumal für TV-Sender, deren Nachrichten und lokale Dienstleistungen zu den besten in den ganzen USA gehörten.
Um diese Zeit waren wir bei der Zeitung schon so sehr unter Beschuß geraten, daß ich - wie auch die meisten anderen in unserer Firma - diese Einsprüche nur noch als politisch motivierte Aktionen von Nixon-Sympathisanten oder gar Leuten ansehen konnten, die mit dem CRP in Verbindung standen. Hatte das Weiße Haus diese Anfechtungen tatsächlich ermutigt oder gar selbst initiiert? Angesichts all der Drohungen und Memos, die seither ans Tageslicht gekommen sind, fällt es nicht schwer zu glauben, daß hinter all dem Nixon und seine Mitverschwörer standen, doch konkret fanden wir niemals einen stichhaltigen schriftlichen Beweis. Allerdings war das auch gar nicht nötig, weil viele der prominenten Figuren, die hier gegen uns mobil machten, zweifellos enge Verbindungen zum Weißen Haus oder zum CRP unterhielten. Die Leute, die in Florida Einsprüche und Gegenangebote gegen unsere TV-Stationen einreichten, wurden zweifellos von einer Mischung unterschiedlichster Motive geleitet: Wie Jagdhunde, die Blut geleckt haben, wollten sie leichte Beute machen und glaubten verständlicherweise, in Anbetracht der von Nixon-Vertrauten dominierten FCC Erfolg zu haben.
Auf seiten einiger Herausforderer war wohl auch Unzufriedenheit, wenn nicht gar regelrechte Abneigung gegen unsere starken, dynamischen Nachrichtenorganisationen im Spiel, besonders in Jacksonville. Dort war die konservative Kerntruppe, die in der Stadt das Sagen hatte, derartiges einfach nicht gewohnt. Wir sahen natürlich auch, warum einigen anderen Gruppen die Leistungen unserer beiden TV-Sender nicht paßten: Beide Sender hatten eine nicht unwesentliche Rolle dabei gespielt, daß in Florida die Gewerbekapitalsteuer und eine Steuer für Zweitwohnsitze im Sonnenscheinstaat gesetzlich eingeführt wurden. Zweifellos waren einige Herausforderer nicht mit den komplizierten Lizenzprozeduren der FCC vertraut und unterschätzten die Verfahrenskosten. Auffällig war ferner, daß nur wenige Herausforderer überhaupt Rundfunk- und Fernseherfahrung hatten. Natürlich wurden auch angebliche Minoritäteninteressen bemüht immer nach dem Motto, gegen den fernen, übermächtigen Medienkonzern müßten Lokalinteressen und Rechte der Minderheiten gestärkt werden. Dabei waren wir in Jacksonville schon seit zwei Jahrzehnten aktiv (zu einem Zeitpunkt, als die Washington Post Company noch wirklich klein war), und die Familie meines Mannes gehörte zu den prominenten Bürgern von Miami. Dort, in Miami, wurde die Gruppe der Herausforderer von Nixons engem Freund Cromwell Anderson angeführt, der die Sendelizenz von WPLG bereits 1969 vergeblich angefochten hatte. Nach mehr als siebenmonatiger Verfahrensdauer hatten wir ihm damals im Zuge einer gütlichen Einigung 67000 Dollar an Anwaltskosten erstatten müssen. Die FCC-Klausel, die eine solche Einigung ermöglicht hatte, galt aber nicht mehr, weshalb Anderson jetzt im Bunde mit anderen Nixon-Freunden ums Ganze kämpfen mußte. Er begann seine Angriffe gegen unsere Station in Miami genau in jenem Monat September des Jahres 1972, in dem Nixon (wie wir später auf den Tonbändern des Weißen Hauses hören konnten) der Post »verdammt gräßliche Probleme« bei der Erneuerung der Sendelizenzen androhte. Diese Passage war übrigens in der ersten, zensierten Version der Bänder, die das Weiße Haus später dem Untersuchungsausschuß des Senats übergab, herausgeschnitten worden.
Einen großen Teil meiner Zeit - und ganz gewiß auch einen Großteil meiner Energie und seelischen Stärke - mußte ich Anfang 1973 auf Aktivitäten verschwenden, die mit der Bedrohung unserer TV-Sender zusammenhingen. Ständig mußte ich mir Beschwerden von mächtigen, einflußreichen Leuten in Jacksonville und Miami anhören, die mir drohten, wenn sich bestimmte Dinge nicht änderten, würden sie sich der Gruppe der Herausforderer anschließen. Weil ich zu allem bereit war, was die Stimmung in beiden Städten zugunsten unserer Sender positiv beeinflussen könnte, war ich sehr erfreut, als einer meiner wenigen echten Freunde in Jacksonville, Roger Main, ein gemäßigter Republikaner, bei mir anrief. Er war Vorsitzender der St. Luke's Hospital Association, und für das alljährliche Festbankett dieses Trägervereins war ihm plötzlich der Redner abhanden gekommen. Nun bat er mich zu meiner eigenen Überraschung, ich möge ihm doch helfen, Justizminister Kleindienst dafür zu gewinnen, notfalls auch den Abgeordneten Gerald Ford (den späteren Präsidenten). Kleindienst war einer der wenigen Vertreter aus der Regierung, die mir gegenüber immer einigermaßen freundlich geblieben waren, und ich versuchte es - mit Erfolg, denn Kleindienst sagte zu. Daraufhin lud Roger Main auch mich zum Festbankett im Jacksonville Civic Auditorium ein, und ich leistete dieser Einladung nur allzugern Folge, weil ich dort alle Honoratioren der Stadt auf einen Schlag beisammen hatte. Doch der Abend entwickelte sich alles andere als erfreulich. Nur Roger und ein weiterer Freund hielten es für angebracht, mir gegenüber wenigstens die Formen der Höflichkeit zu wahren. Empfang und Dinner überstand ich noch einigermaßen, doch dann verabschiedeten sich die Hauptakteure von mir und entschwanden mit Kleindienst zu einer anderen Party. Obwohl ich den Festredner des Abends besorgt hatte, war ich persönlich nicht unbedingt weitergekommen. Der Zeitpunkt dieser Herausforderungen in Florida stellte für uns ein potentielles Desaster dar: Er fiel nicht nur mitten ins Watergate-Kampfgetümmel, sondern die Affäre um die Pentagon-Papiere und unser Gang an die Börse lagen ebenfalls erst anderthalb Jahre zurück. Erschwerend kam noch hinzu, daß Fritz Beebe sich sehr darum bemüht hatte, in Hartford, Connecticut, eine vierte TV-Station für unsere Firma zu erwerben.
Natürlich waren wir nun in Sorge, daß die Travelers Insurance Company, der bisherige Eigentümer, angesichts der Herausforderungen in Florida kalte Füße bekommen und der Verkauf letztlich noch platzen könnte. Doch Travelers blieb standhaft und hielt Wort. Fritz hatte solide Beziehungen aufgebaut, und der Kauf kam planmäßig zustande.
Was nun Watergate anbetraf, so fielen die Herausforderungen in Florida genau in jene Zeitspanne, in der die Geschichte sich nach den Wahlen etwas totgelaufen hatte und wir ein wenig den Faden verloren hatten. Auch andere fragten sich, wie es wohl weitergehen werde. Macht und Zorn der Regierung waren nach dem Erdrutschsieg bei den Wahlen am größten, wir hingegen am schwächsten. Während der Lizenzstreitigkeiten lautete unsere öffentlich verlautbarte Devise, daß wir fest mit der Lizenzerneuerung rechneten. Denn bei all unseren TV-Sendern gab es vor Ort ein starkes Management, bei allen lag der Akzent auf unabhängiger Berichterstattung und auf Unabhängigkeit der redaktionellen Meinung. Die beiden Stationen in Florida hatten einen makellosen Ruf, was ihre Integrität und höchste Programmqualität betraf. Alle Kriterien der FCC für eine gute Fernsehstation hatten wir eingehalten oder sogar übertroffen. Ein weiterer Grund, warum ich persönlich das Gefühl hatte, wir müßten auf der sicheren Seite sein, war der, daß praktisch alle Fernsehstationen im ganzen Land - auch die von Nixons Freunden und Bewunderern - ständig um ihre Lizenz hätten bangen müssen, wenn die FCC uns bei dieser hervorragenden Leistungsbilanz einfach die Lizenz hätte entziehen können. Trotzdem waren wir - bei aller Zuversicht, daß die Einsprüche unserer Gegner unbegründet seien - verunsichert und erschrocken. Zu den schlimmsten Auswirkungen zählte der nahezu unvermeidliche dramatische Kursverfall unserer Aktien an der Börse - in den ersten beiden Wochen nach Bekanntwerden der Anfechtungen fiel der Kurs von 38 auf 28 Dollar pro Aktie und setzte seine Talfahrt danach sogar noch bis auf 16 oder 17 Dollar fort, was praktisch einer Reduzierung des Wertes unserer Firma um mehr als die Hälfte entsprach. Starken direkten Einfluß auf unsere Finanzen hatten auch die juristischen Kosten für die Verteidigung unserer Sendelizenzen, die sich auf mehr als eine Million Dollar bei einer Gesamtverfahrensdauer von zweieinhalb Jahren beliefen - ein Betrag, der für eine kleine Firma wie die unsere damals noch weit mehr bedeutete als heute. Genauso einschneidend waren die Erosionseffekte aber auch für die Leute, die versuchten, unter dem Damoklesschwert der Drohungen und in feindseliger Atmosphäre die Fernsehsender zu leiten. Wir versuchten, ihnen den Rücken zu stärken, indem wir ihnen rieten, so weiterzumachen wie bisher, doch unter solchen Umständen kann man nur schwer langfristig wirksame Entscheidungen treffen. Für beide Stationen war es nicht leicht, gute Leute zu gewinnen, weil einfach das ungeklärte Problem im Raum stand, wer denn in einigen Monaten Inhaber der Sendelizenz sein werde. Und natürlich war es auch schwierig, Kommentare zur Verteidigung unserer Positionen auszustrahlen, obwohl wir das gern getan hätten. Aber wir wußten genau, daß man solche Äußerungen sofort gegen uns verwendet würden.
Schon seit mehreren Monaten stand die Washington Post Company nun im Blickpunkt der Öffentlichkeit - sicherlich mehr, als mir lieb war, und überdies aus Anlässen, die wir gern vermieden hätten. Wir wollten nicht unbedingt berühmt werden; der Ruhm wurde uns aufgezwungen. Bei einer Veranstaltung der Newsweek-Vertriebsabteilung sagte ich damals, unsere Lage erinnere mich ein wenig an die alte Geschichte von dem Mann, der geteert und gefedert auf einem Karren aus der Stadt gezogen wurde. Auf die Frage, wie er sich fühle, erwiderte er: »Danke für die Ehre, aber ich wäre lieber zu Fuß gegangen.« Anfang 1973 wurde ich zunehmend nervös und hielt es für angebracht, mich einmal mit Bernstein und Woodward sowie den für Watergate zuständigen Redakteuren zusammenzusetzen. Obwohl die Berichterstattung bereits sieben Monate lief, hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt selbst überraschend wenig Kontakt zu den Reportern gehabt.
Am 15. Januar traf ich mich deshalb wenigstens mit Bob und Howard zum Lunch (Carl war leider unterwegs). Bob ging - wie es typisch für ihn war - sofort nach dem Gespräch in die Redaktion und schrieb ein ausführliches Protokoll. Darin erwähnte er sogar, was wir gegessen hatten: als Hauptgang Eier nach Benedikt-Art, weshalb wir uns später auf dieses Gespräch nur noch unter dem Stichwort »eggs-Benedict lunch« bezogen. Meine Befürchtungen wegen der Watergate-Affäre waren offenkundig. Woodward notierte, daß ich ängstlich gefragt hätte: »Wird denn die ganze Sache je herauskommen? Ich meine, werden wir je über all diese Dinge Bescheid wissen?« Wie Bob später schrieb, hielt er diese Worte für die denkbar netteste Formulierung der Frage: »Was habt ihr Jungs bloß mit meiner Zeitung angestellt?« Bob antwortete mir damals, man könne überhaupt nicht sicher sein, daß alles je tatsächlich herauskommen würde. »Ein Hauch von Depression legte sich über ihr Gesicht«, schrieb er. »Nie?« fragte sie. »Kommt mir bloß nicht mit dem Wörtchen nie.« Bei diesem Lunch erwähnte Woodward auch, er habe noch niemandem den Namen von »Deep Throat« verraten. »Ich will ihn aber wissen«, sagte ich schnell - und als er daraufhin erstarrte, lachte ich, berührte seinen Arm und sagte, das sei doch nur ein Scherz, in Wahrheit wolle ich mich mit diesem Geheimnis doch gar nicht belasten. Er gestand mir später, wenn ich wirklich darauf gedrungen hätte, wäre er bereit gewesen, mir den Namen preiszugeben, er habe aber gebetet, daß ich ihm nicht so zusetzen möge. Dieser Lunch gab mir neues Vertrauen - zumindest erweckte ich den Anschein von Zuversicht - doch eigentlich blieb ich weiter nervös. Im Rückblick staune ich sogar, daß ich nicht noch viel mehr Angst hatte.
Die Zeit im Vorfeld des Gerichtsverfahrens gegen die »Watergate Seven«, das am 8. Januar 1973 begann, war äußerst angespannt verlaufen. Colson hatte in ganz Washington verlauten lassen, er werde jetzt zu unseren nationalen Anzeigenkunden oder zu unseren Investoren gehen. Einer meiner Freunde an der Wall Street, André Meyer, ein Mann mit guten Kontakten zur Regierung, hatte mich sogar angerufen und gebeten, bei ihm vorbeizukommen. Dort gab er mir den Rat, mit all meinen Worten und Taten sehr sorgfältig und umsichtig zu sein, und warnte mich auch wie im Film -, ich solle aufpassen, daß ich »nie allein« sei. »0 André«, sagte ich, »das ist doch wirklich absurd melodramatisch. Gar nichts wird mir passieren.« »Ich meine es wirklich ernst«, erwiderte er. »Ich habe mit ihnen gesprochen, und ich kann dir nur sagen, laß dich nie allein erwischen.« André hat mir nie erläutert, welche Grundlage seine Ängste hatten, und ich habe immer noch keine Ahnung, was er damals gehört hatte oder meinte. Was mir aber auf jeden Fall ganz deutlich wurde, war der absolute Ernst der Lage. Nächtelang lag ich wach und machte mir Sorgen, wenn auch nicht unbedingt um meine persönliche Sicherheit. Denn es stand nicht nur der Ruf der Post auf dem Spiel, sondern ihre gesamte Existenz. Mit Ärger im Weißen Haus hatte ich schon früher zu leben gelernt, aber ich hatte noch nie auch nur im entferntesten so etwas wie die wahnsinnige Wut erlebt, die sich jetzt gegen uns richtete. Zeitweilig schien es mir, als stünde uns wirklich eine bizarre, kafkaeske Verschwörung ins Haus - vielleicht waren wir auf einen Weg geleitet worden, auf dem der Ruf unserer Zeitung völlig ruiniert werden würde. Die Augenblicke großer Angst häuften sich. Natürlich waren wir besorgt, als unsere Watergate-Berichte immer wieder vehement dementiert wurden. Selbst wir, scheint es, hatten lange Zeit die Fähigkeiten dieser Regierung unterschätzt, die Wahrheit zu verbergen und zu verzerren. Doch schließlich begann sich eine ganze Reihe von Ereignissen zu unseren Gunsten zu entfalten. Drei Tage nach Verhandlungsbeginn erklärte sich Howard Hunt in sechs Anklagepunkten schuldig. Nach vier weiteren Tagen schlossen sich ihm auch die anderen Einbrecher an. Am 30. Januar wurden Liddy und McCord verurteilt, behaupteten aber weiterhin, niemand an höherer Stelle sei in den Fall verwickelt und sie hätten auch keinerlei finanzielle Zuwendungen erhalten. Ja, Hunt hatte die Einbrecher sogar gedrängt, sich schuldig zu bekennen und ins Gefängnis zu gehen. Er werde sich schon um ihr Wohl kümmern.
Gegen Ende Februar wurden dann fünf von uns vom U. S. District Court als Zeugen vorgeladen. Wir sollten - unter Strafandrohung bei Nichterscheinen - im Zivilprozeß der Demokratischen Partei gegen das Committee to Re-elect the President (CRP) über die Quellen der Post aussagen. Mit dieser Vorladung verbunden war der Zwang, umfangreiches Material vorzulegen: Dokumente, Papiere, Briefe, Fotos, Tonbänder, Manuskripte, Notizen, Kopien und Schlußfassungen unserer Watergate-Artikel. Ben sagte, wir hätten praktisch alles mitbringen sollen »außer den Fusseln in unseren Taschen«. Mein Name war in der Vorladung falsch geschrieben, aber ich mußte ebenso erscheinen wie Woodward und Bernstein, Howard Simons und Jim Mann, ein Reporter, der bei einigen der frühen Watergate-Beiträge mitgearbeitet hatte. Unsere Anwälte entschieden, mir einige der Notizen unserer Reporter zu übergeben. Ben Bradlee hatte Bernstein und Woodward versichert, daß wir diesen Fall notfalls bis zum bitteren Ende durchfechten würden, und hinzugefügt:
... und wenn der Richter jemand in Beugehaft nehmen will, dann muß er schon Mrs. Graham ins Gefängnis stecken. Und, mein Gott, die Dame wird verkünden, daß sie ins Gefängnis geht! Dann hat der Richter auch das auf seinem Gewissen. Könnt ihr nicht schon die Bilder sehen, wie sie in ihrer Limousine vor dem Frauengefängnis vorfährt? Dann steigt unser Mädchen aus, geht ins Gefängnis und hält den Ersten Verfassungszusatz (in dem es um die Pressefreiheit geht) hoch. Das wäre ein Bild, das alle Zeitungen auf der ganzen Welt bringen würden. Und das könnte eine Revolution geben.
Irgendwann hatte sich Woodward mit »Deep Throat« getroffen, und der hatte ihm erzählt, die Zwangsvorladungen seien Teil einer von Nixons rasender Wut über die Post bestimmten Strategie. Er, Nixon, wolle die in seiner Wahlkampfkasse noch verbliebenen 5 Millionen Dollar dafür verwenden, »die Post eine Nummer kleiner zu machen«. »Das wird euch auf eine harte Belastungsprobe stellen«, sagte »Deep Throat« zu Woodward, »aber das Ende ist nunmehr bereits in Sicht.« Die Zwangsvorladungen wurden letztlich aufgehoben, aber erst nachdem wir eine Menge Energie und Geld in deren Abwehr investiert hatten. Das damit verbundene Drama war jedenfalls sehr heftig. Ich schrieb einem Freund: »Das Ganze ist so absurd, daß man sich gar nicht mehr darüber ärgern kann« und vermerkte überdies, einer jener Post-Redakteure, die keine Vorladung erhalten hatten, leide angeblich an einem Fall von »Zwangsvorladungsneid«. Auch gegen Ed Williams' Anwaltskanzlei holten Handlanger der Regierung im Zusammenhang mit dem Watergate-Zivilverfahren zum großen Schlag aus. Damals gehörten zu seiner Kanzlei nur etwa fünfundzwanzig Anwälte, von denen fünf als Rechtsberater und Anwälte der mächtigen Transportarbeitergewerkschaft tätig waren. Nachdem gegen Nixons CRP Klage erhoben worden war, ließ der Präsident der Transportarbeitergewerkschaft Ed wissen, die unter Mitwirkung seiner Kanzlei angestrengte Klage der Demokraten gegen das CRP sei derart abwegig, daß die juristische Kompetenz der gesamten Kanzlei in zweifelhaftem Licht erscheine. Doch Ed erwiderte: »Niemand schreibt uns vor, für welche Klienten wir arbeiten.« Daraufhin suchten sich die Transportarbeiter neue Anwälte. Zur gleichen Zeit gewannen wir jedoch, ohne es zu wissen, neue Verbündete. Einer der wichtigsten war John Sirica, Richter am U. S. District Court, der sagte, er sei »nicht zufrieden«, weil er nicht den Eindruck habe, daß in der von ihm geleiteten Gerichtsverhandlung schon die ganze Watergate-Geschichte herausgekommen sei.
Ebenso entscheidend war, daß der Senat mit siebzig Stimmen und ohne Gegenstimme beschloß, einen Untersuchungsausschuß zur Aufklärung der Watergate-Affäre und anderer Unregelmäßigkeiten im Wahlkampf des Präsidenten einzusetzen. Ich war gerade für Newsweek International auf Reisen im Fernen Osten, als mich in Hongkong ein wichtiger Telefonanruf erreichte. Howard Simons war am Apparat, um mir die verblüffende Nachricht mitzuteilen, James McCord habe einen Brief an Richter Sirica geschrieben, in dem er den Vorwurf erhoben habe, im Watergate-Prozeß seien Meineide geschworen worden. Man habe Druck auf die Angeklagten ausgeübt, ihre Schuld zu gestehen und sich ansonsten ruhig zu verhalten; es seien sehr wohl Leute an höherer Stelle in diesen Fall verwickelt, und »verschiedene Mitglieder meiner Familie haben ihre Angst um mein Leben zum Ausdruck gebracht, sollte ich meine Kenntnis von Tatsachen enthüllen, die mit diesem Fall zusammenhängen«. Gegen die Zusicherung einer Strafmilderung entschloß sich McCord auszusagen, was er über den ursprünglichen Einbruch alles wußte. Was für eine Erleichterung - oder, wie Ben es formulierte: »Bingo! Volltreffer!« Dies war die erste echte Wende im Fall Watergate - und für uns, denn von da an änderte sich die Berichterstattung über den Watergate-Skandal, aber auch das Wesen der Berichterstattung selbst. McCords Brief bestätigte unsere Berichte; er ließ alles, was wir bisher gesagt hatten, wesentlich plausibler erscheinen. Er veränderte das Image unserer Zeitung, und in gewisser Weise auch mein eigenes.
Plötzlich merkten die Leute, daß an dem Fall wohl doch etwas dran war und daß unsere Berichte nicht erfunden waren. Es gab Beweise für unsere Enthüllungen. Die Post war nicht mehr auf sich allein gestellt. McCords Brief hatte verschiedene unmittelbare Auswirkungen: Die Post stand nun noch mehr im Blickpunkt, und auch ich wurde in der Öffentlichkeit stärker wahrgenommen und erhielt mehr Einladungen zu Vorträgen und Interviews. All dies überraschte mich damals und machte mir später Sorgen. Weil ich immer noch in Asien war, als McCords Brief in der Öffentlichkeit bekannt wurde, mußte ich eine regelrechte Feuertaufe bestehen. Im ganzen Fernen Osten wurde ich mit Interviewwünschen der Medien bombardiert. Weil diese Reise aber letztlich dem Zweck diente, Newsweek International bekannter zu machen, kamen mir die zahlreichen Gelegenheiten, mich zu äußern, auch nicht ganz ungelegen. Als ich Ende März von meiner Reise zurückkehrte, war die Situation auf Regierungsseite in Bewegung geraten. Henry Kissinger erinnerte sich, ihm sei kurz nach diesem Zeitpunkt allmählich klargeworden, daß Watergate ein Faktum war und daß sich der Skandal nicht von selbst aus der Welt schaffen würde. Weil er nicht in der Lage gewesen war festzustellen, ob unsere Berichte zutreffend waren, hatte sich Henry vorwiegend Sorgen um die Auswirkungen des Watergate-Skandals auf die amerikanische Außenpolitik und um die »Handlungsfreiheit« der Regierung in diesem Bereich gemacht. Zu einem relativ frühen Zeitpunkt nach der Wahl hatte er Joe Califano bei einem Lunch gefragt: »Was wollt ihr Demokraten denn jetzt machen?« Und Joe hatte ihm geantwortet: »Wir werden uns an Watergate gesundstoßen! « Daraufhin hatte Henry entweder Haldeman oder Ehrlichman die Frage gestellt: »Was meint er denn damit?« und die Antwort erhalten: »Reines Wunschdenken!«
Doch hinter den Kulissen des Weißen Hauses ging es hoch her, und am 30. April wurden zahlreiche Rücktritte bekanntgegeben. Unter anderem wurde John Dean als Präsidentenberater entlassen. Der neue Justizminister Elliot Richardson erhielt das Recht, einen Sonderermittler für den Watergate-Skandal einzusetzen. An jenem Abend hielt Nixon um 21 Uhr eine Fernsehansprache. In der Redaktion der Post gab es nur ein paar Fernsehgeräte, und viele von uns, darunter auch Woodward und Bernstein, drängten sich in Howard Simons' Büro, um Nixons Rede zu sehen. Dies war einer jener zahlreichen Augenblicke im Verlauf der Watergate-Affäre, bei denen ich den Drang verspürte, mit meinen Freunden bei der Zeitung zusammenzusein. Bernstein und Woodward, die alles schriftlich festhielten, berichteten, ich hätte, als Nixon an seinem Schreibtisch auf dem Bildschirm erschien, flankiert von einem Familienfoto auf der einen und einer Lincoln-Büste auf der anderen Seite, spontan gesagt: »Ach du lieber Gott, das hältst du ja im Kopf nicht aus!« In seiner Rede übernahm Nixon die Verantwortung, nicht jedoch die Schuld für Watergate. Er nahm zu seinen altbekannten Formeln Zuflucht: »Der leichteste Ausweg wäre es für mich, die Schuld auf jene zu schieben, an die ich die Verantwortung für die Führung meines Wahlkampfs delegiert habe, aber das wäre feige . .. Es war das System, das die Fakten zutage gefördert hat ... ein System, zu dem in diesem Fall gehörten: ein entschlossenes Geschworenengericht, ehrliche Strafverfolger, ein mutiger Richter, Judge Sirica, und eine energische freie Presse.« Nach seiner Fernsehansprache kam Nixon freiwillig in den Presseraum des Weißen Hauses und sagte: »Wir haben in der Vergangenheit unsere Differenzen gehabt, aber macht mir einfach weiter die Hölle heiß, wenn ihr meint, daß ich im Unrecht bin.« All das sorgte natürlich bei uns in der Redaktion für einen Riesenwirbel. Howard Simons sagte unseren Leuten: »Wir können es uns nicht leisten zu triumphieren« - eine Meinung, die ich teilte. Fortan war Watergate zwar nicht länger ein einsames Projekt der Post, aber wir waren stolz auf den Part, den wir bisher gespielt hatten. Nun allerdings war die Watergate-Affäre auf dem Weg, zur nationalen Tragödie zu werden, und wir sahen keinen Anlaß, uns unserer Rolle über Gebühr zu rühmen. Indes hatten wir allen Grund zur Freude, es war ein Gefühl der Erleichterung, nicht länger am Pranger zu stehen.