Zwölftes Kapitel

Die Aussichten für die »Post«

Selbst wenn wir bedachten, welch große Fortschritte die Zeitung gegenüber dem Wrack gemacht hatte, das mein Vater 1933 gekauft hatte, wirkte, was wir 1948 besaßen, noch immer recht fragil. Nach Phils Worten saßen wir »in einem leckgeschlagenen Boot. Denn die Zeitung ... besaß praktisch keine Vermögenswerte und war in die Angewohnheit der Vorkriegsjahre zurückgefallen, finanzielle Verluste zu machen.« Unsere Aussichten für die Post und ihre Zukunft waren prekär.


Das verkommene, mit Ungeziefer verseuchte Verlagsgebäude der Post lag an der E Street im Stadtzentrum von Washington. Ein Post-Reporter nannte dieses Gebäude »zuverlässig wie ein Kriegsschiff, aber uralt wie Cäsars Gebeine«. Der Haupteingang mündete in eine dunkle, schäbige kleine Halle, in der gerade genug Platz für den Fuß einer langen Holztreppe sowie für den klapprigen, quietschenden Aufzug war, den die meisten aus gutem Grund mieden. Das Großraumbüro der Lokalredaktion im zweiten Stock war eine emsig betriebsame Kleinstadt für sich. Hier saßen die Männer, damals noch mit Hut, in Rauchschwaden über ihre Schreibmaschinen gebeugt. Russ Wiggins, der mit seinem Eintritt 1947 die Kontrolle über die Nachrichtenredaktion übernommen hatte, war, wie Phil sagte, »bei der Weiterentwicklung unserer Berichterstattung und Nachrichtengebung etwas höchst Erstaunliches« gelungen; er hatte das Niveau der Zeitung wesentlich verbessert - was angesichts der sehr engen Finanzspielräume in der Tat eine verblüffende Leistung war.
Gemeinsam schufen Phil und Russ eine nationale Nachrichtenredaktion, die immer noch spärlich besetzt war, aber allmählich wirklich professionell arbeitete - vor allem weil Russ' eigene Arbeit hohen professionellen Ansprüchen genügte. Phil sagte über Russ einmal, er verliere »seinen Pollyanna-Enthusiasmus nicht so leicht«. Schon recht bald hatte Russ mit Molly Thayer Streit bekommen, einer Reporterin, die bei gesellschaftlichen Anlässen in Washington oft wichtige Nachrichten aufschnappte. Das Memo, in dem Russ Phil über Mollys Reaktion auf seine redaktionellen Eingriffe berichtete, ist typisch für seine penible, faktenorientierte Arbeitsweise:

  • Mollys Vorschlag, ich solle von ihren Texten strikt die Finger lassen, ist die kolossalste Unverschämtheit, von der ich je gehört habe. Man braucht täglich eine Stunde, um ihre Rechtschreibung und die Adressen der in ihrer Kolumne genannten Personen zu überprüfen sowie herauszufinden, ob die genannten Personen tot sind oder noch leben. Sie hat schon mehr Leute auferstehen lassen als Jesus Christus...

1948 stieß Ben Bradlee erstmals zur Post - wobei der Zufall seine Hand im Spiel hatte. Nach der Rückkehr aus dem Krieg hatte er bei einer Zeitung in New Hampshire gearbeitet, die eine Zeitlang floriert hatte, dann aber verkauft wurde, so daß Ben arbeitslos geworden war. Aber er besaß zwei Empfehlungsschreiben für Redakteure bei zwei großen Blättern der Baltimore Sun und der Washington Post. Bei Bens Ankunft auf dem Bahnhof in Baltimore war das Wetter indes ebenso grau und deprimierend gewesen wie der Bahnhof selbst. So war er gar nicht erst ausgestiegen, sondern gleich nach Washington weitergefahren. Nach der Ankunft bei der Post hatte man ihn zu Russ Wiggins geführt. Doch ehe Ben eingestellt werden konnte, mußte Phil noch sein Plazet geben, der bei jeder freien Stelle genau prüfte, ob sie überhaupt wiederbesetzt werden sollte. Überdies wollte Phil sichergehen, daß wirklich nur Topleute engagiert wurden. Ben erhielt das Plazet und kam für ein anfängliches Wochengehalt von 80 Dollar »an Bord«.
 Nur drei Jahre später ging er zu Phil und sagte, er wolle sich als Nieman Fellow bewerben also an einem speziellen Harvard-Programm für Journalisten teilnehmen. Phils Antwort lautete: »Warum denn das? Sie waren doch schon in Harvard.« Ben kündigte und übernahm den Posten des Presseattachés in der Pariser US-Botschaft. Allerdings langweilte ihn dieser Job schon bald, so daß er schließlich im Pariser Newsweek-Büro landete.

In vielerlei Hinsicht hatte Phil in diesen Jahren seine beste Zeit als Verleger. Er gab Anregungen, verteilte Lob und Tadel, motivierte, kritisierte und schmeichelte. Und während er sein fast übermenschliches Tagwerk als Verwaltungschef und Richtliniengeber vollbrachte, war er sich über das Dilemma nur all zu sehr im klaren, das sich aus der Tatsache ergab, daß »eine Zeitung, um überleben zu können, wirtschaftlichen Erfolg haben muß. Gleichwohl muß sich der Verleger bewußt sein, daß er Verpflichtungen hat, die jedes kommerzielle Interesse übersteigen.«
Phil war immer bemüht, die Presse insgesamt und insbesondere die Post zu besseren Leistungen anzuspornen. Er beharrte auf seiner Ansicht, Zeitungen sollten ihre »Fehler nicht einfach beiseite wischen und sagen, die Abonnenten könnten ja kündigen, wenn sie nicht einverstanden seien; denn in vielen Städten gibt es überhaupt keine Alternative ...« Er setzte sich immer wieder mit den Grundlagen journalistischer Berichterstattung auseinander und machte sich Gedanken, wie man die Nachrichten dem Leser noch besser und zuverlässiger vermitteln könne. In einem Vortrag, den er im Dezember 1948 in der University of Michigan hielt, sagte er:


Der unausweichliche Zeitdruck bei der Produktion einer Tageszeitung verleitet uns trotz größtmöglicher Sorgfalt gelegentlich zu Irrtümern, die wir nicht vermeiden können. Kritiker jedoch interpretieren in solche Versehen eine nicht vorhandene böse Absicht hinein und machen die Fehler durch Übertreibungen noch größer, als sie sind - als weiteren Eintrag in unser Sündenregister. Verantwortungsbewußte Zeitungen sind immer bereit, Irrtümer mit dem gleichen Eifer zu korrigieren, mit dem sie sich bemühen, Fehler überhaupt zu vermeiden


Im vollen Bewußtsein der Schwierigkeiten, die mit der Veränderung eingefahrener Gewohnheiten verbunden sind, begann Phil, die Buchhaltung der Post auf Maschinen umzustellen, weil sich durch Automatisierung Kosten sparen ließen. Bereits 1946 wurden IBM-Büromaschinen installiert. Auch im Personalbereich übernahm die Post in Washington eine Vorreiterrolle mit ihrer neuen Unternehmenspolitik, Reporter nur noch nach Leistung einzustufen und einzustellen.
Phil nutzte die Post oft, um gegen Unrecht - wie er es sah - zu Felde zu ziehen. Anscheinend hatte er schon immer daran gedacht, im Kongreß eine Untersuchung des organisierten Verbrechens in Gang zu bringen. Im Mai 1949 traf er sich mit Senator Estes Kefauver Phils Ansicht nach »ein anständiger Mann mit viel Mut«, um seine Idee zur Sprache zu bringen, Kefauver solle den Vorsitz in einem speziellen Tribunal übernehmen: einem Untersuchungsausschuß des Kongresses über Verbindungen zwischen organisiertem Verbrechen und Politikern im ganzen Land. Nach anfänglichem Zögern zeigte der Senator vor allem nachdem Phil eine Reihe entsprechender Berichte über das Verbrechen auf der Titelseite der Post gebracht hatte - lebhaftes Interesse, jenes Anhörungsverfahren in Gang zu bringen, das ihm landesweiten Ruhm eintragen sollte. Nach Abschluß des Verfahrens sprach Phil mit Kefauver und sagte ihm, er habe gehört, Kefauver wolle für Look oder Life einen Artikel über seine Arbeit im Untersuchungsausschuß schreiben. Wenn das stimme, wäre er, Phil, allerdings dankbar, wenn die Rolle der Post im Vorfeld des Untersuchungsausschusses nicht stillschweigend übergangen würde. Und was erwiderte Kefauver? »Hör mal, Phil, altes Haus; ich würde dir diesen Gefallen ja gern tun. Aber sag mir doch bitte, was hatte die Washington Post eigentlich damit zu tun, daß diese Untersuchung in Gang kam?« In seinem Buch Crime in America schrieb Kefauver später jedoch, Phil und Russ Wiggins seien »unter den ersten gewesen, die mich persönlich gedrängt haben, die Untersuchung über das organisierte Verbrechen in Angriff zu nehmen«.
Ein weiteres Unrecht, zu dessen Beseitigung Phil die Post einzusetzen bereit war, war die Rassentrennung in Washington. In den späten vierziger und frühen fünfziger Jahren, besonders vor dem Urteil des Supreme Court im Fall Brown vs. Board of Education, war Washington eine Stadt mit strikter Rassentrennung. Wie Phil gern zugab, hatte er seine gesamte Kindheit und Jugend im Bannkreis der traditionellen Südstaatenideologie von der Überlegenheit der Weißen verbracht. Er war sich deshalb auch der Schwierigkeiten bewußt, die mit dem notwendigen Wandel verbunden waren.
In seiner ersten kurzen Zeit bei der Post war Ben Bradlee über diese - politische - Seite von Phils verlegerischen Ambitionen sehr unglücklich gewesen, so ehrenhaft Phils politische Ziele auch gewesen sein mochten. Damals, im Jahre 1949, kam es zu Ausschreitungen, als Mitglieder der linksgerichteten Progressive Party in Washington schwarze Kinder in öffentliche Schwimmbäder führten, die allein Weißen vorbehalten waren. Die Gewalt weitete sich zu regelrechten Schlachten aus: In einem Fall standen zweihundert Weiße einer gleichen Anzahl von Schwarzen gegenüber dazwischen berittene Polizei. Ben harrte mit einem anderen Reporter 36 Stunden ununterbrochen auf dem Kampfplatz aus. Die Emotionen, auch die der Reporter, schlugen hoch, denn diese hatten mit ansehen müssen, wie Nagelkeulen zum Einsatz kamen und mehrere Leute krankenhausreif geschlagen wurden; eine Frau wurde von einem Pferd niedergetrampelt. Nach der Rückkehr zur Post machten sich die Reporter sofort daran, ihre Story zu schreiben, und erwarteten natürlich, daß diese auf der Titelseite erscheinen würde. Doch sie wurde nicht einmal auf der Titelseite des Lokalteils gebracht, sondern auf Seite B-7 im hinteren Teil versteckt. Wie sich Ben später erinnerte, wurde »das gesamte 36-Stunden-Abenteuer als >Zwischenfall< bezeichnet, und das Wort >Rasse< kam überhaupt nicht vor«.
Und als sich Ben noch heftig darüber erregte, so wie nur er es konnte, spürte er eine Hand auf seiner Schulter. Er drehte sich um und sah, wie Phil im Frack dastand. Phil sagte nur: »Okay, Freundchen, komm mal mit« und führte Ben in sein Büro. Dort saßen um den Tisch versammelt Innenminister Julius (»Cap«) Krug, Unterstaatssekretär Oscar Chapman, Präsident Trumans Sonderberater Clark Clifford und zwei oder drei andere. »Berichten Sie diesen Herren, was Sie mir gerade erzählt haben«, forderte Phil Ben auf. Nach seinem Bericht wurde Ben wieder hinausgeschickt. Phil aber schloß einen Handel ab: Diese Geschichte werde auf der Titelseite der Post erscheinen, wenn die Leute, die die Macht hätten, diese Dinge zu ändern, nicht für Schwimmbäder ohne Rassentrennung sorgten. Man einigte sich darauf und schloß die Schwimmbäder mitten in jenem heißen Sommer - allerdings mit dem Versprechen, sie im folgenden Sommer ohne Rassenbeschränkungen wiederzueröffnen. Und so geschah es dann auch.
Dies war ein typisches Beispiel für die Art und Weise, wie Phil mit seiner Macht - in diesem Fall der Macht der Zeitung - umging, um Gutes zu erreichen. Es funktionierte, aber zugleich wurde der Zeitung dabei Schaden zugefügt. So sollte man keine Zeitung führen - nicht einmal unter den damaligen Verhältnissen. Eine Reportage zu unterdrücken, um einen bestimmten Zweck zu erreichen, und sei er noch so gut, ist weder angemessen, noch läßt sich eine solche Verhaltensweise mit dem Geist der Definition meines Vaters vereinbaren, worin die Pflichten einer Zeitung bestünden: »Versuchen, die Wahrheit zu sagen. Die Wahrheit herauszufinden und sie zu sagen. Und eine kompetente Redaktion zu haben, die diese Wahrheit interpretieren kann.«


Im Zeitraum zwischen Cissy Pattersons plötzlichem Tod im Sommer 1948 und dem darauf folgenden Sommer war die wichtigste Aktivität, an der Phil beteiligt war, sein hartnäckiger Versuch, Cissys Blatt, The Washington Times-Herald, zu kaufen. Wir waren der Ansicht, unser Leben - genauer gesagt, das Leben der Washington Post Company und das der Post - hänge von diesem Kauf ab. Zu den anderen Interessenten, von denen wir wußten, gehörten William Randolph Hearst junior, der allzeit bereite Samuel Newhouse und der Zeitungskonzern Scripps-Howard, dem bereits ein weiteres unserer Washingtoner Konkurrenzblätter gehörte: die Washington Daily News. Phil hatte das Gefühl, eine echte Chance zu besitzen, weil Cissy Pattersons Cousin, Colonel Robert McCormick, der Herausgeber und Verleger der Chicago Tribune, zu dieser Zeit kein Interesse zeigte und uns die Zeitung mehr wert war als allen anderen Bewerbern.
Von Anfang an war Bill Shelton, der Generalmanager der Times Herald, der Meinung gewesen, wir sollten das Blatt bekommen. Nur Frank Waldrop, Cissys engster Vertrauter, würde - so fürchtete Shelton - bei diesem Zuschlag ein Haar in der Suppe finden. Wie sehr Frank sich querlegte, weiß ich allerdings erst seit kurzem. Als sich die sieben Erben zu dem Entschluß durchgerungen hatten, das Blatt zu verkaufen, reichten Phil und mein Vater ein geheimes schriftliches Kaufangebot in Höhe von 4,5 Millionen Dollar ein. Darüber hinaus bot mein Vater weitere 1,05 Millionen Dollar für das Aktienpaket der Chicago Tribune, das sich in Cissys Nachlaß befand, um den Testamentsvollstreckern auf diese Weise liquide Mittel zu verschaffen - worauf Shelton und Waldrop Wert gelegt hatten. Mein Vater erbot sich, alle Aktien zu übernehmen, die McCormick nicht selbst haben wollte.
Im Sommer 1949 hatten wir in Narragansett, Rhode Island, ein Ferienhaus gemietet. Phil stieß am Wochenende zu uns und war, weil die Kaufverhandlungen noch zu seinem sonstigen Pensum hinzukamen, ständig müde und nervös. Oft entfernte ich die Kinder aus dem kleinen Haus, damit Phil in Ruhe schlafen konnte. Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich sie an einem kalten, regnerischen Samstag mit dem Versprechen, unser Frühstück als Picknick einzunehmen, an den Strand brachte, um sicherzustellen, daß wir Phil nicht weckten.
Am Wochenende vor der Schlußrunde der Verhandlungen saßen wir beide, ehe Phil wieder nach Washington aufbrechen mußte, allein am Strand, erzählten und träumten. Ich kann mich noch lebhaft daran erinnern, wie er sagte: »Ich weiß, es wäre zu schön, um wahr zu sein, wenn wir die Times-Herald bekämen. So viel dürfen wir nicht erhoffen, aber laß uns doch einfach mal einen Moment die Augen schließen und so tun, als hätten wir sie schon. Das erste, was ich sehen möchte, ist Sam Kauffmanns[1] Gesicht, wenn er die Nachricht erhält.« Nachdem wir uns eine Weile solchen Träumen hingegeben hatten, sagte Phil ganz realistisch und nüchtern: »Wenn wir das Blatt nicht bekommen, werde ich eine Woche lang praktisch tot sein. Und dann werde ich versuchen, mir einen anderen Weg auszudenken, wie ich ans Ziel komme.« Wir waren vorsichtig, und doch konnten wir uns die Hoffnung nicht verkneifen, daß dies das Ende des langen, harten Überlebenskampfes sein könnte.
Schon früh am nächsten Morgen rief Phil mich an und teilte mir mit, Colonel McCormick sei doch noch aktiv geworden und habe die Zeitung gekauft. Er bat mich, den Ferienhaushalt aufzulösen, die Kinder nach Mount Kisco zu bringen und selbst nach Washington zu kommen, um bei ihm zu sein. Weinend saß ich mit den Kindern beim Frühstück, ehe ich mich auf den Weg nach Washington machte.
Was wir damals nicht wußten, war, daß wir die Zeitung schon zu diesem Zeitpunkt hätten bekommen können, wenn Frank Waldrop Cissys Zielen und Wünschen gegenüber nicht so hartnäckig loyal gewesen wäre. Sicher, wir hatten das Höchstgebot abgegeben, was den anderen sechs Erben sehr gefiel, doch Waldrop glaubte, dieser Verkauf laufe Cissys Absichten zuwider. Seiner Meinung nach wäre das »ein Verrat und eine Kapitulation« gewesen.
Er verweigerte seine Unterschrift und sorgte dafür, daß der Colonel von der Bereitschaft meines Vaters erfuhr, Cissys Anteile an der Chicago Tribune zu übernehmen. Leider sah McCormick darin kein Hilfsangebot, sondern eine Bedrohung seiner alleinigen Kontrolle über dieses große Zeitungsunternehmen, und so schritt er ein und kaufte die Times-Herald für genau den Betrag, den wir geboten hatten. Phil und mein Vater versuchten, ihr Angebot zu erhöhen. Mutter, die in Krisensituationen immer großartig war und die Zukunft der Post auf jeden Fall sicherstellen wollte, rief von Mount Kisco aus an, um zu sagen, daß sie, wenn der Verkauf am von uns gebotenen Preis zu scheitern drohe, auch auf ihren aufwendigen Lebensstil verzichten könne: »Eugene, wirf das Haus in die Waagschale. Alles andere ist egal.« Und sie stand wirklich hinter dieser Aussage. Wir alle hatten in diese Transaktion unser Herzblut investiert. Die Leute von Tribune und Times-Herald jedoch versteckten sich regelrecht vor unseren Anwälten, so daß diese unser erhöhtes Angebot nicht überbringen konnten. Wir erhielten also niemals eine echte Chance, unser erstes Angebot zu ändern.
Als ich in Washington ankam, fand ich Phil in tiefer Niedergeschlagenheit vor. Wir beide malten uns die Zukunft als wesentlich düsterer, wenn nicht gar hoffnungslos aus, weil wir uns jetzt der großen, reichen und höchst professionellen und profitablen Chicago Tribune Company als Konkurrenten gegenübersahen, wobei der Colonel, dessen Geschäftstüchtigkeit allgemein bekannt war und hohen Respekt genoß, über anscheinend unbegrenzte Trümpfe verfügte, die er gegen uns ausspielen konnte. Mehr denn je dachten wir in den Kategorien eines Überlebenskampfes - in dem uns jetzt gar ein Goliath gegenüberstand.
Eines Nachts, ungefähr eine Woche nach der Übernahme, wachte ich um zwei Uhr morgens auf und fand Phil rauchend und lesend vor. Er hatte sich aus der Bibliothek ein Buch über Leben und Karriere der Zeitungsmagnaten Colonel McCormick und Captain Joe Patterson geholt. Phil sagte: »Weißt du, die haben ihr Imperium aufgebaut, als sie in den Dreißigern waren. Jetzt sind sie in den Sechzigern und ich in den Dreißigern. Ich glaube, wir schaffen's auch anders.« Mit dieser einfachen Schlußfolgerung verarbeitete Phil den fürchterlichen Schlag, bei einem Geschäft unterlegen zu sein, von dem unserer Meinung nach unser Leben abhing.
Und so ging der Überlebenskampf weiter und absorbierte Phils gesamte Energie und Aufmerksamkeit. Qualität und Einfluß der Post nahmen weiterhin zu, und in einigen wichtigen Geschäftsbereichen, etwa bei der Auflage, ergaben sich sogar Fortschritte. Dafür ging in anderen Bereichen, etwa beim Anzeigenaufkommen, Boden verloren. Es waren magere Jahre, doch es ging langsam, aber sicher voran.
Was wir bei der Post versuchten, war, den durchschnittlichen Leser zu erreichen, während der Star sich an die Mächtigen der Stadt und die oberen Einkommensgruppen richtete und die Times-Herald die Skandal- und Klatschliebhaber aller Schichten im Visier hatte. Phil behielt die Konkurrenz natürlich im Auge, aber wie schon mein Vater war er der Meinung, der sicherste Weg, unsere Überlebenschancen zu verbessern, sei die Verbesserung der eigenen Zeitung.
Im geschäftlichen Bereich gelang es Phil, einen erstklassigen Mann für Auflagenmanagement und Vertrieb zu gewinnen: Harry Gladstein von Hearsts Los Angeles Examiner. Auf dieser Position waren zuvor in ständigem Wechsel nur Inkompetente und Amateure tätig gewesen, so daß mit Gladsteins Ankunft Ende 1949 endlich ein Problem gelöst werden konnte, das von Anfang an ein wunder Punkt gewesen war. Phils wichtigster Neuzugang im Geschäftsbereich des Blattes war jedoch John Sweeterman als Business Manager. Er wurde später sogar Verleger der Post, der bisher einzige, der nicht den Familien Meyer und Graham angehörte. Zuvor war er Generalmanager beim Dayton Journal-Herald gewesen, und als diese Zeitung an Cox Newspapers verkauft wurde, hatte er vorübergehend als Verleger einer Gruppe von Anzeigenblättern und als Chef eines Druckhauses fungiert.
Einige Monate lang warb Phil beharrlich um John, doch dieser lehnte das Angebot ab. Er sah in der Post in erster Linie eine Zeitung, die Verluste machte und immer noch nur die drittgrößte von vier Washingtoner Zeitungen war. Aber er wollte auch ein höheres Gehalt und eine Beteiligung am Aktienkapital herausholen. Phil bat mich, bei einem der entscheidenden Telefongespräche zuzuhören, bei dem John seine Bedingungen präzisierte. Doch Phil lag so viel daran, John zu bekommen, daß er ihm dasselbe Jahresgehalt bot, das er selbst damals bekam: 30 000 Dollar. Und als John hartnäckig dabei blieb, für 30 000 werde er nicht kommen, erhöhte Phil sein eigenes Gehalt flugs auf 35 000 Dollar und bot John dieselbe Summe.
Bei einem von Johns ersten Besuchen bei uns zu Hause spielte ich gerade im Garten mit unseren Kindern. Es war ein heißer Sommer, und wir waren alle barfuß. John erinnerte sich später noch oft daran, welch großen Eindruck meine nackten Füße damals auf ihn gemacht hatten - eine Art Kulturschock. Letztlich nahm er Phils Angebot an und fing Mitte 1950 bei der Post an. Fast umgehend hatten Phil und andere das Gefühl, jetzt in guten und sicheren Händen zu sein. Dieses Gefühl wurde durch die Fakten aufs nachhaltigste bestätigt. Zwischen Phil und meinem Vater auf der einen Seite und John auf der anderen herrschte ein Gefühl großen gegenseitigen Respekts. John sagte später: »Ich war außerordentlich beeindruckt von deinem Vater, von seiner Weisheit, seiner Art, seiner starken Persönlichkeit ... und das gleiche galt für Phil. Ich habe meine Zukunft wirklich in ihre Hände gelegt.« Phil seinerseits war sicher, daß wir den »großen Preis« an Land gezogen hätten. Er sagte einmal: »Bin ich nicht ein Glückspilz? Dieser Kerl könnte General Motors leiten.« Schon nach kurzer Zeit ließ Phil John weitgehend selbständig arbeiten nach dem Motto: »Du bist für die geschäftliche Seite der Zeitung allein verantwortlich, und ich stärke dir den Rücken.« John machte sich sofort an die Arbeit. Er gestaltete Teile der Zeitung neu und schuf Ordnung im organisatorischen Bereich. Er engagierte einen großartigen Produktionsleiter, Harry Eybers, und einen guten Manager für den Anzeigenteil, Jim Daly. Diese drei bildeten zusammen mit Don Bernard und Harry Gladstein den Kern jenes Teams, das später so große Erfolge vorzuweisen hatte.
John war sehr stark und dominant. Bisweilen hatte er Krach mit diversen Redakteuren oder Managern aus dem Nachrichtenteil des Blattes, speziell mit Russ Wiggins, der manche Pläne hatte, die Geld gekostet hätten Ausgaben, zu denen John im Grunde nicht bereit war. John war berühmt für seine rigorose Konzentration auf Kostensenkung, die - je nach Perspektive auch als Pfennigfuchserei ausgelegt wurde. Letztlich aber führte seine unnachgiebige Kostensenkungsstrategie - in Verbindung mit Maßnahmen zur Verbesserung der Einnahmen zu einer grundlegenden Besserung der finanziellen Situation. In der Tat machten wir unter Johns Leitung und aufgrund seiner Einführung professionellerer Managementmethoden allmählich echte Fortschritte in den Bereichen Auflagensteigerung, Vertrieb und Anzeigenaufkommen. Ferner konzentrierte sich John auf den Ausbau der Sonntagszeitung.
Ein weiteres Ergebnis unserer Niederlage im Kampf um die Übernahme der Times-Herald im Jahre 1949 war der umgehende Entschluß zum Neubau des Verlagsgebäudes, den mein Vater und Phil gemeinsam faßten. Schon als Vater die Post kaufte, hatte ihn jemand gefragt, ob er einen Neubau errichten werde - angesichts des äußeren Eindrucks des Post-Gebäudes eine ganz natürliche Frage. Doch seine Antwort lautete: »Nein, zunächst will ich versuchen, die Zeitung neu aufzubauen.« Erst danach war er bereit, entsprechende Schritte zu unternehmen, um für die expandierende Zeitung bessere Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen. Inzwischen war das fünfundsechzig Jahre alte Gebäude an der E Street für die achthundert Beschäftigten der Post schon viel zu klein geworden, so daß man Ausweichquartiere in drei weiteren Gebäuden angemietet hatte. Die Zeitung hatte unter den Unzulänglichkeiten des Gebäudes und der Ausrüstung zu leiden; es war einfach kein Platz für die weitere Expansion vorhanden. Deshalb hatten wir in einem anderen Teil der Stadt ein Grundstück erworben: in der L Street, zwischen 15th und 16th Street. Dort gab es auch Platz für spätere Erweiterungen. Das neue Gebäude, in dem Phil den wichtigsten Schritt für die Zeitung seit 1933 sah, aber auch ein Zeichen unseres Vertrauens in die Zukunft des Blattes, wurde durch ein Darlehen meiner Eltern finanziell ermöglicht, das die Baukosten in Höhe von 6 Millionen Dollar abdeckte. In diesem Haus residiert die Zeitung noch heute, nach mehr als fünfundvierzig Jahren - natürlich mit Anbauten.
Als das neue Gebäude halb fertig war, rief Phil meine Mutter und mich, um die geplante Inneneinrichtung zu begutachten. Ausgerechnet uns als Ratgeberinnen für die Ausstattung heranzuziehen war allerdings keine gute Idee, denn dafür hatten wir beide kein gutes Auge; und wir hatten uns auf diesem Gebiet auch keine besonderen Meriten erworben. Gleichwohl war mir nicht egal, was wir da sahen, und ich sagte deutlich, daß ich die vorgelegten Pläne schrecklich fand. Phil hatte eigentlich kritiklose Zustimmung erwartet und war nun verständlicherweise verärgert. »Na gut, wenn dir alles nicht gefällt, dann unternimm selbst etwas«, sagte er. »Such einen anderen Innenausstatter« Ich beauftragte eine Innenarchitektin, die man mir empfohlen hatte, und sie machte ihre Sache gut. Sie beseitigte einige der schlimmsten Entgleisungen und machte das Gebäude vorzeigbar.
Die Erdarbeiten begannen Ende 1949, und schon im November 1950 wurde die erste komplette Zeitung im neuen Haus an der L Street gedruckt. Beim Umzug aus dem alten Gebäude in der E Street gab es eine sehr alkoholische, sentimentale Abschiedsfeier eine Art Leichenschmaus, um, wie ein Teilnehmer sagte, »den Tod eines Gebäudes zu betrauern«, das von allen trotz seiner schrecklichen Unbequemlichkeiten letztlich doch geliebt wurde. Im neuen Gebäude verdoppelten wir nicht nur unsere Druckkapazität. Es enthielt auch moderne Annehmlichkeiten wie Klimaanlage, Schalldämmung und ein sauberes Arbeitsumfeld. Im Vergleich zum alten Domizil aber wirkte der Neubau noch kalt und unpersönlich. Man kolportierte den Ausspruch eines Post-Veteranen, der gesagt haben soll: »Das kriegen wir schon hin, wenn wir erst wieder auf den Boden spucken können.«
Phil kümmerte sich aber nicht nur um die Neubaupläne und die Erweiterung der Redaktion, sondern auch nachdrücklich um den Ausbau des Geschäfts. Viele Jahre lang hatte mein Vater die Verluste der Zeitung einfach aus eigener Tasche ausgeglichen, doch nachdem die Stimmrechtsanteile auf uns übergegangen waren, konnten wir so natürlich nicht mehr weitermachen. Zu unserem Glück waren die Verluste stark zurückgegangen, und die Radiostation, die wir gemeinsam mit CBS besaßen, warf Gewinne ab. In Rundfunk und Fernsehen hatte Phil nie Konkurrenten der Zeitung gesehen; für ihn handelte es sich nur um eine andere Form des Journalismus. Und schon früh erkannte er auch die Möglichkeit, mit diesen Medien Gewinne zu erwirtschaften, durch die etwaige Verluste der Zeitung ausgeglichen werden konnten.
1950 erschloß Phil - wiederum mit CBS als Partner - der Washington Post Company den Fernsehmarkt, indem er einen Fernsehsender in Washington kaufte: WOIC, später WTOP genannt. Weil dieser Sender über liquide Mittel in Höhe von 800 000 Dollar verfügte, mußten wir als Kaufsumme nur noch 330 000 Dollar aufbringen, 55 Prozent des verbleibenden Restbetrags zum offiziellen Kaufpreis von 1,4 Millionen Dollar; CBS übernahm die anderen 45 Prozent zum Preis von 270 000 Dollar. Das Geld für unsere Anteile an diesem Kauf bekamen wir wiederum von meinen Eltern geliehen. Damals schrieb Phil seinem Vater: »Ich glaube, daß unser Zeitplan fast perfekt war, denn es sieht so aus, als würde das Fernsehen hier in diesem Herbst aus den roten Zahlen herauskommen. Uns lag sehr daran, uns auf diesem Markt zu engagieren, weil er auf alle anderen Medien große Auswirkungen haben wird, besonders auf den Rundfunk.«
Seit 1948, als er uns ins Rundfunkgeschäft geholt hatte, war Frank Stanton nicht nur unser Geschäftspartner, sondern auch ein enger persönlicher Freund geworden. Ende 1952 gab Frank Phil den Tip, daß die drei Gründer und Besitzer des einzigen Fernsehsenders in Jacksonville, Florida, ihre Station WMBR verkaufen wollten. Etwa einen Monat vor den Präsidentschaftswahlen des Jahres 1952 begann Phil seine Aktivitäten, die letztlich zum Kauf des Senders führten. Zehn Tage nach der Wahl fuhren wir in die Ferien. Bei einem Zwischenstopp in Jacksonville wurde der Kauf perfekt gemacht. Phil traf dabei erstmals mit Glenn Marshall zusammen, einem der ursprünglichen Eigentümer, der auch nach dem Besitzerwechsel den Sender weiter als Manager führte. Glenn erinnerte sich daran, daß 1950, als der Sender seinen Sendebetrieb aufnahm, in Jacksonville noch niemand einen Fernsehapparat besaß und daß die Besitzer des Senders jeden Abend bei den örtlichen Radiogeschäften anriefen, um sich zu erkundigen, ob jemand an diesem Tag ein Fernsehgerät gekauft habe.
Der Kaufpreis, den Phil für den Sender zu zahlen bereit war, 2,47 Millionen Dollar, war meines Wissens der höchste bis dahin für einen Fernsehsender erzielte. Es war auch das erste Mal, daß Phil in seinen Gedanken und Planungen meinem Vater vorauseilte, der bei diesen Übernahmeplänen ziemlich nervös war. Doch Freunde beruhigten ihn. Und in der Tat erwies sich dieser Kauf als hervorragende Idee. Phil nannte WJXT, wie sich WMBR ab 1958 nannte, stets sein Maskottchen. Als sie noch allein auf weiter Flur war, baute diese Station eine enorme Marktmacht auf. (Lange Zeit war es der einzige Fernsehsender zwischen Atlanta und Miami.) Weil es den im Besitz der Eisenbahngesellschaft befindlichen Tageszeitungen in Jacksonville an Profil mangelte, stieg WJXT zur wichtigsten Nachrichten- und Informationsquelle der Stadt auf, und das blieb viele Jahre so. Auch als NBC und später noch weitere Sender als Konkurrenten auftraten, konnte WJXT seine führende Stellung behaupten - und behauptet sie bis heute.


Nachdem John Sweeterman die geschäftliche Leitung der Zeitung übernommen hatte, konnte Phil seine Aufmerksamkeit wieder mehr den Nachrichten und Kommentaren zuwenden. Er wünschte sich zum Beispiel Auslandskorrespondenten, weil er das Gefühl hatte, die Washington Post könne ihrer Funktion als Hauptstadtzeitung nicht wirklich gerecht werden, wenn es nicht gelinge, ein solches Korrespondentennetz aufzubauen. Viele politische Themen, mit denen sich die Post in den Nachkriegsjahren in ihren Kommentaren auseinandersetzte, hatten mit der zunehmenden Angst vor dem Kommunismus zu tun. Diese Kommunistenfurcht, die nur wenige Jahre später von Senator Joseph McCarthy und der Rechten politisch ausgebeutet wurde, war schon damals überall spürbar, und die Post bezog von Anfang an deutlich Position. Für ein Blatt, das noch um das wirtschaftliche Überleben kämpfte, war das nicht einfach. Damals begannen die Angriffe auf uns, die auch in späteren Jahren selten aufhörten: Wir seien zu liberal oder gar rot. Diese Verdächtigungen verschärften die finanziellen Probleme, kamen aber auch unserem Profil und Ruf zugute.
Natürlich gab es damals im In- und Ausland gute, gewichtige Gründe für den Antikommunismus. In den Vereinigten Staaten hatte die KP erfolgreich ein überraschend großes Netzwerk von Sympathisanten, Unterwanderern und sogar Spionen aufgebaut. Und im Ausland zeigten sich die Sowjets äußerst aggressiv: in ganz Europa, vor allem aber in Berlin. 1948 übernahmen die Kommunisten in der Tschechoslowakei die Macht. Die Sorgen vor der kommunistischen Gefahr waren also nicht unbegründet, aber diese Ängste wurden politisch schamlos ausgebeutet und mißbraucht.
Die Post hatte mit der ausführlichen kritischen Berichterstattung über die Verhandlungen des House Committee on Un-American Activities (HUAC, ständiger Untersuchungsausschuß des Repräsentantenhauses über unamerikanische Aktivitäten) begonnen. Seit Ende 1947 lagen wir wegen unserer Einstellung zu den Aktivitäten dieses Gremiums unter Dauerbeschuß, und die Redaktion hatte das Gefühl, sie müsse sich gegen diese Angriffe zur Wehr setzen. Im folgenden Kommentar ist die Position der Post auf den Punkt gebracht:

  • Die Kritik dieser Zeitung am Untersuchungsausschuß richtete sich immer eher gegen dessen Methoden als gegen die Ziele der Arbeit... Weil der Ausschuß unter seinen verschiedenen Vorsitzenden Loyalität mit Konformität gleichgesetzt hat, sich mehr mit Meinungen als mit Aktivitäten befaßt und die elementarsten Regeln des Fair play im Umgang mit Zeugen außer acht gelassen hat, schien uns sein Verhalten auf gefährlichere Weise unamerikanisch zu sein als das aller Gruppen oder Individuen, die sich der Untersuchung stellen mußten

Ein Artikel, der im März 1948 in dem konservativen Blättchen Plain Talk (»Geradeheraus gesagt«) erschien, griff die Post als »trojanisches Pferd des Totalitarismus« an, sie folge bei den meisten Themen der kommunistischen Parteilinie. Speziell Phil wurde als »ständiger Apologet der redaktionellen Politik der Zeitung« attackiert. Phil war so wütend, daß er rechtliche Schritte in Erwägung zog und diesen Gedanken erst verwarf, als er hörte, daß Plain Talk praktisch mittellos sei. Statt dessen schrieb er an die Mitarbeiter der Post ein achtseitiges Memorandum, in dem er erklärte, dieser Erguß stamme von einem verärgerten ehemaligen Mitarbeiter der Post, den man entlassen habe. Außerdem legte Phil die Tatsachen dar, um zu zeigen, daß »die in diesem Artikel geäußerten Meinungen jeglicher Grundlage entbehren«. Als wir als Sympathisanten der Kommunisten oder gar als gutgläubige Trottel unter Beschuß gerieten, beteiligte sich unsere Washingtoner Konkurrenz nur zu gern an dieser Kampagne und heizte die Kritik noch zusätzlich an. Die Times-Herald und die mit ihr verbundene Chicago Tribune griffen uns unablässig an. In der Tribune galt die Post wechselweise als »Verteidigerin der Roten« oder als Sprachrohr der Regierung Truman. Man hoffte, uns auf diese Weise bei unseren Lesern und Anzeigenkunden diskreditieren zu können. Es forderte von Phil viel Mut und Urteilsvermögen, Berichterstatter und Kommentatoren (vor allem auch Herblocks scharfe Karikaturen) zu decken und gleichzeitig das wirtschaftliche Überleben der Zeitung zu sichern.

1948 war das erste Wahljahr, das Phil und ich als Mehrheitsgesellschafter der Post erlebten. Gemeinsam besuchten wir in diesem Sommer die Nominierungsparteitage der beiden großen Parteien. Für Journalisten, und mehr noch für Verleger, ist die Teilnahme an solchen Parteitagen faszinierend damals sogar noch mehr als heute, wo alles schon im Verlauf der Vorwahlen entschieden wird. Wenn man herausfinden will, was hinter den Kulissen geschieht, muß man Leute kennen und in der Lage sein, sich auch in der Masse zu behaupten, wenn es gilt, Politiker und Journalisten aus dem ganzen Land zu treffen und mit ihnen Meinungen auszutauschen. 1948 waren wir noch jung und die Post noch relativ unbekannt. Alle anderen erschienen mir wichtiger als ich, und als ich gemeinsam mit Phil und meinem Vater umherging, kam sich selbst mein Vater ein wenig verloren vor. Ich kann mich noch erinnern, wie ich Henry und Clare Boothe Luce in ein Restaurant in Philadelphia kommen sah und mir dachte: Wie bedeutend sie doch aussehen! und sie waren ja auch wichtig.[2] Ich war ganz begeistert, daß ich dabeisein durfte, fühlte mich aber auch sehr klein und neu. Im Wahlkampf zwischen Präsident Truman und Thomas Dewey (dem für die Republikaner kandidierenden Gouverneur des Staates New York) blieb die Post ihrer unter meinem Vater begonnenen Tradition treu, keinen der Präsidentschaftskandidaten zu unterstützen. Statt dessen kommentierte sie ausführlich den Wahlkampf der beiden wichtigsten Kandidaten. Wir kritisierten Deweys Vorhaben, die Kontrolle über die Atomenergie zu einem großen Teil der Privatindustrie zu übertragen, lobten jedoch seine Aussagen zur Berlinblockade. Wir kritisierten Trumans Unterstellung, Dewey sei ein Anhänger des Totalitarismus, stimmten aber größtenteils mit seiner scharfen Kritik am Kongreß überein. Die letzten Gallup-Meinungsumfragen vor der Wahl gaben Dewey einen Vorsprung von 5 Prozent gegenüber Truman. Doch als klar war, daß Truman alle Auguren überlistet und ein politisches Wunder vollbracht hatte, schickte Phil, der den größten Teil des Abends in seinem Büro verbracht hatte, ein Telegramm an den Präsidenten, das am folgenden Morgen auch auf der Titelseite der Post erschien:

  • Sie sind hiermit herzlich zur Teilnahme an einem »Krähenbankett« eingeladen. Auf Vorschlag dieser Zeitung sollen dazu Zeitungskommentatoren, politische Reporter und Redakteure, nicht zuletzt unsere eigenen, aber auch Meinungsforscher, Rundfunkkommentatoren und Kolumnisten eingeladen werden. Ihnen allen soll Gelegenheit zu einem passenden Mahl gegeben werden, nachdem der Appetit durch den jüngsten Wahlausgang geweckt ist.[3]
    Als Hauptgang wird zähe alte Krähenbrust (Ihnen dagegen Truthahn) in Aspik serviert. Das Nationalkomitee der Demokraten ist bereit, den Gästen die Zahnstocher bereitzustellen, denn man fürchtet, daß sie Monate brauchen werden, bis die letzten Krähenreste aus den Zähnen entfernt sind. Wir hoffen, daß Sie sich bereit erklären, die Festansprache zu halten. Als Doyen der amerikanischen Wahlprognostiker (und als der einzige, dessen Vorhersagen zutrafen) sollen Sie nach Möglichkeit auch Ihren Kollegen das Geheimnis ihrer analytischen Erfolge verraten. Kleiderordnung: Für den Ehrengast weiße Fliege, für die anderen: Sack und Asche

Der Präsident antwortete höchst amüsiert:

Im Zug (auf seiner Rückfahrt aus seiner Heimatstadt Independence, Missouri, nach Washington) bekam ich Ihre hübsche Einladung zu einem »Krähenbankett«. Ich bin mir sicher, daß dies eine vergnügliche Angelegenheit würde, habe jedoch das Gefühl, daß ich lieber absagen sollte. Wie ich schon auf dem Weg zurück nach Washington sagte, habe ich kein Bedürfnis, laut im Triumph zu krähen oder jemand beim Schlucken harter Brocken zu beobachten - im wörtlichen wie im übertragenen Sinn. Wir sollten jetzt alle gemeinsam an den Aufbau eines Landes gehen, in dem jeder, wann immer er will, Truthahn essen kann

Großmütig fügte Truman in seiner Antwort noch hinzu:

»Übrigens möchte ich noch sagen, daß trotz allem, was Ihre Kommentatoren und die Meinungsforscher gesagt haben, Ihre Berichterstattung über meinen Wahlkampf im Nachrichtenteil fair und umfassend war.«

Im Zusammenhang mit der Wahl des Jahres 1948 war für uns persönlich der schreckliche Schlamassel am wichtigsten, in den sich unser guter Freund Prich gebracht hatte. Der Wahlkampf um einen Senatssitz des Staates Kentucky wurde in jenem Jahr zwischen dem Demokraten Virgil Chapman - der Prich persönlich überhaupt nichts bedeutete - und dem liberalen Republikaner John Sherman Cooper - den Prich mochte - ausgetragen. Dabei beging Prich einen geradezu unglaublichen Fehler, der sein Leben ruinierte: Als jemand zu ihm kam und ihn bat, er möge als Anwalt einige gefälschte Stimmzettel beglaubigen, kam er dieser Bitte nach und wurde erwischt.
Im April 1949 wurden Prich und sein Kanzleipartner nach dem Strafgesetzbuch angeklagt. Der Vorwurf lautete, er habe im Vorjahr »konspiriert, um die Wirkung der für die republikanischen Kandidaten abgegebenen Stimmen bei den Wahlen in Kentucky zur Präsidentschaft, zum Senat und zum Repräsentantenhaus zu beeinträchtigen und zu verwässern«. Prich plädierte »nicht schuldig«, wurde jedoch zu zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Phil und andere Freunde von Prich versuchten zu helfen, so gut es ging. Sie sammelten und schickten Geld, woran bei Prich immer Mangel herrschte, zumal nun seine Anwälte ein Revisionsverfahren vorbereiteten und seine eigene Existenzgrundlage, die Anwaltspraxis, dahin war. Doch die Revision - auf die Joe Rauh und andere rastlos hingearbeitet hatten wurde verworfen. Als das Urteil der ersten Instanz vom United States Circuit Court bestätigt worden war, folgte die Berufung beim Supreme Court. Auch der Oberste Gerichtshof bestätigte jedoch am 5. Juni 1950 die Entscheidung der unteren Instanzen, weil das erforderliche Quorum nicht erreicht wurde. Prich reichte daraufhin ein Gesuch ein, in dem er um Gnade oder eine Umwandlung der Strafe bat.
Doch es half alles nichts. Er mußte ins Gefängnis und saß fünf Monate ab, ehe er kurz vor Weihnachten des Jahres 1951 von Präsident Truman begnadigt wurde. Wir waren wegen Prich regelrecht benommen und untröstlich. War das der Mann, der von uns allen am ehesten das Zeug zur Größe hatte? Jetzt hatte er sich eines dummen, verantwortungslosen Verbrechens schuldig gemacht und saß im Gefängnis. Es war schwer zu verstehen, wie ein so brillanter Kopf zu etwas derart Schockierendem fähig sein konnte. Vielleicht war er in zu jungen Jahren schon zu erfolgreich gewesen und hatte sich ein disziplinloses und laxes Verhalten angewöhnt, das seine vielen Freunde schon immer zur Verzweiflung getrieben hatte. Selbst als er aus dem Gefängnis entlassen war und damit begann, schlecht und recht seinen Lebensunterhalt zu verdienen, ließ er gelegentlich - eigens für ihn geschaffene Arbeiten unvollendet liegen. Einigen seiner alten Angewohnheiten, darunter seiner Unzuverlässigkeit auch in geschäftlichen Angelegenheiten, blieb er treu. Und doch mochten wir ihn noch immer. Aus dem Gefängnis schrieb Prich an Phil: »Obwohl ich mir oft bittere Vorwürfe mache, kann ich mir den Ballast des Selbstmitleids nicht leisten, auch keine Rachepläne gegen jene, die mich vielleicht schlecht behandelt haben (selbst wenn ich sie kräftig hasse).«
Die Haftanstalt, in der er seine Strafe verbüßen mußte, sei »so gut, wie man sich's erhoffen konnte: mit einem milden Regiment und als vorübergehender Aufenthaltsort recht bequem«. Letztlich gelang es ihm später sogar, seinen Einfluß in Kentucky wiederzugewinnen: Er leitete eine staatliche Kommission, die wichtige Bildungsreformen durchsetzen konnte. Er bekam sein Leben wieder unter Kontrolle und starb 1984, nachdem er seinem Diabetes und seiner zunehmenden Erblindung lange getrotzt hatte.
Vom Beginn des neuen Jahrzehnts an schienen die politischen Auseinandersetzungen immer hitziger zu werden. Am 9. Februar 1950 startete Senator Joseph McCarthy seine Kampagne gegen die sogenannte kommunistische Verschwörung zur Unterwanderung des amerikanischen Lebens. Phils erste Reaktion bestand darin, den Senator und dessen Tiraden einfach nicht ernst zu nehmen. Einige Monate nach dem Beginn von McCarthys Hetzkampagne sagte Phil: »McCarthy macht hier eine Menge Lärm, und er richtet auch eine Menge Schaden an, aber ich hoffe, daß er letztlich auf seinem Hintern landen wird.« In dieser äußerst schwierigen Zeit war Phils Weg notgedrungen eine Gratwanderung. Als ehemals glühender Liberaler wurde er nun, da er ums Überleben der Zeitung kämpfen mußte, deutlich konservativer und antikommunistischer - in erster Linie sicher infolge realer politischer Ereignisse, zum Teil aber auch als Reaktion auf die ständigen Angriffe, denen die Post und er selbst ausgesetzt waren. Außenstehende bekamen allerdings nicht mit, daß Phil zu dieser Zeit auch hausintern große Probleme hatte, nicht zuletzt aufgrund wachsender Meinungsverschiedenheiten mit Alan Barth und Herblock. Zum Beispiel traf ihn eines Tages im Frühjahr 1950 im Zug regelrecht der Schlag, als wir beide von New York nach Washington zurückfuhren und Phil die neueste Ausgabe der Post durchsah. Bei der Lektüre eines Kommentars, der, wie er wußte, aus Alan Barths Feder stammte, ging Phil plötzlich an die Decke. Denn Barth hatte in seinem Kommentar Earl Browder, den ehemaligen Generalsekretär der amerikanischen KP und kommunistischen Präsidentschaftskandidaten der Jahre 1936 und 1940, gelobt, weil dieser sich einem speziellen Unterausschuß des Auswärtigen Senatsausschusses widersetzt hatte.
Man hatte ihn zwingen wollen, die Namen ehemaliger Kampfgenossen preiszugeben, die gegen die USA konspiriert hatten. Barth war ein glänzender, unerschrockener Verteidiger der Bürgerrechte, neigte aber bei seinen berechtigten Sorgen um den Schutz der Privatsphäre dazu, die tatsächlichen Gefahren des Kommunismus herunterzuspielen. In den oberen Rängen von Redaktion und Management der Post war man sehr besorgt, daß wir dem Gegner wieder einmal selbst die Munition für Angriffe auf die Zeitung geliefert hatten. Und natürlich drosch man prompt auf uns ein. Die Times-Herald nannte uns gar »Browders Zentralorgan«. Phil war so ungeheuer wütend, daß er Alan Barth auf der Stelle entlassen wollte. Zum Glück konnte ihn jedoch Felix Frankfurter bei einem unserer Sonntagmorgenbesuche auf seine ruhige, feste Art davon überzeugen, es lieber nicht zu tun. Einige Tage nach Erscheinen des Kommentars distanzierte sich die Post allerdings mit dem Ausdruck des Bedauerns von Barths Meinungsäußerung.
Die Spannungen zwischen Phil und Barth blieben bestehen. Einige Monate später schrieb Phil an meinen Vater, er habe in letzter Zeit mehr Kommentare als üblich getilgt oder abgeändert fast alle Arbeiten von Barth - und mache sich nun Sorgen, Herbert Elliston könnte vielleicht denken, daß er auch mit ihm Differenzen habe. Also traf sich Phil mit Elliston an einem neutralen Ort, um die allgemeine Situation und das Erscheinungsbild der Kommentarseite zu besprechen. Dabei brachte er auch seine schweren Bedenken gegen Barths Arbeit zum Ausdruck. Wie er meinem Vater schrieb und Elliston bei diesem Treffen erklärte, wolle er nicht »heimlich, still und leise eine Wischiwaschi-Zeitung wie die N. Y Times werden, aber zugleich will ich auch nicht Prestige und Macht der Zeitung dadurch aufs Spiel setzen, daß ich wegen fahrlässiger Arbeit bei untergeordneten Themen Unheil heraufbeschwöre.« Letztlich beruhigte sich Phil jedoch und raufte sich mit Alan Barth zusammen, der sich in der Folgezeit zu einem großen Gewinn für die Kommentarseite und das ganze Blatt entwickelte.

Ab wann Phil in General Eisenhower einen möglichen Präsidentschaftskandidaten sah, weiß ich nicht mehr genau. Ich kann mich nicht einmal erinnern, ob dies seine eigene Idee war oder ob er sich von jemand anderem beeinflussen ließ, vielleicht von meinem Vater. An Prich, der eine erneute Kandidatur von Dewey lieber gesehen hätte, aber fest davon überzeugt war, daß die Republikaner mit jedem Kandidaten die Wahlen von 1952 gewinnen würden, appellierte Phil damals in einem Brief, er möge nicht »zu sehr anti-Ike« eingestellt sein. Phil gab allerdings zu, selbst bis zu Eisenhowers letztem Besuch in Washington gegen ihn gewesen zu sein. Doch dann hatte er den General bei einem kleinen privaten Essen für Zeitungsleute kennengelernt und allmählich seine Meinung geändert.
Im Sommer 1951 hatte Phil jedenfalls mehr als genug von nationaler Führung im Stil von Truman oder Taft.[4] Deshalb schloß er sich meinem Vater als energischer Befürworter Eisenhowers an. Papa war überzeugt, Eisenhower habe »auf jeden Fall das eine, wonach wir in den letzten Jahren vergeblich gesucht haben ... Im allgemeinen nennt man es Charakter« »Unabhängigkeit« hieß zwar auch weiterhin die Losung unseres Blattes, aber redaktionell wurde nun immer deutlicher, daß wir Eisenhower unterstützten. Am 24. März 1952 schließlich war eine klare Empfehlung, Eisenhower und nicht Taft zum Präsidentschaftskandidaten der Republikaner zu nominieren, in der Post zu lesen. Herbert Brownell, Eisenhowers enger Freund und inoffizieller Wahlkampfleiter, der später Justizminister wurde, nannte dieses Votum später den »wirkungsvollsten journalistischen Coup zugunsten Ikes«. Unsere Parteinahme ließ überall die Wellen hochschlagen, nicht zuletzt in unserer Familie. Die Gesundheit und die Kräfte meines Vaters hatten inzwischen etwas nachgelassen. Er fühlte sich, was Zeitung und Verlag betraf, zunehmend »abgeschoben« und nicht ausreichend konsultiert, obwohl sich Phil alle Mühe gab, ihn weiterhin einzubeziehen. Offenbar hatte es Phil jedoch im Fall der Parteinahme für Eisenhower versäumt, meinen Vater, der sich damals in Florida aufhielt, an der Entscheidungsfindung zu beteiligen und ihn vorab zum besten Zeitpunkt für die Veröffentlichung des Kommentars zu konsultieren.
Mein Vater war verständlicherweise unglücklich darüber, daß er nicht vorher wußte, daß und wann die Post eindeutig Stellung beziehen würde. Meine Mutter schrieb Phil, jetzt müsse etwas getan werden, um das Ego meines Vaters wieder aufzubauen und sein Selbstvertrauen wiederherzustellen, denn er fühle sich nun ziemlich überflüssig. Was genau Phil geantwortet hat, ist nicht überliefert, aber er muß sich die Klagen meiner Mutter zu Herzen genommen haben. Denn in der Folgezeit schrieb er meinem Vater mehrfach ausführliche Briefe über verschiedene Angelegenheiten, die die Zeitung betrafen, und konsultierte ihn zu diversen Vorschlägen, die von einer neuen Aufmachung der Kommentarseite und der Frauenseiten bis hin zur Idee einer Tiefdruckbeilage für die Sonntagsausgabe reichten.
Die verletzten Gefühle meines Vaters machten mir zwar Sorgen, aber ich muß gestehen, daß ich mich damals vollständig mit Phil und den Zwängen, unter denen er bei seiner Arbeit stand, identifizierte, auch wenn ich mit ihm wegen der Unterstützung Eisenhowers durchaus nicht einer Meinung war. Phil und ich fuhren in jenem Sommer zu den Parteikonventen der beiden großen Parteien, die beide in Chicago stattfanden. Eisenhower wurde nominiert, und Phil war über diesen Sieg natürlich sehr glücklich. Heute sehe ich, daß wir alle Taft für einen rechten Reaktionär und Isolationisten hielten - letztere Einschätzung traf sicher zu, aber seine politischen Ansichten waren in Wahrheit moderat, weitsichtig und anständig. Damals jedoch waren unsere Ängste vor Taft und der Rechten real, und sie schienen auch nicht unbegründet zu sein. Meine Meinung über Eisenhower war etwas skeptischer als die Phils. Und ich vermute auch, daß Phil in seinem tiefsten Innern eher eine Bestätigung seiner Unabhängigkeit suchte und sich von seiner liberalen Vergangenheit absetzen wollte. Meine eigenen politischen Ansichten wandelten sich dagegen niemals grundlegend; deshalb unterstützte ich normalerweise die Kandidaten der Demokraten. Gleichwohl fühlte und fühle ich mich der Mitte zugehörig.
Als 1952 entschieden war, daß Adlai Stevenson für die Demokraten ins Rennen um die Präsidentschaft gehen würde, wußte ich, wo meine Präferenzen und Loyalitäten lagen. Wie viele andere, die meine politische Grundeinstellung teilten, war ich von Stevenson regelrecht hingerissen. Ich kann mich noch genau erinnern, welchen Eindruck ich hatte, als ich ihn auf dem Nominierungsparteitag erstmals erlebte: Auf mich wirkte er unglaublich charismatisch, und ich war sofort begeistert. Seine Dankrede am späten Abend, mit der er die Kandidatur annahm, wirkte elektrisierend, obwohl die biblische Anspielung, die er wählte (vom Kelch, der an ihm vorübergegangen sei) ziemlich prätentiös war. In einem Kommentar der Post war zu lesen, daß Stevenson wohl der Meinung sei, »das Amt habe sich seinen Träger ausgewählt«. Phil kannte meine Gefühle natürlich genau. In einem Brief an einen Freund schrieb er im Sommer 1952: »Ich gebe zu, daß meine Frau (seit sie i Adlai den Bewundernswerten gesehen hat) Anzeichen einer Krypto-Demokratin zeigt.« Trotz meiner Begeisterung für Stevenson machte ich mir jedoch keinerlei Illusionen über seine Siegeschancen. Adlais zwiespältige Haltung hinsichtlich der Präsidentschaft - einerseits wollte er sie, andererseits auch wieder nicht - war seine Achillesferse. Phil indes kämpfte mit vollem Einsatz für Eisenhower und die Republikaner.
In jenem Sommer lernte er auch Richard Nixon kennen, der als Eisenhowers Kandidat für die Vizepräsidentschaft nominiert worden war. Phil war stark von ihm beeindruckt und glaubte, Nixon werde im Wahlkampf eine große Hilfe für lke sein. Irgendwann mitten im Sommer traf sich Nixon mit Phil, Russ Wiggins und meinem Vater zum Essen. Einem Freund aus der Zeitungsbranche berichtete Phil anschließend, »wir drei hatten allesamt das Gefühl, daß er offenkundig eine sehr talentierte Persönlichkeit ist«. Dagegen machten die meisten meiner Freunde und ich uns große Sorgen wegen seiner prononciert rechten Neigungen und seiner offenbar vorhandenen Sympathien für Senator McCarthy. Während des gesamten Wahlkampfs stand Phil unter ständigem Rechtfertigungszwang - zum einen wegen seiner offenen Parteinahme für Eisenhower und gegen Taft, zum anderen wegen seiner eigenen politischen Ansichten, die viele überraschten. Jenen, die ihn wegen seiner ungewohnten neuen Weggenossen schalten, erwiderte er jedoch, sie sollten »unter dem eigenen Teppich nachsehen, ob dort nicht etwas zu finden« sei. Obgleich die Post nun Eisenhower unterstützte, bemühte sich Phil, wie er sagte, »im Rahmen des Menschenmöglichen, gegenüber Stevensons Qualitäten oder auch manchen Schwächen der Republikaner weder voreingenommen noch blind zu sein«. Zu den Schwächen der Republikaner gehörte zum Beispiel, daß es Eisenhower nicht über sich brachte, gegen McCarthy und die Exzesse des rechten Parteiflügels offen Stellung zu beziehen.
Was mich betraf, so war der letzte Tropfen, der hinsichtlich meiner Vorbehalte gegen Eisenhower das Faß zum Überlaufen brachte, eine inzwischen recht bekannte Wahlkampfepisode: Es ging um General George C. Marshall, den McCarthy bösartig angegriffen hatte. lkes Gefühl für Anstand war geweckt, und er hatte sich Anfang Oktober offenbar entschlossen, während einer seiner Wahlkampfreisen durch Wisconsin - also in der Höhle des Löwen, denn Wisconsin war McCarthys Heimatstaat - General Marshall in einer Rede zu verteidigen. Die republikanischen Führer dieses Staates setzten Eisenhowers politische Berater jedoch unter Druck, sie sollten ihm diese freundlichen Bemerkungen zugunsten Marshalls wieder ausreden. lke, der im politischen Geschäft noch recht neu und unerfahren war, gab seinen Ratgebern nach und strich den geplanten Redeabschnitt allerdings erst so spät, daß die ganze Affäre an die Öffentlichkeit gelangte.
Bis dahin war noch offen gewesen, wem ich meine Stimme geben würde, aber jetzt stand meine Entscheidung für Stevenson unverrückbar fest. Auch Phil war über Eisenhowers offenkundige Schwäche gegenüber McCarthy schockiert, doch meine Ansichten beeindruckten oder besorgten ihn nicht. Das galt allerdings auch in umgekehrter Richtung. Unsere politischen Differenzen machten sich in unserem persönlichen Verhältnis nicht negativ bemerkbar - wir wußten und verstanden, wo der jeweils andere stand. Phils politischer Kurs während des Wahlkampfs stieß bei Teilen der Belegschaft der Post auf Widerstand und beschwor Probleme herauf. An einem bestimmten Punkt wollten mehrere Redaktionsmitglieder eine Anzeige in die Zeitung setzen, worin sie sich für Stevenson aussprachen, doch Phil konnte ihnen diesen Plan offenbar ausreden. Wichtiger war indes, daß Phil und Herblock eine massive Auseinandersetzung hatten. Herbs zupackende Karikaturen waren schon immer starker Tobak gewesen. Nixon zum Beispiel hatte Block erstmals in einer Karikatur vom 16. Mai 1948 aufs Korn genommen: Zu sehen waren Nixon und zwei andere Figuren im Gewand von Puritanern, die unter einer in Ketten gelegten Freiheitsstatue einen Scheiterhaufen anzündeten. Die Unterschrift lautete: »Wir müssen ihr die bösen Geister ausbrennen.« Als der Wahlkampf hitziger wurde und Eisenhower es versäumte, sich öffentlich von McCarthy zu distanzieren, zeichnete Herblock Karikaturen, die ganz offenkundig nicht im Einklang mit der redaktionellen Unterstützung Eisenhowers durch die Post standen. Viele dieser Zeichnungen brachten Phil auf die Palme. Auf einer von Phil unterdrückten Karikatur ist lke zu sehen, wie er zu Nixon und McCarthy, die mit farbtropfenden Pinseln beim Wändebeschmieren dargestellt sind, sagt: »Ihr Bösen!« Schließlich strich Phil in den letzten Wahlkampfwochen die Karikaturen ganz aus seiner Zeitung - ich glaube, das ist seither nie wieder vorgekommen. Statt dessen druckte er alte Karikaturen nach. Weil Herbs Karikaturen jedoch über Pressedienste auch in anderen Zeitungen erschienen, war diese Maßnahme nicht nur wirkungslos, sondern obendrein auch noch peinlich. Später gab Phil Block gegenüber zu, daß das Ganze ein Fehler gewesen war. Phil engagierte sich auch im eigentlichen Wahlkampf immer stärker.
Bei einigen Gelegenheiten wurde er direkt zugunsten Eisenhowers aktiv, etwa am 30. Oktober, als er bei einer Wahlversammlung der »Citizens for Eisenhower« als Versammlungsleiter fungierte. Um Phil Gesellschaft zu leisten, begleitete ich ihn auch zu mehreren Versammlungen, darunter eine, bei der er eine Ansprache hielt, während ich schweigend danebensaß. Aus heutiger Sicht kann ich Phils Wahlkampfaktionen nicht mehr gutheißen, doch damals betätigten sich auch andere Zeitungsverleger häufig in gleicher Weise. Am Wahltag, dem 4. November, verfolgten wir die Ergebnisse bei den Rauhs - ausgerechnet den wahrscheinlich liberalsten Freunden, die wir hatten. Die Resultate begeisterten Phil aufs äußerste. Trotzdem schrieb er Stevenson einige Tage nach der Wahl folgende Zeilen:

Wenn Sie einer schwarzen Seele aus der Einparteienpresse eine Meinungsäußerung gestatten, dann möchte ich Ihnen sagen, daß Sie einen Wahlkampf geliefert haben, auf den Sie und Ihre Söhne stolz sein können. Auch wenn ich selbst dem Oppositionslager zuneigte, war ich jedenfalls stolz auf Sie, von Ihren ersten Äußerungen in der Astor Street bis zu Ihren Schlußbemerkungen in Springfield. Meine Frau - die Sie stärker in Ihren Bann geschlagen haben, als ich es vermöchte schließt sich meinen guten Wünschen an. Wir wünschen Ihnen zunächst gute Erholung und dann eine fruchtbare, erfolgreiche Zukunft

Inzwischen war McCarthys Regiment sogar noch ominöser, der Senator noch mächtiger geworden. Er spielte mit den aus dem Kalten Krieg herrührenden Ängsten und erhob aberwitzige Vorwürfe, oft innerhalb der geschützten Grenzen von Anhörungen im Senat oder im Kongreß, oft aber auch direkt vor Redaktionsschluß von Zeitungen oder Fernsehnachrichten, so daß allein er mit seinen Anschuldigungen die Schlagzeilen beherrschte und zu Gegendarstellungen keine Zeit blieb. Nach einer Weile lernten wir Medienvertreter indes, auch der anderen Seite Gehör zu verschaffen und McCarthys Vorwürfe im Kontext zu sehen. Doch zunächst waren seine Methoden ein neues Phänomen, mit dem die Presse erst umzugehen lernen mußte, und das dauerte eine ganze Weile. Einen großen Teil von Phils Zeit beanspruchte fortan die von McCarthy ausgehende Gefahr.
Die Angst vor dem Kommunismus blieb allgegenwärtig, und Angriffe auf Personen, die als Sympathisanten oder Liberale, wenn nicht gar als echte Kommunisten galten, brachten in aller Regel für die Betroffenen ernsthafte Probleme mit sich. Im redaktionellen Teil war die Post McCarthys Haltung gegenüber äußerst kritisch, und der Senator wurde dort regelmäßig angegriffen. Am effizientesten war wahrscheinlich eine Serie von Herblock-Karikaturen, die McCarthy bei diversen hanebüchenen Aktivitäten zeigte. Herblock war es auch, der - am 29. März 1950 den Begriff »McCarthyismus« prägte (als Etikett auf einem Teerfaß - zum Teeren und Federn). Zusammengenommen ergaben die Kommentare der Post gegen McCarthy einen sehr klaren, tapferen Standpunkt, und für diese Berichterstattung mußte die Zeitung viele Nachteile und Verunglimpfungen hinnehmen. Der Krieg zwischen McCarthy und der Post war in der Tat hinterhältig und beängstigend. In gewissem Maß kamen uns Joe Alsop und sein Bruder Stewart zur Hilfe, die in ihrer für die Post sehr wichtigen Kolumne antikommunistische Themen behandelten und dadurch den Eindruck abmilderten, die Post sympathisiere mit den Kommunisten. Vielleicht wurde mancher Kritik auch dadurch die Spitze genommen, daß die Zeitung Eisenhower unterstützte. Dafür zog sie jedoch die Kritik der Linken auf sich, sie unternehme nicht genug gegen McCarthys Machenschaften.
Als Präsident gehörte Eisenhower leider zu denen, die nach Phils Ansicht nicht laut und deutlich genug ihre Meinung sagten. Phil, der anderes erhofft hatte, verlor seine Illusionen, als der Präsident auf McCarthy und das von diesem geschürte Meinungsklima nicht angemessen reagierte. Auch Walter Lippmann hatte Eisenhower begeistert unterstützt, während sich Helen, seine Frau, wie ich für Stevenson engagiert hatte. Schon recht bald nach der Wahl fragte Walter Phil bei einem gemeinsamen Treffen: »Was sollen wir denn bloß noch machen?«, ehe er sich gleich darauf an uns Frauen wandte und sagte: »Und ihr beiden haltet bitte den Mund.« Doch wir konnten über die Verzweiflung unserer Männer wegen der Passivität im Weißen Haus nur lachen.
Weil die Post immer noch um das wirtschaftliche Überleben kämpfte, fühlte sich Phil enorm von Kräften unter Druck gesetzt, die sich seiner Kontrolle entzogen. Nicht die unwichtigste dieser Kräfte war damals meine Mutter. Wie Barth und Herblock war sie unnachgiebig bei ihrer Verdammung McCarthys und seiner rücksichtslosen Angriffe. Sie verlieh ihrer Verachtung nachhaltig und öffentlich Ausdruck und bezeichnete den Senator abwechselnd als »ewig Pubertierenden, der nie erwachsen wird«, als »einen Verschrobenen, der sich jetzt an der Gesellschaft dafür rächt, daß diese ihn seiner Meinung nach niemals fair behandelt hat« oder als »einen Gangstertypen«. Sie machte sich Sorgen darüber, daß inzwischen Verdächtigungen und Anschuldigungen seitens der Antikommunisten schon ausreichten, daß Leute ohne Hoffnung auf Rehabilitation ihren Arbeitsplatz verloren, und sie hatte das Gefühl, daß solche Umgangsformen Amerika »auf geradem Weg zu etwas noch Schlimmerem führen würden als zur Gestapo«. Der einzige Ausweg, den sie sah, bestand darin, dafür zu sorgen, daß die Post sich intensiv dieser Situation annahm. Daher bedrängte sie Phil ständig, er müsse »versuchen, unsere demokratischen Freiheiten zu bewahren«. Für ihr Argument »Was nützt es denn, im Ausland gegen den Totalitarismus zu kämpfen, wenn wir dessen schlimmste Auswüchse gleichzeitig bei uns zu Hause nachahmen?« sprach allein schon die Logik. Doch wie üblich hatte sie ihre Leidenschaften nicht unter Kontrolle. Kurz nach Präsident Eisenhowers Amtseinführung versetzte meine Mutter McCarthy ihren bis dahin massivsten Schlag: In einer Rede vor siebzehntausend Beamten aus der Schulverwaltung in Atlantic City sagte sie, McCarthys Kongreßausschuß bedrohe bei seiner Durchleuchtung von Schulen und Universitäten nicht nur die akademische Freiheit, sondern sogar die amerikanische Demokratie insgesamt.
Sie nannte McCarthy »unseren modernen Großinquisitor«, einen gefährlichen und rücksichtslosen Demagogen, einen politischen Abenteurer und einen Psychopathen, McCarthys Taktik verglich sie mit der eines Stierkämpfers. In der New York Times erschien ein Artikel über diese Rede samt Foto auf der Titelseite. Daraufhin holte ein Kongreßabgeordneter aus Illinois zum Gegenschlag aus und warf ihr vor, sie habe an die Prawda einen begeisterten prorussischen Leserbrief geschrieben. Diese Anschuldigung war falsch, denn der fragliche Brief stammte von einer Mrs. G. S. Mayer aus Kanada. Aber die Post mußte meiner Mutter natürlich zur Hilfe eilen, und ehe der Irrtum aufgeklärt werden konnte, hatte sich die Washington Times-Herald die Angriffe natürlich schon zunutze gemacht. Nicht genug damit, daß sie sich mit McCarthy anlegte, griff Mutter oft auch noch die katholische Kirche wegen deren Erziehungsprinzipien an. Auch hierin sah sie eine gerechte Sache und sich selbst als eine unerschrockene Vorkämpferin für das öffentliche Erziehungs- und Schulwesen. Den Preis für diese Aktionen mußten wiederum Phil und die Post zahlen, denn sie wurden Opfer massiver Gegenangriffe, zu denen auch Boykotte der Zeitung gehörten.
Diese zusätzliche Belastung erschien Phil überflüssig, und er war nicht zu Unrecht verärgert. Der Kampf um Auflagenhöhe und Anzeigen war auch so schon schwierig genug. So wie Phil gelegentlich Kommentare und Karikaturen aus dem Verkehr zog, mußte er von Zeit zu Zeit auch meine Mutter im Zaum halten. Ein bemerkenswertes Beispiel stammt aus dem Jahre 1952, als er sich von einer Rede distanzierte, die sie in Detroit gehalten hatte und in der sie Bestrebungen des katholischen Klerus verdammte, das konfessionelle Schulwesen zu fördern. Einige Passagen aus dieser Rede, die Phil veranlaßten, die Notbremse zu ziehen:

  • Die Römische Kirche baut einen katholischen Staat im Staate auf. Das kann nur mit einer Katastrophe enden, mit einer politischen Partei der Katholiken ... Kein Mensch kann in einem Lebensbereich blind autoritätsgläubig sein und zugleich auf sich gestellt im Alltagsleben eigene Entscheidungen auf den Gebieten Moral, Politik und Wirtschaft treffen. Im weltlichen, öffentlichen Schulwesen werden unabhängige Köpfe herangebildet, welche die Führung in allen Lebensbereichen übernehmen können. In Bekenntnisschulen hingegen werden den Kindern Gehorsam und Autoritätsgläubigkeit antrainiert ... Wir müssen den momentan laufenden Versuchen der katholischen Hierarchie und der reaktionären Protestanten, unser Volk zur Unterstützung von Konfessionsschulen zu zwingen, einen Riegel vorschieben. Deren rasche Ausbreitung würde unser weltliches Schulwesen zerstören und unser Land zerreißen; unüberbrückbare Gegensätze und Parteienkämpfe wären die Folge. Die Kosten für Privat- und Bekenntnisschulen nehmen ständig zu. Und nur wenige amerikanische Mädchen wollen Nonnen werden .

Phil war so beunruhigt, daß er drauf und dran war, eine Presseerklärung herauszugeben, in der es hieß, die Ansichten meiner Mutter seien nicht die der Post, und man möge beides auseinanderhalten. Auf Russ Wiggins' Rat hin milderte er die Erklärung jedoch ab und formulierte sie so, als käme sie von meiner Mutter selbst. Er hoffte, die Presse werde die Sache schon richtig verstehen: »Die in meiner Detroiter Rede vertretenen Ansichten sind meine Privatmeinung und geben nicht die Meinung der Washington Post wieder ... An der redaktionellen Meinungsbildung habe ich keinen Anteil.« Nun ergab sich jedoch die Frage, wie man meine Mutter umgehend erreichen könnte, denn sie befand sich ja im Nachtzug auf der Rückreise nach Washington. Da Russ einen Redakteur der Buffalo Evening News gut kannte, bat er diesen, um zwei Uhr morgens den Zug bei einem längeren Halt in Buffalo, New York, zu betreten, meine Mutter zu wecken und ihr die fragliche Erklärung zur Unterschrift vorzulegen. Aus diesem Vorfall ergab sich dann eine lange, gereizte Korrespondenz zwischen Phil und meiner Mutter - in handschriftlicher Form. Wie so oft stellte Mutter ihre Lage als unerträglich dar und fragte rhetorisch, was sie denn nun tun solle:

Ich kann zu Hause nicht in der Hölle leben. Ich soll Butch (Eugene Meyer) keine unnötigen Sorgen machen. Ich darf den Anteilseignern der Post keinen Schaden zufügen, das ist Butchs größte Sorge. Doch wenn ich über die politischen Ambitionen der Katholiken nicht reden darf, dann kann ich auch gleich all meine Bemühungen einstellen, eine Solidargemeinschaft zu schaffen, das öffentliche Schulwesen zu stärken und mein Land gegen einen Feind zu verteidigen, der nicht weniger gefährlich ist als die Kommunisten.

Am Schluß ihres Briefes schrieb sie Phil, er solle sich nicht die Mühe machen zu antworten, sondern schlug vor, sie beide sollten sich »zu einem guten Gespräch treffen«. Phil schickte ihr jedoch eine handgeschriebene Antwort von vierzehn Seiten. Ob zu Recht oder Unrecht, er könne ihrer Analyse nicht zustimmen, daß

»die Probleme, die Du seitens der amerikanischen katholischen Kirche heraufziehen siehst«, wirklich dringlich seien. »Ich weiß nicht, ob Freud, Jung oder Bill Meyer feststellen könnten, ob diese meine Sicht der Dinge von Angst geprägt oder objektiv ist, aber ich weiß jedenfalls, daß ich mir keiner Angst (vor dem Klerus) bewußt bin.«

Gleichzeitig wußte er aber, daß Mutters Rede der Post beträchtliche Feindseligkeiten einbringen würde. Er glaubte, bei den Scharmützeln, auf die sich die Post einlassen könne, müsse es einfach gewisse Prioritäten geben, und sah seine Aufgabe darin, diese Prioritäten »mit Blick auf das institutionelle Gesamtinteresse« zu bestimmen. Gegen Ende seines Briefes schrieb er:

Wenn wir uns einfach darauf einigen könnten, daß wir unterschiedlicher Meinung sind, wäre alles ganz unkompliziert ... Doch leider gilt: Mitgefangen, mitgehangen, und das macht die Sache komplizierter, aber auch interessanter. Tatsache ist, daß Du nicht nur ein von der Post vollkommen getrenntes »Individuum« sein kannst, genausowenig wie EM (Eugene Meyer) das kann - oder Kay, Elliston, Wiggins, Graham und viele andere ... Wir müssen gelegentlich zugunsten der Gesamtinstitution Post einen teilweisen Verlust unserer Individualität in Kauf nehmen und uns bewußt machen, daß das auch seine guten Seiten hat.

So gelang es Phil, eine potentiell brenzlige Situation zu unser aller Wohl zu entschärfen. Mich brachte diese Art von Drama nicht in seelische Konflikte. Ich stand hundertprozentig hinter Phil und stimmte völlig mit seinen Ansichten über die familiären Spannungen überein - wie übrigens meistens auch mein Vater. Damals, als McCarthy auf dem Höhepunkt seiner Macht stand, schlugen die Emotionen häufig hohe Wellen. Freunde sagten sich heftig die Meinung, und auf allen Seiten brach Streit aus. Eine bemerkenswerte Auseinandersetzung, die uns persönlich betraf, ereignete sich im März 1952 während eines Lunchs bei Joe Alsop. An die Einzelheiten kann ich mich zwar nicht mehr genau erinnern, aber es handelte sich um eine kleine Lunchparty unter Freunden, bei der auch Isaiah Berlin aus England zugegen war. Egal, worum es im einzelnen ging, irgendwann bekam Phil jedenfalls einen fürchterlichen Wutanfall und lieferte sich mit Isaiah ein langes hitziges Wortgefecht. Ich glaube, Phil rannte schließlich wutentbrannt aus Joes Haus. Joe war wütend und redete nicht mehr mit Phil. Isaiah war der Ansicht, Phil habe sich unglaublich danebenbenommen, und sagte ihm das auch am Telefon. Phil schrieb Isaiah einen Entschuldigungsbrief, in dem es hieß, sein »ungehobeltes Benehmen« sei ihm selbst »unerklärlich - und unverzeihlich. Einfach schlechte Manieren.« Auch Phil und Joe vertrugen sich wieder, aber ihr Verhältnis war auch später nicht frei von Streitigkeiten, die sie oft in lebhaften Briefwechseln austrugen. Mitte 1953 kam es beispielsweise in Joes Haus zu einem weiteren schlimmen Zusammenstoß. Diesmal ging es um die Frage, ob man bei Anhörungen in McCarthys Ausschuß lieber das Zeugnisverweigerungsrecht nach dem Fünften Verfassungszusatz in Anspruch nehmen oder aussagen solle. Diesmal war es an Joe, anschließend einen erläuternden Entschuldigungsbrief zu schreiben:

Ich habe unser Gespräch noch einmal in Gedanken Revue passieren lassen, um dahinterzukommen, was Dich wohl so tief verletzt haben könnte - denn daß Du tief verletzt warst, war deutlich zu spüren ... Soweit ich den Ablauf unserer Diskussion noch richtig vor Augen habe, hast Du vielleicht gedacht, ich würde Dich damit hänseln, daß Du jetzt ein erfolgreicher Mann bist. Nun, in aller Bescheidenheit glaube ich doch, das annähernd auch von mir sagen zu dürfen.

Joes Bemerkung über Phils Erfolg, die ja auch andeutete, er habe nun vergessen, was es heißt, arm zu sein, rührte bei Phil offenbar an einen Nerv, der viel sensibler war, als irgend jemand von uns damals ahnen konnte. Später, als Phil krank war, kam jedoch heraus, daß er innerlich immer noch keinen Frieden mit der Art und Weise geschlossen hatte, wie er als Verleger zur Grundlage seines Erfolges gekommen war. Dabei waren seine Fähigkeiten doch so offenkundig und so überragend, daß niemand von uns jene innere Unsicherheit vermuten konnte, die unter der Oberfläche des Erfolgs weiter für Unruhe sorgte.


Ein großer Verlust für uns und die Washington Post ergab sich 1953, als Herbert Elliston, der für die Kommentarseite verantwortliche Redakteur, aufgrund einer Herzerkrankung ausschied. In seinem Abschiedsinterview in der Zeitung sagte Herbert, er habe keinen Leitgedanken als Vermächtnis zu hinterlassen. Wenn er aber einen solchen benennen solle, dann sei es das folgende Somerset-Maugham-Zitat: »Wenn eine Nation irgend etwas höher bewertet als die Freiheit, dann wird sie ihre Freiheit verlieren, und die Ironie des Ganzen besteht darin, daß die Bequemlichkeit oder das Geld, sollten sie höhere Wertschätzung genießen als die Freiheit, dabei auch noch verlorengehen.« Herberts äußerst verdienstvolle Tätigkeit hatte insgesamt
dreizehn Jahre gedauert.

Phil versuchte sofort, unseren Freund Scotty Reston als Herberts Nachfolger zu gewinnen. Doch Phils Angebot ließ auch die New York Times aktiv werden, um Reston zu halten, und Scotty wurde zum Chef des Washingtoner Büros der NY Times ernannt. Aus Scottys Sicht wäre diese Beförderung jedoch gar nicht nötig gewesen, denn seine Antwort an Phil hatte kurz und bündig gelautet: »Ich kann die Times nicht verlassen.« Da wandte sich Phil überraschend an das jüngste Mitglied der eigenen Redaktion, den vierunddreißigjährigen Robert Estabrook, und bat ihn, die Verantwortung für die Kommentarseite zu übernehmen. Ungefähr zur gleichen Zeit überredete Phil Al Friendly, der seiner Meinung nach zu den besten Reportern der Zeitung gehörte, den Posten eines stellvertretenden Chefredakteurs zu übernehmen und am Tag den Chef vom Dienst zu spielen. So bekam Russ Wiggins zum ersten Mal überhaupt eine echte Unterstützung für seinen Aufgabenbereich. Für einen Starreporter ist es allerdings eine der schwierigsten Klippen, den Übergang in die Rolle eines Redakteurs zu schaffen; die Zitterpartie betrifft beide Seiten, den Kandidaten genauso wie das Management der Zeitung. Denn die beiden Aufgabenbereiche erfordern unterschiedliche Fähigkeiten. Natürlich schaffen manche Reporter den Übergang und werden fähige Redakteure, doch andere schaffen es eben nicht. Es gibt praktisch keine Möglichkeit, das vorher zu wissen; man muß es einfach ausprobieren. Viel zu lange hatte die Post Defizite beim Übergang ins redaktionelle Management. Al vermißte zwar das gewohnte Reporterleben, doch er stellte sich seinen neuen Aufgaben mit Enthusiasmus.

Der Ablauf unseres Lebens änderte sich. Je mehr Phils berufliche Verpflichtungen zunahmen, desto mehr war mir daran gelegen, ihm etwas Entspannung und Erleichterung zu verschaffen. Weil wir beide an den Sommer des Jahres 1949 negative Erinnerungen hatten wir waren mit den Kindern nach Neuengland gezogen, was für Phil das Dasein des Wochenendpendlers über große Entfernungen mit sich brachte und für mich hieß, nur unter Frauen und Kindern zu sein und die Woche über auf meinen Mann zu verzichten - entschieden wir uns, unser Sommerquartier diesmal ganz in der Nähe von Washington aufzuschlagen.
Eigentlich war mir jedes Haus recht gewesen, das nicht weiter als zwanzig Autominuten von Washington entfernt lag, doch im Sommer 1950 mieteten wir ein Haus in Warrenton, Virginia, das zwar etwas weiter draußen lag als gewünscht, aber immer noch in akzeptabler Entfernung. Phil gefiel dieses Leben so sehr, daß wir im Herbst ein anderes Haus mieteten, um die Wochenenden weiter auf dem Land verbringen zu können.
Wenn Phil nicht darauf bestanden hätte, wäre mir dergleichen wahrscheinlich nie in den Sinn gekommen. Er liebte das Landleben, und die Kinder blühten auf dem Land ebenfalls auf. Ich war weniger begeistert, weil ich als Kind nie wirklich auf dem Land gelebt hatte. Mir bereitete es eine Menge Arbeit, jedes Wochenende die Kinder, den Haushalt, Verpflegung und später auch noch die Hunde - im Auto zu verstauen, doch für Phil war das alles derart schön, daß wir begannen, in der Gegend umherzufahren und nach einem eigenen Haus auf dem Lande Ausschau zu halten. Unsere Idealvorstellung war ein Haus ungefähr eine Autostunde von Washington entfernt, das zu unserem Schutz von ein paar Hektar Land umgeben sein sollte. Kurz vor Weihnachten ließ Phil die Bemerkung fallen, er glaube nicht, daß ich wirklich ernsthaft an einem solchen Domizil auf dem Land interessiert sei, und fragte, ob ich denn überhaupt noch nichts gesehen hätte, was mir gefallen habe.
In der Tat hatte mir ein Anwesen wirklich gefallen: Es lag in Marshall, Virginia, war mir jedoch zu groß und zu teuer erschienen. Außerdem wurde dieser Hof noch bewirtschaftet, und als Bäuerin wollte ich mich auf keinen Fall betätigen. Als ich meine Suche nach Neujahr 1951 wieder aufnahm, sagte mir der betreffende Makler, das Anwesen stehe immer noch zum Verkauf. Die Eigentümer seien zu Zugeständnissen beim Preis bereit, und die Landwirtschaft sei inzwischen ohnehin verpachtet worden. Also sahen wir uns das Haus nochmals an und verliebten uns - wie damals in Washington - sofort in Haus und Grund.
Glen Welby - so lautete der Name des Anwesens - lag ein wenig abseits auf halber Strecke zwischen Warrenton und Middleburg, Virginia, ungefähr eine Stunde und zwanzig Minuten von Washington entfernt, inmitten von 140 Hektar Land, von denen etwa 24 Hektar Wald waren. Wir kauften Glen Welby für 87 500 Dollar - eine nach heutigen Maßstäben lächerlich geringe Summe, die damals jedoch für uns viel Geld bedeutete, zumal am Haus eine Menge zu reparieren und zu restaurieren war. Hinzu kam natürlich noch, daß ich es komplett neu einrichten mußte. Es war ein echtes Familiendomizil, groß und weitläufig.
Der Mittelteil stammte wahrscheinlich aus dem frühen 19. Jahrhundert, und auf der Rückseite war zur Zeit des Bürgerkrieges ein weiteres Zimmer angebaut worden. Darauf folgte der Küchentrakt. Schließlich waren unmittelbar vor dem Börsenkrach von 1929 von den früheren Eigentümern noch ein großes Wohnzimmer, das Elternschlafzimmer und eine Veranda angefügt worden.
Bezeichnenderweise war es wieder Phil, der auf die Idee kam, für die Sommerzeit und die Wochenenden ein Haus auf dem Land zu kaufen, während mir die praktische Arbeit überlassen blieb. Unsere eheliche Beziehung ähnelte der zwischen einem Firmenchef mit Richtlinienkompetenz und einer Betriebsleiterin, die für die konkrete Umsetzung der Pläne zuständig ist. Phil hatte die Ideen, ich führte sie aus. Trotz der zusätzlichen Arbeitsbelastung bin ich Phil jedoch immer noch dankbar für die Idee, diese Farm zu kaufen. Heutzutage ist ein solcher Lebensstil in Kreisen, die sich das Wochenendleben auf dem Lande leisten können, ganz normal, im großen wie im bescheidenen Maßstab. Damals jedoch war diese Lebensweise längst nicht so verbreitet.
Inzwischen gehört Glen Welby meinem Sohn Donald und seiner Frau Mary, und sie leben dort am Wochenende mit ihren Kindern fast genauso wie früher wir selbst.
Im gesellschaftlichen Leben lernten wir immer mehr Leute kennen. Ich lunchte mit diversen Frauen, von denen viele enge Freundinnen waren. Als Phil eines Tages mitbekam, daß jeden Morgen im Dreieck zwischen Polly Wisner, Evangeline Bruce und mir ein reger Telefonverkehr herrschte, prägte er die Bezeichnung »Neun-Uhr-Netzwerk« und kündigte scherzhaft an, er wolle sich auch eine Standleitung zu dieser Telefonkonferenz schalten lassen. Trotz meines großen Freundeskreises war ich allerdings immer noch ungeschickt, was die reibungslose Organisation unseres gesellschaftlichen Lebens anging. Weil Phil so viel Arbeit hatte, wollte er die Zahl der Abendeinladungen strikt begrenzen und gab mir entsprechende Anweisungen. Doch anfangs fiel mir nichts Besseres ein, als den Einladenden zu sagen, ich müsse erst Phil fragen, ob wir kommen könnten. Phil bestand dagegen auf sofortigen Absagen und machte mir klar, wie seltsam und unbeholfen es wirken müsse, wenn ich die Antwort hinauszögerte oder gar sagte, ich müsse erst ihn fragen. Eines Tages kam er mit einer Einladung der militärischen Spitzen des Landes zu einer Ausfahrt auf der »Sequoia« (dem offiziellen Vergnügungsschiff der Regierung) heim nach Glen Welby und sagte, er habe diese Einladung dankend abgelehnt. »Warum?« fragte ich. »Das klingt doch, als könnte es ganz schön werden.« »Ja, das klingt so«, lautete seine Antwort, »aber bedenke doch mal, wen wir dort alles treffen würden.«

Phil nahm zwar nicht gern Einladungen an, aber wenn wir erst einmal an Ort und Stelle waren, amüsierte er sich meistens prächtig und wollte gar nicht wieder nach Hause gehen. Bei mir war es genau umgekehrt: Obwohl ich vorab viel unternehmungslustiger war als er, fühlte ich mich, sobald wir eingetroffen waren, oft unwohl und neigte zur Schüchternheit. Ein Beispiel aus jenen Jahren war ein - untertreibend »Dancing Class« genanntes exklusives Ballvergnügen der oberen Zehntausend, eine alte Washingtoner Tradition, die Mrs. Joseph Leiters Mutter (»Ma« Williams) ins Leben gerufen hatte. Hier tummelten sich die Snobs, und die Aufnahmeregeln waren sehr streng. Politiker waren nicht willkommen, und selbst als einmal der Produzent Richard Aldrich eingeladen werden sollte, stieß dieser Plan auf Widerstand. Man fürchtete, er werde seine schöne Frau, die berühmte Schauspielerin Gertrude Lawrence, mitbringen.
ch gestehe gern, daß ich unbedingt dazugehören wollte. Unsere gute Freundin Janet Barnes, die mit all diesen Leuten aufgewachsen war, schlug uns dem Aufnahmekomitee vor, und wir wurden aufgenommen. Ich glaube, dieser Aufnahmewunsch hatte mit meinen Kindheitserfahrungen zu tun, aber auch damit, daß meine Eltern niemals Mitglieder dieses Zirkels waren. Wahrscheinlich war mir der Gedanke, zur Dancing Class zu gehören, auch deshalb so wichtig, weil der Rest meines damaligen Lebens so wenig mit Glamour zu tun hatte - Haushalt, Kinder, Ehrenämter, Wohltätigkeitsveranstaltungen.
Phil war die Dancing Class weitgehend egal, doch es war wie immer: Als wir schließlich hingingen, machte ihm das Ganze großen Spaß. Ich dagegen war meistens ziemlich nervös und hatte mit meiner alten Angst zu kämpfen, ich könnte auf dem Tanzparkett bei einem mir unliebsamen Partner »hängenbleiben«. Ich kann mich noch daran erinnern, wie Phil mir - etwas ungeduldig erklärte, daß das doch allein meine Sache sei: Wenn ich auf diese Weise »hängengeblieben« sei, dann solle ich mich einfach verabschieden, weggehen und mir einen anderen Partner suchen. Ich könne nicht nur passiv sein und mich anschließend selbst bemitleiden.
Unser Leben in der Öffentlichkeit hielt mich mehr denn je auf Trab. Ich begleitete Phil auf Reisen, zu gesellschaftlichen und geschäftlichen Dinnereinladungen und zu Veranstaltungen, die mit der Post zu tun hatten; ich liebte dieses Leben, auch wenn es Außenstehenden vielleicht prosaisch erschien. Bis 1953 schrieb ich auch weiterhin meine Kolumne für die Post, »The Magazine Rack«, eine Art Zeitschriftenumschau. Doch dann wuchsen mir die diversen Verpflichtungen einfach über den Kopf. Gegen Phils Willen gab ich die Kolumne ab.
Dafür saß ich dann, neben meinen verschiedenen Aktivitäten zur Spendenbeschaffung für örtliche Gruppierungen, im Vorstand mehrerer Vereine, die sich Wohlfahrts- und Erziehungsaufgaben widmeten. Natürlich beanspruchten auch meine Kinder einen beträchtlichen Teil meiner Zeit.


Im Jahre 1951 - Phil war gerade unterwegs - erlitt ich eine weitere Fehlgeburt. (Bei solchen Gelegenheiten schien Phil immer unterwegs zu sein.) Ich fuhr am nächsten Tag ins Johns Hopkins Hospital nach Baltimore, wo man mich nach einem kleinen Eingriff wieder nach Hause schickte. Da saß ich nun, traurig und depressiv, während Phil, der vom Arzt am Telefon gehört hatte, alles sei in bester Ordnung, meiner Mutter berichtete, ich sei »wirklich in guter körperlicher und seelischer Verfassung, obwohl das einzige etwas Ärgerliche an dieser Entwicklung ist, daß nun unser perfekter Zeitplan durcheinander geraten ist«.

Im April 1952 brachte ich unser viertes und letztes Kind, Stephen, zur Welt. Zwei Monate darauf schrieb mir Mutter zu meinem Geburtstag: »Vor 35 Jahren hast Du Deinen Eltern eine große Freude gemacht, als Du auf die Welt kamst. Und jetzt hat dieses herrliche Baby selbst schon vier Kinder! Möge Deine erstaunliche kleine Rasselbande Dir genausoviel Zufriedenheit und Glück bringen, wie Du uns immer gebracht hast!«

Das Verhältnis zwischen uns und meinen Eltern war weiterhin eng, aber schwierig. Die Beziehungen dieses Quartetts wurden zweifellos durch die diversen Gemeinsamkeiten nicht einfacher, die uns miteinander verbanden, sei es als Kind, Ehepartner, Elternteil, Freund, Mentor, Wohltäter oder eine Mischung aus mehreren dieser Rollen. 1950 stand Papas fünfundsiebzigster Geburtstag an, und meine Eltern waren nach Europa gefahren. Also erhielten Phil und ich von meiner Mutter den Auftrag, zu diesem Anlaß eine Feier zu organisieren. Wir veranstalteten eine kleine Party für ihn mit all seinen Enkeln und dann am Abend des folgenden Tages eine Dinnerparty für über hundert Gäste. Mutter hatte ihren Freund, den großen Pianisten Rudolf Serkin, dazu »verdonnert«, sich Papa zu Ehren ans Klavier zu setzen. Die Reden, die gehalten wurden, waren ausnahmslos passend und erfreulich. Joseph Pulitzer etwa sagte, von all den vielen Bankiers und Industriekapitänen, die sich Zeitungen zugelegt hätten, sei Eugene Meyer der erste und einzige, der sich als geborener Zeitungsmacher erwiesen habe.
Weil meine Eltern solche Feste liebten und sie stets bis zur Neige auskosteten, schienen wir immer irgend etwas zu feiern: ihre Geburtstage, ihren Hochzeitstag oder die Jubiläen der Post, seien es nun die Jahrestage der Gründung oder des Kaufs durch meinen Vater. Manchmal reisten wir um die halbe Welt zurück, um bei solchen Anlässen dabeisein zu können. Und immer bestand ein gewisser Druck, etwas auf die Beine zu stellen, ganz zu schweigen von der Anwesenheitspflicht.
Rituale im eigenen Leben beginnen oft zufällig und verfestigen sich dann zu bestimmten Mustern. Wir selbst entwickelten in jenen Jahren mehrere erfreuliche Rituale. Weil Phil die Kinder so selten sah, begannen wir, gemeinsam mit ihnen in Urlaub zu fahren.
Bei einer der ersten dieser Reisen wurde ich in St. Petersburg, Florida, in die Geheimnisse des Baseballs eingeführt, weil damals die New York Yankees dort trainierten und wir die Demonstrationsspiele besuchten. Später wurde auch ich - nicht zuletzt wegen Dons Begeisterung für dieses Spiel - Baseballanhängerin. Ich lernte sogar, den Spielstand zu verfolgen und aufzuzeichnen, weil auch Phil und Don dies gern taten. Nachdem wir den Fernsehsender in Jacksonville gekauft hatten, verbrachten wir unseren Urlaub an einem herrlichen Strand, der nur eine halbe Stunde von der Stadt entfernt lag. Daraufhin verlebten wir dort mehrere Jahre lang direkt nach dem Schuljahrsende im Sommer zehn wunderschöne Tage. Gleich nach der Rückkehr aus Florida gab es dann in Glen Welby eine Party für die Leute von der Post, um den Jahrestag des Erwerbs der Zeitung zu feiern. Wir hatten 1953, zum zwanzigsten Jahrestag, mit dieser Tradition begonnen, und es wurde ein alljährliches Ereignis daraus - allerdings auch eine große Belastung für mich, weil ich immer noch nicht perfekt gelernt hatte, Arbeit zu delegieren und Hilfskräfte richtig einzusetzen.
Der Partyservice nahm mir zwar viel Arbeit ab, aber ich mußte den Garten auf Vordermann bringen, das Haus saubermachen, meine Nachbarin mit den Blumenarrangements beauftragen. Ständig war ich in Bewegung und kümmerte mich um alle Einzelheiten - bis hin zu der Frage, wie viele mobile Toiletten man für hundertfünfzig Personen benötigte. Für das Jubiläum 1953 druckten wir eine Festzeitung über die Leistungen meines Vaters und die Fortschritte bei der Post, die unsere Lally vom Rücken eines kleinen geliehenen Maultiers aus an die Leute verteilte. Und Don zeigte eine kapitalistische Ader und kassierte am Ende der Zufahrtsstraße eine kleine Parkgebühr.

Durch seine vielen Verantwortlichkeiten und Interessen und trotz der ihm eigenen Fähigkeiten und Kenntnisse war Phil ständig überanstrengt. Das wirkte sich auf Dauer auf sein Leistungsvermögen und seine Gesundheit negativ aus. Er litt an zahlreichen Krankheiten und Beschwerden, die im Laufe der Jahre immer mehr zunahmen. Zwischen uns gab es Augenblicke höchster Anspannung, meistens wenn er zuviel getrunken hatte, und dann kam es fast unweigerlich zu einem heftigen Streit.
Es folgten zerknirschte Entschuldigungen und diszipliniertere Trinkgewohnheiten, gelegentlich schwor er dem Alkohol sogar eine Zeitlang ganz ab. Wann immer ich jedoch sah, daß er wieder zu trinken begann, erstarrte ich regelrecht. Ich hatte einen Horror vor den unvermeidlichen Auseinandersetzungen und machte mir übermäßige Sorgen. Wahrscheinlich wäre ich mit solchen Situationen besser zurechtgekommen, wenn ich ruhiger damit hätte umgehen können, aber das ging einfach nicht. Meistens lief Phil danach mit Schuldgefühlen herum, besonders wenn sich die unangenehmen Episoden gehäuft hatten.
Prekär war zum Beispiel ein Abend im Frühjahr 1954, als wir zusammen mit anderen als Gastgeber einer großen Party fungierten, die wir »Ball bankrott« nannten. Tom und Joan Braden waren nach Washington gezogen. Tom, gutaussehend und mit rauhem Charme, war beim CIA gewesen, und Joan war eine sehr starke Frau, blauäugig und mit sandfarbenem Haar, die auf das andere Geschlecht eine eigentümliche Faszination ausübte. Die Party fand in dem riesigen, fast leeren Haus auf der gegenüberliegenden Seite des Potomac in Virginia statt, in dem die Bradens damals mit ihrem ersten Kind - sieben sollten noch dazukommen wohnten.
Die Party war sehr schön und lustig, aber für mich war es einer jener allzu häufigen Abende, an denen Phil zuviel getrunken hatte. Auf unserem Heimweg vom Ball bat Phil mich, das Auto anzuhalten; er stieg aus und lief eine Weile zu Fuß, tobend vor Wut. Ich fuhr im Auto langsam neben ihm her. Schließlich stieg er wieder ein, und wir fuhren nach Hause.
Über Phils Alkoholismus wurde niemals Klartext geredet. Wenn er am Trinken war, konnte man das Thema ohnehin nicht anschneiden; und wenn er danach voll Reue und guter Vorsätze war, hoffte ich immer, er werde in Zukunft zum rechten Maß zurückfinden. Unsere Streitereien fanden niemals in der Öffentlichkeit statt, denn Phils Wutausbrüche kamen erst, nachdem wir die Veranstaltung oder Party verlassen hatten. Meistens ging es um Lappalien, konkret zu diskutieren gab es überhaupt nichts. Vielmehr suchte Phil regelrecht nach einem Anlaß, um seiner Wut freien Lauf lassen zu können, die sich aufgrund der dauernden Überlastung aufgestaut hatte. Natürlich hätte man in diesen Vorfällen auch erste Anzeichen seiner späteren psychischen Erkrankung sehen können, aber ich dachte überhaupt nicht daran, daß Phil krank sein oder an Depressionen leiden könne und daß hier die Ursachen für seinen Alkoholismus liegen könnten.
Trotz aller Probleme war ich vollkommen in Phils Leben einbezogen.
 Er hatte immer ein sehr ausgeprägtes Kommunikationsbedürfnis und haßte es, allein zu sein; deshalb begleitete ich ihn fast überallhin. Zu Hause wollte er immer mit mir reden; selbst wenn er ein Bad nahm, mußte ich dabeisitzen. Folglich wußte ich auch über alles in seinem Arbeitsalltag Bescheid - wen er getroffen, was er getan hatte, und wie alles lief. Besonders gut konnte er erzählen, was bei seinen vielen Herrenabenden geschah. Er hatte ein so exaktes Gedächtnis, daß er lange Gespräche wörtlich wiedergeben und ganze Abende bis in faszinierende Kleinigkeiten hinein nachgestalten konnte diese Aufführungen waren noch besser als die Originalveranstaltungen, weil Phil mit schlafwandlerischer Sicherheit das Interessante und Komische erfaßte. Gegen Langatmiges und Langweiliges hatte er dagegen eine große Aversion.
In der Anfangszeit brachte ich ihn oft mit dem Auto zur Post, oder ich holte ihn ab, oder beides, und spätabends lag ich häufig auf dem Sofa in seinem Büro, während er arbeitete. Getrennt voneinander unternahmen wir nur sehr wenig. Bei einem denkwürdigen Anlaß war ich doch einmal allein unterwegs, aber das sollte ein Einzelfall bleiben. Barry Bingham, der Besitzer des Louisville Courier-Journal, mit dem wir uns angefreundet hatten, hatte uns zum berühmten Pferderennen, dem Kentucky Derby, in seine Heimatstadt eingeladen, aber kurz vor unserer Abfahrt hatte Phil das Gefühl, er bekomme eine Grippe und müsse sich ins Bett legen.
Als ich die Binghams anrief und unseren Besuch absagen wollte, machten sie den Vorschlag, ich solle doch allein kommen. Ich kann mich noch genau erinnern, daß ich sehr überrascht war, als eigenständige Person gesehen und eingeladen zu werden, wollte aber den kranken Phil nicht gern allein lassen. Doch er bestand darauf, daß ich fuhr. Also reiste ich allein nach Louisville. Das ganze Wochenende bestand aus endlosen Partys und Pferderennen, wobei das wichtigste Rennen so schnell vorbei war, daß ich als Renn-Neuling ganz verwirrt war. Ich amüsierte mich prächtig, doch bei der Rückkehr traf ich auf einen wutschnaubenden Phil. Ja, er habe mich gedrängt zu fahren, das gab er zu. Doch eigentlich war es ihm gar nicht recht gewesen, und allein auf seinem Krankenbett zurückzubleiben hatte ihm überhaupt nicht behagt.
Wie seine Alkoholprobleme deutete ich damals auch Phils zunehmend angegriffene Gesundheit als Folge seiner Überlastung und als Tribut an den unablässigen Wettbewerbsdruck bei der Washington Post. Im Rückblick ist mir jedoch klar, daß diese Erkrankungen wahrscheinlich mit seinem grundlegenden Gesundheitsproblem zu tun hatten, für das es damals indes noch keine eindeutigen Anzeichen gab. Heute weiß ich, daß die schwierigeren Augenblicke bestimmt mit manisch-depressiven Stimmungsumschwüngen zusammenhingen. Doch wie alle anderen war ich von Phil geblendet. Sein geistreicher Witz, seine enorme Energie, seine hochfliegenden Phantasien und sein unbändiger Ehrgeiz, Herausragendes zu leisten (und dies auch von anderen zu verlangen), ließen mich ignorieren, daß Phil oft auch auf meine Kosten geistreich war. Häufig ließ er kritische oder schneidende Bemerkungen fallen, wenn etwas nicht genau seinen Vorstellungen entsprach - etwa im Haus oder bei meiner Kleidung. Natürlich gab es hier mehr als genug Anlässe für abschätzige Bemerkungen.
Seltsamerweise merkte ich damals aber nicht, daß er mich zwar durch mannigfache Hilfestellung ermutigte, zugleich aber auf seine Weise auch so demütigte, daß mein Selbstwertgefühl allmählich schweren Schaden nahm.
Trotzdem war Phil das belebende Element in unserem Leben. Bei Tisch und während unserer Aufenthalte auf dem Lande war er der Spaßmacher. Er hatte die Ideen, er machte die Witze, er schlug die Spiele vor, wobei er nach der Maxime handelte, daß es wichtig sei, mit den Kindern nur das zu unternehmen, was auch ihm selbst Spaß machte. Daher gab es keine langweiligen Brettspiele, sondern man ging zum Jagen und Angeln oder wanderte durch die Natur. Seine Ideen bestimmten unser Leben, alles drehte sich um ihn.
Ich kann mich noch erinnern, wie ich einmal herumjammerte, weil ich mir beim Tennisspiel das Knie verrenkt hatte, als ich auf einen Ball getreten war. Daß ich nun mitten im heißen Washingtoner Sommer mit einem Gipsbein herumlaufen mußte, verleitete mich zum Selbstmitleid. »Warum bin ich denn bloß nicht drei Zentimeter weiter nach rechts oder nach links, sondern genau auf den Ball getreten«, klagte ich. Und ich werde nie vergessen, wie Phil mich daraufhin ansah und lächelnd sagte: »Denk doch mal an all die Bälle, auf die du nicht getreten bist!« Das war zwar nicht gerade das, was ich in diesem Augenblick hören wollte, aber die Wahrheit, die in dieser Bemerkung steckte, hat mich mein ganzes Leben begleitet. Immer gelang es Phil, auf Anhieb zum Kern der Dinge vorzudringen.

Dummheit konnte er schwer ertragen. Ich erinnere mich, daß eines Abends ziemlich zu Beginn von Eisenhowers erster Amtszeit der neue Finanzminister George Humphrey mit seiner Gattin bei uns zum Abendessen eingeladen war. Ich hörte, wie Mrs. Humphrey Phil etwas vorstöhnte und sagte, welch großes Opfer es doch für ihren George gewesen sei, nach Washington zu kommen. Mit Schrecken hörte ich Phil darauf erwidern: »Mrs. Humphrey, darf ich Ihnen mal etwas ganz offen sagen?« - »Aber natürlich«, antwortete sie etwas voreilig, denn sie kannte Phil nicht. »Nun, Mrs. Humphrey, wenn Sie so etwas in Washington sagen, dann ist das so, als würden Sie bei einem Festbankett in Shaker Heights rülpsen. Wir meinen, daß es ein Privileg ist, Finanzminister in Washington zu sein.« Es versteht sich von selbst, daß unser Verhältnis zu den Humphreys danach keine großen Fortschritte mehr machte.
Was die Post betraf, so begannen unser aller Engagement sowie Phils Anstrengungen und harte Arbeit allmählich Früchte zu tragen. Trotz gelegentlicher Rückschläge und Arbeitskämpfe - in den späten vierziger Jahren kam es zu verschiedenen Kurz- und Bummelstreiks der Drucker und Materngießer - wurden die Exemplare der Post immer umfangreicher. Gelegentlich konnten wir in dieser Hinsicht sogar schon mit dem Star konkurrieren oder ihn gar übertreffen. Wichtige Schritte waren eingeleitet worden, um Qualität und Rentabilität der Zeitung weiter zu verbessern - eine Beilage mit dem Fernsehprogramm brachte zum Beispiel eine beträchtliche Auflagensteigerung. Die verbesserte technische Ausrüstung im neuen Gebäude führte zu einer besseren Druckqualität, und Experimente mit Farbdruck fügten eine neue Dimension hinzu. Ein breiterer Gewinnbeteiligungsplan für mehr Beschäftigte vermittelte der Belegschaft ein echtes Zusammengehörigkeitsgefühl.

Aus einem bankrotten Blatt war nun eine Zeitung geworden, die wenigstens keine größeren Verluste mehr machte; gerade auf wirtschaftlichem Gebiet waren die Fortschritte immens, vor allem seit dem Eintritt John Sweetermans. Deshalb schrieb Phil an John: »Wie sehr Ihnen doch die ganze Zeitung zu Dank verpflichtet ist! Sie haben alles getan, was ich mir je erhofft hatte, und sogar noch mehr, und Sie haben es - kaum zu glauben! - so schnell und besonnen erledigt, daß viele es gar nicht mitbekommen haben. Sie können jedoch sicher sein, daß ich nicht zu den letzteren gehöre.«
McCarthy und dem Zeitgeist jener Jahre zum Trotz, die für eine unabhängige Zeitung düstere Zukunftsaussichten heraufbeschworen, erlebten wir damals die größten Steigerungen des Anzeigenaufkommens und der Auflage in unserer gesamten Geschichte. Große Verbesserungen im redaktionellen Teil, besonders bei Nachrichten und Kommentaren, trugen ferner dazu bei, daß die Post immer mehr Leser sowie die Anerkennung immer breiterer Kreise fand. 1953 war ein sehr erfolgreiches Jahr.
Diese positiven Aussichten wurden durch einen Brief sogar noch verstärkt, den mein Vater Anfang 1954 erhielt und der die - wie ich immer noch meine - entscheidende Wende für unsere Verlagsgesellschaft einleitete: Er führte dazu, daß wir ganz unverhofft die Washington Times-Herald übernehmen konnten.
Der vertrauliche Brief kam von Vaters Freund Kent Cooper, dem ehemaligen Generalmanager von Associated Press, der sich in Palm Beach zur Ruhe gesetzt hatte. An jenem Morgen kam mein Vater, offensichtlich freudig erregt, an unsere Haustür und wedelte mit dem Brief. Als ich auf seine Frage: »Wo ist Phil?« erwiderte, Phil sei nach Jacksonville gefahren, sagte er: »Ich muß ihn sofort sprechen. Es ist ganz wichtig!« Mein Vater eilte also weiter zur Post, wo er John Sweeterman den Brief auf den Tisch warf und fragte: »Na, was sagen Sie nun?« Der Brief hatte folgenden Wortlaut: »Ich wüßte gern, ob Du irgendwann in allernächster Zukunft zufällig in Palm Beach bist, denn ich möchte gern mit Dir über eine geschäftliche Angelegenheit sprechen, die für Dich von großer Bedeutung ist.« Sweeterman antwortete: »Ich denke wahrscheinlich dasselbe wie Sie.« Beide wußten, daß Cooper ein guter Freund von Colonel McCormick war, daß er in dessen Nachbarschaft wohnte und daß er mit ziemlicher Sicherheit von der Times-Herald sprach. »Nun, warum versuchen wir nicht gleich, es herauszufinden?« erwiderte mein Vater und ließ sich sofort mit Cooper verbinden.
In geheimnisvollen Andeutungen fragte er: »Kent, hat diese >geschäftliche Angelegenheit<, von der du schreibst, mit dem Journalismus zu tun?« Cooper bejahte. »Und mit Washington?« Abermals lautete die Antwort ja. Da war er also, der große Augenblick, um den wir seit 1933 gekämpft, für den wir gebetet und auf den wir die ganze Zeit hingearbeitet hatten. Nach der Enttäuschung von 1949, als der Colonel in letzter Minute eingegriffen hatte, waren unsere Hoffnungen, daß McCormick überhaupt verkaufen würde, geschweige denn an uns, auf den Nullpunkt gesunken. Darum war die Aufregung, die Kent Coopers Brief nun hervorrief, um so größer. Zu dieser Situation hatten verschiedene Entwicklungen geführt, von denen wir einige kannten, andere nicht. Offenbar sahen die Leute von der Times-Herald mit eigenen Augen, daß sich unsere finanzielle Situation deutlich verbessert hatte. Ihrem eigenen Blatt ging es dagegen nicht annähernd so gut. Es stellte sich letztlich heraus, daß Colonel McCormick mit all seinen Mitteln und der ehrwürdigen Chicago Tribune im Hintergrund nicht im entferntesten der potente Herausforderer in Washington war, für den wir ihn alle gehalten hatten. Die Times-Herald befand sich selbst in einer Übergangsphase, denn 1951 hatte der Colonel seine Nichte Bazy Miller als Verlegerin des Blattes abgesetzt. Anlaß war, daß sich Bazy im Januar 1951 von ihrem Mann hatte scheiden lassen und einige Monate später einen Redakteur der Times Herald, Garvin Tankersley, geheiratet hatte. Hinzu kam jedoch vor allem, daß Bazy vor den Kongreßwahlen von 1950 ein rechtes Wahlkampfpamphlet gedruckt hatte, das von McCarthy kam und ein gefälschtes Bild enthielt, auf dem der Senator für Maryland, Millard Tydings, beim Händeschütteln mit dem KP-Chef Earl Browder zu sehen war. Nach verlorener Wahl hatte sich Tydings über diesen Beitrag zu seiner Niederlage öffentlich beschwert.
Dies alles hatte den Colonel, einen puritanisch sittenstrengen, ethisch verantwortungsbewußten Mann, schockiert. Er hatte Bazy durch Manager der Chicago Tribune ersetzt, die sich jedoch im Washingtoner Lokalbereich überhaupt nicht auskannten und auch nicht wußten, wie man eine Hauptstadtzeitung führt. Dadurch hatten sich die Probleme bei der Times Herald nur noch vergrößert. Wir ahnten allerdings nicht, daß das Konkurrenzblatt bereits Tausende von Abonnenten verloren hatte und pro Jahr mindestens eine halbe Million Dollar Verluste machte. Hinzu kam, daß der Colonel älter wurde und daß es mit seiner Gesundheit nicht mehr zum besten stand. Die Ärzte hatten ihm geraten, seinen Verantwortungsbereich deutlich zu reduzieren, und das Washingtoner Blatt, das ihm ohnehin Kopfschmerzen bereitete, war daher ein naheliegendes Verkaufsobjekt.
Kent Cooper behauptete später immer, er sei es gewesen, der Colonel McCormick überredet habe, an uns zu verkaufen.
 Doch Frank Waldrop sah die Sache anders: Der Colonel, ein großzügiger Mann, habe Cooper als Mittelsmann fungieren lassen, damit er ihm eine Art »Finderlohn« zukommen lassen konnte. Die Wahrheit liegt wahrscheinlich irgendwo in der Mitte. Der Colonel wußte zweifellos, daß die Times-Herald der Post mehr wert war als irgendeinem anderen Interessenten. Allerdings blieb die Tatsache, daß McCormick von meinem Vater durch tiefgreifende Meinungsunterschiede getrennt war, die erst einmal überbrückt werden mußten. Auch fiel es dem Colonel sicher nicht leicht, an seinen seit langem schärfsten Konkurrenten zu verkaufen. Positiv stand dem allerdings gegenüber, daß McCormick großen Respekt vor meinem Vater hatte. Was auch immer die wahren Gründe gewesen sein mochten, der Colonel hatte sich zum Verkauf entschlossen, und Kent Cooper war der Botschafter, der diese Nachricht überbringen sollte.
Mein Vater und John Sweeterman fuhren mit dem Nachtzug nach Palm Beach und marschierten dort schnurstracks ins Brazilian Court Hotel, wo Phil auf sie wartete. Dann ließen Phil und John meinen Vater allein mit Kent Cooper sprechen. Die Botschaft lautete, Colonel McCormick wolle aus dem Verkauf der Zeitung lediglich erlösen, was er selbst an Geld hineingesteckt hatte: 8,5 Millionen Dollar. Mein Vater sagte sofort: »Abgemacht.« Diese Summe lag etwas unter der Höchstgrenze, bis zu der die drei Männer zu gehen bereit gewesen waren. Cooper betonte, daß absolute Verschwiegenheit unverzichtbar sei; sollte irgend etwas vorzeitig an die Öffentlichkeit dringen, sei der Colonel gezwungen, die Gespräche sofort zu beenden. Mit der Zusage, daß Cooper meinen Vater später am Nachmittag wieder anrufen wolle, sobald er die Möglichkeit gehabt habe, mit dem Colonel zu sprechen, ging man auseinander.
Als Cooper wieder anrief, bestätigte er McCormicks Verkaufsabsicht. Der Colonel könne jedoch nichts endgültig entscheiden, ehe er die Sache mit seinen Aktionären besprochen habe. All dies werde allerdings mehrere Wochen in Anspruch nehmen, weil ihm die Ärzte geraten hätten, nicht vor dem 15. März aus Florida nach Chicago zurückzukehren. Erst nach diesem Datum könne er mit seinen Direktoren und Aktionären sprechen und sich die Vollmacht für Verhandlungen mit meinem Vater geben lassen. Cooper sagte, wir sollten uns aber keine Sorgen machen, wir hätten McCormicks Wort. Das war beruhigend, und doch erschien uns allen die sechswöchige Schweigepflicht wie eine Ewigkeit.
Phil, John und mein Vater kehrten nach Washington zurück. Das so lange anvisierte Ziel schien nun in Reichweite zu sein, doch bis alles offiziell besiegelt war, handelte es sich um nicht mehr als ein ermutigendes Versprechen. Es war fast zu schön, um wahr zu sein. Daß der Colonel an uns verkaufen würde - dieses Szenario war in unseren kühnsten Träumen nicht vorgesehen gewesen. Meine Eltern hatten eine Urlaubsreise nach Jamaika geplant und fragten sich nun besorgt, ob sie die Reise nicht lieber absagen sollten. Doch Phil drängte sie zu fahren, und sie brachen Ende Februar auf. Am Samstag, den 13. März, rief Cooper Phil mit der Nachricht an, er werde in Kürze von einem Repräsentanten der Tribune hören, woraufhin Phil meinen Eltern sofort ein Telegramm schickte, sie möchten bitte nach Hause kommen. Am selben Abend klingelte um sieben Uhr das Telefon. Ich ging an den Apparat in der Bibliothek.
 Der Anrufer war Chess Campbell, Vice President der Tribune-Verlagsgesellschaft. Als Phil am Apparat war, sagte Campbell: »Ich kann es fast nicht glauben, aber ich habe den Auftrag bekommen, Ihnen die Times-Herald zu verkaufen.«
Um neun Uhr holten wir an diesem Abend gemeinsam mit John Sweeterman meine Eltern vom Flughafen ab und fuhren zusammen in ihr Haus am Crescent Place. Dort gingen die drei Männer sofort daran, genaue Pläne zu machen. Phil wußte, daß alles sehr schnell und mit größter Diskretion abgewickelt werden mußte. Deshalb wurden unsere Anwälte und Finanzberater für den nächsten Morgen um zehn Uhr zu einer Sitzung im Haus am Crescent Place einberufen. Direkt im Anschluß an diese Sitzung machte sich Phil mit Sweeterman und Floyd Harrison - rechte Hand meines Vaters und Finanzchef der Post - auf den Weg zu Verhandlungen mit Campbell. Gleichzeitig setzten die Anwälte in Washington unter Beteiligung von Kartellrechtsexperten den Entwurf eines Kaufvertrags auf.
Phil stimmte im wesentlichen zu, die von McCormick für die Zeitung geforderten 8,5 Millionen Dollar zu zahlen, und war auch bereit, Abfindungen für jene Times-Herald-Beschäftigten zu zahlen, die von der Post nicht übernommen würden. Dadurch kam noch ungefähr eine weitere Million zusammen.
Nach der Übergabe des schriftlichen Kaufangebots an die Leute von der Tribune kam Phil mit meinem Vater nach Hause und rief die wichtigsten Leute bei der Post an.
Diese trafen sich anschließend in unserem Haus, und Phil erläuterte ihnen die Grundzüge der geplanten Transaktion. Seine Zusammenfassung lautete: »Wenn alles klappt, dann werden wir schon in drei Tagen auch nachmittags erscheinen.« Er bat alle, genau darüber nachzudenken, was das in der Praxis bedeute, vorerst aber noch mit niemandem darüber zu sprechen, auch nicht mit ihren Ehefrauen.
Der Kaufvertrag wurde mit nur geringfügigen Änderungen akzeptiert. Phil, der, obwohl er selbst Anwalt war, angesichts juristischer Prozeduren immer zur Ungeduld neigte, sagte später - nach dem vierundzwanzigstündigen Verhandlungsmarathon -, er habe immer gewußt, daß die Sache machbar sei. Der Vertrag wurde persönlich ins Gebäude der Times Herald gebracht, wo gerade eine Aktionärsversammlung der Tribune tagte. Erst zu diesem Zeitpunkt erfuhr Bazy Tankersley erstmals von dem anstehenden Verkauf. Wie ein Sitzungsteilnehmer berichtete, sah sie aus, »als sei sie vom Blitz getroffen worden«. Sie bat um einen Aufschub, um selbst das Geld für den Kauf zusammenbringen zu können, doch Colonel McCormick, der die Sitzung selbst leitete, erhielt die Zustimmung der Versammlung für den Verkauf. Bazy wurde lediglich eine Frist von 48 Stunden eingeräumt, um selbst den Kaufpreis aufzubringen - bis zur Sitzung des Aufsichtsrats der Tribune am Mittwoch der betreffenden Woche. Sie erhielt allerdings die Auflage, niemandem sagen zu dürfen, wozu sie das Geld benötigte - was die Sache von vornherein praktisch unmöglich machte.
Am Dienstagmorgen brach der Colonel nach Chicago auf - und wir schmorten in der Ungewißheit, ob es Bazy gelingen werde, die benötigte Summe aufzutreiben. Phil und Chess Campbell trafen sich am Dienstag nochmals in dessen Hotelsuite im Ritz Carlton.
Gleichzeitig überbrachten in einer anderen Suite des Hotels Manager der Tribune-Verlagsgesellschaft den leitenden Angestellten der Times-Herald die Nachricht vom Verkauf, ehe dann Phil das Wort an sie richtete. Während Phils Rede betrat Campbell den Raum und schlich mit besorgter Miene umher. Als er unter Stühlen und Tischen herumkroch, fragte ihn Phil, was er denn suche. Campbell antwortete: »Wenn Sie's genau wissen wollen: den offiziellen Brief von Ihnen und Mr. Meyer.« Sofort ging Phil ebenfalls auf die Knie, und gemeinsam suchten die beiden auf allen vieren den ganzen Raum ab. Schließlich rief Campbell bei seinem Anwaltsbüro an. »Oh«, entgegnete einer der Anwälte, »dieses Dokument haben wir hier. Das würden wir doch niemals aus der Hand geben.« Diese Episode zeigt anschaulich die Konfusion und Eile bei der Abwicklung der gesamten Transaktion. Phil hatte einen der wichtigsten Zeitungskäufe der Pressegeschichte in nur 24 Stunden zuwege gebracht - wobei er von meinem Vater auf der ganzen Linie unterstützt wurde, nicht zuletzt finanziell.
Ebenfalls am Dienstag rief Phil John Hayes, einen Manager der Washington Post Company, zu sich in sein Büro und übergab ihm einen Scheck der American Security and Trust Company über 1,5 Millionen Dollar als Anzahlung für die Times-Herald. Aus Sicherheitsgründen war dieser Scheck, wie John zu seiner Verblüffung bemerkte, auf seinen Namen ausgestellt. Anschließend wurde John nach Chicago gesandt, um den Scheck persönlich zu übergeben. Phil lag derart viel daran, daß John sein Ziel auf jeden Fall erreichte, daß er ihn lieber den Nachtzug als ein Flugzeug nehmen ließ. So war wenigstens das Risiko, den Scheck (und John) bei einem Flugzeugabsturz zu verlieren, ausgeschlossen.
In der Zwischenzeit leiteten die Post-Manager hinter den Kulissen die erforderlichen Schritte ein, um nach rechtskräftig erfolgtem Kauf der Times-Herald eine gemeinsame Zeitungsausgabe herausbringen zu können. Russ Wiggins weihte deshalb auch einige seiner wichtigsten Mitarbeiter in das Geheimnis ein.
Man stellte eine Liste mit den Leuten bei der Times-Herald auf, die interviewt werden sollten. Don Bernard, unser Anzeigenchef, mietete eine Suite im Mayflower Hotel, um mit seinen Managern zu konferieren. Deren erste Aufgabe sollte naturgemäß darin bestehen, die Inserenten der Times-Herald anzurufen und zu fragen, ob ihre Anzeigen auch in der vereinigten Zeitung erscheinen sollten.
Am Mittwochmorgen kam Hayes im Tribune Tower in Chicago an, wo ein höchst erregter Rechtskonservativer ständig in Colonel McCormicks Büro stürzte, um bald darauf wieder hinauszustürmen. Er unternahm endlose Versuche, den Colonel umzustimmen und ihm vom Verkauf des - erzkonservativen - Blattes an uns statt an Bazy abzuraten. Wie in Time zu lesen war, hatte Bazy eine lange Liste wohlhabender Konservativer als potentielle Geldgeber zusammenbekommen. 4 Millionen Dollar waren schon beisammen, und Bazy wünschte eine Fristverlängerung, um weitere Geldgeber gewinnen zu können. Doch der Colonel lehnte ab er wollte nicht an Amateure verkaufen. Meinen Vater respektierte er als professionellen Zeitungsmacher.
Wir - Phil, meine Eltern, John Sweeterman und Floyd Harrison saßen in Phils Büro. Von dort aus riefen wir John Hayes bei der Tribune an und hielten diese Leitung ständig in Beschlag, während wir auf die Nachricht von der Zustimmung des Aufsichtsrats warteten.
Wir wechselten uns ständig im Gespräch mit John ab, damit die Leitung nicht unterbrochen werden konnte. Schließlich gab der Aufsichtsrat seine Zustimmung zum Verkauf; der Scheck wurde übergeben, und Colonel McCormick unterzeichnete den Kaufvertrag. Hayes eilte zurück ans Telefon und sagte: »Ich hab ihn. Alles klar. Lassen Sie mich kurz berichten ...« - »Auf Wiederhören, danke, wir müssen jetzt los«, unterbrach ihn Phil und legte auf. Es war für uns ein äußerst bewegender Augenblick, und wir waren unvorstellbar erregt. Nach lauten Jubelrufen sagte ich, soweit ich mich erinnere, zu Phils langjähriger Sekretärin, wir dürften jetzt nicht den Anschein des Triumphes erwecken, aber ich muß es mit einem strahlenden Gesicht gesagt haben. Und dieses Strahlen hätte ich trotz aller Versuche, es zu unterdrücken, nicht aus meinem Gesicht verbannen können. Es war 12.44 Uhr mittags am St. Patricks Day des Jahres 1954 - ein herausragender Augenblick in der Geschichte der Washington Post Company. Bei den Morgenzeitungen beherrschten wir nun allein das Feld, und die tägliche Auflage stieg auf einen Schlag von 204 000 auf 395 000, die Sonntagsauflage von 200 000 auf 395 000. Der Nachmittag und der Abend vor dem Erscheinen der vereinigten Zeitung erwiesen sich jedoch als enorme Herausforderung.
Bei einer so kurzen Planungs- und Vorlaufzeit verlief natürlich alles chaotisch. John Sweetermans Job war es gewesen, die Stellung bei der Post zu halten und die Planungen, so gut es ging, voranzutreiben - immer unter der Voraussetzung, daß der Kauf rechtskräftig werde. Sein Generalplan wurde dann umgesetzt und ermöglichte, daß überhaupt so schnell die erste gemeinsame Ausgabe erschien. Natürlich brachte uns der Kauf auch Probleme ein. Dadurch, daß wir alle Features der Times-Herald übernahmen, hatte die neue Ausgabe den mehr als doppelten Umfang einer großformatigen Zeitung, und das bereitete schon allein drucktechnisch erhebliche Schwierigkeiten. Problematisch waren auch die Mitarbeiter der Times-Herald, die nicht von der Post übernommen wurden; es ergaben sich unweigerlich Konflikte mit den Gewerkschaften. Überdies gibt es, wenn eine Stadt eine Zeitung verliert, immer gewisse Spannungen, Enttäuschungen, heimatlos Gewordene sowie das Gefühl, eine wichtige Stimme sei zum Schweigen gebracht worden. Gleichwohl existierten in Washington noch immer drei Zeitungen; die Leute hatten nicht das Gefühl, auf Gedeih und Verderb von der Meinung einer einzigen abhängig zu sein. Insofern unterschied sich die Situation immer noch deutlich von jener, die sich später in den meisten anderen Städten ergab. Als schwierig erwies sich auch die Vereinigung des Nachrichten- und Kommentarteils, denn hier waren ja zwei sehr gegensätzliche Richtungen zusammenzuführen.
Die Times-Herald richtete sich mehr an das Massenpublikum; unsere Leserschaft stand für Klasse statt Masse. Die Times-Herald war mit Features geradezu überladen: Comics, Kolumnen - vor allem aus der Feder konservativer Kolumnisten -, Sport, Klatsch, Sex und Verbrechen. Die Post war seriöser und setzte nicht so sehr auf unterhaltende Beiträge. Um der zu erwartenden Kritik von vornherein den Wind aus den Segeln zu nehmen, übernahmen wir aus der Times-Herald so gut wie alle Features (mit Ausnahme einiger weniger für Phil und Russ absolut ungenießbarer Elemente). Die Abonnenten der Times-Herald sollten auch in der neuen Zeitung noch alles finden, was ihnen lieb und wert war. In der ersten gemeinsamen Ausgabe an jenem Abend waren im Kopf beide Namen gleichrangig nebeneinander plaziert: The Washington Post and Times-Herald. Im Lauf der Jahre wurde dann die Schriftgröße von »Times Herald« immer kleiner, bis dieser Namensbestandteil schließlich ganz verschwand. Durch die Zeitungsfusion deckten wir nun den ganzen Markt ab.
Ja, die neue Kombination erwies sich sogar als zugkräftig. Von gewissen Überlappungen abgesehen, konnten wir die Gesamtauflage beider Blätter halten und auf dieser neuen Grundlage sogar noch steigern. Das war zum großen Teil das Verdienst von John Sweeterman. Er hatte einfach allen Abonnenten der Times-Herald die neue Zeitung weitergeliefert - selbst wenn sie versuchten, die Zeitung abzubestellen. So konnten die Abonnenten das neue Blatt in Ruhe durchsehen und feststellen, daß ihre Lieblingsfeatures überlebt hatten. John sagte dazu: »Sie wurden von uns einfach mitgenommen, und nach einer Weile bezahlten sie dann bei den Trägern auch wieder ihre Rechnungen.« Zusammen mit der Auflage der Times-Herald, die wir halten konnten, beherrschten wir jetzt den Markt der Morgenzeitungen im Großraum Washington zu 70 Prozent.
Eines der wichtigsten Themen, das schon in den wenigen Tagen akut wurde, die wir für die Obernahme der Times-Herald benötigten, war die kartellrechtliche Seite dieses Kaufs. Unser Anwalt Gerry Gesell behandelte dieses hochsensible Thema mit größter Sorgfalt. Wir wollten eigentlich nur das Betriebsvermögen der Times-Herald kaufen, nicht jedoch die Aktien, weil nach dem Clayton Antitrust Act in einem solchen Fall zwar der Aktienerwerb verboten war, nicht jedoch der Kauf der Betriebsanlagen. McCormick hingegen wollte gerade seine Aktien verkaufen, um sich den Personalproblemen und anderen heiklen Fragen entziehen zu können, für die er als Mehrheitsaktionär sonst weiter zuständig gewesen wäre. Er wollte einfach den kompletten Zeitungsverlag verkaufen.
Offenkundig gab es in diesem Punkt für uns keinen Verhandlungsspielraum, und so hatten unsere Anwälte Fritz Beebe und Fontaine Bradley eine Konstruktion erarbeitet, der zufolge der Kauf sofort wirksam wurde, woraufhin dann die Verlagsgesellschaft Times-Herald Company umgehend aufgelöst wurde. Das Betriebsvermögen sollte auf die Washington Post Company übergehen. So geschah es dann auch.
Alle Bankkonten wurden auf die neuen Eigentümer übertragen. Gesell rief unseren Freund Graham Claytor aus Roanoke zur Unterstützung herbei, den späteren Marineminister und Chef der Eisenbahngesellschaft Southern Railroad. Claytor sollte sich ausschließlich dem wichtigsten Bankkonto der Times Herald Company widmen, damit kein Geld übrigblieb. Es blieb überhaupt nichts übrig, weder in den Büchern noch sonstwo, das den Anschein erweckte, daß besagte Firma noch existierte.
Unmittelbar nach der Firmenauflösung erhielt Phil einen Telefonanruf vom Leiter der Kartellabteilung des Justizministeriums: Man habe gerüchteweise gehört, daß die Washington Post dabei sei, die Times-Herald zu übernehmen, und er wolle so schnell wie möglich mit dem Anwalt der Post sprechen. Phil rief Gesell an, und dieser machte sich allein auf den Weg ins Justizministerium. Wie sich Gesell später erinnerte, traf er den Abteilungsleiter in dessen Büro in Gegenwart von neun ranghohen Ministerialbeamten an:

  • Die meisten von ihnen kannte ich ... und es gab lauter ernste Mienen ... (Ein Beamter des Justizministeriums) sagte: »Wie wir aus zuverlässigen Kreisen erfahren haben, kauft die Post die Times-Herald.« Ich sagte: »Da haben Sie völlig recht. Sie hat sie bereits gekauft.« ... Und er sagte: »Ich bitte Sie, beide Gesellschaften getrennt weiterbestehen zu lassen, bis wir die Sache untersucht haben.« Da sagte ich: »Tut mir leid, das geht nicht mehr. Wir haben die Gesellschaft bereits liquidiert, sie existiert nicht mehr.« »Wir werden den Fall trotzdem auf jeden Fall untersuchen«, erwiderte er. Und ich sagte: »Wie Sie wollen. Ich bin aber ganz sicher, daß alles legal ist.«

Im Kartellrecht gibt es eine Ausnahmeklausel für Konkursfälle (»failing company doctrine«), der zufolge kartellrechtlich bedenkliche Firmenzusammenschlüsse möglich sind, wenn beide beteiligte Firmen in Konkurs gehen. Diese Bestimmung hatte auf Zeitungsverkäufe zwar noch nie Anwendung gefunden, weil Zeitungen fast immer potente Käufer fanden, doch Gesell hatte beschlossen, sich auf diese Klausel zu stützen.
Viele Konservative, einige davon im Kongreß, waren von dem Gedanken regelrecht schockiert, daß ihnen nun ein Sprachrohr vom - ihrer Meinung nach - verrückten liberalen Zweig des amerikanischen Journalismus genommen werden sollte. Sie setzten das Justizministerium unter Druck, auf jeden Fall ein Kartellverfahren wegen Monopolverdachts einzuleiten.
Sogar Clare Boothe Luce (ausgerechnet sie!) sagte Phil und mir eines Abends, dies sei für eine Familie auf jeden Fall zuviel Meinungsmacht. Und doch fand keinerlei kartellrechtliche Untersuchung statt.
Eine eher traurige Folge der Übernahme der Times-Herald war ein Brief von meiner Schwester Florence an meinen Vater. Flo, die die meiste Zeit ihres Lebens sehr unglücklich und fast immer eine Außenseiterin der Familie war, wählte diesen Augenblick, um sich zu beschweren, daß ihre Abwesenheit nun dazu geführt habe, daß sie und ihre Söhne gewisse finanzielle Verluste zu beklagen oder zumindest einen Teil eines wertvollen Besitzes verloren hätten. Mein Vater schrieb zurück, dies sei nicht der Fall; durch die Transaktion werde niemand in der Familie ärmer. Später berichtete er uns von Flos positiver Reaktion auf diesen Brief.
Eine der interessanten Begleiterscheinungen der ganzen Sache wird in der folgenden Anekdote deutlich.
Als gerade Kauf und Übernahme der Times-Herald abgewickelt wurden, druckte die Post einen unserer Meinung nach gemäßigten Kommentar zu einer Fernsehansprache von Vizepräsident Nixon ab. Nixon hatte in dieser Rede en passant gesagt: »Und wo wir gerade bei Außenminister Dulles sind, ist es nicht wunderbar, endlich einen Außenminister zu haben, der es nicht mit den Kommunisten hält und sich gegen sie zur Wehr setzt? Jetzt können wir sicher sein, daß die Siege, die unsere Männer auf dem Schlachtfeld erringen, in Zukunft nicht mehr von unseren Diplomaten am Verhandlungstisch wieder verloren werden.«

Unser Kommentar war auf Phils Anordnung, die er erteilt hatte, bevor er zu den entscheidenden Verhandlungen aufgebrochen waren, moderat ausgefallen - für Nixons Geschmack jedoch nicht moderat genug. Also rief er bei Harry Gladstein, unserem Vertriebsmanager, an und kündigte sein Post-Abonnement - sowohl das private als auch das dienstliche für sein Büro. Darauf Harry zu Phil: »Was meinen Sie wohl, was der jetzt morgens macht, wenn er entdeckt, daß er keine Alternative mehr hat?«


Während in meiner Erinnerung der Eindruck vorherrscht, daß unser ganzes Leben davon abhing, daß wir die Times-Herald bekamen, hat John Sweeterman ganz andere Erinnerungen an diese Zeit - und wahrscheinlich kommen diese den Tatsachen näher. Laut John hätten wir, wenn es nicht so gekommen wäre, wie es kam,

  • den Kampf auf jeden Fall durchgestanden. Wir waren schon drauf und dran, die Times-Herald zu schlagen. Ja, wir hatten sie sogar schon im Sack. Alle Anzeichen sprachen für uns ... Die Basis der Times-Herald war einfach nicht ausreichend. Sie war eine Zeitung vom Hearst-Typ, immer angespannt, den ganzen Tag über mit neuen Ausgaben auf dem Markt, und das ist auf jeden Fall schon ziemlich verrückt ... Die Times Herald hätte so nicht weitermachen können. Sie hätte nicht mehr lange den ganzen Tag erscheinen können, weil das einfach zu teuer war. (Sie) verloren schon laufend Geld, mehr als wir, deshalb wären sie irgendwann früher oder später auch dahin gekommen, nicht mehr den ganzen Tag zu erscheinen. Sie wären eine reine Morgenzeitung geworden ... Und dann wäre es zu einer echten Entscheidungsschlacht gekommen ... Das wäre ein langsamerer, kostspieligerer Weg gewesen, aber ich glaube, wir hätten auch so gewonnen. Ich glaube nicht, daß das wirklich in Frage stand.

Und doch war auch der Eindruck, den Phil und ich hatten, nicht ganz verkehrt. Denn die Übernahme war der beste und schnellste Weg in eine gesicherte Zukunft. Warum hätten wir jahrelang mühselig kämpfen sollen, wenn es auch einfacher ging? Ich habe indes nicht den geringsten Zweifel, daß uns der Überlebenskampf gutgetan hat. Im Geschäftsleben muß man wirklich selbst erlebt haben, was es heißt, arm und in ständiger Anspannung zu sein und gegen große Widerstände ums Überleben kämpfen zu müssen. Viele der jungen Leute, die heute bei der Zeitung sind, neigen zu der Ansicht, die Wahl der Leser sei von selbst auf die Post gefallen, und dieser Zustand sei eine Selbstverständlichkeit. Nein, wir alle hatten im tiefsten Innern Angst, wir könnten wie die Familie des Star eines Tages zu bequem und selbstgenügsam werden. In unserer Familie, bis hin zu Donald Graham, der den Überlebenskampf der Post als Kind bewußt miterlebt hat, ist besorgte Wachsamkeit das Prinzip.

Für unseren außerordentlichen, unerwartet großen Erfolg mußten wir allerdings auch einen Preis bezahlen - wir hoben die Anzeigenpreise an, aber nicht genug, um den massiven Anstieg der Auflagenhöhe wettzumachen. Die neue Zeitung erlitt deshalb im ersten Jahr einen Verlust in Höhe von 238 000 Dollar. Aber das war letztlich unwichtig. Einundzwanzig Jahre, nachdem mein Vater die Post gekauft hatte, und fünf Jahre nach Phils abgrundtiefer Enttäuschung über den im ersten Anlauf gescheiterten Kauf der Times-Herald hatte die Post ihren Konkurrenten aufgekauft. Dies war wahrscheinlich die erfolgreichste Zeitungsfusion aller Zeiten: Über Nacht konnte die Auflage verdoppelt und die Zeitung in eine wesentlich bessere Zukunft katapultiert werden. Diese Übernahme machte unsere Verlagsgesellschaft lebensfähig. Unserer Zukunft konnten wir jetzt selbstgewiß entgegensehen, auf dieses Fundament konnten wir bauen.