Wir kamen am Samstag, dem 2. April, in Bombay an und wurden von einem älteren Parsen mit einem glänzenden schwarzen Hut an Bord unseres Schiffes gebracht. Er stellte sich als der von uns engagierte Agent vor, der uns bei den Zollformalitäten behilflich sein sollte, und unser Mut sank, denn er entsprach nicht unbedingt dem Bild eines dynamischen, umgänglichen und fähigen Zeitgenossen, so wie wir uns ihn vorgestellt hatten. Wir fanden jedoch bald heraus, dass dynamische Leistungsfähigkeit im Vergleich zu Geduld und Gerissenheit beim Umgang mit den indischen Zollbehörden recht wertlos ist, und gewannen einen guten Freund in dem alten Herrn. Vor dem Zoll mussten wir jedoch erst einmal an unser Gepäck herankommen. Die P & O-Dampfschiffverkehrsgesellschaft dachte bei dem Wort Expedition anscheinend in Größenordnungen, wie sie für den Everest oder Kangchenjunga nötig sind, denn alle Expeditionen mussten ihre Ausrüstung als Frachtgut deklarieren. Unsere wenigen Kisten und Gepäckstücke sahen hingegen im Frachtraum wahrscheinlich sehr unbedeutend aus. Man sagte uns, dass Frachtgut immer in kleinen Booten an Land gebracht wurde, die manchmal tagelang im Hafen herumdümpelten, bevor man sie schließlich an irgendeinem weit entfernten Kai entlud. Ein dicker mittelgroßer Mann erklärte uns, dass unsere Sachen wahrscheinlich schon verladen wären. Zukünftigen Expeditionen unserer Größenordnung möchte ich dringend raten, ihre Ausrüstung als Haushaltszubehör auszuweisen, denn sollte jemand die außergewöhnliche Idee haben, ein Haus auf einem Gletscher zu errichten, sind Kompass, Schlafsäcke und Seile wichtige Einrichtungsgegenstände.
Am Montag fanden wir unsere 32 Kisten schließlich unversehrt in einem Stapel am Pier, allerdings waren sie nun in Händen der Zollbehörden, die mit der Abfertigung keine Eile hatten. Um nicht hundert Prozent Steuern auf unser gesamtes Gepäck zahlen zu müssen, hatten wir einen komplizierten Schuldschein zu unterschreiben. Gedanken an einen frühen Monsun-Einbruch und die Vorstellung, unser Rückweg aus den Bergen könnte von reißenden Gebirgsflüssen abgeschnitten werden, veranlassten uns dazu, uns nicht auf unseren weiblichen Charme zu verlassen, sondern die gewünschten Listen und Genehmigungen noch bevor sie angefordert wurden abzuliefern. Das war die richtige Taktik, denn die Beamten hatten uns für unerfahren und naiv gehalten, und unser Vorbereitetsein warf sie buchstäblich um: Am Ende des Tages hatten sie die Dramatik der Situation erschöpfend ausgekostet, und die Kisten gehörten uns. Wir hatten diese Angelegenheit in Rekordzeit geschafft! Innerhalb der nächsten Stunde zogen wir uns um, packten unsere persönlichen Sachen und nahmen triumphierend den Postzug nach Delhi. Unsere Freunde, bei denen wir übernachtet hatten, entließen uns mit unverhohlener Erleichterung. Als wir versprachen, Fotos zu senden, antworteten sie schwach: »Vielen Dank, aber wir haben schon genug Erinnerungen an diese Expedition.« In den folgenden Tagen kamen auch wir immer mehr zu dieser Ansicht.
Unser Weg führte nach Norden durch eine Ebene, die wie eine immense rissige Betonplatte aussah. Die Bahnstationen wurden immer kleiner und die Zeit zum Umsteigen in andere Züge mit unseren 32 Kisten verkürzte sich ständig. Im Frauenwarteraum von Lucknow waren einige Herren, vor denen die anwesenden Frauen pflichtbewusst ihre Schleier senkten. Es gab auch einen Warteraum für Männer, in dem sich ein paar Frauen fröhlich unterhielten; es schien also egal zu sein, welchen man wählte. Affen kreischten vor den Fenstern, und im Bahnhof roch es übel, es war laut und unerträglich heiß. Als wir etwa zwei Monate später auf unserer Rückreise wieder nach Lucknow kamen, rief Evelyn begeistert: »Was für ein wunderschöner Bahnhof!« Ein Zeichen, wie sehr sich unsere Maßstäbe in der folgenden Zeit veränderten. Unseren Tiefpunkt erreichten wir in Saguali, einem Außenposten unweit der nepalesischen Grenze in der heißen, malariagefährdeten Terai-Ebene. Wir verpassten unseren Anschlusszug dort um eine Stunde. Damals waren indische Züge noch nicht so pünktlich wie heute, und der Bahnhofsvorsteher hatte keine Möglichkeit, den Zug aufzuhalten. Den größten Teil des Tages verbrachten wir auf einer Plane liegend im »Warteraum für Damen der gehobenen Klasse«. Evelyn und ich hatten bis dahin keinerlei Verständnis für die Mentalität der Leute aufbringen können, die in Indien massenweise auf Straßen und Plätzen »herumliegen«. Jetzt waren wir selbst in genau der gleichen Lage und fanden es sogar zu anstrengend, die unzähligen Fliegen zu vertreiben. Irgendwann kam schließlich der Abendzug und brachte uns über die diesige, vom Mond beschienene Terai-Ebene nach Raxaul an der indisch-nepalesischen Grenze. Ein junger Mann, Mitglied der adligen Rana-Familie aus Nepal und gerade zurück von seinem Urlaub bei der indischen Handelsmarine, war auf der Fahrt mit uns ins Gespräch gekommen. Er nannte uns »Schwestern« und schenkte uns Souvenirs und Fotos - auf einem war ein riesiges Porträt von Königin Victoria über einigen königlichen Hoheiten aus Nepal im Inneren eines Rana-Palastes zu sehen. Außerdem redete er unaufhörlich über Religion und die Politik seines Landes und sang uns Lieder aus Japan, Jugoslawien und aus Broomielaw vor. Wir waren zu erschöpft, um ihm zuzuhören. In Raxaul führte uns ein liebenswerter kleiner Nepalese, der stotterte, zum Bungalow der indischen Botschaft, wo wir uns in einer großen, in gefülltem Zustand sehr lauten Zinnbadewanne wuschen und danach unter unseren Moskitonetzen sofort in tiefen Schlaf fielen.
Wir wollten über die Dschungelgebiete des Terai und das Himalaya-Vorgebirge nach Kathmandu fliegen. Damals führte noch keine Fahrstraße zu der nepalesischen Hauptstadt, obwohl das indische Militär gerade dabei war, eine zu bauen, breit genug für Dreitonner. Sie wurde gerade rechtzeitig fertig, um stellenweise von den beginnenden Monsun-Regenfällen wieder weggewaschen zu werden. Die einzige Alternative zum Fliegen waren die Saumpfade, die bis auf eine Höhe von 2100 Metern und dann ins Kathmandu-Tal hinunter führten. Sie stellten seit Jahrhunderten die einzige Verbindung zur Außenwelt dar. Eigentlich hätten wir gern diesen traditionellen Zugang benutzt, aber man benötigte zwei Tage oder mehr, wenn die Seilbahn für das Gepäck überlastet oder wegen eines Ruhetags geschlossen war. Beides schien bei unserer Ankunft der Fall zu sein. Die Nepalesen sind so eifrig um ihr Land bemüht, dass ausländische Unternehmen meist keine bleibenden Bauwerke errichten dürfen und sie sogar Missionskrankenhäuser mit Misstrauen betrachten. An dem kleinen Behelfsflughafen standen daher nur Grashütten - kein Kontroll-Tower und kein Funk. Ein Pilot nahm seinen Kollegen, einen Sikh, dem die Flugroute offensichtlich noch unbekannt war, beiseite. Er deutete vage in den Nebel, und wir hörten ihn zu unserem Schrecken sagen: »Steuere das Tal dort an und folge ihm.«
Unser Flugzeug tanzte zwischen den Bergen auf und ab und drehte manchmal so scharf ab, als böge es um eine Straßenecke. Selbst wenn wir ab und zu aus den Tälern auftauchten, konnten wir die dahinter liegenden Gebirge nicht erkennen, da sie in Wolken gehüllt waren. Aber wir konnten warten. Bei der Landung in Kathmandu spürten wir, dass wir ein gelobtes Land betraten. Wie junge Männer, die traditionsgemäß ausziehen, um ihr Glück zu suchen, hatten wir fast unmögliche Aufgaben bewältigt, waren den geheimnisvollen Anweisungen unserer inneren Stimme gefolgt und reich belohnt worden. Das fruchtbare Kathmandu-Tal liegt etwa 1400 Meter hoch und erstreckt sich über eine Fläche von 14 Kilometern Breite und 24 Kilometern Länge. Dreieinhalb Prozent der Bevölkerung, die lesen und schreiben können, konzentrieren sich dort, das heißt es ist der einzige Teil Nepals, der politisch gesehen von Bedeutung ist. Der Rest des Landes liegt zu weit entfernt und ist zu »rückständig«, um eigene Ansichten zu vertreten oder sich darum zu kümmern, wer an der Macht ist. Jahrhundertelang lag dieses Tal von Bergen eingeschlossen im Himalaya, zusätzlich abgekapselt vom Rest der Welt durch ein Einreiseverbot, das die machthabende Rana-Familie erlassen hatte. Sie wollte damit verhindern, dass ihr Land mit dem westlichen Lebensstil in Berührung kam, was man ihr generell eigentlich nicht vorwerfen kann. Allerdings geschah es zum Teil auch, weil sie durch westliche Einflüsse ihre Autorität gefährdet sah. Von Indien war das Tal jedoch nie abgeschnitten, und so verbreiteten sich durch Radio Delhi, indische Zeitungen und die wenigen Reisenden, die es schafften, eine Einreisegenehmigung nach Nepal zu erhalten, Vorstellungen über Landreformen und Wahlen.
1950/51 wurde die unterdrückende Vorschrift der Ranas endlich abgeschafft. Der König, bis dahin eine reine Marionette der Machthaber und nur im Amt, weil er für religiöse Zeremonien als Inkarnation des Gottes Vishnu unerlässlich war, wurde das wirkliche Staatsoberhaupt. Dieser König starb kurz bevor wir nach Indien abreisten, und bei unserer Ankunft in Kathmandu begegneten wir vielen Einwohnern mit rasierten Köpfen als Zeichen ihrer Trauer. Sein Sohn, der als aufrichtiger und fähiger Mann galt, sollte ihm nachfolgen. Er sah sich einer schwierigen Aufgabe gegenüber: dem Versuch, jahrhundertealte Entwicklungen zu umgehen und aus Nepal einen modernen Staat zu machen, trotz der 150 000 politisch orientierten Einwohner, die sich in sage und schreibe 69 Untergruppen aufgeteilt hatten, und eines öffentlichen Verwaltungsapparats, der völlig unzulänglich und im Grunde überhaupt nicht existent war. Unsere einzige Erfahrung mit dieser Verwaltung hatten wir an unserem Abreisetag bei dem Versuch, für Evelyn als Erinnerung einen nepalesischen Führerschein zu beantragen. Der springende Punkt des Tests war eine Frage nach der Straßenverkehrsordnung:
»Wie verhalten Sie sich, wenn Sie den königlichen Wagen näher kommen sehen?« »Ich fahre langsamer und halte an«, antwortete Evelyn auf gut Glück. »Ausgezeichnet. Sie haben bestanden. Ihre Fahrerlaubnis werden Sie in den nächsten Wochen erhalten.« Auf der Polizeidienststelle, wo wir die Angelegenheit beschleunigen wollten, war die Hölle los, und jeder, der sich dort einen Job gesichert hatte, saß mit den Füßen auf dem Tisch da und freute sich seines Schicksals. Evelyns Unterschrift wurde als zweifelhaft angesehen, und man verlangte zusätzlich einen Daumenabdruck und den Nachweis von Muttermalen. Am Flughafen empfing uns Herr Price von der englischen Botschaft und der Manager unseres Hotels. Unser Sherpa-Sirdar Mingma Gyalgen war auch bei ihnen, stolz und schwitzend in seinen Stiefeln und mit einer Kapuzenmütze, als Zeichen seines Standes. Wir mochten ihn sofort, und auch er schien, seinem warmen Händedruck nach zu schließen, erfreut, uns zu sehen. Er kam gerade von einem Auftrag als Träger vom Kangchenjunga zurück und brachte gute Wünsche von Tom McKinnon und seinem Team. »Ich kenne Mingma gut«, schrieb Tom. »Ihr könnt keinen besseren Mann bekommen.«
Wir wurden dem Oberbefehlshaber der nepalesischen Armee und dem Außenminister vorgestellt. Keiner der beiden trug eine dieser Paradeuniformen des 19. Jahrhunderts, von denen wir gelesen hatten und die Merkmale der englischen Dragoner- und der französischen Husaren-Uniformen mit orientalischer Pracht - glitzernden Pantoffeln und juwelenbesetzten Säbeln - verbanden. Trotzdem hatten beide Männer eine sehr aufrechte militärische Haltung und ein so untadeliges geschliffenes Auftreten, dass wir uns in unseren Reisejeans gänzlich unpassend gekleidet fühlten. Wir wurden durch den nepalesischen Zoll geschleust und mit unserer gesamten Ausrüstung in einen Lastwagen verfrachtet. Ein oder zwei lächelnde Nepalesen sprangen mit auf und taten so, als ob sie den Auftrag hätten, sich um das Gepäck zu kümmern. Später fanden wir jedoch heraus, dass sie einfach nur eine Mitfahrgelegenheit gesucht hatten. Während wir auf diesem Lastwagen hin und her geworfen und gehörig durchgeschüttelt wurden, bekamen wir einen ersten Eindruck von Kathmandu. Wir sahen die gewaltigen Paläste mit ihren Säulengängen, die den Ranas in ihrer Regierungszeit gehört hatten. Einige waren mittlerweile zu Büros umfunktioniert worden. Sie sahen recht verwahrlost aus und benötigten dringend einen neuen Anstrich. Wir fuhren an prunkvoll gestalteten Tempeln auf offenen Plätzen vorbei, erbaut von newar-Künstlern, die vom Hinduismus und Buddhismus und von indischer und chinesischer Kunst inspiriert worden waren. Die Wohnhäuser hatten schön geschwungene Mauern und Fensterrahmen und seltsame Götzenbilder als Ecksteine.
Da sie von kleinen Menschen erbaut waren, hatten sie enge Treppenhäuser und streichholzschachtelgroße Räume, und innen mussten sogar Nepalesen auf ihre Köpfe aufpassen. Die ganze Stadt war viel weitläufiger und schmuddeliger, als wir von Fotos her erwartet hatten, aber sie gefiel uns trotzdem. Die Einheimischen trugen reithosenähnliche Hosen aus Baumwolle, darüber ein langes Hemd mit Seitentaschen unterhalb der Taille und die typischen kleinen nepalesischen Hüte, entweder in Schwarz oder aus steifer Baumwolle in fröhlichen Farben. Diese Hüte werden jedoch ausschließlich von Männern getragen, und wir erregten großes Vergnügen, als wir sie auf einem Basar anprobierten. Die Frauen tragen Saris, und einige Damen der oberen Schicht, denen wir begegneten, waren stark geschminkt: viel Puder für einen blassen Teint und kräftiges Rouge auf den Wangen. Unser Hotel war eher eine Behelfsunterkunft - genau richtig also als Hauptquartier einer Himalaya-Expedition.
Bis etwa 1952 gab es überhaupt noch keine Unterkunftsmöglichkeit dieser Art in Kathmandu. Es bestand auch kein Bedarf. Noch 1949 erhielten nur sehr wenige Fremde eine Einreisegenehmigung nach Nepal. Inzwischen ist es vergleichsweise einfach, ein Visum zu bekommen, was die Anzahl der Touristen in und um Kathmandu sicher immer weiter anwachsen lässt. Eine Jugendherberge ist im Gespräch, Ansichtskarten und ein weiteres Hotel in der Nähe des Flughafens von Pokhara, worüber Longstaff 1949 schrieb: »Pokhara - geheimnisumwittert, mit tropischem Klima und in den Niederungen zu Füßen der eindrucksvollen Gipfel des nahen Annapurna gelegen - entzieht sich immer noch unserem Zugriff.«
Wir hatten viel zu erledigen und benutzten den Jeep des Hoteldirektors, obwohl Benzin in Kathmandu fast genauso teuer ist wie Whiskey. Zuerst trafen wir uns mit dem stellvertretenden Minister, der einen Vermittlungsbeamten für unsere Gruppe bestimmen sollte. Gemäß den Regelungen der nepalesischen Regierung muss auf jeder Expedition ein solcher Verbindungsmann dabei sein, der übersetzt und beim Umgang mit der einheimischen Bevölkerung behilflich ist. Wir hatten erwartet, dieser Mann würde ein stämmiger Gurkha-Unteroffizier sein, behängt mit kukri-Messern und anderen Waffen. Nun erfuhren wir, dass unser Helfer ein junger Student war, der bald gut Englisch sprechen würde und der Erfahrungen in Naturgeschichte und Bergsteigen sammeln wollte. Sein naturgeschichtliches Interesse konnten wir noch akzeptieren, aber wir fühlten uns nicht imstande zu versprechen, einen Anfänger mit in die Berge hinaufzunehmen, wo unter Umständen schwierige und gefährliche Gletscher auf uns warteten. Außerdem hatten wir keine Bergsteigerausrüstung für den Jungen. So kamen wir schließlich überein, dass er uns nur bis zum Basislager begleiten sollte. Neben ihrer Bereitschaft, Expeditionen zu unterstützen, war die nepalesische Regierung auch sehr darauf aus, den Kenntnisstand intelligenter junger Einwohner bei diesen Gelegenheiten zu erweitern und nebenbei auch noch Neuigkeiten aus den weiter entlegenen Dörfern zu erfahren, die sonst nur wenig Kontakt mit der Obrigkeit hatten. Diese Einstellung war zwar sehr lobenswert, aber es verstimmte uns ein wenig, dass es uns 200 indische Rupien (200 indische Rupien entsprachen in den fünfziger Jahren etwa 180 DM, 100 britische Pfund etwa 1 200 DM) monatlich kosten sollte. Auf der Bank wechselten wir Reiseschecks in eine große Menge Münzgeld, da Papiergeld in den abgelegeneren Bergdörfern auf unserer Route möglicherweise nicht akzeptiert würde. Ein Bankangestellter breitete Münzen im Wert von etwa 100 Pfund für uns auf dem Boden aus, ordnete sie in Reihen glänzender Rosetten, während der Bankdirektor einen Vortrag über ausländische Briefmarken hielt. Dieses Thema interessiert anscheinend viele Nepalesen; vielleicht deshalb, weil Nepal kein Mitglied der Welt-Post-Union ist, sondern nur über ein eigenes inländisches Postsystem verfügt - sicher ein großer Vorteil bei Tauschgeschäften. In der Zwischenzeit teilte Evelyn unsere Ausrüstung zusammen mit den Sherpas in tragbare Lasten auf. Sie befestigten Zelte, Seile und andere Dinge an unseren Kisten und stellten die Ladungen so zusammen, dass sie den Trägern so angenehm waren wie bei knapp 30 Kilo plus ihrer eigenen Ausstattung eben möglich. Wir hatten eine nagelneue Federwaage mitgebracht, aber die Genauigkeit von Mingma, der die Lasten mit Händen und Augen einschätzte, beeindruckte uns so sehr, dass wir dieses Gerät zurückließen. Wir mussten diese Entscheidung später nicht bereuen.
Die ganze Aktion bot Evelyn eine wunderbare Gelegenheit, unsere Sherpas kennen zu lernen, und als Monica und ich dazustießen, verstand sie sich bereits bestens mit ihnen, obwohl sie mit keinem sprechen konnte, außer mit Mingma, der ein bisschen Englisch verstand. Mingma war zurückhaltend und ordentlich, außerdem besaß er einen gesunden Menschenverstand. Unsere einzigen Bedenken am Anfang waren, ob er genug Autorität gegenüber seinen Männern besitzen würde. Nach seinem Mitgliedsbuch der Himalaya-Bergführervereinigung zu schließen hatte er sowohl als Bergsteiger wie auch als Sirdar viel Erfahrung und kannte den Mount Everest, den Cho Oyu, den Gauri Shankar und viele andere Berge. Dort stand auch, dass er ein exzellenter Koch sei, und nachdem Monica und Evelyn meine Kochkünste kannten und selbst keine Lust hatten, die Küchenpflichten zu übernehmen, lasen sie diesen Abschnitt mit unverhohlener Zufriedenheit. Mingma brachte seinen Cousin Ang Temba mit. Er war ein lebhafter junger Mann und hatte ein eher einfaches Gemüt. Da er der Unerfahrenste unserer Sherpas war, befürchteten wir, dass er zu unüberlegten impulsiven Handlungen fähig sei und wohl eine feste Hand im Gebirge benötigen würde. Mit dieser Vermutung sollten wir Recht haben. Chhepala trug sein Haar als Einziger noch nach alter tibetischer Art in einem Zopf, der in rote Wolle geflochten und um seinen Kopf geschlungen war. Das gefiel uns an ihm genauso wie seine Zurückhaltung. Später erfuhren wir, dass er am Everest als launisch gegolten hatte; wir lernten diese Seite an ihm jedoch nicht kennen. Er erwies sich im Gegenteil bald als sehr intelligent. Nie mussten wir ihm etwas zweimal sagen, und wenn er sich für irgendeinen Ausrüstungsgegenstand interessierte - eine spezielle Taschenlampe oder einen Kompass beispielsweise -, nahm er ihn beiseite und fand allein heraus, wie man damit umging. Ganz anders hingegen unser armer Kusung: Er hatte schon an einigen Expeditionen teilgenommen, allerdings war die von Shipton 1936 geführte Tour die letzte, die in seinem Buch vermerkt war. Wir fragten uns, warum es wohl keine weiteren Einträge gab. Er war jedoch sehr willig und so hilfsbereit, dass er oft angelaufen kam, um zu schauen, was er für uns tun könnte, und dann ganz enttäuscht wieder abzog, weil er die drei schmutzigen Becher auf dem Tisch nicht bemerkt hatte. Wann immer wir Kusung kommen sahen, riefen wir »O Gott« und taten so, als ob wir überhaupt nichts tun würden. Aber wir mochten ihn sehr. Armer alter Kusung! Er war so wunderbar komisch, außer wenn er absichtlich versuchte, komisch zu sein. Bei den Sherpas waren auch Kusungs Neffe Bahu und seine kleine Tochter Ang Droma.
Bahu war ein stämmiger junger Mann, der immer besorgt klingende leise Geräusche von sich gab, auch wenn er vollkommen glücklich war. Ang Drorna aber war die Aufgeweckteste der Familie. Sie war eine liebenswerte kleine Person von etwa 16 Jahren. Als wir sie zum ersten Mal trafen, kam sie vertrauensvoll näher, legte ihr Ohr an meine Uhr und lachte voller Entzücken. Ohne Klagen trug sie eine Last, fast genauso groß wie sie selbst, und da sie außer uns die einzige Frau in der Gruppe war, fühlten wir uns ihr besonders verbunden. Bahu und Ang Droma sollten als Träger mit dabei sein. Es machte den Sherpas anscheinend nicht das Geringste aus, von Frauen Anweisungen zu erhalten. Sie waren eher geschmeichelt, da sie wussten, dass man sie als zuverlässige Männer zu unserer Begleitung ausgewählt hatte. Das genügte, um sie von Anfang an für uns einzunehmen. Wir gaben Mingma genug Geld, um Lebensmittel und Tee für die Zeit im Basislager zu kaufen, da die Sherpas offensichtlich ihr eigenes Essen bevorzugten: Reis, dhal und atta.
Nur in höheren Lagen teilten sie unsere Rationen, da sie kompakter und im Gebirge leichter zuzubereiten waren. Während dieser Zeit fanden sie Geschmack an einigen unserer Lebensmittel, mit denen sie ihr eigenes Essen verfeinerten. Einmal verschwand ein Glas Marmelade mit solcher Geschwindigkeit, dass wir uns vorsichtig nach seinem Verbleib erkundigten. »Oh! Die Sherpas haben es gegessen«, sagte Ang Temba mit entwaffnender Offenheit. Mingma sorgte jedoch dafür, dass wir genug Kartoffeln und frische Eier zum Ausgleich bekamen. Von dem Geld, das wir ihm gegeben hatten, besorgte Mingma außerdem noch eine große Pfanne, in der man Schnee schmelzen und Reis für unsere Bergmahlzeiten zubereiten konnte, und Zigaretten für die Sherpas. Es ist üblich, Zigaretten zu bewilligen, und niemand verriet uns, dass nur Bahu rauchte. Wir übergaben den Sherpas ihre Ausstattung, die sie ohne Klagen annahmen, obgleich Sherpas anderer Expeditionen in viel schickeren Sachen vor ihnen auf dem Basar herumstolzierten. Außer Kusung hatten unsere Sherpas alle eigene Bergstiefel von früheren Expeditionen, die um einiges besser waren als die schweren Nagelschuhe, die wir uns hatten leisten können. Mit schiefem Lächeln sagten sie nur: »Wir tragen lieber unsere eigenen Schuhe, Memsahib. Sie sind besser.« Über die roten Luftmatratzen freuten sie sich. Wir hatten die rote Farbe extra gewählt, für den Fall, dass sie sie später an die Kommunisten verkaufen wollten, wie es normalerweise üblich war. Ihre Royal-Air-Force-Überlebensanzüge hingegen verwirrten sie etwas (und sie sahen darin wahrhaftig eher wie Michelin-Männchen aus). Sie vermuteten, dass sie die Dinger beim Klettern in extremer Kälte tragen sollten, und konnten nicht verstehen, warum die Füße zusammengenäht waren. Als wir ihnen erklärten, dass es sich dabei um eine Art Schlafsack handelte, fanden sie das unheimlich komisch und spielten lange Zeit mit den Reißverschlüssen herum, während sie witzige Kommentare machten. Als alles verteilt war, wollten wir die gemieteten Eispickel und Steigeisen für die Sherpas sehen, die Mingma von Darjeeling mitbringen sollte. Er schaute verständnislos und erklärte, dass man ihm nichts mitgegeben habe. Monica stieß einen Schreckensschrei aus und ließ sich auf eine Reisetasche fallen. Es war nicht ihr Fehler.
Man hatte uns im Stich gelassen, denn die Angelegenheit war schon seit langem und sehr eindeutig vereinbart worden. Wenn wir nicht von irgendwoher andere besorgen konnten, würde es uns unter Umständen die ganze Expedition vermasseln - in Kathmandu würden wir jedenfalls vergeblich danach suchen. Am Ende lieh uns die Geschäftsstelle der Himalaya-Bergsteigervereinigung in Kalkutta freundlicherweise die benötigten »Eisenwaren«, und wir erhielten sie in aller Eile per Flugzeug. Es war zwar eher eine Notausrüstung, aber wir waren sehr dankbar, als wir sie aus den Diplomatenkoffern, in denen man sie schlauerweise versandt hatte, herausholten. Als endlich alle Vorbereitungen erledigt waren, besuchten wir noch Raymond Lambert, der bald unser nächster Nachbar im Langtang-Gebirge sein würde. Er war mittelgroß und trug spezielle Schuhe, da seine Zehen alle infolge von Erfrierungen, die er sich in den Alpen zugezogen hatte, amputiert worden waren. Wie er behauptete, klettere er nun besser, ohne sie. Er ist ein einfacher Mann mit großer persönlicher Anziehungskraft und kann unglaublich fesselnd und kurzweilig von sich und seinen Vorhaben erzählen.
»Ich bin ein guter Menschenkenner«, bemerkte er. »Wenn ich einmal mit jemandem auf Tour war, kenne ich ihn in- und auswendig.« Wir erlebten ihn als impulsiv und herzlich, und von seinem Charme sprach man überall in Nepal. Ein kleiner Beamter in Raxaul, der sich mit ihm in den wenigen gemeinsamen englischen Wörtern kurz unterhalten hatte, war untröstlich, dass Raymond auf dem Heimweg eine andere Route nahm. Auch dass wir uns für ein Erinnerungsfoto zur Verfügung stellten, nutzte wenig. Am Abreisetag kam ein selbstsicherer junger Mann zu uns und stellte sich als unser Verbindungsmann vor. Wir mochten ihn nicht besonders. Er sagte: »Ich möchte gern meine Stiefel sehen, die Sie für mich dabeihaben.« Der Bursche sah nicht gerade so aus, als ob er einen weiten Fußmarsch durchhalten würde. Außerdem roch er förmlich nach Ärger. In Glasgow hätte er wohl einen Bürstenhaarschnitt und wattierte Schulterpolster getragen. Er hatte keine Empfehlungsschreiben bei sich, und wir vermuteten, dass er sich bei uns einschleichen wollte in der Absicht, dem stellvertretenden Außenminister hinterher zu erzählen, die »Damen hätten ihn selbst ausgewählt«. Darum sagten wir bestimmt: »Wir haben keine Stiefel für Sie, aber es steht Ihnen ein harter Fußmarsch bevor. Bitte stellen Sie sich doch heute Abend mit Ihren Bewerbungsunterlagen vor.« Wir sahen ihn nie wieder. Stattdessen erschien Murari Bahadur, ein ruhiger Bursche, mit einem Schreiben der Regierung an die jeweiligen Behörden der Bergdörfer. Er sah aus wie fünfzehn, obwohl er, wie wir später herausfanden, verständige zwanzig Jahre zählte, und war so schüchtern, dass er sich nicht traute, uns direkt anzuschauen. Wir dachten, er würde nicht viel Initiative zeigen - was sich als falsch herausstellte -, andererseits würden wir mit ihm bestimmt keinen Ärger bekommen. Zögernd fragte er nach der Verpflegung, was wir ihm aber nicht übel nahmen. Wir klopften ihm auf den Rücken und sagten, er solle am nächsten Morgen mit seinem Schlafzeug und warmer Kleidung wiederkommen.
Uns blieben ein paar Stunden, und wir besichtigten den alten Bodnath-Tempel, den alle Buddhisten, so auch unsere Sherpas, zum Gebet aufsuchen, wenn sie in Kathmandu sind. Er stammt aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. und besitzt einen großen stupa, der wie eine umgedrehte Puddingform aussieht. Außer dem goldenen Turm obenauf ist er weiß und mit den Augen Buddhas bemalt, denen nichts verborgen bleibt. Die Nase ist für westliche Betrachter sicher merkwürdiger, da sie einem Fragezeichen ähnelt. Um die Füße und Schnitzereien einiger auffallender Hindu-Göttinnen herum befanden sich Gebetsmühlen, und alles war mit bunten Gebetsfahnen fröhlich geschmückt. Die Tochter des vorsitzenden Chinni Lama führte uns herum. Sie war eine lebhafte moderne junge Frau mit einem modischen, bunt gemusterten Brillengestell. Sie zeigte uns den kleinen Seitentempel mit den permanent brennenden kleinen Butterlampen und erzählte uns von einem jungen Franzosen, der die Gastfreundschaft des gütigen Lamas missbraucht hatte, indem er vorgab, ein Student der tibetischen Sprache zu sein. »Er mochte unsere Küche nicht«, erklärte sie. »Also fragte er nach Dutzenden von Eiern, um Zucker-Crepes zu machen. Es sollte eine besondere Überraschung für uns werden, aber leider hatte er nicht die geringste Ahnung von der Zubereitung. Er besaß tatsächlich die Stirn, beleidigt zu sein, als wir nichts davon aßen.« Sie nahm uns mit hinauf in die oberen Räume, um den Chinni Lama zu treffen, und sagte vertrauensvoll: »Mummy und Daddy sind natürlich sehr altmodisch.« Dann unterhielt sie uns mit tibetischem Buttertee, einem starken Branntwein namens arrak und vielen Skandalgeschichten. An unserem letzten Abend in Kathmandu aßen wir bei Oberst Proud, dem ersten Sekretär der englischen Botschaft, zu Abend, der ein wunderbarer und amüsanter Gastgeber war. Er erzählte uns von der Angewohnheit einiger berühmter Bergsteiger, Dosen mit Läusepulver im Gästeschlafzimmer zu rückzulassen, was nicht immer vor Ankunft des nächsten Gastes bemerkt worden war. Oberst Proud war selbst ein begeisterter Bergsteiger und behandelte uns sehr zuvorkommend.
Er nahm uns alle Zweifel und versicherte uns, dass die nepalesische Bevölkerung äußerst höflich und freundlich sei. Diese Aussage bewahrheitete sich vollkommen. Im Allgemeinen herrscht bei einigen Stämmen im Westen Nepals und in Tibet eine traditionelle Gesetzlosigkeit, andere sind Händler, die so eingebildet sind, dass sie Fremde nicht einmal grüßen. In Zentral- und Ost-Nepal sind die Menschen jedoch von Natur aus gastfreundlich, und je betrunkener jemand ist, desto höflicher wird er. Nachdem wir Oberst Proud versichert hatten, dass es uns wichtiger war, heil zurückzukehren, als irgendeinen Berg zu besteigen, verabschiedeten wir uns eilig, um die Ausgangssperre bis um elf Uhr abends einzuhalten. Monica meinte, es wäre doch ein Novum, sich von einem Gefängnis in Kathmandu aus auf eine Himalaya-Expedition zu begeben. Evelyn und ich fanden jedoch, dass unsere Situation auch so schon ausreichend »neuartig« war.
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