Im Frühjahr 1955 war ein Team aus drei englischen Bergsteigerinnen im Jugal Himal unterwegs, einem Gebirgszug mit wilden unerforschten Gipfeln an der Grenze zwischen Nepal und Tibet. Mit geringen Mitteln, dafür aber umso größerem Enthusiasmus und Einfallsreichtum fanden sie einen Weg zu diesen abgelegenen Bergen und bestiegen als Erste einen 6700 Meter hohen Gipfel, dem sie nach ihrem Sherpa-Anführer Mingma Gyalgen den Namen »Gyalgen« gaben. Monica Jackson, Elizabeth Stark und Evelyn Camrass gingen als erstes Frauenteam, das im Himalaya kletterte, in die Geschichte ein.
Ihr Buch ist auch heute, fast ein halbes Jahrhundert nach seiner Erstveröffentlichung im Jahr 1956 in England, noch genauso aktuell und packend. Die lebendige und anschauliche Beschreibung lässt uns an den Erlebnissen des Teams unmittelbar teilhaben: an der Freude bei Treffen mit den liebenswürdigen nepalesischen Bergbewohnern, an den Zweifeln und der Unsicherheit, den richtigen Weg zu finden, und am Spaß mit den Sherpas, die sowohl harte Arbeit wie auch unbeschwerte Momente teilten. Die besten Tage waren nach Meinung der Autorinnen die, »an denen wir hoch oben in den Bergen, Gletschern und Schneefeldern des jugal unser Letztes gaben. Sie werden uns für imrner in Erinnerung bleiben: nicht nur als die glücklichsten, sondern kurioserweise auch als die vollkommensten und friedvollsten Tage unseres Lebens.«
Um die bewundernswerte Leistung dieser drei Bergsteigerinnen in vollem Umfang würdigen zu können, sollten wir ihre Expedition im Zusammenhang mit der Erforschung des Himalaya zu dieser Zeit sehen. Nepal öffnete seine Grenzen zum ersten Mal 1950 für die Außenwelt. In diesem Jahr wagte ein mutiges französisches Team den Aufstieg zum Annapurna I und überschritt somit zum ersten Mal in der Geschichte die magische Höhe von 8000 Metern. Die Gruppe unter der Leitung von Maurice Herzog benutzte eine fehlerhafte Karte und verbrachte infolgedessen Wochen damit, den Annapurna überhaupt erst einmal zu finden. Als sie den Berg endlich ausfindig gemacht hatten, war die Monsunzeit schon fast angebrochen. Wie durch ein Wunder schafften sie es, den Gipfel zu erreichen und alle Expeditionsteilnehmer trotz Lawinen, Erschöpfung und eines tobenden Sturms wieder lebend zurückzubringen. Ihr Erfolg zählt zu den dramatischsten Berichten in der Geschichte des Bergsteigens.
Nur fünf Jahre später starteten Jackson, Stark und Camrass ihre Expedition in die schroffen Bergformationen des Jugal Himal. Auch ihr Kartenmaterial war ungenau und lückenhaft, und daher erschien der Zugang zum jugal zweifelhaft. Verglichen mit heutiger HightechAusrüstung war ihre Ausstattung schwer und unhandlich. Aber trotz aller Hindernisse und Widrigkeiten gelang es ihnen mit Zuversicht und voller Elan, ihr Ziel zu erreichen. Ihr Bericht wird jede Leserin und jeden Leser faszinieren. Mit Humor und Aufrichtigkeit beschreiben die Autorinnen ihre Erlebnisse: die Ausarbeitungsphase ihrer Pionierexpedition, dann die Durchquerung unbekannten Geländes auf der Suche nach »ihren« Bergen, heftige Stürme, Waldbrände, betrunkene Sherpas, die Schwierigkeiten, mitten im Gletschergebiet die eigene Intimsphäre zu wahren, die Verfolgung des Yeti ... Jackson und Stark ergründen auch die »seltsame Sehnsucht (...), die zwei sensible Frauen dazu brachte, ihre Jobs aufzugeben, und eine dritte, ihre geliebte Familie zu verlaßen. Und das alles, um sich extremen Unannehmlichkeiten und möglicherweise sogar lebensgefährlichen Situationen auszusetzen, während sie auf einigen besonders einsamen, fremdartigen und rauen Unebenheiten der Erdoberfläche herumkrabbelten.« Ich wünschte, ich hätte dieses Buch schon in den sechziger Jahren gekannt, als ich selbst anfing davon zu träumen, ferne Reiche zu erobern. Aber die wegbereitenden Taten dieses und anderer wagemutiger Frauenteams englischer Bergsteigerinnen in den Fünfzigern waren der amerikanischen Bergsteigergemeinde unbekannt.
Als ich 1969 an einer geführten Expedition zum Denali teilnehmen wollte, wurde mir erklärt, dass Frauen nur bis zum Basislager mitkommen könnten, um beim Kochen zu helfen. Auf meinen Einspruch hin klärte mich der Führer darüber auf, dass Frauen nicht die nötige körperliche Stärke und emotionale Stabilität besäßen, um hohe Gipfel zu besteigen. Hätte ich ihm damals nur von den mutigen Heldentaten in den Bergen erzählen können, wie sie in Zelte auf dem Dach der Weit beschrieben sind. 1970 half ich dabei, ein reines Frauenteam zusammenzustellen, das den Denali bestieg. Zusätzlich zu den Anforderungen, die damit verbunden waren, den nördlichen Gipfel des höchsten Berges Nordamerikas zu erreichen, sahen wir uns mit den damaligen Vorurteilen über die Belastungsgrenzen von Frauen konfrontiert.
Das vorliegende Buch hätte uns sicherlich ermutigt und unsere Tour erleichtert - so wie es heute jeden inspirieren kann, der ein außergewöhnliches Abenteuer unternehmen will. Zelte auf dem Dach der Weit ließ in mir Erinnerungen an die Denali-Tour und auch an unsere Frauenexpedition zum Annapurna 1978 aufsteigen: die Herausforderung, etwas zu bewältigen, was Frauen nicht zugetraut wird, die atemberaubende Schönheit der hohen Berge und die Befriedigung darüber, im Team ein hoch gestecktes Ziel erreicht zu haben, dessen Anforderungen unsere kühnsten Erwartungen noch übertraf.
Diese Geschichte verdeutlicht, was eine kleine Gruppe von Einzelpersonen durch eine gemeinsame Vision, durch Geduld und Entschlossenheit zu Wege bringen kann. Ich danke Monica Jackson, Elizabeth Stark und Evelyn Camrass dafür, dass sie ihr bemerkenswertes Abenteuer mit uns teilen, und dem Verlag der amerikanischen Ausgabe, Seal Press, dass er diesen unvergesslichen Bericht einer neuen Lesergeneration zugänglich machte.
Arlene Blum
Berkeley/Kalifornien