(16) Nun, alle Welt vielleicht nicht. Aber doch der Clemens und die Mereau und bald darauf auch noch Savigny und die Gunda.
Daß sie sich am Ende doch noch heiraten mußten, die Mereau und der Clemens, hält Bettina für ein Unglück. Niemand hat es gewollt. Die Mereau nicht, der Clemens auch nicht, wenn er ganz ehrlich ist. Die Brentanos nicht. Und doch ist es geschehen. Warum, zum Teufel, geschieht in der Welt etwas, das keiner will? Sie muß sich das klar machen, wie es dazu kommen konnte. Sie hat sich umgehört. Es ist ihr nicht schwergefallen, dies und das herauszufinden.
Sophie Mereau ist im März 1770 in Altenburg in Thüringen geboren. 1793 hat sie den Doktor der Rechte und der Philosophie, auch Bibliothekarius der Akademie, Friedrich Ernst Karl Mereau geheiratet. Sie hat ihrem Mann einen Sohn und eine Tochter geboren. Der Sohn ist gestorben.
Durch ihren Vater hat Sophie eine gute Bildung erhalten. Ein Jahr nach ihrer Eheschließung hat sie eine Geschichte veröffentlicht, in der sie den Sieg des reinen Gefühls über widrige äußere Verhältnisse feiert. Ein Mann und eine Frau lieben einander. Sie sagen: Unser Bund besteht durch eigene Kraft. Nicht die zerbrechlichen Stützen von priesterlichem Segen, von bürgerlicher Ehre und kränkelnder Gewissenhaftigkeit halten ihn. Wir selbst sind uns Bürgen für uns selbst. Weder Natur noch Vernunft lehren den Menschen zu heiraten.
Um den Zwang der äußeren Verhältnisse zu entgehen, flüchten die Liebenden nach Amerika.
Der Doktor der Philosophie ist nicht mit Sophie nach Amerika geflüchtet.
Sophie geht mit ihrem Mann nach Jena. Sie lernt Schiller kennen, der ihr Lehrer und Mentor wird. Ein Band mit Gedichten wird von Herder besprochen. Sie ist eine schöne Frau. Clemens begegnet ihr 1798 zum ersten Mal. 1800 sehen sie sich überraschend in Dresden wieder, wahrscheinlich im Salon der Karoline Schlegel.
Sophie ist achtundzwanzig, Clemens ist zwanzig. Begeistert schreibt er an seinen Stiefbruder Franz, er genieße
den Umgang mit einigen jungen, schon vorteilhaft bekannten Gelehrten, mit Professoren und der vortrefflichen Dichterin Mereau, die ganz körperlich und geistig, das Bild unserer verstorbenen Mutter ist. Ich... bringe täglich einige Stunden in der Gesellschaft dieses edlen Weibes zu, deren Freundschaft und Zutrauen ich mich zu genießen mit Freuden rühmen kann. Überhaupt verbreitet sich über mein ganzes Dasein, über meine Kräfte, über meine Hoffnung ein freundliches Licht.
1800 flieht Clemens aus Jena, nicht, wie in Literatenkreisen vermutet wird, »weil Tieck, sein Abgott, ihn in seinem neuesten poetischen Journal lächerlich gemacht hat«, sondern weil er sich von der Mereau gekränkt sieht, es zu schrecklichen Szenen zwischen den beiden gekommen ist. Klatsch und Intrigen haben dabei eine nicht unwesentliche Rolle gespielt. Clemens bildet sich ein, Friedrich Schlegel, der selbst in die Mereau verliebt sei, habe gegen ihn gehetzt. Sie und seine Lebensgefährtin hätten Sophie hinterbracht, daß er sich im Juli 1800 in Altenburg, dem Heimatort der Mereau, heftig in die achtzehnjährige Minna Reichenbach verliebt habe. Die Reichenbach aber wollte ihn nicht lieben, weil sie um seine Liebe zur Mereau wußte. Die Mereau gibt ihm den Laufpaß.
Wahr ist, daß Friedrich Schlegel in ein Exemplar von Clemens' Roman >Godwi< das folgende Distichon geschrieben hat:
- Hundert Prügel vorn Arsch, die wären dir redlich zu gönnen,
Friedrich Schlegel bezeugt's, andre Vortreffliche auch.
Wahr ist auch, daß Tieck, nachdem ihm Clemens einmal erzählte, er sei bei nächtlichen Shakespeare-Studien eingeschlafen und erst aufgewacht, als die Kerzenflamme ihm Buch und Haar versengt habe, gespottet hat: »Heißen Sie etwa daher Brentano?« So ist Clemens zu dem Spitznamen »Angebrentano« oder »der Angebrannte« gekommen. Was wiederum Dorothea Veit, Friedrich Schlegels spätere Ehefrau, in einem Brief zu der Bemerkung veranlaßt:
- Ja ja, Meeräffchen* (* Sophie Mereau) hat dem Angebrennten** (**Clemens Brentano)
eclatanten Abschied gegeben, so daß er nicht angebrennt, sondern ganz abgebrennt ist.
In diesem Jahr 1800 stirbt Sophie Brentano, jene Lieblingsschwester von Clemens, mit der er, nicht zuletzt wegen ihrer gemeinsamen Kindheitsleiden im Haus von Onkel und Tante Mohn in Koblenz, eng verbunden war. Er klagt, daß er damit das einzige Weib verloren habe, das ihn geliebt und nicht mißhandelt habe.
Anfang 1801, Clemens lebt nun in Marburg bei Savigny, erhält er ein Bändchen einer von der Mereau herausgegebenen Zeitschrift, in dem ein Erzählungsfragment von ihm mit dem Titel >Der Sänger< abgedruckt ist. Als im Juli 1801 die Ehe der Mereau geschieden wird, beginnt Clemens sich erneut Hoffnung zu machen. Ende des Jahres reist er nach Weimar, wo sie jetzt lebt. Sie weigert sich, ihn überhaupt zu sehen. Bei einer Theateraufführung entdeckt er sie und weiß es so einzurichten, daß sie sich im Schauspielhaus unter den Herausgehenden begegnen. Da hält er sie dann »einige Sekunden mit inniger herzlicher Liebe wie einen Engel, den ich nie gesehen, fest in meinen Armen.«
Im Herbst 1802 reist Clemens nach Köln und Düsseldorf, um sich dort die Gemäldegalerien anzusehen. Er verliebt sich in eine Schauspielerin der Frambachschen Truppe, weil diese »der Mereau bis auf den Kopf ganz gleich, vortrefflich singt und spielt; ich liebe in ihr immer noch jenen Engel.«
Aus Düsseldorf schreibt Clemens an seinen Bruder Christian, der in Jena studiert:
Nichts, nichts kann die Erinnerung an die Mereau in mir vernichten. Gott weiß es, ich liebe treu und sterbe treu, freudelos.
Christian soll der Mereau vom Inhalt dieses Briefes Mitteilung machen.
Im Dezember 1802 schickt die Mereau ihm ein Bild seiner Mutter, das sich noch bei ihr befindet, zurück. Clemens antwortet mit einer Epistel von über zwanzig Quartseiten, in der es unter anderem heißt:
Ach, in wenigen Monaten bin ich 25 Jahre alt und der Besitzer meines Vermögens! Was wird aus mir werden? Sind Sie noch immer so reizend? Werden Sie ewig in Weimar sitzen bleiben?
Die Mereau antwortet:
Ihr Brief, junger Mann, hat mir Veranlassung zu mannigfachen reflexions gegeben. Ein paar Jahre können freilich viel zur Reife unsres Geistes beitragen, und es war auch hohe Zeit, wie Sie, lieber junger Freund, auch zu fühlen scheinen, daß Sie mich an mein Alter erinnern. Ehedem hatte ich freilich den Wahn, die Jahre bestimmten das Alter gar nicht, das läge nur im Gemüt, und es gäbe Menschen, die alt geboren würden und andere, die jung stürben, sie möchten noch so lange leben ... Sollten Sie mir wieder schreiben, Clemens, so verlange ich, daß Sie mir die artigsten Sachen schreiben, die übrigens gar nicht wahr sein brauchen.
Im Februar 1803 hört Bettina, daß Clemens seine »Nebenliebe« am Rhein, Benedikte Korbach, nach einer Romanfigur von Achim von Arnim »Ariel« nennt - überhaupt scheint ihm zu diesem Zeitpunkt vor allem an der Zuneigung des Freundes gelegen.
Arnim, gedenke meiner, gedenke, daß ich mit diesen Worten das Liebste, theuerste meines Lebens benenne, daß sich meine ganze Seele bewegt, wenn ich dir sage, du lieber, lieber, lieber Achim. Vergiß mich nicht.
Im Mai 1803 reist Clemens nach Weimar, angeblich um einen Freund zu besuchen, der in seine Heimat, nach Rußland, zurückkehrt. Unter dem 3. Juni 1803 meldet er Savigny nach Marburg:
Um Sie von meiner Lage zu orientieren Folgendes: Ich bin in diesem Augenblick in Jena, weil die Mereau auch hier ist, und Wrangel übermorgen abreist. Bis Montag bin ich wieder in Weimar, wo ich bei dem indischen Majer Wohnung und Tisch und mit der Mereau das Bett - noch nicht, aber doch täglich Herz und Sofa teile. Unser erstes Zusammentreffen war für mich durchaus empörend und für sie drückend. Es hat sich alles gefügt. Sie scheint mich zu lieben, und ich bin ihr gut und gebe mich ihr gern. Sie sieht dem Weib, das ich liebte, doch ähnlicher als andere.
Bettina wird angewiesen, für die Mereau einen Ofenschirm zu basteln. Wieder versucht Clemens, einen großen Liebes- und Freundesbund zu stiften. Die Mereau will, einem Brief vom 7. Juni 1803 zufolge, den Sommer auf dem Land verbringen. Warum also nicht in Träges, »die Nähe von Frankfurt, die Möglichkeit Bettinen oft zu sehen, alles das wäre so reizend.« Im August zeigt Clemens Savigny und Bettina in getrennten Briefen an, daß er Sophie Mereau nun doch nicht heiraten wird.
Wir haben gestern abend im Beisein des Mondes und eines Apfelbaumes uns entschlossen nicht zu heiraten, aber wir haben uns recht lieb und wollen unsre Liebe auf einen vertraulichen Umgang - das heißt keuschen - beschränken. Ich komme in ungefähr drei Wochen nach Marburg. Sophie will nach Marburg ziehen, um uns beiden einen angenehmen Zirkel zu formieren.
Diese Vorstellung eines engen Bundes zu dritt hat für alle, die davon erfahren, etwas einigermaßen Erschreckendes, wenngleich aus verschiedenen Gründen.
Savigny steht im Begriff, Gundula zu heiraten, und nach seiner Eheschließung soll Bettina zu ihnen ziehen. Er ist lebenserfahren genug, um sich ausmalen zu können, daß das Zusammenleben von zwei Männern und drei Frauen - ein Ehepaar, ein Liebespaar (keusch oder auch nicht!) und eines jungen Mädchens, das sich wie das fünfte Rad am Wagen vorkommen muß, schwerlich harmonisch verlaufen dürfte.
Die Verwandten in Frankfurt sind entsetzt, daß Clemens sich, wie sie finden, einer alten Frau an den Hals werfe. Sophie selbst dürfte für den beabsichtigten freien Liebesbund mit Clemens nicht ganz so romantische Gründe gehabt haben, wie Clemens das in seinem Brief an Savigny malt. Zum einen dürfte sie froh gewesen sein, sich endlich einmal nicht, wie in ihrer ersten Ehe, von einem Mann gängeln lassen zu müssen. Zum anderen würde sie bei Wiederverheiratung jene 200 Taler verlieren, die ihr erster Mann ihr jährlich zahlt. Sie muß außerdem damit rechnen, daß dieser ihr das Sorgerecht für die bei ihr lebende Tochter entziehen lassen wird.
Unterdessen drehen sich die Klatschmühlen munter weiter. In Weimar erzählt man sich, Clemens habe es abgelehnt, Sophie zu heiraten.
Ende August 1803 haben Clemens und Sophie in Weimar voneinander Abschied genommen. Sie ist zu einer Freundin nach Dresden gereist. Er in seine »Einsiedelei« nach Marburg. Bis November korrespondieren sie miteinander. Von einer Übersetzung des Cid von Corneille ist die Rede, für die Sophie dem zeitgenössischen Publikum geläufige Frauennamen sucht, nachdem ihr Schiller Hoffnung gemacht hat, daß das Stück in Weimar aufgeführt werden könne, vom Klatsch im sehr engen Weimar, von der Büste, die der Bildhauer Friedrich Tieck von Clemens gemacht hat und über die dieser sich narzißhaft begeistert ausläßt. Und dann kommt von Sophie ein Brief, in dem es heißt:
Clemens, ich werde Dein Weib sein - und zwar so bald als möglich. Die Natur gebietet es. Meine Gesundheit, Deine Jugend, meine jetzige Kränklichkeit- ich weiß nicht, warum es mir kostet, Dir es zu sagen, und doch kann ich nicht länger schweigen. Wärst Du bei mir, so wollt' ich Dir es sagen mit einem Kuß, doch will die Feder nichtzu schreiben wagen den Götterschluß. Geheimnisvollstes Wunder, so auf Erden die Götter thun, was nie enthüllt, nie kann verborgen werden - so rathe nun! Denk Schmerz, Lust, Leben, Tod in einem Wesen verschlungen ruhn, denk daß ein ahnungsvoller Sänger Du gewesen - erräthst Du's nun?
Sie ist im dritten Monat schwanger. Es ist undenkbar, daß eine geschiedene Frau mit Kind ein weiteres Kind zur Welt bringt, ohne den Kindsvater zu heiraten. Also willigt sie, von den Umständen genötigt, in eine Eheschließung ein.
Im November noch treffen sich Sophie und Clemens in Eisenach und reisen zusammen nach Marburg, wo sie in der lutherischen Pfarrkirche getraut werden. Sie beziehen eine Wohnung in der Nachbarschaft Savignys.
Bettina wird sich an Clemens' Liebschaft, noch im Mai dieses Jahres, mit jener Tänzerin am Frankfurter Theater erinnert haben. Marianne Jung heißt sie und wird später ein paar der schönsten Gedichte zu Goethes Westöstlichem Diwan beisteuern.
In einem Brief von Clemens an Achim heißt es darüber:
Hier auf dem Theater war vor ein paar Jahren ... ein unschuldig treu Kind, Tänzerin. Ich liebte sie still weg, der Banquier Willemer nahm sie von der Bühne und machte sie zu seinem Pflegekind. Die Jung liebte mich, weinte oft in meiner Nähe, ich sprach davon mit Willemer, seine Eifersucht vertrieb mich, wir haben uns noch lieb, so so. Da ich morgen (nach Jena und Weimar) abreise, so ließ ich der Jung durch Bettine sagen, ich würde noch an ihrer Loge stehen, sie solle mich doch freundlich ansehn: ich ginge weg
In seiner Schwägerin, die den Bankier offenbar nicht leiden konnte und der dessen Kinder- und Geliebten-Kauf gegen den Strich geht, hatte Clemens eine Verbündete gefunden. Sie hat ihm unter dem 28. Mai nach Jena geschrieben:
- Ich wünsche Dir eine Frau, weil Du das Bedürfnis fühlst eine zu haben, ich wünsche sie wie die kleineJ(ung) und kleine Jungen von ihr, sie besitzt alles, was W(illemer) nicht hat, darum ist sie vollkommen gut, einfach und treu. W... bewacht sie mit Argusaugen, so daß ich ihr Deinen Gruß nur unter einem Vorwand in das Ohr flüstern konnte. Gewiß, lieber Clemens, sie steht so hoch bei mir als tief in Deinem Herzen. Sie kommt oft zu uns, und bei der ausgezeichneten Vertraulichkeit, womit ich ihr entgegenkomme, zeigt sie mir durch Worte und Blicke, daß sie es fühlt; aber es ist, als wollte sie sagen, daß sie noch mehr wolle, was sie nicht sagen darf.
Solche Geschichten und Affären sieht und hört Bettina. Häufig wird sie sogar, wie aus den Briefen hervorgeht, von Clemens dazu angehalten, dabei den Postillon d'amour zu spielen. Die Fragwürdigkeit großer Leidenschaften, die Brüchigkeit menschlicher Beziehungen und Bindungen, die Tatsache, daß Männer, nur weil sie Männer sind, sich jedes Recht herausnehmen dürfen, während die Mädchen und Frauen ihre Spielzeuge sind - all das kann ihrer Neugier und ihrem gegenüber allem Unechten, Unfreien und Ungerechten so wachsamen Sinn nicht entgangen sein. Sie ist in einem Alter, in dem man sich fragt, wie denn der Mann aussehen sollte, mit dem man verheiratet sein möchte. Aber sie weiß, daß allzuoft dem Mädchen, der Frau dabei gar keine Wahl bleibt: sie werden geheiratet, verlassen, verkauft, nach Belieben gebildet, eingesperrt, als Gebärerinnen benutzt. Den Gedanken, mit dem sie sich überall dort, wo in der Welt »Polizei der Seele« herrscht, auf Widerstand und Rebellion einschwört, hat sie erst viel später geschrieben. Wann es zum ersten Mal gedacht worden ist, wissen wir nicht. Wohl aber lassen sich die Erfahrungen rekonstruieren, die es hervorgerufen haben könnten.
Im April 1804 heiratet Savigny Gundel Brentano. Gunda ist vorübergehend in den Engländer Henry Crabb verliebt gewesen, der in Begleitung von Christian Brentano lange Fußwanderungen durch Deutschland unternommen und mehrmals auch im »Haus zum Goldenen Kopf« zu Gast gewesen ist. Friedrich Karl von Savigny ist der Mann, den die Günderrode geliebt hat. Der Mann, der an sie schreiben kann:
- Durch Schaden wird man klug, Erfahrung ist der beste Lehrmeister und ein gebrenntes Kind scheut das Feuer, man spricht viel von den Leiden des jungen Werthers, aber andere Leute haben auch ihre Leiden gehabt, sie sind nur nicht gedruckt worden!
Savigny hat ihr zu verstehen gegeben, daß er auch nach einer Heirat mit Gunda nicht auf ihre Freundschaft verzichten möchte. Karoline, die sich darüber mit Bettina ausspricht, zögert, ob sie das aushalten kann, den wohl noch immer geliebten Mann an der Seite einer anderen zu sehen. Schließlich fährt sie Ende 1803 mit Gunda auf das in der Nähe von Hanau gelegene Landgut der Savigny, und nach diesem Besuch schreibt Savigny an sie, er freue sich,
- weil Sie jetzt gewiß nicht mehr bloß mein Freund, sondern auch unser Freund sind. Nicht wahr, so ist es? Sie haben angefangen zu fühlen, was Sie sonst nur für einen Irrtum hielten, daß zwei unter uns dreien eins.
Karoline bestätigt:
- Ich finde unser neues Verhältnis sehr schön und frei, aber ich wollte, daß irgend ein sichtbares Band mich an Euch bände, wenn ich doch Ihr Bruder wäre, oder Gundelchens Schwester; ich würde es nicht schöner finden, aber sicherer. Die Verhältnisse der Verwandtschaft sind so unzerstörbar und kein Schicksal kann sie auflösen, das gefällt mir so, und könnte mich noch viel ruhiger und glücklicher machen als ich es jetzt bin.«
All das hat sich unter Bettinas Augen und Ohren abgespielt. Gewiß hat sie nicht alle Briefe gelesen, die uns vorliegen, die hier zitiert werden können. Aber sie wird anderes gewußt haben, Dinge, die wir nie mehr wissen werden, die sich ergeben, wenn man Menschen häufig sieht, durch Verwandte von ihnen hört, wenn man Bruder und Schwester ist, Schwester und Schwester, wenn die Freundin in derselben Stadt wohnt, wenn man selbst zur Kur ist in Schlangenbad und Karoline in Frankfurt, Bettina in Marburg und Karoline im Stift.
1804 haben Savigny und Gundel eine Studienreise nach Paris angetreten. Am 23. Mai dieses Jahres bringt Sophie Brentano (Mereau) einen Knaben zur Welt, der auf den Namen Achim Ariel getauft wird und kurz nach der Geburt wieder stirbt. Der Philologe Friedrich Creuzer, ein Bruder jenes Predigers, der Sophie und Clemens getraut hat, erhält einen Ruf an die Universität Heidelberg. Das veranlaßt auch Sophie und Clemens, von Marburg nach Heidelberg zu ziehen. Sie mieten eine geräumige Wohnung am Paradeplatz. Sophie verkehrt in der Stadt unter Wissenschaftlern und Kunstenthusiasten. Sie hat immer noch eine »niedliche, kleine Figur«, ist von freundlichem Wesen, unkompliziert und ungeziert. Bald ist sie wieder schwanger. Clemens aber hat entdeckt, daß er für die Ehe eigentlich doch nicht geschaffen ist.
(17) Achim von Arnim, 21 Jahre alt, ist im Sommer 1802 unterwegs von Frankfurt/Main nach Stuttgart und reist dann zum Rheinfall bei Schaffhausen, zu Huttens Grab auf einer Insel im Zürichsee. Er trifft seinen Bruder Pitt. Sie haben für ihre auf zwei Jahre geplante Kavalierstour, die Bildungsreise der Vornehmen, 4000 Taler zu ihrer Verfügung. Eine gewaltige Summe. Die Umrechnung von Talern in heutige Währung ist kaum möglich, aber gewisse Annäherungswerte lassen sich geben. Eine vierköpfige Familie, die keine Lebensmittel aus der Landwirtschaft entnimmt, kommt im damaligen Deutschland mit vier Talern im Monat für ihren Lebensunterhalt einigermaßen aus. So betrachtet ergibt das Reisegeld der beiden Brüder eine phantastisch hohe Summe, und es muß an dieser Stelle einmal auf das Privileg hingewiesen werden, das damit der Sohn einer - für damalige Verhältnisse gar nicht übermäßig wohlhabenden - Großgrundbesitzerfamilie gegenüber einem gleichaltrigen jungen Mann aus dem Kleinbürgertum besitzt. Weder Clemens noch Achim, von Savigny oder Gunda haben in diesen Jahren finanzielle Sorgen ernsterer Art gekannt. Darüber dürfen hier und da auftauchende Klagen, man habe die oder jene Reise nicht unternehmen können, weil das Geld knapp sei, nicht hinwegtäuschen. Was für die wohlhabenden jungen Leute ein gewisses Problem darstellte, war die Tatsache, daß sie bis zu ihrem 25. Lebensjahr über Besitz und Vermögen nicht selbständig verfügen konnten. Es wurde, sofern die Eltern nicht mehr lebten, von ihrem Vormund für sie verwaltet. So hat sich der Vormund der beiden von Arnims, die Großmutter von Labes, von ihren Enkeln versprechen lassen, daß sie unterwegs niemals um Geld spielen oder wetten - offenbar eine gefürchtete Möglichkeit, fern der Heimat, sein gesamtes Geld los zu werden. Pitt ist ein lebenslustiger, modischen Vergnügungen nicht abgeneigter junger Mann; Achim scheint auf Pitt sehr in sich gekehrt gewirkt zu haben. Heftige Streitigkeiten zwischen den Brüdern schon daheim sind überliefert. Alles, was Achim beschäftigt, nämlich Literatur, Theater, Volksmusik, interessierte Pitt höchstens beiläufig. Entsprechend unterschiedlich müssen die Freunde und Bekannten gewesen sein, die man unterwegs, mit Empfehlungsbriefen wohlversehen, aufsucht.
Der Stolz eines Bildungsreisenden von damals bestand darin, möglichst viele Berühmtheiten getroffen zu haben. Von Zuständen in anderen sozialen Gruppen als der eigenen sahen die jungen Leute dabei kaum etwas. Sie nahmen in sich auf, was anderswo im gleichen Stand, nämlich im Adel oder im wohlhabenden Bürgertum, den Gesprächsstoff bildete. Sie lernten jene Länder kennen, deren Lebensstil in Deutschland nachgeahmt wurde, deren Kunst Vorbild war.
Eines aber wird man als Sinn und Zweck dieser Kavaliersreisen nicht leugnen können: Ein junger Mann hat dabei die Chance, sich, ehe er sich auf einen Beruf wirft, im Abstand vom engen Lebenskreis der Eltern und Verwandten darüber klar zu werden, was denn nun Sinn und Ziel seines Lebens sein soll. Noch aus Zürich schreibt Achim an Clemens einen ausführlichen Brief über Bettinas Wesen und über sein Verhältnis zu ihr. Wenn er einmal, so heißt es da, die Familie Brentano insgesamt eine Verbindung von Feuer und Magnetismus genannt habe, dann sei Bettina die höhere Verbindung von beiden. Merkwürdigerweise findet er sie im Vergleich zu Clemens und sich selbst viel bewußter, zielstrebiger, viel weniger schwankend. Er spricht von ihrer Klarheit und meint, sie kenne jede wechselnde Empfindung in sich.
Er kann - im Gegensatz zu Clemens, der in seinen Briefen an Achim diesen Anschein zu erwecken versucht - nicht finden, daß Bettina in ihn verliebt sei. Nein, wenn Bettina liebe, wirklich liebe, werde das anders aussehen. Davon ist er überzeugt, und er sagt auch, hätte er sich in Frankfurt in Bettina verliebt, es wäre ihm nicht darauf angekommen, auf der Stelle seine Reise abzubrechen und dort zu bleiben.
Es ist dies ein Satz, den man bei aller Neigung zum Überschwenglichen in dieser Zeit sehr ernst nehmen muß. Achim ist ein Mensch, der sehr viel von der Liebe hält, so viel, daß er durchaus auch bereit wäre, sich über Schranken der Konvention hinwegzusetzen, aber er muß sicher sein, daß es wirklich Liebe ist, nicht nur ein Strohfeuer, ein Flirt, ein Abenteuer, Entflammtsein für den Augenblick.
In seiner Antwort an Achim, in der sich eine gewisse Enttäuschung darüber ausdrückt, daß es einmal mehr mit seinen Kupplerplänen nichts geworden ist, kommt Clemens zu einer ganz anderen Einschätzung der Schwester als Achim, die nun freilich fast mehr über ihn selbst als über Bettina verrät. Sie sei jungfräulich, unschuldig, sie fürchte sich, sie liebe Achim, liebe und fürchte ihn. Sie schäme sich ihrer Verliebtheit, und das einzige Mittel, diese Scham aufzulösen, sei, sie zu necken. Was nun das Verhältnis zwischen Bettina und ihm angehe, so sei es eben das Schlimme, daß sie gar keine Ahnung habe, wie zerrissen es in ihm aussehe, vielmehr halte sie ihn voller Bewunderung für einen Fels, genau dies aber sei er nicht.
In diesen Briefen aus dem Jahr 1802, die zwischen Achim in der Schweiz und Clemens, der eben aus Koblenz nach Frankfurt zurückgekehrt ist, gewechselt wurden, wird deutlich, daß Briefe zu jener Zeit etwas ganz anderes gewesen sein müssen als heute: unter anderem nämlich auch ein Hilfsmittel zur Steuerung komplizierter menschlicher Verhältnisse.
Da schreibt Achim, er habe Savigny erst durch jene Briefe recht schätzen gelernt, die Gunda ihm von ihrem zukünftigen Ehemann zu lesen gibt. Da wird ein Brief mit dem von Achim entworfenen Bildungsprogramm für Bettina von Clemens ganz selbstverständlich der Schwester gezeigt. Da schreiben Bettina und Gunda gewissermaßen im Duett an Achim. Bettina höchst blumig, von Liebe und Himmel und zwei Sonnen, die beide auf Achim scheinen; Gunda mit erfrischender Nüchternheit:
- Ich kann das alles nicht so ganz deutlich verstehen, mirscheint aber, es solle bedeuten, sie sei Ihnen gut und das bin ich Ihnen auch.
Am Ende dieses Briefes aber befindet Clemens recht schulmeisterlich: »All dieser Unsinn muß wohl am Ende Sehnsucht nach Kunst sein, wenn es nicht Sehnsucht nach einem Mann ist.« Oft entschlüsseln sich scheinbar recht harmlose Briefe als kleine Meisterwerke psychologischer Gesellschaftsspiele, die sich alle um Lieben und Geliebtwerden drehen.
Für Achim, den jungen Mann aus der Uckermarck, der zuvor nur deutsche Mittelgebirge gesehen hat, sind die Alpen ein Erlebnis. Die Route der Fußwanderung, die im Zickzack von Zürich an den Vierwaldstädter See führt, von dort nach Einsiedeln, am Ende des Zürichsees vorbei nach Ragaz, dann zum Walensee und nach Chur, durch die Via Mala nach Chiavenna zum Comer See über Como nach Mailand, von dort zurück zum Lago Maggiore, nach Bellinzona und dann über den Gotthardt nach Bern, ist eindrucksvoll. Wenn man dann hört, daß dieser Weg in nur vier Wochen durchwandert worden ist, so kann man nur staunen über ein solches Laufpensum.
Als Achim nach Bern kommt, regnet es dort lange, und er fühlt sich einsam. Aber der Regen schafft ihm auch Muße, über seinen großen Lebensplan nachzudenken. Er ist nun zu der Auffassung gekommen:
Alles geschieht in der Welt der Poesie wegen, die Geschichte ist der allgemeinste Ausdruck dafür, das Schicksal führt das große Schauspiel auf. Für den poetischen Genuß ist alles Sparen des Kaufmanns, für den Sonntag arbeitet der Handwerker, der Schüler für die Spielstunden; nur wenige, und das sind die Poeten, werden genug begünstigt, daß ihnen die Arbeit ein Spiel wird, und sie müssen für die übrige Menschheit arbeiten, daß sie den Zweck ihres Lebens nicht verfehlen, daß sie nach der Arbeit einen poetischen Genuß finden. Wer sich daher Poet nennt in diesem weitesten Sinn, der zeigt keinen Stolz (im Sinn von Hochmut), sondern höchste Tugend an; er ist ein wahrer Märtyrer und Eremit, er betet und kasteit sich für andere, damit sie das Leben haben.
Diese Sätze zeigen, wie Achim von Arnim versucht, sein preußisches Pflichtbewußtsein und sein Künstlertum in Einklang zu bringen. Man muß sie sehen vor dem Hintergrund einer strengen, puritanischen Erziehung durch die Großmutter, für die Kunst nichts als Firlefanz ist und die Künstler Faulenzer, Undisziplinierte, Schmarotzer der Gesellschaft.
Nun also geht Achim davon aus, daß man all dies genau umgekehrt zu sehen habe. Alle Menschen arbeiten nur mit dem Ziel, um sich irgendwann an Kunst zu erfreuen - bezeichnend für die Zeit wie für den Menschen Achim von Arnim ist dabei die Unbedingtheit, die Selbstverständlichkeit, mit der jede andere Freude, jede andere Freizeitbeschäftigung ausgeschlossen wird. Und daher muß auf dieser Welt jemand dasein, der den großen Schatz an Kunst-Freude herstellt. Für diese Aufgabe nimmt der Künstler ein opfervolles und entsagungsreiches Leben auf sich. Daß es sich Achim mit dieser Erklärung nicht leicht gemacht hat, beweist die Vorsicht, mit der er seinen Lebensplan in einem Brief an Clemens einleitet: »Ich teile ihn Dir unter dem Siegel der Verschwiegenheit mit, weil ich vor der Zeit nicht lächerlich werden will.«
Nach allgemeinen Auslassungen über die Funktion von Kunst und Künstler werden darauf die speziellen Aufgaben erörtert, die Achim und Clemens bei einer solchen Weltsicht in ihrem Leben angehen müssen:
Die Sprache der Worte, die Sprache der Noten stärker und wohlgefälliger zu machen, dies ist klar als erster Standpunkt unsrer Bemühungen anzusehen. Also eine Sprach- und Singschule! Sowie Tieck den umgekehrten Weg einschlug, die sogenannte gebildete Welt zu bilden, indem er die echte allgemeine Poesie aller Völker und Stände, die Volksbücher ihnen näher rückte, so wollen wir die in jenen höheren Ständen verlorenen Töne der Poesie dem Volk zuführen.
Man muß das genau lesen, weil damit auch der Traditionszusammenhang beschrieben wird, in den Achim von Arnim den Freund und sich gestellt sieht. Tieck hat die Vornehmen bilden wollen durch die Literatur des Volkes, Achim will das Volk durch jene in den höheren Ständen verlorenen Töne, also durch Volksmusik und Volkslied, bilden.
Nur ein paar Jahre hin, und Achim wird die Bekanntschaft von zwei jüngeren Männern machen und sich mit ihnen anfreunden - Jacob und Wilhelm Grimm. Sie sind der Meinung, daß in Sage, Rätsel und Märchen altes und uraltes Gut frisch und unverbraucht weiterlebe, sich darauf die höhere Dichtung und der höhere Glaube aufgebaut hätten.
Auch sie sehen in ihrer Sammlung von Kinder- und Hausmärchen ein Erziehungsbuch. Sie sind der Meinung - ob zu Recht oder zu Unrecht, kann hier nicht erörtert werden -, daß ihre Texte nicht für den Geschmack eines literarisch gebildeten Publikums zurechtgemacht, sondern weitgehend getreu wiederzugeben seien.
Achim von Arnim hat nun sehr konkrete Vorstellungen, wie die von ihm geplante Sprach- und Singschule aussehen soll:
... der erste Punkt unserer Wirksamkeit ist die Anlage einer Druckerei für das Volk in einem Land, wo der Nachdruck erlaubt und das Papier wohlfeil ist. Kaiser und Könige müssen uns Privilegien geben ... Von dem Gewinnst der Druckerei (wird) eine Schule für Bänkelsänger angelegt; man errichtet Sängerherbergen in den Städten und verbindet und lehrt ihnen die Schauspielkunst, es werden nun bessere musikalische, einfache Instrumente eingeführt...
Wichtiger ist die Bearbeitung der deutschen Sprache für den Gesang in einer damit verbundenen Schule der Dichtkunst, die, wenn es möglich, in dem Schlosse Lauffen beim Rheinfall eingerichtet wird. Hier wird die allgemeine deutsche Sprache erfunden, die jeder Deutsche versteht...
Der Vorschlag mit der Druckerei kommt einem Raubdruck zumindest sehr nahe, und das Ganze ist fast so etwas wie der Entwurf für eine Alternativkultur im Jahr 1802. Diese kulturellen Einrichtungen haben für Achim von Arnim auch eine politische Funktion:
Dies gibt den Deutschen einen Ton und eine enge Verbindung, jeder Streit zwischen ihren Fürsten muß sich selbst verzehren, weil der Deutsche gegen seine Brüder nicht zu Felde zieht.
Das heißt: Heilung aller deutschen Probleme durch die Kunst. Heilung aller europäischen Konflikte und Mißstände durch ein vorbildliches Deutschland. So schön und hochfliegend solche Träume sind, es muß auch gesagt werden: Es sind sehr deutsche Träume. Typisch deutsch an ihnen ist, daß eine gesellschaftliche Ordnung eben nicht in der Realität, sozial-politisch, sondern in der Innerlichkeit, künstlerisch, gesucht wird. In dieser Denkweise ist Achim von Arnim durchaus Kind seiner Zeit, seines Standes, eines vom Idealismus und der Aufklärung berührten Adels, und seines Landes, Deutschland, in der die nicht stattfindende Revolution in der Außenwelt vom aufgeklärten Adel und Bürgertum in der Innenwelt kompensiert wird.
Clemens antwortet auf so hochfliegende Gedanken mit der praktischen Anweisung: »Sammle viel Volkssagen und Lieder und alte Bücher in der Schweiz.« Im übrigen bleibt er skeptisch.
»Wird Dich nicht«, fragt er den Freund, »der Staat und der Stand gefangennehmen?« Wird Achims Familie, die solchen Plänen gewiß verständnislos gegenübersteht, ihn nach der Rückkehr nicht an die Leine legen, in eine Karriere zwingen, bei der ihm gerade noch so viel Zeit bleibt, um nebenher ein paar Verse zu schmieden? »Lieber Arnim«, schließt Clemens in diesem Brief, »verzeihe meine unfreundlichen Prophezeiungen und erblicke meine Liebe darin.«
Achim ist unterdessen nach Genf weitergereist. Er macht dort Eindruck auf literarisch versierte Damen. Da gibt es eine Frau von Krüdener, die an einem Roman Valerie arbeitet, da ist Madame de Stael, die Tochter des ehemaligen französischen Finanzministers Necker. »Sie ist unendlich lebhaft, wir haben uns beinahe vier Stunden herumgestritten, und sie interessiert mich«, berichtet Achim von Arnim.
Ende 1802 verlassen die Brüder Pitt und Achim Genf in Richtung Italien. Sie besuchen Genua, Nizza, Toulon und dann Marseille. »Paradiesische Gegenden mit Orangenwäldern in herrlichstem Blütenduft«, so spiegelt sich die Erinnerung an diese Landschaften später in Geschichten von Achim wider. Über Lyon erreichen sie Paris, wo sie über ein halbes Jahr lang bleiben. Die französische Hauptstadt begeistert Achim ganz und gar nicht. Er schreibt an Clemens, die Stadt liege auf seiner Seele »wie Streusand auf einem Rechenbuch. Hier ist nichts als Grippe, Huren und Restaurateurs. Alles saugt an einem wie ein Blutegel. Es ist, als ob man sich im Meer badet und die Haifische beißen einem die Beine ab.«
Er wird Napoleon vorgestellt. Er revidiert seine von Clemens übernommenen Vorurteile gegenüber Friedrich Schlegel, dessen Vorlesungen an der Universität er besucht. Er macht die Bekanntschaft des Grafen von Schlabrendorf, eines klugen Beobachters der politischen Szene Frankreichs, dem die dem Deutschen Reich durch Napoleon drohende Gefahr zeitig bewußt wird und der sich gedrängt sieht, in einer anonym erscheinenden Schrift seine Landsleute zu warnen.
Aus Clemens' Reaktion auf den Bericht über den Besuch bei Bonaparte kann man ermessen, zu welcher Berühmtheit dieser Mann schon zu diesem Zeitpunkt in ganz Europa gelangt ist. Wenn Clemens aus der Ferne von Napoleon schwärmt, so wird klar, daß solche Bewunderung ganz unpolitischer Natur ist und einem genialen Menschen gilt, der Persönlichkeit mehr als dem Feldherrn und Staatsmann.
In Paris hätte die Kavaliersreise der Brüder von Arnim ursprünglich enden sollen. Achim erhält jetzt einen Brief von der Großmutter. Sie drängt ihn, endlich in den Staatsdienst einzutreten. Dazu hat er offenbar wenig Lust. Er bittet in diesem Konflikt seinen Onkel Schlitz um Vermittlung und schreibt an diesen unter dem 21. Februar 1803:
Ich ahne, daß ich unter allen Bestimmungen der Welt am wenigsten schlecht die literarische erfüllen würde. Ich erkenne in mir eine gewisse Eigentümlichkeit der Ansicht in Kunst und Wissenschaft. Ich fühle oft Drang zur Darstellung und eine Leichtigkeit..., der Kunst ein sicheres Schloß auf märkischem Sand zu bauen. Ich glaube, daß ich kräftig und glücklich wirken könnte. Ich hätte große Pläne...
Sehr entschieden klingt das immer noch nicht - Achim ist sich noch nicht sicher.
Clemens schreibt weiter treu und brav an den Freund in der Ferne, ja, er trägt sich vorübergehend sogar mit dem Gedanken, Achim in Paris besuchen zu kommen. Ihre gemeinsame Rheinfahrt, die Trennung an der fliegenden Brücke zu Koblenz: auf diese Erinnerungen kommt er immer wieder zu sprechen. Es gibt sogar ein Gedicht von ihm, in dem er diese wahrhaft romantische Reise im Volksliedton feiert:
Es setzten zwei Vertraute
zum Rhein den Wanderstab,
der Braune trug die Laute,
das Lied der Blonde gab ...
Im übrigen ist in den Briefen der beiden Freunde vor allem von Literatur die Rede. Anzeigen neuer Arbeiten, Befürchtungen, der Verleger könne pleite gehen, ehe das neue Buch erscheinen kann, Hinweise auf Bücher, die man entdeckt hat, freudige Ausrufe über Volksliedfunde, Bemerkungen über arrivierte Kollegen, die man als überschätzt ansieht - das füllt diese Briefe. Achim, nun schon in England, erfährt, daß Bettina im Sommer in Schlangenbad, damals eine Sommerfrische der eleganten Welt, gewesen ist. Unterdessen geht er in London viel ins Theater und in die Oper. Er lernt die schöne italienische Sängerin Giuseppa Grassini kennen, die vorübergehend Napoleons Geliebte gewesen ist.
Ach, wenn sie doch den Welteroberer, als sie ihn in den Armen hielt, erwürgt hätte, lautet der Kommentar des jungen deutschen Patrioten Achim von Arnim.
Unterdessen pinselt der Maler Ströhling aus Düsseldorf Achims Porträt, das dieser für sein Patenkind, den Erstgeborenen von Sophie und Clemens gedacht hat. Doch der kleine Achim Ariel ist inzwischen bereits wieder gestorben, ohne daß die Nachricht schon zu Achim gedrungen wäre.
Achim reist nach Wales. Er hört dort von einer jungen Frau die Geschichte des Owen Tudor und verarbeitet sie zu einer Novelle. Er wandert über Weideflächen und Jagdreviere des Schottischen Hochlandes. Er besucht die Isle of Wight und behauptet, wer nie dorthin gekommen sei, wisse nicht, was grün heiße. Er kauft eine schöne Sammlung schottischer Balladen und Romanzen und teilt Clemens mit:
Ich will daraus ein Englisch lernen, das kein Mensch verstehen soll, damit ich mich an den Engländern räche und ihnen beweise, daß sie eigentlich keine Sprache reden.
Er erfährt, daß sein Vater gestorben ist, und ist erstaunt, daß ihn der Verlust, trotz aller Vernachlässigung während der Kinderzeit, stark anrührt. »Ich habe meinen Vater wenig gekannt«, schreibt er an Clemens, »aber darum schmerzt es mich tiefer.« Das Leben in England ist teuer, und auch an London hat Achim von Arnim wieder so manches auszusetzen: »Der Mensch gilt hier wie eine Kanone, wieviel Pfund der verschießen kann. Wie will ich die deutsche Erde küssen. Da gilt noch etwas anderes als Geld.« Kurz vor dem festgesetzten Reisetermin erkrankt Achim an einer Leberentzündung. Offenbar handelt es sich um eine infektiöse Gelbsucht, die man sich bei den schlechten sanitären Verhältnissen in London noch leicht aufliest.
Die Krankheit ist lebensgefährlich. Er ist deprimiert. Schwer zu sagen, ob nur von der Krankheit. Es gibt so wenig Hoffnung. Er hat einen hochfliegenden Lebensplan gemacht, aber Clemens hat recht: Vorläufig wird es unmöglich sein, ihn zu verwirklichen. Deutschland, Preußen, das wird eng sein, nachdem er einmal draußen gewesen ist. Auch wenn er behauptet hat, er wolle die deutsche Erde küssen. Was soll er machen, wenn er in Berlin ist? Zwei Romane hat er veröffentlicht. Beide sind kein großer Erfolg gewesen. Kann er überhaupt schreiben? Hat er sich da nicht in etwas verrannt? Auch mit solchen Fragen muß er sich während seiner Krankheit auseinandersetzen.
Derweilen studiert Bettina zu Frankfurt Geschichte und schreibt darüber mit der ihr eigenen Respektlosigkeit: »Die Geschichte Ägyptens ist in den ersten Zeiten dunkel und ungewiß. Das ist ein Glück, sonst müßten wir uns darum kümmern.« Ganz vergessen hat sie diesen Achim von Arnim keineswegs. Aber sie lebt zu sehr in der Gegenwart, um ihm jetzt, da er so weit fort ist, allzu viel Beachtung zu schenken. Andere Männer? Es gibt immer wieder diesen und jenen, auf den sie Eindruck macht und der ihr auch nicht schlecht gefällt. Aber als beispielsweise in Schlangenbad der Herzog von Gotha im Wald mit ihr zu flirten beginnt, schwärmt sie vom Gesicht Karolines. Überhaupt, mit solchen oder ähnlichen Tricks hält sie sich die Männer auf Distanz. Außer der Geschichte beschäftigt sie die Musik. Sie hat begonnen, Lieder zu komponieren. Sie ist immer noch sehr sprunghaft, und wenn ihr etwas zu starr oder zu ordentlich vorkommt, ruft das ihren Widerstand hervor.
Wir schreiben den Mai des Jahres 1804. Die Günderrode erhält aus Hanau eine lange Zeit zurückliegende Schusterrechnung über 17 Flr. und kann sie nicht bezahlen. Sie muß sich den Betrag bei Bettina gegen ein Pfand leihen.
In Göttingen ist Achim von Arnims Roman Ariels Offenbarung erschienen. Clemens hat Sophie daraus vorgelesen. Sie hat daraufhin ein Sonett für den Freund ihres Ehemannes geschrieben:
Ich sah das schöne Thal voll Frühlingsleben
In Blüth und süßen Farben rings entbrennen,
Und eine Herrlichkeit, die nicht zu nennen,
Schien es in ew'ger Jugend zu umschweben.
Kann die Natur wohl Schöneres erstreben
Als solchen Reiz, dies seelige Entbrennen?
Der Frühling ist von allem, was wir kennen,
Die Lust der Welt, das Göttliche im Leben.
Da las ich, was ein Gott dir eingegeben
In dunkler Ahndung, wunderbare Lieder
Bei tiefem Ernst, erfreuliche Gesichte.
Oh! Dacht ich, zarte Blüten, glüh'nde Früchte
Wie seid ihr hier vereint? Nein! Nur der Dichter
Ist Lust der Welt und Göttliches im Leben.