April

Mittwoch 1ten
R. singt den Chor »Wacht auf« (sich freuend, daß er zu unseres Freundes Riedel Jubiläum in Leipzig gewählt wurde). Er sagt: »Das war für mich die Quintessenz des Werkes, das hatte ich zu allererst in Paris und sagte zu Weißheimer in Bieberich: Geben Sie acht, das Vorspiel zum dritten Akt wird die Hauptsache sein. Das steht dem Deutschen an, dacht ich, als ich es entwarf, kein Pathos, keine Extase, herzliche Tiefe, Gemütlichkeit, auf dieser Grundlage ist zu hoffen, diese stell ich mir gern vor.« - Wir kommen darauf auf Bismarck und die jetzige Lage, auf eine Auflösung des Reichstages hoffend; »wir hätten zur Not ein deutsches Reich, aber wir haben kein deutsches Volk. (In Frankreich dagegen ist jeder ein Franzose, kann nicht aus dem Zwickel heraus« )**(**( ) Am Rand eingefügt) - ganz andere Form der Vertretung wünsche R. für Deutschland. - Gott weiß, wie wir auf Minna zu sprechen kamen; er sagt, daß, was ihn zur Heirat getrieben, zum Teil war, daß er sehr leichtsinnig an sie herangekommen sei und nun gewahrt hätte, daß sie anständig war, und daß andere Verhältnisse, die er für ehrlos gehalten hätte, ganz ehrbare waren. »Ach«, sagt er, »die Differenz der Intelligenz ist das schlimmste; verschiedene Charaktere ziehen sich an und ergänzen sich, aber wo die Intelligenz gar nicht mitkann, da demoralisiert sich auch der Charakter.« (Alles mit blauer Tinte schrieb ich [in] R.'s Arbeitsstube im neuen Hause.) »Auch fehlte mir das mütterliche Haus, darin ich gern zurückgekehrt wäre, meine Heirat war eine Art von Emanzipation.« - Vor- und nachmittags gehe ich in das Haus. Abends beginnen wir »Iphigenie in Aulis« von Euripides, können aber nicht lange darin fortfahren, nehmen zu größerer Erheiterung die Bearbeitung von Racine und endlich nur, um im ächtest Großen uns zu taufen, einige Scenen aus »Julius Caesar«, wobei R. bemerkt, daß das merkwürdige dabei ist, daß Shakespeare uns ganz den unsympathischen Caesar gibt, wie er auf uns - ohne daß wir wissen warum - aus der Geschichte wirkt. Staunende Bewunderung darüber, wie Caesar zuerst eingeführt und dann ausgearbeitet (in der Scene, wo er Cicero begegnet) wird.
Donnerstag 2ten Grün-Donnerstag
R. fühlt sich unwohl, und wir sind beide sehr durch unseres alten Rus' Krankheit betrübt, das große arme Tier stöhnt jämmerlich, der Tierarzt erklärt es für Rheumatismus. - Arbeit im Haus Vor- und Nachmittag; R. mußte wiederum vor Gericht des Prager Theaterdirektors wegen, heimkehrend sagt er mir: »Dieser Unsinn von diesen Leuten, was eine Hilfe für Bauern ist, das wenden sie bei mir an, diktieren mir, was ich zu sagen habe!« - Ein Schullehrer, Kantor aus Soest, schickt 80 Thaler, der Erfolg eines Konzertes für Bayreuth -sehr rührend. - Abends begibt sich R. in das Kränzchen, nur um, wie er sagt, den Heimgang zu haben, da er sich zu leidend fühlt, förmlich erstickt. - Er sagte mir, wie er heute nach dem Garten gegangen sei, habe er sich gezwungen, langsam zu gehen, plötzlich sei der Krampf gewichen, und er habe eingesehen, wie wohltätig es ihm sein würde, wenn er sich nur etwas ruhiger in allem verhalten könnte. (Bei Tisch die Erbsensünde Erbsenpuree). »Was wäre mir Haus und Garten, darauf ich mich so freue, ohne Familie«, ruft er aus; »ich weiß, wie gleichgültig mir dies alles ward in München; wie dumm nur, daß ich das bemerke!« Während er im Kränzchen ist, lese ich Lusch in den »Piccolominis« weiter vor, die ich Sonntag mit ihr begonnen. Heimkehrend erzählt er von den üblen geschäftlichen Aussichten, die Feustel mitgeteilt; von Bismarck sprechend, sagt R.: »Er führt noch gar nicht den geringschätzigen Ton, der sich gehörte diesen Parlamentseseln gegenüber.« - R. nahm viel Ärgernis heute daran, daß die Juden hier in geputzten Kleidern auf den Straßen umhergehen, weil es ihr Osterfest ist: »Ich werde mir noch einmal das Maul daran verbrennen, wenn ich einmal Stadtverordneter bin; das Volksgefühl so zu kränken, an unseren Trauertagen sich fröhlich geputzt zu zeigen. Das ist Lessing'sches Überbleibsel,[1] alle Religionen sind gut, noch dazu der stupide Mahometismus.« - Wir kommen in unserem Gespräch wieder auf den schädlichen Einfluß zurück, welchen Euripides auf die moderne Dichtkunst gehabt bis auf Schiller und Goethe, und kommen dabei auf den gekrönten Goethe, als Orest, das Bild von Pecht, R. sagt: »Solch ein Bild, wenn Pecht es mir geben wollte, nehme ich gern an.« Über Goethe's Spiel: »Gewiß war es ungelenk, ich kann mir gar nicht vorstellen, wie ich irgend eine Rolle spielen könnte, mich hinstellen und beklatschen lassen. Unmöglich.«
Freitag 3ten Karfreitag.
Zur Kirche mit den Kindern, heimgekehrt schlage ich R. vor, mit uns auf das Theater zu wandeln. Da er zu unwohl ist zu arbeiten, besteigen wir den Hügel, der auch ein Leidensberg für uns ist. Nachmittags nach Fantaisie gefahren, um die Hühner zu besichtigen, von welchen der Herzog uns einige geben will. Schöner Tag, heitere Stimmung (auf dem Theaterhügel sahen wir die Parzivalblümchen des Grütli, Erinnerungen an diese ernsten entscheidenden Tage). Am Morgen, wie ich zur Kirche ging, entließ mich R. mit den Worten: »Grüße deinen Heiland von mir, obgleich er vom Anbeginn bis zum Dekan viel Konfusion angestiftet hat.« -Abends lesen wir »Iphigenie« des Euripides zu Ende, selbst das Schöne darin, die Erhebung der Iphigenia, rührt nicht, es wird darin alle Empfindung zu Tode geredet und begründet. O Shakespeare!...
Sonnabend 4ten
Einige Briefe; Gouvernanten-Angelegenheit, und einen sehr wehmütigen unseres Freundes Nietzsche, der sich vergrämelt; R. ruft aus: »Er muß heiraten oder eine Oper schreiben, freilich wird letztere auch derart sein, daß sie nie zur Aufführung kommt, und das führt ihn auch nicht in das Leben.« - Ich gehe in das Haus und mache dann einige Besuche; R. nimmt das erste Bad im Hause und befindet sich darin so wohl, merkt so gute Folgen davon, daß er ein ganz andrer heimkommt. Heiteres Mittagessen in Folge dessen, glückliches Genießen dessen, was wir uns sind und haben! Nachmittag in das Haus, Empfang der »Kauders«,[2] Gelächter der Kinder, viel heitere Laune. Abends lese ich R. den Brief von Frau v. M., der armen, vor, was das Gespräch auf den Vater bringt. Dann lesen wir in den indischen Sprichwörtern, um immer tiefer diese seltsame Verbindung der höchsten weltverneinenden Weisheit mit der schärfsten Lebensklugheit [zu erkennen].
Sonntag 5ten
In die Kirche mit den Kindern; darauf im Hause die Eier versteckt. R. nimmt sein zweites Bad, nachdem er etwas gearbeitet hat. »Wenn ich den Kauder los bin, werde ich erst gesund - unter Kauder verstehe ich den Ring des Nibelungen«, sagt er. - Nachmittags bis Abend Verplaudern mit den Kindern, welche sich Masken machen. - R. sagt: »Ich schreibe keine Partitur als wie bis Fidi mir sie instrumentieren kann.« - Abends das mir zugesendete Buch Ollivier's über Lamartine[3] und den Nichtempfang in der Akademie. Früh zu Bett. - R. freute sich heute über meine Büste und sagte: »Es ist eine andere Art Freude als die Gegenwart; wenn ich dich ansehe, ist immer Affekt dabei, hier bei der Betrachtung der Büste waltet die Idee.« Er ist auch zufrieden mit der seinigen von Kietz. »Noch zwanzig Jahre«, sagt er, »will ich glücklich sein.« - Wir vernahmen heute früh den Choral, geblasen vom Kirchturme herab, und R. spielt mir den Pilger-Chor. »An diesem will ich auch etwas verändert, nämlich bei Alle Welt ist Alle zu lang, ich wußte damals nicht so mit den verschiedenen Taktarten umzugehen, und es hat mich die falsche Deklamation immer geniert.« - Gestern schickte ein Anonym ein Oster-Gedicht mit der Bemerkung: »Wenn Sie gute Musik dazu machen, werde ich mich nennen.« R. meint, es müsse ein Fürst sein, »Reuß Schleiz
Greiz«.    
Montag 6ten
Konsistorialrätliche Besuche. R. arbeitet. Ärgerlichkeiten mit den herzoglichen Hühnern, welche auf einmal sehr umständlich sind. Lulu weiter in »Wallenstein« gelesen, R. erweckt Wallenstein bei Lietzen durch ein kräftiges Kikeriki, ihm eingegeben durch die Unannehmlichkeiten mit den Hühnern. Nachmittags alle Kinder unwohl und zu Bett. Wir lesen im Schopenhauer (ich glaube das Kapitel heißt: »Über die Formen der Erkenntnis«[4]), um immer wieder über die Tiefe der Gedanken, die klare Präzision des Ausdrucks zu erstaunen! - Brief des Onkels aus Wien, der Vater wohnt bei ihm und gibt heute ein Konzert bei der Fürstin Auersperg.
Dienstag 7ten
Alles krank, selbst ich mit Kopfschmerzen und Heiserkeit geplagt. R. himmlisch gut, übernimmt alle Aufträge für das Haus und bleibt heiterer guter Laune.
Mittwoch 8ten
Neue Gouvernante! Gott gebe seinen Segen! R. lehrt sie das neueste Gebet für Fidi: »Lieber Gott, verhilf mir zu meinem Glück, gib mir morgen das größte Stück.« - R. geht in das Haus, ich mit ihm, er badet, befindet sich aber nicht sehr wohl darauf. Nach Tisch singt er eine Melodie von einem Beethoven'schen Quartett und sagt: »Beethoven geht über alle, weil er die Schönheit hat. Eigentlich gibt es nur zwei Künste, die Plastik und die Musik, letztere unendlich über erstere erhaben, weil sie nichts von der Realität des Lebens entlehnt. Die Dichtkunst kann man als Kunst nicht recht gelten lassen, Goethe, der sich zum Plastiker geboren hielt, hat das gefühlt, deshalb scheute er vor den unseligen Veränderungen in Romeo und Julia nicht zurück.« - Nachricht vom Tode Kaulbach's -[5] eine bereits abgetane falsche Größe. - Abends liest mir R. aus Schopenhauer: Bemerkung über meine Philosophie, und die Einleitung von Finlay, Geschichte Griechenlands. Letzteres sehr interessant, wie jede Berührung mit dem griechischen Genius fesselt und erhebt. R. freut sich namentlich über die Würdigung des Alexandros.
Donnerstag 9ten
Ich hatte eine schlimme Nacht und muß mich in Folge dessen fiebernd und heiser zu Bett halten, die Kinder auch sämtlich erkältet. - R. liest am Morgen die jüngste Schrift von unserem Freund Nietzsche[6] und faßt sein Urteil also zusammen: »Es ist die Schrift eines sehr bedeutenden Menschen, und wenn er sehr berühmt werden sollte, wird auch diese Schrift einst beachtet werden. Sie ist aber noch sehr unreif, alle Anschaulichkeit fehlt ihr, weil er niemals Beispiele aus der Geschichte gibt und doch viele Wiederholungen und keine eigentliche Einteilung hat. Diese Schrift ist zu schnell erschienen. Ich weiß niemanden, dem ich sie zur Lektüre geben könnte, weil ihm kein Mensch folgen kann. Die Grundidee hat Schopenhauer schon ausgesprochen, N. hätte sie viel mehr vom pädagogischen Standpunkte aus beleuchten sollen.« - Ich lege hier die Telegramme des Königs und des Fürsten* (*Glückwunsch Ludwigs II. von Bayern zu Bismarcks 59. Geburtstag am 1. April (Zeitungsausschnitt vom 8. April), Dankadresse des Reichskanzlers (Zeitungsausschnitt vom 2. April), s. Anm.) bei, weil sie mir sehr erfreulicher Art dünken.
Freitag 10ten
Loldi's Geburtstag muß verlegt werden, wir sind alle vom Frühjahr erfaßt. R. schreibt eine Seite seiner Partitur; wie er auf dem Klavier etwas versucht und wieder an die Arbeit sich setzt: »Die richtige Naht, der rechte Draht«, sagt er lachend. - Herr Peters-Friedländer schreibt vom stetigen Erfolg des Kaisermarsches und bietet für eine Ouvertüre 5000 Mark! Und gestern schrieb Herr Eckert, daß dieses Quartal 1750 Th. in Berlin eingebracht, beständig ausverkaufte Häuser und erhöhte Preise.
Von Freitag 10ten bis Mittwoch 15ten
so ziemlich zu Bett zugebracht. Nichts Bedeutendes vorgefallen, zwei schöne Frühlingstage, und im übrigen graues Sturmwetter. R. auch nicht wohl und langsames Vorwärtskommen im Hause. Der Vater schreibt mir, daß er uns nicht im Sommer besuchen wird, sondern auf 6 bis 8 Monate nach Rom geht. R. arbeitet regelmäßig, wenn auch langsam.
Mittwoch 15ten
Graues trübes Wetter, ich bringe Vor- und Nachmittag bei den Kindern zu, Briefe schreibend. R. arbeitet, geht zweimal des Tages ins Haus, badet auch dort und beaufsichtigt alles. Abends kommen von Paris wiederum schöne Partituren an, und R. spielt mir aus der »Ve-stalin«; die Bitte Julien's[7] an die Oberpriesterin, die Krönung Lycinus', vor allem ihr Monolog, entzücken uns, »ein Mensch, der so etwas geschrieben, ist einem heilig«, sagt R.
Donnerstag 16ten
Immer Hausarrest, dabei Verödung des Hausstandes, da Vorhänge und Möbel schon entfernt werden. R. arbeitet nicht, schreibt an den Sekretär des Königs, »gemütlich« sich beklagend, daß ihm eine so große Gnade bewilligt worden sei und kein Wort dazu ihm geschrieben. Abends geht R. in das Kränzchen, wo Pr. Fries, der die Meistersinger soeben in Nürnberg gesehen, berichtet, daß es der größte Kunsteindruck sei, den er empfangen habe. - R. erzählt mir, daß, von einem Jungen angebettelt, er denselben zuerst abgewiesen, dann aber zurückgerufen, seine elende Miene habe ihn erbarmt; er habe ihm einen Gulden gegeben: >Er würde sehen, ob die Mutter ihm etwas dafür anschaffe<, dann soll er wiederkommen, er würde wieder einen Gulden erhalten. R. wird von den Kranzbindern[8] getadelt, begreift aber nicht, daß in einer kleinen Stadt so viel Armut bestehen könne. - Der Brunnen im Hause endlich zu Stande mit Pumpe, viele Hühner im Hühnerhof, dazu ein Barometer angeschafft und einen vortrefflichen Gärtner: Konrad Rausch, acquiriert, der selbst aussieht wie eine alte Wurzel. - In New York haben sie Lohengrin gegeben.
Freitag 17ten
R. von Kopfschmerzen geplagt in Folge des Kränzchens, kann nicht arbeiten, geht in das Haus, und mit starkem Husten heimgesucht kann [ich] ihm nicht beistehen, muß zu Hause bleiben. Abends sagt mir R.: »Ich glaube, nur einen Grad mehr und ich könnte einen unüberwindlichen Ekel vor dem Bayreuther Unternehmen empfinden, meine Werke bereuen, wie Goethe es bereute, sich jemals mit dem Theater eingelassen zu haben. Ich sah heute eine Theater-Zeitung, und nur der Gedanke, daß Menschen mir so etwas zuschicken, nur in Konnex mit solchen Menschen zu sein, erfüllte mich mit Widerwillen.« - Er liest mir abends in Freytag's Bildern der Vorzeit die Zeiten des 30jährigen Krieges - schrecklich.
Sonnabend 18ten
Ich habe wiederum Bettarrest und bin nun ein ganz unnützes Glied des Hauses! - Ich bitte R., mir »Woodstock«[9] zu geben, er freut sich, daß ich diese Lektüre vornehme, und sagt: »Erst kürzlich dachte ich daran, daß die Geschichte einzig an der Hand eines Künstlers wie W. Scott genießbar ist; sonst ist [sie] das ödeste, Abschreckendste.« - R. ist heute sehr zerstreut bei der Arbeit und beschließt, morgen die letzte Seite zu schreiben. Das geschieht auch, »bei des Speeres Spitze« ist der Schluß im alten Haus, und bei dieser Gelegenheit bemerkt R., daß nie wieder solche religiösen Zustände kommen würden, wo ein jeder Gegenstand geheiligt, eine jede Handlung den Göttern geweiht war.
Vom 19ten bis zum 28ten
lauter Umzugsnöte, dazwischen für mich der furchtbare Schlag der Nachricht von Marie Muchanoff's Sterbenskrankheit, unter entsetzlichen Schmerzen!... Viele Schätze aus der Fülle des Geistes und des Herzens gehen nun für dieses Buch verloren, da ich betäubt von dem Eindruck und ohnedies überbeschäftigt erst im Hause (zum letzten Glück) am 29ten  die Feder ergreife. Doch einzelne Data kann ich notieren. R. packt seine Bücher ein, und wir behalten draußen Shakespeare, die indischen Sprüche und Schopenhauer. Letzterer war das einzige, was ich anhören konnte am Tage der Nachricht von meiner Freundin Dahinscheiden! Dann aus »Julius Caesar« gelesen, wovon der Eindruck mir immer der tragischste von allen Tragödien ist, von vorneherein ist alles verloren, und wie Gespenster erscheinen die Menschen; sonderbar ist es, daß Sh. uns hier ganz und gar die Eindrücke wiedergibt, welche man in der Jugend von den Dingen und Menschen durch Plutarch empfangen hat. - In den letzten Tagen hatte R. einen sonderlichen Traum von Mendelssohn, welcher für die Schrö-der-Devrient nichts schreiben wollte, weil sie bei seinem Begräbnis nicht gesungen hatte. Dann immer wieder der alte Traum von Minna, welche noch lebe, und R. sich früge, »mein Gott, wie soll das werden mit Cosima! Nun, die Frau kann nicht ewig leben«, mit diesen Worten wacht er auf. - Die letzten Briefe*,(*Beginn einer neuen Tagebuchseite, am Rande überschrieben: »ImHause«.) welche ich im Hause erhalte, sind von der Mutter und E. O.**,(** Emile Ollivier) erstere kann mir meine 40 000 frcs. nicht geben, letzterer will mir meinen Schmuck (bei Schwester Blandine deponiert) nicht zurückerstatten! - Endlich
Dienstag 28ten
Einzug im Hause! Es ist noch nicht fertig, weit davon, allein wir erzwingen es. Hübsches Mittagessen bei Feustels; um 4 Uhr Einweihung der Speisestube durch die Konferenz zwischen den Herrn Hoffmann, Brandt, Brückwald, dem Verwaltungsrat und den Herrn Brückner,[10] Dekorationsmaler aus Coburg. Letzteren wird die Ausführung der Skizzen von Pr. Hoffmann auf des letzteren Vorschlag anvertraut, R. berichtet mir von der schönen Stimmung, welche geherrscht habe, und wie alle nur von einem Geiste der Ergebenheit zur Sache erfüllt gewesen wären. Schöner hätte das Haus nicht eingeweiht werden können. Gemütliches Abendbrot; die drei Kleinen, Eva als Anführerin, danken dafür, daß wir sie so schön eingerichtet haben. Fidi hat seine eigene Stube. Mondschein, auf den Balkon mit R. tretend erblicken wir das Grab, und er benennt das Haus: »Zum letzten Glück«.
Mittwoch 29ten
Unruhige Nacht. Morgens wiederum Konferenz, Kontrakte abgeschlossen, herzlicher Abschied von allen Beteiligten. Erstes Mittagessen, recht heiter und froh, alles noch gesund, ich nehme nach der Unterbrechung von 10 Tagen dieses Buch wieder auf. Schwer liegt auf dem Herzen der fernen Freundin Siechtum und eine Notiz aus einer Zeitung, daß Hans in Moskau erkrankt sei! Früh zu Bett.
Donnerstag 30ten
Gute Nacht, aber kalter Tag; lauter Einrichtungsnot. Viel durcheinander. Am Nachmittag erhält R. einen unangenehmen Brief vom Rat Düfflipp, dem er geschrieben hatte, einzig um sich der Stimmung zu versichern, in welcher der König die Huld bewiesen. Aus diesem Schreiben geht hervor, wie dort wiederum agitiert worden ist. R. sagt mir zuerst nichts von dieser unangenehmen Erfahrung.