Sonntag 1ten
R. erzählt mir zwei Träume, die er diese Nacht hatte, der eine war ein Abschied von Minna, wobei er sie erschreckt frug, Herr Gott, hast du denn Geld von mir erhalten? Sie freundlich: »Denkst du jetzt daran«, worauf herzlicher Abschied, er aber sich sagend: »Nun wirst du ihr schriftlich besser sagen können, daß es nicht mehr geht, daß wir zusammen leben.« Der zweite spielte in Paris, im Foyer der großen Oper, wo R. dirigieren sollte, ein Werk von sich aufführen, und höhnisch von den Orchestermitgliedern empfangen wurde; einer: »Sie bilden sich wohl ein, hübsch zu sein und zu gefallen.« »Sie wollen wohl hier Ihr Werk aufführen. « R. sucht sie dahin zu beruhigen, daß er nie ein Orchester gequält habe, nicht aber beachtet wird; wie es an das Einstudieren gehen soll, verliert er seinen Hut, sucht, und mit Hohngelächter bringen ihm die Orchestermitglieder allerlei Kinderhüte vor, worauf Erwachen. - Ich gehe in die Kirche, O Haupt voll Blut und Wunden, darauf leider Predigt. R. arbeitet; zu Tisch den Macedonier, dem R. einiges über Tempo sagt, »freilich«, sagt R., »muß einer einen Eindruck davon haben, er muß wissen, wenn er es gut gehört hat und dann schlimm hört, daß es nicht dasselbe ist«. Mit dem Metronom ist da nichts zu tun. Die Nohltädgkeit*(*Von Prof. Nohl!), wie R. das neueste Buch des guten Mannes nennt, macht uns sehr lachen. - Wie der Fremde sich entfernt hat und, R. und ich, wir uns umarmen, sagt er zu mir: »Du bist unvergänglich schön!« Am Morgen erzählte er mir, daß Minna ihm mit der Herausgabe ihrer Memoiren gedroht habe, was mich sehr lachen macht. - Wie er von Tempo spricht, erzählt er wiederum von der Schröder-Devrient, wie sie in eine Probe von »Wilhelm Tell« gekommen sei und ihm gesagt, doch nicht die Tyrolienne so rasch zu nehmen, »sie konnte das Schludern nicht leiden«, sagt R. Abends wollen wir die Kupferstiche ordnen, es gelingt aber nicht, und wir kehren zu Gibbon zurück.
Montag 2ten
R. hatte wiederum keine gute Nacht, er arbeitet aber dennoch. Herrliches Frühjahrswetter, ich führe Daniella zur Volksschule, um dort eingeschrieben zu werden; im tiefen Gemüt bitte ich, sie möge den h. Akt zu ihrem Frommen begehen. Mittag allein mit R., darauf geht er aus, nach Herrn Feustel zu sehen, welcher von München nun heimgekehrt sei; trübgemut kehrt er heim; Freund Feustel sei nicht bei Düffl. gewesen, weil ihm die Behandlung der letzten Begegnung unangenehm sei; Prof. Hoffmann's Forderungen seien unklar und quenglig, und Brandt stelle die seinigen gar nicht; hierzu kommt, daß der König Schulden hat. Gott weiß, was uns hier noch bevorsteht. - Abends liest R. mir in den »Bildern der Vorzeit« vor.
Dienstag 3ten
Beim Frühstück, wie wir über seine Frau sprachen, sagte mir R.: »Von der Wirklichkeit meines ganz früheren Lebens wüßte ich nichts, wenn ich nicht die paar Opern von mir hätte.« - Bei Tisch sagte R.: Wenn ich zu den Sozialisten zu sprechen hätte, würde ich diese drei Axiome aufstellen: 1. Es gibt gute und schlechte Menschen, 2. Der Reiche ist nicht glücklicher als der Arme, 3. Wenn ihr den Landmann nicht unter euch habt, nicht mit ihm einig seid, ist eure ganze Bewegung keinen Schuß Pulver wert. - Mit den Kindern Vor- und Nachmittag spazieren; abends Depesche von Herrn Brandt, auch mit ganz ungefähren Bestimmungen; R. sehr unangenehm davon berührt, sagt, es sei, als ob alle sich einen Scherz mit ihm machten. Gestern schrieb er an Hofrat Düfflipp, um schleunige Entscheidung bittend. - Malwida schreibt; wie R. mit einiger leiser Ironie den Brief liest, sage ich zu ihm: »Du bist früher nicht so scharf gegen deine Freundinnen gewesen.« »Ich kannte das andere nicht - und sie kennen keine Wunden.«In Freytag gelesen, mit Entsetzen über dessen Stil. »Wozu sind nun unsere Schulen da?« Wir beschließen den Abend mit »O Haupt voll Blut und Wunden!« »Es ist wahr, es gab zu dieser Zeit keine großen Männer, aber Stunden der Weihe«, sagt R.
Mittwoch 4ten
»Hilf mir zu einem guten Tag«, sagt R. in der Frühe. Dann ruft er das Bild seiner Mutter an, vor welchem ich liege, und: »Was sagst du nun«, ruft er es an, »daß ich diese Frau mir gewonnen?« - Er erzählt dann von einem Stück in der Art der »Kapitulation«, das er gern schriebe, worin alle Literaten mit Namen (Lucius Freytag, Fabius Rodenberg etc.) mit ihrer Sprache vorkämen; dazu ein Bauer. »Ich möchte wohl, es käme solch ein Theatergenie, der alles dies derb zeichnete und ganz frei mit Personen umging, sie nicht als Realitäten behandelnd; allein das Publikum würde ihn nicht verstehen, denn wir haben keine Öffentlichkeit, und diese Menschen sind eigentlich Schemen, sie existieren nicht für das Volk. In Deutschland muß man die große Glocke schwingen, wie ich es tue, auf den Deutschen wirkt nur das Erhabene, und ist bei uns die Musik das einzige Arcanum.« — R. arbeitet; immer keine Notizen von München. Da das Wetter schön ist, bin ich den ganzen Nachmittag mit den Kindern im neuen Hause. Abends die Kopie mit Herrn Runckwitz dazu; Meistersinger-Vorspiel vorgenommen, dann die c moll Symphonie und »Joseph in Ägypten«, letzterer der Gegenstand der großen Bewunderung von R., er sagt, wie ihn die Arie von Simeon als junger Mensch ergriffen hat: »Von ihm (Mehul) hat man gelernt, das austönen lassen, den [unleserlich], wie er es zweimal hat, nach dem Fluch des Vaters und der Arie des Simeon, wie beendigt man so etwas? Das Eintreten von Joseph, das ist Kunst. Es waren doch bessere Menschen als jetzt, die an derlei sich unterhielten, und es war keine geringe Kunstzeit, wo drei Werke wie >Die Vestalin<,[1] >Les deux Journees< und >Joseph< als Preiswerke gestellt wurden. Jetzt herrscht Flotow und Offenbach.« - Von Dirigenten und Orchester sprechend, sagt er: »Es muß etwas Schreckliches für ein intelligentes Orchestermitglied sein, das alles fühlt und weiß, von solch einem dummen Dirigenten, wie die Herrn jetzt alle sind, sich den Takt geben zu lassen. Und wie schön jetzt dafür gesorgt worden ist, daß überall Menschen ohne Feuer angestellt werden und daß, wenn ein junger Fremder wie unser Macedonier nach Deutschland kultursehnsüchtig kommt, wie er überall boshafte Mittelmäßigkeit antrifft.«
Donnerstag 5ten
R. erzählt mir, daß er nachts mich in der Stube mit Fidi sah, der eigentümliche Flecke hatte, und ich ihm sagte: »Der Kleine will nicht zu Bett, die Stunde ist überschritten, er ist so aufgeregt.« - Herr Groß kommt am Morgen und meldet, der König habe den Vertrag unterzeichnet. Ich schreibe an Malwida. Nachmittags im Haus, R- sehr angegriffen, schreibt an Richter, um zu erfahren, ob er nach 3 Monaten zu seiner Disposition sein kann (von Mai ab). Abends das Kränzchen; Frage der Hotels für die Aufführungszeit mit Karl Kolb debattiert. - Freude an Fidi; wie ich jedoch mit einigem Schrecken bemerke, daß er viele Gesichter schneidet, sagt mir R.: »Er wird doch kein Komödiant, er wird denselben Ekel davor haben wie ich; die Idee, mich geschminkt vor das Publikum zu stellen und mich beklatschen zu lassen, wäre mir ein Grauen gewesen, es fiel mir nie ein.« - »Welcher Fürst hat denn Ehrgefühl außer dem König von Bayern«, rief neulich R. in der Konferenz aus.
Freitag 6ten
R. arbeitet; ich mit den Kindern in das Haus. Sorge um die großen Ausgaben. Nachmittags wiederum dahin, mit R. abends Kindernot; Entschluß, die ältesten in ein adeliges Institut zu geben. Die ganze Nacht unter Gedanken und Sorgen dieser Art verbracht. - Es ist wohl wunderbar, daß ein Blick auf den hell leuchtenden Mond mir wohltat; keines Menschen Wort, glaube ich, vermöchte es, mir zu helfen, eine Blume, ein Mondstrahl besänftigen das wunde Herz.
Sonnabend 7ten
Gouvernantenangelegenheiten. - R. schreibt an Niemann und Betz; auch dann an andere Sänger (Hill u.s.w.), das Männerpersonal ist gut, nur mit den Frauen ist es übel bestellt. R. wird abends sehr durch einen offiziellen Brief des Verwaltungsrates verstimmt, welcher ihn ersucht, das Jahr 1875 einzuhalten und zu diesem Zwecke Konzerte zu geben! R. antwortet sehr eingehend und berührt auch die Frage der Unterkunft der hierher kommenden Patrone. Abends in Gibbon gelesen. (Trauriger Brief Frau v. Meyendorff's, der Vater scheint sie zu verlassen, R. hat dafür keine Sympathie, er sagt, nur das Ächte flöße ihm Teilnahme ein).
Sonntag 8ten
Die Kinder zur Kirche, ich schreibe an Marie Schl, und R. weitere Briefe nach außen. Nachmittags zum Hause, abends zeigt mir R., was er am Morgen in Tieck's kritischen Studien gelesen, in Folge dessen wir auch den zweiten Akt des »Prinzen von Homburg« vornehmen, kleine Enttäuschung, die Konzeption unübertrefflich, aber manches Stockende in der Ausführung, auch fehlt der große Atem, der durch Schiller's Werke weht. Am Nachmittag, während R. ruhte, las ich im »Wallenstein« und ward wiederum überwältigt von der Schönheit; glücklich das Volk, das einen solchen Dichter hat. R. erzählt von der Ungerechtigkeit Tieck's gegen Schiller, welche entschiedener Neid gewesen sei. - Mit Goethe dachten sie an keine Konkurrenz und bewunderten einfach. R. entsinnt sich, der Aufführung des »Prinzen von Homburg«, von welcher Tieck spricht, in der Jugend beigewohnt und diese Versuche Tieck's für die Bühne miterlebt zu haben, »er hatte den richtigen dramatischen Sinn, wenn auch etwas lückenhaft, er ist aber an dem modernen deutschen Theater, wie es ist, gescheitert«. Die Auffassung des »Prinzen von Homburg« seitens Tieck gefällt uns sehr. - Depesche aus Wien, den Erfolg des Konzertes zu Gunsten Bayreuths berichtend.
Montag 9ten
R. wollte heute wieder nach mehreren Tagen Unterbrechung an die Partitur gehen, da kommt Herr Feustel mit Herrn Riederer, und dabei keine Spur von Hülfebereitwilligkeit seitens des letzteren für etwaige Hötelbauten. Nachmittags kommt ganz zufällig der Hotel-Besitzer Albert aus Mannheim, welcher Pläne vorlegt; R. mit ihm zu Feustel, wenig Erfreuliches und Erbauliches davon heimgebracht, Freund Feustel erklärt, daß sich keine Aktiengesellschaft für so etwas hier finden wird, die Stadt sei zu arm. Andrerseits kann man aber Fremden nicht zumuten, hieher Kapitalien zu bringen, wenn die Stadt nichts dazu tun will. - Trüber Abend; R. hat zwar eine Seite der Partitur ertrotzt, er ist aber von der großen Schwierigkeit seiner Aufgabe völlig niedergedrückt, dazu Richter, der einzige, welcher helfen könnte, Theaterdirektor! »Das ist, wie wenn ich Handelsminister sein wollte!« sagt R. - Die Annotationen Schopenhauers zu den Parerga machen R. viel Vergnügen, unter anderem: »In einer Zeit, wo die Philosophie aus der Apotheke und dem Klinikum kommt«, und: »Ich muß unsere europäische Kultur bedauern, welche auf dem monotheistischen Glauben aufgebaut ist.«
Dienstag 10ten
R. erhält einen Brief aus Brüssel von einem Deutschen, welcher Sonette an die nordischen Götter entsendet, dies führt uns auf die alten Mythen und Sagen zu sprechen, von letzteren sagt R.: »Wenn wir einen wirklichen Dichter hätten, da wären Stoffe noch zu populären Stücken (Rolf Kraki, der Nornagest u.s.w.), aber sie müßten nicht in drei Akten und mit dem ganzen steifen Apparat konzipiert werden, sondern wie ein Bild an uns vorgeführt werden. Mich würde es selbst anziehen, hätte ich die Zeit, so etwas zu entwerfen.« Um 3 Uhr Damenkaffeegesellschaft bei Frau Dr. Käfferlein!... R. hatte währenddem eine Konferenz mit dem Verwaltungsrat; die Kontrakte mit Hoff mann und Brandt, die Einhaltung des Jahres 75, endlich auch die Bewirtung und Behausung der Gäste sind der Gegenstand der Debatte. Schließlich kommt Herr Albert hinzu und macht einen so guten Eindruck, daß die Stimmung eine viel bessere wird und Einigkeit erzielt wird. Abends nicht viel gelesen.
Mittwoch 11ten
R. spricht am Morgen von der deutschen Reichsstadt, wie er sie wünschte, am Zusammenfluß von Main und Rhein - »es ist wirklich den Elsässern nicht zu verdenken, wenn sie lieber in Paris als in Berlin sind. Aber von Kulturgedanken ist man entfernt, und von der ganzen Reichsgeschichte bleibt die preußische Uniform«. - Viele Freude an Fidi; R. sagt: »Er ist doch das schönste Zeugnis für unsere Liebe«, und wie ich ihm erzähle, daß durch den Lichtschirm, welchen sich der Junge schräg aufsetzte, ich dazu gekommen sei, ein Auge von ihm einzeln zu sehen und sehr überrascht von dessen Schönheit und Glanz gewesen sei, sagt er: »Ja, ein Auge würde gewiß viel mehr wirken als zweie, daß die Natur uns zweie gab, zeigt, daß es ihr hierbei nicht gar auf das Gesehenwerden, sondern auf das Sehen ankam.« Brief von Marie Schl., die Vortreffliche arrangiert in Berlin Tableaux zum Besten Bayreuths. Abends in Tieck's kritischen Studien gelesen und dabei uns über seine Erzählung eines Volksschauspieles sehr gefreut. - R. erzählte mir, daß sein Onkel von den Arbeiten über Goethe und Shakespeare, welche Tieck vorhabe, sprach und ihm gesagt habe, es höre sich alles, was er darüber sage, wundervoll an, aber Tieck »sei faul«, führe nicht aus.
Donnerstag 12ten
R. hatte eine üble Nacht und klagt dem Dr. sehr, als dieser zu ihm kommt; doch arbeitet er; Richter schreibt, glücklich über die Nachricht, die er erhalten hat, er wird sich frei zu machen wissen. Frau v. Meyendorff erwählt mich zu ihrer Vertrauten, und was soll ich raten zwischen ihr und dem Vater, ich kann ihr selbst nicht mitteilen, daß ich längst um des Vaters Absichten weiß. - Andauernde unangenehme Brunnen-Affaire. Abends geht R. in das Kränzchen beim Kirchenrat Dittmar; ich verplaudere die Zeit mit den zwei Großen und suchend, im Scherz gute Keime zu legen. Gott geb seinen Segen.
Freitag 13ten
R. erzählt allerlei vom gestrigen Kränzchen, daraus ergeht, daß er gern mit den Männern zusammen war. - Bei Schnee und Wetter Vor- und Nachmittag in das Haus. R. hat auch dort viel Ärgernis und kehrt schwerer Laune heim, doch arbeitet er Vor- und Nachmittag an seiner Partitur. Es kommen zwei schöne Briefe von den Sängern Betz und Niemann, welche unbedingt R. zusagen und gar kein Honorar verlangen; abends lesen wir in Tieck's Kritiken über das Theater (Briefe über Shakespeare u.s.w.), mit vielem Interesse gelesen. Was er über den Hanswurst [sagt] und den Vergleich, den er mit den jetzigen Dichtern macht, die Beschreibung des »Julius Caesar« in London, auch die des »Lear« in Dresden, erfreuen uns hoch; bei Gelegenheit dieses letzten erzählt mir R. von dem Schauspieler Hellwig,[2] wie schön dieser gewesen sei, wie es ihn als Kind ergriffen habe zu hören, er sei wahnsinnig geworden; sein Hund habe Leuko geheißen - alles das hätte ihn grenzenlos gefesselt als Kind.
Sonnabend 14ten
Wir besprechen heiter beim Frühstück die gestrige Lektion; wie jeder von uns dann an seine Tagesarbeit gehen will, erhalten wir vom Buchhändler Gießel[3] die Notiz, daß im Reichsanzeiger zum Verkauf 19 Briefe von Richard und seiner Gemahlin aus den Jahren 1860-1867 angezeigt seien mit der Zugabe, sie seien höchst interessant! Was ist das - ich rate auf Malwina Schnorr, welche, wahrscheinlich von München aus angestiftet, gerade jetzt diese Sachen herausgibt, sie war uns intim befreundet, Gott weiß, gewiß ist das der Schlag auf die Gewährung des Credits. R. wendet sich an den Advokaten, es scheint aber wenig Hoffnung, hier tatkräftig ein[zu]schreiten; es wird diese neue Bosheit wohl auch nur durchzumachen sein. - Einige Besuche abgestattet. Zu Hause R.'s Briefe an seine erste Frau durchgesehen, um zu sehen, ob etwa welche gestohlen worden seien. Traurige Eindrücke von dieser trübseligen Vergangenheit R.'s mir erworben. Dazu abends im beängstigenden Brief von Herrn Feustel, welcher große finanzielle Schwierigkeiten auf unsere Unternehmungsich häufen sieht; und ich habe einen Akt der Justiz an meiner Bonne auszuüben und sie plötzlich aus dem Hause zu entfernen, was mich furchtbar angreift; die Schlechtigkeit zu bestrafen fällt mir schwerer auf das Herz als die Erfahrung derselben. - R. liest mir abends einen langen Brief von sich an seine erste Frau, trübselig zu sehen, welche vergebliche Mühe er sich gegeben, das niedrig gesinnte Wesen zu Edelsinn zu bringen, am Rand des in dieser Hinsicht wirklich erhabenen Schreiben hatte sie in ihrer[?] Not gesetzt: Schopenhauer-Lug. Schuftig und roh!! - Abends schwermütiges Gebet - wer wird nicht müde auf dem harten Weg?
Sonntag 15ten
Viel mit den Kindern Vor- und Nachmittag; nicht ausgegangen wegen großer Müdigkeit; Freude an ihrer aller Herzlichkeit. Am Morgen singt R. mir das Thema von Sieglinde an Brünnhilde und sagt mir: »Das bist du- -«, abends die Musiker aus der Kopie, welche R. aber wenig Freude gewähren.
Montag 16ten
Am frühen Morgen Besuch von Freund Feustel, welcher endlich die Berechnungen von Freund Brandt hat und wieder schwarzsichtig aufregend ist. R. arbeitet jedoch trübgemut, ich habe im Hause vor- und nachmittags zu tun; die entfernte Gouvernante fehlt mir auch praktisch sehr, dazu die immer größer werdenden Ausgaben.-Abends ist es mir eine wahre Befreiung, daß R. aus dem »Sturm«[4] mir einige Scenen vorliest. - Zu unserem wahrhaftigen Entsetzen kam neulich eine Schrift des E. v. Hartmann in unsere Hände, eine Verunglimpfung von »Romeo und Luhe«! (Mimi Schi, schreibt von der Vorbereitung einer Kunstauktion zu Gunsten Bayreuths).
Dienstag 17ten
Schlimmes Wetter; viele Gänge wegen Boni's Geburtstag. R. arbeitet, ist aber unwohl. Nachrichten von dem Erfolg des Rienzi im Fenice-Theater*,(*Dieser Seite liegen zwei Telegramme aus Venedig bei, s. Anm.[5]) ironischer Eindruck; in Brüssel gefällt der Tannhäuser mit Ballett im zweiten Akt! - R. sagt, daß sein Kunstschaffen ihm keine Freude mehr macht, er vergäße die Momente der Inspiration und gedenke nur der Nöte und Leiden, die er um seine Werke litt. Abends in Tieck gelesen, Kritik des »Wallenstein«; wir pflichten ihm nicht im einzelnen bei, erfreuen uns aber der großenWärme und des Scharfsinns dieser Arbeit. Auch empfand Tieck ernstlich die Gesunkenheit des Theaters.
Mittwoch 18ten
Frühlingsstürme und viele Hausnöte, große Schwermut, doch Freude an den Kindern. Abends liest mir R. aus Freytag's Buch, Myconius bei Tetzel[6] und den Ablaß-Kram, sehr interessant. Keine lebenden Bilder, sondern eine Bilder-Auktion veranstaltet Marie Schl, zu Gunsten Bayreuths.
Donnerstag 19ten
R. korrigiert die Biographie, ich schreibe einige Briefe und wirtschafte im Haus. Abends in die Dilettantenprobe mit R., welcher wirklich einige Vorschläge gibt, um den armen Direktor Zumpe ein wenig vorwärts zu bringen.
Freitag 20ten
Schneegestöber, dazu Blumen Malwiden's aus Italien! Im Hause mit R. Vormittags Brief an Pr. Nietzsche über seine Schrift, R. wirft mir vor, daß ich die deutsche Sprache verlerne, er sei mächtig eifersüchtig darauf, daß ich so viele französische Briefe empfing und schriebe. Trauriger Eindruck. Abends »Über die Art, die Verse zu rezitieren«, von Tieck.
Sonnabend 21ten
Dem verehrten Dekan Cigarren zugesendet, Briefe geschrieben, mit den Kindern im Haus, R. arbeitet. - Abends in »Was ihr wollt«; viel viel Freude daran, langes Gespräch darüber. R. sagt, Malvolio sei E. Devrient, der die Würde in die Pedanterie setze und eine Raupe daneben habe (Schauspieler zu sein und Dichter Mendelssohn's). Von Olivia sagt er: »Da sieht man die südlichen glutvollen melancholischen Augen, diese Gesichter, die nur Auge sind.« - Eine förmliche Schule ist aber jetzt gegen Shakespeare erstanden, und wer vertritt ihn? Bodenstedt, Dingelstedt und Konsorten. - Was Tieck über die Besetzung der Frauenrollen durch Männer [schreibt], leuchtete uns sehr ein und ist sehr richtig ideal empfunden.
Sonntag 22ten
Zur Kirche mit den zwei großen Kindern, vorher mit R. über die Schrift von Paul de Lagarde gesprochen, welcher sehr gegen Paulus auftritt, R. sagt: »Ich bin auch gegen ihn aufgetreten, wie [ich] nichts von ihm wußte, das war aus Anti-Mendelssohnianismus.« Ich glaube nicht, daß es ohne Paulus Christen gäbe, glaube aber zu verstehen, was P. de Lagarde meint, wenn er wünscht, man würde evangelisch, nicht christlich. - Nach der Kirche Bescherung Boni's, welche heute gefeiert wird. Darauf Besuch von Dr. Käfferlein, die Buchhandlung offeriert die Briefe für 100 Th., welche wir jetzt nicht haben! Sonst gibt es keinen Schutz gegen solche Indiskretionen. Wir bedenken hin und her und entschließen uns endlich, die Briefe zu kaufen. - Kindergesellschaft, mit diesen und R. im Garten des neuen Hauses. Abends die Musiker, sie spielen uns vierhändig das Es dur Quartett,[7] welches wir so oft, R. und ich, auf Tribschen gespielt haben; mit dem Schluß (Allegro commodo), welchen R. das Alpenglühen nennt. Unbegreifliche Schönheiten!...
Montag 23ten
Allerlei Briefe zu schreiben, an die Italiener wegen Rienzi, dann Gerichtsgeschichten, Hauseinrichtungen - allerlei. R. ist so gut und unterschreibt. Er entschließt sich auch, die Briefe anzukaufen. Gedanken über die Gesetzgebung, welche nie die üble Tat verhindert, sondern sie nur dann bestraft, wenn sie etwaigen Schaden gebracht hat. Wie viele solcher Angebote können uns nun gemacht werden? - Im Parlament disputieren sie wirklich über das Militärgesetz, es genügt nicht, daß ein Mann wie Moltke dafür spricht, die Herrn so und so dürfen sich nichts vergeben. »Durch das Zugeständnis des allgemeinen Stimmrechtes«, sagt R., »hat Bismarck dem deutschen Reiche die Schwäche Napoleon's gegeben, er hat ihm den Charakter einer Usurpation gegeben, [von] etwas Illegalem.« - Nach Tisch zitiert er mir das schöne Wort von Luther aus den Tischgesprächen, daß alles aus Unwissenheit geschehe und daß, wenn er gewußt hätte, wie der Papst und seine Umgebung wären, das heißt nicht gehofft hätte, auf sie zu wirken, er sich nicht gerührt haben würde. Abends geplaudert, freilich immer nicht viel Erfreuliches zu verplaudern, früh zur Ruhe.
Dienstag 24ten
Vollkommenes Frühjahrs-Wetter, R. aber leider immer nicht wohl, kann nicht arbeiten. Er empfängt einen Brief von Fritzsch, aus welchem erhellt, daß wiederum ein Brief R.'s an einen Herrn Luckardt[8] mißbraucht worden ist, und zwar gegen Fritzsch; er erwidert. Eine andere Rubrik: Neuester Wagner-Schwindel, berichtet, daß er Frau Mallinger nach Bayreuth zitiert habe, ihr die Elisabeth einzustudieren. Fester Entschluß, niemandem mehr zu schreiben, Israel wird sich nicht beruhigen. Der Dekan sagte heute, daß, wenn über R. gesprochen wird, einzig die Juden hier aigriert sich dabei benehmen. Ich lese aus Zitaten von einem Roman Disraeli's, wie dieser alle Größen der Kunst, Wissenschaft, ja Religion (die ersten Jesuiten seien Juden gewesen) für Israel vindiciert. Sehr merkwürdige Erscheinung. -InBerlin sollen in den Lehranstalten der Ring des Nibelungen mit der Edda zugleich gelehrt werden. Den Abend wiederum verplaudert.
Mittwoch 25ten
R. immer nicht wohl, steht aber doch früh auf und arbeitet. Ich mit den Kleinen Vor- und Nachmittag im neuen Haus; viel Arbeit dort, wie R. hinkommt viel Arger, weil große Konstruktionsfehler vorhanden! R. hat heftige Schmerzen am Fuß, soll viel gehen, seines Unterleibsleiden wegen, und kann nicht!... Abends liest er mir in Freytag's drittem Band (Bilder aus der Vorzeit) über Luther, schönes Verständnis der Ehe Luther, prachtvolle Züge des größten Mannes; der schweigende Gott gegen die Juden - die Vögel, die den guten Menschen nicht erkennen, wie wir Gott nicht; Kaiser Karl, welcher nicht [in] einem Jahre so viel spricht als er, Luther, an einem Tage, ein Glückskind! - Ein Papist, welcher zehn Adelige überwiegt, herrlich. — Mich ergreift auch ein Passus von Freytag selbst sehr, wo er von dem Aufgeben einer Pflicht spricht, um eine höhere zu erfüllen, und dem schmerzlichen Riß, der in der Natur dadurch entsteht!
Donnerstag 26ten
R. die Nacht aufgestanden, um nach Rus zu sehen, den ich auf der Straße wähnte; hat sich erkältet und leidet furchtbar am Fuß. Petroleumumschläge werden gemacht, und der Dr. meint, es fehle nicht viel, so hätte er die Krankheit durchzumachen, an welcher Fürst Bismarck jetzt so leidet. Die Briefe aus Straßburg kommen an, höchst unschädlich, nun können wir beständige Erpressungen gewärtigen, doch bin ich glücklich, diese Briefe aus der frühesten Zeit zu haben! - R. zu Bett, ich in das Haus, in beständigen Nöten. Abends bei R. den Abend verplaudert.
Freitag 27ten
Es geht R. besser, er hat gut geschlafen und ist in Folge dessen heiter; er bemerkt mit Verwunderung die weiße Haarlosigkeit seiner Haut (Fidi hat die gleiche), erzählt, daß man von Goethe und Byron dasselbe berichtet und fügt, von Byron's Zartheit sprechend, mit Lachen hinzu, »Byron war der Übergang vom Menschen zum Shelley«.[9] — Er singt den Dialog aus dem zweiten Akt von »Fidelio« zwischen Rocco und Leonore und sagt, seine Schwester Rosalie habe ihm dies vorgesungen, und daher habe es sich ihm tief eingeprägt, sie habe es mit Schwärmerei und Trauer darüber, keine Stimme zu haben, gesungen! R. muß noch zu Hause bleiben, der Dr. ist aber glücklich über seine Natur. Ich gehe abends in das Konzert mit den zwei ältesten Kindern, da die Gouvernante mir abgeht.
Sonnabend 28ten
R. hatte wiederum eine üble Nacht!... Die Bäumchen von Tribschen, die ich wünschte, sind angekommen, eine Fichte, an das Grab zu bringen, einen Obstbaum, zwei Linden, mit großer Rührung empfange ich sie; glücklich derjenige, der eine Stätte hatte, die ihm heilig, ein Nirwana, Nichtwahnland! - »Ich brauche es bloß zu erleben«, sagt R., »alles wird noch gut, und dein bloßes Dasein bürgt mir dafür, erhält mich am Leben.« - Wir lesen seit einigen Abenden nichts, R. ist angegriffen, und meine Augen wollen mir immer nicht zu Willen sein! Ich danke aber Gott, daß R. sein Übel überwand.
Sonntag 29ten
Zur Kirche mit den zwei älteren Kindern; R. arbeitet. Nachmittags mit ihm in das Haus. Abends die Musiker. Cis moll Quartett.[10] Erinnerungen R.'s an seine ersten musikalischen Erlebnisse, Magdeburg etc. - »In Zürich hatte ich bereits eine lebenslängliche Anstellung durchgemacht.« - Vom Macedonier befragt, wer wohl der R. der Novelle (»Ein Besuch bei Beethoven«) sei, sagt Richard: »Ein gewisser Reichard, der wirklich mir manches davon erzählt hat, wie solche Sachen immer auf einem wahren Grund beruhen; in der Fortsetzung habe ich*(*Ab hier in einem Zug bis Mittwoch, 1. April, (siehe dort) »in R.'s Arbeitsstube im neuen Hause« nachgetragen, an der Schrift erkennbar.) persönliche Erlebnisse verwoben.« Der Macedonier erzählt, wie er Herrn Rheinberger danach gefragt hätte, hätte dieser eine abwehrende Bewegung gemacht und gemeint: Wagner lege Beethoven seine Gedanken in den Mund, um sich als Gleicher hinzustellen!!
Montag 30ten
R. liest in Champfleury's[11] Skizze über Balzac und muß sehr lachen über die Bemerkung des letzteren über Lamartine: »II mourra sur la paille. - D'ailleurs il ne sait pas le frangais.« Vor- und nachmittags in das Haus gegangen; abends liest R. mir mehreres aus der Skizze von Champfleury vor: »Sie sind liebenswürdig, die Franzosen«, sagt er; eine Scene zwischen der Literatur und dem Delegierten des Ministeriums über Kunstbücher macht uns sehr lachen. (R. arbeitet).
Dienstag 31ten
Stürmisches Frühjahrswetter; zu Hause geblieben, ich bei den Kindern, R. bei der Arbeit. Fidi stieß gestern R. bei der Umarmung so heftig, daß Nasenbluten entstand und R. beinahe die Besinnung verlor, worüber Fidi herzlich ergriffen war. - Brief von Herrn Tappert aus Berlin, der Verein zur Aufführung der Nibelungen (Löser) hat 1600 Th. vertrödelt, und man weiß nicht, ob Dummheit oder Unredlichkeit dabei im Spiel ist. Nachmittag mit R. und sämtlichen Kindern in das Haus, langsames geduldprüfendes Vorwärtskommen. - Vorher war Freund Feustel gekommen, er hat soeben Brandt gesehen, dieser will Ende April erst kommen, was R. tief verstimmt und in ihm einen anderen Menschen erkennen läßt, als er zuerst geglaubt hat. - Er hat eben andere Anträge angenommen und führt unsere Sache nebenbei. - Freund Feustel sieht im Allgemeinen schwarz, die Franzosen sinnen auf nichts wie Krieg, und wie erbärmlich benimmt sich das deutsche Parlament! - Wir besprechen dies abends, die beigelegte Zeitungsnotiz lesend**(**Bericht der Spenerschen Zeitung (Berlin, 28. März) über den Besuch zweier Mitglieder des Reichstages an Bismarck's Krankenbett; Bismarck habe dabei gedroht, seinen Abschied zu nehmen, wenn er keine Majorität erhalte.), und können uns gar nicht darüber beruhigen, daß es nicht genügte, daß Moltke die Sache empfahl, [sondern] daß die Nichtstuer ihr Wort mitreden mußten. - Darauf lesen wir in Schlegel's »Indische Studien« die Erzählung des Einsiedlers Cantu und nachher einige indische Sprichwörter, die uns durch ihre Tiefe ungemein beleben, so z. B.: »Glücklich nenne ich den Unbekannten, der nie die Schwelle des Reichen übertrat, der den Schmerz der Trennung nicht kennt, und der kein unmännlich Wort sprach«, und:*(*Zwei Zeilen freigelassen in der Absicht, das Sprichwort zu ergänzen)