Sonnabend 1ten
Ein wenig von dem gestrigen Abend ermüdet; nichtsdestoweniger arbeitet R., wir bleiben aber ruhig zu Hause. Nachmittags Musik, die göttlichen Meistersinger, mit Erinnerungen an die Zeit, in welcher sie entstanden, und der Schluß der Götterdämmerung. Abends allein mit unsren Freunden; Gespräch über Herrn Brahms, dessen schädlichen muckerischen Einfluß auf den gebildeten Bürgerstand. - R. erzählt einiges aus seinem Leben, die Begegnung mit der einstigen Braut des Königs,[1] Prinzessin Sophie. Standhartner teilt mir den förmlichen Haß der Fürsten gegen R. [mit].
Sonntag 2ten
R. sehr unwohl, scheint sich gestern erkältet zu haben, es strengt ihn auch das Singen sehr an. Ich begleite unsere Freunde allein zum Bahnhof; freue mich der Liebe Standhartner's für Richard und seiner Freude an dem, was er R.'s Glück nennt. Er findet ihn beruhigend, heiterer als früher. Wie aber entlassen wir die Freunde; binnen den zwei Jahren hat er den Sohn verloren und geht zu dem dahinsiechenden andren!... O Leben. Mit Lappen behängen wir unsre Wunden. - Diese Nacht hörte ich Fidi schluchzen, ich ging zu ihm, er klagte über Halsschmerzen, in Angst rief ich Standhartner herbei, es fand sich, daß es nichts war - der Schrek-ken aber, die Angst!... R. verbringt den Tag zu Bett. Ich besuche Frau Materna, welche selbst heiser ist. Besuch von Feustel's Schwiegersohn, hoffentlich kann dem Verleger Fritzsch geholfen werden.
Montag 3ten
R. etwas wohler, doch immer sehr angegriffen. Kindertisch nach der Kinderarbeit. R. kann doch etwas instrumentieren. Abends Besuch von Frau Materna und ihrem Mann; sie ist heiser, erhält aber die Partie der Brünnhilde, Gott gebe seinen Segen.
Dienstag 4ten
Werden die Schiffe nach Spanien gehen, das ist jetzt die politische Frage. Außerdem wird der Bischof von Köln ein[ge]sperrt; seltsamste Lage, ich befürchte eine allgemeine Konflagration gegen Norddeutschland. Am Nachmittag, Freund Klindworth erwartend, spielt R. »Cendrillon«[2] von Isouard und erzählt mir, er habe das Lied daraus, »Cendrillon Cendrillon«, von einem alten Weib in Meudon, welche ein Puppenspiel hatte und Aschenbrödel aufführte, zuerst und zuletzt gehört, und damals habe es ihn sehr ergriffen. Mit Freund Standhartner sang er viel »un segreto d'importanza una cosa stravagante« aus der »Ceneren-tola« von Rossini. Freund Klindworth kommt an, um nun hier den zweiten Akt der Götterdämmerung wieder zu arrangieren, welcher zwischen Moskau und Bayreuth verloren gegangen ist. Er erzählt viel von Hans, dessen Launen, jetziger Passion für England u.s.w. Er soll die Absicht haben, nach seiner amerikanischen Reise sich in Deutschland um eine Kmeister-Stelle umzusehen, dabei schmäht er Deutschland beständig! -Abendgespräch; R. entwickelt seinen Lieblingsgedanken, den Russen Constantinopel zu übergeben, hofft, daß dies in Bismarck's Absicht läge, behauptet, daß der Deutschenhaß, von welchem Freund Klindworth berichtet, ein künstlicher sei.
Mittwoch 5ten
Nachmittags meldet ein Zettelchen, daß Pr. Nietzsche hier sei, aber schon krank danieder liege, in der »Sonne«. R. geht hin und bringt ihn gleich in unser Haus. Er erholt sich bald und wir verleben einen heiteren Abend zusammen. Was er aber berichtet von den Zeitungen und von den Universitätsmenschen, ist erschrecklich. - R. hat wieder etwas instrumentiert.
Donnerstag 6ten
Freund Klindworth rührt uns durch den Fleiß und den Eifer, mit welchem er an die harte Arbeit geht. Kindertisch mit den Freunden, nachdem ich einige Besuche abgefertigt. In der Neuen Fr. Presse soll ein Aufsatz über unsere kleine Gesellschaft gestanden haben, was wirklich sehr unangenehm ist. Wie gewöhnlich hat wiederum R. Frau Materna umarmt u.s.w. Die Gedichte für die »Bismarck-Hymne« kommen regelmäßig an, einer der Dichter erbat sich sogar, falls R. den Preis von 1000 Th. gewänne, die Hälfte der Einnahme, R. wollte ihm antworten, daß er noch mit keinem so kostspieligen Dichter verkehrt hätte. - Pr. N. erzählt von einem Verleger, welcher aus Schloß-Chemnitz sich ihm angeboten habe, er soll der Sozialdemokratischen Partei dienen, jedoch sowohl N. als auch Pr. Overbeck nehmen das Anerbieten an, da in ganz Deutschland kein Verleger sich für sie finden würde, ja, wenn sie ihre Professuren niederlegten, sie wahrscheinlich brotlos wären, selbst keine Hauslehrer-Stelle sich ihnen eröffnete. Die Neue Freie Presse leitet einen Aufsatz von Karl Hillebrand über die Historie von Nietzsche mit dem Bemerken [ein], daß sie nur des werten Mitarbeiters wegen die Schrift eines Autors beachte, welcher durch seinen Angriff auf Strauß sich zur Genüge gestempelt habe u.s.w. - Pr. N. erzählt, daß Herr Du Bois-Reymond in Berlin den Vorschlag zu einer Akademie gemacht habe, worin Goethe als die deutsche Sprache verderbend, Lessing gegenüber, geschildert wird!... R. sagt, die preußische Armee, das ist alles, was ich vorläufig von Deutschland noch kenne, ich leide, weiß es Gott, genug unter dem Mangel jeglicher Idealität seitens der Leiter dieses Staates, allein dort einzig erkenne ich etwas, vor dem ich Respekt habe und wo ich mich verwandt fühle. - Abends dritter Akt der Götterdämmerung (die Rheintöchter). Unser Freund N. bringt das Triumphlied von Brahms,[3] R. lacht laut auf, daß Musik auf das Wort »Gerechtigkeit« gemacht würde. - Ein Trauriges erzählt uns der Macedonier, welcher es erlebt hat, R.'s armer Diener Mrazek soll von den böswilligen jetzigen Direktoren des Conservato-riums in München förmlich zu Tode gehetzt worden sein, sie haben ihn mit Arbeiten überbürdet, dabei immer schlecht behandelt und so seine Treue zu R. büßen lassen. Das sind die Herren Wüllner, Rheinberger, Perfall; mit Willen schreibe ich die Namen dieser Schlechten.
Freitag 7ten
Frühstück mit den Freunden im Sommerhäuschen, Gespräch über Berlioz, nach R. wären seine Sachen in Gartenkonzerten aufzuführen, wohin die ganze gebildete Welt hinströmen würde, [aber] nicht gut in den Konzerten unterzubringen, wo Mozart und Beethoven gespielt würden. Die Deutschen sträubten sich mit Recht dagegen. - Am Schluß wird gesungen, »wir müssen scheiden«, aus der »Zauberflöte«, und R. läßt uns bemerken, wie zum ersten Mal Mozart in diesem Terzett, wie überhaupt im ganzen Sarastro, den Ton einer männlichen Würde und Gemütlichkeit angeschlagen habe, den man deutsch nennen könne und von dem man vor ihm nichts gewußt. In seiner Jugend habe ihm dieses Scheidetrio als das allerseligste geklungen, wehmütig und trostreich zugleich. Besuch der allerunnützesten Amerikaner und eines Dessauer Studenten. Abends »Götterdämmerung«.
Sonnabend 8ten
Schönes Wetter, Spaziergang im Hof garten mit R., nach dem Frühstück jeder an die Arbeit. Ich mit Lusch, R. an seine Partitur, Freund Klindworth an sein Arrangement. Nach Tisch sehr viel über griechische Geschichte gesprochen, die Laster und die Abscheulichkeit von Sparta, die Unkenntnis der Philosophen, welche Sparta als Ideal erkennen, dabei die göttliche Faszination, welche diese Geschichte ausübt. Nachdem wir hiervon gesprochen, kommen wir auf die Schweizer Geschichte, Schlacht von St. Jakob u.s.w., herrlich und ergreifend, allein es fehlt der Nimbus der ewigen Kunst. Nachmittags spielen wir das Triumphlied von Brahms, großer Schrecken über die Dürftigkeit dieser uns selbst von Freund Nietzsche gerühmten Komposition, Händel, Mendelssohn und Schumann in Leder gewickelt; R. wird sehr böse und spricht von seiner Sehnsucht, etwas zu finden in der Musik auch von der Überlegenheit des Christus, wo doch ein Gestaltungstrieb, eine Empfindung, welche zur Empfindung spreche, vorhanden sei. Abends vieles Einzelne von Auber vorgenommen, und zum Schluß der Kaisermarsch.
Sonntag 9ten bis Sonnabend den 22ten
Lauter Besuche verhindern mich daran, in mein Tagebuch zu schreiben. Freund Klindworth beendigte den Klavierauszug und nahm Abschied Freitag*(* Von Cosima an dieser Stelle mit »Donnerstag« falsch angegeben.) 14ten; tags darauf entfernte sich Pr. N., nachdem er R. manche schwere Stunde verursacht. Unter anderem behauptet er, keine Freude an der deutschen Sprache zu finden, lieber lateinisch zu sprechen u.s.w. R. gibt seine Grundsätze betreffs der Behandlung der deutschen an, sagt, zuerst zu untersuchen, ob ein fremder Begriff durchaus notwendig auszudrücken ist; ist er es, dann nur keck und kühl das fremde Wort - unübersetzt gebrauchen. - Eine Rede des Professors Du Bois-Reymond in Berlin über eine zu gründende Akademie zur Regelung der Sprache macht mich staunen, er kritisiert Goethe's Sprache zu Gunsten Lessing's! -- Während dieser Klindworth-Nietzsche-Woche kam Frl. Lilli Lehmann mit Mutter an und übernahm die Organisation der Rheintöchter. Eines Abends sang sie »Mignon« vom Vater, was mich tief ergriff, dahin dahin! Doch nicht wo die Myrthe still und hoch der Lorbeer steht, sondern da wo unsere Heimat ist!... Sonnabend 15ten Pr. Overbeck, dessen Besuch uns herzlich willkommen ist, er erzählt vom im Werden begriffenen Verleger Schmeitzner[4] aus Chemnitz, welcher ihm sehr wohl gefallen habe. R. kommt auf den Gedanken, daß er hier sich niederlasse und von hier aus seinen Verlag datiere. Traurigstes über die Lage unseres Freundes N. erfahren, welcher vor drei, vierunbefähigtstenStudentendie ganze Literatur-Geschichte der Griechen vorzutragen habe! Der ganze Bann der Universität liegt auf ihm. Frl. Brandt vom Berliner Hoftheater meldet sich und beginnt das Studium der Waltraute. Sonntag 16ten Manchen Besuch zu empfangen gehabt, nachmittags durch einen Brief des Vaters, einen von Hans enthaltend, gänzlich in meinem tiefsten Innern erschüttert; Hans klagt über seinen überreizten Zustand der Nerven, Gedächtnis und Kraft verließen ihn, seine Kur in Salzungen sei fehlgeschlagen, die traurigsten Äußerungen der Ermattung!... Ich bekämpfe die Stimmung und ersticke die Tränen so gutes gehen will. Nachmittags Besuch eines Herrn v. Hörn, Schriftsteller, Begleiter des Prinzen Friedrich Karl und Berichterstatter im Krieg, aus Bayreuth gebürtig, er spricht vom Kaiser, dessen wahrer Frömmigkeit, auch daß er selbst den Brief an den Papst geschrieben, er erzählt auch von Bismarck's Überreizung der Nerven und ungemeinen Heftigkeit. Abends Frl. Brandt, sehr gut und tüchtig musikalisch, nur sehr unschön, Wiener Volkskind, ohne jegliche Kultur.
Montag 17ten
Papiere eingeräumt, Lulu einen Brief an ihren Vater angegeben. Nachmittags und vormittags arbeitet R. mit Frl. Brandt und dem Sänger Kneiß. Abends erfreut uns erstere durch die Waltraute, deren Erzählung tief erschütternd auf uns alle wirkt. Die gute Dame scheint aber nicht damit einverstanden zu sein, was sie eine »kleine« Partie nennt zu singen. Dienstag 18ten Endlich wiederum ein wenig wieder mit den Kindern gearbeitet. Zu einem Kaffee eingeladen, und wirklich hingegangen, werde ich abgeholt, weil Herr Niemann angekommen ist. Seine Bewunderung unseres Hauses macht R. viel Vergnügen, auch ist seine Behandlung von Frl. Brandt eine so merkwürdige, daß die große Genialität des Komödiantenstandes, wie sie Goethe schon aufgefallen, uns sehr unterhält.
Mittwoch 19ten
R. leider nicht wohl, kann diese beständige Unruhe nicht ertragen; bei Tisch, wozu wir Herrn Niemann gezogen, fühlt er sich so leidend, daß er sich entfernen muß. Ich wandle zum Theater hinauf mit unsrem Sänger und den Kindern. Abends ist R. wieder etwas erholt, Frl. Brandt verabschiedet sich, und unser Tenor erheitert R. durch Erzählung von Berliner Witzen.
Donnerstag 20ten
R. sehr leidend, muß zu Bett bleiben bis zu Mittag. Herr Niemann geht auf die Jagd; nachmittags Herr Voltz, welchen R. sehr vornehmen muß, da er wirklich die Unverschämtheit gehabt, für die etwaige Vergebung von Tristan und Isolde einen preußischen Ordenzu fordern! Auch haben sie (Batz und Voltz) R. manches abgezogen, worauf sie keinerlei Recht haben. Darauf Herr Schmeitzner, der Zukunfts-Verleger, welchem R. vorschlägt, den Verlag von Fritzsch (welcher in großen Nöten sich befindet und durchaus als geschäftsuntüchtig sich erweist) abzukaufen. Darauf Herr Niemann und abends Bon Hofmann[5] aus Wien, ein wichtiger Mann, welcher mancherlei aus der dortigen Welt berichtet und behauptet, diesen Winter würde etwas für Bayreuth zu machen sein. Früh zu Bett gegangen. Hans hat Lusch geantwortet, sehr traurig und leidend!...
Freitag 21ten
Einige Briefe geschrieben, vieles nachzuholen! Freund Niemann zu Tisch, R. sehr angegriffen, ereifert sich aber doch, Schiller zu ehren, welchen N. antastete, auch um seine Empfindung der Unsterblichkeit dem Leugnenden mitzuteilen. Wie er ihn fragt, ob in seiner Begeisterung für das Schöne er nicht die Empfindung des Ewigen, des mit dieser Welt nichts Gemeinhabenden, besitze, wird der genial angelegte, wenn auch noch sehr rohe Künstler ergriffen und nachdenklich. - Abends ein wenig musiziert, Siegmund versucht, dann Tristan (2ter Akt). Banden lösende, Schranken legende Musik, Seele befreiende, körperlos machende, reinste, schwebende Kunst, in ihr empfinde ich die Seligkeit des Todes, der Befreiung, an Marie Muchanoff dabei gedacht!...
Sonnabend 22ten
Die Nacht rächte sich, ich hatte Napoleon III. Tod im Traume zu erleben, und es war Hans, welcher mir rief: Cosima, Co-sima, ich sterbe diese Nacht. Auch R. hatte einen entsetzlichen Traum. Wir sind alle übermüdet!... Gestern konnte ich noch R. sehr lachen machen, indem ich ihm sagte, daß, wenn Voltz und Batz zu ihm kämen, ich an die Mörder in den Shakespeare'schen Stücken denke, welche zu den Königen kommen: »enter two murder[er]s« - R. hat Geld-Verlegenheiten, und ich fürchte, es wird noch einige Zeit dauern, bis wir in Ordnung kommen. Er schreibt den Gratulationsbrief an den König, welcher jetzt in Paris sich befindet, um die Kunstschätze (Louis XIV.!) zu besichtigen. Am Nachmittag studiert R. mit Herrn Niemann und ist mit diesem Studium zufrieden. Wir müssen des Abends ungeheuer lachen über die seltsamen Äußerungen des nicht Unbegabten, jedoch gänzlich Ungebildeten, welcher, nicht verstehend, daß wir in Bayreuth uns niedergelassen, uns prophezeit, daß wir hier nicht bleiben würden, und kühn behauptet, auf unserem Grabstein würde einst stehen: »Hier ruht Meyer Cohn« - denn wir würden das Haus verkaufen und nach Berlin ziehen! Seltsames Gemisch von tiefster Mitempfindung und absolutem Unverständnis, von Begabung und Beschränktheit, Klugheit und Torheit, ein fahrender Leut, sagt R.
Sonntag 23ten
R. wachte in Tränen nachts auf, küßte mich und sagte: er habe eben geträumt, ich wolle ihn verlassen! Ihn und die Kinder - ich hätte nicht anders gekonnt. Bald nachdem er mir dies erzählt hat, kommt ein Brief von Freund Klindworth an, Hans sei ernstlich erkrankt; ich wage es nicht, mich dem Eindrucke dieser Nachricht hinzugeben, und wage es auch nicht ihn zu bekämpfen, vor Sorge, Schlimmes dann zu erfahren. Ernstes Gespräch mit Daniella, ihre mögliche Aufgabe. - Herr Niemann nimmt Abschied. Sonntag im Garten, »Wallenstein« mit Lusch nach langer Unterbrechung fortgesetzt. Abends, einmal allein mit R., beendigen wir »Perikles«. Die Erkennung zwischen Vater und Tochter ergreift zu Tränen.
Montag 24ten
Manche Störungen, dazu Besuche zu machen. R. empfängt Herrn Brandt, großer Ärger, durch Herrn Hoffmann verursacht, derselbe, seit drei Wochen mit den Modells fertig, unternimmt eine Rheinreise, ohne seine Adresse anzugeben. Langes Bedenken, ob man die Kisten eröffnet, man entschließt sich endlich, dies morgen zu tun.
Dienstag 25ten
Königs Geburtstag, er bringt denselben in Versailles zu, ich gehe in die Kirche und werde sehr ergriffen von den wenigen Worten, welche der Pfarrer bei dieser Gelegenheit sagt, anknüpfend an das Wort Salomo's: »Wohl dem Lande, dessen König edel ist.« - R., dem ich dies mitteile, und wie wohltätig [es] gewesen sei, einmal einen Gottesdienst ohne Predigt zu erleben, sagt: Jeder Gottesdienst müßte anknüpfen an solch ein Ereignis, Ernte, Frieden etc. R. wird gewarnt durch Herrn Feustel, die Kisten nicht zu eröffnen, nichtsdestoweniger tut er es abends mit Hülfe des Herrn Brandt und des Herrn Brückner aus Coburg, kommt dabei zur Einsicht, daß vieles gänzlich zu verwerfen sei. Der Eigensinn von Herrn Hoffmann ganz empörend. - Herr Feustel teilt mehreres sehr Traurige über unseren König mit. Wird er nur die Schlachtfelder, wo seine Soldaten liegen, besuchen?... Über Bismarck's Gesundheit betrübende Nachrichten. Er soll maßlos reizbar sein. Ich muß die Menschen beneiden, welche heiteren Sinnes in die Zukunft blicken. - Pr. Overbeck erheiterte uns neulich sehr durch die Notiz, daß die Zeitung sich eine Maßregelung hatte gefallen lassen, weil die Stempelsteuer erlassen wurde. (Unser Trauungstag, der arme Pfarrer Tschudi ist tot.)
Mittwoch 26ten
R. sehr angegriffen, nimmt aber am Morgen die Besichtigung der Maquettes[6] wieder vor, das führt uns bis gegen vier Uhr. Abends allein, »Eduard III.« begonnen, Anfang recht shakespearisch. Bei Tisch erzählt mir R. jetzt immer viel von dem Werk des Fallmerayer über Morea, das Auftreten der fränkischen Ritter in Griechenland; die Gründung des Reiches von Vülehardouin fesselt ihn ungemein, es unterscheide sich dieses Wesen sehr von dem byzantinischen. Er muß sehr darüber lachen, daß Vülehardouin nicht im Conversationslexikon steht. - Brief Richter's, er bittet in rührender Weise, daß man ihm das Vertrauen nicht entziehe! - Herr Sadler schreibt auch, seine Frau wäre geneigt, die Sieglinde zu übernehmen!! — Marie Dönhoff schickt zwei unterzeichnete Patronatsscheine.
Donnerstag 27ten
R. heute etwas wohler, hoffentlich keine Störung! — Deutschland isoliert in der Anerkennung Spaniens, Rußland weigert sich entschieden, Gott entferne einen Konflikt! R. schreibt Briefe in der großen Angelegenheit, ich gebe den Kindern Unterricht. Nachmittag Kaffeegesellschaft bei Frau Raila! - Der Abend aber gehört uns, er beginnt mit trüben Erörterungen, soll ich Hans einladen, seine Kinder zu besuchen?? — Wir lesen darauf den 2ten [Akt] von »Eduard III.«, und von dieser Größe und Schönheit überwältigt verliert sich aller Schmerz in Begeisterung, gesegnet seien sie, die Großen, die uns auf ihre Schwingen nehmen, die Stimme der Not folgt nicht dem mächtigen Flug, wie sie selbst vergaßen, vergessen wir mit ihnen, wer könnte ihnen danken! -Herrliche Mondnacht, ich trete auf die Zinne und bete - werde ich Erhörung finden?... Große Freude an Fidi's Blick. - Zu Mittag erzählt R. von Fallmerayer's Buch.
Freitag 28ten
Die Kinder unterrichtet. R. an der Arbeit, sie fällt ihm schwer, der vielen Unterbrechungen wegen. Abends dritter und vierter Akt von »Eduard III.«. Schöne Mondnacht.
Sonnabend 29ten
»Dubist meine Lotos-Blume«,[7] sagt R. »Du bist die Palme und ich die Fichte«, sagt er in der Frühe zu mir. Er befindet sich wohl und kann etwas arbeiten. Er hat aber leider immer viele Unterbrechungen. Heute ist der Sänger Schlosser da, aus München gekommen, um Mime mit R. einzustudieren, das ist derselbe, welchen R. von der Bäckerei herausnahm, um ihm seinen David anzuvertrauen. Er läßt sich, wie es scheint, intelligent an, allein das Einstudieren greift R. so an, daß ich sehr besorgt bin. Brief von Neffe Clemens, seit langer Zeit das erste Lebenszeichen von Leipzig aus! - Abends Schluß von »Eduard III.« und dann Plauderei mit R.
Sonntag 30ten
An Marie Dönhoff und sonstige Briefe geschrieben, während die Kinder in der Kirche sind und R. arbeitet. Besuche empfangen (Gutsbesitzer Rohder mit Frau). Nachmittags Lusch, »Wallenstein« ausgelesen. Abends den Brief - 22 Bogen lang - eines Österreichers, welcher die neue ethische Weltordnung an das Bühnenfestspielhaus anknüpft; unzweifelhaft vieles Interessante, aber die philosophische Bildung fehlt durchaus, »Original, fahr hin in deiner Pracht«, läßt sich einzig, und hier mit Bedauern, sagen.
Montag 31ten
Mit den Kindern viel gearbeitet, mit den Kleinen Französisch begonnen; harte Nuß für sie wie für mich. Kindertisch, nachher Spaziergang nach Rollwenzel, R. geht uns voran mit Fidi, ich folge mit den Mädchen. Herrlichster Sonnenuntergang, Freude an dem Ort und seiner Lage, Hoffnung, daß es den Kindern wohl ergehen wird. Abends Fortsetzung des Briefes des Österreichers, »mir ist es, als hört ich ein Heer von 100 000 Narren«.