Juli

Mittwoch 1ten
R. hat einen Brief von Herrn Ullmann[1] erhalten, den Lohengrin in London betreffend und die berühmte Nilsson empfehlend. - R. sagt: Wenn nur nicht der Ekel über einen bei all diesen Beziehungen käme!... Er käme sich förmlich wie ein Gespenst vor, wenn er mit den Sängern und Sängerinnen verkehrte, ihre Unterhaltung, ihre Vergnügungen ihm so fremd! - Rus wird geschoren zum ersten Mal, das arme Tier uns vielleicht dadurch gerettet. In einem Aufsatz von den Fratres della Misericordia in Florenz gelesen, ungemein davon ergriffen spreche ich zu R. darüber, und er breitet sich über die Wichtigkeit und Bedeutung der Orden aus, wie die gute Sitte, welche bei den Vornehmen immer mit Ironie den Niedrigen gegenüber gemischt ist, dort zu Hause sei, der Schein der Neugierde wenigstens abgestreift, »ich wünschte nichts anderes, als daß unsere bürgerliche Gesellschaft in Orden eingeteilt wäre«. Am Tage räumt R. die Bibliothek ein, abends nimmt er die Götterdämmerung vor, wobei er sich über J. Rubinstein's Talent freut. Ich muß wegen Kopfschmerzen mir die Freude des Zuhörens versagen. Mir träumte die Nacht von Marie Muchanoff, sie war schön und unaussprechlich freundlich gegen mich, zeigte einen Brief an ihre Tochter, war lebendig, sprach aber von ihrem Gestorbensein. Wie doch ein Wesen, das man so selten sah, so fehlen kann!... Freund Feustel frug nach der Verlosung*(*Dem Tagebuch lag ein Aufruf der Berliner Veranstalter bei, s. Anm.) von Frau v. Schleinitz, weil hier im Herbst 10 bis 12 000 Gulden notwendig sind, wenn man nicht in Verlegenheit geraten will! — Fidi machte heute seinen ersten großen Ausgang; bis zu Herrn Feustel wanderte er allein, berichtete vortrefflich und kam mit der größten Sicherheit zurück. — R. sprach neulich von der Ketzerei der Marcioniten, welche darin bestand, ein Urwesen nicht ganz gut und nicht ganz böse anzunehmen; Bewunderung dieser sinnreichen Form der Erkenntnis.
Donnerstag 2ten
R. hat immer mit Nöten der Einrichtung seiner Bibliothek zu tun. Manchen Ausgang habe ich zu besorgen; am Nachmittag der Vogel[2] und Erda, zwei junge Damen aus Mannheim; intelligent und fleißig, allein das Studium ergibt immer wieder von neuem, wie fehlerhaft sie angeleitet werden und wie keiner mehr den Aufbau einer musikalischen Linie begreift, sondern alles durch Tönestoßen vor sich geht. Wir wissen niemanden in Deutschland, welcher die geringste Vorstudie zu den Aufführungen hier vornehmen könnte.
Freitag 3ten
Ankunft der mir von Frau Standhartner versendeten Photographien Marie Muchanoff's, rührender Eindruck, Versetzen mit R. in Erinnerungen ihres Wesens; »sie ging daran zu Grunde«, meint R., »daß sie nicht die Sprache ihres Enthusiasmus fand, welchen sie in Taten bewährte«. Gestern sprach R. von Nicolai,[3] welcher allerdings ohne Bach und ohne Mozart nicht wäre, jedoch aber auch ohne Auber und die Italiener nicht, seine Oper »Die lustigen Weiber« sei die Kombination, »welche ein gebildeter Musiker von allen diesen Elementen macht, um zu zeigen, daß der Deutsche dies alles auch kann; auf diesem Weg aber bringen wir Deutsche es zu nichts«, — es geht bis zu einzelnen Sachen von Weber, in der »Euryanthe«, dieses Trachten der Deutschen, sich ebenbürtig in einem fremden Stil zu zeigen. R. zieht »Fra Diavolo« den »Lustigen Weibern« vor, weil ersterer naiv sei. »Merkwürdiges Wesen, dieser Auber«, sagt er, »so begabt, so witzig, und dabei so seicht und flach.« Die »Lustigen Weiber« für R. äußerst langweilig, während »Fra Diavolo« mit seinen Circusgestalten unterhaltend. Jedoch die Straußischen Walzer (vom alten Strauß) über Auber, weil da Feuer; auch sei es ein ächtes Produkt, das habe Wien wirklich aus sich produziert. - Ich schreibe einige Briefe für R. und gebe den Kindern Unterricht. Schöner Abend, die Kinder auf dem Rasen spielend; später Musik; von dem Moment im Garten sagt R.: O weile doch, du bist so schön! Tod des Generals Concha, schön, inmitten traurigster Zustände, bei den Carlisten ist noch wenigstens Glauben und Fanatismus, die andren aber, wofür bluten sie, wie sollten sie wirklichen Heldenmut an den Tag legen? Eine untergehende Welt, traurigster Anblick.
Sonnabend 4ten
R. ist immer mit der Bibliothek beschäftigt, ich habe allerlei im Hause zu tun und mit Lusch. Nachmittags Rechnungsübersicht, immer für mich eine schwere Sorge. Abends die Musiker, wir lagern uns auf der Treppe, der Decamerone, sagt R. und fügt hinzu: »Es tut mir leid, daß ich dir keinen besseren Decameron schaffen kann.« - Tropische Hitze. R. zeigt die Romanze aus »Joconde«[4] von Isouard: »mais on reccüt toujours ä ses premieres amours«, »ja«, sagt er, »es ist schon manches Zarte auf der Welt gesagt und vergessen worden«.
Sonntag 5ten
Gestern kam ein Brief von Marie Schleinitz, sie meldet den Verkauf des Aquarells von Menzel für Bayreuth (1200 Thaler) und zugleich den Tod der lieblichen Frau des russischen Botschafters, welche in den Potsdamer See sich geworfen hat, es muß mich sehr rühren, daß die Freundin mir schreibt: Einiges, was ich ihr über den Tod geschrieben, habe sie Frau von Oubril vorgelesen, dieselbe habe es sich aufgeschrieben und behauptet, es sei ihr einziger Trost!... Bei Tisch kommen wir auf die neue Art der Bestattung zu sprechen, und da der gute Richter ziemlich roh sich für das Verbrennen im Gasofen mit den Worten [einsetzt], »was liegt mir dran, was man mit mir macht, wenn ich tot bin«, fragt ihn R., wer dieses Ich denn sei, ob er denn meine, er sei vorher nie gewesen und würde nie sein; begänne und beende mit sich sein Leben! Er erzählt ihm dann von der religiösen Verbrennung bei den Alten, auch von der Wichtigkeit der Keuschheit der Frauen für das Leben nach dem Tode des ganzen Stammes und verdammt den rohen Materialismus, welcher sich in dieser heutigen Verbrennung kund gäbe. - An Herrn Monod[5] geschrieben über seine Rede, welche er mir zugeschickt hatte, von einer Reform des höheren Unterrichts in Frankreich. - Viel über Rus gelacht, welcher jetzt geschoren R. an das Schwein erinnert, welches auf dem Dürer'schen Blatte Christus bei seiner Höllenfahrt empfängt. Wir beginnen für die Kinder die Novelle vom Freischütz, werden unterbrochen durch den Besuch des Bürgermeisters, welchem R. seine merkwürdigen Erinnerungen an den jetzigen Minister v. Lutz mitteilt. Abends den ersten Akt der Götterdämmerung vorgenommen. Wie Brünnhilden's Versunkensein in den Ring kommt, sagt mir R.: » So muß es wohl den Frauen sein, wenn sie einsam sind.« Am Nachmittag rief er mir zurück, daß der Vater mich einmal serpent genannt habe, ich frage nach der Erklärung des Zitats, er sagt: »Das, was es einem antut, was einem jäh in das Herz beißt und einen nicht mehr genesen läßt; die Frauen kennen das nicht, Männer tun es ihnen nie so an.« Bei der Scene zwischen Brünnhilde und Waltraute sagt er: »Da ist man auf Tribschen, und Marie Muchanoff, Waltraute, hört von dir dein Glück ihr preisen.« »Dieser Unsinn alles«, wiederholte gestern R., wie er seines Saales sich freute, »wenn du nicht da wärst.«
Montag 6ten
R. wollte heute den 3ten Akt der Götterdämmerung beginnen, allein es kam allerlei dazwischen, und die Arbeit läßt sich nicht so bald wieder einfädeln. Ich gehe mit Lusch zur ehemaligen Gouvernante der Großherzogin von Oldenburg, behufs italienischen Unterrichts, welchen sie erteilt. Nachmittags große Sorge um unseren kleinen Hund Putz, welchen ein böses Tier scheint gebissen zu haben. Dazu Unterricht von Lusch, welche sich gut anläßt. Turnstunde. Abends die Musiker - R. ist melancholisch darüber, daß er keine bessere Stützen hat, und sagt, mit Bülow und Schnorr habe ich schon besser musiziert! - Der Harfenist[6] des Pester Theaters ist hier zu Besuch, und R. bespricht manches mit ihm, was in Rheingold, Walküre u.s.w. muß verändert werden, da R. der Technik des Instrumentes unkundig ist. Dieser sehr artige Mann rühmt Richter's Direktion und das Aufblühen des Theaters unter ihm.
Dienstag 7ten
Englisch, Französisch, Literatur mit Lusch getrieben; viel Vergnügen daran, R. fragt mich, ob ich wirklich glaube, daß in diesem Alter Interesse dafür da sein könne; er entsinnt sich allerdings, daß mit acht Jahren schon die Gedichte »Der Taucher« und namentlich »Die Bürgschaft« ihm einen ungeheuren Eindruck gemacht, »die gigantischen Schatten des Abends«, das sei ihm wie der Gipfel aller Poesie erschienen. Besuch von Freund Feustel, gleichfalls von Frau v. Schleinitz unterrichtet; sie erwartet von der Verlosung 9 bis 10000 Thaler. Bismarck ist nun in Kissingen, unser Dekan reist hin, um ihn zu sehen. Ein vollständiges ultramontanes Komplott scheint in München gescheitert zu sein. - Glück der Deutschen, noch legitime Fürsten zu haben. - R. spricht bei Tisch, er möchte es nur so weit bringen dürfen, um Fidi's Studien zu lenken und mit ihm wieder zu beginnen - abends das Rheingold.
Mittwoch 8ten
Großes Gewitter am Morgen, man meint, Wahnfried stürzt ein. - Besuch des Kmeisters Doppler aus Wien.[7] R. bespricht seine wienerischen Erfahrungen. - Bei Gelegenheit der jetzigen Lage der Dinge (in Lille soll jetzt die jesuitische Universität mit unerhörter Pracht erbaut werden) sagt R.: Ich möchte, Bismarck begänne den Krieg mit Frankreich einfach der Jesuiten wegen. Das wäre ein Krieg für einen Gedanken, ungefähr- nur noch viel bedeutender-wie der Krieg der Amerikaner gegen die Südstaaten. - Abends die Musiker samt Herrn Doppler - »Götterdämmerung«. R. träumte, daß ich mit ihm im Theater saß und Bemerkungen machte, welche von den Schauspielern bemerkt, höhnisch erwidert mich zum Fortgang zwangen, während R. sich früg, ist das wirklich Cosima? Und mich an meinem weißen und rosenfarbigen Kleid erkannte. - Nach der Musik gehen wir hinaus und sehen den Komet in der Nähe des Wagens.
Donnerstag 9ten
Langes Bekämpfen der Wehmut, welche zwei Träume in mir erzeugt, zuerst sah ich Hans, mit bleichem Gesicht, aber gütigem Ausdruck, stellte ihm Daniella vor, [wollte] ihm mitteilen, wie ich versucht hatte, sie zu erziehen, er sprach nicht, sah mich aber mit Liebe und Güte an. Dann war ich in einem Gasthof-Zimmer mit Marie Mucha-noff, und unter Tränen nahm sie von mir Abschied. Ich schluchzte, sie: »Warum weine ich? Ich sterbe in einem Monat.«  R. erhält einen Brief und eine Photographie von Frau Materna, sehr durch H. Scaria empfohlen; schön, wenn man will, aber so plump! Eine Hamletische Stimmung bemächtigt sich seiner, er verliert fast die Lust, sich mit den Leuten zu beschäftigen! Wie man dem Unmut sich niemals hingeben darf, zeigt mir heute die Bekanntschaft mit drei Sängern, welche, kurz nachdem ich die letzten Zeilen geschrieben, gemacht wurde*(*Nach wurde: »ich die letzten Zeilen geschrieben« nachgestellt.). In Frau Grün aus Coburg machten wir eine förmliche Entdeckung, die Stimme ist schön, und das ganze Wesen bekundet eine tüchtige Musikerin und ordentliche Frau. Dazu einen tüchtigen Bassisten und Bariton (Fasolt und Donner). Die Fragmente aus Tannhäuser, von Frau Grün gesungen, ergreifen mich tief, ich weiß nicht, warum Tannhäuser vor» allen Werken R.'s mich am tiefsten erschüttert. - Vor dieser erfreulichen Erfahrung hatten wir freilich allerlei nicht Schönes gehört; Richter erzählte, daß ein Abgesandter von der Neuen Freien Presse aus Wien hier sei und ihn um Notiz gebeten habe, [worauf]*(* [ ] Für »worüber«. ) er bei des Menschen völligem Entsetzen ihm seine Meinung über diese Zeitung gesagt habe, welche seit Jahr und Tag nichts wie Sehandnotizen über unsere Unternehmung gebracht habe. Dann erzählt mir Richter weiter, daß im Börsencourier ein Artikel**(**Dieser Tagebuchseite liegen bei ein Artikel der »Wiener Presse«, ähnlich dem von Cosima Wagner geschilderten, sowie ein andrer Artikel vom 11. Juli, der einen nach der »Wiener Presse« veröffentlichten Bericht vom Vortage richtigstellt, s. Anm.) gestanden habe, worin die Sänger und die Opfer, welche sie brachten, in böswilliger Absicht hervorgehoben seien und hinzugefügt, ich (Frau Cosima Wagner) würde wohl nicht mehr an dem Schwung und an der Opferfähigkeit dieses Standes zweifeln, letzteres mit Anführungszeichen, um die Meinung zu erwecken, ich hätte derlei gesprochen, und um damit die Sänger zu verletzen und womöglich ihre Hieherkunft [zuj verhindern. Sehr erbärmlich -und immer mich zerren sie hinein - in Gottes Namen.
Freitag 10ten
R. erhält einen Brief von Rat Düfflipp, der König entbietet ihm und mir einen freundlichen Gruß. Er instrumentiert eine Seite der Götterdämmerung. Abends immer die Musiker; wir erfahren, daß der in allen Zeitungen reproduzierte Artikel einige Sänger sehr erschreckt hat, welche, so gern sie hier mitwirkten, doch nicht die Mittel haben, unentgeltlich zu verweilen. Also schaden und hemmen kann diese unselige Presse sehr. - Ein Sonderbares ist auch, daß die Inschrift unseres Hauses durch die ganze Welt nun falsch verbreitet ist, weil der erste, der sie las, sie falsch las; statt Wähnen und seinem bedeutsamen Sinn, welcher mit
Ahnen zusammenfällt, sagen sie Wahn!    
Sonnabend 11ten
Mit Lusch anhaltend und gut gearbeitet, Literatur, Englisch, Französisch. Nachmittags Ankunft des Herrn Betz, welcher in Begleitung des Herrn Brandt kommt; da mir ein Ingenieur gemeldet worden war, halte ich - in Folge meiner schwachen Augen - H. Betz für diesen, und es entsteht, wie R. dazukommt und seinen Sänger umarmt, eine sehr heitere Stimmung durch dieses Mißverständnis. Hübscher Abend, R. trägt aus der Walküre vor (Wotan mit Fricka).
Sonntag 12ten
Studium zwischen R. und Herrn Betz, sehr erfreulich. Darauf Mittagsmahl mit Feustels und Großens, zur eigentlichen Einweihung des Saales, R. trinkt seinen Gästen zu und sagt, daß ein heidnischer Gott (Wotan) uns seinen Segen gebe. Feustel erhebt sich dann und spricht sehr schön von der Bereicherung seines Lebens durch die Begegnung mit R. und wie er sich dadurch gehoben fühlte, daß er unserer Sache sich widme. Abends Musik; Herr Betz singt die Rätsel-Scene zwischen Wotan und Mime.
Montag 13ten
Weiteres Studium zwischen R. und seinem Sänger. Kindertisch mit Herrn Betz als Gast. Am Abend Nachricht von dem Attentat auf Bismarck.*(*Beigelegt: »Extra-Ausgabe des Bayreuther Tagblatts. Kissingen, 13. Juli, Nachm. 2 Uhr: Bismarck ist soeben im Freien bei einer Fahrt zur Saline durch einen Schuß an der rechten Hand verwundet worden. Der Attentäter, ein Bauernjunge, wurde sofort verhaftet und beinahe gelyncht (auf der Stelle umgebracht). Furchtbare Aufregung.«) Große Erschütterung. Beinahe will es wie ein Glück erscheinen, und daß ein Stern über dem deutschen Reich strahlt. Ich bemerke zu R., daß die Grüße und die Freundlichkeit des Königs für uns immer zusammenfallen mit seinen freundlichen Regungen für das deutsche Ganze - so die Gewährung des Credits mit dem Telegramm an Bismarck, und jetzt die Grüße mit seinem Entschluß, dem Kaiser entgegen zu fahren und zu bewillkommnen. - Der Abend geht in aufgeregten Gesprächen über das Attentat vorüber, nachdem R. Herrn Betz, welcher heiser ist, im Hotel besucht hat.
Dienstag 14ten
Ein Tenor, Herr Unger,[9] wird heute vorgestellt - vielleicht für Loge. Mit R. einen Besuch einer hiesigen, sehr angenehmen Familie Braun gemacht. Kindertisch ohne Gast. Abends nimmt R. den 3ten Akt von Siegfried vor. Er ist davon sehr angegriffen.
Mittwoch 15ten
Viel Toilettennöte, R. findet, daß ich nicht genügend versehen bin! Herr Betz zu Tisch, welcher mir gesteht, er sei glücklich, hier gewesen zu sein, um R. nun wirklich persönlich kennen zu lernen, auch habe er gesehen, er sei glücklich! Probe des Herrn Unger, der Loge noch nicht bestimmt. Abends Herr Batz und die Kanzlei; Josef Rubinstein zeichnet sich aus, spielt aus dem Manuskript den 3ten Akt der Götterdämmerung. - Schöne Rede von Bismarck, seinem Mörder hat er gesagt: Es ist nicht schön, daß ein Landsmann auf den andren schießt.**(**Beigelegt drei Zeitungsausschnitte, datiert 14. Juli, mit Schilderungen des Attentats und des Attentäters Kullmann aus Neustadt bei Magdeburg, sowie die »Oberfränkische Zeitung und Bayreuther Anzeiger« Nr. 167 vom 15. Juli 1874, Seite 1 und 2, mit Berichten und Kommentaren zum Attentat auf Bismarck) - Freund Richter macht R. Not. - In der A.A.Z. steht von der mißglückten Inschrift des Hauses, und dabei haben sie sie selbst nicht richtig gelesen!
Donnerstag 16ten
Einige Geschäftsbriefe geschrieben, am Nachmittag zum Damen-Kaffee bei Frau v. Braun, für mich etwas seltsam. Abends der Sänger Alexis. - Wie alles fort ist, betrachtet R. mein Bild in seiner Mappe, welches zur Zeit gemacht wurde, wie wir geschieden waren; »es ist doch alles wie ein Traum, und doch, wenn ich mich in die Zeiten versenke, welche dieses Bild ausdrückt, ergreift es mich zu Tränen«.
Freitag 17ten*
(*Beigelegt »Oberfränkische Zeitung und Bayreuther Anzeiger« Nr. 169 vom 17. Juli 1874 mit einem weiteren Kommentar zum Attentat auf Bismarck) Ich fühle mich sehr leidend und kann nur mit Mühe mich aufrecht erhalten. Prächtiges Wetter, ganz unvergleichlicher Sommer, keine drückende Hitze. R. arbeitet an dem dritten Akt, hat aber viel Ärgerliches, unter andrem den Verlust des Arrangements des 2ten Aktes der Partitur der Götterdämmerung, welcher jetzt sehr notwendig wäre. Abends Besuch der Familie Feustel. Keine Musik.
Sonnabend 18ten
R. träumte wieder den alten herkömmlichen Traum von seiner Frau, welche er nicht wußte wie in seinem neuen Leben unterzubringen, bis das Erwachen durch die Reflexion »sie ist ja tot« sich Bahn bricht. - R. arbeitet Vor- und Nachmittag; ich arbeite viel mit Lusch und hoffe ihr eine gute edle Bildung ohne Mühe einzupflanzen. Abends ziemlich verunglückter Versuch, einen Alberich zu Stand zu bringen.
Sonntag 19ten
R. liest mir den gedruckten Brief eines ungenannten Hauptes der kath. Partei in Deutschland an einen fr. Bischof, welcher wirklich drohend für Deutschland klingt, R. zitiert darauf dieses Wort Cromwell's: Vertraut auf Gott und haltet euer Pulver trocken (an seine Soldaten vor Worcester). Wir bleiben zu Haus, R. arbeitet Vor- und Nachmittag, und ich unterhalte mich mit den Kindern. Sie singen hübsche Lieder, singen uns noch vom Fenster zu. Abends genießen wir, R. und ich, die Freude, ganz allein für uns zu sein.
Montag 20ten**
(**Beigelegt ein Zeitungsausschnitt, datiert »Bayreuth, 20. Juli«, unter »Vermischte Nachrichten«: Bericht vom Tod zweier Rebhühner beim Mähen einer Wiese in Oberwaiz) - Frau v. Schl, schickte die Photographie nach dem zu Gunsten Bayreuth's verkauften Aquarell von Menzel; sehr eigentümlich! - R. arbeitet; keine weiteren Nachrichten von Sängern, Hausunannehmlichkeiten, abends Günther mit Herrn Alexis probiert. (An den Vater geschrieben).
Dienstag 21ten
Mit Lusch gearbeitet, R. an seiner Partitur, freut sich des Saales, leider keine ungetrübte Freude, da die Hausnot im Wachsen ist. Abends Frau Grün wieder von Coburg hierher gekommen, singt die Erweckung von Brünnhilde, was einigermaßen in Verlegenheit bringt, da sie die Brünnhilde nicht singen kann.
Mittwoch 22ten
Einige Besuche (durch Karten) abgemacht. Eigentümliche Stimmung trotz aller Tätigkeit, welche darin ihren Ausdruck findet, daß ich die alte Lieblingslektüre Eugenie de Guerin[10] wieder vornehme. Könnte man sich einen entgegengesetzteren Beruf denken als den meinigen und den ihrigen, und doch ist kein Wesen mir so innig Freund als diese bretonische Jungfrau, und in diesem Buch liebe ich das Französische sehr. - Nachmittags fahren wir zum Theater, abends Frl. Oppenheimer aus Frankfurt, welche wahrscheinlich die Erda singen wird; sie trägt mit Frau Grün das Duett aus Lohengrin (Ortrud und Elsa) vor. R. hat viel zu bemerken, ist aber mit der Lernbegier zufrieden.
Donnerstag 23ten
Der heutige Tag und Abend gehört Herrn Hill; R. erinnert mich daran, wie ich ihm in Schwerin nach den ersten Takten, die er gesungen, bemerkt: Dies ist der bedeutendste von allen. Ein ungemein wuchtiges Naturell, großes Feuer, kurz alle Eigenschaften, welche R. braucht. - Er klagt über Preußen und den pr. Hof, daß, wie er dort Lieder von Schumann gesungen, die deutsche Kaiserin zu ihm gekommen sei und ihn gefragt habe: »Singen Sie keine Lieder von Gounod?«[11] Er singt uns aus Lohengrin und Holländer - erzählt, daß der Hof in Schwerin sowohl R. als mir so gewogen sei, erzählt auch von der Verbissenheit von Frau Schnorr, welcher er in Braunschweig begegnet sei, andrerseits erzählt Frl. Oppenheimer Rührendes von R.'s einstiger Freundin Friederike Meyer, welche vollständig einsam in Jugenheim an der Bergstraße wohnt, einzig ihre zwei Kinder erziehend.
Freitag 24ten
Während ich einiges auswärts zu besorgen habe, hat R. Hausnöte zu bestehen, das bringt uns nach Tisch auf allerlei Gespräche über den Zustand des Künstlers in der Welt, seine Zerstreutheit den Realitäten gegenüber; so erzählt er, daß, wie er einmal eine Partie nach [ ]*(* [ ] Leerstelle in der Handschrift, s. Anm.[12]) mit Dr. Wille und Herwegh machte, er so müde geworden sei, daß er die Männer bat, ihn an einem gewissen Punkt zu lassen und ohne ihn weiter zu gehen; da habe Dr. Wille, in seiner Roheit vermeinend, es sei dies Trägheit, R. in [den] Rücken gestoßen und nur vorwärts geheißen, ein derbes Schimpfwort entlud R.'s Wut, und bei dieser Scene ist ihm die ganze Apostrophe von Loge an die Rheintöchter (Worte und Musik), ursprünglich nicht mit konzipiert, eingefallen! »Ja wie einen das anfliegt! Das kann man nicht sagen! Wie der Zusammenhang da steht. Wenn ich am Klavier sitze, so ist es nur, um mich zu erinnern, da fällt mir nichts Neues ein, ich suche das zu finden, was mir zuweilen in den ärgerlichsten Momenten beikam! Das empörte Minna, meine erste Frau, daß während der fürchterlichsten Scenen, die sie mir machte, ich ruhig blieb, weil mir für Tristan oder Walküre etwas einfiel.« Er meint, daß, weil im Ärger doch die Kräfte des Menschen angespannt sind, sein eigentliches Wesen sich da auch durch die größten Inkongruenzen [hin]durch regt; nur zur Ausführung bedarf es der Ruhe und eines gewissen Behagens, die künstlerische Arbeit erfordert diese, die Inspiration lacht aller Nöte wie alles Wohlseins. Er erinnert mich daran, daß er mit dem Quintett der Meistersinger nicht zufrieden gewesen sei und ich ihn, bei der Komposition eintretend, gebeten es beizubehalten, weil es ihm war, als ob der eigentliche Einfall anders gewesen, bis er es auch fand, daß es der war; das Komponieren ist ein Suchen nach dem, was einem Gott weiß wie, wo und wann einfällt. Abends singt Herr Alexis Günther und Holländer. R. träumte mich in einem weißen Mullkleid zu sehen, alles aber etwas dürftig, namentlich die rosenfarbige Schärpe, »mein Gott«, habe ich gedacht, »sie tut das alles nur aus Gefälligkeit gegen mich«.
Sonnabend 25ten
Richter's Abschied, die Kinder in Trauerlappen, Tränen und Murren, Rus als Trauerpferd! - Neulich erzählte Herr Hill, welcher in Frankfurt lange gelebt, von Schopenhauer, daß dieser jeden Tag im Englischen Hof ein Goldstück auf den Tisch gelegt vor sich und am Schluß des Mahles wieder einsteckte; einst darüber befragt, sagte er: »Ich habe beschlossen, dieses Goldstück einem Bettler zu geben, das erste Mal, daß die Gäste hier von etwas anderem sprechen werden als [von] Mädchen und Pferden«, und dem Kmeister Schmidt, welcher wirklich die Naivität hatte ihn zu befragen, was er vom Jenseits glaube, erwiderte er in Frankfurter Dialekt: »Ich glaube wir sind geuzt.« - Abends »Perikles« im Saal begonnen.
Sonntag 26ten
R. arbeitet, nachmittags den Kindern zulieb eine Fahrt nach Fantaisie. Abends in »Perikles« weiter gelesen. Ich sehr müde.
Montag 27ten
R. instrumentiert. Ich schreibe einige Briefe. Nachmittags Kaffeegesellschaft mit den Kindern in der Harmonie. Abends Musik, die Kopie und ein Sänger aus Breslau.
Dienstag 28ten
Depesche von unsrem Freunde Standhartner, daß er heute mit seiner Tochter ankommt; Vorbereitungen und Empfang. Große Freude daran, den lieben, treuen, verständnisvollen Freund wieder zu sehen. Abends musiziert; dritter Akt von Siegfried. Zu meiner Freude findet Dr. Standhartner R. sehr wohl aussehend.
Mittwoch 29ten
Heiteres Frühstück im Sommerhäuschen mit den Freunden. Jeder dann seinen Obliegenheiten hingegeben, Mittagsmahl um 1 Uhr, Fahrt nach dem Theater und Eremitage. - Brief des Verlegers Fritzsch, sein Geschäft geht schlimm, er wünscht einen Vorschuß von 9000 Th. Abends Götterdämmerung.
Donnerstag 30ten
Große Schwüle. R. arbeitet, wir sind dann mit den Freunden sehr heiter, nachmittags Fahrt nach Fantaisie. Abends weiter musiziert, Götterdämmerung.
Freitag 31ten
Einige Vorbereitungen zum heutigen Abend; am Mittag plötzlich Ankunft von Frau Materna, welche uns außerordentlich gefällt. Abends sind wir zu 60 Menschen zusammen, und sie überrascht durch die Fülle und Frische ihrer Stimme sowie durch die Beherrschung des Materials.