Dienstag 1ten
Allerlei Besuche, und zuletzt den Vater am Bahnhof abgeholt. Er ist sehr wohl und R. entschieden durch seine Ankunft erfrischt. Abends Eröffnung der zweiten Restauration, Rede R.'s an die Künstler, seinen Dank [sagend]. Bedauern, daß mancher fehlt.
Mittwoch 2ten
Vielerlei Ankünfte, Familientisch mit dem Vater; Olga Meyendorff auch da. Man findet Lulu artig. Abends Siegfried, Un-ger recht gut. Herr Niemann sehr gegen ihn eingenommen. Allerlei Unschönes. Kostüme, namentlich das des Alberich, beinahe lächerlich, Alberich mit Mantel und Epauletten, überwältigender, alles überschwemmender Eindruck des Werkes.
Donnerstag 3ten
Tiefe innere Schwermut! Hans soll in Godesberg so sehr sehr leidend sein!... Wie ein übermächtiger Schatten breitet sich die Kunde über meine Seele, keine Freude mehr denkbar, nur Geduld und Arbeit! - R. hat eine scenische Probe der Götterdämmerung, abends Empfang, vorher kleines Diner mit Danckelmanns, Schleinitzens, Frau v. Meyendorff.
Freitag 4ten
Wenig geschlafen, in Sinnen versunken, Sinnen, Seufzen und Flehen; Aufleben der unerbittlichen Mächte! Am 8ten September nehme ich die Auf Schreibung wieder auf*,(* Dadurch einige Lücken, s. Anm.[1]) wird mein Gedächtnis mir genügen? ...
Sonnabend 5ten
Um Mitternacht holt R. den König ein, ich begleite ihn bis zu der Station vor Eremitage, dann fährt R. mit dem Könige und kehrt spät, aber sehr entzückt von seiner Freundlichkeit heim.
Sonntag 6ten
Mehrere Ankünfte, unter andren auch Fürst Liechtenstein^; heitres Mittagessen, abends Generalprobe ohne Publikum, der König befiehlt mich auch zu sich und sagt mir, ich hätte doch nie daran gezweifelt, daß er uns treu bliebe. Die Probe geht sehr gut. Große Illumination für den König und Hochrufe.
Montag 7ten
Die Probe zur Walküre vor Publikum, da die Akustik dadurch besser ist. Viel Mißbrauch mit den Billets. 8ten und 9ten auch öffentliche Proben, R. immer bei dem König; bei der Abreise will er eine Art Verstimmung merken, der König verbietet alle Ovationen, und doch scheint er verwundert, wenn sie nicht stattfinden. - Am 12ten Ankunft des Kaisers, des Großherzogs von Schwerin mit Gemahlin und Tochter, der Großherzogin von Baden, Anhalt-Dessau, Schwarzburg-Sondershausen[2] etc. etc.; R. empfängt auch den Kaiser, welcher sehr freundlich gestimmt vom Nationalfest spricht. Endlich
13ten August Sonntag
erste Rheingold-Aufführung mit vollständigem Unstern, Betz verliert den Ring, läuft zweimal in die Kulissen während des Fluches, ein Arbeiter zieht den Prospekt zu früh bei der ersten Verwandlung heraus und man sieht die Leute in Hemdärmeln da stehn und die Hinterwand des Theaters, alle Sänger befangen etc. etc. - Jeder kehrt seinerseits heim, R. zuerst sehr verstimmt, heitert nach und nach auf, und der plötzliche Besuch des Kaisers von Brasilien[3] bringt die Stimmung wieder in herrliches Gleise. Wir gehen in sehr guter Stimmung zur Ruhe.
Montag 14ten
Walküre, diesmal ohne Not; außer einem Zwischenfall, welcher R. sehr erschreckt. Er wird vom Kaiser berufen, dieser rühmt alles sehr, sagt scherzend, wenn er Musiker gewesen, hätte ihn R. nicht dahinein bekommen (in das Orchester), bedauert, nicht länger als die ist nicht an Zeit und Raum gebunden; die Großherzogin sagt aber, sie bliebe, R.: Dann dehnen Sie die Gnade aus; der Kaiser scherzend: Das war ein Hieb. Er nimmt Abschied, geht einen Schritt zurück, merkt die Schwelle nicht, strauchelt so arg, daß R. nur mit dem größten Kraftaufwand ihn zurückhalten kann und überzeugt ist, daß dieser Fall rücklings der Tod des kaiserlichen Herrn gewesen wäre!...
Dienstag 15ten
Herr Betz läßt Siegfried absagen! Er wäre heiser, große Verstimmung; die Zeitungen, schon ungemein bösartig, werden Folgerungen daraus ziehen. - Andrässy, Radowitz, Keudell,[4] allerlei Große und Kleine hier, eigentlich alles! - R. merkwürdig gefaßt.
Mittwoch 16ten
Siegfried geht gut vonstatten, man will behaupten, daß Herr Betz gar nicht heiser gewesen! Solche Wesen mögen andre ergründen, wir verstehen sie nicht.
Donnerstag 17ten
Götterdämmerung geht auch gut; am Morgen Besuch des Großherzogs von Schwerin mit Frau und Tochter (Großfürstin Wladimir) bei uns. Auch der Großherzog von Weimar beehrt uns mit einem Abend- und Morgenbesuch. Er fragt u. a. Pr. Helmholtz, ob dieser hier dirigiere!
Freitag 18ten
Besuche, Diners, unerhörtes Hin und Her, abends Bankett; R., ohne jede Vorbereitung, spricht wundervoll, paraphrasiert den letzten Chor vom »Faust«, alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis! Die Idee: Das ewig Weibliche zieht uns hinan. Sehr unglücklich spricht der Reichstagsabgeordnete, man könne nicht wissen, was die Zukunft von der Sache halten würde, das Streben aber sei anerkennenswert! Darauf Graf Apponyi in herrlicher Weise, vergleicht R. mit Siegfried, er habe die Tragödie wieder erweckt, weil er das Fürchten nicht gelernt. Ganz herrlich. Dann R. wundervoll meinem Vater ein Hoch gebracht,[5] ohne ihn wüßte keiner etwas von ihm, R. - Sehr sehr schöner Abend! Alle Sänger aber mit Ausnahme Hill's, Frau Grün's, Reichenberg's, Herrn Siehr's (als Hagen ausgezeichnet) abwesend! Nach drei Monaten Arbeit mit R. halten sie es nicht für notwendig, bei einer solchen Gelegenheit sich um ihn zu scharen; sie sollen böse sein, daß man nicht in unserem Theater herausruft.
Sonnabend 19ten
Ruhe, das heißt Abschieds- und Empfangstag; das Publikum der ersten Serie geht nun fort, es kommt das zweite. Abends über 200 Personen bei uns. Man erzählt, daß die Zeitungen ganz nichtswürdig berichten, die deutschen nämlich.
Sonntag 20ten
Der König schreibt ganz wundervoll über seinen Eindruck der Aufführungen und kündigt seinen Besuch für den 3ten Zyklus [an]. - Besuch des Herzogs von Meiningen mit seiner Gattin. Abends Rheingold, diesmal sehr gut, nur daß Herr Betz ungemein leblos ist.
Montag 21ten 22, 23
Walküre, Siegfried, Götterdämmerung nehmen ungestört ihren Fortgang; von der Walküre versäume ich den ersten Akt, weil zu übermüdet; für den 2ten holt mich R. selbst ab, indem er es nicht aushalten kann, daß ich nicht dabei sei.
Donnerstag 24ten
Der Herzog von Meiningen speist bei uns, er hat Frau Materna dekoriert, abends großer Empfang bei uns, Saint-Saens[6] spielt. Marie Dönhoff und ihre Mutter, Mme Minghetti, letztere sehr begabt.
Freitag 25ten
Königs Geburtstag, Diner beim Regierungspräsidenten, abends Abschied von Lusch, welche in das Stift zurückkehrt, sehr schmerzlich in vieler Hinsicht, die Eigenschaften des Kindes erregen mir Besorgnis. Ich gehe abends nicht zu Mimi, welche mir hier sehr fremd erscheint.
Sonnabend 26ten
Die Franzosen (Mr. Laurent[7] vom Orchester, und Bovet) geben uns ein Dejeuner, am Schluß einer Matinee bei Frau Eckert, abends bei uns Künstlerabend; Fürst R. Liechtenstein wird auch die dritte Serie nicht erleben, da er abermals krank ist.
Sonntag 27ten
R. hat den König nachts wiederum abgeholt. Am Morgen Besuch des Prinzen Georg. Abends Rheingold. Darauf bei Marie Dönhoff. Andrang zu der dritten Serie groß, die schlechten Gerüchte haben Zeit gehabt, sich zu widerlegen. Herr Betz immer nachlässiger.
Montag 28ten
Walküre geht sehr gut, nur daß Herr Betz ganz offen gegen seine Partie rebelliert, er lacht laut auf, wie nach einem Applaus der größte Teil des Publikums Ruhe gebietet, um zuhören zu können. R. bittet um den Michaelsorden für ihn und Herrn Niemann, der König gewährt ihn.
Dienstag 29 und Mittwoch 30
Siegfried und Götterdämmerung, so wäre denn in erstaunlichster Weise das Programm eingehalten worden, von dem kein Mensch annehmen wollte, daß es möglich sei. Am Schluß richtet R. einige schöne Worte an das Publikum und stellt seine Künstler vor, indem er sagt, daß sie es gewesen seien, die ihm Mut gemacht hätten, indem sie an ihn geglaubt. R. nimmt Abschied vom König. Ich einsam mit meinem Vater. Schöner Abend.
Donnerstag 31ten
Viele Abschiede, nichtsdestoweniger aber unser Empfangs-Abend sehr überfüllt; viele Engländer, unter andrem ein Reverend, der, sehr jesuitisch, nichtsdestoweniger sich entzückt erklärt.