Freitag 1ten
Abschiede, Diner mit Schleinitzens, Malwida und anderen Freunden! Abends im kleinsten Zirkel spielt uns der Vater 106 (Adagio und erster Satz)[1] in so wundervoller Weise vor.
Sonnabend 2ten
Abschied vom Vater! Dann letzter Abend recht heiter und gemütlich, ohne Musik jedoch, der König fragt an, ob eine 4te Serie möglich wäre!...
Sonntag 3ten
Nur noch R. Liechtenstein, Malwida, Gersdorff, Mittagessen und Abend mit ihnen. Am Morgen hat R. eine Konferenz mit dem Verwaltungsrat, die Geschäfte scheinen nicht so schlimm zu stehen, als erwartet wurde, und man rechnet sicher auf eine Wiederholung im nächsten Jahr.
Montag 4ten
Letzter Abschied; Kindertisch zum ersten Mal, ich sehr müde, lege mich dann hin. Schöner Herbsttag. Die Tage nach dem letzten Zyklus waren furchtbar, während die Witterung die Aufführung sehr begünstigt hatte.
Dienstag 5ten, Mittwoch 6ten, Donnerstag 7ten
Geschäfte und Reisebesorgungen, R. wünscht mit Sack und Pack nach Italien. Viele Briefschaften. R. und ich, wir nehmen uns vor, von nächstem Herbst an einzig der Erziehung der Kinder alle unsere Kräfte (materielle wie moralische) zu widmen. Ein Schulhaus zu bauen, Lehrer zu bestimmen, 6 Knaben mit Fidi zu erziehen etc. - -; dem zu leben. Große Freude meinerseits hierüber. -
Freitag 8ten
Unsere Kopie zu Mittag, letztes Mahl; sehr wehmütig! Übles Reden über Herrn Brandt, seine Grobheit, durch die Leistungen nicht gerechtfertigt, seine üble Gesinnung gegen R. etc. R. leidet sehr und verteidigt den Genossen, so vielfach er kann, es ist aber schwer, ihn ganz zu verteidigen. Darüber ist er sehr traurig.
Sonnabend 9ten
Abschied von Math. Maier; die letzte Fremde. Darauf Vorbereitungen zur Reise. Abends lange Besprechung der Aufführungen und der Erfahrungen, welche dabei gemacht. R. will die Matadoren Betz und Niemann nicht mehr; der erste ist aus Wut darüber, daß er nicht herausgerufen wurde, zu einer förmlichen Verhöhnung seiner Aufgabe gekommen! Brandt's Leistungen bei weitem hinter dem zurück, was man erwarten konnte! Richter nicht eines Tempos sicher - - trübseligste Erfahrungen! Ich spreche von der Scene zwischen Waltraute und Brünn-hilde und finde, daß - so wundervoll sie sei - sie doch ermüdend wirke, weil vorher zu viel Musik schon gehört worden; R. gibt mir recht und entschließt sich, den lten Akt zu teilen, eine lange Pause nach dem Vorspiel zu machen und den Akt mit der orchestralen Fahrt Siegfried's zu beginnen. Somit wäre die Götterdämmerung eine Wiederholung des Ganzen, ein Vorspiel und 3 Stücke. - Kostüme, Dekorationen, alles muß für die Wiederholung wieder vorgenommen werden. R. ist sehr traurig, sagt, e möchte sterben! - - Sehr drollig nennt er Betz und N. Theaterschranzen.
Sonntag 10ten bis Donnerstag 14ten
Reise-Vorbereitungen; um ein Uhr Abfahrt; Kinder weinend um die Hunde! Um 8 Uhr in München, »4 Jahreszeiten«, grober Kellner, Regen; meinHalstuch brennt an, Haar beginnt [zu brennen], Schnappauf der Barbier, unsere Begleitung, löscht aus.
Freitag 15ten
Fahrt über den Brenner. Begrüßung der Berge, welche mich geborgen! Der Alpen, die meinem Beruf die Weihe gaben; Gedenken des Abschieds in München, der Nachtfahrt mit Isolde und Eva, beide auf den Armen. Viel Gedenken und Weinen!... Um elf Uhr Ankunft in Verona, Hotel-Konfusion, viel Lachen, endlich um ein Uhr zu Bett.
Sonnabend 16ten
Früh auf mit Richard und Kindern, Piazza dei Si-gnori, Piazza d[elle] Erbe, die Arena, und schließlich ein Frühstück ä Fltaliana am Ufer der Etsch. Viel Heiterkeit. R. kehrt heim, ich wandre leider mit Lohndiener und sehe alles Erdenkliche. Größter Eindruck San Zeno, dann San Fermo. Das Theater interessiert auch, vor allem allgemeine Physiognomie von Stadt und Menschen, Giardino Giusti, berauschender Geruch. Abends im Teatro Ristori, »Otello«, sehr schlecht.
Sonntag 17ten
Um halb zehn auf die Wanderung mich mit den Kindern begeben, um 6 Uhr zurück. Zuerst das Museum, ein tief ergreifender Heiland am Kreuz von Jacopo Bellini,[2] ein Portrait von Masaccio und eine h. Familie von G. Bellini. Dann Campo Santo ohne Interesse, dann San Fermo mit Entzücken wieder gesehen, dann Frühstück mit den Kindern Piazza dei Signori. Dann bei R. angefragt, erfahre, daß Gräfin Pianell, Frau des Kommandanten, bei uns vorgefahren und uns zum Abend haben will; mache Besuch, uns zu entschuldigen. Darauf S. Bernardino, wenig Freude an San Michele's Kapelle, überhaupt an römischer nachgemachter Renaissance. San Zeno noch ein Mal, Sonntags-Schule, Kinder schreien wie Besessene. Der Dom, San Giorgio auch noch einmal und Palazzo Maffei die Treppe hinan. Die Kinder munter und wohlgemut. R. leider unwohl. Bleibe abends bei ihm.
Montag 18ten
R. hatte eine üble Nacht, doch fühlt er sich am Morgen besser. Ich wandre mit den Kindern nach San Giovanni in Valle, San Na-zareo e Celso, endlich nach der Madonna di Campagna. Noch ein Mal Santa Maria in Organo mit vielem Vergnügen gesehen. R. macht sich auf nach S. Zeno. - Wir fahren am Nachmittag nach der Collina Massimo und kehren nach Sonnenuntergang heim.
Dienstag 19ten
Um elf1/2 Uhr Abfahrt nach Venedig, um 31/2 Uhr Ankunft! Schönster Eindruck sogleich. Hotel de l'Europe abgestiegen, Spaziergang auf Piazza San Marco mit R. und den Kindern. Um 6 Uhr gespeist, darauf Ständchen vor der Societa! Arbeiter am Arsenal, welche uns entzücken, heitere, fromme und ernste Gesänge geben sie uns zum besten, ich bitte um die Canzone del Tasso,[3] die mich sehr ergreift. Unaussprechliche Freude an dieser Musik, die Seele des Volkes!
Mittwoch 20ten
Nach San Marco - die Üppigkeit gefällt mir als Haus der Armen! Ich mehr zu Hause in San Zeno! Göttliche Luft. Unlust zu denken, träumen!... Begegnung Tesarini's, des »Corbo Bianco«, ersten Wagnerianer in Italien, ganz Venezianer. Den Abend auf der Piazza San Marco zugebracht.
Donnerstag 21ten*
(* Am Rande: »Regentag«) - In den Straßen Venedigs geschlendert, zu einem Antiquar gegangen, R. nicht wohl, die Luft bekommt ihm nicht sehr gut. Abends im Theater, »Nerone«,[4] ein neues Stück, mit mehr Talent gemacht als das Stück gleichen Namens von Herrn Wilbrandt; es wird recht gut gespielt, wenn auch viel Manier in diesem Spiel. - Palazzo Giustiniani besucht, (siehe morgen)
Freitag 22ten
Bekanntschaft von Gräfin Luise Voß[5] gemacht, mit ihr in den Dogenpalast gegangen, völliges Schwelgen im Reichen und Schönen; nachmittags Fahrt nach dem Lido, abends ein Stück »Parini«, wenig erfreuend.
Sonnabend 23ten
Schöner Brief des Königs, er hat wirklich den Gedanken Bayreuths erfaßt! - Dies der größte Triumph! Minder erfreulicher Brief von Freund Feustel, der eine Schuldenlast von 120.000 Mark ungefähr meldet. Besprechung mit R. Pläne, Projekte, Mühsal in Aussicht, der ganze Troß des Wirkens. - In die Akademie gegangen für mich, weil R. die Ermüdung fürchtet. Unsäglicher Eindruck, als ob ich nie Farben gesehen; die Himmelfahrt, als ob ich zuerst eine Symphonie von Beethoven hörte. Die Madonna von Giovan. Bellini im selben Saal entzückt mich, und die Säle selbst, so unerwartet schön und reich. Wie im Märchen oder besser im Brunnen des Montesinos, von außen nichts zu gewahren, und innen diese Blendung des Geistes! Nachmittag Fahrt durch die kleinen Kanäle. Abends R. leider immer nicht wohl, doch auf S. Marco gewesen.
Sonntag 24ten
Wanderung zu Fuß nach Santa Maria dei Frari, schöner Eindruck**( ** Am Rand eingefügt: »La Pali dei Pisani von Tizian!!!« S. Anm.); manches über Renaissance und 18tes Jahrhundert gedacht; letzteres, wie mich nach den Grabmälern dünkt, mehr Sinn des Monumentalen*(* Am Ende der Tageseintragung ergänzt: »Großer Kurfürst von Schlüter schöner als der sehr schöne Condottiere hier.« S. Anm. ), dabei aber geschmackloser; im ganzen wenig Freude an der Bildhauerei der Renaissance, außer einzelnen Erscheinungen. Fahrt zum Giardino Papadopoli. Abends mit Gräfin Voß zugebracht, R. unwohl! -
Montag 25ten
In der Frühe zu San G. e Paolo, eingehend betrachtet, dann in das herrliche Hospital daneben; seltsame und unaussprechliche Ergriffenheit durch den Anblick der Kranken in den schönen Sälen! - -Dann nach dem Gesuiti wegen h. Lorenz, darauf die h. Barbara von P. Vecchio und das Bild von Giorgione und das von Bellini in einer kleinen Kirche. - Der Sakristan in der Jesuitenkirche die untere Stufe des Döllin-ger'schen Typus. Diese Wanderungen zu Fuß mit den Kindern gewähren die lebhafteste Freude; nur ist auf der Straße beinahe nur Armut zu sehen. Nachmittags Santa Maria Salute und abends Marcus-Platz, wo ein Pr. Hertel aus Berlin sich zu uns gesellt.
Dienstag 26ten
Zur Academia delle belle Arte, wo R. mir die Freude macht mich zu begleiten, schwere Trennung von den göttlichen Dingen wie von Venedig selbst, das wir um 1 Uhr verlassen. Traurig traurig ist die Stadt, wo das, was darin lebt, wie das Gewürm erscheint, dem edlen verschiedenen Körper ganz fremd! Doch sehe ich nicht hin auf dieses Lebende und sah nur das Ewige; von wenigen Menschen wurde mir der Abschied [so] schwer wie von dieser Stadt, sie tat es mir an, und ich weiß, wie keine es mehr tun wird. - Ankunft in Bologna um 5 Uhr. Spaziergang zum Platz (?) Victor E.) **;(** { ) Nachträglich über das Fragezeichen geschrieben.) düstrer Eindruck. Ich schreibe die venezianischen Tage von hier aus, mit Wehmut, daß sie flüchtig waren.
Mittwoch 27ten
Wanderung durch die Stadt im Wagen mit R. Dann außerhalb der Stadt nach S. Michele und weiter die Bogen der Lucaskirche hinaus. Den Abend zu Hause zugebracht. Die Bekanntschaft des Syndicus gemacht (Graf Tacconi), welcher R. als Ehrenbürger hier begrüßt und uns einen angenehmen Eindruck macht. Das archigimnasio besucht; die Stadt ist in die Breite gebaut wie von Leuten, welche Raum hatten, und sehr wuchtig.
Donnerstag 28ten
In der Frühe ausgegangen nach 9 Uhr, und um halb vier erst heimgekehrt, das Museum, die Universität, Kirchen und Paläste besucht. Viele Freude an den Francia; im Museum gerechter gegen Do-menichino und Carracci ohne Verehrung. Eine Madonna di Cima wunderschön. Wenn Malerei zu bewegt wird, erscheint die Phantasie, das Wort, die Bedingung jeder Kunst, die Schranke ist überschritten, man will diese Gequälten auch schreien hören. So in der Musik, die Dramatik ist für die Bühne; das große Genie wie Tizian geht bis zu den äußersten Schranken, seine Gestalten aber dürfen noch schweigen. Neunte Symphonie Beweis des Bedürfnisses nach dem Wort. - Man kann die vorangehenden Maler mit großer Freude betrachten, die den größten Künstlern nachfolgenden nicht mehr, die äußerste Schranke war mit den Größten erreicht, und das bedeutendste Talent (Domenichino, Carracci) ist wie gezwungen, sie zu überschreiten. - Nachts um 2 Uhr abgereist, andren Tags um 10 Uhr abends in Neapel, Hotel Vittoria; die Kinder bewähren in dieser langen, bei größter Hitze sehr ermüdenden Fahrt ihre Gutartigkeit, Siegfried besonders ist unermüdlich heiter und gut.
Sonnabend 30ten
Langes Ausruhen, darauf kleiner Spaziergang; Nachmittag Siesta und Lektüre (Sismondi). Abends Fahrt auf dem Meere und auf der Chiaja.