Sonnabend 1ten bis 12ten
Die ganze Götterdämmerung!!! Unger wieder wohl; dafür Not mit Hagen, Herr Kögel, nervös, reist ab, Verhandlungen mit Scaria, dessen Gemeinheit sich treu bleibt. Große Not in der Kasse, jeder Tag kostet 2000 Mark, es kommt wenig ein, Herr Feustel meldet, daß wir in 3 Wochen nichts mehr haben. Ich suche mein Kapital aus Paris herauszubekommen, ohne Erfolg! Endlich am 10ten die gute Nachricht, daß 6600 Mark eingegangen und die politische Lage ruhiger. Malwida Meysenbug angekommen und eine herrliche Schrift von Nietzsche: »R. Wagner in Bayreuth«.[1] - Einzig ergreifend, hinreißend die Götterdämmerung. Bestürzende Nachricht von dem plötzlichen Tod eines unsrer Orchestermitglieder! Ein Herr Richter aus Berlin! - Wilhelmj von einer Roheit der Menschen ganz in Anspruch genommen, das unsinnige Steuergesetz über Hunde bringt die gräßlichsten Scenen hervor; seine Teilnahme, von den Leuten erkannt, erweckt die Habgier; der Schinder tötet die Hunde nicht mehr, will ein Geschäft mit ihnen machen und ernährt sie mit dem Fleisch der toten Hunde, wovon sie erblinden!... Ganz wohlhabende Leute entledigen sich der treuen Tiere, um nicht die Steuer zu zahlen - grauenhaft. Wir bilden einen Verein zur Rettung der armen Wesen!
Mittwoch 12ten
R. hält am Vormittag Probe mit Frau Materna, nachmittags 3ter Akt Götterdämmerung mit Orchester, unbeschreiblicher Eindruck! Abends in der Restauration, wo R. sehr heftig wird gegen Brückners, die sehr ungeschickt sich ausgedrückt (sie hätten nicht ihren ältesten »Kunden«, Herzog Meiningen, vernachlässigen können!). Das Wort Kunden bringt R. außer sich. Er bereut es aber und versöhnt B.'s herzlich. Beschließt dann aber, nicht mehr die Restauration zu besuchen, und ist über dieses Excedieren seines Wesens tief betrübt.
Donnerstag 13ten
Keine Probe; wir fahren aber doch in das Theater, R. will mit Herrn Brandt das letzte Bild (Erscheinung von Wotan) besprechen und die Doepler'schen Figurinen ansehen. Ich bin sehr betrübt über dieselben, der spielerische Trieb des Archäologen drückt sich darin aus, zum Schaden des Tragischen und Mythischen. Ich möchte alles viel einfacher, primitiver haben. So bleibt denn alles Simulakrum. Abends einige Freunde. Besprechung von der neuen Biographie R.'s durch Glasenapp,[2] worin manches Ungenaue, aber erstaunliche Quellenaufsuchungen. - Die Klavierproben endigten mit vollständiger Entlassung von Herrn Rubinstein, welcher die traurigsten Eigenschaften seines Stammes hier wiederum bewährt.
Freitag 14ten
Mancherlei Ärgernis; das Herzogliche Palais benutzt die Frage der Unterbringung von Frau von Schi., um uns eine Grobheit anzutun!... Nachmittags Probe von »Rheingold« - Herr Niemann zugegen, »gnädig«, wie ich ihm scherzend sage. Wir bleiben doch in der Restauration, weil R. mit Brandt etwas »erfinden« will, damit der Schein des Orchesters nicht die Effekte in Rheingold verderbe.
Sonnabend 15ten
Herr Siehr[3] zur Probe! R. mit ihm zufrieden, nimmt ihn zum Hagen! Abends Schluß-Probe vom Rheingold; R. viel Ärger dabei, die Regenbogenbrücke verfehlt (bis jetzt), die Dämpfe mißglücken, weil Herr Brandt, an Ökonomie von dem Verwaltungsrat gemahnt, nicht die rechten Dämpfe legen konnte! Die Maler Brückner haben eilig gemalt, so daß unverwischbare Fehler in der Dekoration sind!...
Sonntag 16ten
Brief vom König, er meldet seine Ankunft, verbietet jede Ovation - möchte niemanden sehen. Ankunft von Mimi, große Freude darüber, wir verbringen den Tag zusammen. Es ist zweifelhaft, ob der deutsche Kaiser kommt.
Montag 17ten
Erster Akt Walküre, Frl. Scheffsky furchtbar! Herr Niemann macht es gut. Mimi installiert, auch den Tag mit ihr zugebracht. R. sehr müde, wenig Anmeldungen zu Plätzen.
Dienstag 18ten
Zweiter Akt Walküre, Frl. Scheffsky noch gräßlicher; vorher zu Tisch, ein Exzeß von Plumpheit und Anmutslosigkeit! Konferenz, ob man sie um jeden Preis entfernt? Man fürchtet, daß eine andere nicht mehr Zeit hat, sie zu lernen. (Auch Scaria'sche Unruhen.)
Mittwoch 19ten
Die meiste Zeit mit Mimi zugebracht. Abends 3ter Akt von Walküre, herrlicher Eindruck. Der Feuerzauber von Herrn Brandt prachtvoll, die Bilder von den Walküren von Herrn Doepler noch nicht gut.
Donnerstag 20ten
Erster Akt Siegfried, Herr Unger recht gut, trotz Personals, welches ihn nicht aufkommen lassen mag. Herr Schlosser hat leider vieles von Mime vergessen, dadurch daß er in München alles mögliche singen mußte.
Freitag 21ten
Ein guter Tag für die Kasse heute, 5200 Mark kommen ein, das ist für 2 Tage leben. Not wegen den Kandelabern des Zuschauerraumes. Das Schlußbild der Götterdämmerung wird festgesetzt; mit menschlichen Gestalten, keine Transparente. Schöne Depesche vom König, dankend für die Nietzsche'sche Broschüre. 2ter Akt Siegfried, Herr Unger sehr gut bei Stimme! Herr Niemann hatte abends vorher erklärt, er würde nicht einen Ton in der Kehle für den 2ten Akt haben!... R. sehr ermüdet. Schläft jetzt nur bis 3 Uhr 4 Uhr morgens!
Sonnabend 22ten
Ein unbestimmtes Gerücht bringt die Nachricht, daß möglicherweise Hans hierher käme!... Probe vom 3ten Akt Siegfried zum allgemeinen Jubel. R. müde. Abends 11,20 hole ich Lusch ab. Sie ist gewachsen und sieht gut aus, auffallend ihrem Vater ähnlich! R. wacht auf, wie ich heimkehre, geht an das Fenster, begrüßt das Gestirn »der Wagen«,[4] welches schönstens erglänzt! »Beschütze mein Weib und meine Kinder, guter Stern, mit mir mache, was du willst.« Er habe an seinen Todgedacht, sagt er mir. Innig umarmt er mich, sagend, keiner wisse, was man mir alles verdanke. Er freut sich über Lusch.
Sonntag 23ten
Freude über Lusch, welche recht groß geworden ist. Einige Besuche mit ihr vorgenommen. Abends mehrere Gäste. Dazwischen große Ärgerlichkeit. Ohne R. davon Meldung zu machen, kündigt der Verwaltungsrat eine gegen 3 Mark öffentliche Probe an. R. außer sich.
Montag 24ten
In einer halben Stunde sollen alle Plätze vergriffen gewesen sein, was Freund Feustel erfreut! R. kommt auf den guten Einfall, Feustel, Groß etc. zu Tisch einzuladen. Pr. Nietzsche ist auch angekommen, und Dannreuthers, mehrere andre noch. Erster Akt Götterdämmerung; Fürstin Barjatinsky,[5] Mimi und ich in der Fürstengalerie, die Kinder mit uns. Abends mit den Kindern das Abendbrot.
Dienstag 25ten
Diner mit Fürstin B., Mimi, Graf Wallis,[6] welcher bei uns aus Enthusiasmus die Orgel spielt, Wilhelmj. Darauf 2ter Akt öffentlich; Herr Siehr als Hagen sehr gut. Wie das Publikum sich entfernt hat, zweite Probe. Darauf Herr Brandt gekränkt, wollte abreisen, weil auf einem Programm des Herrn Gießel er bloß als Maschinist aufgeführt ist!! Ich suche ihn zu beruhigen und zu beweisen, daß R. von alledem nichts weiß. Mit Mühe gelingt es halb!
Mittwoch 26ten
R. eröffnet einen gestern geschriebenen Brief von Herrn Feustel, dieser kündigt Austritt aus dem Verwaltungsrat [an], weil — R. die Feuerwehr unentgeltlich in die Probe eingelassen hat! R. schreibt scherzhaft darauf, und Heckel vermittelt! Abends 3ter Akt, wir bleiben im Restaurant mit Mimi und Fürstin B.*(* Barjatinsky) - Immer tiefere Einsicht in die Unvollkommenheit der Darstellung!! So weit wird die Ausführung vom Werk zurück bleiben, wie das Werk von unsrer Zeit fern ist!
Donnerstag 27ten
Heute Nachricht, daß Herr von Baligand mit dem Verwaltungsrat uneinig geworden und abgereist ist!! Wer wird nun für die Fürstlichkeiten das Schloß einräumen? So nun Tag für Tag Unsinnigkeiten! Diner Niemanns, Wilhelmj, Richters. Nachmittags Kostüm-Probe, wenig Freude daran, viel Konventionelles, Unschönes, wenig Erfindung bei großer Überladung! R. wieder herrlich von Geduld und Güte! - Zu allem übrigen im Hause Dienstboten-Unruhe!...
Freitag 28ten
R. hatte eine schlimme Nacht. Er bleibt aber guter freundlicher Laune. Kleines Diner mit Wilhelmjs, die Frau sehr angenehm. Abends Kostüm-Probe, auf meine Bitte an Professor Doepler, Siegfried's Gewand etwas weniger eng anschließend zu machen und die Frauen der Gutrune weniger bunt, wird der arme Mann so heftig und grob, daß ich erst daran inne werde, mit welchem Stümper man es hier zu tun hat! Die Kostüme erinnern durchweg an Indianer-Häuptlinge und haben neben dem ethnographischen Unsinn noch den Stempel der Kleinen-Theater-Geschmacklosigkeit! Ich bin darüber trostlos und auch ein wenig erschrocken über die Art des Herrn Professors. R. hat mit dem Wotans-Hut viel Not; es ist ein vollständiger Musketier-Hut!
Sonnabend 29ten
R. geht auf das Theater; Probe mit Pr. Doepler, dieser benimmt sich wie ein »Schuljunge«.*(* Am Rand: »Französisches Diner, Schures, Monod etc.«) Abends lte Rheingold-Probe in Kostüm, R. sehr traurig danach, weil hier Brandt selbst in Fehler. Die Sänger sehr gut, namentlich Herr Vogl als Loge. Nach der Probe R. und ich zu Hause allein für uns, R. tief bekümmert — der König fragt an, ob R. mit den Dekorationen zufrieden sei!
Sonntag 30ten
R. gleich in der Frühe zum Theater hinauf, ich allerlei Besuche zu machen. Diner mit Herrn und Frau v. Schi. Darauf Gartenfest bei Feustels; einige Bayreuther und unsere Künstler alle.
Montag 31ten
Fürstin Barjatinsky an der Eisenbahn abgeholt, dann die kleine Niemann. Erfahre flüchtig, welche Fluten von häßlichen Reden und Gesinnungen hier immer über einander rauschen. Die Falschheit und Lügenhaftigkeit ist dabei, was mich am meisten erschreckt, und ich möchte wohl wie der gute Falstaff [wünschen]: Es wäre Schlafenszeit und alles vorbei. - Abends Walküre, Probe der Zwischenakte.