Sonntag 1ten
Leb wohl, Januar mit deinem vielen Leid und Weh; es ist gut, daß man die Zeit einteilte, so stellt man sich vor, dieser Monat war schlimmer, der nächste wird besser, es gibt aber Erfahrung, die nichts ändert. - Zum Photographieren heute! R., der kaum gemalt werden kann, wie sollte er Photographien werden? Wir kommen im Gespräch darauf, daß, wie die Photographie sich einbildet, die Malerei zu ersetzen, so die Naturwissenschaft den Philosophen. - Ich betrachte das Brüssler Bild von R. und sag ihm: »Was mich dabei melancholisch macht, ist, daß dein Blick da mich nicht sucht«, »dafür auch sucht er nichts«, erwidert er, »sondern [es] ist mir alles erstorben«. — Nachmittags Spaziergang, kaltes Wetter, R. wird ungeduldig. Wir kehren heim. Abends in Fr. Schlegel, »Griechen und Römer«, das Kapitel von Diotima mit Interesse gelesen.
Montag 2ten
R. schreibt an den König, bespricht darin den Beruf der deutschen Fürsten (Hofrat D. schrieb mir, daß die Luft von Hohen-schwangau her in Bezug auf unser Unternehmen besser wehe als vor einiger Zeit). Nachmittags empfangen wir unsere neue Dienerschaft, Mann, Frau und Familie von 3 Kindern, aus Berlin. Abends unseren alten Gibbon nach langer Unterbrechung wieder vorgenommen, mit vielem Vergnügen (Honorius, Stilicho's Tod u.s.w.).
Dienstag 3ten
Zum neuen Haus in der Frühe, nachgesehen, wie die neu angekommene Familie (samt Kanarienvogel und Bibel) sich befindet. R. beschließt seinen Brief an den König. Abends die Kopie bereichert mit einem Macedonier, Herrn Lalas,[1] von Richter (jetzt Direktor der Oper in Pest geworden) gesendet. R. nimmt die D dur Symphonie von Haydn mit ihnen vor, dann spielt er noch das Andante (g moll) einer andren Symphonie vor, ihnen die Schönheiten erklärend, vor allem die Konzision, alles sagt etwas, keine Floskel mehr, die zwei Themen kreisen um einander wie Sonne und Mond. Von der Jubelouvertüre Weber's sagt R., darin sei ihm der Glanz der E dur Tonart zum ersten Male zu Bewußtsein gekommen. — Am Schluß des Abends seltsames Gespräch mit dem Macedonier, welcher behauptet, von den alten Griechen abzustammen, und die neugriechische Aussprache der Deutschen den Griechen (Idipus, für Oidipos) vorzieht!...
Mittwoch 4ten
Herr Schott scheint auf R.'s Vorschlag einzugehen. Gestern sendete R. den Brief an den König ab - ich lese ihn nicht.- Zum Photographieren gegangen, die Kinder in ihren Kostümen, für den König. Spät heimgekehrt, was R. verdrießt; er ist gequälter Laune jetzt - fragt sich, ob das Datum einzuhalten ist, wenn der König jetzt die Garantie gewährt, und sieht mit Sorge der Hatz und Hetz entgegen, die daraus entstehen wird. Trauriger Abend in Folge dessen. - Meine kranken Augen zwingen mich zur Untätigkeit, immer mehr wende ich mich nach innen - und es ist mir zuweilen, als ob ich bald gar nicht mehr würde sprechen können.
Donnerstag 5ten
Früh in das Haus gegangen; wie ich zurückkehre, finde ich R. höchlichst aufgebracht. Herr J. J. Weber beansprucht das Recht der Operntexte des Ring des Nib., welche R. an Herrn Schott ce-diert. Mit Mühe vermag ich es, R. über diese Gaunerei zu beruhigen. Daß dieses Benehmen des Herrn Weber niemanden empört, das ist es, was R. außer sich bringt, ich sage ihm: »Wir haben die theoretische Erkenntnis der Bosheit der Menschen, die anderen die praktische; darum sind sie nie empört und verklausulieren sich, wollen es aber in der Theorie nicht zugeben, weil die Lehre der Schuld des Daseins und der Schlechtigkeit des Menschen eine zu herbe Wahrheit ist.« - Nachmittags Brief von Freund Heckel, der Großh. von B. bedauert, nicht das tun zu können, was R. von ihm erbeten, weil er [von] der Erfolglosigkeit des Schrittes überzeugt sei! Und Herr Wesendonck will »mit Vorbehalt 700 Thaler für den Garantie-Fonds« geben. Wir konnten nicht anders, R. und ich, als lachen. »Man hat das Seinige getan«, sagt R., »viel erwartet habe ich mir nicht, man handelt aber, als ob man erwartete, und läßt nichts unversucht.« Abends Gibbon, immer mit Vergnügen. Leider ist mein Auge noch nicht so weit hergestellt, daß ich vorlesen kann. R. immer noch sehr empört gegen Herrn Batz und Weber.
Freitag 6ten
Mein Auge verhindert mich am Lesen und Schreiben. Des Abends übernimmt R. die Lektüre; wie wir einzelne Züge des Heroismus bei den letzten Römern noch zu bewundern haben, sagt R.: »Sie gehen wie Männer unter, die Franzosen wie Affen.« - In Venedig bereiten sie Rienzi vor.
Sonnabend 7ten
Frühlingswetter, mit den Kindern vor- und R. nachmittags (Rollwenzel) spazieren gegangen. Große innere Müdigkeit, Todessehnsucht. Der Anblick des Theaters kränkt mich jetzt förmlich. »Vielleicht kommt noch das Unbekannte«, sagt R., »denn das Bekannte, auf das man baute, hat uns ganz vollständig verlassen.« In Gibbon gelesen. Nachts überfällt mich eine Herzens-Congestion, die mich zu R. treibt. Es begibt sich nach einiger Zeit, eine große Mattigkeit verbleibt mir.
Sonntag 8ten
Schneegestöber! Das Wetter wirft uns hin und her. Mehr und mehr habe ich für R. und mich das Gefühl des Verbanntseins in diesem Leben, »weißt du, wo unsre Heimat ist?« R. hat die Kopie mit Herrn Runckwitz[2] eingeladen; nette gute Leute. Der Bauführer erzählt von der
Roheit der Werkmeister, welche überall hier in den Wirtshäusern erklärt hätten, sie wollten den Verwaltungsrat verklagen, wenn nicht bezahlt würde. Jetzt handelt es sich einzig um 5000 Gulden, wir beschließen sie, R. und ich, aus meinem kleinen Fonds zu bezahlen, falls der König uns noch einmal verließe. - In Venedig bereiten sie Rienzi vor und fragen telegraphisch an, ob Orsini »Baryton absolu« ist, worauf R. antwortet, daß er weder einen relativen noch absoluten Bariton kenne und daß in Deutschland die Sänger es sich zur Ehre rechneten, in seinen Sachen zu singen. R. erzählt seinen Traum, daß er mit mir einer Aufführung des Fl.
Holländers beiwohnte, welche vom 3ten Akt nach der eifersüchtigen Erklärung des Holländers plötzlich in die Spinnstube übergegangen sei, worin drei Polizeidiener gewesen wären, und R. in Verzweifelung geschrien: »Nein, was machen sie mit deinen Sachen.« — Abends Gibbon
(Chrysostomos) und ein Stück, von dem Sekretär der Universität Straßburg, Dr. Schricker, zugeschickt; wie der Autor versichert, auf empfangene Eindrücke von Lohengrin, Meistersinger etc. - und das Stück, »Bertha die Spinnerin«, ist das elendste Flickwerk, das sich denken läßt! - R. las mir einen Satz aus »Staat und Religion«, wo er über den Politiker und seine Aufgabe spricht, und sagt: Bismarck könnte mir dies entgegenhalten, und allerdings, wenn er etwas für mein Unternehmen tut, so handelte er nicht als Politiker- in dem Lauf der ganzen Weltgeschichte hat ein einziger, Perikles, ein einziges Volk gefunden, welches für eine Idee
eintrat. - Ein trauriges Benehmen Daniella's (wegwerfendes Wort über die Kopisten) kränkt mich wiederum tief. Mir erscheint das Herz im Bild eines Granitblockes, der zerbröckelt wird, und nun das ursprüngliche Muster gleich einem Mosaik zusammengerückt wird, man erkennt es,
aber es sind doch Stücke. Das Skelett bleibt dabei noch fest, und über diese physische Kraft, die unzerstört, während das Herz schon zertrümmert, erhob sich in mir die Klage. Inständig sehnte ich mich nach dem Tode - denn eine Hauptaufgabe werde ich nicht erfüllen können. -
Über die Tschandala nachgedacht!
Montag 9ten
Briefe von Herrn Schott, R. und er beschließen den Kontrakt, welcher für beide Teile, wie sich R. ausdrückt, »für beide Teile gleich ehrenvoll ist«. Nachmittags kommt auch ein Brief von Freund Feu-stel an, daß der König die Aufzeichnung der Garantie erbeten habe und zugleich auch das Gutachten des Verwaltungsrates. Überlegung, ob die Sache doch noch zu Stande (im Jahre 1875) kommen kann. R. schreibt an Brandt und Hoffmann deshalb.
Dienstag 10. Mittwoch 11ten Donnerstag 12. Freitag 13ten Sonnabend
14ten Sonntag 15. Montag 16ten
Die Woche über nicht in das Tagebuch geschrieben, meine Augen leidend. R. hat viel Not, ein Teil des Klavierarrangements der Götterdämmerung kommt an und ist unspielbar und unverständlich; die Mittelstimmen überfüllen, und das Hauptmotiv geht unter. An seine Partitur kommt R. nicht, was ihn sehr betrübt. »Meine Sache wäre, immer zu produzieren, nun an den >Parcival< zu gehen, nun werde ich durch Dinge aufgehalten, die andere vorzunehmen hätten. Ohne Schule, ohne Bühne, ohne einen Menschen, der mir beisteht, bin ich da und muß an dem Geschaffenen Jahre lang noch nagen, um es ordentlich herzustellen.« Herr Schott schickt die 10 000 Gulden, R. bedenkt die Ouvertüren, Lohengrin's Fahrt, Tristan, Epilog zu Romeo und Julie, Brünnhild, Wieland der Schmied. Leider hat R. auch Ärger mit dem Haus, den ich ihm nicht abnehmen kann, und seine Stimmung wirkt sehr deprimierend auf mich, ich bin wie einer, der vor dem Ausbruch einer Krankheit steht, wie gelähmt, und doch nicht krank. Auch ist mein Augenübel ein Hemmnis. R. liebevoll, liest mir immer abends vor; Gibbon; uns erscheint auch die jetzige Zeit wie eine Zeit des Verfalles, wo einzelne große Männer große Taten wirken, die aber keinen rechten Sinn haben. R. bejammert es, daß durch die Einführung der Latinität der deutsche Bauer plötzlich so getrennt worden sei von der ganzen Kultur, das sei früher nicht der Fall gewesen. - Brandt schreibt, daß vor 76 es wohl nicht möglich sei, die Aufführungen zu Stande zu bringen; was wohl recht gut ist. Wenn nur R. sich nicht aufreibt und erschöpft, die Angst will mein Herz nicht verlassen. - Neulich machte mir Siegfried zum ersten Mal Kummer - er kam zu seinem Vater, betrachtete die Bibliothek und sagte: »Die gehört einmal mir, wenn ich groß bin, da bist du tot.« - Der Bürgermeister rührte neulich R. sehr durch die Art, wie er ihm sagte: >Ein solches Unternehmen müsse zu Stande kommen; eine so selbstlose Sache wie diese seitens R. müsse Anerkennung finden; denn R. brauche keinen Ruhm und keine Verbreitung seines Namens und seiner Werke usw.< -Der Barbier erzählt, in Passau habe man ein Stück aufgeführt, R. Wagner's Traum, wo alle Gestalten von R. geschaffen ihn begrüßt. - Bechstein[3] schickt uns einen neuen Flügel, der alte wird versendet und Erard wieder bei uns aufgenommen, mit ihm fliegt ein Schwärm von Erinnerungen für mich wieder herein.
Dienstag 17ten
Eva's Geburtstag. - Mit der Meisterweise, mit welcher sie zur Welt kam, wird sie auch heute begrüßt; ich erinnere R. daran, wie er mir bei ihrer Geburt in das Ohr raunte: »Ich habe nie geliebt«, er antwortet: »Wer dich liebt, hat niemals geliebt.« Neulich wie wir nach einem Tage des Ärgers für R. [uns] in die Arme gefallen waren, sagte er mir abends darauf, »ich verstehe jetzt, wie man aus Liebe sterben kann, ich glaube, die Liebe in ihrer ganzen Gewalt empfindet man nur in meinem Alter; heute, wie ich dich hielt, war ich der Ohnmacht nahe«. - Ich kann es ihm nicht sagen, wie ich ihn liebe, und leide darunter, so muß man nur handeln, denn sagen können wir unser Sein uns nicht. Kinder werden eingeladen, das neue Haus durchlaufend. R. leider immer mit Korrekturen sehr beschwert, wäre Richter nur hier! - Abends in Gibbon gelesen. Vorher liest mir R. eine Stelle aus dem Freytag'schen Buche vor über die fahrenden Leute, an welche er Luther anknüpft. »Solch ein fahrendes Wesen, ein Genie, ist gewiß« - sagt R. - »der Dichter des Nibelungenliedes gewesen; denn der Gegenstand, den er besang, war damals ganz verachtet, zumal seines alt-heidnischen Anklanges wegen der Geistlichkeit verhaßt. Was wüßten wir z. B. von Shakespeare ohne die Buchdruckerkunst.«
Mittwoch 18ten
R. erzählte mir heute seinen Traum, wie er in einer Bühnen-Theaterloge plötzlich wie bei einem Abgrund gewesen sei, Minna zu seinem Entsetzen eingetreten sei und freundlich verweisend ihm aus der Not geholfen; wie sie weiter gehen wollten, die Treppe hinab, wären lauter Kuhköpfe vor ihnen entstanden, immer mehr und mehr, bis das Erwachen gekommen. - Viel Hausnot, üble Gouvernante; dazu R. nicht wohl - er kann nicht arbeiten; liest des Morgens in Daumer's neuem Buch[4] gegen Altkatholiken, Straußianer etc., Verteidigung des Wunders. Wir glaubten, etwas Tiefsinniges dort zu finden, und finden auch Abgeschmacktheit; in der Polemik gegen die andren hat er ganz recht, im Positiven aber ist er ganz seicht, ja kindisch. Einzig auf allen diesen Gebieten ist Schopenhauer tief und scharf. - Der neue Kopist, Macedonier, besucht mich und erzählt mir, wie am Münchner Conservatorium schmähliche
Gesinnung über R. herrsche, auch von Brahms, wie dieser Herr zuerst gegen Propagation von W.'scher Musik gesprochen, wie er aber gemerkt, daß der junge Musiker Wagnerianer sei, habe er bloß gemeint, diese Kunst sei zu schwer für die jungen Leute! - Ich begehe die Torheit und
spreche davon mit R., das bringt ihn wieder auf den Orden, er überlegt sich, wie er nur seine Meinung hierüber kund geben könne. - Freund Feustel schreibt aus München, daß keine Schwierigkeiten der Sache entgegenstünden, nur daß eine andere Form des Garantie-Aktes verlangt würde. Sorge, daß etwa auf dem Einhalten des Jahres 1875 bestanden würde oder daß nach den Aufführungen das Schalten über das Werk*(*Satz unvollständig) dann, sagt R., müsse er alles aufbieten, damit nicht ein Kreuzer aus des Königs Kasse bezahlt würde!
Donnerstag 19ten
R. hatte eine üble Nacht, beständig mit der Ordensgeschichte, dann mit den Gefahren der Garantie beschäftigt. Er liest in Daumer, abends aber in Gibbon mir vor. - Der Wagner-Frauen-Verein schickt 550 Gulden als erstes Ergebnis der Lotterie. Im übrigen nichts von Bedeutung. R. erzählt mir, daß er seine Novelle »Beethoven«[5] für die Zeitung von Winkler Richard Wagner, Notensetzer in Paris unterzeichnete. - R. erzählt Loldi die Geschichte von Wilhelm Tell, und bei dieser Gelegenheit bewundern wir, wie herrlich Schiller die Hauptscene gedichtet: wie Bertha und Rudenz eindringen (auf Geßler), Teil förmlich verschwindet, wie vernichtet, und plötzlich es heißt: der Apfel ist getroffen.
Freitag 20ten
R. träumte von Brockhausens, daß sie sich erbärmlich verlegen gegen uns, die wir sie in Leipzig besuchten, benehmen!... Mit den Kindern auf das Eis gegangen, R. nachmittags zu Feustels, der Konferenz wegen. Der König wünscht nicht die Garantie zu gewähren, sondern Vorschüsse bis zur Höhe von 10 000 Th.[6]; bis dieser Vorschuß zurückerstattet ist, gehören Dekorationen etc. etc. ihm... R. kam verstimmt von der Konferenz zurück, der Rat war kopfhängerisch, der Unmöglichkeit der Einhaltung des Jahres wegen, und Feustel sprach wiederum von Konzerten. - Düfflipp sei sehr übler Laune gewesen, hätte Feustel bemerkt, kurz alles Bessere, kein Gutes, namentlich auch keine Freude. Abends Gibbon. (Endlich auf unserem Grundstück auf Felsenwasser gekommen).
Sonnabend 21ten
Böse Augen, die nicht mehr dienen wollen. Der Doktor weiß keinen Rat. Wir denken an das Wasser von Lourdes, wovon R. viel in Daumer's Buch gelesen!... Beschäftigung mit dem Haus; R. noch zu Feustel, welcher nach Wien reist. Maler Hof f mann krank. Schöne Rede von Graf Moltke über die außerordentlichen Anstrengungen, welche die Franzosen in Betreff ihrer Armee machen. - Klavierlehrer Heintze schickt 100 Thaler für die Unternehmung. Abends Gibbon.
Sonntag 22ten
Ich schreibe an den König und sende unsre und der Kinder Photographien. R. geht endlich wieder an die Partitur. Am Morgen liest er in einem Buch, das ihm gefällt: »Die Gallizismen in der deutschen Sprache« von einem Rektor aus Danzig. Abends beginnen wir die neu angekommene Broschüre von Freund Nietzsche[7] über den Nutzen der Geschichte, es fängt sehr abstrakt an, und dadurch erhält es etwas Willkürliches.
Montag 23ten
Mit grünem Schirm bewaffnet, wie zur Zeit meiner Kindheit - R. aber arbeitet emsig. Wir fahren in der Broschüre unseres Freundes fort und freuen uns ihrer, großer Mut, große Inbrunst, große Schärfe des Urteils. An R.'s Beispiel ist ihm die ganze jetzige Welt in ihrer Nichtigkeit erschienen.
Dienstag 24ten
Für mich noch immer keine Möglichkeit der Tätigkeit, meine Augen schmerzen mich sehr. Keine Nachrichten von außen, langsames Vorwärtsgehen des Hauses. Abends die Broschüre mit vielem Interesse beendigt.
Mittwoch 25ten
Die Schrift unseres Freundes bildet den Gegenstand unserer Gespräche, der feurige Witz, mit welchem sie geschrieben ist, ist ganz erstaunlich. R. arbeitet. Wir gehen nachmittags in das Haus, und abends besucht uns der Dekan, uns durch seine Wärme und seine Originalität erfreuend. Er spricht von der furchtbaren Wendung, welche die religiöse Frage dadurch genommen, daß Rom einzulenken schien; kommt es zum Frieden, so sind sie die Überlegenen.
Donnerstag 26ten
Das Schreiben des Kaisers gibt unserem guten Dekan nicht recht; man scheint doch in Preußen sehr entschlossen zu sein. - R. arbeitet; aus Hamburg erhält er 60 Th. als Erfolg eines Konzertes, welches die Militärkapelle in Hamburg für Bayreuth gegeben hat. Immer sehr rührende Zeugnisse. Freude an den Bildern nach dem Nibelungen-Ring, welche in der Halle unseres Hauses geheftet werden; R. freut sich für Fidi, ich sage ihm: Ich möchte, er, R., hätte es also gehabt. Die beständige Heiterkeit von Fidi erfreut ihn. »Das ist doch die Blüte des Lebens, so erfreut sich der Wille, die Kindheit zu produzieren, dazu treibt es ihn.« Abends lesen wir in der Einleitung zu den Gallizismen; Friedrich der Große, von Mr. Quantz[8] sprechend, erheitert uns sehr, indem uns sein tiefer Blick dabei wirklich erhebt. »Wie traurig, wie schrecklich«, sagt R., »daß ein solches Wesen förmlich groteske Züge zeigt [und] als ein anekdotisches Wesen einem erscheint.« »Für Karl den Großen war das Lateinische, was für Friedrich das Französische.« Unsren Kaiser rühmend, sagt R.: »Er nimmt sich nur schlecht aus als Kulturmensch, d. h., wenn er mit unserer Kultur zusammenkommt, sonst ist er förmlich ein Held.«
Freitag 27ten
R. arbeitet immer, beschäftigt sich aber auch viel mit dem Hause, welches ihm Freude macht. Die beständige Heiterkeit Fidi's erfreut ihn sehr: »Kein dummer Dünkel, kein Hochmut, keine üble Eigenschaft ist im Gefolge der Heiterkeit, sie gehören dem Trübsinn, der Unfreiheit an.« »Er wird ernten«, sagt er, indem er das Haus betrachtet, »ich bin froh, er wird keine Sehnsucht nach Reichtum und Wohlleben haben und alles Äußere verachten können.« - Wie ich heute den Kindern ein Rätsel auf[gebe], »wenn ich es tue, so tue ich's, wenn nicht, so geschieht es doch«, da rät Fidi: »ein Unglück«; was uns allerdings Staunen macht. Abends Gibbon. Große Augenschmerzen.
Sonnabend 28ten
R. immer fleißig bei der Arbeit. In Wien hat Freund Feustel den Vertrag mit Professor Hoffmann vorgenommen, dieser will für das Jahr 1875 fertig sein; doch ist daran nicht zu denken. Des Vormittags wandre ich zum Hause mit den Kindern, nachmittags R. Abends liest er mir einige von den Gallizismen vor, wobei man sich fragt, wie es nur mit der deutschen Sprache werden wird. Auch in Gibbon gelesen. Zum Kaffee kamen wir wiederum auf das Nibelungenlied zu sprechen, und R. sagte: »Der Dichter wächst förmlich mit seiner Aufgabe, wie Shakespeare in >Antonius und Cleopatra<; im Anfang verfährt er förmlich kompilato-risch, bis er immer mehr sieht und deutlicher mit der Tragödie.« - Der Dekan hatte uns neulich nämlich sehr erfreut dadurch, daß er - von den seltenen Eindrücken berichtend, die ihm geworden und die ganz gleich auf ihn wirkten, sei es in Musik, Malerei, Dichtkunst - die Scene anführte, wo Antonius verwundet sich zu Cleopatra heraufziehen läßt. »Daran sieht man«, sagt R. zu mir, »welche unterdrückte Glut und Leidenschaft in unserem Freund liegt.«