Dienstag 1ten
Kleines Diner bei uns, Staffs, Künsberg etc.; darauf versucht R. Schlittschuh zu laufen, es gelingt ihm nicht mehr. Abends »Don Quixote«, unsere einzige Erfreuung jetzt. Doch denkt R. hin und wieder an Parzival; der Name Gurnemanz geht ihm durch den Kopf.
Mittwoch 2ten
Lichtmeß - wenig Helle bei uns, Sehnsucht nach Ruhe bei mir; »vielleicht«, meint R., »entsteht nach der Aufführung eine Schamröte, welche zur Morgenröte einer neuen Zeit wird«. - Abends Gesellschaft bei hiesigen Patronen. Für R. eine Prüfung.
Donnerstag 3ten
R. bereitet das Debüt von Herrn Unger in Wien vor, er wünscht, daß dieser mit Frau Materna die Scene aus dem 3ten Akt von Siegfried singt. Von Wien erfahren wir nur, daß das Abonnement-Quantum nicht zugestattet wurde. Fr. v. Staff und Frau v. Künsberg bei uns zu Tisch. Abends »Don Quixote«.
Freitag 4ten
Diktat; große große Schwermut; einzige Erheiterung durch Siegfried. R. wandert zum Theater hinaus, alles wüst dort oben! Die Vorbereitungen zur Einquartierung müssen sehr lässig betrieben werden, da man nicht im entferntesten bestimmen kann, wer kommt! - Mein Schwarzsehen geht so weit, daß ich kaum mehr an die zahlende Neugierde glaube! - R. möchte an einen Patron die Lage auseinandersetzen. Hübsches Buch von einer englischen Dame, Helen Zimmern,[1] Biographie Schopenhauers, mit großen Verständnis gemacht. - Abends »Don Quixote«.
Sonnabend 5ten
R. sagt, wenn die Reise nach Berlin nicht bevorstünde, er würde an den Parzival sich machen. Leider aber werden wir diese Wanderung machen müssen! R. hat eine Konferenz mit seinem Verwaltungsrat, welche ihn nicht verstimmt, er sagt ihnen: Es sei vollständiges Hazardspiel, welches sie spielten; die guten Menschen aber verlieren das Vertrauen nicht. - Abends »Don Quixote«.
Sonntag 6ten
Schneefall; »der Winter lernt im Alter, weiß zu sein«, sagt R. - Er hat Kopfschmerzen, ich schreibe Briefe, an Pr. Lagarde, Mimi (sie will die Aufführung von Tristan zugunsten unseres Theaters erwirken) etc. R. geht mit den Hunden spazieren, die einzige Freude, welche er außen habe. Es heißt in Meiningen,[2] Hans habe sich dort angekauft und würde eine schöne Russin heiraten, wie gern möchte ich das glauben, allein mir fehlt jeder Mut in diesem Betreff. Ich habe viel mit einer immer wachsenden Wehmut zu kämpfen!
Montag 7ten
R. wacht mit einem großen Pfiff auf; er träumte von einer Festaufführung hier, aber vom Holländer und Tannhäuser, und die er dirigierte vom Klavier aus in einem Nebenzimmer mit Hülfe eines Spiegels; Schröder-Devrient und einige, welche lieber um ihn als in der Aufführung selbst waren, umgaben ihn, wie er vor Kränzen und Blumen das Klavier nicht öffnen konnte; plötzlich vernimmt er seltsame Töne, er rennt hinein und sieht »Die Meereswellen«, ein im Holländer eingelegtes Ballett von Servais, sagen ihm seine Sänger, »und das habt ihr euch gefallen lassen«, ruft er aus, rennt noch einmal hinein und pfeift mächtig!... Depesche aus Madrid*,(* Beigelegt, s. Anm.[3]) daß Rienzi dort mit großem Erfolg aufgeführt worden. - Der Herr Hoffmann reist mit Walküre und Götterdämmerung herum und ist daran nicht zu verhindern!... Ein Gerichtsvollstrecker läßt sich melden, und wir zerbrechen uns den Kopf über sein Vorhaben, alles Mögliche und Unmögliche fällt R. in den Sinn, nun kommt zu unserer Erheiterung heraus, daß eine Frau aus Wien Beschlag auf die Einnahme von Scaria hier legt; er sei ihr 25 800 Thaler schuldig und von ihr verpfändet. Wir freuen uns wenigstens, eine Erklärung für Scaria's unglaubliches Benehmen zu haben! - »Don Quixote« abends.
Dienstag 8ten
Kinder-Unterricht und Diktat; »wir pfeffern das Leben nur so heraus«, sagt R., wie er sieht, wie viel ich schon geschrieben. Abends Dilettantenkonzert, Reformationssymphonie von Mendelssohn, den zweiten Satz denkt R.: »Tetzel, wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt.«
Mittwoch 9ten
Kein Diktat heute, R. macht sich an die Komposition[4] für die Amerikaner (Eröffnung der Weltausstellung, 100jährige Feier der Befreiung); er hat 5000 Dollars gefordert, ob sie ihm von den Bestellenden bewilligt? Wie ich zu Tisch komme, spielt er ein sanftes wiegendes Thema, für den amerikanischen Pomp fiele ihm nichts ein. Schlittenfahrt, wenig guter Erfolg davon; abends Beethoven'sche Trios, D dur und B dur, großer Eindruck namentlich des letzteren, Bedauern, daß Beethoven das Adagio nicht abschließt, sondern, wie R. sagt, wie mit Peitschenhieb in das Finale übergeht. - Ein Herr Ritter aus Heidelberg bringt eine neue Art Bratsche, welche Richard vortrefflich findet und in sein Orchester einführen will. Am Schlüsse solcher Abendvergnügungen ist aber R. immer müde.
Donnerstag 10ten
R. an seine Komposition, ich mit den Kindern beschäftigt, Boni arbeitet gut, ist willig und freundlich; abends »Don Quixote«. Der Redakteur der Weser-Zeitung kündigt sich als Kämpe für R. an, Standhartner schreibt, daß der Lohengrin erst am 2ten März in Wien möglich sein wird.
Freitag 11ten
Vor- und nachmittags ist R. bei seiner Sache; wie er sagt, schreibt er zum ersten Mal um Geld! Abends ist »Don Quixote« unsere Erquickung.
Sonnabend 12ten
Ich unterrichte, R. komponiert leider nicht mit Vergnügen. Abends - Lektüre. Versendung des vierteljährigen Verwaltungsberichts an die Patrone.
Sonntag 13ten
Allgemeiner Brieftag für mich, während die Kinder spielen; ich danke der englischen Dame, welche eine vortreffliche Biographie Schopenhauer's geschrieben und geschickt hat. An R. L. geschrieben und an Marie Dönhoff.
Montag 14ten
R. immer arbeitend, klagt darüber, daß er sich bei dieser Komposition gar nichts vorstellen könne, beim Kaiser-Marsch sei es anders gewesen, selbst bei Rule Britannia, wo er sich ein großes Schiff gedacht, hier aber gar nichts außer den 5000 Dollars, welche er gefordert und welche er vielleicht nicht bekäme. Abends Konferenz; Freund Feu-stel bringt und liest uns einen Aufsatz aus der Frankfurter Zeitung, »R. Wagner und die Kritik«,[5] welcher ganz vortrefflich ist. Im ganzen ist die Lage der Dinge erträglich, nur teilt Feustel mit, daß Bismarck an Jachmann erklärt habe, da man seinen Rat, an den Reichstag zu gehen, wo er mit seiner ganzen Kraft für die Sache eingetreten sein würde, nicht befolgt habe, will er gar nichts mehr von der Sache wissen!...
Dienstag 15ten
Tauwetter, R. nicht günstig; er arbeitet jedoch Vor-und Nachmittag. Abends schreibt der Redakteur der Weser-Zeitung und gibt sich als den Autor des Aufsatzes in der Fr. Zeitung an. - Gestern schrieb ein Herr aus Italien, um sich zu erkundigen; die italienischen Zeitungen meldeten, die Aufführungen fänden nicht statt, das verwirre ihn und mehrere Bekannte, welche ihnen beiwohnen wollten!... R. klärt ihn auf. Ein armer Lehrer meldet sich für eine Patronatskarte aus seinen Ersparnissen, weil, nachdem er die Klavier-Auszüge kennen gelernt, er durchaus müsse den Aufführungen beiwohnen. - Abends »Don Quixote«; wie Cervantes immer mehr Künstler geworden wäre und gleichsam immer mehr entdeckt habe, was in seinem Stoff lag.
Mittwoch 16ten
Ich gebe mir viele Mühe mit dem Unterricht, ob mit Erfolg?... Herr von Hülsen schreibt sehr freundlich, daß Tristan erst 15ten März stattfinden kann, der Schwierigkeit des Werkes wegen. Dies ist R. recht. Nach Tisch zeigt er mir das neueste Album-Blatt, »Amerikanisch sein wollend«, und sagt, es sei der Chor der Frauen zu Parzival, » komm schöner Knabe!«... Viel denkt er an Parzival und ist betrübt, daß so vieles dazwischen kommt. U. a. auch ein Brief des Herrn Simson,[6] welcher alle möglichen Daten verlangt etc. etc. - Die Kinder feiern die Vorfeier von Eva's Geburtstag, ich schreibe an Marie Hohenlohe zu ihrem Geburtstage (18ten). Abends »Don Quixote«, die schöne Episode mit den Löwen.
Donnerstag 17ten
R. sehr von seiner Komposition bedrängt; doch feiern wir Evchen ganz heiter. Am Nachmittag nimmt R. mehreres von Händel vor und erstaunt über die Banalität; gar keine Tiefe, kein Christentum, der rechte Jehovah-Dienst. Einzig ist ihm großartig in der Erinnerung die Cäcilien-Ode. - R. bleibt dabei, er selbst sei kein Musiker! -Ein Brief von Gräfin Danckelmann stimmt uns traurig, die Dame will wissen, ob sie ihren Koch mitbringen soll, und fragt nach den Wohnungen hier! Ob wir nicht einer völligen Katastrophe, selbst wenn alles übrige gelingen sollte, in diesem Betreff entgegen gehen?...
Freitag 18ten
Frühling, die Stare sind da; R. aber ist unwohl, er meint, zu viel ginge ihm durch den Kopf, Tristan in Berlin, Prozesse, Wohnungs-Angelegenheit, Lohengrin in Wien, dazu soll bis zum 15ten März die amerikanische Komposition vollendet sein! Und ob überhaupt ihm die 5000 Dollars zugesagt werden? Er ist so angegriffen, daß er mir selbst abends nicht vorlesen kann.
Sonnabend 19ten
R. arbeitet, ich gebe Unterricht. Neulich telegraphierte Herr Niemann nach den Stimmen des sogenannten »Liebeslied«[7] für ein Hofkonzert in Meiningen, das erste direkte Lebenszeichen nach der Zurücksendung des Siegmund; wie ich R. frug, ob er sie ihm schicke, antwortet er: »Einem geschenkten Siegmund sieht man nicht in den Schlund!« - Abends ein wenig »Don Quixote«, aber herrlich (Puppentheaterepisode), wie viele Menschen würdigen dies? Kennen es.
Sonntag 20ten
Freier, d. h. Brief-Tag für mich; R. ist fertig mit dem Entwurf, spielt ihn mir vor, er ist herrlich, viele gute Laune darüber. -Abends einige hiesige Bekannte.
Montag 21ten
Ich bin mit dem Entwurf zu R.'s Geburtstag beschäftigt, nebst dem Unterricht. R. ärgert sich sehr über eine Depesche Jau-ner's, meldend, daß die Hälfte der Einnahme nebst Tages-Kosten dem Theater zufallen soll und dem Chor also ungefähr 2000 f 1. bei der Aufführung des Lohengrin nur zukommen wird. Abends Konferenz wegen Wohnungen, auch Garderobeneinrichtungen u.s.w. - Alles hier in Seligkeits-Ruhe!!... Herr Brandt nur in tiefer Sorge, und wir.
Dienstag 22ten
R. schreibt an Dr Jauner, ob nicht die Aufführung auf eine andere Zeit zu verlegen, da jetzt die Verhältnisse so schlimm. -Deutschland soll nun 1V2 Milliarde verloren haben, und zwar der kleine Stand; die reichen Banquiers tun nur so, geben weniger aus, aus Klugheit, sie haben aber gewonnen bei dem allgemeinen Elend. Ganze Industriezweige liegen brach!... Brandt klagte gestern, man könne in Deutschland nichts bekommen; er brauchte rosa Glas für Sonnenaufgang, er muß es in Frankreich beschaffen. »Wie ein Student«, sagt R., »hat Bismarck das Wohl des Landes behandelt.« — Abends »Don Quixote«, die herrliche Episode von der Barke. -
Mittwoch 23ten
Briefwechsel mit dem Aachner Musikfest-Comite, welches sich rühmt, im Jahre 57 Kompositionen von R. aufgeführt und viele Mißhelligkeiten dadurch erlitten zu haben; dafür wünschen sie Herrn Vogl anfangs Juni!!... R. verstimmt gegen Wien; Reise dorthin unwahrscheinlich. Er beginnt die Instrumentierung des Marsches, doch muß er die zwei ersten Seiten noch ein Mal schreiben! - Herr Feustel meldet, daß die Kasse erschöpft sei (des Unternehmens). Verstimmung; dazu fühlt R. Rheumatismus in der rechten Hand. - Frühjahr naht. Abends »Don Quixote«.
Donnerstag 24ten
R. hatte eine gute Nacht, wohl in Folge des Entschlusses, nicht nach Wien zu gehen. Nun telegraphiert aber Dir. Jauner, daß nur die Tageskosten dem Chor abgezogen werden sollen und daß er persönlich mit R. alles besprechen wird. R. telegraphiert abends, ob nicht, da sie sich bei den schlechten Verhältnissen wagten, hohe Preise zu machen, er dazu sich unwohl fühle, [es] besser sei, für den Herbst diese Aufführung des Lohengrin unter seiner Leitung zu verlegen? - Im übrigen instrumentiert R.; ich arbeite mit den Kindern und erhalte abends einen Brief von Hans, welcher sich entschließt, in Amerika zu bleiben. - Werde ich je, selbst auch nur meinem Siegfried, den Kummerschacht eröffnen, welcher sich in mich gegraben?... Ich glaube, daß stumm ich in das Land des Schweigens einkehren werde!... So hörte ich in Tränen den schönen amerikanischen Marsch, welchen Herr Rubinstein sehr schön aus der Skizze vom Blatt las.
Freitag 25ten
R. hatte eine üble Nacht, er meint, betreffs der neu eingetretenen Ungewißheit in Bezug auf Wien; er arbeitet an der Partitur, doch da er keine Antwort von Amerika hat, nimmt er sich vor, sich nicht zu hetzen. Er kommt sich vor wie in dem Verkehr mit Rio[8] [de] Janeiro damals. - Eine Depesche von Herrn Jauner bestimmt unsere Reise nach Wien. Abends ein Stimmer aus Amerika, um den Steinway zu examinieren. - »Don Quixote« macht nicht mehr so viel Freude, Drei Schleppina langweilt.
Sonnabend 26ten
Frau v. Schl, schreibt, daß der Kaiser die Aufführung des Tristan zu Gunsten unseres Theaters befohlen hat, was R. nicht übermäßig freut; er büßt seine Tantiemen dabei ein, und die kleine Einnahme nützt nicht viel. Er arbeitet, ich unterrichte und bereite die Reise vor. Abends verplaudert.
Sonntag 27ten
R. hatte eine üble Nacht, liest während dem zwei Aufsätze von einem Herrn Löffler über die Götterdämmerung in der Fritzsch'schen Zeitung, welche sehr gut sind. — R. erzählt neulich bei Tisch, wie er dem armen Mann in Wien, dem er so bereute, nur 10 Kreuzer gegeben zu haben, wieder in der Dämmerung begegnet sei, ihm ein ansehnliches Geschenk gemacht und mit ihm gesprochen; es war ein armer Kupferstecher, der sich am Auge verletzt hatte und nun brotlos war! - Er fühlt sich unwohl, und so ist unsere gewöhnliche Sonntagsgesellschaft abends eine Last. - Ich schreibe an Hans einen Bericht über die Lage unserer künstlerischen Dinge; dieser greift mich bis zur Erschöpfung an. Die einzige Empfindung, an welche sich mein Herz als Haft anklammert, ist, daß, wenn ich auch allen, die ich liebe, mehr Glück wünschte als ihnen gewährt, ich mir selber nicht wünschte, daß es besser ginge; je tiefer ich leide, je stärker bildet sich in mir diese seltsame Wollust des Leidens aus. Gern würde ich annehmen, daß, wie die Dünste der Erde zum befruchtenden Regen werden, auch die Seufzer und Tränen, die mir entspringen, als Segen für die Kinder herniedertauten; allein dann wäre das Leiden wie eine Fata Morgana, und es muß die äußerste Wirklichkeit sein! Es freute uns neulich zu finden (in Littre), daß das Wort joli von Jul kommt.
Montag 28ten
Die arme Brange ist krank, sie hat gestern drei Junge geworfen, welche bereits tot sind! Ein stilles leidendes Tier, wie erhaben über den unzufriedenen, klagenden Menschen!... ((Schon gut!!))*(*( ) Von Richard Wagner eingefügt) Dieser Scherz von R. macht uns lachen, sonst ist nicht viel Heiterkeit da; Vorbereitung zur Abreise.
Dienstag 29ten
Um halb zwei Abreise, gute Stimmung, mildes Wetter; in Eger erhalten wir die Nachricht, daß kein Anschluß ist und daß wir hier übernachten müssen, das ist uns förmlich erheiternd, da wir nach allen Seiten Erkundigungen in Bayreuth eingeholt. Viel über die Araber gesprochen, dann vom Trio des Scherzo in der A dur Symphonie; daß, wenn Beethoven die jetzigen Trompeten gekannt hätte, er gewiß sein Thema von ihnen hätte wiederholen lassen und nicht seinen Rhythmus verändert.