März

Mittwoch 1ten
Abfahrt um 8 Uhr, nach einer ganz guten Nacht. Um 8 Uhr abends Ankunft in Wien, Empfang durch unsere Freunde und durch den Chor; hübsche Anrede an R. und auch an mich. Abends R. ermüdet.
Donnerstag 2ten
Besuche gemacht, empfangen, um halb sieben »Lohengrin«, R.'s magische Direktion wirkt Wunder, das Orchester spielt das Vorspiel, wie ich es nie gehört habe, der Chor ist prächtig, leider die einzelnen Sänger mehr denn mittelmäßig, unkorrekt, stimmlos, ohne Vortrag. Mehr und mehr erkenne ich die Unmöglichkeit, irgend etwas Erhabenes auf diesen bestehenden Theatern einzubürgern. - Spät abends allein mit R.; ich bin wehmütig gestimmt und ermüdet bis zur Erschöpfung.
Freitag 3ten
Im Gewerbemuseum dem h. Franciscus von Cano meine Devotion dargebracht; dann zu Marie Dönhoff und Marie Hohenlohe. Darauf sehr hübsches Diner bei Direktor Jauner; um acht Uhr Abfahrt; der Chor wiederum auf dem Bahnhof, im Wartesaal »Wacht auf«, von ihnen wundervoll gesungen, hinterläßt den tiefsten Eindruck. Der hohe Raum, wenig beleuchtet, diese arme Menge, plötzlich ertönend in erhabenen Klängen, das hinterläßt einen tiefen Eindruck und ein verklärtes Bild!... R. sprach heute mit Bon Erlanger wegen des Vorschusses; da dieser nicht abgeneigt scheint, telegraphiert R. an Feustel, damit dieser den geschäftlichen Teil der Sache übernehme.
Sonnabend 4ten
Gute Nacht im Schlafcoupe, um 2 Uhr in Berlin; erste Begrüßung durch Mimi; Unmöglichkeit, das Benehmen des Reichskanzlers in unserer Sache zu begreifen!... Brief einer armen Uhrmachers-Frau aus Eidenach [?][1] in ich weiß nicht welchem Teil von Bayern, welche ihm rührend schreibt, die Prophezeiung des Brandes unseres Theaters sei [ihr] auch in ihrem Dorf zugekommen, sie liebe R. und hielt ihn für den besten Freund des Königs, deswegen bäte sie ihn doch, ja alle Maßregeln zu treffen, damit kein solches Unglück geschähe! Es rührt dies R. sehr, und er bittet mich, der Frau zu danken, was ich auch tue.
Sonntag 5ten
Keine Nachrichten noch von den Kindern. Besuche von Neffe Jachmann und Eckerts; Nachmittag zu Mimi gegangen, dann zu Hülsens; R. hat eine Unterredung mit Simson in Bezug auf die Fürst-ner'sche Angelegenheit und kommt befriedigt zurück. - Diner bei Schleinitzens, abends in »Armida«,[2] um Frau Voggenhuber zu hören, welche uns besser dünkt, als man sie uns gemacht hat. Herr Niemann dagegen macht uns einen traurigen Eindruck.
Montag 6ten
R. hat heute die erste Probe und war nicht gerade unzufrieden; nur daß der Adel und die dunkle Glut dem Hauptsänger gänzlich abgeht. Wir fahren dann zu Doepler und sehen die schönen Kostüme für den »Ring« an, sie sind wirklich sehr schön, mannigfaltig und einfach, eine ganze Kultur tritt einem da entgegen; mir wäre eine mehr mystische Andeutung angenehmer gewesen, alles plastisch zu Deutliche schadet für mich der Wirkung der Musik und der Tragödie, allein wenn es ein Mal plastisch hervortreten mußte, so konnte es nicht schöner, kunstsinniger gedacht werden. Abends bin ich bei Mimi; R. hört einen schwedischen Bassisten an.
Dienstag 7ten
Wiederum ein Bassist, ein Herr Kögel,[3] welcher R. sehr gefällt. R. kommt von der Probe ziemlich befriedigt zurück. Am Mittag, wie ich Besuche machen will, bringt mir Mimi die Zeitungsnotiz vom Tode meiner Mutter.*(* Dieser Seite beigelegt, s. Anm. ) Ich kann zuerst nicht daran glauben - telegraphiere nach Paris, bleibe ohne Antwort. R. meldet, daß alle Zeitungen dasselbe bringen! — Ciaire weiß meine jetzige Adresse nicht.
Mittwoch 8ten
Ein Brief vom 2ten, in Bayreuth liegen geblieben, erreicht mich heute, er meldet die ungefährliche Erkrankung. Eine Depesche von Schure als Antwort auf eine Anfrage von R. meldet, daß gestern schon meine Mutter begraben wurde!... Alle Anfragen an Ciaire bleiben unerwidert! - Ich fahre mit R. zum Kirchhof und mache denselben Weg, welchen vor 16 Jahren ich hinter dem Sarge meines Bruders getan! Das Grab ist gut gepflegt. Ich will es einfriedigen lassen.
Donnerstag 9ten
Tage des Schweigens. Diese Nacht kam ein Brief per express, ich glaubte, es sei eine Nachricht von Paris, es war nur die Meldung von Philadelphia, daß R.'s Bedingungen angenommen sind. - Ich schrieb an die Kinder. Schreibe nun wiederum nach Paris, um etwas zu erfahren!... R. instrumentiert und hält Proben. Er ist angegriffen, doch erholt er sich bald, bringt den Abend einsam mit mir zu; Evangelium St. Johannis, deutsche Theologie, ich lese es ihm vor. »Der Tod ist die Tat und die Tat ist der Tod.«
Freitag 10ten
Brief von Schure über die Bestattung! Auch von Ciaire, immer ohne Adresse, so daß meine völlige Abgeschiedenheit noch nicht gehoben ist! R. schreibt eine Seite Partitur, dann hat er »Arrangier-Probe«, kommt sehr ermüdet zurück; wir fahren aus, das kräftigt und erheitert ihn; er schreibt noch eine Seite Partitur, da die Zeit drängt. Abends Besuch von der lieblichen Mimi. - Meine Zeit und mein müder Geist erfüllt von Meister Eckhart. Viel an Hans gedacht.
Sonnabend 11ten**
(** Fälschlich »12ten«, in der Handschrift irrtümlich datiert bis einschließlich Dienstag, 14. März 1876.) Für R. Partitur und Probe (letzte Arrangier-Probe mit vielem Ärger über die Dekorationen), für mich Meister Eckhart und einige Danksagungsbriefe. Kummervolle Nachrichten von Lulu aus dem Stift.
Sonntag 12ten
R. schreibt heute fünf Seiten Partitur, weil keine Probe ist. Ärger über Freund Feustel, welcher nicht zu Herrn Erlanger gegangen ist und meldet, >die Lage sei gefährlich, wenn auch nicht hoffnungslos !< - Mit R. ausgefahren, dem Berlin besser gefällt als wie Wien. Erstaunen über das Schloß, für eine Stadt von 20 000 Menschen erbaut! Abends Besuch von unserer Freundin Mimi.
Montag 13ten
Erste Orchester-Probe; ich wohne ihr bei. Großer Eindruck. Spazierfahrt darauf mit R. nach Charlottenburg; die Königin Luise betrachtet, Lieblichkeit im Leiden. - R. kann heute nur eine Seite Partitur schreiben; abends Wilhelm Scholz.[4]
Dienstag 14ten
Zweiter Akt probiert; Herr Niemann sehr unerquicklich; R. arbeitet an dem Marsch, ich empfange einen hübschen Brief von Mr. Tribert,[5] meiner Mutter bester Freund. Abends einige Besuche. - Komische Berichte über die Despotie des Herrn Joachim hier.
Mittwoch 15ten
Freund Feustel hat die amerikanische Anweisung, R. muß doppelt angestrengt arbeiten. Probe des dritten Aktes; Herr Niemann immer unerfreulicher, verbirgt die Impotenz unter Heftigkeit und Aufgeregtheit. Der gute Kapellmeister Eckert auch durchaus unfähig -Gott, Schnorr und Hans, das Studium in München! Wie anders! Ich habe Not mit Billetanfragen! Ich hatte hübschen Traum eines künstlerischen Wortwechsels zwischen R. L.*(* Rudolph Liechtenstein.) und Bon Schl., wo ersterer mir zuliebe alle meine Ansichten verfocht.
Donnerstag 16ten bis Mittwoch 22ten
Die Zeit über nicht geschrieben, am Donnerstag fand eine Probe der drei Akte hintereinander statt, nach welcher R. und die Sänger eine Probe im Kostüm unnütz fanden. Am 17ten beendigt R. den amerikanischen Marsch und erhält dafür 5000 Dollars (25 000 frcs). Diner bei Herrn von Hülsen mit einigen Würdenträgern! Abends einige Freunde bei uns, unter andrem Elisabeth Krokkow und Frau Wesendonck. 18ten R. förmlich erlöst, keine Probe, keine Komposition, wir machen einige Besuche. (Frl. Preiß, wahrscheinlich durch Herrn Scaria aufgehetzt, schickt die Partie der Norn zurück). Diner bei Menzels, wobei R. sehr heiter und freundlich ist. Sonntag zu Graf Harrach[6] und in das Gewerbe-Museum (ich), abends bei unsrer Freundin gespeist. Montag 20ten
förmlicher Billetunfug, bis 150 Mark werden für einen Parkettplatz geboten; um 6 Uhr Beginn der Aufführung, Kaiser und der gesamte Hof nebst vielen Höflein, zum Geburtstag des Kaisers angekommen; unerhörter Andrang in den Korridors, und Leben; R. im ersten Zwischenakt bei dem Kaiser und der Kaiserin; sonst mit mir in der Loge von Hülsens. Hervorrufe, Blumen, Kränze und das übrige, dazu Versuche der Opposition, nach der Hirtenweise lautes Lachen von drei, vier Menschen. Betz als Marke herrlich; Niemann schlimm, Brandt als Brangane gut, Frau Voggenhuber (Isolde) in vielem überraschend, wenn auch durchaus ungenügend. R. gut gelaunt durch den Marke von Betz.
Dienstag 21ten
R. hat große Kopfschmerzen, hält sich [den] Tag über ruhig, um abends das Diner der Sänger anzunehmen; er gewinnt dabei ein völliges Verständnis der Persönlichkeit von Herrn von Hülsen.
Mittwoch 22ten
Kaisers Geburtstag mit furchtbarem Schneegestöber; mir bringt er nebenbei eine Anzahl Geschäftsbriefe zu schreiben. Der Notar meldet nämlich, daß die mir zukommenden und auch mir vermachten 40 000 frcs in großer Gefahr durch die andren Klauseln seien! Ein traurigster Zustand, nach allen Seiten!... Ich tue das Meinige, um mit Schonung alles dessen, was heilig ist, dem Verlust zu entgehen. - R. erhält große Anerbietungen für den amerikanischen Marsch (Herr Peters 9000 Mark, welchen die Herrn Bote & Bock[7] überbieten wollen). Es wird konstatiert, daß Tristan ein großer Erfolg. Abends Freund Buch[er] zum ersten Mal in Uniform gesehen!
Donnerstag 23ten
Frühbesuche, R. auch bei Hülsen, Prinz Georg, Bismarck und Helmholtz. Bucher bei uns zum Frühstück. Nachmittag Besuch des Prinzen Georg, Abschieds-Diner bei Mimi. Der Kaiser erkläre, der Tristan sei ein magnifiques Werk, die Kronprinzessin ernst damit beschäftigt. Abends um 8 Uhr Abschied von der ausgezeichnetsten Frau. In Leipzig übernachtet.
Freitag 24ten
Um ein Uhr daheim, die Kinder wohl und heiter. Große Müdigkeit. Früh zu Bett.
Sonnabend 25ten
Geschäftliche Besorgungen, R. erhält einen Brief des Musikdirektor Thomas,[8] nach welchem das Damen-Comite in Philadelphia die Bedingungen des Marsches angenommen mit dem einzigen Wunsch, der Marsch möge ihnen gewidmet sein. Herr Tribert telegraphiert, daß er mit Dank annimmt, meine Interessen zu vertreten. Stiller Abend.
Sonntag 26ten
Briefe geschrieben; Depesche Eckert's über den großen Erfolg der zweiten Aufführung. Abends Herr Rubinstein, Auseinandersetzungen!
Montag 27ten
Hausgeschäfte und Kinder-Unterricht. Nachmittags zum Theater hinausgefahren, großer Schrecken über den dortigen Zustand, es scheint unmöglich, daß es zur Zeit fertig werde!... Abends in »Don Quixote«, die herrliche Scene, wo dieser Sancho Ratschläge gibt für den Antritt der Statthalterei.
Dienstag 28
Besuche empfangen! Es heißt in den Zeitungen, R. würde Generalmusikdirektor, dann, er verkaufe das Theater an das Reich (!!!), dann wiederum das Faust-Projekt! R. bespricht mit dem Bürgermeister die trostlose Lage des Theaters. Nachrichten vom großen Erfolg der 2ten Aufführung.
Mittwoch 29ten
Konferenz, wobei der Maschinist Brandt wiederum seine ganze Superiorität zeigt; er einzig weiß Rat; die Decke, welche nicht mehr hier gemacht werden kann, soll auf Leinwand von den Brückners gemacht werden.
Donnerstag 30ten
Loldi krank, erkältet; ich verteile meine Zeit zwischen ihr und dem Unterricht. R. ist nicht ganz wohl.
Freitag 31ten
R. träumt, daß ich mich in's Wasser stürze, und wacht in Tränen und Schreien auf; mich erstaunt es, weil ich niemals so viel und mit solchem Sehnen an den Tod gedacht. Abends der »Kladderadatsch«, welcher viel Drolliges über Tristan und Isolde's Aufführung bringt! - Mr. Tribert schrieb sehr freundlich über die Vertretung meiner Interessen.