Mai

Montag 1ten
Loldi wieder unwohl, dazu Hausnöte, und R. verpflichtet, an den Intendanten Herrn von Gilsa[1] in Kassel zu schreiben, derselbe will plötzlich auch Frl. Haupt den Urlaub nicht geben (Freia); da Herr Jauner schweigt, telegraphiert R. an Richter. Fräulein Scheffsky, welche heute kommen sollte, meldet ab wegen Katarrh! Sieglinde?? Viel mit Pr. Doepler über Nibelungenhort gesprochen, dann auch über möglichste Verringerung von Ornamentik; ich bitte z. B., daß Brünnhild kein Hochzeitgewand bekommt und Wotan keinen Bortenmantel in der großen Scene mit Brünnhilde.
Dienstag 2ter
Loldi zu Bett. Ich höre die Scene zwischen Siegfried und Wotan mit unvergleichlicher Freude; Herr Unger sehr vortrefflich. Abends die »Trilogie der Leidenschaft«,[2] von R. vorgelesen, zu großer Rührung.
Mittwoch 3ter
Bessere Nachrichten; Herr v. Hülsen meldet in freundlichster Kürze, daß alles geordnet sei; Dr Jauner verlegt die Walküre wenigstens bis Januar; Frl. Scheffsky will Montag kommen. R. telegraphierte an den König in der Annahme, daß die erste Begegnung vor 12 Jahren heute war, der König grüßt schön wieder, berichtigend, es sei der 4te gewesen. - R. probiert die letzte Scene vom 3ten Akt mit Zufriedenheit; er erzählt, das Thema »sangst du mir nicht[3]dein Wissen etc.« sei ihm eingefallen, als er mit mir einmal auf dem Weg von Hergeschwyl nach Hause gefahren sei. Zusammenhang der Lokalitäten mit den Motiven, der amerikanische Marsch z. B. mit dem alten Tor hier. - Er spricht von der Schönheit des »Tauchers«, welchen er heute in der neuen Elzevier-Ausgabe gelesen, mit Entzücken; künstlerische Vollendung. - Viel Vergnügen abends an der Einleitung von M. Bernays zu dem Briefwechsel zwischen Goethe und Fr. Au. Wolf. Guter Stil, sehr guter Ton und Anschauungsweise und höchst interessanter Gegenstand.
Donnerstag 4ten
Mimi schreibt, daß Herr von Bronsart ein Konzert für Bayreuth arrangiert, darin mein Vater das Es dur Konzert[4] spielen will. Herr v. Bronsart scheint jetzt Mut zu haben, seine alten Überzeugungen auszusprechen, da Herr v. Hülsen gut gestimmt ist. Erbärmliche Menschen. - Abends in Goethe und Wolf weiter gelesen, wobei immer von Pr. Bernays befriedigt. Viel über das Suchen Goethe's gesprochen; auch [über] unsere traurige Zeit. - Heft vom Kriegswerk erhalten, gleich der erste Satz prachtvoll, Taciteische Einfachheit; ohne Affektation der römischen Kürze. R. liebt und verehrt nur noch die Armee. - Abends sagt er mir, er habe nur Freude an mir, ich sei das einzige, was er habe; und gar wundersam berührte es mich neulich, daß, wie ich nachts meinen traurigen Gedanken nachhing, er träumte, ich sei in München in einem Kaufmannsgeschäft, er käme hin, mich zu holen, ich blieb bei meiner Arbeit, sagend: »Es muß so sein, die Kinder sind fort von mir« - sehr wehmütig.
Freitag 5ten
In Wien und in Berlin sind nun die Dinge geordnet; dafür tritt der Typhus ein, welcher, hier ganz unbedenklich unter den Soldaten aufgetreten, in gehässigster Weise von den Zeitungen ausgebeutet wird; Nachfragen nach den Scheinen hören auf, dagegen erkundigt man sich nach dem Stande der Epidemie!... Weniger Freude abends an Wolf-Goethe-Bernays; tintenklecksendes Säculum! R. möchte, man hätte von Goethe nur den »Faust«, er erschien dann so groß und fabelhaft wie Homer; alle diese Versuche und Bestrebungen, mit den Homeriden es aufzunehmen, scheinen beinahe kindisch.
Sonnabend 6ten
Unterricht den Kindern, Besorgungen und Besuche, Wohnungsunannehmlichkeiten. Abends mit R. durchgeplaudert. Skizzen zur neunten Symphonie im höchsten Grade interessant. Er ließ den unsterblichen Schiller fallen, dafür nahm Berlioz[5] le divin Shakespeare auf; und trotzdem war Berlioz sogenannt kultivierter als Beethoven, allein vor Dummheiten in der Kunst schützt nur Genie.
Sonntag 7ten
Heftige Zahnschmerzen, dazu unleidliche Zankerei der Leute im Hause, wobei wir bemerken, daß mit Weibern nie fertig zu werden ist. - Nachmittags die sehr artigen Staff'sehen Kinder. Depesche, daß in London der Tannhäuser italienisch mit großem Erfolg gegeben worden ist; in Berlin eine eingeschobene 7te Aufführung von Tristan mit größtem Erfolg.
Montag 8ten
Schlimme Nacht und sehr übler Tag mit Zahnreißen; Blutegel angelegt, etwas Erleichterung; R. hat Frl. Scheffsky, ihm noch besonders durch Hofrat Düfflipp als bescheidenes fleißiges Mädchen empfohlen, zu empfangen. Die Stimme und Persönlichkeit schön, er nimmt sie zur Sieglinde; sie klagt über ihre Stellung in München, einzig sei der König ihr günstig, er hat ihr auch das Zeugnis der Kmeister und des Intendanten, welches dahin lautete: »es würde nichts aus ihr«, zugeschickt, damit sie ihre Freunde kennen lerne.
Dienstag 9ten
Sehr matt, doch weniger Schmerzen, Loldi aber wieder unwohl; ich hüte die Stube; lese den »Grafen von Paris« v. W. Scott mit ungemischtem Vergnügen. R. empfängt die amerikanische Orgel; auch Dr. Pringsheim hier wegen Wohnungen, und unser Ballettmeister Fricke jetzt ständig hier.[6] - Die Soldaten sollen durch schlechte Verpflegung krank geworden sein, die Lieferanten sind alle Juden und geben schlechtes Brot, schlechtes Fleisch u.s.w.
Mittwoch 10ten
Ich kann wiederum walten und schalten und beginne mit Haus und Korrespondenz. R. hat Kopfschmerzen und hält heute keine Probe. Ankunft (gestern) der Bilder von Menzel.[7] R. bei den Proben. Besuch des Kmeisters Frank unerfreulich, benahm sich schlecht in München und Mannheim - erzählt von der Tannhäuser-Schlacht in Bologna; die Rufe Evviva Rossini, Kämpfe u.s.w. - der ganze Unsinn kann wenig interessieren. Pikierte Briefe von Leuten, die nicht eingelassen werden können! Auch von Herrn Herrlich, welcher nicht bloß einen Mann singen will, sondern auch Froh.
Donnerstag 11ten
Frl. Weckerlin sagt auch zu; das Personal demnach ziemlich in Ordnung - heute wurden 8 Scheine bestellt, Herr Groß froh, da die Typhus-Gerüchte eine förmliche Stockung hervorgebracht. Abends in den nachgelassenen Schriften von Schopenhauer, viele herrliche Sachen, über Meister Eckhart, über W. Scott, über Wissenschaft und Philosophie. So tief und eigentümlich, so scharf, so kühn.
Freitag 12ten
Depesche aus Amerika*,(* Beigelegt, s. Anm.[8]) daß der Marsch großen Erfolg gehabt. Ankunft einzelner Delegierter, Herr von Baligand, Lesimple. Er-sterer erklärt, wie es kam, daß, während die Opern R.'s immer volle Häuser machen, die Aufführungen zu Gunsten Bayreuths nur 300 Th. eingebracht. Nachdem der König auf das Ersuchen des Herrn B. die Aufführung befohlen, sei lange nichts erfolgt, gemahnt, meldet wegen Krankheit einer Sängerin am Tag der Aufführung die Intendanz »Lalla Rookh« (das unbesuchteste aller alten Repertoirestücke) ab, schaltet Tannhäuser ein, schreibt in kl. Lettern auf den unteren Zettel »zum Ankauf von Patronatsscheinen!« R. hat Sorge wegen Frl. Scheffsky, daß er eine Dummheit gemacht, sie zur Sieglinde zu wählen.
Sonnabend 13ten
Verschiedene Ankömmlinge, unter andrem auch Herr Lesimple, welcher erzählt, daß Herr Hiller sich wirklich nicht entblödet hat, nach dem Konzert, wo mein Vater in Düsseldorf gespielt, auf die Estrade demonstrativ zu steigen, eine Umarmung zu inscenieren, welche mein Vater durch feierlichen Gruß eludierte. Von den Umtrieben Hiller's, um die reiche Bürgerschaft Kölns von Bayreuth abzuhalten.
Sonntag 14ten
Ruhetag für uns, wir wollen den englischen Sonntag feiern. Ein Dr. Grünfeld (Sekretär von Herrn v. Erlanger aus Wien) erklärt sich im höchsten Grade entzückt von der Ordnung, welche hier herrscht. Von Paris aus schriebe man, es sei alles ein Chaos.
Montag 15ten
Wagner-Delegierten-Versammlung, am tüchtigsten ein Herr Heckel;[9] Herr v. Baligand für die Einrichtung des Schlosses erwählt. Abends Soiree bei uns. Rubinstein spielt den Marsch.
Dienstag 16ten
Einige Gäste bei Tisch und abends, es verfliegt so ziemlich alles. Das Gerüste, noch immer im Theater, bringt R. zu heller Verzweifelung, die er dem Architekten Brückwald mitteilt; dieser entschuldigt sich demütigst und gut, der Bauführer Runckwitz dagegen ganz tückisch und roh.
Mittwoch 17ten
Schlechtes rauhes Wetter und wenig Erfreuliches. Herr Rubinstein unter anderem mit Klagen, daß er nicht zu den Proben zugelassen werde, um zu begleiten, während er sich mit allen hiesigen Musikern gestritten. R. darüber sehr ungehalten. Auch steigern sich die Ansprüche der Sänger.
Donnerstag 18ten
Tanzstunde der Kinder erregt Freude. Ankunft des jungen Brandt,[10] Klagen! Alles in Rückstand; Schwimm-Maschinen bedenklich. Maler Hoff mann reklamiert seine Eintrittskarten, er soll sie bereits verkauft haben!
Freitag 19ten
Boni erhält einen Brief von England, es soll Hans in Amerika nicht gut gehen. Trübste Stimmung! Brief an Loulou. Ihren Beruf ihr vorgelegt, wird sie mich fassen?
Sonntag 21ten
Viel immer mit Frau v. Staff verkehrt, deren Kinder für die meinigen mir sehr lieb sind, viel Briefschaften; R. leider viel Ärger, mancher Absage-Brief seitens der Musiker und beständige Bitten um Freiplätze seitens Leuten, welche absolut nichts getan.
Montag 22ten
R.'s Geburtstag; meine kleinen Geschenke, Majolika-Schalen mit Blumen, ein schöner Eisbär, machen ihm Freude; mancher Besuch, viele telegraphische Gratulationen, unter andrem auch eine schöne des Königs. Wir weihen abends die Restauration für die Künstler ein, was in heiterster Laune seitens R. (er beschließt die Sache mit: »Hört ihr Leute«) geschieht; die Kinder auch dabei, schöne Aussicht, heitrer Himmel.
Dienstag 23ten
Wiederum kalt und keine erfreulichen Dinge, Maler Brückners so sehr im Rückstand, wenig Anmeldungen von auswärts, so daß Freund Groß bitten kommt, daß R. an den König wegen Gestundung der Zurückzahlung schreibe. R. tut es ohne große Hoffnung, da die Zivilliste sehr belastet sein soll. Die finanzielle Lage Deutschlands soll schrecklich sein!
Mittwoch 24ten bis Montag 29ten
Mit R. einen dieser Tage hinaufgefahren, das Gerüst ist abgenommen, erhabener Eindruck vom Zuschauerraum wie von der Bühne, gleich traumhaft; es stimmt wehmütig erhaben! Wie wenig wirkliche Teilnahme begleitete den Geist, welcher hier sich kund gibt, wie losgelöst ist er - Sonnenuntergang-artig strahlt mir dieser Bau entgegen; keine Morgenröte! Viel, viel an Hans gedacht! Heute, Montag, hatte R. Freude an Herrn Unger, welcher wieder ein Mal probierte, nachdem er lange Zeit angegriffen gewesen. Herr Schlosser auch da, macht hohe Forderungen. Ich schreibe die Couverts der Ehrenpatrone. Abends Herr Brassin,[11] der Violinspieler aus Breslau - schon manche sind da, und man könnte sich der bevorstehenden Arbeit freuen, wenn nicht die Sorge einen drückte und eine Erfahrung, über welche zu schweigen wir uns zur Pflicht machen.
Dienstag 30ten
Probe; Richter ist da, speist mit seiner Frau bei uns; die Probe, wo R. alles vormacht, hat ihn sehr angegriffen, die Freude an Unger aber bleibt. Nach Tisch überlegt sich R., ob er nicht den Wotan im Rheingold, wie er Walhall begrüßt (»so nenne ich die Burg«), ein Schwert aufraffen läßt, welches Fafner, weil es nicht von Gold, verächtlich vom Hort weggeschoben. Es wird das Schwert, welches Wotan in die Esche einstößt; Alberich hat es schmieden lassen zum Kampf gegen Riesen und Götter. - Richter erzählt, daß Herr Jauner nicht begriff, daß R. die Walküre so ungern bewilligt, andere Komponisten seien froh, wenn man ihre Werke aufführe!... Abends kommt R. sehr ermüdet von der Schwimmprobe zurück. (Der Sultan Abdul Assis abgesetzt und erdrosselt - seltsamer Erfolg der Konferenz zwischen Andrassy,[12] Gortschakow und Bismarck!)
Mittwoch 31ten
Probe von Siegfried; herrlich! Unger über alle Erwartungen gut, erinnert etwas an Schnorr! Große Freude; leider getrübt durch die Sorge, ob die Gestundung uns gewährt? — Abends im Theater, die meisten Musiker schon da, auch Frau Jaide. Gewitter, es regnet herein durch das Pappdach! Trotz allem mächtigster Eindruck. R. sehr ermüdet. Die Kinder mit.