Oktober

Donnerstag 1ten
Eröffnung der Schule für Boni. Mit Lusch gearbeitet. R. beendigt den sieben Bogen langen Brief an den König; macht sich dann wieder an die Arbeit. Ich habe an Herrn Hoffmann und die Herrn Brückner zu schreiben, letztere wollen wie es scheint nicht mit ersterem arbeiten, ersterer will Geld vom Verwaltungsrat, welcher keines zu geben hat usw. Nachmittags mit den Kindern spazieren gegangen. Abends die »Anabasis«.
Freitag 2ten
Nachdem er einige Geschäftsbriefe geschrieben (indem er gewahrt, daß bei dem neuen Reichsgesetz, das Autorenrecht betreffend, man in Deutschland das Eigentum der Melodie vergessen hat), ruft er aus: »Ja, den Franzosen und Engländern nachzuhinken, das ist unser Fortschritt.« Nachmittags Besuch von Herrn Wesendonck, welchen wir zum Theater führen. Abends Musik, Strauß'sche Walzer und das Idyll.
Sonnabend 3ten
Abschied von Herrn Wesendonck, R. sagt ihm: »Da Sie eine so ernstliche Teilnahme für mich empfunden haben, muß es Sie freuen, mich jetzt so befriedigt zu sehen«, worauf der gute Freund sehr ergriffen sich von R. trennt. - Sturmwetter, der Sommer wohl vorbei. Unser Sgraffito-Mann zieht bei uns ein, er ärgert R. am Abend sehr durch Behauptungen wie: die Farbenlehre von Goethe sei ein Nonsense u.s.w., Fidi heute im Kindergarten.
Sonntag 4ten
Lauter Hoffmanniaden und Brückneriaden, großer Ärger Richard's, welcher dadurch bei der Arbeit sehr verhindert ist. Besuch eines Domorganisten aus Augsburg, eines enthusiastischen Schwaben, der die ganze Wärme und Erregtheit der süddeutschen Natur zeigt. Abends der Bürgermeister, immer dieser Hoffmann'schen Sache wegen. - R. erzählt mir, wie er bei Angermann sein Bier getrunken, sei ein jüdischer Klavierlehrer über Rus gestolpert; wie R. Rus entschuldigt habe, erwidert Karpeles: »O, das sind für mich heilige Wesen, Ihre Hunde, ich kenne Fips und Feps.«[1] Wir staunen über diese Eigenschaften der Juden, welche wie die Jesuiten alles auszuspüren vermögen. - Wie R. unserem Maler das beständig im Munde geführte Wort kolossal verbietet, erzählt er mir, daß er auch in der Jugend solcher Ausdrücke sich bedient habe, und es sei die Schröder-Devrient gewesen, welche ihn darauf aufmerksam gemacht habe und ihm gesagt: »Sprechen Sie doch nicht so affektiert« -, »ein Zeichen, daß sie Teilnahme für mich hatte, und ich schämte mich«, fügt R. hinzu. -
Montag 5ten
R. erzählt mir am Morgen vom Buche, welches er jetzt liest, »Das Orakel von Delphi«[2] von Hüllmann, der Ursprung des Namen Hellas, u.s.w. -
Die Kinder in der Schule, Fidi im Kindergarten, R. arbeitet; abends in der »Anabasis« gelesen, große Freude daran.
Dienstag 6ten
Viele Wanderungen am Morgen, den Geburtstag Lusch's betreffend. R. arbeitet. Am Nachmittag sollte die Konferenz zwischen dem Verwaltungsrat und Herrn Hoff mann stattfinden, das Absagen von Herrn Brandt läßt das Ganze wieder verlegen. Abends »Anabasis«. Viele Hausärgerlichkeiten.
Mittwoch 7ten
In der Frühe wandre ich zum Bürgermeister, um denselben zu ersuchen, die Konferenz ja nicht früher anzuberaumen, als er derselben wird beiwohnen können. Nichtsdestoweniger ist der Herr Hoff mann früher da, zum Ärgernis R.'s. Bis nach sieben Uhr dauert die peinliche Sitzung, in welcher Herrn Hoffmann seitens R.'s und Herrn Brandt's alle seine Vergehen der Anmaßung, Obstination, Geldgier vorgehalten werden und in welcher sich der ganze traurige Charakter dieses Menschen enpuppt; trotzdem weder Herr Brandt noch die Maler Herren Brückner mehr etwas mit ihm zu tun haben wollen, ist er nicht dazu zu bewegen, seinen Kontrakt zu lösen, und besteht er auf der Zahlung einer Beaufsichtigung, welche nicht stattfinden kann, während er der einzige ist, welcher bis jetzt starke Einnahmen von der Unternehmung (5000 Th. und Überlassung des Eigentums der Skizzen) erzielt hat. »Ein an Herz und Geist verklausulierter Mensch«, wie R. sagt. - Abends spielt uns Herr Rubinstein mehreres vor.
Donnerstag 8ten
Schon um 9 Uhr habe ich bei dem guten Bürgermeister zu erscheinen, um denselben] zu ersuchen, womöglich eine Pression auf den unseligen Maler auszuüben, damit derselbe sich mit Ehren wenigstens zurückzöge. Der Bürgermeister erzählt mir, daß R. bei der Sitzung bewundernswürdig in Mäßigung und doch Wahrhaftigkeit gewesen sei, ja daß der Moment erhaben gewesen wäre, wo er Herrn Hoffmann gesagt hätte, wenn er es nicht vermöchte, die Menschen, welche unter ihm zu arbeiten hätten, zu gewinnen und zu begeistern, wie es ihm selbst, R., gelänge, wenn er mit seinen Sängern zu tun hätte, dann könne er eben die Aufgabe nicht lösen, welche ihm gestellt worden wäre. Herr Groß teilt mir den schlimmen Eindruck [mit], welchen ihm und allen Herrn Hoffmann's Benehmen gemacht. - R. sehr ermüdet, hatte eine schlimme Nacht, dazu ist er von Flechten an zwei Fingern der Hand sehr geplagt und dadurch sehr gereizt. - Die Nachrichten von dem Übertritt der Königin-Mutter zum Katholizismus und die Einsperrung des Grafen Harry Arnim[3] bilden natürlich den Hauptgegenstand des Gesprächs. Abends aber die »Anabasis« zur Erholung von allem Wust des Lebens.
Freitag 9ten
Besuch eines Herrn von Balasy mit Frau, große Enthusiasten R.'s; R. arbeitet; vorgestern ließ er die Raben kreischen, und gestern sagte er: »Nun, man kann nicht sagen, daß Hagen Siegfried rücksichtslos erschlägt, da er ihn im Rücken trifft!« Bei aller angestrengtesten Tätigkeit und allen Leiden bleibt er unsäglich liebevoll gegen mich, so sagte er mir heute, er habe mir meine Briefe nicht hinauftragen lassen, damit ich in den Saal eintrete während seiner Arbeit und sie holte. Tagesordnungs-Veränderung, jetzt, wo die Tage kürzer werden, geht R. bald nach Tisch aus und kehrt gegen fünf Uhr heim, um noch eine Seite der Partitur schreiben zu können. - Es melden sich Herr und Frau von Balasy aus Ungarn, von Baron Augusz[4] empfohlen, und welche sich als feurigste Verehrer gebärden. Am Abend kommen seltsame Dinge zum Vorschein, aus welchen man den ganzen Haß des österreichischen Hofes gegen Deutschland und Bismarck erkennt; so unter andrem hoffte dieser Herr auf eine baldige französisch-österreichisch-russische Alüance, um, coute que cote, Deutschland den Krieg zu erklären. Freude über den neulichen Brief des russischen Kaisers an Don Carlos, während Preußen und Osterreich Spanien anerkennen. Zuversicht, daß man die Arnim'schen Papiere nicht finden würde, weil dieselben in Sicherheit seien. Dabei sagte der Herr treffend: »Wenn Bismarck wirklich große deutsche Politik triebe, keine speziell preußische, wie würde er das W.'sehe Unternehmen unterstützen!« Darauf muß man freilich schweigen, nachdem R. ihm mit Wärme zu beweisen gesucht, daß Deutschland sehr gut mit Österreich gehen könne, daß Bismarck deutsch fühle, daß bis jetzt seitens Preußen alles eine Notwehr gewesen sei, um der Schmach zu entkommen, welche ihm aufgebürdet wurde. Der Herr behauptet, im Jahre 66 habe Bismarck einen Teil von Böhmen haben wollen, einzig Napoleon habe es gerettet. Österreich und Ungarn seien unterwühlt von preußischen Agenten. Er erzählt weiter, daß Königin Olga einzig an dem französischen Krieg schuld sei, sie schickte an Napoleon den Brief ihres Bruders, des russischen Kaisers, welcher ihr sagte: Ich werde nie leiden, daß das fait ac-compli von 66 erschüttert werde. Daraufhin und dem Bündnis mit Osterreich habe N. III. den Krieg gewagt. Das Bündnis habe aber stipuliert: »Apres la premiere bataille gagnee, l'empereur d'Autriche s'engage etc.«, aus point d'honneur habe N. zuerst eine Schlacht gewinnen wollen, und Österreich ging wirklich ein so schmachvolles Bündnis ein! - Aus diesen Mitteilungen ist es interessant zu ersehen, welche Konfusion die Jesuiten in alle Verhältnisse bringen, um womöglich Deutschland ganz zu isolieren und Alliancen bloßzustellen. Die Schmach von Österreich bemerkte der gute Herr nicht, welche ihm erwüchse aus solchen Bündnissen. Gott beschütze Deutschland! Möge es glorreich bestehen, ob kurzer oder langer Dauer ist gleich, wenn nur ehrenvoll. — Unser schöner Dr. Lang ist nun offizieller Agent der Ultramontanen!... Die Freizügigkeit erzielt jetzt, daß sehr viele Unteroffiziere auf rasches Avancement bauen, weil viele bayerische Offiziere beim Examen durchfallen; in der bayerischen Armee dienen, das ist freilich herrlich!
Sonnabend 10ten
Heute vor 21 Jahren sah ich R. zum ersten Male!... Er arbeitet an seiner Partitur, ich beschäftige mich mit den Kindern. Abends lesen wir die »Anabasis« mit besonderer Beachtung der Rolle, welche das Opfer noch in dieser spätesten Zeit und bei einem so Freien wie Xenophon spielt.
Sonntag 11ten
Anonyme Dummheiten und beständige Hoffmannia-den, der gute Professor hat nun seinen Schwager aus Wien herüberkommen lassen. Der Bürgermeister teilt mir am Nachmittag die entsetzlichen Auseinandersetzungen, welche stattgefunden haben, [mit], wie die Anführung der Ehre als Benutzung gedient hätte, um das Geschäft zu fördern! !... Abends kleine Gesellschaft, unter welcher ein Hauptmann von Trenck, sehr lebhaften angenehmen Wesens, sich befindet. - Nebst den Hoff manniaden machte uns Wotan's Hut zu schaffen, wir verbannten den Helm des Mythus und veranlaßten unseren Sgraffito-Künstler, ihn in Wotan's Hut zu verändern, nun aber die Form desselben zu finden! Holbein und die eigene Phantasie halfen uns, so gut es ging und nach langem Schwanken und Bedenken. R. arbeitet jetzt an der »Leichenmusik«, wie er es nennt. - Unsäglich rührte mich die Meisterweise, welche er gestern vor dem ungarischen Paar vortrug. - Heute früh sagte R., diese französisch redenden Slaven taugen nicht viel, da ist ein Franzose oder ein deutsch gewordener Franzose tausendmal besser.
Montag 12ten
Lusch's Geburtstag, allerlei kleine Vorkehrungen, dazwischen Hoff manniaden! Er wird zur Verzichtleistung gebracht, und der Verwaltungsrat bezahlt 600 Th. Reugeld für seine Untätigkeit der letzten Monate! - - Nach Tisch erzählte uns R. von seiner Kindheit, und wie oft er gestohlen habe, merkwürdiger Weise habe es niemals jemand von seiner Familie erraten, er habe gemerkt, wie er zum Kasten seiner Schwester Rosalie gelangen könne, und habe manches Vier-Groschen-Stück da entwendet; so wie seine Phantasie wach geworden, habe er sich dessen geschämt, und ohne jemals dafür bestraft worden zu sein, habe er einen Ekel davor gehabt. Wie das nun bei den Kindern würde, deren Phantasie nicht so stark rege würde, oder ob da die Triebe, die Genußsucht, auch nicht so heftig wären?... (Besuch des Bürgermeisters, er hofft endlich so weit zu sein, daß Herr Hoffmann freiwillig auf die Beaufsichtigung verzichtet, wofür ihm 600 Th. Reugeld*(*Nachträglich (wegen Wiederholung) am Seitenschluß, jedoch unvollständig, gestrichen) bezahlt werden; Nachmittag besuchen mich Frau Hoffmann und ihr Bruder, und wir scheiden freundlich, indem sie mir sagt, daß der Brief meines Mannes an den ihrigen diesem ein Balsam gewesen sei. Abends die Scene zwischen Hamlet und seiner Mutter wie etwas Ungekanntes Zeile für Zeile, Wort für Wort vorgenommen. - Mit der Kindergesellschaft Charaden gespielt. Nachrichten, daß es Hans besser geht.
Dienstag 13ten
Allerlei Vorkehrungen für die Abreise, Briefe usw. R. arbeitet, um ein Uhr Ankunft unseresFreundes Gersdorff, welcher diesen Tag auf Wahnfried zubringt. Abends Präludien von Bach. - Vieles besprochen, ein neues Gewehr von unendlicher Tragweite ist wiederum erfunden, der Kaiser soll aber den Kopf bei den letzten Manövern geschüttelt haben; daß er sich zwei Jahre gesundheitshalber nicht darum kümmern konnte, scheint nachteilig eingewirkt zu haben. Die Fehler von Steinmetz,[5] verschwiegen in dem Generalstabswerk, machen einen üblen Eindruck. Auch soll es jetzt in Preußen an guten Offizieren fehlen, und manche Offiziere unterhalten sich mit Cancantanzen!... Das Haus Schott benimmt sich gut, geht auf R.'s Forderungen ein.
Mittwoch 14ten
In der Frühe zum Theater mit Freund Gersdorff gegangen. Abschied dann genommen. Ihm war der Anblick des Theaters in der Morgenbeleuchtung wahrhaft magisch. Unerhörtes Schaffen in herrlichster Natur wirkt auf mich, und wie ergreifend! - Nach Tisch gedenken wir, R. und ich, der Zeiten auf Tribschen, »das waren heilige Zeiten«, sagt R. - Abends Besuch des Herrn Rubinstein Vater. Der Maler Hoffmann endlich entfernt, und zwar im guten! Freund Feustel bei uns zum Abend, spricht sich gegen die Verhaftung von Bon Arnim aus. Der junge Rubinstein spielt uns eine Fantasie und Fuge von Bach, und R. sucht Freund Feustel einen Begriff von Bach zu geben.
Donnerstag 15ten
R. hatte keine gute Nacht und hatte in der Frühe Briefe zu schreiben, was ihn immer verstimmt. Gestern kam eine Depesche von Freund Richter, seine Verlobung anzeigend, wir gratulieren um so freudiger, als er ein hübsches vermögendes gutes Mädchen aus guter Familie gewählt haben soll. R. schickt dem Vater die Partitur der Walküre. Die Maler Brückner kommen an und zeigen sich glücklich, von Herrn Hoffmann befreit zu sein. Sie machen keinerlei Bedingungen und gehen nun freudig an die Arbeit. - Abends »Anabasis« beschlossen. R. klagt mir, daß er noch 50 Seiten Partitur zu schreiben hat!
Freitag 16ten
Vorkehrungen zur morgigen Abreise, R. jammert darüber und macht mir das Schwere noch schwerer! Ich kann es nicht aufgeben und schließe nun dieses Buch mit dem Anbieten der Erfüllung einer mütterlichen Pflicht. Vom 16ten September 1873 bis zum 16ten Oktober 1874, was begab sich da für Not, Leiden, wie wenig des Erfreulichen von außen, dafür aber im Inneren des Heimes immer tiefere Seelenruhe, Segen über Richard, Segen über die Kinder, Vergebung für mich erflehe ich
mir hier. Eine liebste Seele verlor ich, es währte lang, bis ich den Kummer überwand, nun fand ich meine alte Stimmung dem Tod und dem Leben gegenüber, Formen sind es, die uns nichts anhaben können, unverloren blieb mir Marie!
Flüchtig, ja hastig immer geschrieben, wird dieses Heft, glaube ich, doch meinem Siegfried ein Bild unseres Lebens geben; was er diesem Leben war, wie das teure Antlitz seines Vaters strahlte, wenn er ihm zusah, konnte ich nicht immer melden; unausgesprochen wird er sie aber wohl hierin finden, die Liebe, die auf ihn sich gelegt hat. Leb wohl du Jahr - ich altre gern, mit jedem grauen Haar erlöscht ein eigenwilliger Gedanke!*(*Ende von Heft VII der Tagebücher. Das Heft VIII beginnt mit der Eintragung: »Oktober 1874. Meinem Siegfried gewidmet«. Vor der ersten Tageseintragung eine Seite mit Notizen über Zahlungs- und Ferientermine (offenbar des Dresdner Kinderpensionats) sowie einer Wäsche- und Hausratsliste.
Freitag 23ten
Gestern kehrte ich von Dresden heim; von meinem Aufenthalt in Dresden führe ich kein Tagebuch, weil mich R. dorthin nicht begleiten konnte. Ich ging des Zahnarztes wegen, und auch um das Luisenstift zu besuchen. Ich erhielt einen guten Eindruck und glaube Gutes zu tun, wenn ich sie dorthin auf einige Jahre gebe. Donnerstag 22ten um 6 Uhr verließ ich mit den zwei Mädchen Leipzig, wo ich einen Abend in Gesellschaft von Frau v. Meyendorff zugebracht hatte; in Neumarkt um 12 traf ich R. mit den drei Kindern an; er hatte mir jeden Tag geschrieben, doch wie vieles [hat man] sich zu sagen beim Wiedersehen; keinen wollte er empfangen während meiner Abwesenheit; »sie müssen wissen, was es heißt, wenn du im Hause bist«. Zu Hause zeigte er mir das Buch vom Krieg, welches er studiert hat, sonderbares Licht fällt auf den Kronprinzen, welcher, wie es scheint, durchaus nicht gewollt hat, daß eine Schlacht ohne ihn geliefert würde, und den General Hartmann[6] hingehalten hat. Auch die Weißenburger Linien scheinen R. eine durchaus überflüssige Schlächterei gewesen zu sein. - Abends trinken wir auf des Vaters Geburtstag, und dann früh zu Bett. - Am heutigen Tage befindet sich R. wohl und heiter, er sagt: »Wenn du fort bist, fehlt mir der Haken, an dem ich hänge, ich falle dann zusammen.« R. kommt vor vielen Unterbrechungen schwer zum Arbeiten, ich schreibe an Hans, um ihm den Plan, die Kinder in das Stift zu geben, zu unterbreiten. Nach Tisch versuchen wir den kleinen Dürertisch zu stellen. Während R. zur Ruhe ging, beginne ich die Schrift von Pr. Nietzsche: »Schopenhauer als Erzieher«, welche R. schon gelesen hat und welche uns im höchsten Grade fesselt. Abends lese ich R. daraus vor.
Sonnabend 24ten
R. arbeitet, und ich schreibe einige Briefe, nachdem ich Ordnung gemacht habe. Von der Reise erkältet kann ich nicht viel tun, außer die Broschüre des Professors weiterlesen, welche mich wirklich tief erregt. R. geht nachmittags mit Fidi aus, bei Angermann redet ein Fremder den Kleinen an: »Kannst du auch Bier trinken«, Fidi schweigt, sagt dann schüchtern »ja«, worauf R.: »Der Knabe kennt Sie nicht, bester Herr!« - - R. freut sich Fidi's, sagt: »Gott, einen solchen Jungen bei mir zu haben, der mich Papa nennt und alles fragt; es ist zu schön!« - Ich richte den Dürer als Blumentisch ein. R. findet einen Brief des Rat Düfflipp, [er] fordert die Zahlung der Patronatgelder an die Kabinettskasse, R. erwidert ihm, ihm beweisend, daß dann der k. Credit zu nichts geholfen. - Abends die Musiker, eine Haydn'sche Symphonie wird vorgenommen, darauf die Tannhäuser-Ouvertüre.
Sonntag 25ten
R. arbeitet, ich fühle mich ziemlich unwohl und benutze der Kinder Spiel-Tag, um mich auszuruhen und die schöne Schrift von Pr. Nietzsche zu beendigen. Heiterer Mittagstisch, darauf die Kinder in den Wald geschickt, R. geht ihnen nach, freut sich ihrer, wie er sie dort antrifft mit den Freischützhüten, und kehrt sehr heiter heim; leider aber, wie er an die Arbeit gehen will, besucht ihn der Bürgermeister, dies hält ihn ab von der Arbeit, und sehr verstimmt finde ich ihn zum Abendbrot wieder. Er klagt am Abend über seine Arbeit und daß er selbst von dem, wovon er besessen ist, nicht sprechen könnte.
Montag 26ten
Ich hatte eine schlimme Nacht und ruhe ein wenig am Morgen aus; wie ich erwache, finde ich R. am Kaffeetischchen mit der Schlacht bei Spichern beschäftigt; er liest mir auch einiges daraus vor, dann arbeitet er. Unser Sgraffito ist so gut wie beendet; am Abend arbeitet R. an seiner Partitur und schlägt Günther tot, wie er sagt.
Dienstag 27ten
Ich hatte gestern noch an Herrn Vitzthum[7] aus Hannover zu schreiben, er hatte den Besuch seiner Frau (einer Sängerin) angekündigt, und dieselbe blieb einfach aus, wir vermuten die Böswilligkeit der Frau Intendantin, Komponistin von Bronsart. - Betz schreibt aus Berlin und scheint die Sache mit dem Fl. Holländer in Ordnung gebracht zu haben. - Immer weiter in der Schlacht bei Spichern. Nachricht von dem Tode des Herrn Wolfram, Schwager R.'s; R. schreibt einen schönen Brief an seine Schwester. - »Viel geschmäht und viel gepriesen«, rief mich heute R. früh an; gestern abend nämlich warf er mir die Sparsamkeit vor, mit welcher ich mit Kleinen suche, den Hausstand nicht übermäßig anwachsen zu lassen... - Unser Sgraffito stellt sich über 400 Th. heraus; ich hätte unser Haus lieber ungeschmückt gehalten, doch verschweige ich dies R., welcher sich über den Schmuck freut. Früh zur Ruhe - R. ist müde.
Mittwoch 28ten
Abschied vom Marquis - welcher dankt für die »materiellen und moralischen Wohltaten«, welche ihm erwiesen worden sind. R. hat wiederum sich mit der Schlacht von Spichern beschäftigt, war also unruhig. - Gestern abend unterhielt uns Fidi von seinen künftigen 12 Buben (»Mädchen sind mir zu sauer«), wie er mit diesen leben würde, seinen Schwestern die Nägel untersuchen, bevor sie seine Bücher anrühren u.s.w. - Herr Runckwitz kam am Nachmittag, Not mit dem Orchesterraum des Theaters, es ist da etwas versehen worden. - Nachricht vom Tode Peter Cornelius',[8] wiederum ein weggewischtes Dasein, welches vielfach mit dem unserigen verknüpft gewesen ist!
Donnerstag 29ten
R. hatte wiederum eine unruhige Nacht, er träumte zuerst, daß seine erste Frau ihn verhöhnte, daß er sie darauf schlüge und sie sich vergifte und einige Tropfen des Giftes ihn bespritzten; dann, daß er auf Lenbach in meinem Bezug eifersüchtig sei, und daß Mimi Schi, ihn zu trösten versuche! - Ich schreibe an die arme Witwe Peter Cornelius' - R. arbeitet; sagt, er entwirft seinen Plan wie den einer Schlacht, jetzt rückt er mit diesen, jetzt mit jenen Geschützen heran. Noch einen Monat, wenn die Götter ihm Ruhe gönnen, wird er brauchen, um fertig zu werden. Vollendet das hehre Werk. - Tränen erfüllen meine Augen, wenn ich das bedenke. - Abends spielen uns die Kinder eine improvisierte Komödie, wobei Boni - sonst ziemlich teilnahmslos - sich durch Einfälle und Lebhaftigkeit auszeichnet. Wir lesen dann die Schlacht [von] Spichern, nachdem ich noch einen traurigen Eindruck von Daniella's Heftigkeit und unanmutiger Art des Verkehrs mit ihren Schwestern erhalten hatte. Hans hat meinen Brief erhalten.
Freitag 30ten
R. singt aus dem Schluß der Götterdämmerung und sagt, er habe gestern gemerkt aus der Kombination dieses Schlusses, daß er alles könne, wenn er wolle; wie ich ihm lachend antworte, daß ich dies wohl glaube, erwidert er, »nein, für gewöhnlich fehlt die Routine mir sehr, ich muß wollen«. - Ich arbeite nun mit den zwei Kleinen, während die Großen in [der] Näh- und Töchterschule sind. Nachmittags nach ihrem Spaziergang arbeite ich mit Lusch. Brief von Hans, sehr gütig geht er auf den Gedanken des Stiftes ein, nur eines wünschend, die Wahrung meiner mütterlichen Autorität und die Vermeidung dissonierender Eindrücke für die Kinder. Ich befrage mich nun, ob ich das Rechte wähle, indem ich die Kinder aus dem Hause gebe. Tiefe Sorge - o, daß ein Gott uns erleuchten möchte!... Abends studiert R. »Les adieux, l'absence et le retour«[9] mit Herrn Rubinstein. Die gewöhnliche Art, diese pathetischsten Werke durch gleichgültigen, akzentlosen Vortrag beinahe unkenntlich zu machen..., erscheint hier wieder. R. erklärt dem Spieler, daß die Schwierigkeit des Vortrages der Werke der mittleren Periode B.'s darin bestünde, daß sie anscheinend die alte Form beibehalten, während Themen, Figuration schon weit darüber hinaus, durchaus leidenschaftlich, pathetisch gefühlvoll seien.
Sonnabend 31
In sorgenden, für mich verarbeiteten Gedanken aufgestanden. Mit den Kindern gearbeitet, während R. des Vormittags und Nachmittags seine Geschäftsleute, die Herrn Voltz und Batz, und [mit] Freund Feustel geschäftlichen Verkehr hat, wobei Feustel sich wiederum durch Schärfe des Blickes und Sicherheit des Urteiles auszeichnet. Abends der Kirchenrat Dittmar mit Frl. v. Zerzog. Es geht die Rede, daß der König zu den Ultramontanen sich wende. - Herr Rubinstein spielt uns Stücke von Chopin vor, wobei R. seine Antipathie für die moderne, reich figurierte Klavier-Literatur zu erkennen gibt.