Das Subjekt des Unbewußten

Reflexionen im Anschluß an Jacques Lacan

Versucht man einen adäquaten Subjektbegriff zu umreißen, dann scheint die erste Schwierigkeit in der ausreichenden Abgrenzung des Symbolischen gegenüber dem Imaginären zu liegen. So erscheint die Kastration nur in einer narzißtischen Ökonomie möglich zu sein; denn wenn etwas »fehlt«, dann nur in bezug auf das »Ganze«.[1] So gesehen, erscheint das Symbolische als eine narzißtische (Selbst-)beherrschung des Mangels und des Verlustes. Das Imaginäre wird dabei zum »Bösen«, das vom »Guten«, dem Symbolischen, immer wieder bezwungen werden muß. Für diese gnostisch-dualistische Haltung gibt es keinen Schnitt, keine Exteriorität im Signifikanten selbst. Alles ist in einer unendlichen Kette von Sinnerzeugenden Signifikanten eingesperrt. Demzufolge gibt es endlose neue und verschiedene Interpretationen eines Traumes; eine »gelungene« Psychoanalyse wäre identisch mit einer »gelungenen« Verdrängung, das Unbewußte wäre noch nicht symbolisierter Kern von imaginären Ich-Identifizierungen, welcher durch die Analyse integrierbar würde.
Das Verhältnis des Subjekts zum Anderen hat aber immer einen gebrochenen Charakter, es wird nie »transparent«.[2] Der Andere ist nämlich in sich gebrochen, er ist selbst mit dem Mangel behaftet. (Wird er aber als ungebrochen vorgestellt, dann entsteht der Eindruck einer Transparenz des Gesetzes und des Symbolischen). Was für das Subjekt am Anderen fehlt, ist nicht ein substantieller bzw. objektiver Surplus, sondern ein Ort, an dem das Subjekt im Anderen sein eigenes »Äquivalent«, seine »Selbstrealisierung« finden würde. Das Subjekt trifft da auf ein »Loch«, den »Unsinn«, das nichtsignifikante Objekt. Es ist unmöglich, in das Herz des Gesetzes vorzudringen, weil es eine leere Stelle ist;[3] es ist unmöglich, in das »Geheimnis« der Sprache vorzudringen, weil sie keins hat. Es ist ebenfalls unmöglich, die Utopie zu realisieren, in der es keinen Mangel gibt.
Das Subjekt kann nicht ohne seinen Bezug zum Symbolischen und zum Objekt umrissen werden. Das Objekt aber verweist auf das Reale,[4] das etwas anderes als das Symbolische und das Imaginäre ist, jedoch beide in ihrem Verhältnis zueinander bestimmt. Dieses Reale hat nichts mit einem romantischen oder utopischen Naturbegriff zu tun. Es bedeutet im Gegenteil die Überwindung der Logik, die in der unendlichen Annäherung an das Ideal besteht.[5] Das Imaginäre ist dabei irreduzierbar, denn es ist eine Funktion des Mangels im Anderen.[6] Der Andere »verfügt« ebenfalls nicht über den Signifikanten, ihm fehlen ebenfalls Signifikanten, niemand »hat« sie. (Auch ein kollektiver Besitz der Produktionsmittel oder ein universeller Frieden könnte diesen Tatbestand nicht ändern). Der Mangel an Signifikanten ist mit dem Signifikanten des Mangels äquivalent. Letzterer ist nicht durch die »schlechte Unendlichkeit« zu erfassen. Er bedeutet die prinzipielle Unabschließbarkeit jeder Systembildung.[7]
Was dem anderen fehlt ist das, was er begehrt. Dieses Fehlen kann nur imaginär »erlebt«, »wahrgenommen«, »vorgestellt« werden: die Unmöglichkeit der Überwindung des Imaginären als Begleiteffekt des Symbolischen weist auf ein Reales im Zentrum des Symbolischen hin.[8] Das deutet auf etwas Abwesendes hin, das außerhalb des Imaginären liegt: die innere »äußere« Welt (die »eigene« und die »fremde«), der eigene Körper (und die anderen Körper und Objekte, insofern sie immer auch den eigenen Körper betreffen), die Realität der Sprache selbst.
Das gespaltene Subjekt, insofern es eine reale Ek-sistenz über das Imaginäre hinaus haben kann, ist kein Signifikant und hat keinen Signifikanten. Wenn für das Subjekt nichts ohne das Symbolische existiert,so ist lange nicht alles symbolisch. Das Subjekt ex-sistiert nicht als das Seiende sondern als ein Schnitt, Rand, eine Grenze des symbolischen Netzes, durch das es konstituiert wird, und muß notwendigerweise sich durch einen »ausgeliehenen« Signifikanten (seinen Namen) beim Anderen präsentieren lassen. Es gibt aber keine »Repräsentation« ohne imaginäre Effekte: kein Name ohne Rolle, Maske.
Das Äquivalent des Subjekts im Anderen ist unauffindbar: es ist ein »unmögliches«, reales Element, das vom Anderen »ab-fällt«, von ihm fehlt.
Eine Äquivalenz ist also unmöglich; weil es aber zu einer sozialen Beziehung kommt, zum Diskurs, müssen »unvollkommene« imaginäre Äquivalenzen hergestellt werden. Eine transparente Kommunikation ist nicht möglich. Was erreichbar ist, sind überraschende Verschiebungen und Veränderungen (die nicht planbar sind): es gibt schon eine Begegnung dort, wo man glaubte, noch unterwegs zum Ziel zu sein. Man ist schon in der Sache, durch den Abstand, die reale Exteriorität, die im Symbolischen weilt. (Jede Ideologie der Innerlichkeit, der Eigentlichkeit oder des Inhalts verdeckt diesen Aspekt des Realen).
Die psychoanalytische Begegnung bedeutet die Überlagerung unserer inneren Exteriorität bezüglich des Anderen (der die Sprache, ein anderes Subjekt oder die Gesellschaft sein können) mit der inneren Exteriorität des Anderen selbst. Diese innere Exteriorität ist das unmögliche Objekt des Begehrens. Profit, Macht und Wissen sind imaginäre Verdoppelung jenes Objekts, das immer in den Brüchen der Kontinuität von Profit-, Macht- und Wissensverhältnissen zu finden ist.
Das »Objekt« wird immer verpaßt: zwischen dem noch-nicht und dem nicht-mehr; dies, weil man es fixieren, präsent »haben« will. Den Prozeß in seinem »Ergebnis« zu haben bedeutet, daß das Objekt »anderswo« ist:[9] im Zentrum des Symbolisierungsprozesses, des Aussagens, ist ein nichtsignifikanter »Surplus« (die »Mehrlust«),[10] der immer weiter drängt, und jede Aussage verpaßt diesen Surplus.
Der Prozeß [11] ist nicht, was in solchen Devisen steht wie: das Ziel ist nichts, die Bewegung ist alles, oder, das Ziel wird kumulativ erreicht. Wenn das Ziel »nicht alles« ist, so ist doch die Bewegung auch »nicht alles«. In der Negation des Totalitätsbegriffs, des Alloperators, liegt die traumatische Schwierigkeit »nein zu sagen«, d.h. gleichzeitig mit der Setzung des Symbolischen seine innere Exteriorität, das Reale, zu setzen.
Der Surplus des Weges wird in der Philosophie verkannt;[12] es ist nicht das sichtbare, verdinglichte, äußere Ergebnis des Weges, das zählt, sondern seine unsichtbare, metonymische Ur-sache und sein An-trieb. Es ist ebenfalls weder der bloße Weg als intentionale Tätigkeit, noch die Synthese Weg-Ziel, sondern die Disjunktion, Trennung zwischen Weg und Ziel, und das, was »dazwischen« fällt und am Ergebnis fehlt.
Das Objekt in diesem Sinne ist nicht ein harter Kern X, um den herum asymptotisch die Signifikanten fliegen. Als Surplus über das Resultat ist es nicht ein »jenseits« des Ergebnisses, sondern liegt diesseits [13] der Grenze, welche den Prozeß vom Ergebnis trennt (Aussagen bzw. Performanz gegenüber Aussage bzw. Konstatierung). Das Objekt ist im Signifikanten enthalten, es ist sein innerer Schnitt. Die Mehrlust ist somit der Surplus des Genusses des Ergebnisses.
Das Objekt, als der abwesende Referent, ist der Ort des Durchschnitts [14] zwischen der Performanz und der Konstatierung. Der Diskurs als eine soziale Beziehung ist aber keine »intersubjektive Kommunikation« oder »Intersubjektivität«: die Dialektik der Anerkennung reicht nicht aus, um den Diskurs zu begreifen. Die Intersubjektivität wird durch ein »objektives« Moment überholt, das im Zentrum der sozialen Beziehung anzusiedeln ist. Es ist das paradoxe, singulare, antinomische Objekt,[15] das sich der intersubjektiven Triade (der Dritte als der Andere) hinzufügt und aus ihr den Diskurs macht; ein gesellschaftliches Verhältnis, das weder durch Entfremdung konstituiert wird, noch in der Aufhebung der Entfremdung besteht. Wird das paradoxe Objekt (im Namen der Realisierung der Utopie) nicht geduldet, dann bedeutet dies die Etablierung totalitärer Verhältnisse; — denn das paradoxe Objekt verunmöglicht vollständige, einheitliche, ausnahmslose Lösungen.
Aus dem bisherigen kann man folgendes festhalten: das gespaltene Subjekt des Unbewußten hat nichts mit dem transzendentalen, dem autonomen, dem reflexiven »Ich« oder dem Subjekt der unmittelbar situationalen Rede zu tun. Denn sowohl die Ich-jetzt-hier-Evidenz als auch die intersubjektive Allgemeinheit sind im Imaginären situiert. Das sprechende Subjekt ist primär ein Produkt des Symbolischen und es läßt sich nicht unter der allgemeinen Vergesellschaftung »subsumieren«: es ist immer veschoben, »daneben«, es ist ein Lapsus, es beharrt auf seiner Individualität, die weder ins Besondere noch ins Allgemeine aufgeht.
Das sprechende Subjekt ist gespalten, weil es ein Produkt der symbolischen Differenz ist: es ist in sich gespalten, sowohl was seine Geschichte (Vergangenheit/Zukunft) als auch sein Geschlecht (Mann/Frau) betrifft. Es ist keine Substanz und kein verstocktes, egoistisches Wesen, es geht weder ins Symbolische noch ins Imaginäre auf; denn es hat ein irreduzierbares reales Moment, indem sein Begehren um die Restobjekte der Partialtriebe organisiert ist. Was seine Unverwechselbarkeit garantiert ist allein sein Name.
Das Subjekt ist in einem Diskurs zu »verorten«, denn es hat darin seinen Platz und ist der jeweiligen Struktur des Diskurses unterworfen. Der Diskurs,[16] so wie er hier gemeint ist, ist die Mitte zwischen dem Partikularen und dem Allgemeinen, indem er die Stellung des Objekts (des Begehrens) für die Individualität des Subjekts ernst nimmt.
Um einen Diskurs zu analysieren muß man ihn wie eine »begehrende« Menge von Signifikanten ansehen.[17] Das bedeutet, ihn gegen den »Strich« lesen, gegen die Absicht des Autors bzw. Akteurs, einen glatten, kohärenten, abgeschlossenen, symmetrischen Diskurs zu produzieren (als einzige Quelle dieser Lektüre ist aber das Produkt des Autors bzw. Akteurs anzusehen). Ein abgeschlossener Diskurs, der »alles« weiß, ist nicht mehr eine begehrende Menge, weil jeder Mangel, jede symbolische Differenz in ihm tendenziell verschwinden. Dies ist oft der Fall in politischen, wissenschaftlichen und Alltagsdiskursen. Die Diskursanalyse beginnt mit dem »Aufknacken« des scheinbar konsistenten Diskurses, d.h. mit der Suche und Entdeckung der paradoxen, antinomischen Elemente, die in diesem Diskurs versteckt sind und ihn eigentlich organisieren (ohne das Wissen des Autors).
Das manichäisch-dichotomische schwarz-weiß-Denken will z.B. auf der einen Seite die »ganze« Wahrheit, auf der anderen Seite die »ganze« Lüge situieren. Der Reinigungsprozeß, der hier stattfindet, basiert auf der Substitution der symbolischen Differenz durch eine Pseudodifferenz, die durch eine äußere Trennungslinie im Realen die innere [18] Trennungslinie im Symbolischen substituiert. Für die symbolische Differenz ist dagegen die »Lüge« Bedingung der Wahrheit, die Ausnahme Bedingung der Regel. Die symbolische Differenz ist eine »sexuelle«, d.h. trennende (nicht reinigende), die als Kastration die Differenz der Geschlechter einführt und damit auch die Differenz der Subjekte und der Diskurse anerkennt, welche ständig durch den Diskurs des Wissens, des Alltags, der Macht verschleiert wird.
Die symbolische Differenz konstituiert das gespaltene Subjekt als die Nichtidentität zwischen dem Aussagen und der Aussage, bzw. zwischen der Performanz und der Konstatierung (Praxis und Theorie). Erst ihre gegenseitige Abhängigkeit ermöglicht dem Subjekt, in einem Diskurs zu existieren. Dieses Verhältnis ist höchst labil und zerbrechlich, es »kippt« ständig in die eine oder andere Seite um.
Im Diskurs des Wissens [19] verschwindet die Performanz; es wird alles konstatiert, »neutral«, »geschlechtslos«, »objektiv«. Die Performanz kann freilich nicht aus der Welt geschafft werden, sie wird verdrängt. Die Spannung, die dadurch ununterbrochen entsteht, wirkt als Motor der Akkumulation von Wissen (oder Macht oder Kapital). Das Subjekt ist aber »unglücklich«, das »Unbehagen in der Kultur« oder die »Entfremdung« weisen dem Subjekt die Stellung des »Abfallprodukts« zu. Das Subjekt des Diskurses des Wissens bekommt also seine Besonderheit durch die Stellung, die es in ihm einnimmt.
Die Überwindung dieses Diskurses ist nicht die einfache Umkehrung in den »parteilichen« (d.h. hysterischen) Diskurs,[20] in dem das gespaltene, haltlose Subjekt dominiert.[21]
Die einfache Betonung der Performanz, unter Weglassen der Konstatierung, ist im Diskurs des Herrn,[22] in der willkürlichen Setzung zu finden. Hier entsteht eine genußvolle Spannung (für den Herrn) zwischen der verdrängten Aussage und dem alleinherrschenden Aussagen. Der Herr wird zum »autonomen« Subjekt, indem er den Zwiespalt des Subjekts bei sich und den anderen niederhält und verdrängt. Wenn er etwas Unbeweisbares oder eine Dummheit »ex cathedra« verkündet und aufzwingt, wird die (schwache) Aussage gestärkt; denn die Performanz funktioniert wie eine soziale Bindung.
In diesem Diskurs usurpiert der Herr den Ort des (Signifikanten) des Mangels: er will so tun, »als ob« er die absolute Verfügungsgewalt über die Sprache und damit über die Subjekte hätte. Dieser Versuch kann nur im Imaginären stattfinden, insofern er (der Herr) eine »unmittelbare«, reale Wahrheit (in der Natur und in der Geschichte) unter Ausschaltung ihrer diskursiven Form sucht. Er suggeriert eine totale Trennung zwischen Worten und Dingen [23] (oder Taten), die keine symptomale Lektüre von Indizien, Dokumenten, Zeugenaussagen erlaubt. Denn nur das Aufspüren von Löchern, Inkohärenzen und Paradoxien in Texten und im Wissen könnten auf ein verdrängtes Gesetz, als die dezentrierte Wahrheit dieser Texte, hinweisen (wie das im Diskurs der Psychoanalyse [24] möglich ist, in dem das Subjekt dem Objekt seines Begehrens, als dem Anderen, gegenübersteht).
Die »reine« Performanz bedeutet die Unterstellung eines »jenseitigen« (imaginären) Ortes, von wo aus sowohl die Realität als auch die
Worte ge- und verurteilt werden. Es wird hier die Möglichkeit einer Metasprache unterstellt, in der alle Widersprüche »aufgehoben« wären; in Wirklichkeit äußert sich das als ein Schwanken zwischen mystischem Voluntarismus und positivem Szientismus, denen das Objekt entgleitet.
Das paradoxe Objekt, als der Antrieb der individuellen und kollektiven Geschichte, inszeniert die Wiederholungsprozesse. Wiederholung kann hierbei auf zweierlei Weise stattfinden [25] (was verschiedene Diskurse impliziert): entweder als naturwüchsige, blinde, ewige Wiederkehr derselben realen, gewaltträchtigen, gesetzeslosen Ereignisse und Symptome; oder aber als symbolische Wiederholung und Verarbeitung der Vergangenheit mit der Chance der Nichtwiederkehr des Alten, aber ohne Abschaffung des Mangels (diese Bewältigung der Vergangenheit kann nur im Diskurs der Analyse stattfinden).
An dieser Stelle ist es angebracht, den Begriff der Differenz genauer zu bestimmen. Die Differenz liegt dem Begriff des Signifikanten zugrunde, indem sie seinen relationalen Charakter bestimmt und damit auch das Spiel der Metaphern und Metonymien, durch welche das Subjekt konstituiert wird. Hier taucht ein Problem auf: verfällt man nicht einem bodenlosen Relativismus, in dem alles relational bzw. relativistisch wird? Werden dadurch nicht »Gut« und »Böse«, »Mann« und »Frau«, »Rechts« und »Links« zu beliebigen, relativen Begriffen? (Beliebig im subjektiven Sinn). Oder kann dann nicht jedes Subjekt (individuell oder kollektiv), jede größere oder kleinere Gruppe, jedes Geschlecht und jede Altersgruppe, jede Nation und jede Klasse, auf »ihrer Differenz« beharren, was dann zum Krieg aller gegen alle führen muß? Ist nicht das schon zur Alltagsrealität (partiell) geworden, indem das »Recht« des Stärkeren oft hinter Emanzipationsparolen versteckt wird?
Diese Betrachtungsweise setzt die Differenzen [26] im Plural, als »konkret«, empirisch, anwesend, sichtbar und nicht partiell, sondern absolut. Die Differenz wird gesprengt: das Reale wird vom Symbolischen »emanzipiert«, total losgelöst; die soziale Wirkung des  Symbolischen wird dabei zugunsten eines imaginären Naturalismus verdrängt. Dieser Naturalismus fördert partikularistische Mythen und Fetische; im besten Fall absorbiert die Ästhetik alle Lebensäußerungen; eine Politik und eine Ethik sind nicht mehr möglich. Auf diese Weise können die totale Vereinzelung [27] und der Solipsismus nicht vermieden werden.
Die Vorstellung von den Differenzen bleibt notwendigerweise offen für jede mögliche politische Position von extrem rechts bis extrem links. Die Subjekte glauben dabei zum »unmittelbaren« Sprachrohr des Realen geworden zu sein.
Die Differenz,[28] auf die es hier ankommt, als symbolische, unsichtbare, abwesende, partielle, ist die minimale und notwendige Bedingung, um mit der Beliebigkeit (teilweise) fertig zu werden. »Teilweise«,[29] weil, wenn man eine fixe, »ganze« Lösung zu erreichen versucht, die Differenz [30] in eine Identität, Eigenschaft, Einheit umkippen, erstarren muß. Die Differenz als eine nichtidealistische Alternative im Denken und Handeln wurde durch die jüdische Tradition aufrechterhalten und sie hat in der Psychoanalyse eine fundierende Funktion. Sie setzt die Nichtidentität [31] des Realen mit dem Symbolischen voraus; beide sind weder deckungsgleich, noch stehen sie beziehungslos zueinander.
Für das Subjekt des Diskurses bedeutet das die Disjunktion zwischen dem Aussagen und der Aussage, der Existenz und der Essenz, den Mangel, aufgrund dessen es begehrend und geschichtlich wird.
Die Auflösung der Differenz in Differenzen ist sehr »in«: sie gibt die Illusion von Differenz in einer homogenisierten Waren- bzw. Massengesellschaft,[32] in der die Äquivalente und der Konformismus herrschen (aber nicht rest-los). Die Wut, »konkret« zu sein, läßt leicht vergessen, daß man immer schon viel zu »konkret« sei; worauf es ankommt ist, »diskret« zu sein.
Die symbolische Differenz impliziert kein »alternatives Anderssein«. Es ist nichts leichter, als »anders« sein zu wollen. Es ist der ewig erneute Anspruch auf die passende Identität (wie nach dem passenden Kleid, der Maske, der Partei, dem Beruf). Identität, Anspruch,[33] Rolle, Macht definieren aber einen eindimensionalen Raum, eine Seinsontologie, in der nur das Begehren einen Bruch zustandebringen kann. Demgegenüber impliziert die symbolische Differenz ein »Anders-als-Sein«,[34] das Verlassen der Eindimensionalität, die Akzeptierung des Realen und der Unmöglichkeit des Mit-sich-selbst-identisch-seins.
Der Mangelbegriff,[35] der hier zugrunde liegt, setzt voraus, daß der Mangel im Anderen kein privativer Mangel ist, etwas, das einem »Ganzen« fehlt; er ist ein Mangel »an sich« (wie die logische Negation einer Aussage). Wird das nicht berücksichtigt, dann wird die Existenz eines mythischen, primären, transsymbolischen Prozesses unterstellt, in dem der Mangel sekundär eingeführt wurde.
Die Schwierigkeiten, die immer wieder auftauchen, sind die Schwierigkeiten, das »Objekt« einzukreisen. Die Position des Subjekts des Aussagens ist immer schon im Sprachobjekt, in der Sprache-als-Objekt eingeschrieben: in der Diskrepanz zwischen dem Signifikanten und dem Signifikat, in dem Balken, der sie trennt. Es gibt keine Metasprache,[36] d.h. es gibt keine Sprache ohne Objekt: dieses Objekt ist die innere Selbstdistanz der Sprache, die den Ort des sprechenden Subjekts des Diskurses ausmacht [37] Dadurch wird die endlose,
metonymische Bewegung der Selbstreferenz der natürlichen Sprache vermieden.
Das »Objekt« ist der Referent all dessen, wodurch die Sprache nie direkt das sagt, was das »heißen will«,[38] wodurch immer zu viel oder zu wenig gesagt (bzw. getan) wird. Dieses paradoxe Objekt ist das unmögliche Äquivalent des Subjekts. Zwischen dem Objekt und dem Signifikanten gibt es nicht die äußere Distanz wie zwischen den Dingen und den Zeichen (z.B. in der Wissenschaft), sondern sie ist ein innerer Schnitt des Signifikanten bzw. die Spaltung des Subjekts.
Das Verschwinden des inneren Schnitts [39] (der nichts mit der imaginären »Innerlichkeit« zu tun hat) bewirkt zwei verschiedene Diskursstrategien: entweder eine endlose Stratifikation von Metasprachen (Diskurs des Wissens) oder eine endlose Selbstbespiegelung des reflexiven »Ich« (Diskurs der Hysterie).
Die Ablehnung des autonomen Subjekts, die hier deutlich wird, versucht »das Kind mit dem Bade auszuschütten« und auf mögliche Öffnungen, jenseits der Resignation, der Mythologie oder der Hysterie hinzuweisen. Das autonome Subjekt hat nie »existiert«, aber es war im
Programm des um Emanzipation kämpfenden Bürgertums enthalten und ist seit langem in seine »Liquidierungsphase« eingetreten. Dazu gibt es noch keinen Grund zu vorschneller Freude: es kommt darauf an, was man für Erklärungen dafür hat und was man für Folgen daraus zieht. Denn das autonome (Ich-zentrierte) Subjekt war die imaginäre Form, die die (wie auch immer eingeschränkte) Entfaltung der  Individuierung begleitete. Individuierung ist als Ek-sistenz des dezentrierten, gespaltenen Subjekts erst zu begreifen. »Wo es war, soll Ich werden« heißt, konsequent weitergedacht, daß kein Ich-zentriertes Subjekt entsteht, sondern ein dezentriertes Subjekt ankommen soll, das »Ich« sagt.
Die Kulturzerstörung im 20. Jahrhundert (aus allen Richtungen) bedroht nicht nur das autonome Subjekt, sondern vielmehr noch den Individuierungsprozeß. Die psychoanalytische Theorie, in der durch Lacan radikalisierten Form, läßt die Möglichkeiten einer Individuierung offen: sie ist weder optimistisch über den möglichen Ausgang, aber auch nicht pessimistisch. Freud selbst, wie viele andere Kulturbürger, mag (z.T. aus praktischen Gründen) Kompromisse in diese Richtung eingegangen sein: ein Ich-starkes Subjekt scheint heute noch die resignative Abwehr gegen die Vermassung zu sein. Aber Freud z.T. gegen Freud lesen, seine Radikalität ernst nehmen, verspricht, Interessantes über das Subjekt des Diskurses zu finden.
Ethisch und politisch aber kann man nicht umhin, »doppelzüngig« zu sein: weder eine Erstarkung von Normen befürworten (mit allen repressiven Über-Ich-Formationen, wie das »richtige« Bedürfnis oder das »richtige« Bewußtsein, die sie implizieren), noch eine »Emanzipation« der Triebe feiern [40] (die in einen Kampf aller »Ichs« gegen alle »Ichs« endet); denn beide Positionen wollen vom Mangel nichts wissen. Wovon man jedoch auszugehen hat, ist die symbolische Differenz.

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