In Gänsefüßchen reden

oder Nähe und Distanz des Subjekts zu seinem Diskurs*

*Zuerst erschienen in Conéin, B. et al. (Eds): Matérialités discursives, Lille 1981. Übersetzt und fürs Deutsche bearbeitet von Harold Woetzel (mit Dank an Jacqueline Kubczak für ihre Unterstützung).

Die Anführungszeichen, die der Sprecher schriftlich seinen Wörtern hinzusetzen kann, haben im gegenwärtigen Sprachgebrauch des Französischen zwei verschiedene Funktionen: einmal die Autonymie und zum anderen die autonymische Konnotation. In

1) Er hat gesagt: »I don't mind«
2a) Das Wort »Gnade« hat 2 Silben.
2b) Das Wort »Gnade« klingt protestantisch.

wird der autonyme Status der in Anführungszeichen gesetzten Elemente angezeigt. Man sieht das übrigens auch am Kontext: in 1) am verbum dicendi und am syntaktischen Bruch, wie er für die direkte Art der berichteten Rede typisch ist, in 2) am metasprachlichen Anzeiger »Wort« und am Bruch in der Zusammensetzung, die ihn begleitet. Der Sprecher erwähnt hier, aber gebraucht nicht die Wörter in Gänsefüßchen.[1] Dem Signifikanten wird das ganze (zweiseitige) Zeichen, also Signifikant und Signifikat zugeordnet.[2]
Das autonyme Element stellt in der Aussage, in der es vorkommt, einen Fremdkörper dar, ein Wort, das dem Empfänger »gezeigt« wird. In diesem Sinne kann man die Wörter in Anführungszeichen betrachten als »auf Distanz gehalten,«, und zwar in dem Sinne wie man mit ausgestreckten Armen einen Gegenstand hält, den man betrachtet und zeigt. Etwas anderes liegt aber vor in 3) Wir begnügen uns vorläufig mit dieser »Definission«.
Hier wird das Wort gebraucht, die Erwähnung aber wird konnotiert. Es gibt hier kein Nebeneinander von Gebrauch und Erwähnung in der Kette, sondern einen gleichzeitigen doppelten Gebrauch, begleitet von der Erwähnung.
Wenn man die zwei komplexen Strukturen miteinander kombiniert: Konnotation, wo das ganze Zeichen als Signifikant funktioniert und Autonymie, dann ist die autonymische Konnotation besonders in zwei Fällen wichtig:

  • — bei der sog. »freien indirekten Rede«[3] des berichteten Diskurses, in der kein besonderes und eindeutiges Merkmal die Konnotation eines Redeteils anzeigt, der syntaktisch in das Ganze integriert ist (vgl. Authier 1978);
  • — bei den wie in 3) mit distanzierenden Anführungszeichen markierten Wörtern oder Syntagmen, bei denen das Signal im Unterschied zu den Anführungszeichen in 1) und 2) nicht redundant ist, weil sie Elemente betrifft, die syntaktisch in den Kontext integriert sind.

Mit diesen Anführungszeichen der autonymischen Konnotation beschäftigen sich die folgenden Bemerkungen. Wir haben es dabei mit wirklich vom Sprecher »gehaltenen/' Reden zu tun, in dem (zweiten) Sinne, in dem man »eine Ansprache hält«. Aber diese Wörter hält der Redner, obwohl er sie doch gebraucht, zugleich durch die Erwähnung der Konnotation »auf Distanz,«. Im ersten Teil soll nun die Funktion dieses Mechanismus beschrieben werden, bevor ich im zweiten Teil Hypothesen über die »Unregelmäßigkeiten« dieser Funktion aufstelle.

Die Funktion von Anführungszeichen in der »normalen« Rede
1. Dieser Typ von Anführungszeichen ist die örtliche metasprachliche Operation einer Distanzierung: die Aufmerksamkeit des Hörers wird im Laufe des Diskurses auf ein Wort gelenkt als Gegenstand, Ort einer Aufhebung der Verantwortlichkeit, die sonst für die anderen Wörter funktioniert. Diese Aufhebung der Verantwortlichkeit bewirkt eine Art von Leere, die mit einer Interpretation ausgefüllt werden soll, eine »Aufforderung zum Kommentar«, der manchmal ganz explizit erfolgt, zumeist aber implizit bleibt. Diese Funktion erweist übrigens ganz deutlich auf die herausgestellt wurde (vgl. Cattach 1968): die Vorläufer der Anführungszeichen waren nämlich kein Kennzeichen eines Zitats mehr, sondern Bestandteil eines Systems von Zeichen des Verweises, der Korrektur (Antilambda, Asterix/Sternchen, kleine Dreiecke, verschiedene Arten von Kreuzen usf.), die als kritischer Apparat in der Einrichtung von Texten (v.a. biblischen) funktionierten. Die ursprünglichen Gänsefüßchen signalisieren einen Kommentar, eine Anmerkung, einen Verweis am Rand oder unten auf der Seite.

Der lokale — und implizite — Kommentar, den die Anführungszeichen als punktuelle Distanzierung ins Spiel bringen, gibt vor, daß der Sprecher, noch während der Produktion seiner Rede, sich durch eine metasprachliche Haltung selbst verdoppelt; er begleitet sich gleichsam selbst mit einem kritischen Kommentar. Diese Haltung (attitude) manifestiert sich als Fähigkeit (aptitute): durch sie wird der Sprecher zum Herrn und Richter über seine Wörter, er ist fähig, sich von ihnen abzusetzen und ein Urteil über sie zu sprechen im selben Moment, in dem er sie benutzt. Die Anführungszeichen funktionieren in einer Rede, die unter Bewachung, unter Kontrolle steht; es ist eine »gehaltene«[3] Rede im dritten Sinne des Wortes: wie man »seinen Hund hält, sein Personal, sein Haus« oder wie man »sich zu halten weiß«. Diese Art von Rede steht im Gegensatz zu der des »laisser aller«, die sich selbst überlassen bleibt, der die Wörter entschlüpfen. Man kann die Gänsefüßchen in diesem Sinne als »Anti-Lapsus« verstehen.

1.1. »Ich gebrauche dieses Wort, aber nicht so, wie die anderen Wörter, sondern auf die Weise, wie X es gebraucht«. Auf diesen Kommentar kann man, den Analysen von Rey-Debove über die »Modi des Sagens« (1978) folgend, die verschiedenartigen Kommentare zurückführen, deren Indikator die Anführungszeichen sind. Das geht von der Polemik des »Wie Sie die Kühnheit oder die Frechheit hatten zu sagen« über das zögernde »Wie man vielleicht zur Not sagen könnte« bis zum emphatischen »Wie ich gerne sagen will«. In allen diesen Fällen gibt es eine Aufhebung der Verantwortlichkeit, die darauf hindeutet, daß die Eignung des Wortes für den Diskurs, in dem es gebraucht wird, in Frage gestellt wird; — Eignung (caractere approprie) dabei im Doppelsinne des (französischen) Wortes: »zugehörig zu« (appartenant à) und »angepaßt an« (adapté à). Und auf diese Aufhebung antwortet der implizite Kommentar, der auf einen anderen Diskurs verweist.
Von den Anführungszeichen, die die Nicht-Eignung, die Unangemessenheit eines Wortes signalisieren, zu denen, die als Merkmal des Fehlerhaften gelten, ist nur ein Schritt, der oft genug getan wird. Es ist dennoch wichtig, glaube ich, aus dem Satz »Ich sage es, aber« einen anderen Satz herauszuhören: »Dieses Wort paßt nicht, aber ich sage es trotzdem«. Und das »Ich sage es, obwohl es nicht paßt« ist immer zugleich zu verstehen als »Ich sage es, weil es nicht paßt«. Wir sind also in der Lage, die Ratlosigkeit zu überwinden, die uns bei dem folgenden Satz von Proust erfaßt hat:

4) Und wieder bemerkte ich, ..daß Swann,.. wenn er einen Ausdruck gebrauchte, der eine Meinung über einen bedeutenden Gegenstand einzuschließen schien, ihn durch eine besondere Betonung hervorhob, als setze er ihn in Anführungsstriche und wolle ihn eigentlich nicht auf eigene Rechnung übernehmen, sondern sagen: »Die Hierarchie, du weißt ja, daß dumme Leute es so nennen?« Aber wenn es dumm war, warum sagte er dann »Hierarchie«? (M. Proust, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. In Swanns Welt 1. Frankfurt/M. 1970,1)

In den folgenden Beispielen soll die positive, die wesentliche Funktion der Anführungszeichen als Signal der Nicht-Eignung herausgestellt werden, jenseits ihrer bereits angedeuteten Funktion, den Sprecher als Herrn der Wörter hinzustellen. Die positive Funktion der Anführungszeichen in ihren verschiedenen Rollen besteht darin, daß sich die anderen Wörter differentiell konstituieren, die ohne Gänsefüßchen, ganz normal daherkommen, hinter denen man steht und die daher angemessen, passend sind.

1.2 Die Wörter in Gänsefüßchen sind solche, die man damit als »deplaziert«, »nicht an ihrem Platz« auszeichnet; sie gehören einem anderen Diskurs an und sind dort passend.
1.2.1. Ganz offensichtlich ist das der Fall in den folgenden sehr häufigen Gebrauchsweisen:
5a) Das »Sit-in« der Studenten vor der Botschaft...
5b) Die »Vergenscherung« der Wähler..
5c) Die Leser unserer Zeitung haben dank der beigefügten Skizze mit ihren vielen Erläuterungen das Geheimnis der berühmten »Wärmepumpen« aufdecken können.
6a) Aus allen möglichen wissenschaftlichen, technischen, ideologischen Gründen einerseits konnte er keine großen Fortschritte machen, und auf der anderen Seite gab es das Problem, daß er »keine Kohle« mehr hatte. (Cahiers du C.E.R.M. 163,76)
6b) Feuerbach ist eine seltsame philosophische Persönlichkeit, mit der Eigentümlichkeit — man verzeihe mir diese Ausdrucksweise —, »mit allem auszupacken« (de »manger le morceau«). (Althusser, Positions - Paris 1976, 162)

In 5) setzt der Gebrauch von Fremdwörtern, Neologismen und Fachtermini voraus, daß die Gesprächsteilnehmer sie verstehen, aber die Anführungszeichen verweisen den Leser auf die Rahmenbedingungen des Kodes. (Hier sind Anführungszeichen bei einem lexikalischen Element ein Signal der Veränderung seines Status hinsichtlich des »gemeinsamen« Kodes.) In 6) kennzeichnen die Anführungszeichen ein umgangssprachliches Wort, verweisen also auf ein anderes Sprachregister. Ob es sich dabei um echte oder unechte Nachlässigkeit handelt, um besondere Vorsicht oder Koketterie, immer sagt der Gebrauch dieser Anführungszeichen der Umgangssprache aus, daß der Diskurs, in dem dieses Wort steht, im Gegensatz dazu nicht umgangssprachlich ist.
1.2.2. Die Anführungszeichen erlauben noch feinere Mittel der
Abgrenzung. In

7a) Und die Unterhaltung wandte sich den Verdiensten und der »philosophischen Methode« (démarche) des deutschen Regisseurs zu. (C. Franck, Josepha. Paris 1979, 138)
7b) Den »bedeutendsten« Fall hatte man für den Schluß aufgespart. (A. Gide, Aus dem Schwurgericht. Frz.-Dt. Ebenhausen bei München 1956, 85)

distanziert sich ein Autor von seinen Personen, und Gide als Beobachter setzt sich vom Justizapparat und den anderen Geschworenen ab. In 8) Auszügen aus einem Interview mit Simone Signoret, wo die Zahl der Gänsefüßchen Legion ist, bemerkt man eine Art demonstrativer Zurschaustellung der Gänsefüßchen, die durch vier verbale Mittel erreicht wird:

8. — Das bewies, daß ich völlig imstande war, eigene Verantwortung »zu übernehmen« (in Anführungszeichen, bitte).
— Man macht 10 Schritte vorwärts und muß dann wieder 4 Schritte zurück, damit das gut geht mit der »soziologischen« (lassen Sie mich da bitte wieder Anführungszeichen machen) Realität, mit der Empfindlichkeit der Leute, will ich sagen...
- Ich habe eine sehr persönliche Art der Beziehung zu den Männern. Ich habe mit ihnen ganz und gar natürliche Beziehungen »der Identität« (machen Sie da wieder Anführungszeichen, bitte).
- Wir sind niemals »Mitkämpfer« (militants) gewesen (zum letzten Mal die Anführungszeichen, ich verspreche es). (France-Magazine, Juli-August 1979, 23ff.)

In dem Bild, das sie von sich selbst zeichnet, findet man eine Art offensiven Narzißmus durch die Differenzierungen in den Wörtern hindurch. Es ist als wollte sie sagen »Man kann mich nicht auf die Wörter reduzieren, die ich sage.« In zugespitzer Form manifestiert sich in diesen Beispielen eine Gewohnheitsfunktion von Anführungszeichen: sie sind Instrument der Unterscheidung und Auszeichnung (distinction) im Sinne von Bourdieu (1979), ein Signal, das es uns erlaubt, »sich zu unterscheiden« in unseren ganz intimen Erkennungszeichen, den Wörtern.

1.2.3. Eine besondere Form dieser Unterscheidung durch Wörter findet sich im Dialog, und zwar in Form von Anführungszeichen der Herablassung, wie ich es nennen will. In

9) Nun verlangsamt sich aber oft die Aktivität der Zellen. Die Haut, besonders wenn sie trocken oder empfindlich ist, »spannt« und »macht sich bemerkbar« schon bei jeder Kleinigkeit (Werbung für Schönheitsprodukte in Elle 1980)

sind die Anführungszeichen wohlwollend-väterlich, ja kumpelhaft. Sie sollen in einem angeblich wissenschaftlich gehaltenen Diskurs anzeigen »daß wir sehr wohl wissen, daß Sie in Ihrer umgangssprachlichen    Redeweise sich so ausdrücken...«. Die Gänsefüßchen kennzeichnen also ein Wort, das zwar für den Hörer, nicht aber für den Sprecher geeignet ist; sie sagen »wenn ich jetzt nicht zu Ihnen spräche, dann hätte ich nicht gerade dieses Wort da gebraucht«.
Zahlreiche »pädagogische« Anführungszeichen, die etwas allgemeinverständlich machen wollen, sind von diesem Typ: der Sprecher leiht sich vom Gesprächspartner Wörter aus, um sich »in dessen Reichweite zu begeben«. Oft ist das wie ein Schritt, um ihn zu den »wahren« Wörtern zu führen, zu denen sich der Sprecher voll bekennt, ohne Anführungszeichen. Umgekehrt zeigt eine zweite Form dieser Anführungszeichen der Herablassung an, daß ein dem Sprecher passend erscheinendes Wort nicht geeignet ist für den Hörer. Die Gänsefüßchen sagen dann soviel wie »wenn ich nicht zu Ihnen spräche, würde ich es ohne Anführungszeichen gesagt haben«. Dieser Art von Anführungszeichen hat Nathalie Sarraute eine Novelle gewidmet, Esthetique, erschienen in dem Band L'usage de la Parole (Der Gebrauch des Wortes). Ganz kurz zusammengefaßt zeigt diese »Geschichte von Wörtern«, wie in eine ganz ruhig verlaufende phatische Kommunikation (bestehend aus Gemeinplätzen) ein »ästhetisches« Wort eindringt, das »mit Rücksicht auf den Gesprächspartner in Anführungszeichen gesetzt wurde. Diese Rücksichtnahme wird vom Gesprächspartner als eine Beleidigung aufgefaßt, weil ihm ja unterstellt wird, über das entsprechende Wort nicht völlig zu verfügen, und sie wird mit der unmittelbaren und trockenen Wiederaufnahme dieses Wortes beantwortet, ganz ohne Anführungszeichen. Es ist die Geschichte einer phatischen »Gemeinschaft« (communion), die wegen dieser Gänsefüßchen der Unterscheidung zerbrach.

1.2.4.    Es gibt noch andere Arten der Distanzierung gegenüber einem »nicht ganz geeigneten« Wort. So das »durch ein anderes ersetzte«
Wort, ganz banale Metaphern:
10a) Notreparatur (depannage): »Erste Hilfe«, solange man auf den Klempner,
Elektriker oder andere wartet. (Titel eines Zeitschriftenartikels)
10b) Die Leser unserer Zeitung haben »direkt« den Start der Rakete Ariane
verfolgt. (Werbung für eine Zeitung)
10c) Die Veröffentlichung unseres Interviews mit dem Innenminister hat die Wirkung einer »Bombe« gehabt.

Diese Anführungszeichen haben eine Schutzfunktion; ein damit versehenes Wort wird als nur annähernd treffend gekennzeichnet. Man sagt mit ihnen: »Das ist nur eine Redeweise, ich will mich nicht schlagen für dieses Wort«. Diese Gänsefüßchen bereiten eine etwaige Rücknahme vor und vereiteln vorbeugend den Angriff des anderen auf diesen Wortgebrauch, indem sie die Konturen des Wortes auslöschen und einen Raum des Fließens, des spielerischen Gebrauchs eröffnen, in dem eine Richtigstellung durch den anderen möglich ist, wodurch es nie zu einem offenen Konflikt kommen kann.
Dieser Wortgebrauch auf Widerruf ist kennzeichnend für die ängstliche Rede eines »illegitimen Sprechers«, d.h. eines Sprechers, der Wörter gebraucht, die für ihn mit einem Wissen oder einer sozialen Situation beladen sind, als deren rechtmäßiger Besitzer oder Verwahrer er sich nicht betrachtet: das sind gelehrte Wörter, »große Worte«, technische Ausdrücke usw. Zugleich verweist dieser Gebrauch von Anführungszeichen auf einen Sprecher, der in einer bedrohlichen Situation zwar das Wort sagt, das zu gebrauchen er Lust hat, aber »im Schutz« der Gänsefüßchen, also nicht offensiv.
1.2.5. Im Gegensatz dazu können die Anführungszeichen den angemessenen Charakter eines Wortes offen in Frage stellen. Von »Mentalitäten« zu sprechen anstelle von »Ideologie« kann für einen Sprecher in der entsprechenden Situation klug, um nicht zu sagen ein Zwang sein, wenn er einen Wortstreit vermeiden oder sich ganz einfach verständlich machen will. Jedesmal, wenn der Sprecher gezwungen ist, mit Wörtern zu sprechen, die er als von außen aufgedrängt empfindet anstelle seiner eigenen, im Moment aber verbotenen, kann er sich durch solche Anführungszeichen verteidigen: in einer Situation, in der man beherrscht wird, ist das eine offensive Reaktion. In den folgenden Beispielen will dieses — je nachdem scherzhafte, polemische, zweifelnde oder spöttische — Infragestellen jedesmal ganz offen den Gebrauch zerstören, den bestimmte Diskurse (der herrrschende Diskurs) von einem als angemessen betrachteten Wort machen.
 

  • 11a) Human»wissenschaften« —die »nutzlosen« Entdeckungen (Buchtitel) — D«K«P und «D«KP — polizeiliche »Schönheitsfehler«
    11b) Die »Regel« (in Anführungszeichen) ist, daß... (dann folgt eine Ausnahme)
    11c) Von daher die Feierlichkeit, mit der in der »Theorie« dieser »leninistische« Satz aufgestellt wurde, den jeder Unterleutnant der Reserve in seinen ersten Monaten lernt... (Foucault 1978, 215)
    11d) Jedes »aus Versehen« zur Welt gekommene Kind kann tatsächlich unbewußt sehr wohl gewünscht worden sein (Cahiers du C.E.R.M. No. 163, 102)
    11e) Die »traditionelle Reizbarkeit« der Frau ist dazu da, die Vorstellung zu bestärken, daß wir stets an der Grenze der seelischen Ausgeglichenheit sind, und die Mechanik des Pathologischen ist manchmal so mächtig, daß man »verrückt« wird, bevor man seine Wahrheit hat hinausschreien können (F. Magazine März 1980)
    11f) (...) die marxistische Auffassung von der Geschichte hat heute soviele verärgerte Freunde, denen sie als Vorwand dient, Geschichte nicht zu studieren. Das ist ganz so, wie Marx damals sagte, als er auf die »Marxisten« der 70er Jahre zu sprechen kam: »Alles, was ich weiß ist, daß ich kein Marxist bin.« Engels hat als erster »Marxist« in Gänsefüßchen geschrieben. Augenscheinlich handelt es sich um Pseudo-Marxisten. Und Marx will kein »Marxist« von dieser Art sein, (G. Badia, ..ich bin kein Marxist. In: Revolution).
    11g) Angesprochen schließlich auf das, was der Journalist von >France-Inter< »die >Woge< heftiger Opposition innerhalb der KPF — Woge in Anführungszeichen, Ihnen zuliebe —« nannte, antwortete Charles Fiterman: »Ich möchte sogar das Wort >Opposition< in Anführungszeichen setzen, weil ich das bestreite, weil ich das zurückweise« (L'Humanite vom 13. Juni 1978).

In allen diesen Fällen sagen die Anführungszeichen (zumeist mit einem Kontext, der die Opposition des Sprechers deutlich macht), daß das von
einem Wort mit »X« bezeichnete in Wahrheit ein Pseudo-X ist, daß das Wort X also hier unangemessen ist. In 11g) finden wir das Beispiel, wie dieser Typ von Anführungszeichen sich offensiv verändert und eine Diskussion eröffnet: das ist vergleichbar mit dem Abstecken einer Stellung oder einer Frontlinie.    |
Es gibt noch andere Formen, den angemessenen Charakter eines Wortes in Frage zu stellen:
— »X« kann bedeuten, daß das Wort X mangels eines anderen Wortes gebraucht worden ist, über das man nicht verfügt. Die Anführungszeichen bei X sind also Zeichen dafür, daß es dem Sprecher nicht gelingt zu    denken und zu sprechen. Die Anführungszeichen, zwischen denen man so oft Wörter wie »Sprachebenen« oder »Sinn/Bedeutung« in linguistischen Texten findet, drücken nicht die Ironie des »Pseudo-..« aus, sondern die Verlegenheit angesichts eines Problems.
— »X« kann bedeuten, daß das Wort X eine Täuschung, eine Illusion ist und daß es kein wirkliches Objekt bezeichnet. Das findet man explizit und lapidar in

12a) »Die« Wissenschaft ist ein ideologischer Ausdruck. Der Gegenstand, den er bezeichnet, existiert nicht. »Die« Wissenschaft existiert nicht. (L. Althusser, zit. in Fichant/Pecheux, Überlegungen zur Wissenschaftsgeschichte. Fft/M. 1977,76)

Der Verfasser des Buchs Vom Mittelalter sprechen stellt zu Beginn die Frage nach der Existenz eines Gegenstands »Mittelalter«. Die Frage läßt sich zusammenfassen mit »Existiert ,X' überhaupt?« und die Antwort lautet »Ja, und deshalb werde ich von jetzt an X ohne Anführungszeichen sagen«:

12b) Der historisch exemplarische Charakter des »Mittelalters« erlaubt uns zweifelsohne ein Wissen, ..das über das Malerisch-Pittoreske hinausgeht. (...)
Das »Mittelalter« besitzt eine besondere Eigenschaft, die zugleich aus der Dauer und aus der Vollendung resultiert. (..) diese wesentliche Tatsache, das Bestehen einer Periode, die man abgrenzen, einkreisen kann dank ziemlich homogener Kriterien (..) Nach dem Gesagten verzichte ich auf die Anführungszeichen, mit denen ich bisher aus Vorsicht den Ausdruck Mittelalterbedacht habe. (Zumthor, Parier du moyen - âge Paris 1980.)

M. Foucault spielt in 13) damit, daß er denselben Satz verschieden gebraucht und daß er für ein- und dasselbe Wort, nämlich »Sozialismus«, die Anführungsstriche in zwei verschiedenen Funktionen benutzt:
1) Das »X« bedeutet »Es handelt sich um ein Pseudo-X«, man erkennt also die Gültigkeit des Wortes X an. Bei Foucault sind das Anführungszeichen, die er zitiert, gegenüber denen er sich distanziert.
2) Das »X«, das er dagegen setzt, bedeutet, daß dieses Wort nur ein Irrtum ist und daß er es gegen das erste wendet.

13a) ...man muß die Politik der Anführungszeichen aufgeben; also nicht mehr sich aus der Affäre ziehen, indem man den sowjetischen Sozialismus mit schimpflichen und ironisierenden Anführungszeichen versieht, die den guten, den wahren Sozialismus — ohne Anführungszeichen — der angeblich allein den legitimen Gesichtspunkt für eine politisch gültige Kritik des Gulag abzugeben vermöchte, in Schutz nehmen. In Wahrheit ist der einzige Sozialismus, der die Anführungszeichen des Spotts verdient, derjenige, der in unserm Kopf das verträumte Leben der Idealität führt.
13b) Kurz, man muß, wie mir scheint, die Spezifität der Frage nach dem Gulag geltend machen gegen .. jede utopische Dissoziation (die ihn, zusammen mit dem Pseudo-»Sozialismus«, in Opposition zum Sozialismus »selbst« setzen würde)... (Foucault 1978, 202 f.)

Ein solches Zeichen »Anführungsstriche in Anführungsstrichen« existiert typographisch nicht; man kann aber mündlich sich von Anführungszeichen distanzieren. Das Beispiel 13) hat augenfällig und ganz explizit gezeigt, was man zumeist implizit mit dem Gebrauch (oder Nichtgebrauch) von Anführungszeichen sagt: »Eure Anführungszeichen sind nicht die meinen«.

1.2.6. Schließlich muß man noch die Anführungszeichen der Emphase erwähnen, mit denen man etwas hervorhebt und die oft auch als kursiv oder fett gesetzte Wörter erscheinen. Mit ihnen distanziert man sich nicht von diesem Zeichen, wie das Beispiel 14) zeigt: was da gesagt wird, ist ganz sicher nicht ironisch gemeint, sondern man gibt mit ihnen eine bekräftigende Antwort der Art »Eben dieses Wort will ich sagen«, »Genau dieses Wort ist mir wichtig« auf jene Aufhebung der Verantwortlichkeit, wie sie den Gänsefüßchen sonst doch eigentümlich ist.

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1.3. Was läßt sich am Ende dieser Beispielsammlung (die keinesfalls eine erschöpfende Liste für die verschiedenen Funktionen sein kann) über die Funktion der Anführungszeichen sagen? Wenn man sie als Fehler, als Unvollkommenheit begreift, dann sitzt man dem Phantasma eines »idealen« Diskurses auf, der ohne Anführungszeichen auskommt. Man stellt sich dann eine gebändigte Rede vor, die bestimmte Wörter als nicht angemessen begreift und die einen Zustand als Ziel im Auge hat, wo alle Wörter vollkommen angemessen/adäquat sind und vom Sprecher voll verantwortet werden. Läßt sich das nicht auch aus jener Formulierung heraushören, mit der Valery (in den Cahiers) die Bemerkungen über die Anführungszeichen abschließt: »Anführungszeichen = vorläufig«? Wir sind von einem solchen Phantasma des perfekten Diskurses einer unbestreitbaren Wahrheit weit entfernt. Wenn die Anführungszeichen eine Unvollkommenheit anzeigen, dann handelt es sich um eine konstitutive Unvollkommenheit; wenn ein Wort in Anführungszeichen »am Rand« eines Diskurses steht, dann nicht in dem Sinne, daß man darauf verzichten könnte, sondern daß ein Rand etwas abgrenzt und konstituiert. Gänsefüßchen spielen mit dem Rand eines Diskurses, d.h. sie kennzeichnen die Begegnung mit einem anderen Diskurs. Gleichsam wie Bojen markieren sie diesen Grenzbereich, über den ein Diskurs durch eine Arbeit an seinen Rändern sich konstituiert in Bezug auf sein Äußeres. Diese Grenze ist enthüllend und unentbehrlich zugleich: den Spuren folgen, die die Wörter in Anführungszeichen in einem Diskurs abgesteckt haben, ist gleichbedeutend damit, den Grenzlinien zu folgen, die das erst sichtbar machen, was für die Abgrenzung des Diskurses wesentlich ist: »Sag mir, was du in Anführungszeichen setzt...« Zur gleichen Zeit stellt ein Diskurs dadurch, daß er bestimmte Wörter als unangemessen/inadäquat hinstellt, in sich selbst die Ergänzung zu diesen Wörtern her: er verweist damit auf ideale »Gegenwörter«, die vollständig angemessen sind und zu denen sich der Sprecher ganz ohne Distanz bekennen kann. Das ist die konstitutive Arbeit von Anführungszeichen.
Gänsefüßchen stellen also so etwas wie ein Echo in einem Diskurs dar, und zwar ein Echo seiner Begegnung mit dem Äußeren. Und trotz der Ausdrücke Inneres/Äußeres, Rand und Grenze darf man sich diese Begegnung nicht so denken, daß beide nebeneinander und voneinander getrennt eine Grenzlinie bilden, sondern sie interagieren miteinander, bilden einen Raum, in dem sich beides durchdringt und gegenseitig überlappt. In diesem Sinne habe ich davon gesprochen, daß die Gänsefüßchen »an den Rändern des Diskurses« spielen, daß ihr Gebrauch eine »Arbeit an den Diskursgrenzen« bedeutet.

»Taumel und Askese«: Die von Anführungszeichen überwucherte Rede...
2. Anführungszeichen zeigen also, daß es für den Sprecher einen Rand gibt, der auf ein Äußeres verweist, in Bezug auf das sich für den Sprecher ein Inneres erst konstituiert, nämlich sein eigener Diskurs, in dem er sich wiedererkennt. Die Anführungszeichen etablieren dieses Äußere und dieses Innere, und die Zone, in der sie operieren, ist die eines labilen Gleichgewichts, einer Spannung, eines Kompromisses,in der es um die Identität des Subjekts und um sein Verhältnis zur äußeren Welt geht. Anführungszeichen zu gebrauchen bedeutet,noch immer der Illusion von »eigenen« Wörtern anzuhängen, wie auch der Illusion, daß das Äußere eines Diskurses eine Art Maßstab darstellt, an dem man die Wörter hinsichtlich ihrer Angemessenheit, ihrer Übereinstimmung (mit dem Äußeren, der Wirklichkeit) bemessen könnte. Die Anführungszeichen legen Zeugnis davon ab, daß man in verschiedenen Situationen kein »eigentliches« Wort mehr hat oder daß man den Kontakt mit der Welt »verliert«: verschiedene Arten vom Sprecher gewollter oder ungewollter Unordnung können durch sie offenbar werden, die diesen Rand eines Diskurses signalisieren. Es sind diese Ungeregeltheiten, Unordentlichkeiten hinsichtlich des Kompromißes und der Bastelei der »normalen Rede«, die das labile Gleichgewicht des Diskurses nach zwei Extremen hin umkippen lassen: in eine Rede, die »von ihren Rändern ganz bedeckt« ist und in eine Rede »ohne Ränder«.

2.1. Eine von ihren Rändern ganz zugedeckte Rede ist eine mit Gänsefüßchen übersäte Rede. In diesem Fall hat der Sprecher die notwendige Illusion jener komplementären Rede, die nur aus angemessenen Wörtern besteht, aufgegeben: er besitzt die Wörter nicht mehr, sie sind ihm enteignet.
2.1.1. Anführungszeichen setzen bedeutet, den Wörtern ihren Anschein einer Übereinstimmung zu rauben. Man versuche einmal spielerisch, alle Wörter, die man hört, liest, sagt, schreibt, in Anführungszeichen zu setzen und damit auszuprobieren, ob und wie die Wörter dieser Bezweiflung ihrer Angemessenheit Widerstand leisten. Wer dieses »Spiel« betreibt, wird schnell genug von Unbehagen ergriffen werden, wenn er sieht, wie die Wörter zu schwanken beginnen, sich wegstehlen wollen und ungewiß werden. Anführungszeichen sind ein bekanntes Mittel der Abwehr: wenn man einem Diskurs unterworfen ist, den man ablehnt (ob man ihn nun hören oder selbst produzieren muß), dann sagt man mit ihnen dasselbe wie mit dem Einschub »wie sie sagen/wie er sagt« und baut damit zwischen sich und den Wörtern eine Abwehr auf. Anführungszeichen setzen bedeutet, auf Distanz zu gehen. Wenn man nun ständig »verbal auf Distanz gehen« muß, um dem Druck eines herrschenden Diskurses zu entgehen, ohne daß man dabei die notwendige Unterstützung und die Ruhepunkte von »eigenen« Wörtern findet, wenn also ein Sprecher sich von allen Seiten umgeben sieht von Wörtern, die die Wirklichkeit und das , was er sagen möchte, verraten, dann befindet er sich in der Situation eines von Wörtern Belagerten; seine Rede wird von Anführungszeichen erstickt.
2.1.2. Anführungszeichen besetzen bedeutet auch zu verstehen (und verstehen zu geben), daß das, was man sagt, nur wiedergesagt ist, nur eine Wiederholung darstellt. In Über mich selbst schreibt Roland Barthes: »Er mußte das Stereotyp denaturieren durch irgendein verbales oder graphisches Zeichen, das dessen Abnutzung deutlich macht, z B. durch Anführungszeichen.« Barthes möchte den Verschleiß der Wörter sagen, um ihnen nicht zu erliegen. Aber was, wenn der Sprecher wegen des Wunsches zu existieren und zu reden den Sirenen nicht Widerstand leisten kann, die ihn ständig fragen »Was von dem von mir Gesagten ist bereits gesagt?« Was, wenn er dem Taumel oder der Askese des Nicht-Subjekts wehrlos ausgeliefert ist, das in allem, was seine »frische und neue« Rede sein könnte, nur ein Geliehenes, nur ein Echo erkennen kann, das von den Rändern dieser Rede kommt? Dann verliert dieses Subjekt den Boden unter den Füßen; es kann seine Rede nicht mehr »halten«, das Äußere hat sie aufgelöst.
2.1.3. Anführungszeichen als Zurücknahme sind ein konstitutives Merkzeichen des Subjekts. Wenn sie ganz in die Rede eindringen und sie völlig überschwemmen, wird das Subjekt ausgelöscht. Die Hypertrophie von Anführungszeichen verkleinert den komplementären Diskurs und erzeugt einen Sprecher, der nach und nach keine Wörter mehr hat. Wenn aus dem »Ich weiß, was ich sage« (die Anführungszeichen der »gehaltenen« Rede) eine Rede wird, in der schließlich alles in Gänsefüßchen steht, schlägt das um in ein »Ich sage gar nichts mehr«. Das ist dann eine so sehr »auf Distanz gehaltene« Rede, daß man sie verliert.

...und die Rede ohne Anführungszeichen
2.2. Das andere Extrem ist das der Rede ohne Ränder, die gar keine Anführungszeichen mehr kennt. Man findet sie unter zwei entgegengesetzten Formen wieder: als eine von Gänsefüßchen freie (eine »reine«) Rede, die sie eliminiert hat, die als Konstruktion völlig adäquat zu sein beansprucht. Das beste Beispiel dafür ist der mathematische Diskurs. In anderer Form findet man sie als eine Rede, die auf die Gänsefüßchen verzichtet, weil diese als Kennzeichen einer illusorischen Herrschaft über die Wörter gelten und diese Art von Rede eine solche Illusion zurückweist: für sie stellt sich das Problem der Übereinstimmung nicht mehr. In beiden Fällen gibt es kein Äußeres für die Rede.
2.2.1 Der mathematische Diskurs wird aus dem Inneren durch Axiomatisierung und Deduktion konstruiert und hat nur interne Kriterien. Es ist ein durch Festsetzung perfekt angemessener Diskurs ohne Berührungspunkte mit einer anderen Realität, also ohne Ränder —und daher auch ohne Anführungsstriche.
Gänsefüßchen zu setzen im Verlauf einer mathematischen Demonstration heißt, den Teufel hereinzulassen! Dasselbe gilt im übrigen für den juristischen Diskurs, der die mathematische Axiomatisierung und Deduktion nachahmt (vgl. Bourcier 1979): auch dieser kennt keine Anführungszeichen, die Unangemessenes zum Ausdruck bringen wollen und auch er »geht kaputt«, wenn man sie einführt. (Interessant ist, daß auch die religiösen oder magischen Performative keine Anführungszeichen vertragen, weder als graphisches Zeichen noch in der mündlichen Kommunikation als deutlich distanzierende Intonation oder als explizite Verbalisierung des Typs »in Anführungszeichen«. Man kann nicht sagen: Das ist »mein »Leib — Das ist mein »Leib« in Anführungszeichen — Ich erkläre Euch »vereint« in Anführungszeichen durch die Bande der Ehe — usf.) Die »sprachlichen Mißbräuche«, von denen die Mathematiker so viel sprechen, werden als einfache Nachlässigkeiten betrachtet, die man im Prinzip immer vermeiden könnte, i.e. in die vollkommene Sprache zurückübersetzen, i.e. völlig formalisieren könnte (in der Praxis sei das zugegebenermaßen sehr langwierig und schwierig, theoretisch aber grundsätzlich möglich). Sprachlichen Mißbrauch erlaubt man sich also nur, wenn es im Prinzip möglich ist, ihn zu verzichten. Diese Position nimmt z.B. Bourbaki in der Einführung in die »Elemente der Mathematik« ein.[4]
Anführungszeichen tauchen aber dann auf, wenn der Rand des mathematischen Diskurses erscheint in Form eines Kontaktes mit jenem Äußeren, das die Mathematiker selbst die »Mathematikergemeinde« nennen: irgendeine Nachbardisziplin, dergegenüber man deutlich machen muß, wann man einen nur entliehenen Terminus benutzt. (Z.B. benutzen die Mathematiker den der Physik entliehenen Terminus »wave-front« ganz ohne Anführungszeichen, obwohl das in der Physik damit bezeichnete Phänomen bei ihnen nur ein besonderer Fall davon ist; sobald es aber Kontakte miteinander gibt, über interdisziplinäre Forschungsprojekte, Vorträge auf Kongressen o.a., könnten ja Probleme entstehen, folglich wird die wave-front der Mathematiker von ihnen selbst in Anführungszeichen gesetzt, wenn es sich um »ihre« wave-front handelt.)
Auch dann wenn man solche Wissenschaften fürs Publikum, für die Allgemeinheit aufbereitet, »popularisiert«, verwendet man Anführungszeichen des Ungefähr bzw. der Hervorhebung (nämlich des spezifisch mathematischen Gebrauchs des entsprechenden Terminus).[5] Die Betrachtung dieses idealen Funktionierens, in der es weder Unangemessenheiten noch Konflikte gibt, kann dazu führen, die Unvollkom-menheit der natürlichen Sprachen »heilen« zu wollen —oder daran in aller Stille zu leiden. Davon zeugt der Leibnizsche Traum von einer Sprache, die als Modell die Algebra hat und die fähig sein soll, alle Gedanken ohne Zweideutigkeiten auszudrücken — und zwar so, daß die Chimären, die der selbst hat, der sie verfaßt, in dieser Zeichenschrift nicht ausgedrückt werden könnten. Anklänge daran finden sich auch in der Maxime, die den Tractatus von Wittgenstein beschließt: »Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen.«
2.2.2. Taumel und Askese in jener Rede, die von ihren Rändern überwuchert wird und wo man aus lauter Besorgnis um die Eigenschaften der Wörter sich schließlich aller entledigt. Taumel und Askese aber auch in jener Rede ohne Ränder, die alles Unangemessene ablehnt und der außerhalb einer formalen Sprache nur das Schweigen bleibt. Es gibt endlich aber auch jene Rede, die — umgekehrt zur ersten — die Gänsefüßchen ganz aufgibt, weil sie diese als Zeichen einer lächerlichen Anmaßung begreift, über die Wörter herrschen zu können, weil sie die Anmaßung zurückweist, eine den Wörtern äußerliche und ihnen vorangehende Urteilsinstanz sein zu können.
Diese Rede verzichtet auf den Glauben, daß es einen Platz von außerhalb für die Wörter geben könnte, von dem aus der Sprecher reden könnte. Sie hat in der Praxis die metasprachliche Distanz aufgegeben, hat die Auffassung »Es gibt keine Metasprache« in die Tat umgesetzt. Indem sie die von einem Subjekt überwachten Haltetaue der »gehaltenen« Rede (im dritten Sinne) zerschnitten hat, funktioniert sie ganz allein, nur sich selbst überlassen, eine »Rede ohne Herr«. Und ob das nun gewollt ist oder ungewollt (eine klare Grenze läßt sich hier ohnehin nicht ziehen) von Seiten des Sprechers: es ist eine Rede, in der das Subjekt eine Beute der Wörter ist, von ihnen besessen und in der es schließlich verschwindet.
Die Anführungszeichen, die auf Unangemessenes aufmerksam machen sollen, spielen keine Rolle, weil sie hier keinen Sinn machen: denn das Problem der Übereinstimmung stellt sich nicht. Die Rede hat kein Äußeres, sie ist sich selbst ihre eigene Realität. Sie realisiert sich in Form von »Besessenheit«, von »Offenbarung«, von »Inspiration«, oder besser: sie ist in jeder Art von Schreib- oder Lesepraxis anwesend, wo ein Sprecher »die Initiative den Wörtern überläßt«, wie Mallarmé sagt, mit dem Risiko, sich darin zu verlieren.[6]
Wenn ich hier die Formulierung von Mallarmé aufgenommen habe, um jene Art von Rede zu kennzeichnen, die nur sich selbst als Realität kennt, dann nicht, um die Poesie zu sakralisieren, sondern um einen Beweis für eine solche Praxis zu geben, die besonders beispielhaft durch den Mystizismus und die Hellsichtigkeit zusammen charakterisiert ist. »Reden bezieht sich nur in seiner kommerziellen Funktion auf die Wirklichkeit der Dinge«, sagt Mallarmé und stellt dabei den »elementaren Gebrauch des Diskurses«, in dem die Wörter »die Funktion eines einfachen und stellvertretenden Zahlungsmittels haben«, einem Sagen gegenüber, »das vor allem anderen Traum und Gesang ist und das im Dichter (..) sein Wirkungsvermögen findet«: »das reine Werk«, »die einzige geistige Aufgabe«, der sich »der von seinem Glauben geblendete Einsame« widmet. Das grundlegende Prinzip dieser Suche ist, »die Initiative den Wörtern zu überlassen«, den »Dämon der Analogie«, die Polysemie, Homophonie, Etymologie usw. sprechen zu lassen, den Zufall (die Arbitrarität des Zeichens) ganz intensiv zu erfahren, der den Ausdrücken anhaftet und der unsere »unvollkommenen Sprachen« kennzeichnet, der aber den Raum selbst bildet für die Poesie. Grundlegendes Prinzip also: sich dem Zufall zu weihen.[7] Die Texte sind zahlreich, in denen die Signifikanten heiliggesprochen werden, in denen von einer »Theologie der Buchstaben«, des Alphabets die Rede ist: »Ein Mensch kann sich vervollkommnen, (..) wenn er, von sich selbst neu erschaffen, ganz strikt die Frömmigkeit bewahrt hat gegenüber den 24 Buchstaben, wie sie sich in einer bestimmten Sprache, in seiner Sprache fixiert haben. (..) Er, dieser Zivilisierte, besitzt zur selben Zeit eine Lehre (doctrine) wie eine Gegend (contreé).« Diese »Gegend« ist die, in der der Dichter beim Sprechen verschwindet (la disparition elocutoire du poete): »Das Buch (Le Livre)[8] findet ganz allein statt: gemacht, seiend«; es beschreibt nichts, es »drückt« niemanden »aus«. Der Schreibakt ist Enteignung seiner selbst und der Welt.
NICHTS
von der denkwürdigen entscheidung (...)
WURDE ZUR WIRKLICHKEIT (..)
ALS ZUFÄLLIGE WIRKLICHKEIT (..)
in dieser meere
endloser Öde
in der alles Leben versinkt...

Als Ort, wo sich die Welt und der Dichter abschaffen, ist die Rede zugleich der Ort für die alleinige Realität, die einzige, in der etwas geschehen kann: »Die Literatur existiert, und zwar, wenn man so will, allein für sich, ohne alles andere«.
Schreiben heißt in der Tat, »kraft eines Zweifels sich die Pflicht anzumaßen, alles neu zu schaffen«, »Aufforderung an die Welt zu existieren und entsprechend sich zu beweisen, daß man existiert« — eine Rede ohne ein anderes Reales als sich selbst. Das bedeutet aber nicht, sich dem Zufall auszuliefern. Der Wunsch, der das ganze Werk von Mallarmé durchzieht, ist, »den Zufall aufzuheben«, ihn »Wort für Wort zu besiegen« durch »starke und subtile Kalküle«, als »Algebraiker der Sprache« wie Paul Valery es ausdrückte. »Ich erfinde eine Sprache«, sagt Mallarmé, »die Melodie oder der Gesang führen das Ahnungsvermögen«, dank des Verses, »der aus mehreren Worten ein ganzes, neues, der Sprache (langgue) fremdes Wort macht, das gleichsam eine Beschwörung ist«. Es geht darum, den Zufall — die Wörter — zu bearbeiten, zu bewohnen, so daß daraus etwas Absolutes hervorgeht:
NICHTS
von der denkwürdigen entscheidung (...)
WURDE ZUR WIRKLICHKEIT (...)
ALS ZUFÄLLIGE WIRKLICHKEIT (...)
AUSSER
am himmel
VIELLEICHT
so fern wie irdisches und jenseits sich berühren (...)
EIN STERNBILD...

»Ein Würfelwurf wird niemals den Zufall aufheben,« und »Jeder Gedanke ist ein Würfelwurf« -; aber es ist doch möglich, in diesen Zufall etwas einzuschreiben, »vielleicht .. ein Sternbild«, eine An-Ordnung (constellation). Mallarme spricht zur selben Zeit von der Möglichkeit und der Unmöglichkeit des Gelingens.[9] In einer solchen Rede — ohne ein Subjekt als ihren Herrn, ohne distanzierende Gänsefüßchen — ständig zu wohnen, ist gefährlich.
Mallarme selbst spricht das an: »Und jetzt, nachdem ich bei der schrecklichen Vision eines reinen Werks angekommen bin, habe ich den Sinn und die Bedeutung der vertrautesten Wörter fast verloren.« Durch die »großen, umfassenden Anführungszeichen« im nachhinein, die soviel bedeuten wie »Hier also ist das , was ich gesagt habe«, kann der Sprecher eine solche Rede als eine von sich wiedererkennen, selbst darin, wo sie ihm entgleitet; sie ist damit ersetzbar wie eine Rede unter anderen. Es läßt sich nun wieder so etwas wie ein Subjekt finden und ein Äußeres — ein Rand, eine Grenze. Die »großen Anführungsstriche«, die es einem Sprecher erlauben, bestimmte Reden als die seinen wiederherzustellen, nähern sich dem Nachträglichen des Lapsus an, sofern man bereit ist, ihn zu hören und zu erkennen.
Auch Mallarmé rekurriert auf diese »globalen Anführungszeichen«, wenn er, aufs Äußerste eingezwängt zwischen seiner Schreibpraxis und seiner Selbsterhaltung, er, der von der Anonymität träumte, die »dem Verschwinden des Dichters im Sprechen« gewidmet ist, schließlich seinen Namen als Verfasser den Coup de des gibt und dazu ein Vorwort schreibt.

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