Sprache und Konstituierung von Geschlecht: Kollokation und Diskurs

Ein Beitrag zu einer Semantiktheorie

Wir bewegen uns mit unserer Arbeit in verschiedenen Bereichen, die wir versuchen zu verbinden: Wir wollen an die Frauenforschung zu Sprache und Sprechen (Stichwort »feministische Linguistik«) anknüpfen, ihre Erkenntnisse nutzbar machen, die Grenzen (inhaltlich und methodisch) ausloten und Ansätze erforschen, sie theoretisch weiterzuentwickeln.
Dabei wollen wir die Diskussion, wie sie von Feministinnen in anderen Zusammenhängen geführt wird, miteinbeziehen. (Hier vor allem die Vorstellungen von Geschlechteridentität.)
Ein grundlegendes Dilemma ist für uns, daß wir uns in einem Schwebezustand zwischen Methoden und Gegenstand der Sprachwissenschaft auf der einen Seite und denen anderer Disziplinen auf der anderen Seite fühlen. Das Dilemma betrifft uns dreifach:
- wir waren zunächst eine Gruppe von Sprachwissenschaftlerinnen, die geschrumpft ist, weil gesellschaftliche Aspekte nicht zum Gegenstand der Wissenschaft gehören sollen; und darüberhinaus unsere Methoden keine linguistischen sind;
- wir selber streiten jedesmal auf's Neue, was denn genau Gegenstand der Wissenschaft ist, wie eng oder weit sie selbst gesehen werden sollte;
- von außen stoßen wir auf die Erwartung, der Gegenstand sei selbstverständlich Gegenstand unserer Wissenschaft. Wir können ihr nicht gerecht werden.

1. Frauenforschung zu Sprache und Sprechen: Ein Überblick [1]

In der Frauenforschung zu Sprache und Sprechen spiegelt sich teilweise die Spaltung der Sprachwissenschaft wider: einerseits die Beschreibung des Sprachsystems (in ihren unterschiedlichsten Paradigmen der theoretischen Linguistik), andererseits soziolinguistische Forschungen, die ihrerseits in quantitative und interpretative unterschieden werden.
1.1. Im Rahmen der Sprachsystemanalyse wurde der Sexismus untersucht, wie er sich in angeblich geschlechtsübergreifenden Formen ausdrückt (>jeder<, >der Lehrer<), in grammatischen Kongruenzen (besonders in den romanischen Sprachen), und im Wortschatz, (z. B. Graham 1975. Pusch 1980. OBST 8. u.v.m.)[2] Ein für unsere Fragestellung wichtiger Gesichtspunkt ist die Tatsache, daß alle Texte, die sich nicht mit Haushalt, Familie oder Sexualität befassen, Frauen nicht ansprechen. Sie sprechen generisch, machen aber bald deutlich, daß Frauen als Subjekte nicht betroffen sind. (z.B. >Die Deutschen... und ihre Frauen...<)
1.2. Im quantitativen Paradigma wurde das Redeverhalten von Frauen und Männern auf die Häufigkeit der Verwendung bestimmter Wörter und Sprechakte bzw. deren sprachlichen Formen untersucht: Abschwächungspartikeln, Konjunktive, Sorten von Adjektiven und Adverbien. (Lakoff 1975. OBST 9. Kuhn 1980)
1.3. Mit Experimenten anhand semantischer Differentiale wurden Einstellungen von Frauen und Männern zum Sprechen von Frauen getestet: Frauen sprechen danach ehrlicher, freundlicher, wärmer, aber auch weniger durchsetzungsbereit und ehrgeizig. Interessant sind besonders Untersuchungen zur Diskrepanz zwischen meßbarem Sprechverhalten und dessen Wahrnehmung:

»Actual differences along these dimensions (Stil, Aussprachevarianten, Tonhöhe, Wortschatz und Syntax) were not found to be as great as perceived differences. That is, women and men seem to perceive a greater differences. That is women and men seem to perceive a greater difference between the sexes in patterns of speaking than acually exists.« (Jenkins/Kramarae 1981. 13) (Zur Intonation vg. Boness. 1981)

Die erwähnten Untersuchungen stellen gleichzeitig eine Kritik an der Arbeit von Lakoff (1975) dar, die die Wahrnehmungen als Hypothesen über das tatsächliche Sprachverhalten formulierte. (Aebischer 1979 bemerkt diese implizite Diskrepanz auch kritisch zu Arbeiten von Linguisten an.)
1.4. Ein weiteres Analyseverfahren verwenden Forscherinnen in der Gesprächsanalyse (die nicht mit der aus Frankreich rezipierten Diskursanalyse zu verwechseln ist): sie untersuchen gemischt geschlechtliche Gespräche hinsichtlich »turn-taking«, »floor«, Unterbrechungen, »joining« usw. (Trömel-Plötz 1982. Wagner 1981. AG Fem. Ling. 1983)
Diese Arbeiten haben positive Relevanz insofern, als sie uns auf Details in der sprachlichen Herstellung von Dominanzsituationen aufmerksam machen, auf die Schaffung von geschlechterrollenspezifischem Gesprächsverhalten und auf sexistische Elemente in der Sprache. Sie haben jedoch auch Mängel: es kann leicht passieren, daß Hypothesen des feministischen Alltagsbewußtseins als Forschungsfragen einfließen, um dann bestätigt zu werden. Dabei dürfen wir nicht stehenbleiben, die Untersuchungsfragen müssen differenziert werden. Problematisch ist darüber hinaus die Übernahme nicht-hinterfragter Kategorien, wie z.B.    Status und Prestige, weil damit gesellschaftliche Strukturen als gegeben, als nicht zu verändernde erscheinen. Ein weiterer Mangel scheint uns das Herauslassen des Subjektiven: die Beobachteten bleiben Objekte, und ihr Verhalten wird interpretiert. Im folgenden stellen wir Arbeiten vor, deren Ansätze über das bisher Berichtete hinausgehen.
1.5. Mit der Hinwendung zur Untersuchung von Frauengesprächen wird ein interpretatives Analyseverfahren angewendet. Jenkins (1982) untersuchte unter der Perspektive des symbolischen Interaktionismus Struktur und Funktion vor Erzählungen in einer Gruppe junger verheirateter Mütter. Zweck der Gruppe ist: Erfahrungen auszutauschen, sich gegenseitig zu unterstützen und einfach die Gesellschaft der anderen Frauen. In zwei Drittel der Erzählungen spielte die Erzählerin keine oder nur eine geringe Rolle. Jenkins' Erklärung:

»It was a way of sharing experiences which avoided direct confrontations. Personal stories with narrator as protagonist might have revealed more of the differences between members, which could have led to conflict« (13) »Storytelling is an important form of sociability because it allows the narrator to control or capture her experience by interpreting it and giving it meaning in the form of a story.« (16)

Wie Jenkins verwenden auch Webb/Carter(1982) die inhaltlichen und syntaktischen Analysekriterien für Erzählstrukturen von Labov (1972), gehen jedoch über ihn hinaus (er spricht von der Transformierung von Erfahrung), denn ihr Interesse ist die Konstituierung von Erfahrung und des Subjekts durch die Erzählung. Ereignisse, die ohne persönliche Perspektive in einer Erzählung in Beziehung zueinander gesetzt werden, sind keine Einheit, keine Erfahrung, wenn ihnen nicht eine Bedeutung gegeben wird. Die Einheit wird durch die Erzählung erst gestiftet:

»...we common-sensically refer to a sequence of events as together constituting an experience, with that term carrying with it connotations of those events being in some way personally instructive to 'seif.« (11)

1.6. In ihrem Vortrag »Syntax und Empathie« (AG Fem. Ling. 1983) stellte Pusch einen Ansatz syntaktischer Analyse von biografischen Texten vor, mit dem sie den psychologischen Begriff der Empathie (Einfühlung) linguistisch faßbar machen will. Sie analysiert die Syntax von Biografien, um die Schreiber/innenperspektive — das Empathiezentrum — herauszufinden. Dabei bezieht sie die Rezeptionserwartungen der Schreibenden mit ein, da die Erwartungen die Perspektive entscheidend mitbestimmen. Sie sieht darin eine Möglichkeit, die Art und Weise, wie Frauen (und auch Männer) in Texten vorkommen, besser beschreiben zu können.

»Diese (sprecher-zentrierte) Theorie geht von bestimmten Sachverhaltsstrukturen und deren diversen Versprachlichungsmöglichkeiten aus.«

Es ist zu diskutieren, ob nicht die Rede von objektiven Sachverhalten eine Art Ideologisierung ist, die den Versprachlichungsmöglichkeiten wenig Raum läßt. »Empathie« ist darüberhinaus nur eine Kategorie, die bei der Textkonstituierung eine Rolle spielt. Die Arbeit sehen wir jedoch als einen Schritt in Richtung auf die Analyse von Subjektkonstituierung in Texten an.
1.7. Ein wichtiger Untersuchungsbereich mit entscheidender Fragestellung ist die Kommunikation von Frauen in der Funktion für den Zusammenhalt der Familie und der Verwandtschaft. Die Kompetenz der Frauen ist es, die Kommunikation zwischen den Mitgliedern aufrechtzuerhalten (sie schreiben die Briefe, denken an Geburtstage, halten Kontakt, usw.). Jenkins/Kramarae (1981) behaupten, diese Kompetenz sei eine Grundlage für die Interaktion von Verwandschaft und sozialen Gruppen.

»What is seen by many as the current malaise of the American family may well be a result of the isolation of women from each other in suburban nuclear family dwellings.« (16)

Rossi (1978) spricht in diesem Fall sogar von der Pflicht der Frauen zum Gespräch, vor allem mit weiblichen Verwandten (52f)- Hier lassen sich Verbindungen zwischen Kommunikationsanalysen und Überlegungen zur ideologischen Macht Familie und zu deren aktiven Aufrechterhaltung durch Frauen für jeden der beiden Bereiche nutzbar machen. (Vgl. zu Ideologietheorie und Familie: Kolkenbrock-Netz 1983 und Barrett/Mclntosh 1982).

2. Sprachsystem und Bedeutung: Am Beispiel des Englischen

Feministinnen untersuchten im Sprachsystem vor allem den Wortschatz, weil dieser am deutlichsten die Haltungen und Werte einer Gesellschaft reflektiert. Schulz (1975) spricht von der semantischen Abwertung der Frau. Spender (1980) macht daraus ein semantisches Gesetz. (Die Beobachtungen gelten wohl auch für das Deutsche.) Es geht darum, daß allen »an sich« wertneutralen Wörtern mit Referenz auf Frauen negative, abwertende Konnotation zugeordnet wird. Das wird historisch belegt. (Hier müßte u. E. sprachhistorisch mehr geforscht werden, besonders im Verhältnis zur außersprachlichen geschichtlichen Entwicklung.)
Ein beeindruckendes Beispiel ist — für die Gegenwart — die Bedeutungsveränderung des neugebildeten Wortes »Ms« im englischsprachlichen Raum, mit dem Frauen unabhängig von ihrer Beziehung zum Mann bezeichnet werden. »Miss« bezieht sich auf (noch nicht) verheiratete Frauen, »Mrs« auf verheiratete. Männer dagegen werden immer als »Mr« bezeichnet, das nicht auf ihren Familienstand referiert.
Die Bedeutung von Wörtern ist nicht festgelegt, kann aber auch von keiner sozialen Bewegung so einfach durchgesetzt werden. Bedeutungsherstellung hat selbst bereits etwas mit Macht zu tun:

»Ann Holmquist points out that »Ms« seems to have backfired — it has come to be associated with divorcees, widows, businesswomen, feminists and others who may be supposed to have sexual experience and to be either available or militantly liberationist.« (Bolinger 1980. 103)

Beim sog. semantischen Gesetz der Abwertung handelt es sich eher um eine diskursive Regel. (Wir lassen das Problem, wie wir Semantik definieren, was sie umschließen soll, außer acht.) Offensichtlich ist es die jeweilige Organisation der Diskurse, die sexistisch ist. Wir versuchen an dieser Stelle nicht, zu definieren, wie wir Diskurs verstehen, sondern deuten nur an, daß diskursive Regeln die Regeln sind, die — außer den sprachsystematischen und pragmatischen — die Sprachpraxen der spezifischen Gruppen, Situationen usw. bestimmen,damit auch die Bedeutungen, die sich weder willkürlich auf die individuelle Verwendung noch auf ein Gesetz (analog etwa den Gesetzen des Lautwandels) reduzieren lassen.[3] Ein Einwand anderer Art gegen die Formulierung der Abwertung als semantisches Gesetz ist die Tatsache, daß es nicht generell in der Sprache gilt, denn Frauen werden häufig mit aufwertenden Ausdrücken bezeichnet: entsprechend dem Frauenbild in unserer Kultur mit den beiden Seiten Hure — Madonna, gibt es eben nicht nur die abwertenden Bezeichnungen, sondern auch die für die »Madonna«.
Noch ein Vorwurf an das Sprachsystem ist, daß die Frauen aus der Sprache ausgeschlossen seien. Er trifft in dieser Allgemeinheit (leider) nicht zu, denn Frauen sind in machen Bereichen sogar überrepräsentiert, wenn z. B. von Hauhalt, Kindern, Familie oder Sexualität die Rede ist.
Ein interessanter Aspekt ist in der Diskussion um Bedeutungen zu berücksichtigen: die Referenz. Er scheint uns für die Frauenforschung besonders relevant, ebenso für eine Überarbeitung linguistischer Theorien: schon mit der Verwendung von Wörtern (z. B. >Einhorn< oder >Nation<) werden Referenten geschaffen, werden Personen und Dinge als Realität konstituiert. Es würde sich lohnen, zu untersuchen, wie Realität für Frauen so sprachlich konstituiert wird.
Die Frauenforschung zu Sprache und Sprechen hat zwar die Legitimierung der Methoden und Begrifflichkeit der Sprachwissenschaft sowie ihrer ideologischen Prämissen infrage gestellt, sie scheint sich jedoch soweit von ihr abzuwenden, daß sie bisher kaum versucht hat, ihre Erkenntnisse in sie einzubringen. Gleichzeitig jedoch operiert sie weiterhin mit gerade diesen Begriffen, im Rahmen der Terminologie. Wir meinen, die neuen Fragestellungen sind ein Ansatz, auch für die linguistische Theorie Relevantes zu entwickeln.
Eine Untersuchung führte uns von der Analyse von Selektionsbeschränkungen (semantisch) und syntaktischen Ko-Okkurrenzbedingungen zum einen zur Einbeziehung diskursiver Regeln in die Bedeutungskomponente der Grammatik, zum anderen auf die allgemeine Diskusssion um die Bedeutung von Wörtern und Ausdrücken. (Vgl. auch Bianga. 1982)
Wir untersuchten neueste (einsprachige) Wörterbücher der englischen Sprache auf Selektionsbeschränkungen und Ko-Okkurrenzen. In den meisten Fällen werden diese nicht expliziert, sondern durch die gegebenen Beispielsätze oder indirekt durch die Worterklärung angegeben.
1. Wörter, deren Selektionsbeschränkung nicht aus einem inhärenten Bedeutungsbestandteil abgeleitet werden kann:
 

beautiful: ...unspecified, mostly for women's face, beautiful for elegance and nobility. darf nicht für Männer benutzt werden, aber für Dinge schon.
blooming: especially of women. to show healthy colour. blooming with health and beauty.
handsome: for men: equals beautiful [!]. a sturdy manliness. for women: in case of a radiant force of almost animal good health and vividness. formature women (sprich: alte Frauen), not for girls.

2. Eine zweite Gruppe sind diejenigen Wörter, denen keinerlei Selektionsbeschränkung zugeschrieben wird, die evtl. als Homonyme bezeichnet werden könnten. Sie unterscheiden sich jedoch wesentlich von Homonymen, insofern sie eindeutig nur zwei parallele Bedeutungen haben, die an die Ko-Okkurrenz geknüpft sind:

prim

(Mann)
(Frau)

neat. formal. (A very prim and proper old gentleman)
esp. of women. behaving in a stiff, self-controlled manner. easily shocked by anything rude or improper. (She's much too prim and proper to enjoy such a rude joke)
professional [Frau]
[Mann]
in der Bedeutung: Prostituierte
person who does something for payment that others do (without payment) for pleasure. In erster Linie akademische Berufe (Das »person« ist        auch ein Hinweis darauf, daß geschlechtsneutralen Wörter im Kontext unausgesprochen ihre Geschlechtlichkeit zugesprochen wird.)
frustrated   in Zusammenhang mit Frauen die Bedeutung >gehemmt<, >verkrampft<, mit eindeutig sexueller Konnotation; in Kollokation mit Männern oder                 nichtbelebten Nomen eine andere, nicht-sexuelle Bedeutung.
fine:   zusammen mit Frauen >fein<, >zart<, >hübsch<, >geziert<;
mit Männern: >edel<, >vornehm<.

Es gibt noch viele andere Beispiele dafür, wie die Bedeutung durch die Verknüpfung entsteht und daß die relevante Variable das Geschlecht ist. »Zweigeschlechtlichkeit« von Wörtern?)
3. Aus den in den Wörterbüchern angeführten Beispielsätzen lassen sich weitere Regeln erschließen für die Verteilung von Wörtern in sprachlichen Umgebungen, die geschlechtsspezifisch sind, die jedoch weniger an die Wörter selbst gebunden zu sein scheinen als das in der Gruppe vorher der Fall ist. Dies ist u. E. jedoch nicht kategorisch einzuordnen, sondern historisch. Sie sind als in dem Stadium befindlich einzuschätzen, in dem sich die vorher genannte Gruppe historisch früher befand. (Diese Hypothese ist zu überprüfen. Das Problem ist, daß ein einseitig linearer Bedeutungswandel vorausgesetzt wird!)

ready: >willing, inclined, dexterous, prompt<.
»She's too ready with advice«; »She's always ready to help«
Er dagegen: »A man of ready wit«; »He always has a ready answer«.
In Verbindung mit Frauen bekommt das Wort die Bedeutung von >bereit<, >willig<, während es bei den Männern eine aktive Komponente erhält, Geschicklichkeit und Flexibilität
embarrass: >cause to feel uneasy or self-conscious. involved in difficulties<:
»He was frequently embarrassed by debts aber:
»She was embarrassed when they asked her age«

honest: ist, >wer nicht lügt, nicht betrügt oder stiehlt<: »an honest man«; aber: «make an honest woman of somebody«, i. e. marrying her after having an affair with her!
ugly: kann bedeuten >nicht schön anzusehen<, >häßlich< oder >gefährlich<.
»She is rather an ugly woman« (Sie sieht also nicht schön genug aus.) Und: »Keep away from him — he
 is an ugly customer«. (er ist unangenehm und gefährlich)

plain:  

Bei der Analyse von narrativen Texten in Frauenzeitschriften sowie bei der Auswertung von Beispielsätzen in linguistischen Lehrbüchern (letztere von Männern geschrieben) gingen wir folgendermaßen vor: Zunächst stellten wir willkürlich Sätze zusammen mit Nominalphrasen mit geschlechtsspezifischer Referenz und mit geschlechtsneutraler Referenz. (Wie erwartet ergab sich, daß die »geschlechtsübergreifenden« Nominalphrasen männliche Referenz aufwiesen: »Which famous politician is alleged to have perjured himself? The Student handed in his paper«.)
Bei der Auswertung der Ko-Okkurenz der geschlechtsspezifischen Nomialphrasen stellten sich Unterschiede zwischen den narrativen Texten und den Beispielsätzen nur in der Eindeutigkeit und Massierung heraus.
Die Auswertung kann unter zweierlei Kriterien erfolgen:
1. Untersuchung der Diskurse (a) in ihrem Bezug auf Personen und Dinge, (b) in ihrem Bezug auf andere Diskurse.
2. Ausgehend von Wörtern und sprachlichen Ausdrücken als Konstanten im Vergleich zwischen weiblichen und männlichen Referenten.

zu 1.
z. B. Diskurs LIEBE:
bei Frauen: sie lieben den Mann, ihre Kinder, Kleidung und Schönheit. Das Verhältnis zum Mann: long for; help; worship; be in love with

Bezug auf andere Diskurse/
Einbindung:
doesn't feel ready;
ultra-sensitive;
loses her heart to him;
feels her heart thump;
her heart plunged;
feels a glow of pleasure

Dieser Diskurs ist verknüpft mit dem Diskurs der Gefühle. Das Innen der Gefühle (die Metapher »Herz«) wird mit dem Äußeren, der Schönheit und der Kleidung (fast alle Beispielsätze gehen darum, wie schön die Frauen und Mädchen sind) zusammengebracht. Für ihr Aussehen sind die Frauen nach den Texten kaum mehr verantwortlich als für ihre Gefühle (Mary is pretty, whatever she wears), die Frauen sind naturhaft auf ihren Körper bezogen (aus der Perspektive der Sprecher).
Bei den Männern sieht es differenzierter aus: sie sind aktiv (John picked Mary up; John kissed Mary), sie machen Fehler dabei (Falling in love with that ravishing blonde was your first mistake, your second mistake was marrying her); wenn sie dann geheiratet haben: John's mistreating his wife disgusted us. It is terrible, Melvin's divorcing Sally. Jack is tired of Sally. He is said to have killed his wife. (Die Sätze sind deshalb völlig unzusammenhängend, weil es ihre Funktion ist, grammatische Strukturen zu illustrieren.) Der Diskurs der Liebe ist für die Männer nicht mit dem der Gefühle verknüpft wie für die Frauen. Das zeigt sich auch in den narrativen Texten, wo die Männer unabhängig von der Liebe moderierte Gefühle zeigen »seems« »pleased«; »moody«;»compassionate«;»human«.

Zu 2.
Wir verglichen identische Wörter in ihren Ko-Okkurenzen mit der Variablen Geschlecht; wir führen exemplarisch an:

  career
she continued her teaching
career after her first two
children were born
(...) that decision marks
the beginning of Tom's career
in showbusiness

Im Deutschen haben wir zwei Wörter: berufliche Laufbahn/Beruf und Karriere. Dasselbe Wort in den verschiedenen Kontexten bedeutet Verschiedenes: zusammen mit »continue« bzw. »beginning« wird sprachlich jeweils die Bedeutung hergestellt, zusammen mit dem außersprachlichen Wissen »teaching« und »showbusiness«. Ähnliches geschieht durch das Wort »decide« bzw. »decision«. Zur Verdeutlichung die Passage:

»Meanwhile, Pat continued her teaching career after her first two children were born, as she was lucky enough to have her mother nearby to look after them. But, with Frances on the way, Pat decided she just had to give up her job -- and that decision marks the beginning of Tom's career in showbusiness.«

Es findet sich ein semantischer Bruch: »Pat decided she just had to give up her job.« (In dem Moment, wo sie ihren Beruf aufgeben muß, ist er nichts mehr wert, wie das Wort job deutlich macht.) Entschieden werden kann eigentlich nur, wo Alternativen zur Auswahl stehen, wo es eine Wahlfreiheit, -möglichkeit gibt. Mit dem gleichzeitigen »had to« wird eine solche Freiheit jedoch ausgeschlossen. Gehen wir davon aus, daß die Bedeutungen von Wörtern nicht feststehen, so daß wir nicht von einem »semantischen Bruch« reden können (wie es traditionell geschehen würde), wird hier also eine Bedeutung im Satz konstituiert. Mit »decide« wird hier die Bedeutung gestiftet, daß sie die Wahlfreiheit zwischen Beruf und Kindern hat, wo die Entscheidung für das letztere die Einsicht in die Notwendigkeit (»had to«) ist. (With Frances on the way) Damit klingt an, daß die Entscheidung eine Form der Rationalisierung ist, eine Form der Aneignung gesellschaftlicher Normen. Für ihn ist diese »decision« Schicksal. Anscheinend unabhängig von seinen Entscheidungen (er fällt explizit keine) wird die äußere Notwendigkeit zum Start seiner Karriere bis zum »top entertainer«.
Die theoretischen Probleme und Perspektiven, die sich aus derartigen Analysen ergeben, müssen verfolgt werden, wollen wir in die Auseinandersetzung, ob das Sprachsystem sexistisch ist oder »nur« der Sprachgebrauch, überhaupt eingreifen.
Praktisch folgt daraus, daß die Forderung, Frauen sprachlich sichtbar zu machen und positiv zu bezeichnen, differenziert werden muß. Aber die Durchsetzung dieser Forderung reicht allein nicht aus, wenn nicht auch andere herrschende Diskurse zerstört werden.
Fesselnd ist nicht die Ausgrenzung von Frauen allgemein, sondern die Entnennung in einem Diskurs bei gleichzeitiger Einbindung in einen anderen, wodurch etwas anderes hergestellt und anders gelebt wird. Vgl. dazu die Hausarbeitsdebatte. Was bedeutet z. B. die Forderung »Recht auf Arbeit«? Recht auf Lohnarbeit, auf Erwerbstätigkeit. Dadurch wird unbezahlte Arbeit entnannt, sie wird aus dem öffentlichen, politischökonomischen Diskurs ausgeschlossen. (Dieser Ausschluß findet dann auch weiter in Statistiken statt: So werden z. B. in einer italienischen soziolinguistischen Studie Frauen kurzerhand unter die Kategorie »inaktive Bevölkerung« (neben Studierenden und Rentner/inne/n) gebraucht. Für Männerberufe gibt es dagegen ca. 10 Bezeichnungen. Giacalone, 1979, 46). Das wäre nicht das Schlimmste. Sie taucht jedoch in den Oppositionen öffentlich-privat, Familie und/oder Beruf, Familie oder Partei auf, allerdings anders benannt: Liebesdienst, Hausfrauenpflicht, Pflege, sich um die Kinder kümmern. Die Tätigkeiten der Frauen sind also äußerst sichtbar, aber in einem Diskurs mit völlig anderen Werten, Bedeutungen und Konnotationen. Feministinnen sprechen daher von Hausarbeit, von »Beziehungsarbeit« (statt Liebe). Andere wiederum bleiben in den herrschenden Diskursen drin: »Resultate weiblicher Produktivität« gegenüber »Produkten männlicher Arbeit«.

3. Geschlechteridentität und Sprachforschung

Traditionelle Soziolinguistik und Frauenforschung untersuchen »geschlechtsspezifisches« Sprachverhalten, bzw. Sprache und Sprachverhalten unter »geschlechtsspezifischen« Gesichtspunkten, allerdings unter verschiedenen Fragestellungen: die Soziolinguistik untersucht in erster Linie Sprache/Sprechen als Mittel der Identitätsfindung bzw. -bestimmung in Gruppenzusammenhängen. Die Variable »Geschlecht« war z. B. im quantitativen Paradigma nur dann relevant, wenn signifikante Unterschiede auffielen, die dann als »abweichendes Verhalten der Frauen« benannt wurden. Die Fragestellung von Feministinnen war: sprechen Frauen anders als Männer? Wie sind Unterschiede zu bewerten? Als Defizit oder Differenz? (Die Debatte aus der Soziolinguistik, z. B. Bernstein vs. Labov, schien sich zu wiederholen; vgl. Lakoff als Vertreterin der Defizithypothese, Spender für die Differenz.)
Sind die Unterschiede so kategoriell, daß von Männer- und Frauensprache gesprochen werden kann?
Feministinnen forschen immer unter dem Aspekt der Befreiung: werden Frauen durch Sprache und Sprachverhalten unterdrückt? Wie geschieht diese Unterdrückung, Benachteiligung, Diskriminierung (Stichwort »Sexismus«)? Und wie müssen wir Frauen (natürlich auch die Männer) unsere Sprache und unser Verhalten verändern, damit wir nicht mehr sprachlich diskriminiert werden? (Also die Frage der sprachpolitischen Umsetzung unserer Erkenntnisse.)
Trotz der genannten Unterschiede der Forschungen fällt eine Gemeinsamkeit auf: die Variable oder Kategorie »Geschlecht« wird mit »Frauen« gleichgesetzt. Sie sprechen von »Geschlechtsspezifik« und meinen Frauen. Feministinnen werfen der männlichen Forschung vor, die Frauen nicht berücksichtigt zu haben. Wir meinen, daß es nicht darum gehen kann, in den Forschungen das Kapitel »Die Frau« anzuhängen, sondern daß die Kategorie »Geschlecht« insgesamt grundsätzlich in jede Forschung eingehen muß. Das geht über das Bisherige insofern hinaus, als unter dieser Fragestellung auch die Männer unter anderen Gesichtspunkten betrachtet werden.
Es gibt nicht nur die Polarisierung von weiblich/männlich, sondern vor allem die Opposition von Geschlecht und Nicht-Geschlecht. Black/Coward (1981) stellen die These auf, daß mit der Entstehung und Entwicklung des Kapitalismus, der bürgerlichen Ideologien und des bürgerlichen Staates der bürgerliche politische Diskurs »den Bürger« aus der Abstraktion von Klasseninteressen konstituierte. Er konstituierte ihn nicht nur als klassenlosen sondern auch als geschlechtslosen Menschen. Ihn, den Mann. (Überlegungen zur Grammatik und Sprachreform und zur Einführung und Durchsetzung der »unmarkierten« männlichen Formen in der Sprache begannen in England im 16. Jahrhundert.) Im philosophischen Diskurs des Bürgertums ist nachzuvollziehen, wie das Geschlecht mit den Frauen gleichgesetzt wird, wie die Frauen das Geschlecht verkörpern. (Vgl. z. B. Diderot, Definition in der Encyclopedie: »le sexe (ou plutôt le beau sexe) est l'épithète qu'on donne aux femmes.«)
Unser Forschungsinteresse sind nicht »die Frauen« — als Verkörperung eines/des Geschlechts —, sondern die analytische Kategorie Geschlecht, als ein wesentlicher Aspekt der gesellschaftlichen und persönlichen Existenz der Menschen. Wir müssen in der Frauenforschung aber auch andere Aspekte berücksichtigen.
Geschlecht verstehen wir im Sinne von »gender«, d. h. wir erforschen die gesellschaftliche, kulturelle, sprachliche Konstituierung von Geschlecht. (Vgl. dazu vor allem Barrett 1980; aber auch Jenkins/Kramarae 1981 und Sayers 1982.)
Das kulturelle Geschlecht (gender) ist aus vielen Komponenten zusammengesetzt: diese gilt es auseinanderzunehmen. Uns interessiert dabei besonders, wie die Konstitution der Einheit sprachlich geschieht und wie wir uns durch den Gebrauch dieser Sprache als Geschlechtersubjekte herstellen und einordnen.
Wir wenden uns auch gegen Ansätze, die Weiblichkeitsmythen reproduzieren wie: »Ein Gespräch mit Frauen ist unmittelbare Befriedigung, ist ein Reichtum, mit dem wir alles bewältigen können« oder wie sie im französischen feministischen Diskurs auftauchen. Dazu Runtes Kritik:

»Die Frau affirmiert sich als unmittelbare Sinnlichkeit, stagniert also auf den ihr traditionell reservierten Posten, nur daß sie sich inzwischen etwas mehr Ekstase und Exzentrik dabei erlaubt. (...)
Den Frauen wird ein besonderer Zugang zu verbaler Kreativität unterstellt, sei es durch ihre Fähigkeiten der Offenheit, Großzügigkeit, Intuition, Intimität, etc.« (Runte 1977)

Diese Art des mystifizierenden feministischen Diskurses war ein Anlaß für die folgende Geschichte.

4. Erfahrung mit Sprache und Sprechen [4]

Einen Teil der Frauenforschung zu Sprache und Sprechen macht die Untersuchung und Interpretation von Gesprächen aus. Dabei wird häufig festgestellt (vgl. u. a. Trömel-Plötz. 1982), daß Frauen in gemischtgeschlechtlichen Gesprächen weniger sprechen als Männer, gleichzeitig aber von Männern und von Frauen das Frauensprechen als quantitativ mehr wahrgenommen wird. (Vgl. Spender 1980) Frauen werden häufiger unterbrochen, sie selbst dürfen jedoch nicht unterbrechen bzw. wird das besonders negativ angekreidet. Frauen müssen jedoch in manchen Situationen den Zusammenhalt, die Harmonie mit Sprechen organisieren.
Wir können aber nicht — wie dies oft geschieht — Sprechen nur auf der Seite der Dominanz ansiedeln, Sprechen bzw. Schweigen mit Macht- bzw. Ohmachtpositionen verbinden. Die Korrelation kann gegenteilig aussehen. (Schweigend andere auflaufen lassen; aus Unsicherheit reden müssen; sich durch Reden bloßstellen; usw. »Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.«)
Wir haben versucht, anhand einer Alltagsgeschichte eine konkrete Kommunikationssituation unter Frauen darzustellen und zu bearbeiten. Zum einen lassen wir uns selbst auf diese Weise nicht als Beobachterinnen draußen und knüpfen so an unsere eigene Erfahrung an. Wir meinen zum zweiten, daß die Situation damit differenzierter beschrieben und bearbeitet werden kann und sich genauere Fragestellungen für die Forschung entwickeln lassen. Wir halten uns dabei teilweise an die Erfahrungen, Vorschläge und Methoden der »Kollektiven Erinnerungsarbeit«, die im Band »Frauenformen 2, Sexualisierung der Körper« (1983) beschrieben werden. Wir weichen insofern davon ab, als wir keine langfristige Erinnerungsarbeit leisten, wir beschreiben eine verhältnismäßig neue Situation, die nicht das Einüben und Aneignen von Haltungen zeigt, sondern ihr Wirken heute. Uns interessiert dabei, welche Faktoren in Kommunikationssituationen mitspielen; z. B. gesellschaftliche Strukturen (hier in Form der Hierarchie von Studentinnen und Dozentin); welche Vorstellungen von Sprechen in unserem Alltagswissen existieren; welche Verhältnisse wir, und wie, mit Reden bzw. Schweigen herstellen.
Als Sprachwissenschaftlerinnen interessieren uns langfristig besonders die Vorstellungen von Sprache und Sprechen, denn wir denken, daß sie die Arbeit in der Wissenschaft beeinflussen, ohne daß sie je explizit gemacht werden. (So machten wir die Erfahrung, daß Linguistinnen das Geschichtenbearbeiten in unserem Kreis aufgaben, weil dies nichts mit ihrem beruflichen Interesse zu tun hätte.) (Fußnote: Wir stellen uns vor, daß Kindheitsgeschichten besonders zum Verhältnis von Dialekt und Hochsprache, zu sprachlichen Normen als Form einer ideologischen Instanz aufschlußreich sind. Daß wir eben nicht nur selbst »verbessert« wurden, sondern diese »verbesserte« Sprache als Wert übernommen haben.)
Die vorliegende Geschichte ist also Ausgangspunkt für Aneignungsgeschichten, die die gegenwärtigen Verhaltensmuster in ihrer Einübung in der Vergangenheit aufspüren sollen. Es handelt sich um die Schwierigkeit alternativer Praxen im Umfeld eingefahrener Vorstellungen und Haltungen, relevant auch für feministische Praxis.

An der Uni — wenn Frauen reden.
Die beiden Frauen gehen in das Seminar: Sprachbiografien — Erfahrungen mit Sprache und Sprechen. Nach der ersten Woche, in der ich versuchte, die verschiedenen Stränge aufzuzeigen, die bis zur »Methode« des Geschichtenschreibens als Erforschungsmethode
5 geführt haben, bildeten sich Arbeitsgruppen von zwei bis vier Leuten, die sich unter einem bestimmten Thema ans Geschichtenschreiben machen wollten. Diese Arbeitsgruppenzeit soll ungefähr 4 Wochen dauern. In dieser Zeit bin ich während der 1 1/2 Stunden, in denen das Seminar stattfinden würde, in meinem Zimmer und stehe
10 sozusagen zur Verfügung. Die beiden Frauen nutzen gleich die erste Gelegenheit und kommen, um genauer nachzufragen. Eine von ihnen, sie hat im letzten Semester ein Seminar bei mir besucht, redet vor allem, die andere nickt, vielleicht sagt sie auch hin und wieder einen Satz. M., das ist die Redende, fragt gleich, ob ich das mit der
15 Geschichte so oder so meine, ob da eher die Gefühle, die frau/man hat, in bezug aufs eigene Reden oder auch das der anderen, beschrieben werden sollen, oder ob das Gespräch genau wiedergegeben werden soll. Sie habe da nämlich schon eine Geschichte, dabei schlägt sie ein Heft auf, sie habe sie auch schon A.,
20 das ist die andere Frau, erzählt; auf meine Nachfrage, ob sie sie schon aufgeschrieben hatte, sagt sie nein, eher nur so ein paar Notizen. Sie schaut dabei wieder auf ihr Heft. Damit sie nicht anfängt, mir die Notizen zu zeigen oder gar vorzulesen (weil ich mich ja auch an die Argumentinnen-Geschichten-Schreibregeln halten
25 will), weil ich ja auch gar nichts dazu sagen will, etwa in der Art, ja so hab ich's mir vorgestellt oder so ähnlich, rede ich irgendwie weiter, sage aber erst einmal nicht explizit (ich mache es später), daß es meiner Meinung nach forschungsmethodologisch wichtig ist, daß sie sich in der Gruppe mit dem ganzen Zeug auseinandersetzen und daß
30 ich höchstens noch irgendwelche anderen Informationen geben kann, aber sie eigentlich sich selbst überlasse, ohne jetzt große Anleitungen zu geben. Ach so, sagt daraufhin A., du willst also sozusagen emanzipatorische Kurse machen. Das kam aber beim ersten Mal nicht deutlich heraus, fügt M. hinzu. Ehrlich gesagt, redet sie weiter,
35 war ich so richtig entsetzt, wie du geredet hast, in der ersten Sitzung. Unkonkret, ich kam mir so richtig überfahren vor. Ich habe ohnehin versucht nachzufragen, wie du es meinst, ob du es so oder so meinst. Ja, sagt A., du hast, noch ehe du sozusagen Hut und Mantel abgelegt hattest, schon zu reden begonnen. Und das ging dann so
40 weiter, wie ein Wasserfall. — Mir hatte es nach und nach ziemlich die Sprache verschlagen. Ich hab dann noch die Wasserfall-Geschichte von meinem Vater erzählt. A. sagte noch, sie habe überhaupt Schwierigkeiten, etwas zu sagen. Ich, Chr., sagte darauf gar nichts mehr. Wir lachten uns alle drei sehr verlegen, verstummt an, sagten tschüß, oder sowas, und draußen waren die beiden.

Bemerkung:
Wir führen keine spezifische linguistische Methode der Textanalyse vor, sondern versuchen, die in der genannten Literatur gezeigten Analyseschritte vorzuführen. Wir haben allerdings eine besondere Schwierigkeit dabei mit der doppelten Sprachebene: die Sprache der beschriebenen, konkreten Situation und die Sprache der Beschreibung selbst in der Geschichte. Es ist eine Gratwanderung zwischen der Analyse gesprochener und geschriebener Sprache, wenn wir versuchen, das wirklich Gesagte zu rekonstruieren. Es kommt uns auch darauf an, wie die Schreiberin die Situation verarbeitet, wie sie sie in Form des Geschriebenen interpretiert und wie sie sich selbst in ihr darstellt.
Ein zweites Problem ist bei dieser Art von Geschichten, wie wir mit der Sprache der anderen Personen der Situation umgehen sollen, denn hier kann noch weniger rekonstruiert und nicht nachgefragt werden.
Bearbeitung:
Im folgenden zeigen wir nur einzelne Punkte aus unserer Bearbeitung; da wir die Methode erst ausprobieren, ist es noch nicht sehr systematisch.
Ungenauigkeiten:
Es gibt viele Vagheits- und Abschwächungspartikeln, wie »sozusagen«, »irgendwelche«, »eigentlich«, »irgendwie«, »vielleicht«. Nach bisherigen Frauenforschungsergebnissen ist dies ein Indikator für typisches Frauensprechen, das unterschiedlich interpretiert wird: entweder als Hinweis auf Unsicherheit der Sprecherin oder aber als Offenheit für Kommunikation. Aus dem Kontext der Geschichte wird eine besondere, inhaltlich gefüllte Sprechsituation deutlich: die Schreiberin möchte gleichzeitig Anleitung und Anregung geben und doch nichts Festes vorgeben. (Unsicherheit und Offenheit zur selben Zeit?)
Ein weiterer Aspekt der Wortwahl ist, daß sie sich nicht genau genug erinnert; den Ungenauigkeiten muß nachgegangen werden. z.B. Zeile 26: »rede ich irgendwie weiter«. Was hat sie denn gesagt? Woher diese Unsicherheit, der Widerspruch zwischen ihren Ansprüchen an Selbsttätigkeit der Studentinnen und deren Erwartungen kommen, wird in Zeilen 9 und 30/31 deutlicher: »Ich stehe sozusagen zur Verfügung.,, und »... aber sie eigentlich sich selbst überlasse, ohne jetzt große Anleitungen zu geben.« Sie will bewußt keine Anleitungen geben. Warum sagt sie das nicht so? Was bringt sie dazu, keinen eindeutigen negativen Bescheid zu geben?
Eine weitere Ungenauigkeit, die auf die Uni-Situation hinweist, ist in Zeile 5/6: »unter einem bestimmten Thema.« Von wem wird das Thema bestimmt? Selbstbestimmung oder Bestimmung »von oben«? Wie gehen wir sprachlich in den Situationen vor, in denen wir strukturell Autorität besitzen, sie jedoch nicht mit den Verhaltensmustern ausfüllen wollen, die wir damit verknüpfen? (Fußnote zur »strukturellen Autorität«: Es würde sich auch lohnen, die Bearbeitung selbst nochmal auf ideologische Begriffe, die miteinfließen, hin zu untersuchen, wie hier das modifizierende »strukturell«. »Autorität« ist offensichtlich so besetzt, daß es modifiziert werden muß, damit wir uns davon distanzieren können, wir wollen keine »Autorität« haben.) Das Wort »Gestimmt« führt im übrigen auf andere Verwendungen: »so ein ganz bestimmtes Gefühl«, mit denen genau das Gegenteil ausgedrückt wird, nämlich eine ungeheuere Vagheit; mit der Benennung jedoch wird ein Einverständnis hergestellt, wird an Empathie appelliert, es bedeutet: »dieses Gefühl, das wir doch alle kennen...«, fast ein Klischee.)
Zur Sprache: Die Behandlung des Wortes »Methode« in Zeile 4 Einmal steht es mit Anführungszeichen, das andere Mal ohne und in Verbindung mit dem unüblichen »Erforschungs-«. Das Dilemma mit der »Erforschungsmethode« ist, daß sie nicht — wie andere Methoden (z.B. narratives Interview) — direkt vermittelbar ist, sondern in Selbsttätigkeit angeeignet wird. Die Schreiberin benutzt die Schreibweise mit Anführungszeichen, um ihre Vorgehensweise von den traditionellen Methoden, die immer Beforschungsmethoden sind, eindeutig abzugrenzen. Sie schafft bewußt ein neues Wort, das nur positive Konnotationen hat. Allerdings ist auch denkbar, daß noch andere Haltungen für die Verwendung der Anführungsstriche eine Rolle spielen: Unsicherheit, ob es wirklich eine Methode und damit wissenschaftlich ist, da Vorstellungen und Normen über wissenschaftliche Methoden noch mitspielen. Oder eine Art Distanzierung von der Methode, Hinweis dafür könnte auch der Ausdruck »die Argumentinnen-Geschichten-Schreibregeln« (Zeile 24) sein.
Klischees: Zeile 40: »Mir hatte es nach und nach die Sprache verschlagen.« Was genau fühlte die Schreiberin in der Situation? Das Klischee organisiert bei verschiedenen Leserinnen sicher unterschiedliche Vorstellungen, es organisiert den unausgesprochenen Konsens, wie frau/man sich in einer solchen Situation fühlt und verhält. Dadurch wird jedoch unterschlagen, verhindert,daß bewußt gemacht wird, darüber gesprochen wird, welche Gefühls- und Reaktionsvarianten es in einer derartigen Situation gibt; welche Bedeutung die jeweilige Reaktion hat. Aufgrund unterschiedlicher Verhaltensweisen auf Gefühle interpretieren wir unterschiedlich. Eine Bearbeiterin ging davon aus, daß die Schreiberin auf das Unverständnis von A. und M. wütend reagiert, weil sie Schweigen als Ausdruck von Wut versteht, da sie selbst, wenn sie wütend ist, schweigt. Zeile 40: »reden wie ein Wasserfall.« Die Schreiberin fragt nicht genau nach, was A. darunter versteht, wie ihr Reden gewirkt hat, warum sie dieses Bild benutzt. Mit dem impliziten Einverständnis, das durch dieses Klischee zwischen A. und der Schreiberin hergestellt wird, behindert sich die Schreiberin. Sie wird weiter in ihrer Vermutung bestärkt, daß ihr Reden der Zuhörerin/dem Zuhörer »zuviel« sei, sie versteht es als freundliche Aufforderung, zu reden aufzuhören. Als erste Reaktion erklärt sie A.: »Ich hätte das Thema ,Oral History' noch weiter ausführen müssen, das wäre aber zu lang geworden.« Sie versteht unter diesem »Zuviel« für die Hörer/innen, daß sie zuwenig »gesagt« hat, zuwenig Informationen gegeben hat. Einen Hinweis auf die Unverständlichkeit als Grund des »Zuviel« geben die Zeilen 33/34: »Das kam beim ersten Mal nicht deutlich heraus.« Das Klischee »wie ein Wasserfall reden« kann verschiedene Assoziationen hervorrufen: ein ununterbrochener und nicht-unterbrechbarer Rede»strom«, ein »Plätschern«, monotones Reden, unstrukturiertes Reden, stetige Aneinanderreihung von Wörtern und Sätzen, usw.
Um deutlich zu machen, warum die Schreiberin zuerst mal auf das Stichwort »Wasserfall hin verstummt, fügen wir einen Ausschnitt aus einer Kindheitsgeschichte an, ohne sie zu analysieren: Mein Vater hat mich wahrscheinlich von der Schule abgeholt. Weil es um diese Zeit schon dunkel ist. Aber in der Wohnküche, in der ich vom Schulnachmittag erzähle, ist es nicht dunkel. Das Licht, natürlich schön angenehm und gemütlich, ist schon eingeschaltet. Ich erzähle jedenfalls. Ich glaube, daß ich alles eher meiner Mutter erzähle. Wenn mich mein Vater abgeholt hat, habe ich ihm vielleicht schon etwas erzählt. Aber sicher nicht so, oder das, wie oder was ich meiner Mutter erzähle. So kann ich jetzt auch sagen, daß er sich mit einem Satz »In Erinnerung bringt«. Zu meiner Mutter sagt er, zwar vergnüglich lächelnd: »W., spann den Regenschirm auf. Unser Wasserfall kommt« Wir haben alle drei (?) gelacht. Ich weiß aber nicht mehr, ob ich dann noch weitererzählt habe.
Weitere Erkenntnisse der Bearbeitung: Zeile 10. Hier fragte eine Bearbeiterin nach, warum A. wohl »mitgekommen« sei, wenn sie doch so wenig sagt. In der Geschichte steht »Die beiden Frauen nutzen gleich die erste Gelegenheit«, also nichts von »Mitkommen«. Die Bearbeiterin fragt sich in dem Moment, warum sie diese Sichtweise eingenommen hat. Dem liegt zugrunde folgende Vorstellung: wenn jemand nicht spricht, hat sie kein besonderes Interesse an der Angelegenheit, sie ist nicht die Initiatorin. Nach ihrer eigenen Erfahrung jedoch schweigt sie selbst hauptsächlich, besonders in solchen Situationen, obwohl sie durchaus ein Interesse daran hat. Hier setzte sich offensichtlich hinterrücks eine gesellschaftliche stereotype Vorstellung durch, die mit den eigenen Erfahrungen nichts zu tun hat. Die Geschichte hat uns auf eine Forschungsfrage geführt, in Abgrenzung bzw. Differenzierung der Hypothesen, Fragestellungen und Ergebnisse der »feministischen Linguistik«, nach denen Frauen entweder aus Ohnmacht schweigen oder die Gesprächs»dreckarbeit« machen. Unsicherheit oder Unterordnung kann durch Schweigen oder Reden ausgedrückt, Macht durch Reden oder Schweigen ausgeübt werden. Welches von beiden wir jeweils wählen, kann sehr verschiedene Ursachen haben, Unterschiedliches ausdrücken und verschieden verstanden werden. Darüberhinaus ist deutlich geworden, daß die Kategorien Macht/Unterordnung für die Analyse und Beschreibung von Rede- und Schweigeverhalten nicht nur nicht ausreichen, sondern, wenn wir sie weiter ausschließlich verwenden, dazu führen, daß wir in gängigen Wahrnehmungsweisen steckenbleiben und sie damit stabilisieren. Weiterhin ergibt sich die Frage nach der Beidseitigkeit von Bedeutungen und nach der Macht von Stereotypen: aufgrund individueller Erfahrungen mit daraus resultierender unterschiedlicher Interpretation von Reden/Schweigen entstehen Mißverständnisse. Bei unserer Bearbeitung stellte sich heraus, daß Stereotype die individuellen Erfahrungen überlagern und verdrehen, unsere Interpretation gar im Gegensatz zur Erfahrung bestimmen können.
Im Anschluß ließe sich in weiteren Geschichten die Frage nach der Empathie(-fähigkeit) und den Antizipationsstrategien in der Kommunikation verfolgen. Sind sie Ausdruck von unbewußten gesellschaftlichen Stereotypen, die die Kommunikation steuern? Wir denken dabei an die Unterstellungen, die teilweise das Verhalten der Handelnden bestimmen.