Zwei Entwicklungen haben vor allem die zweite Phase der sozialen Revolution, die die Gleichberechtigung der Frau einen wesentlichen Schritt der Verwirklichung näherbrachte, eingeleitet: einmal die erheblich gestiegene durchschnittliche Lebenserwartung, und zum anderen der Wandel in der Familiengröße und -struktur. Diese bevölkerungspolitischen Veränderungen machen ein gründliches Neudurchdenken der gesellschaftlichen Aufgabe der Frau unbedingt erforderlich.
Die höhere Lebenserwartung
Im Vergleich zu früheren Generationen hat die Frau heute nicht nur ein, sondern zwei Leben als Erwachsene zu leben. Die nüchterne Sprache der Bevölkerungsstatistik drückt die geschichtliche Tatsache aus, daß die durchschnittliche Lebenserwartung eines Neugeborenen sich im Laufe der letzten hundert Jahre fast verdoppelt hat. Ein heute in fortschrittlichen Ländern geborenes Mädchen wird im Durchschnitt ein Alter von 70 und mehr Jahren erreichen. Diese Zunahme ist in erster Linie auf den außerordentlichen Rückgang der Säuglingssterblichkeit zurückzuführen; aber die Fortschritte in der medizinischen Wissenschaft, die verbesserte Hygiene usw. haben auch die das Leben in späteren Jahren bedrohenden Gefahren verringert. Während z. B. die Lebenserwartung eines neugeborenen Mädchens in Großbritannien in den letzten hundert Jahren um 70 vH zugenommen hat, betrug die entsprechende Zunahme für ein Lebensalter von 25 Jahren 35 vH. In Jahren ausgedrückt, bedeutet das für die Neugeborene eine Erhöhung der Lebenserwartung um 30 Jahre und für die 25-jährige um etwa 13 Jahre. Im Laufe der letzten zehn Jahre hat sich die durchschnittliche Lebenserwartung in den untersuchten Ländern um weitere 1 bis 2 Jahre erhöht.
Im durchschnittlichen Heiratsalter hat die Frau heute noch ein halbes Jahrhundert oder mehr vor sich. Was dieser Fortschritt wirklich bedeutet, zeigt sich am besten bei einem Vergleich mit dem vorigen Jahrhundert. Während 1850 die Hälfte der weiblichen Bevölkerung noch vor Erreichung des 45. Lebensjahres starb, erleben heute fast 90 vH dieses Alter, und 70 vH werden 65 Jahre alt - ein Alter, das vor hundert Jahren nur von einem Drittel aller Frauen erreicht wurde. Das ist ein beträchtlicher Fortschritt. Hinzu kommt, daß diese zusätzlichen Jahre nicht eine Verlängerung des Greisenalters und des Dahinsterbens bedeuten, sondern einen echten Zuwachs an Jahren voller Gesundheit und Vitalität.
Diese längere Lebensdauer ist selbstverständlich nicht auf das weibliche Geschlecht beschränkt, aber die folgende Tabelle zeigt doch, daß sie für Frauen in den Ländern, auf die sich diese Untersuchung bezieht, ausgeprägter ist als für Männer:
Eine neue Einstellung gegenüber dem Altern
Die erhöhte Lebenserwartung hat weitreichende Konsequenzen, die sich auf wirtschaftlichem, sozialem und psychologischem Gebiet bemerkbar machen. Eine ihrer Auswirkungen ist der allmähliche Wandel in der allgemeinen Einstellung gegenüber dem Altern. Dieser Wandel drückt sich in der neuen, zuversichtlicheren Art aus, mit der man im fortschreitenden Lebensalter seine eigenen Fähigkeiten und Aussichten abschätzt, und ebenso in der objektiven Anerkennung dieser besseren Möglichkeiten. Der Gedanke, daß man das Alter eines Menschen nicht einfach nach der Zahl seiner Lebensjahre bemessen kann, gewinnt allmählich an Boden, wenigstens unter Soziologen, Gerontologen (Spezialisten der Altersmedizin) usw. Natürlich ist die Ansicht, »ein Mensch ist so alt, wie er sich fühlt«, nicht neu; aber noch nicht lange hat die Wissenschaft zur Kenntnis genommen, welche Wahrheit dieser weitverbreiteten Redensart zugrunde liegt. Um dies klarzumachen, ist die Bezeichnung »biologisches Alter« im Gegensatz zum »chronologischen Alter« geprägt worden.
In einem Referat vor dem Internationalen Bevölkerungskongreß im September 1954 in Rom bezeichnete Professor Henri Laugier von der Sorbonne das »chronologische Alter« als »einen Begriff von lächerlich unzulänglicher Art«, der, wie er sagte, »sich lediglich dadurch auszeichnet, daß er - wenigstens in unserer westlichen Gesellschaft - exakt meßbar ist«. Er schlug als besonders dringlich vor, Forschungsarbeiten durchzuführen, um einen Maßstab zu finden, mit dessen Hilfe man das »wirkliche biologische Alter« eines Menschen bestimmen kann, analog zu der Methode, mittels der das »Entwicklungsalter« kleiner Kinder - d. h. ihr Zurückbleiben oder Vorauseilen in der Entwicklung, verglichen mit der Norm ihrer jeweiligen Altersgruppe - festgestellt wird. Denn, so betonte Professor Laugier, die Schwankungsbreite hinsichtlich des »wirklichen, biologischen Alters« eines Menschen wächst mit der Zahl der Jahre und ist dann besonders groß, wenn das chronologische Alter einer Person als Kriterium für die Bewertung ihrer Arbeitsleistung herangezogen wird. Bei einem chronologischen Alter von 70 Jahren kann das biologische Alter soweit abweichen, wie es etwa dem Unterschied zwischen dem chronologischen Alter von 50 und 90 Jahren entspricht.
Physische und geistige Leistungsfähigkeit bestimmen das biologische Alter eines Menschen nur zum Teil. Ebenso entscheidend dafür ist, wie sich der Einzelne altersmäßig selbst einschätzt. In dieser Hinsicht sind große Veränderungen in der Einstellung der Menschen vor sich gegangen, die sich ganz besonders deutlich im Leben der Frau abzeichnen. Heutzutage fühlt sich eine 36-jährige Frau in der Blüte ihres Lebens. Sie würde mit Erstaunen auf dem Bild einer stattlichen, gereiften Matrone aus dem 17- Jahrhundert die melancholische Inschrift lesen:
Meine Kindheit ist vergangen, die mein Fleisch verschönte, und meine Jugend ist dahin, die mir frische Farbe gab,
ich bin nun endlich in jene reifen Jahre gekommen, die mir sagen, daß meine fröhlichen Tage vorbei sein müssen,
und darum, Freund, hat die Zeit mich so sehr verändert:
Ich war einst jung und bin nun, wie du mich siehst.
AETATIS XXXVI
Vor hundert Jahren, zu Balzacs Tagen, hatte »die Frau von dreißig Jahren« einen kritischen Lebensabschnitt erreicht. Wenn sie dann noch nicht die Würde des reiferen Alters angenommen hatte, war sie eine tragische oder eine lächerliche Figur. In den Augen der Welt und höchstwahrscheinlich auch in ihren eigenen - war sie endgültig passee.
Noch vor einem Menschenalter hielt ein die Frau erforschender Wissenschaftler wie Freud das Alter von 30 Jahren für einen Schlußpunkt in ihrem Leben. So sagte Freud in seiner Vorlesung zur Psychologie der Frauen: »Idi muß hier einen Eindruck erwähnen, den man immer wieder in der analytischen Tätigkeit erfährt. Ein Mann um die 30 erscheint als ein jugendliches, eher unfertiges Individuum, von dem wir erwarten, daß es die Möglichkeiten der Entwicklung, die Ihm die Analyse eröffnet, kräftig ausnützen wird. Eine Frau um die gleiche Lebenszeit aber erschreckt uns häufig durch ihre psychische Starrheit und Unveränderlichkeit. Ihre Libido hat endgültige Formen angenommen und scheint unfähig, sie gegen andere zu verlassen. Wege zu weiterer Entwicklung ergeben sich nicht; es ist, als wäre der ganze Prozeß bereits abgelaufen, bliebe von nun an unbeeinflußbar ... « Freud glaubte, dieser psychologische Prozeß sei das Ergebnis einer konstitutionellen Anlage.[1]
Es scheint müßig, sich zu fragen, ob Freud dreißig Jahre später die gleichen Beobachtungen gemacht hätte. Seine Auffassung, daß wir es mit einem konstitutionellen Unterschied zwischen Mann und Frau zu tun hätten, würde heute zweifellos kritischer aufgenommen werden. Auf jeden Fall deutet vieles darauf hin, daß der »schlußpunkt« zumindest um zehn Jahre, wenn nicht mehr, hinausgeschoben worden ist, seit Freud seine »Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse« veröffentlichte, und daß viele Frauen selbst mit vierzig Jahren heute der Ansicht sind, daß sie noch nicht »die Möglichkeiten weiterer Entwicklung ausgeschöpft« haben. Wir finden heute auch immer mehr Menschen, die ihre Lebenslust erheblich längere Zeit demonstrieren. Die französische Romanschriftstellerin Colette mag hier als ein Extremfall für die »neue« Einstellung angeführt werden- An ihrem 8o. Geburtstag erklärte sie Journalisten, wie schwierig es sei, sich mit dem Greisenalter abzufinden. »Wenn man doch noch 58 wäre«, seufzte sie, » denn dann wird man immer noch begehrt und ist voller Zukunftshoffnung«. Und nun erklärt Dr. Kinsey, gestützt auf eine Fülle von statistischem Material, daß selbst auf dem Gebiet sexueller Entwicklung - wo man bisher immer glaubte, daß Frauen früher reifen und schneller verblühen als Männer - diese generellen Ansichten überholt sind und den Tatsachen widersprechen.[2] In unserer westlichen Zivilisation scheinen die Frauen den Höhepunkt der Geschlechtsreife später zu erreichen und ihre sexuelle Leistungsfähigkeit viel länger zu behalten, als unsere gesellschaftliche Moralauffassung es anerkennen will.
Passen sich die meisten Frauen auch subjektiv der vollen Erkenntnis ihrer veränderten körperlichen Verfassung an? Das ist schwer zu sagen, weil die alten Denkschemata fast völlig unverändert neben den neuen Leitbildern fortbestehen. »Großmutter« wird in den Zeitungsanzeigen noch immer als sanfte, leicht gebrechliche alte Dame im weißen Haar abgebildet - am liebsten beim Märchenerzählen inmitten von lockenköpfigen Enkelkindern. Die Tatsache, daß Frauen in den Vierzigern oder frühen Fünfzigern Großmutter werden, und daß sie als Alterstyp nicht viel anders als Marlene Dietrich auszusehen brauchten, wird sich vielleicht erst in fünfzig Jahren auf die Massenklischees auswirken - trotz der heutigen Werbung für Kosmetika, Haarfärbemittel usw., die die Frauen davon zu überzeugen versucht, daß sie mit 65 Jahren wie 20 aussehen können.
Auf der anderen Seite gibt es eine Unmenge von Publikationen mit Titeln wie Das Leben beginnt mit Vierzig, Jugend jenseits von Vierzig, Schönsein auch über Vierzig usw., die gerade durch ihren schwungvollen Redefluß mißtrauisch machen. Aber sie sind ohne Zweifel ein augenfälliger Beweis für den weitverbreiteten Wunsch, die Zeitspanne fortgesetzter Entwicklung und des Heranreifens der Persönlichkeit auszudehnen; sie zeugen für eine noch etwas gezwungene und selbstbewußte Weigerung, die »letzten Stellungen zu beziehen«.
Wenn man den unvermeidlichen Zeitverlust bei der Anpassung an die durch ein längeres und gesünderes Leben geschaffene neue gesellschaftliche Lage berücksichtigt, muß man anerkennen, daß eine große psychologische Umwandlung doch bereits vor sich gegangen ist. Sie beweist deutlich die enge Wechselbeziehung zwischen der objektiven gesellschaftlichen Wirklichkeit und der subjektiven persönlichen Reaktion. Die persönliche Einstellung des Menschen spiegelt die gesellschaftliche Situation und ist für diese zugleich ein wichtiger Faktor. Sie ist ein Spiegelbild, weil die Menschen in unübersehbar individueller und subjektiver Weise auf einen objektiv gleichen gesellschaftlichen Tatbestand reagieren so etwa in unserem sich auf die erhöhte Lebensdauer beziehenden Beispiel. Andererseits ist die individuelle Einstellung selbst ein gesellschaftlicher Faktor, denn solche persönlichen Reaktionen werden aktive Bestandteile der gesellschaftlichen Situation, die zu ihrem geistigen Klima beisteuern und die ihren Wandel beeinflussen können. Um es deutlicher zu sagen: Die gewandelte Einstellung der Frau zum Älterwerden - die selbst, wie wir sehen, das Resultat der Bevölkerungsentwicklung ist - wirkt ihrerseits auf Fragen wie Berufstätigkeit, gesellschaftliche Sitten und Verhaltensweisen zurück. Auf diese Weise sind gesellschaftliche Tatbestände und ihr psychologisches Korrelat zwei verschiedene Aspekte der gleichen Gesamtsituation.
Selbst so unpersönliche Angaben wie Bevölkerungszahlen und Arbeitsstatistiken finden in persönlichen Einstellungen ihren Ausdruck. Sie spiegeln sich in den Ansichten der Menschen, die kaum - wenn überhaupt - wissen, welche gesellschaftlichen Tatsachen ihrem bewußten Denken zugrunde liegen und es bedingen. Das Aufbegehren und das Gefühl der Nutzlosigkeit bei den Frauen des Mittelstandes in der viktorianischen Zeit, die wir bereits erwähnten, sind dafür ein Beispiel. Es war das subjektive Gegenstück zu den von der industriellen Revolution ausgelösten wirtschaftlichen und sozialen Umwälzungen. Das Ideal der »hilflosen« Frau, das damals in Mode kam, war der unbewußte Ausdruck einer gesellschaftlichen Situation, in der die Frau ihre wirtschaftliche Nützlichkeit verloren hatte und sich ausschließlich auf ihre weiblichen Reize verlassen mußte, um einen Mann einzufangen, und auf die öffentliche Moral, um ihn festzuhalten.
Beispiele wie dieses könnte man endlos aufzählen. In der Tat wäre es ein fesselndes Spiel oder Material für eine Anzahl von Dissertationen -, wollte man Betrachtungen anstellen über die psychologischen Wechselbeziehungen zu einer Reihe statistisch festgestellter Tatsachen; man könnte etwa den Frauenüberschuß, die geringe Kinderzahl moderner Familien, die Massenwanderungsbewegungen und vieles andere herausgreifen.
Wenn man sich mit der Situation der Frau in unserer Gesellschaft befaßt, wird man sich einer Methode bedienen müssen, die den subjektiven Gesichtspunkten ebenso wie den meßbaren objektiven Daten gerecht wird. Wissenschaftliche Tatsachen und Statistiken sind soweit einzubeziehen, daß man die gegenwärtige Situation sachgerecht darstellen kann. Zugleich muß man erkennen, daß die psychologischen Probleme und Schwierigkeiten, die sich aus dieser Situation ergeben, sowie die für eine Übergangsgesellschaft typischen, widerstreitenden Ideale und einander widersprechenden Bestrebungen, ein Teil des Ganzen und vielleicht ebenso wichtig sind wie meßbare Daten. Überdies treten sie immer mit einer kleineren oder größeren zeitlichen Verzögerung in Erscheinung, so daß eine sinnvolle Anpassung an die sich wandelnde Situation nur langsam vonstatten geht.
Die langlebige Bevölkerung - Eine Bürde oder eine Arbeitskraftreserve
Dem Problem unserer älter werdenden Bevölkerung wurde in den letzten Jahren von den Sozialwissenschaftlern und den Verwaltungsbehörden aller westlichen Länder starke Beachtung geschenkt. Ernste Besorgnis hat die Tatsache erregt, daß bei Zugrundelegung der gegenwärtigen Geburten- und Sterblichkeitsziffern eine zunehmende Anzahl alter Menschen von einem kleiner werdenden Teil arbeitender Menschen zu unterhalten sein wird. In Großbritannien zum Beispiel war bei der Volkszählung im Jahre 1911 von 15 Personen eine in pensionsberechtigtem Alter (über 65 Jahre bei Männern, über 60 bei Frauen). Im Jahre 1947 jedoch war der Anteil doppelt so hoch (2 von 15). Man hat geschätzt, daß in 25 Jahren auf 3 Personen im arbeitsfähigen Alter bereits 1 Altersrentner kommen kann.
In Frankreich, wo das Problem äußerst akut ist, hat sich die Zahl der Personen im arbeitsfähigen Alter im Verhältnis zu der der alten Menschen innerhalb von hundert Jahren von 9: 1 im Jahre 1851 auf 5 - 1 im Jahre 1951 verschoben.
Die Situation ist, wie die folgende Tabelle[4] zeigt, in allen westlichen Ländern ähnlich. Wenn wir überdies berücksichtigen, daß mit der Hebung des Bildungsniveaus eine wachsende Anzahl junger Leute - ebenso wie die alten - keinen Beitrag zum Sozialprodukt leistet, so wird die Schrumpfung des Anteils der wirtschaftlich produktiven Personen beträchtlich.
Im Hinblick auf diese Situation wird jetzt versucht, die arbeitsfähige Lebensspanne der Bevölkerung im Rahmen der bestehenden Gesetze auszudehnen. In verschiedenen Ländern werden seit einiger Zeit Maßnahmen getroffen, um die Menschen über das gesetzliche Ruhestandsalter hinaus weiter zu beschäftigen. Das Bureau of Employment Security im Arbeitsministerium der USA hat zum Beispiel ein Sonderprogramm für ältere Arbeiter aufgestellt, das auf den Ergebnissen einer Untersuchung über die Berufsprobleme von 342 000 älteren Arbeitern in fünf Staaten beruht. Es hat einen Leitfaden für lokale Arbeitsämter veröffentlicht, der bis ins einzelne gehende Hilfen bei der Beratung und dem Einsatz von älteren Menschen bietet.[3]
In Großbritannien erwerben Menschen, die nach Erreichen des Ruhestandsalters in ihrem Beruf bleiben, einen höheren Pensionsanspruch. Der Arbeitsminister versucht, wie sein amerikanischer Kollege, die Beschäftigung älterer Menschen zu fördern. Im Staatsdienst soll ein Beispiel gegeben werden. Der Schatzkanzler verkündete im Februar 1952 im Parlament den Plan, alle Staatsbeamten so lange wie irgend möglich zu beschäftigen. Das bedeutet praktisch die Abschaffung der gesetzlichen Altersgrenze im Staatsdienst. Es ist bemerkenswert, daß diese Entscheidung zu einer Zeit getroffen wurde, da man vorschlug, im Hinblick auf die finanzielle und wirtschaftliche Lage die Zahl der Arbeitskräfte im Staatsdienst innerhalb der nächsten sechs Monate um 10 000 zu vermindern. Es wurden auch Schritte unternommen zum Beispiel von der Postverwaltung und später von anderen Behörden - um die obere Altersgrenze für die Einstellung zu erhöhen.
Die Verlängerung des beruflich aktiven Lebensabschnitts ist die eine Möglichkeit, mit den Problemen, die aus dem Älterwerden der Bevölkerung erwachsen, fertig zu werden. Sie kann auch zur Lösung vieler wirtschaftlicher und psychologischer Altersprobleme beitragen. In der Hauptsache ist sie jedoch ein Versuch, durch Weiterbeschäftigung von überalterten Menschen die Produktivität zu erhöhen.
Die alten Leute stellen jedoch keineswegs die einzige verfügbare Arbeitsreserve dar. Die Frauen bilden eine weitere, denn sie haben in ihrem Leben lange »unter-produktive« Perioden.
Im vorhergehenden Kapitel ist festgestellt worden, daß das Leben der Frau noch immer in eine Rolle gedrängt wird, die nicht länger ihre einzige sein kann. So sehr auch eine Frau während einer gewissen Zeit für die Aufgabe einer hingebenden Mutter geschaffen sein mag sie kann sie nicht ewig ausüben. Während vor 5o Jahren eine Frau durchschnittlich 15 Jahre eines beträchtlich kürzeren Lebens allein mit schwangerschaften und Säuglingspflege zubrachte, beträgt heute der entsprechende Durchschnitt 3 1/2 Jahre. Angenommen, sie heiratet im Alter von 22 Jahren, so macht dies nur 6 bis 7 vH ihrer verbleibenden Lebensjahre aus. Die Familienaufgabe der Frau, für die sie nach alter Tradition »abgestellt« wurde, hat sich dem Umfang nach radikal vermindert.
Die kleine Familie
Zuerst und am augenfälligsten hat sich die Kinderzahl verringert. Während in der viktorianischen Ara sechs, acht oder mehr Kinder (und noch mehr Geburten) in einer Familie keine Seltenheit waren und 1870 für verheiratete Frauen der Durchschnitt bei 5,8 Kindern lag, hat heute von drei Frauen nur eine mehr als 2 Kinder, und der Durchschnitt für Frauen nach 25-jähriger Ehe beträgt 2,5 Kinder. Dies sind britische Zahlen.
Nach der schwedischen Volkszählung von 1960 haben nur 10,4 vH aller verheirateten Frauen im arbeitsfähigen Alter (unter 65 Jahren) drei und mehr Kinder unter 16 Jahren. Mehr als ein Viertel aller Ehepaare haben kein Kind unter 16, und weitere 25,3 vH haben keine Kinder im Alter von weniger als 7 Jahren. Bezeichnet man die Frauen, die keine zu Hause lebenden Kinder unter 15 Jahren haben, als befreit von der unmittelbaren Kinderpflege, so sind nicht weniger als 71 vH aller erwachsenen Frauen in diesem Sinne »frei«. Da sowohl verheiratete, als auch unverheiratete Frauen dazu gehören, kann man die Behauptung wagen, daß annähernd Dreiviertel aller erwachsenen Frauen von der eigentlichen Betreuung von Kindern frei sind.
Wie lange wird eine Mutter zu hause gebraucht
Jede Beweisführung, die sich aus Statistiken herleitet, ist dem kritischen Einwand ausgesetzt, sie ziehe die breite Mannigfaltigkeit individueller Situationen nicht in Betracht. Wir wollen mit allem nötigen Vorbehalt annehmen, daß die Familie der Zukunft im Durchschnitt 3 Kinder hat (was wahrscheinlich eine Überschätzung ist, da die gegenwärtige Durchschnittszahl näher bei 2 liegt), daß ferner der Abstand zwischen der Eheschließung und dem ersten Kind 2 Jahre umfaßt (was länger als die gegenwärtige Durchschnittszeit ist) und daß schließlich die Intervalle zwischen den einzelnen Kindern rund 2 Jahre betragen.
Bei der Geburt eines dritten Kindes würden somit 6 Jahre vergangen sein. Wenn wir ferner voraussetzen, daß eine ständige Beaufsichtigung erforderlich ist, bis das jüngste Kind das g. Lebensjahr erreicht, ergibt sich für die aktive Mutterschaft ein Zeitraum von 15 Jahren. Unsere Durchschnittsfrau würde dann ungefähr 40 Jahre alt sein (wobei wir sehr großzügig das durchschnittliche Heiratsalter mit 25 Jahren veranschlagen) und hätte weitere 35 Jahre ihres Lebens vor sich. Manche mögen einwenden, daß die Kinder sie brauchen, bis das jüngste 15 Jahre alt ist; das würde das Alter der Mutter auf 46 Jahre erhöhen, bevor der neue Lebensabschnitt beginnt - mit weiteren 28 Jahren, die dann vor ihr liegen. Andere werden meinen, daß sie ihren Beruf während der beiden Jahre vor dem ersten Kinde nicht aufzugeben brauche, und daß sie gut die außerhäusliche Arbeit wieder aufnehmen könne, wenn das jüngste Kind in die Schule kommt; das würde die Zeit vollbeanspruchter Mutterschaft auf etwa 10 Jahre verringern, nach denen ihre Lebenserwartung weitere 40 Jahre beträgt.
Ist die Ehe ein Lebensberuf der Frau?
Die veränderte Einstellung gegenüber dem Altern, die verlängerte Lebensdauer und die gesellschaftliche Notwendigkeit, die relative Verminderung der im arbeitsfähigen Alter stehenden Bevölkerung aufzuhalten, lassen es vernunftwidrig erscheinen, daß sich heutzutage die jugendliche Großmutter von 45 Jahren nur eines veralteten Denkschemas wegen bemüßigt fühlen sollte, den Rest ihres Lebens auf ihren Lorbeeren auszuruhen - so, wie es ihre Großmutter tat, die schließlich bis zu diesem Alter wenigstens ein halbes Dutzend Kinder großgezogen hatte und durchaus bereit war, sich aufs Altenteil zu begeben. Moderne Mütter, die außerhalb der Familie keine Pläne für ihre Zukunft schmieden, gefährden nicht nur ihr eigenes Leben, sondern werden aus ihren überbehüteten Kindern und ihren Männern Nervenwracks machen.
Ein anderes Klischee, das das vorige in der öffentlichen Meinung begleitet hat und ebenso falsch ist, gewinnt neuerliche Beliebtheit in Zeitungsschlagzeilen wie der folgenden:
Beruf oder Ehe? Filmstar gibt Ruhm und 100 000 Dollar im Jahr auf
mit dem Untertitel: »Wenn sie zu wählen hat, entscheidet sich die Frau immer für das Heim«. Der Gedanke, Verliebtheit sei eine Ganztagsbeschäftigung, besitzt natürlich einen großen romantischen Reiz, aber er verewigt einen Trugschluß. Die Ehe ist ein bürgerlicher und gesetzlicher Status, in dem eine gewisse Aufgabenteilung zur anerkannten Regel geworden ist. Im besten Falle bedeutet sie Liebe und Kameradschaft sowie geteilte Freuden und Leiden des Lebens - jedenfalls eher liebevolle Partnerschaft als zeitraubende Plackerei oder gar »Beruf«. Die Führung eines Haushalts ist eine Beschäftigung, die sich eher beiläufig aus dem Ehestand ergibt, als daß sie für ihn wesentlich ist. Schließlich wird sie auch von vielen unverheirateten Frauen, wie auch von und für Junggesellen ausgeübt. Die Organisation eines Haushaltes und die Arbeitsteilung innerhalb des Heims ist etwas, das weitgehend von vorhandenen Einrichtungen, von persönlichem Übereinkommen und von Fragen der Zweckdienlichkeit abhängt. Kleine Kinder zu haben, ist gewiß eine tagesfüllende Arbeit, doch sie beansprucht nur, wie wir schon sagten, einen verhältnismäßig kurzen und vorübergehenden Abschnitt im Leben der Frau. Diesen Abschnitt mit dem Ehestand an sich gleichzusetzen, ist ein Denkfehler, für den die Gesellschaft und besonders der Mann teuer bezahlen. Er hat zur Einrichtung einer Sozialordnung geführt, nach der der Mann dazu da ist, die Frau »zu unterhalten«, und die Frau »unterhalten zu werden«.
Die veränderte Familienstruktur
Außerdem hat sich die Struktur und auch die Größe der Familie während der letzten Generationen beträchtlich gewandelt. Es gibt keine unverheirateten Tanten und keine Großmütter mehr, die in dem engsten Kreis der Familie leben, und die Trennung der Generationen ist zu einer allgemein anerkannten Lebensform geworden. Töchter wie auch Söhne verlassen das Elternhaus, sobald sie erwachsen sind, teils um auf die Hochschule zu gehen oder anderswo einen Beruf zu ergreifen, und teils auch nur deshalb, weil Unabhängigkeit in unserer Gesellschaft hoch im Kurs steht. Wir können hier nicht das Gewebe von kulturellen Sitten und psychologischen Einstellungen durchforschen, das daraus entstanden ist, obgleich es soziologisch sehr interessant wäre; einige seiner Aspekte sind jedoch wesentlich und sollen erörtert werden.
Unsicherheiten der Ehe
Aus den Statistiken zu Beginn dieses Kapitels haben wir ersehen, daß Frauen eine höhere durchschnittliche Lebenserwartung haben als Männer. Das zahlenmäßige Übergewicht der Frauen in den meisten Ländern beruht zum größten Teil auf ihrer niedrigeren Sterblichkeitsziffer, denn im Durchschnitt werden zunächst mehr Knaben als Mädchen geboren. In den jüngeren Altersstufen ist der Prozentsatz der Männer und der Frauen noch mehr oder weniger gleich, mit dem Älterwerden übertreffen die Frauen jedoch zahlenmäßig die Männer immer mehr, und in den höchsten Altersstufen wird ein Verhältnis von 2: 1 erreicht. Das heißt, die Anzahl der Frauen, die ihre Männer überleben' ist beträchtlich. Wenn wir ferner bedenken, daß der Ehemann in der Regel zwei oder mehr Jahre älter ist als seine Frau, so folgt daraus unweigerlich, daß viele Frauen auf Jahre der Witwenschaft gefaßt sein müssen, in denen es für sie weder einen Ernährer noch ein Objekt für ihre ungeteilte Fürsorge gibt. Es mag zu unerfreulich sein, dieses Schicksal bei Beginn des Erwachsenenlebens ins Auge zu fassen, wenn Zukunftspläne geschmiedet werden, aber es handelt sich dabei um eine Möglichkeit, der man Rechnung tragen sollte.
Dazu zerbricht eine zunehmende Anzahl von Ehen durch Scheidung, Trennung oder einseitiges Verlassen. In England mit seinen konservativen Scheidungsgesetzen war das Verhältnis von Ehescheidungen zu Eheschließungen 1963 etwa 1: 11, oder 0,6 je 1000 der Bevölkerung. Frankreich hat annähernd dieselbe Scheidungsrate; in den USA -ist sie fast viermal so hoch (2,26 je 1000 der Bevölkerung im Jahre 1961). In Schweden kommt eine Scheidung auf sechs Eheschließungen (1964), oder 1,2 je 1000 der Bevölkerung.
Überdies macht es die wirtschaftliche Unbeständigkeit unserer Zeit mehr als wünschenswert, die Frau in die Lage zu versetzen, auf eigenen Füßen zu stehen und ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Es trifft nicht mehr zu - wie in den Tagen von Jane Austen - daß »die Ehe die einzig achtbare Versorgung für wohlerzogene junge Frauen mit geringem Vermögen ist, die - wenn sie auch nicht unbedingt glücklich macht - doch den angenehmsten Schutz vor Armut gewährt«. Heutzutage kann die Ehe ebensowenig den »Schutz vor der Armut« garantieren, wie sie jemals das Glück hat garantieren können.
Glücklicherweise verfügt man heute über viele andere »achtbare Versorgungen« für wohlerzogene junge Frauen, welchen »Vermögens« und welchen Standes sie auch sein mögen, selbst wenn die Chance, glücklich zu werden, noch immer in erster Linie auf demselben Gebiet liegt wie früher. Das ist aber schließlich nicht ein besonders weibliches Problem.
Es gibt also zumindest dreierlei Tatbestände, die nach einer neuen Umschreibung der Aufgabe der Frau in der Gesellschaft verlangen: erstens die beträchtliche Erhöhung der durchschnittlichen Lebensdauer; zweitens die Schrumpfung der Periode, die ausschließlich den Mutterpflichten gewidmet ist; und drittens die Faktoren der Unsicherheit hinsichtlich der späteren und möglicherweise einsamen Jahre des Ehelebens.