Die soziale Stellung der Frau hat in unserem Jahrhundert eine Reihe tiefgreifender Wandlungen erfahren, in der wir zwei Hauptphasen unterscheiden können. Die erste ist durch die Zulassung der Frau zu einer immer größeren Vielfalt von bisher »männlichen« Arbeiten gekennzeichnet, im großen und ganzen jedoch unter der Voraussetzung, daß die Frau nicht durch Familie gebunden war. Das hervorstechendste Merkmal der zweiten Phase ist das Bemühen einer wachsenden Zahl von Frauen, Familie und Erwerbsarbeit miteinander zu verbinden. Insgesamt läuft dieser soziale Wandel auf eine schrittweise Rückgewinnung von Positionen hinaus, die verlorengingen, als die Frau durch die industrielle Revolution aus dem Wirtschaftsleben verdrängt wurde.
Vor dieser Revolution hat die Frau zu allen Zeiten äußerst tätig am wirtschaftlichen Leben der Gesellschaft teilgenommen, so wie es in Agrarländern bis heute noch der Fall ist. Ihre Doppelaufgabe, Kinder aufzuziehen und wirtschaftlich produktive Arbeit zu leisten, verschmolz zu einer einheitlichen Lebensform der Arbeit im Hause. Als die Industrialisierung eine Aufgabentrennung erzwang, glaubte man zunächst, die Frau könne nur noch eine der beiden Funktionen fortführen, nämlich die in der Familie. Daher mußten die Frauen zuerst ihr Recht, Seite an Seite mit dem Manne zu arbeiten, durchsetzen; und jetzt müssen sie beweisen, daß sie beide Aufgaben während ein und derselben Lebenszeit ausfüllen können - eine Lebenszeit, die heute so viel länger als früher währt.
Natürlich wirkte sich die Ausschaltung der Frau aus den wirtschaftlichen Tätigkeitsbereichen bei den verschiedenen sozialen Schichten in unterschiedlicher Weise aus, was auch umgekehrt für ihre Eingliederung in die Erwerbstätigkeit zutrifft. Diese war im städtischen wie auch im ländlichen Proletariat eine unmittelbare Folge der Industrialisierung, und die Ausbeutung von Frauen und Kindern in der Frühzeit der Industrialisierung war einer der dunkelsten Punkte in der Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts. Als später die Löhne stiegen, zogen sich viele Arbeiterfrauen vom Arbeitsmarkt zurück, weil es als bedeutsames Merkmal eines höheren Lebensstandards galt, wenn Frauen und Mütter in der Lage waren, zu Hause zu bleiben, so wie es den Frauen der bessergestellten Schichten möglich war.
Schließlich fiel den Frauen des städtischen Mittelstandes die Aufgabe zu, der planvollen Rückkehr zu volkswirtschaftlich produktiver Arbeit durch ihren Eintritt in das Erwerbsleben Ausdruck zu geben. Die Rückgewinnung der den Frauen verlorengegangenen Arbeitsgebiete ist ein langer und wechselvoller, noch keineswegs abgeschlossener Prozeß. Bei diesem Vorgang werden die größten Schwierigkeiten dadurch verursacht, daß Denkgewohnheiten, die zu früheren Phasen dieser komplizierten Entwicklung und oft auch zu besonderen Gesellschaftsschichten gehören, als absolute Maßstäbe auf Verhältnisse übertragen werden, für die sie nicht mehr anwendbar sind.
Bewährung der Frau außerhalb der Familie
Als erstes mußte mit der irrigen, sich hartnäckig haltenden Vorstellung aufgeräumt werden, daß die Frau nicht in die Welt der Industrie, der Erwerbsarbeit - kurz, der »Männerarbeit~< hineinpasse. Die Fronarbeit der Frauen während der Frühzeit der Industrialisierung und ihre fortgesetzte Beschäftigung in verschiedenen Sparten der Leichtindustrie galt nicht als Beweis ihrer Wettbewerbsfähigkeit. Den Vorkämpferinnen aus dem Mittelstand und den gehobenen Schichten, die sich gegen harte Widerstände ihren Weg zu individueller Anerkennung bahnen mußten, blieb der Nachweis überlassen, daß die Frau unter den gleichen Bedingungen wie der Mann zur Verrichtung von männlicher Arbeit befähigt ist. Um das zu beweisen, waren jene Vorkämpferinnen meistens durchaus bereit, die Tatsache, daß sie Frauen waren, zu übersehen, und sie gaben sich damit zufrieden, daß auch andere diese Tatsache ignorierten. Der Beitrag der Frau zum Wirtschaftsleben der Vergangenheit war in Vergessenheit geraten, und vielen schien es, daß die Frauen mit ihrem Anspruch auf einen Platz in der volkswirtschaftlichen Gütererzeugung in absolutes Neuland vorstießen. Ob sie nun zaghaft oder herausfordernd auftraten - jeder neue Schritt schien einen neuen Beweisfall darzustellen. Jede berufstätige Frau glaubte sich unablässig auf die Probe gestellt.
Das traf tatsächlich für die Vorkämpferinnen der Frauenemanzipation einzeln und insgesamt zu. Kennzeichnend für die damalige Zeit war die Veröffentlichung -von unzähligen vergleichenden Untersuchungen und Messungen über die relativen Fähigkeiten und Anlagen von Mann und Frau, von ihrer Begabung für Mathematik bis zu ihrem Talent als Seiltänzer.
Diese von Psychologen und Soziologen durchgeführten Untersuchungen haben erwiesen, daß die meisten Frauen auf den meisten Gebieten ebenso leistungsfähig wie die meisten Männer sind, daß Einzelpersonen des gleichen Geschlechts stets untereinander verschiedener sind als etwa der Durchschnitt aller Personen des einen Geschlechts, verglichen mit dem Durchschnitt aller Personen des anderen Geschlechts; und daß etwaige meßbare Unterschiede in der Durchschnittsleistung des einen Geschlechts auf einem bestimmten Gebiet sich durch Unterschiede auf einem anderen Gebiet wieder ausgleichen. Wenn also Männer eine etwas größere Neigung zu einem bestimmten Beruf - etwa dem des Technikers - zeigen, so gleichen Frauen das aus, indem sie sich anderweitig hervortun - beispielsweise auf sprachlichem Gebiet. Wenn Männer häufiger an Körperkraft überlegen sind, so zeichnen sich Frauen wiederum durch größere Geschicklichkeit aus.
Das umstrittene Problem der Leistungsvergleiche kann heute wissenschaftlich und praktisch als gelöst angesehen werden. Obgleich der Unterschied in den Verhaltungsweisen von Mann und Frau immer noch ein beliebtes Unterhaltungsthema für Salongespräche und populäre Quizveranstaltungen bildet, werden die Fähigkeiten der Frau heute nicht mehr ernsthaft bestritten. Solche Diskussionen scheinen vielmehr eine Art Nachhutgefecht zu sein, da die Entscheidungsschlacht vorbei ist. In einer Welt, die weithin die Gleichheit der Geschlechter akzeptiert, sind sie vielleicht ein letzter unbewußter Protest gegen Gleichmacherei und Einförmigkeit. Inzwischen ist es für jeden offenbar geworden, was die Frau alles erreicht hat. Dieser Vorgang wurde zweifellos durch die beiden Weltkriege beschleunigt, in denen die Gesellschaft notgedrungen Frauen in Berufen beschäftigen mußte, die bis dahin ein männliches Monopol gewesen waren. Während des zweiten Weltkrieges war eine Zeitlang ein höchst eindrucksvolles Plakat in ganz Großbritannien zu sehen. Es zeigte das Bild einer jungen Frau in Uniform und Stahlhelm, die ein weinendes Kind aus den Flammen eines zerbombten Hauses trug. In ihrer gefaßten und nüchternen Art symbolisierte sie den Mut und die Entschlossenheit Großbritanniens im Bombenhagel, und neben ihrer Tüchtigkeit zeigte ihre Haltung gerade jenen Anflug von Mütterlichkeit und Gefühl, der so unmittelbar ,in das Herz appellierte. Niemand konnte bezweifeln, daß dieses Bild echt war. Denn jeder wußte aus eigenem Erleben, daß unzählige Frauen ähnlichen Gefahren mit gleichem Mut und gleicher Gelassenheit begegnet waren und noch begegneten. Die Frauen hatten es nicht mehr nötig »zuviel zu behaupten«, wie es jene ersten Frauenrechtlerinnen mit ihrer übertriebenen Nachahmung des Mannes taten.
Die erste Phase der Revolution war abgeschlossen, und die Frauen hatten die an sie gestellten Anforderungen erfüllt.
Es muß jedoch auch zugegeben werden, daß diese Anforderungen den Frauen auf halbem Wege entgegenkamen. In unserer äußerst komplizierten und differenzierten Wirtschaftsform findet sich für alle natürlichen Gaben Platz. Für die meisten Berufe ist physische Kraft nicht mehr unbedingt erforderlich. Viele Arbeiten, die früher nur mit großem Kraftaufwand von Menschen geleistet werden konnten, verrichten nun Maschinen, deren Bedienung weit mehr Geschicklichkeit verlangt als reine Muskelkraft; bessere hygienische Verhältnisse und kürzere Arbeitszeiten haben dafür gesorgt, daß die Arbeit in der Industrie ebenso wie in den Büros nicht mehr so anstrengend ist; und bessere Verkehrsverbindungen haben dazu beigetragen, daß die Kluft zwischen Heim und Arbeitsplatz überbrückt wurde. Geändert hat sich auch die Haltung der Arbeitgeber: die moderne Betriebsführung in Westeuropa und Nordamerika verfolgt heute nicht mehr jene kurzsichtige Politik, die durch Antreiberei das Letzte aus den Arbeitern herausholen will. Statt dessen be-müht sie sich nach Kräften, die Arbeitsbedingungen deri Bedürfnissen des Menschen anzupassen. Ein gutes Arbeitsklima gilt als wesentlich für befriedigende Produktionsergebnisse. Wissendiaftliche Untersuchungen befassen sich nicht nur mit Betriebspsychologie und Menschenführung, soridern auch mit den Produktionsverfahren, um zu ermitteln, welche materiellen und psychologischen Bedingungell die höchste Produktivität gewährleisten. Heute sind daher die Voraussetzungen für die Beteiligung der Frau am wirtschaftlichen Produktionsablauf günstiger als je zuvor seit dem Beginn der industriellen Revolution. Darüber hinaus hat unsere Gesellschaft begonnen, die Tatsache hinzunehmen, daß die Frau im Berufsleben steht und dort auch bleiben wird.
Welche Aufgabe hat die Frau in der Familie
Den heutigen Verallgemeinerungen hinsichtlich der wirtschaftlichen Funktion der Frau fehlt es allerdings oft an Klarheit. Wir wissen jetzt, daß die äußerst wichtige Tätigkeit der Frau im Hause alten Stils, das der Mittelpunkt produktiver Arbeitsgänge war, sich von Grund auf gewandelt hat. Dennoch bildet diese häusliche Umgebung, als der anerkannte Rahmen für das Leben und die Arbeit der Frau, immer noch in einem unvernünftig großen Ausmaß den Hintergrund zu der »Rolle« der Frau. Die Erinnerung an eine längst überholte Gesellschaftsform lebt beharrlich fort und beeinflußt nicht nur unsere Träume, sondern gibt auch unseren Versuchen, vernünftig zu denken, eine falsche Richtung.
Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts gehörten zu den hauswirtschaftlich-praktischen Arbeiten der Frau das Spinnen, Weben und Schneidern, Brotbacken, Fleischkonservieren, Seifensieden, Bierbrauen, Obsteinmachen und viele andere Arbeiten, die jetzt gewöhnlich von Fabriken ausgeführt werden, dazu ein gutes Teil an Unterricht und Krankenpflege. So konnte der Wert der Hausfrauenarbeit nicht zweifelhaft sein. Auch das Gebären vieler Kinder - die nicht nur als zusätzlich zu stopfende Mäuler eine Belastung, sondern daneben schon in jungen Jahren ein Kapital darstellten, weil sie als zusätzliche Arbeitskräfte zum Familieneinkommen beitrugen - steigerte den wirtschaftlichen Wert der Frau und erfüllte sie mit der Gewißheit, daß ihr Leben sinnvoll war. Als das Gleichgewicht der vorindustriellen Gesellschaftsordnung durch die neuen technischen und sozialen Entwicklungen gestört wurde, änderten sich die äußeren Lebensbedingungen der Frau vollkommen. Die kleinhandwerklichen Familienbetriebe verfielen und wurden von großen Fabriken verdrängt, die einzelne Arbeiter beschäftigten, nicht aber Familien. Aus Humanitätsgründen mußte die Beschäftigung von Kindern in Fabriken und Bergwerken bald gesetzlich unterbunden werden; die Volksschulbildung wurde allgemein eingeführt, und nicht lange darauf machte das Gesetz es den Eltern zur Pflicht, für ihre Kinder wenigstens bis zum Alter von 10 Jahren zu sorgen. Vom wirtschaftlichen Standpunkt aus wurden Kinder damit für die ärmeren Bevölkerungsschichten zu einer Belastung, anstatt wie bisher ein Kapital zu sein, und gleichzeitig wurde dem Elternhaus ein großer Teil der Verantwortung für ihre Erziehung entzogen. Viele Arbeiterfrauen gingen in die Fabriken, wo sie täglich 10 bis 12 Stunden arbeiteten, so daß sie Kinder und Haushalt so sehr vernachlässigten, daß es das soziale Gewissen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erregte. Vor diesem Hintergrund sah man schließlich die Erwerbsarbeit verheirateter Frauen außerhalb ihres häuslichen Kreises als soziales übel an und hielt es dagegen für eine Hebung ihres Lebensstandards, wenn sie sich auf Hausarbeit beschränken konnten.
Daß die Arbeitslast im Haushalt inzwischen drastisch abgenommen hatte - und zwar aus verschiedensten Gründen, von denen der bedeutsamste die Beschränkung der Kinderzahl war , wurde nie voll erkannt. In manchen Kreisen gilt es immer noch fast als Blasphemie, diese geschichtliche Tatsache zu erwähnen.
Zugleich mit dem Idealbild der schwerarbeitenden Hausfrau kam ein völlig anderes weibliches Ideal auf, das an die Privilegien des Adels anknüpfte und mit dem wachsenden Wohlstand und der stärkeren Ausbreitung des Mittelstandes an Bedeutung zunahm - nämlich die dem Müßiggang frönende »Dame der Gesellschaft«. Dieses Idealbild, dem im vergangenen Jahrhundert mehr gehuldigt wurde als in unserem, verherrlichte tatsächlich ein Parasitenleben der Frau. Im gehobenen Mittelstand hatte die Ehefrau in erster Linie eine Zierde im Hause ihres Mannes und ein lebendiges Zeugnis seines Reichtums zu sein. Daß sie nichts tat, gehörte als Vorbedingung hinzu. Bis zum heutigen Tage wetteifern diese beiden gegensätzlichen Leitbilder miteinander in den Spalten aller Frauenzeitschriften. Auf der einen Seite stehen die häuslichen Tugenden mit dem Duft des täglich frisch gebackenen Brotes und die Statistiken, die von einem Vierzehn- bis Sechzehnstundentag der Hausfrau sprechen. Auf der anderen Seite aber gibt es den kostspieligen Kult der lilienweißen Hände, der verschwenderischen Zerstreuungen und des immer rascheren Wechsels der hochmodischen Garderobe; kurz, die vielgepriesenen Träume vom »Versorgtsein«, wenn man erst einmal verheiratet ist. Man kann in den Anzeigenspalten der modernen Modezeitschriften einen merkwürdigen Kausalzusammenhang finden (obwohl er einem vielleicht gar nicht bewußt wird). Während einerseits immer mehr Geräte angeboten werden, die Zeit und Arbeitskraft sparen sollen, werden andererseits immer mehr zeitraubende Schönheitsbehandlungen empfohlen, um eine weibliche Figur, die Spuren von zu wenig körperlicher Betätigung und zuviel Muße zeigt, in Form zu halten.
Es läßt sich nicht bestreiten, daß selbst heute noch die beiden Vorbilder der schwerarbeitenden Hausfrau und der dem Müßiggang frönenden Dame in einer unheiligen (und gewöhnlich nicht erkannten) Allianz vorhanden sind, und daß die Aufgabe der Frau von ihnen gemeinsam auf das Heim beschränkt wird. Das schlimmste an dieser Auffassung ist nicht, daß sie unsinnig und mit den Gegebenheiten des heutigen Lebens nicht zu vereinbaren ist, sondern daß sie unseren jungen Mädchen ein völlig falsches Bild gibt, wenn sie vor die praktische Wahl gestellt werden, wie sie ihr eigenes Leben gestalten sollen. Man sollte einmal ehrlich prüfen und unterscheiden, welche Arbeit im Haushalt produktiv und notwendig und welche nur ein Vorwand zum Zeitvertreib ist. Man sollte auch unterscheiden zwischen ehrlich verdienter Muße und reiner Zeitverschwendung.
Die Frau wird zur Staatsbürgerin
Während das Idealbild der bürgerlichen Frau des 19. Jahrhunderts heute noch lebendig ist und von allen Gesellschaftsschichten übernommen wurde, war die Nutzlosigkeit des weiblichen Daseins im gehobenen Mittelstand gerade die Haupttriebfeder für jene soziale Revolution, die gemeinhin Frauenemanzipation genannt wird. Diese Bewegung war nicht einfach die Auflehnung des schwachen Geschlechts gegen die Fesseln, die der starke, freie Mann der Frau im Laufe der Jahrhunderte angelegt hatte - obwohl in diesem Bild ein wirkungsvoller Appell an das Gefühl liegen mag. Tatsächlich jedoch waren die Frauen nur im sozialen Entwicklungsprozeß einen Schritt hinter den Männern zurückgeblieben. Das gilt sowohl wirtschaftlich als politisch.
Eine Gesellschaftsgruppe kann nur dann erreichen, in einem Parlament vertreten zu sein, wenn sie stark genug ist, ihren Anspruch durchzusetzen. In Frankreich gewann der Mittelstand erst nach der Revolution einen Anteil an der politischen Macht, und in England erst nach der Verabschiedung des Reformgesetzes vom Jahre 1832. Während die Bauern in Schweden, ebenso wie die Kaufleute seit der Einführung der parlamentarischen Demokratie vor mehr als 500 Jahren, ihren Platz in den »vier Ständen« hatten, wurde die Arbeiterschaft erst sehr spät als Partner beteiligt, nämlich nach schrittweisen Reformen in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts. Nur in den Vereinigten Staaten von Amerika setzte sich schon sehr früh das allgemeine Wahlrecht für Männer durch. In Europa folgte den durch die industrielle Revolution hervorgerufenen sozialen Veränderungen allmählich das politische Wahlrecht für die gesamte erwachsene Bevölkerung - mit Ausnahme von Geistesgestörten, Verbrechern und Frauen. Frauen waren bis zum Ende des Ersten Weltkrieges in den USA, in Großbritannien und in Schweden nicht wahlberechtigt, und in Frankreich bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges.
Bei den Frauen dauerte es länger als bei den Männern, bis sie politische Freiheit und demokratische Rechte, Zugang zur Bildung und zum Erwerbsleben erhielten, da die Frau allgemein mit der Anpassung an die industrielle Revolution zurückgeblieben war. Mit ihrem Ruf nach dem »Recht auf Arbeit« wollte sie ihren alten Platz im wirtschaftlichen Produktionsprozeß und das Gefühl, der Gesellschaft nützlich zu sein, zurückerobern. Beides hatte sie verloren, als sich das Zentrum der Produktion vom Hause in die Fabrik verlagerte. Wie revolutionär damals auch die Forderung der Frauen nach dem Recht auf Arbeit erschienen sein mag, tatsächlich strebten sie nicht nach etwas Neuem, sondern lediglich nach der Rückgewinnung des verlorengegangenen Anteils am Wirtschaftsleben. Wenn die Frau nun unmißverständlich und bewußt in die Welt außerhalb des Heims zu gehen begehrte, wurde sie nicht etwa von einer Welle der Perversion oder der Mode dazu angetrieben, sondern einfach von der Logik des wirtschaftlichen Geschehens. Die Arbeit war aus dem Hause gezogen, und die Frauen wollten ihr nachziehen, genauso wie es die Männer vor gar nicht so langer Zeit auch getan hatten. Die unterschiedliche Behandlung von Mann und Frau im Eigentumsrecht war eine weitere Folge der neuen wirtschaftlichen Entwicklung im 19. Jahrhundert. Beim Landadel und in den Familien selbständiger Handwerker übten die Frauen früher oft eine erhebliche Macht aus, in der sie jedoch beschränkt wurden, als es zu neuen Investitionsformen in Industrie und Handel kam. Daher war die Abhängigkeit, gegen die sie sich nun verwahrten, weit jüngeren Datums als man allgemein glaubte.
Das Recht auf Bildung, ein anderes wichtiges Ziel der Frauenemanzipation, wurde den Frauen wesentlich später als den Männern zuerkannt. Aber auch hier sollte man in ihnen eher Nachzügler im Entwicklungsprozeß sehen als eine Hälfte der Menschheit, die von der anderen in Abhängigkeit gehalten wird. Die Bildung war zunächst das Vorrecht einiger weniger und wurde erst während des 19. Jahrhunderts allmählich auf eine breitere Grundlage gestellt. Nachdem zunächst in einigen Staaten der USA schon im ersten Viertel des vorigen Jahrhunderts ein System freier, aus Steuermitteln finanzierter staatlicher Schulen mit Zugang für alle entstanden war, das sich bis 1850 auf alle Nordstaaten ausdehnte, wurde die Schulpflicht in Schweden 1842 eingeführt, in Großbritannien 1870 und in Frankreich 1882 (um uns auf diese vier Länder zu beschränken, die für die vorliegende Untersuchung als Beispiele dienen werden). In einigen Gesellschaftsformen der Vergangenheit, z. B. in der aristokratischen Kultur des Mittelalters, war die Bildung, besonders im Bereiche der »schönen Wissenschaften«, mehr die Domäne der Frau als die des Mannes. Diese Situation kehrte sich um, als die wirtschaftliche Entwicklung auf beide Geschlechter unterschiedlich einwirkte, denn nun ging die Schulbildung Hand in Hand mit der beruflichen Ausbildung. Während beispielsweise die Heilkunde, solange sie eine barmherzige Kunst war, oft in der Hand von Frauen lag, wurden diese von der weiteren Ausübung einer medizinischen Tätigkeit ausgeschlossen, als man die Zulassungsbedingungen für den Arztberuf von Amts wegen regelte - denn die Frauen konnten ja die Grundausbildung nicht erhalten. Daher war es nur logisch, daß das Recht auf höhere Bildung eine der ersten Reformen werden mußte, für die die Frauen kämpften. Als sie den Zugang zu den Universitäten errungen hatten, bezeichnete das einen bahnbrechenden Sieg der Bemühungen, der Frau den ihr zustehenden Platz in der Welt zurückgewinnen.
Widerstreitende Aufgaben und Vorbilder
Die Frau mit dem Lebensberuf hat ihren Ursprung unverkennbar im Mittelstand; sie ist symptomatisch für die zweite Phase der sozialen Revolution, die wir geschildert haben. Die Billigung der weiblichen Berufstätigkeit ermöglicht es nun der Frau, an eine außerhäusliche Arbeit als Lebensaufgabe ohne jedes Gefühl von Selbstverleugnung oder Resignation zu denken und sie als positiven Gewinn anzustreben. Das Ideal der »Frau mit dem Lebensberuf« wurde bis vor kurzem allerdings nur von Frauen gehegt - und obendrein nur von einer sehr beschränkten Zahl von Frauen. Daher hat dieser Begriff bis auf den heutigen Tag für viele Leute einen so unangenehmen Beigeschmack:, daß berufstätige Frauen oft eilig versichern, sie seien keine »Berufsfrauen«. Die Männer haben sich aus den verschiedensten Gründen noch nicht recht auf den Typus einer Ehefrau eingestellt, die sich so wesentlich von ihren Müttern unterscheidet. Die beiden anderen weiblichen Vorbilder - die schwerarbeitende Hausfrau und die Gesellschaftsdame - erfüllen weiterhin die Vorstellungswelt der Männer wie auch unzähliger Frauen, und diese Verwirrung macht die Lebenspläne junger Mädchen so sehr unrealistisch. Obwohl sich die äußeren Lebensumstände der Frau drastisch geändert haben, schwebt dem jungen Mädchen immer noch ein Idealbild ihrer Zukunft vor, als ob diese Veränderungen nie stattgefunden hätten. Hier besteht ein ungewöhnlich langer Zeitraum zwischen dem Auftauchen neuer Tatsachen und Zusammenhänge und der Hinnahme all ihrer Folgerungen. Natürlich ist es weder richtig noch fair, generelle Aussagen über Frauen zu machen, so als ob sie alle nur einer Klasse oder einem Typ angehörten.
Wir brauchen beispielsweise nur an den schon erörterten Wunsch der Frau nach produktiver Teilnahme am Leben der Gesellschaft, sowie an das von ihr geforderte »Recht auf Arbeit« und »Recht auf Bildung« zu denken. Hierbei handelt es sich zweifellos um Ideologien des Mittelstandes. Während den Frauen, die zur Passivität und Stumpfheit des viktorianischen Salons verdammt waren, die Möglichkeit, wie die Männer zur Arbeit zu gehen, begehrenswert und bereichernd erscheinen mochte, war die Arbeit für Arbeiterfrauen jedoch oft eine fast unerträgliche Notwendigkeit.
Heute, ein paar Generationen später, da die Frauenbildung längst kein Traum mehr ist, differiert die Einstellung zur Arbeit noch immer recht deutlich zwischen verschiedenen Schichten - die nicht unbedingt mit Gesellschaftsklassen identisch sein müssen. Frauen mit Universitätsbildung oder einer Spezialausbildung, die erfahren haben, welche Befriedigung eine verantwortliche Tätigkeit oder Facharbeit bietet, haben natürlich weit weniger Lust, bei einer Heirat ihre Stellungen aufzugeben als Mädchen, die nur Hilfs- oder Routinearbeit verrichten. Pearl Jephcott war in ihren Untersuchungen über Fabrikarbeiterinnen [1] von der Tatsache beeindruckt, daß sie überhaupt kein positives Verhältnis zu ihrer Arbeit hatten. Sie stellte fest, daß diese Mädchen ihre Arbeit als unvermeidliche, aber vorübergehende Phase ihres Lebens ansahen, die sie möglichst schnell hinter sich bringen wollten. Ihre Phantasie war von Hollywood-Filmen und von Illustrierten, die ihren Hauptlesestoff bildeten, genährt und sie warteten daher auf den Tag, an dem sie in den seligen Stand der Ehe treten würden, um dann darin glücklich bis ans Ende zu leben. Ebenso sehnen sich die meisten Stenotypistinnen, Verkäuferinnen und Frauen in ähnlichen wenig aussichtsreichen Stellungen mit Routinearbeit darnach, in eine Welt entfliehen zu können, in der es für sie weder einen Chef noch festgesetzte Arbeitsstunden geben wird. Obwohl der Wechsel praktisch nur darauf hinausläuft, daß eine Routine die andere ersetzt, wird man doch von derjenigen frei, die einem von außen her entweder durch den unpersönlichen Mechanismus der Maschine oder durch den Willen eines Vorgesetzten - auferlegt war. An ihre Stelle tritt nun eine Routine, die die Frau in gewissem Umfang selbst handhaben kann und die ihr daher das Gefühl des Freiseins gibt. Im Gegensatz dazu wird die hochqualifizierte Frau, die ihren Beruf gegen häusliche Routinearbeit eintauschen muß, wahrscheinlich bald unbefriedigt sein, weil sie ihre Fähigkeiten nicht mehr nutzen kann. Ihre Enttäuschung kann sich auch auf die verschiedendste Weise äußern - am häufigsten ist wohl die Klage über die Plackerei im Haushalt.
Heute, da die Familie im allgemeinen auf eine leicht zu versorgende Kinderzahl beschränkt wird, da Versorgungsbetriebe und Fabrikerzeugnisse viele früher im Haushalt erledigte Arbeiten übernommen haben, und da arbeitsparende Einrichtungen zwar weniger die Zahl der Arbeitsstunden, aber doch die physische Arbeitslast im Haushalt weitgehend vermindert haben, wird der Ausdruck »Plackerei« in Verbindung mit hausfraulichen Pflichten häufiger gebraucht als je zuvor. Es ist bekannt, daß der steigende Lebensstandard die Armut zwar allgemein weniger kraß, aber dafür psychologisch umso drückender gemacht hat. Genauso hat die Tatsache, daß es einerseits arbeitsparende Geräte gibt, und daß der Frau andererseits die Wahl einer Lebensweise mit eigenem Verdienst freisteht, die Hausarbeit noch unerfreulicher für die Hausfrau gemacht. Hausfrauen sind in unseren Tagen zu einer unzufriedenen Klasse geworden; sie werden daher - und auch weil sie das Stimmrecht besitzen - von den Regierungen und Politikern ständig umworben, angesprochen und gepriesen. Während der letzten Generation etwa hat sich die Unzufriedenheit der Frau interessanterweise verlagert. Viel von dem Neid der Frau gegenüber dem Manne - zweifellos eine starke Unterströmung in den Anfängen der Frauenbewegung - hat jetzt die Richtung gewechselt und ist zum Neid einer Gruppe von Frauen gegen eine andere geworden: Die berufstätige Frau mißgönnt der Hausfrau die Freiheit, ihre Arbeit zu tun, wann und wie sie will, und sie neidet ihr vielleicht auch das größere Ansehen, das mit größerer Muße einherzugehen pflegt; die Hausfrau dagegen beneidet die berufstätige Frau wegen ihrer finanziellen Unabhängigkeit, wegen der größeren Vielfalt ihrer gesellschaftlichen Kontakte und wegen ihrer Zielstrebigkeit. Dies alles folgt aus dem heutigen Zustande teilweiser Emanzipation, in dem zwei weibliche Leitbilder, zwei verschiedene Lebensformen unsicher nebeneinander fortbestehen. Zwar gibt es viele individuelle Unterschiede in dem Nachdruck, den man auf die sich gesetzten Ziele legt, und - was noch wichtiger ist - man ist sich dieser Ziele in verschiedenem Grade bewußt. Aber im großen und ganzen kann man wohl sagen, daß die Menschen - Frauen nicht weniger als Männer - um glücklich zu sein, sowohl emotionelle Erfüllung in ihren persönlichen Beziehungen als auch das Gefühl brauchen, der Gesellschaft von Nutzen zu sein. Selbst den eifrigsten Frauenrechtlerinnen ist es heute klar, daß Arbeit nicht Selbstzweck ist, und daß die frühere Überbetonung des Berufs, auf Kosten von Ehe und Familie, der Sache der Frauen großen Schaden zugefügt hat. Andererseits zeugt die weitverbreitete Unzufriedenheit unter den städtischen Hausfrauen heute dafür, daß die Sorge für einen Ehemann und zwei Kinder - so verlockend diese Lebensform auch einem jungen Mädchen erscheinen mag, das seine Tage an der Schreibmaschine oder hinter dem Ladentisch verbringt - unter den gegenwärtigen Umständen nicht ausreicht, um die vielen Lebensjahre einer Frau auszufüllen und um ihr das befriedigende Gefühl zu geben, daß sie alle ihre Kräfte eingesetzt hat. Obwohl das keine angenehme Einsicht ist, fangen viele Frauen an, zu der Erkenntnis zu erwachen, daß ihre Kinder nicht immer Kinder bleiben werden und daß Ehemänner, mögen sie noch so leidenschaftlich um die Frau geworben haben, nicht ein halbes Jahrhundert lang das ist jetzt nach statistischen Berechnungen die wahrscheinliche Ehedauer - gleich bleiben können.
Einige Grundtatsachen
Das alles sind einige der Schwierigkeiten, die in diesem Buch besprochen und untersucht werden sollen. Der Zwang zu Verallgemeinerungen stellt natürlich einen Nachteil dar, den die vorliegende Untersuchung mit den meisten anderen Arbeiten über soziale Probleme teilt. Man kann nicht hoffen, mehr als einen ungefähren Umriß der in Betracht kommenden Probleme aufzuzeigen. Das so entstehende Bild verliert an detaillierter Genauigkeit, was es an Universalität gewinnt. Es mag möglich sein, eine allgemeine Vorstellung von den Aufgaben zu vermitteln, vor denen Frauen stehen. Wenn man aber nun versucht, diese Aufgaben mit dem tatsächlichen Leben von Frauen zu vergleichen, gibt es doch allzu viele individuelle Unterschiede, als daß das Bild jemals lebensecht werden könnte.
Es scheint uns nötig, diese Einschränkung zu machen und unseren Leserinnen vorweg zu sagen, daß sie hier nur eine anatomische Skizze erwarten können, nicht aber ein Porträt von sich selbst. Unter statistischen Gesichtspunkten sind die Frauen eine zu große und zu heterogene Gruppe, als daß man sie als eine Einheit behandeln könnte. Generelle Feststellungen kann man über sie nur im Hinblick auf einige objektive, meßbare Merkmale treffen, die vom sozialen und individuellen Hintergrund unabhängig sind, wie zum Beispiel durchschnittliche Lebenserwartung, Beginn des Erwachsenenalters, Fortpflanzungsnormen usw. Aber es würde bereits ein falsches Bild geben, wollte man festlegen, in welchem Alter durchschnittlich das Erwerbsleben beginnt, weil die höhere Schulbildung bei den oberen Einkommensgruppen gewöhnlich erst später abgeschlossen wird. Und wenn erst solche subjektiven Merkmale, wie etwa die Einstellung zu bestimmten Problemen, Meinungen und Gewohnheiten mitsprechen, wird die statistisch ermittelte »Durchschnittsfrau« zu einem bloßen Phantom. In einer Zeit, die die Begrenzung der Kinderzahl in wachsendem Umfang zu einer Frage der persönlichen Entscheidung gemacht hat, werden selbst solche anscheinend objektiven Zahlen wie Fruchtbarkeitsraten von der persönlichen Einstellung, von der Erziehung und von sozialen Werturteilen bestimmt und sind ein Spiegel für Klassenunterschiede, sowie religiöse und andere Einflüsse. Wenn wir überdies auch noch verschiedene Länder in Betracht ziehen wollen, wird die Situation noch verwickelter. Einige Tatsachen treffen jedoch allgemein zu, und sie reichen aus, um als Ausgangspunkt für eine grobe Analyse der gegenwärtigen Verhältnisse und zugleich als Basis für die Erörterung künftiger Möglichkeiten zu dienen. Die folgenden fünf Punkte zeigen den Fragenkreis auf:
- Die Frau als diejenige, die die Kinder zur Welt bringt, stellt besondere soziale Probleme. Diese Tatsache muß bei der Bewertung ihrer schöpferischen Leistung für die Gesellschaft besonders berücksichtigt werden.
- Weil sie Mutterpflichten zu erfüllen hat, ist die Anpassung der Frau an die sozialen Umwälzungen, die durch die industrielle Revolution ausgelöst wurden, vor allem hinsichtlich der Trennung von Arbeit und Heim, verzögert worden.
- Die geistige Gesundheit und das Glück kommender Generationen hängt in einem Ausmaß, das wir erst heute zu begreifen beginnen, von der Liebe und der Sicherheit ab, die dem Kinde während der ersten Lebensjahre zuteil wird.
- In diesem Sinne trägt die Frau eine besonders lastende Verantwortung für die künftige Wesensart ihres Volkes.
- Die allgemeine Verlängerung der Lebensdauer, die unser Jahrhundert charakterisiert, hat sich weit stärker für die Frau als für den Mann ausgewirkt. Heute haben die Frauen eine längere durchschnittliche Lebenserwartung als ihre Großmütter und auch als ihre männlichen Zeitgenossen.
Unter den gegenwärtigen Umständen, bei einer Durchschnittsfamilie mit kaum mehr als zwei Kindern und bei angemessenen, arbeitssparenden Hilfsgeräten, kann man annehmen, daß eine normale Hausfrau nur für etwa ein Viertel bis ein Drittel ihres ganzen Erwachsenenlebens durch die Haushaltsführung voll beansprucht wird.