Unsere Zivilisation ist voll innerer Widersprüche, die sich in der geistigen Unsicherheit des heutigen Menschen widerspiegeln. Der einzelne steht in der Gesellschaft vor einer Vielfalt von Möglichkeiten, er hat aber nur wenige Leitsätze, die ihm helfen, eine Entscheidung zu treffen. Unsere demokratische Weltanschauung gibt jedem die Freiheit, sich nach seiner Einsicht zu entscheiden; und da viele Ideale unserer Gesellschaftsordnung einander widersprechen, steht der Mensch heute vor einer Fülle von moralischen und psychologischen Konflikten.
Einige der unserer Kultur innewohnenden typischen Zwiespältigkeiten hat Karen Horney in The Neurotic Personality of Our Time (Die neurotische Persönlichkeit in unserer Zeit), 1937 beschrieben. Beispiele hierfür sind die Gegensätze etwa zwischen der durch den Wettbewerb erzeugten Aggressivität einerseits und den christlichen Idealen der Nächstenliebe und Demut andererseits; zwischen der Vergötzung des Erfolges und der Lehre, daß »die Sanftmütigen das Erdreich besitzen werden«; zwischen dem Glauben an Freiheit und der Notwendigkeit von Ordnung; zwischen dem anerkannten Grundsatz der Gleichheit und dem Nimbus von Reichtum und Rang. Diesen und zahlreichen anderen einander widersprechenden Werten sieht sich der Mensch des Westens heute in verwirrender Weise gegenübergestellt. Wissenschaft und Religion leben in einem unbehaglichen Waffenstillstand; und die Naturwissenschaften stehen unter dem Druck eines sittlichen Zwiespalts, der nur allzu grell durch die Probleme der Atombombe illustriert wird. Gesinnungskonflikte sind schon fast als die vorherrschende Krankheit des heutigen Geistes zu bezeichnen.
Vor diesem Hintergrund müssen wir die typischen inneren Konflikte der heutigen Frau sehen. So spezifisch weiblich diese Schwierigkeiten auch sein mögen, sie sind doch nur Symptome einer allgemeinen Krankheit unserer Zeit.
Viele Frauen glauben, daß sie als Frauen vom Schicksal ausersehen worden seien, mit einem fast unlösbaren Konflikt von Lebenszielen fertig zu werden. Dennoch ist ihre Lage am Scheideweg keineswegs so unabänderlich, wie sie den unglücklichen Opfern erscheinen mag. Sie ist nicht das Ergebnis eines »Naturgesetzes«, sondern die Folge von entgegengesetzten Tendenzen und Idealen innerhalb unserer Gesellschaft. Die Situation ist gerade deswegen so qualvoll, weil Männern und Frauen heute so viele neue Wege offenstehen; und das Problem ist besonders wichtig, weil es die Hälfte der zivilisierten Menschheit betrifft.
Der charakteristische weibliche Zwiespalt von heute wird gewöhnlich unter der Überschrift »Beruf und Familie« zusammengefaßt. Der Kampf um das Recht auf Arbeit richtet sich nicht mehr gegen äußere Hindernisse; man braucht nicht mehr in dem Maße gegen eine feindselige Meinung anzugehen, wie unsere Großmütter das noch mußten, und an Möglichkeiten für die Frau mangelt es auch nicht. Heute hat sich der Konflikt »verinnerlicht« und besteht als psychologisches Problem weiter, das viele unterschiedliche Abwandlungen und Schattierungen annehmen kann; und eben weil man nicht mehr zu Beginn des Erwachsenendaseins vor einem absoluten »Entweder-Oder« steht, wird die Frau praktisch ihr ganzes Leben lang in beide Richtungen gezogen.
Schwierigkeiten bei der Berufswahl
Der erste kritische Zeitpunkt wird erreicht, wenn das Mädchen vor der Berufswahl steht. Ihr ausweichen kann sie nicht, denn wir sind in der Emanzipation so weit vorgeschritten, daß kein Mädchen einfach zu Hause bleiben und auf einen Ehemann warten kann. Sie muß berufstätig sein, wenigstens bis zu ihrer Heirat, und deshalb muß sie auch daraufhin erzogen werden. Die meisten Mädchen müssen sich, ebenso wie die jungen, im Alter von fünfzehn Jahren für einen Beruf entscheiden; einige Schulsysteme zwingen die Kinder bereits mit elf Jahren zur Entscheidung, und die meisten Kinder erhalten schon während der Schulzeit eine gewisse Berufsausbildung. Selbst für die Töchter wohlhabender Eltern, die nicht damit rechnen, einmal ihren Lebensunterhalt verdienen zu müssen, sind »Töchterpensionate«, die nicht berufliche Kenntnisse vermitteln, sondern nur den letzten »gesellschaftlichen Schliff « geben, fast verschwunden. Unsere Gesellschaft ist vom Wert der Bildung - zweckbedingter Bildung - so überzeugt, daß die Eltern von heute glauben würden, sie nähmen ihren Töchtern eine Möglichkeit zur Persönlichkeitsbildung, wenn sie ihnen nicht die im Rahmen ihrer Verhältnisse bestmögliche Erziehung zukommen ließen.
In diesem frühen Stadium der Entscheidung über die bestgeeignete Ausbildung - wofür? tritt bereits ein innerer Zwiespalt in Erscheinung. Da das Mädchen wahrscheinlich heiraten wird, ist es eine offene Frage, ob sie ihre Berufsausbildung jemals praktisch verwerten wird oder nicht. Aber wie kann sie das genau wissen? Vielleicht begegnet sie nie dem Mann, mit dem sie ihr weiteres Leben teilen möchte; oder sie begegnet ihm erst in späteren Jahren; oder der von ihr geliebte Mann ist nicht in der Lage, sie zu ernähren. Auf jeden Fall macht die Fähigkeit, selber für ihren Unterhalt sorgen zu können, sie in der Gattenwahl unabhängiger. Daher wird wahrscheinlich selbst das Mädchen, das bei der ersten passenden Gelegenheit zu heiraten hofft, um dann Kinder zu haben und sich sonst über nichts weiteres den Kopf zu zerbrechen, die Gelegenheit der besten ihr zugänglichen Ausbildung wahrnehmen. überdies kann für jene, die darauf aus sind, die Universität oder der Arbeitsplatz der beste Ort sein, um passende junge Männer kennenzulernen.
Wenn das junge Mädchen nun den nach allem Dafürhalten wahrscheinlich vernünftigsten Weg eingeschlagen und eine Berufsausbildung begonnen hat, kann sie von Zweifeln geplagt werden, ob sie nicht etwa in eine Einbahnstraße geraten ist und durch den Beginn einer ziemlich langen Berufsausbildung sich selbst den Weg zu Heim und Familie versperrt hat. Statistiken, die niedrigere Heiratsziffern bei Akademikerinnen verzeichnen, scheinen derartige Befürchtungen zu bestätigen, obwohl sie durch die Tatsachen nicht mehr gerechtfertigt werden. Zahlenmaterial aus den Vereinigten Staaten wie auch aus Großbritannien zeigt, daß der Unterschied zwischen den Heiratsziffern von Akademikerinnen und anderen Frauen, der zu Beginn unseres Jahrhunderts sehr ausgeprägt war, sich allmählich verringert hat und jetzt nur noch unbedeutend ist. Im Jahre 1940 waren 30 vH der amerikanischen Akademikerinnen zwischen 45 und 49 Jahren unverheiratet, etwa 12,5 vH der Frauen mit höherer Schulbildung und 7,6 vH der Frauen mit Volksschulbildung. Diese Gruppe älterer Akademikerinnen drückt den Gesamtdurchschnitt herab.[1] Heute liegt die Heiratsziffer von Akademikerinnen - und übrigens auch von Akademikern - nur wenig unter dem Durchschnitt für ihr eigenes Geschlecht. Das gleiche gilt für Großbritannien, wo die Heiratsziffer von Akademikerinnen sich seit 1900 ungefähr verdoppelt hat.[2]
Vor fünfzig Jahren hatten Frauen mit Universitätsbildung wirklich nur geringe Chancen, einen Ehemann zu finden. Aber damals war das Studium für Mädchen ein so seltenes Phänomen, daß diejenigen, die auf die Hochschule gingen, eine Auslese bildeten - und zwar eine Auslese nach geistigen und charakterlichen Qualitäten, die es ihnen erschwerten, sich in die damals vorherrschende Form der Ehe einzufügen. Jetzt aber, da die Universitätsausbildung so weitverbreitet ist, stellen die Studentinnen nicht mehr einen besonderen Persönlichkeitstyp dar. Und die heutige Form der Ehe läßt genügend Raum für Selbständigkeit und Gleichheit der Frau, so daß Hochschulbildung und berufliche Interessen nicht mehr ein Ehehindernis bilden. Nach einer Periode von Versuchen und Irrtümern und nach einer großen Zahl ermutigender Präzedenzfälle haben die Männer heute keine Angst mehr davor, Frauen zu heiraten, die ihnen an Bildung und Erfahrung ebenbürtig sind.
Dennoch sind die alten, aus den Erfahrungen der vergangenen Generation geborenen Befürchtungen immer noch lebendig. Das gleiche gilt für die Auffassung, daß Beruf und Familie sich gegenseitig ausschließen. Sie ist besonders stark im Mittelstand verwurzelt und berührt daher am stärksten die Mädchen, die eine höhere Bildung erhalten. In den Vereinigten Staaten, wo es ein weitverbreiteter Brauch ist, daß junge Mädchen - unabhängig von ihren Plänen für die Zukunft -ins College gehen, ist diese Schwierigkeit wahrscheinlich größer als anderswo. Sie wird durch die Tatsache noch mehr kompliziert, daß in einer Gesellschaftsordnung von ausgeprägtem Wettbewerbscharakter, wie die Amerikas, junge Leute nicht bloß die alltägliche Rolle der Erwachsenen, etwa nach Art ihrer Eltern, erstreben, sondern daß sie einem Leitbild möglichst nahe kommen wollen - und die von der Gesellschaft anerkannten Ideale widersprechen einander. Die Rollen der erwachsenen Frau als Hausfrau und als Erwerbstätige wurden in jenen der reizvollen »Dame der Gesellschaft« einerseits und der erfolgreichen »Berufsfrau« andererseits idealisiert; damit ist der Zwiespalt dramatisiert worden. Die Studentin, die in der Welt vorankommen und ihr Leben erfolgreich gestalten will, hat das Gefühl, gleichzeitig zwei Rennen zu laufen, wobei sie nie genau weiß, ob ihr Vorsprung auf dem einen Gebiet nicht ein Handicap auf dem anderen bedeutet.
Das Unsicherheitsgefühl, das so in dem Mädchen entsteht, wird durch eine ebenso zwielichtige Haltung seiner Umgebung verstärkt. Die Eltern und Freunde sind nicht weniger unsicher und widerspruchsvoll hinsichtlich dessen, was sie von ihm erwarten. »Meine Familie hatte von mir erwartet, daß ich Madame Curie und Hedy Lamarr in einer Person sein würde«, sagte eine amerikanische Studentin,[3] die so in prägnanter Kürze ausdrückte, was sehr wohl das uneingestandene Ideal vieler Eltern studierender Töchter sein mag.
Die jungen Männer, denen das College-Mädchen begegnet, sind vielleicht ein noch schwierigerer Fall. Ihre Haltung schwankt zwischen dem Wunsch nach einer Freundin, die eine intelligente Gefährtin und ein »feiner Kerl« ist, und der Sehnsucht nach einer Verbindung von Mutter-Idol plus Venus von Milo: eine Frau, die in ihrem Gatten das einzige Lebensziel sieht, und auf die man stolz sein kann, wenn man sich mit ihr in der Öffentlichkeit zeigt. Der Versuch, alle diese Wünsche gleichzeitig zu befriedigen, muß natürlich mit einer Enttäuschung zumindest auf einigen Gebieten enden.
Eine weitere ernste Schwierigkeit für ein Mädchen, das in seinem Beruf erfolgreich sein möchte, entsteht daraus, daß in unserer Gesellschaftsordnung die Vorstellung von der männlichen Überlegenheit immer noch so stark ist, daß zumindest der Anschein weiblicher Schwäche und geistiger Unterlegenheit gewahrt werden muß. Die Untersuchung, aus der wir vorhin zitierten, beweist, wie viele sich dieser Schablone fügen. Der Bericht ist das Ergebnis einer 1942 und 1943 unter einer Gruppe amerikanischer Studentinnen der Sozialpsychologie durchgeführten Untersuchung, die auf etwa 150 Interviews und autobiographischen Unterlagen beruht. Die ausführlichen Zitate zeigen in einem für viele Leute wahrscheinlich erstaunlichen Umfang, daß in dieser Generation die Idee der männlichen Überlegenheit immer noch einen sehr starken Einfluß ausübt. Zwar glaubt man nicht tatsächlich an die Überlegenheit der Männer, aber die Konvention verlangt, daß die männlichen Illusionen in dieser Hinsicht nicht angetastet werden dürfen. Von den befragten Studentinnen deuteten 40 vH an, »daß sie sich gelegentlich bei Rendezvous >dumm gestellt< haben, das heißt eine akademische Auszeichnung verheimlichten, Unkenntnis auf einem bestimmten Gebiet vorgaben oder dem Mann in einem anspruchsvolleren Gespräch das letzte Wort ließen«. Ein Mädchen berichtete von ihrem College, an dem Koedukation bestand, daß »ein Mädchen, das als klug galt, gesellschaftlich erledigt war. Ich hatte immer Angst, daß ich in der Klasse zu viel sagte oder eine Frage beantwortete, die die Jungen, mit denen ich ging, nicht beantworten konnten.« Eine andere Studentin gestand: »Gegen meine Überzeugung ging ich auf seine Ansichten ein, denn je weniger man weiß und tut, desto mehr tut er für einen und hält einen noch obendrein für reizend.« Ein Mädchen beschrieb ein Arbeitslager, in dem »die Mädchen die gleiche Arbeit taten wie die Jungen. Wenn einige Mädchen besser arbeiteten, nahmen die Jungen das außerordentlich übel. Der Leiter forderte ein tüchtiges Mädchen auf, langsamer zu arbeiten, damit der Friede in der Gruppe erhalten bliebe.«
Man braucht wohl kaum zu bezweifeln, daß das Gefühl der Unsicherheit und Ungewißheit über ihre Aufgaben als erwachsene Frau, das alle in dieser Untersuchung erfaßten amerikanischen College-Studentinnen bezeugten, auch heute unter jungen Frauen weitverbreitet ist. Vielleicht ist es in Ländern, wo der Konkurrenzkampf noch nicht in alle Lebensgebiete eingedrungen ist, weniger akut - dort etwa, wo der »Wettbewerb um die meisten Rendezvous« sich noch nicht so eingebürgert hat wie bei der amerikanischen Jugend, und wo die Heirat oder Verlobung zum erstmöglichen Termin nicht den gleichen Prestigewert hat; aber die Tendenz ist überall vorhanden, und das Gewicht der gesellschaftlichen Konvention wirkt in Richtung auf die Ehe und weg von Studium und Beruf.
Erfolg in den persönlichen Beziehungen ist natürlich für eine junge Frau ebenso wichtig wie Erfolg in der Arbeit. Sie kann jenen nicht gut opfern, um einen zunächst unsicheren Beruf zu verfolgen. Einen Ausgleich zu finden zwischen den an sie auf beiden Gebieten gestellten Anforderungen an Zeit, Aufmerksamkeit und Energie, ist für das Mädchen schwieriger als für den jungen Mann-. erstens, weil in ihrem Fall die Wege zum Erfolg in zwei einander entgegengesetzte Richtungen zu führen scheinen, und zweitens, weil das Mädchen immer irgendwie von dem Gedanken geplagt wird, daß selbst, wenn ihre Anstrengungen von Erfolg gekrönt sind, sie womöglich zu nichts führen. Wie ernst darf sie sich selbst nehmen, wenn sie auch echtes Interesse an ihrer Arbeit hat? Kann sie sicher sein, daß dieses Interesse immer stark genug sein wird, um gegen alle Ansprüche an ihre Gefühle und gegen die Versuchung zu bestehen, in die traditionelle Form der Ehe und Familie zurückzufallen? Zu oft hat das Mädchen gehört, daß ausgezeichnete und vielversprechende junge Studentinnen schließlich ganz gewöhnliche Hausfrauen wurden, um nicht insgeheim doch geistige Vorbehalte zu machen, daß sie selbst hin sichtlich ihrer eigenen aufrichtigen Versicherung, ihren Beruf ernst nimmt.
Es ist zu hoffen, daß dieser Zwiespalt durch wirksame Berufsberatung gemildert werden kann, indem man Mädchen, die in erster Linie heiraten und Kinder haben wollen, in solche Berufe lenkt, die sie hierfür vorbereiten, und die die gleichen Kenntnisse und Eigenschaften erfordern wie die Arbeit im Haushalt; wogegen zu erwarten wäre, daß jene Mädchen, die eine starke Neigung und Begabung für einen der traditionell »männlichen« Berufe mitbringen, so lange wie möglich - und mit möglichst wenigen Unterbrechungen - ihren Beruf ausüben werden. Der ersten Gruppe steht eine große Vielzahl von Berufen offen - Krankenpflege, Unterricht, Sozialarbeit, Personalbetreuung, Gaststättenberufe usw., und viele ähnliche Berufe müßten noch ausgebaut werden. Daher gibt es keinen Mangel an Berufen, unter denen die Frau wählen kann, wenn sie für die Zukunft vor allem auf eine Heirat hofft. Alle diese Berufe haben den Vorzug, daß das erworbene berufliche Können auch dann keineswegs verlorengeht, wenn sie nach der Eheschließung die Erwerbstätigkeit für längere Zeit aufgibt. Im Gegenteil, die Erfahrung im Haushalt und im Aufziehen von Kindern kann bei einer späteren Rückkehr in den Beruf ein großer Gewinn sein.
Die richtige Einschätzung der Persönlichkeit ist ein grundlegendes Erfordernis bei der Berufsberatung; und die Einstellung des jungen Mädchens zu Ehe und Beruf ist ein Persönlichkeitsfaktor von großer Bedeutung, der von denen angemessen berücksichtigt werden muß, die Auskunft und Rat für die richtige Weiterbildung und die am besten geeigneten Berufe erteilen.
Die Wirksamkeit einer solchen Beratung wird jedoch von zwei Faktoren ernstlich beeinträchtigt. Erstens liegt es auf der Hand, daß man die Zukunft nicht vorhersagen kann. Selbst wenn die Menschen ihr ganzes Leben lang folgerichtig in ihren Antrieben, eindeutig in ihren Absichten und fest in der Verfolgung ihrer Lebensziele wären - was nicht der Fall ist , gäbe es immer noch zu viele unberechenbare Möglichkeiten, als daß eine Planung auf lange Sicht absolut sicher sein könnte. Ein Mädchen, das mit 18 oder 20 Jahren von einem brennenden Interesse etwa für Physik oder Anthropologie beherrscht wird und davon überzeugt ist, daß es diesem Fach sein Leben widmen will, kann dennoch Mit 26 Jahren den unwiderstehlichen Drang verspüren, mit einem Offizier oder einem Versicherungskaufmann eine Familie zu gründen. Der zweite, nicht weniger unberechenbare Faktor ist die Frage, welchen Verlauf das künftige Eheleben des Mädchens nehmen wird. Daher birgt jeder Versuch, ein Mädchen zu einem Beruf zu überreden, für den es keine starke Neigung hat, zu viele Gefahren, als daß er vernünftigerweise gemacht werden dürfte.
Eine noch größere Schwierigkeit, die den Kern dieses Problems bildet, ergibt sich aus der Tatsache, daß die Frau mit häuslichen Fähigkeiten und Neigungen und die Frau mit bleibendem Interesse für einen der traditionell »männlichen« Berufe nicht zwei verschiedene Charaktertypen darstellen. Dieselbe Frau kann sowohl eine hervorragende Wissenschaftlerin oder Geschäftsfrau als auch eine erstklassige Hausfrau, Mutter und Köchin sein, und sie kann an allen diesen Tätigkeiten viel Freude haben. Jeder von uns kennt wahrscheinlich ein halbes Dutzend Frauen, die eine derartige Kombination verkörpern - und obendrein adrett und gepflegt aussehen -, was beweist, daß das möglich ist und auch geschieht. Miß Florence Horsbrugh, ehemaliger Erziehungsminister Englands, sagte einmal: »Ich habe mehr Befriedigung am Kochen eines guten Dampfpuddings gehabt als an irgendeiner Rede, die ich jemals von der Regierungsbank im Unterhaus hielt.«
Dr. Edith Summerskill, die in einer früheren Regierung Minister für Ernährung war, gab ähnliche Erklärungen über ihr Familienleben ab. Dennoch sind beide offensichtlich aus freien Stücken und aus Neigung, vielen Schwierigkeiten zum Trotz, Politikerin geworden, und es wäre Talentverschwendung gewesen, wenn sie nur auf den Gebrauch ihrer hausfraulichen Gaben beschränkt gewesen wären.
Der Zwang, sich auf ein Sondergebiet zu spezialisieren, würde die Möglichkeiten einer klugen Frau auf anderen Gebieten beeinträchtigen. Man kann daher das junge Mädchen nicht zwingen, zwischen häuslichen und intellektuellen Interessen zu wählen, wenn es nicht Schaden an seiner weiteren Entwicklung nehmen soll. Deshalb besteht diese Schwierigkeit immer noch und wird bestehen bleiben, bis die Gesellschaft sich geistig und materiell den neuen Bedingungen so angepaßt hat, daß es den Frauen möglich wird, eine berufliche Laufbahn mit Ehe und Familienleben befriedigend zu verbinden. Erst dann werden die Gefühlsfaktoren - die Anziehungskraft einer überlieferten Rolle, das Vorbild der Mutter, die Hoffnung auf Heirat - aufhören, mit den vernunftmäßigen Erwägungen in heftigen Widerstreit zu kommen.
Der vernünftigste Rat, den man unter den gegenwärtigen Verhältnissen einem jungen Mädchen geben kann, ist der, einen Beruf zu wählen, der seinen Interessen und Neigungen am besten entspricht und bei dessen Ausübung von der Voraussetzung auszugehen, daß es seinen Unterhalt wird verdienen müssen, denn die Ehe ist kein Allheilmittel. auch als verheiratete Frau will sie vielleicht später aus finanziellen Gründen, oder weil es ihrer inneren Zufriedenheit dient, eine Stellung annehmen; sie sollte daher ihre Arbeit ernst nehmen; und unter allen Umständen sollte sie - selbst wenn sie sich noch während ihrer Ausbildung verlobt wenigstens versuchen, ihre Ausbildung abzuschließen, so daß sie später ihrem Beruf wieder nachgehen kann, wenn sie es wünscht oder nötig haben sollte.
Schwierigkeiten der verheirateten Frau
durch einen Beruf
Viele Tausende von Frauen haben sich ernsthaft für einen Beruf ausgebildet, aber das, man braucht es wohl kaum zu sagen, hat auch seine Tücken. Es ist zwar eine Art Versicherung für ein Mädchen, das nicht heiratet oder nicht den ersten besten Mann heiraten will, vermehrt aber zweifellos die Probleme der Frau, die eine Ehe schließt.
Gesetzliche Vorschriften, die bis vor kurzem die Frauen in bestimmten Berufen wie Lehrerin und Beamtin zwangen, bei der Heirat auszuscheiden, sind jetzt in den meisten westlichen Ländern praktisch abgeschafft worden. Daher ist die Frage, ob die Frau nach der Heirat ihre Berufsarbeit beibehalten soll oder nicht, weitgehend zu einer persönlichen Entscheidung und Übereinkunft zwischen den Eheleuten geworden. Aber selbst die Tatsache, daß ein solcher Entschluß nach angemessener Berücksichtigung aller Für und Wider vernunftgemäß erfolgt ist, beseitigt nicht unbedingt Zweifel und Sorgen auf einer tieferen, psychologischen Ebene.
Selbst wenn ein Ehepaar sein gemeinsames Leben auf rückhaltloser Kameradschaft, beiderseitiger Selbständigkeit im Berufsleben und gemeinsamer Verantwortung für den Haushalt aufgebaut hat, mag sich dies angesichts einer Tradition, die eine Arbeitsteilung zwischen dem Ernährer der Familie und der im Haushalt wirkenden Ehefrau vorsieht, nur unter Schwierigkeiten verwirklichen lassen. Ob sie es wollen oder nicht, es werden sich Vergleiche zwischen ihrem eigenen Lebensstil und dem herkömmlichen aufdrängen - und diese werden in vieler Beziehung für die berufstätige Frau ungünstig sein.
Die außerhäuslich erwerbstätige Frau fragt sich oft, ob sie nicht ihren Mann über Gebühr belastet, wenn sie von ihm erwartet, daß er bei der Hausarbeit hilft, während andere Männer nach den Bürostunden sich entweder ausruhen oder einer Beschäftigung nachgehen, die ihnen das berufliche Fortkommen erleichtern kann. Ist sie vielleicht zu sehr in ihren eigenen Angelegenheiten befangen, um ihm so aufgeschlossen zuzuhören, wie er es erwartet? Ist sie eine ausreichend gute Hausfrau? Die traditionellen Maßstäbe hausfraulicher Tugenden haben sich seit den Zeiten unserer Großmütter nicht sehr geändert. Immer noch ist die ideale Hausfrau nach allgemeiner Auffassung diejenige, die ein Höchstmaß von Zeit und Arbeit zu Hause aufwendet und alles, was nur möglich ist, mit eigenen Händen tut. Obwohl Luxusjournale voll von verlockenden Werbeanzeigen für köstliche Gerichte sein mögen, die man im Handumdrehen aus der Konservendose zubereiten kann, ist dennoch der Gebrauch des Dosenöffners als Küchengerät immer noch mit einem gewissen Makel behaftet. Natürlich kann eine Frau, die tagsüber im Büro arbeitet, nicht die gleiche Sorgfalt auf die Zubereitung der Mahlzeiten verwenden wie die Vollhausfrau, und ihre Kuchen, die aus dem Laden kommen oder aus einem »fertigen Kuchenteig« stammen, dürften den Vergleich mit denen nicht aushalten, an die sich ihr Ehemann mit einem gewissen Heimweh nach Mutters Küche erinnert.
Wenn sie Kinder hat, werden ihre Zweifel und Schuldgefühle doppelt so groß sein. Entzieht sie ihnen die so notwendige Fürsorge? Vielleicht verwöhnt sie die Kinder, um ihr eigenes schlechtes Gewissen zu beruhigen? Wenn auch nichts darauf hindeuten mag - wird die künftige Entwicklung der Kinder ihre eigenen Unterlassungssünden ans Licht bringen? Die heutige Psychologie hat den mütterlichen schultern eine sehr schwere Last an Verantwortung aufgebürdet, und je gebildeter die Mutter ist, desto mehr sind ihr auch die möglichen Folgen ihres Tuns bewußt.
Wenn wir all diesen Gewissenskonflikten die Tatsache hinzuzählen, daß die Frau mit einer doppelten Verantwortung sich oft müde und gereizt fühlen wird, und daß ferner der finanzielle Ansporn, die doppelte Arbeitslast auf sich zu nehmen, oft sehr gering oder überhaupt nicht vorhanden ist, da die zusätzlichen Einkünfte durch erhöhte Ausgaben für eine Haushaltshilfe, den Kindergarten, größere Wäscherechnungen, Fahrgelder, Mahlzeiten außerhalb des Hauses und Steuern aufgesogen werden, dann können wir mit Recht die Frage stellen, warum so viele verheiratete Frauen es trotzdem vorziehen, weiterzuarbeiten und warum so viele andere, die ihre Stellung aufgegeben haben, um sich ihrem Heim und ihrer Familie zu widmen, einen Verlust empfinden und sich nach dem Tage sehnen, an dem ihre Kinder herangewachsen sind und sie ihren Beruf wieder aufnehmen können.
Bei der Stichproben-Befragung von 1165 verheirateten Akademikerinnen in Graduate Wives [4] (Ehefrauen mit Hochschulabschluß) erklärten 500, d. h. fast die Hälfte, eindeutig, daß sie später, nämlich wenn ihre Kinder alt genug wären, gern irgendeine Arbeit übernehmen würden; einige andere wollten gern arbeiten, waren sich aber noch nicht völlig darüber klar, was sie tun wollten; nur 13 vH der Akademikerinnen (gegen 41 vH der verheirateten Nicht-Akademikerinnen, die zur Kontrolle befragt wurden) sagten, sie beabsichtigten nicht, irgendeine Arbeit anzunehmen. Selbst wenn man in diesen Äußerungen nur den Ausdruck von Absichten sieht, so zeigen sie doch deutlich, daß viele Frauen, und zumal solche mit höherer Qualifikation, ein starkes Bedürfnis nach außerhäuslicher Berufsarbeit haben, und daß viele von ihnen bei günstigen Umständen bereit wären, ihr berufliches Können und ihre Arbeitskraft in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen. Die gegenwärtige Vergeudung dieses Potentials steht in deutlichem Widerspruch zu den Wünschen vieler Frauen und bedeutet für die Gesellschaft einen unnötigen Verlust.
In einem früheren Kapitel haben wir die Gründe erörtert, aus denen verheiratete Frauen sich nach einer Tätigkeit außerhalb ihres Haushaltes umsehen. Einige dieser Gründe verdienen eine größere Beachtung, besonders soweit sie die Frau mit höherer oder akademischer Ausbildung betreffen, einmal weil sie diesen Frauen zur Ehre gereichen, zum anderen weil sie jene ermutigen, die an den Wert einer Ausbildung glauben und die Unentwegten widerlegen, die jede höhere Bildung für Frauen als Verschwendung erklären.
Nicht wenige Frauen werden von dem Gefühl einer Berufung dazu bestimmt, ihre Tätigkeit nach der Heirat fortzusetzen. Das gilt besonders für Lehrerinnen, Krankenschwestern und Frauen in anderen Sozialberufen. Anderen wiederum mag ein lobenswertes Gefühl sozialer Verantwortung sagen, daß sie nach einer jahrelangen Ausbildung, bei der sie einen der zahlenmäßig begrenzten Studienplätze an einer Universität oder Fachschule in Anspruch genommen haben, es der Gesellschaft schuldig sind, den erlernten Beruf auszuüben.
Es sei dahingestellt, ob solche hohen und selbstlosen Motive die Hauptgründe sind, die verheiratete Frauen dazu veranlassen, einem außerhäuslichen Beruf nachzugehen; sie spielen aber dabei bestimmt eine Rolle, die bis jetzt noch nicht genügend beachtet wird. Jedenfalls würde ein Mehr an öffentlicher Anerkennung vielen Frauen, die aus eigenem Antrieb auf sich nehmen, was zumindest in der gegenwärtigen Phase der gesellschaftlichen Entwicklung eine doppelte Bürde an Arbeit bedeutet, zweifellos helfen, die psychologischen Schwierigkeiten zu bewältigen, in die sie heute verstrickt sind.
Schwierigkeiten für die Hausfrau
Unter den Gründen, die die verheiratete Frau zur Berufsarbeit bestimmen, beeinträchtigen zwei zugleich auch das Ansehen des Hausfrauenstandes: einmal die finanzielle Abhängigkeit, zum anderen die niedrige Einschätzung der Hausarbeit in unserer Gesellschaft. Beide haben den verheirateten Frauen viel Anlaß zur Bitterkeit gegeben. Die verschiedensten Frauenorganisationen in allen hier untersuchten Ländern haben sich darum bemüht, den sozialen Status der Hausfrau in beiden Richtungen zu heben: Sie befürworteten nicht nur eine Vergütung - oder etwas Gleichwertiges - für Frauen, die »hauptberuflich« einen Haushalt leiten und Kinder aufziehen, sondern verbesserten auch die Qualität und damit das Ansehen der Hausarbeit, was vielleicht nützlicher und erfolgreicher war. Diese Bemühungen haben bisher vor allem dazu geführt, daß die Hausgehilfinnen höher geachtet und besser bezahlt werden - wozu deren Knappheit ohne Zweifel viel beigetragen hat -, aber sie haben sich nicht sonderlich stark auf die soziale Stellung der Hausfrau ausgewirkt. Ihr Ansehen ist, wie seit jeher, ein Abglanz der Stellung ihres Mannes, und sie verdankt es nicht dem Wert ihrer eigenen Arbeit.
Um diesem Zustand, den viele Frauen demütigend finden, entgegenzuwirken, hat man in der Presse und in der öffentlichen Meinungsbildung einen Hausarbeits- und Mutterschaftskult gepflegt. Die sentimentale Verherrlichung, die diesen Tätigkeiten zuteil wird, mag vielen Hausfrauen schmeicheln; aber auf die Dauer bringt sie mehr Schaden als Nutzen, denn sie ermutigt die Frauen, sich einer unvernünftigen Selbstbemitleidung hinzugeben und hindert sie, ihre Lage richtig zu beurteilen.
Manchmal gleicht diese Verherrlichung verdächtig einer Überredung; als ob man die Frauen davon überzeugen müßte, daß ihr Los besser ist, als sie glauben. Mag dieser Eindruck nun zutreffen oder nicht: Der sentimentale Kult, der mit den häuslichen Tugenden getrieben wird, ist die billigste Methode der Gesellschaft, die Frauen zu beschwichtigen, ohne sich mit ihren Nöten ernsthaft zu befassen oder ihre Lage zu verbessern. Sie ist bis auf den heutigen Tag erfolgreich benutzt worden und hat dazu beigetragen, manches Dilemma der Hausfrauen zu verewigen, indem man ihnen einerseits erklärt, sie weihten sich der heiligsten Pflicht, während man sie andererseits unbezahlten Kulis gleichstellt.
Diese Bezeichnung mag angesichts der Tatsache, daß es einigen Frauen trotz ihrer finanziellen Abhängigkeit offensichtlich gut geht, übertrieben erscheinen. Aber die Kaufkraft einer Frau ohne eigenes Einkommen hängt natürlich von der Großzügigkeit ihres Mannes ab. Es gibt noch immer allzu wenig Fälle, in denen eine wirkliche Partnerschaft bei den ehelichen Finanzen besteht. Und die finanzielle Lage der verheirateten Frau gleicht, wenn nicht in der Praxis so doch im Prinzip, der einer Minderjährigen. Dieser Zustand der Abhängigkeit ist erniedrigender, als gern zugegeben wird und verursacht viele häusliche Spannungen und Frustrationen. Da die meisten Frauen heute die Unabhängigkeit kennengelernt haben, die ihnen ein selbst verdientes, wenn auch noch so kleines Einkommen verschafft, fällt es ihnen schwer, um Geld bitten und über ihre Ausgaben Rechenschaft ablegen zu müssen.
Abgesehen von diesen äußerst wichtigen finanziellen Überlegungen bedrücken die Frau, die sich ganz ihrem Heim und ihrer Familie widmet, viele andere Umstände. Gerade die intelligentere, lebhafte und gebildete Frau fürchtet, daß sie in der Enge ihres Heimes geistig verkümmert und ohne Anregungen verdummt. Heim und Kinder als Milieu mögen zwar das Gemüt ansprechen, aber sie wirken kaum geistig befruchtend. Am meisten leiden die Hausfrauen jedoch unter ihrer gesellschaftlichen Isolierung - einer Isolierung, die die durch ihren Beruf an menschliche Kontakte gewöhnte Frau stärker empfindet als die zur Hausfrau geborene und erzogene. Ihre Arbeit führt nicht wie andere Beschäftigungen von sich aus zu menschlichen Kontakten - im Gegensatz zu früheren Zeiten, als die Haushaltungen größer waren und mehr Verrichtungen, die sich als Gemeinschaftsarbeit eignen, im Haus geleistet wurden. Ihre Arbeit gewährt der Hausfrau nicht die geistige Anregung und innere Befriedigung, die aus der Tätigkeit in einer Gruppe entspringt. Zudem ist gerade die Hausfrau das Opfer jener Mittelstandsideologie der Zurückgezogenheit [5] geworden, die heute weite Kreise der Gesellschaft beherrscht und das »Unter-sich-Bleiben« zu einer der Haupttugenden im Anstandskodex des Besitzbürgertums und kleinen Mittelstandes gemacht hat.
Von Geselligkeit durch ihre Arbeit und von den Nachbarn durch das konventionelle »reservierte« Verhalten isoliert, ist die Hausfrau normalerweise innerhalb ihrer vier Wände eingeschlossen, da ihr Mann den größten Teil des Tages auswärts arbeitet und ihre Kinder wenn sie nicht noch zu jung sind, um wirkliche Gefährten sein zu können draußen spielen, in die Schule gehen oder bei der Arbeit sind. In der Regel lebt sie meilenweit entfernt von anderen Angehörigen oder den Schulfreundinnen, die sie haben mag. Ihre Einkaufsgänge sind für sie »Ausflüge in die Welt«, und deshalb neigt sie dazu, sie in einer Weise auszudehnen, die für Nicht-Hausfrauen oft nur schwer zu begreifen ist.
Diese gesellschaftliche Isolierung bewirkt eine doppelte seelische Belastung: Auf der einen Seite gibt die Einsamkeit der Hausfrau das Gefühl eines Verlustes; sie ist mit ihrer Rolle unzufrieden und hat das Gefühl, daß das Leben an ihr vorübergeht.
Auf der anderen Seite hat der Verfall anderer gesellschaftlicher Bindungen ihre Ehe ungebührlich belastet. Denn die Ehe ist nun nicht mehr ein Glied eines Sozialgefüges - wie wichtig es auch immer gewesen sein mag -, sondern sie ist praktisch zum einzigen Band geworden, das die Hausfrau mit der Außenwelt verknüpft. Die Teilnahme an örtlichen Veranstaltungen und Freizeitgruppen ist besonders der Frau mit kleinen Kindern aus den gleichen Gründen nicht immer möglich, die ihr die Beibehaltung ihres Berufes erschweren. Sich derartigen Betätigungen außerhalb des Hauses zuzuwenden, erfordert eine besondere geistige Anstrengung, deren manche Hausfrau nicht fähig ist. In der Regel ist ihr Mann die alleinige Quelle für alle ihre gefühlsmäßigen, intellektuellen und geistigen Bedürfnisse und ihr einziger echter Kontakt mit der »weiten Welt«. sich auf irgendeine menschliche Bindung so sehr verlassen, heißt, sie bis zur Grenze ihrer Tragfähigkeit und manchmal darüber hinaus belasten. »Die gegenwärtige Scheidungsquote«, sagt ein amerikanischer Soziologe,[6] »ist, zumindest teilweise, ein Maßstab der Ansprüche, die feinfühlende Ehepaare des Mittelstandes neuerdings in bezug auf Gemeinschaft und Freizeitgestaltung an die Ehe stellen... diese Ansprüche sind nicht nur anfangs bei der Wahl des Partners hoch, sondern ... sie schließen die Erwartung ein, daß der eine Partner sich ungefähr im gleichen Maß und Tempo wie der andere zu einer vollen Persönlichkeit entwickelt. «
Die Situation wurde dadurch verschlimmert, daß die Beteiligung des Mannes am Leben der Familie, an den täglichen Pflichten des Haushalts und an der Erziehung der Kinder durch die Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau und durch die räumliche Trennung des Haushaltes vom Arbeitsplatz auf ein Minimum beschränkt worden ist. Man lebt in zwei verschiedenen Welten, und der Bereich, in dem sich beide Sphären decken, ist durch die gesellschaftliche Isolierung der Hausfrau in gefühlsmäßiger Hinsicht überlastet worden.
Theoretisch bringen die modernen Nachrichten- und Unterhaltungsmittel bei bloßem Drehen eines Knopfes die ganze Welt ins Haus. In Wirklichkeit hingegen fällt nur ein Schatten dieser Welt herein. Der auf diese Art hergestellte Kontakt ist unpersönlich und ohne wechselseitige Beziehung. Im Rundfunk, den die Frau bei ihrer Hausarbeit einschaltet, bieten ihr unpersönliche Stimmen Nachrichten, Ansichten und Unterhaltung; das Fernsehen projiziert Menschen und Geschehnisse auf den Bildschirm, ohne dabei ein Gefühl der »Präsenz« aufkommen zu lassen. Zwischen dem Künstler oder Ansager und seinem Publikum kommt es zu keinem wechselseitigen Kontakt, wie er im »wirklichen Leben« entsteht. Zeitungen mögen alle möglichen Einzelheiten aus dem Leben fremder, unbekannter Leute veröffentlichen, doch so sehr sich die Journalisten auch darum bemühen, besonders ihren weiblichen Lesern »Menschliches« zu vermitteln - diese Menschen bleiben Fremde, und jedes Verhältnis zu ihnen bleibt einseitig, selbst wenn es dabei weitgehend zu einer Identifizierung kommt, was oft geschieht. Die isolierte Frau mag zu Hause wohl mit den Ereignissen »in Berührung« bleiben, aber sie fühlt, daß sie selbst von den Ereignissen nicht berührt wird und daß diese sich ohne ihre Teilnahme abspielen. Die Fülle der Informationen, die ihr ohne eigene Mühe geboten wird, verliert nicht den »Ersatz«-Charakter. Durch sie wird das Gefühl der Isolierung und des Ausgeschlossenseins eher verstärkt als gemindert.
Viele Forscher sind über die Tatsache erstaunt gewesen, daß Hausfrauen Büros und Werkstätten für verlockende Stätten halten, die von interessanten menschlichen Kontakten erfüllt sind, und daß viele berufstätige Mütter erklären, ihre Arbeit biete ihnen einen Ausweg, der die zusätzliche Belastung völlig aufwiege. Viele von ihnen sagen, daß sich die Nervenanspannung, die durch die Isolierung und die unaufhörlichen kleinen Alltagssorgen entsteht, durch das Sicherheitsventil des Berufs verringere und die häuslichen Sorgen wieder die richtigen Proportionen bekämen, wenn man sie vor dem größeren Hintergrund betrachtet, den der Kontakt mit anderen Menschen vermittelt.
Rückschritt ist kein Ausweg
Die offensichtliche Unzufriedenheit unter den Frauen von heute hat einige Leute zu dem Schluß gebracht, die Frauenemanzipation sei die Wurzel allen Übels. Hätte die Frauenbewegung keinen Erfolg gehabt - so wird manchmal argumentiert -, dann könnten die Frauen noch heute als Hausfrauen und Mütter, ohne aus dem Hause zu streben, glücklich sein. Die Gleichmacherei habe ihnen »Ideen in den Kopf gesetzt«, die mehr Schaden angerichtet als Gutes bewirkt hätten.
Feststellungen wie diese halten einer Prüfung durch eine historische oder soziologische Analyse nicht stand. Sie müssen als Ausdruck einer irrationalen Sehnsucht nach der Vergangenheit bewertet werden, die einer Unzufriedenheit mit der Gegenwart einspringt. Sie liegen auf derselben Ebene wie andere sehnsüchtige Vergleiche zwischen einzelnen Gegenwartserscheinungen und ihrem für die Vergangenheit vermeintlich charakteristischen Gegenteil. Unsere Rastlosigkeit stellt man der Glaubenssicherheit des Mittelalters gegenüber, unsere demokratische »Gewöhnlichkeit« der aristokratischen Eleganz des 18. Jahrhunderts, und so fort. In eben diesem 18. Jahrhundert aber erfand Montesquieu seinen »unverdorbenen« Perser, und beschwor Rousseau das Ideal des »edlen Barbaren« im Gegensatz zu der Heuchelei seiner eigenen Gesellschaft. So ist das Sichzurücksehnen nach den besseren, »reineren« Tagen der Vergangenheit nichts Neues. Die Auflehnung gegen unsere von der Maschine beherrschte Zivilisation ist so alt wie die Zivilisation selbst. Bestrebungen, den Fortschritt aufzuhalten, sind jedoch wirkungslos geblieben.
Wenn es auch wahr ist, daß Kühlschränke keinen Ersatz für Seelenfrieden darstellen, und daß die Beschleunigung des Luftverkehrs weder die Summe menschlichen Glücks noch das Gefühl der Brüderlichkeit unter den Menschen vermehrt hat, sind solche Feststellungen doch äußerst belanglos. Es dient keinem praktischen Zweck und kann keinem dienen, isolierte Erscheinungen aus ihrem gesellschaftlichen Zusammenhang herauszugreifen, um sie für gegenwärtige Mißstände einzeln verantwortlich zu machen.
Es mag wohl sein, daß die Frauen in der Welt vor der Emanzipation im allgemeinen glücklicher waren, als ihre Enkeltöchter es heute sind, obwohl sich die Gesamtmenge des vorhandenen Glücks in zwei beliebigen Zeitpunkten kaum miteinander vergleichen läßt. Man könnte jedoch mit demselben Recht sagen, daß in jener vorindustriellen Zeit die Menschen gemessen an unseren gegenwärtigen Nöten - ganz allgemein glücklicher waren, daß sie weniger rastlos und ohne ständigen Konkurrenzkampf, zufriedener mit ihrer Arbeit, weniger ehrgeizig und weniger uneins mit sich selbst waren. Andererseits starben mehr Menschen im Kindesalter, im Wochenbett, als Opfer von Epidemien und Hungersnöten; ein größerer Teil der Bevölkerung war unheilbar krank oder durch Krankheit entstellt; mehr Menschen wurden von älteren Angehörigen und von ihren Vorgesetzten schlecht behandelt, und mehr litten unter entsetzlicher Armut und harter Ungerechtigkeit. Die Gesamtsumme einer so trügerischen Sache, wie es das menschliche Glück ist, läßt sich einfach nicht errechnen.
Soviel jedoch läßt sich sagen- Als die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse sich mit der industriellen Revolution änderten, wuchs bei den Frauen die Unzufriedenheit mit ihrem Los bis zu einem solche Grade, daß sie in der Emanzipationsbewegung das Ventil fand, dessen sie bedurfte, und daß man durch eine Reihe von Neuregelungen in unserem Gesellschaftssystem versuchen mußte, Abhilfe zu schaffen - eine Entwicklung übrigens, die noch nicht abgeschlossen ist. Die Emanzipation ungeschehen zu machen und zu den »drei K's«, nämlich zu Kindern, Küche und Kirche zurückzukehren, würde, wenn es überhaupt möglich wäre, die Rückkehr zu einem Zustand der Spannung und des Unglücklichseins bedeuten - es sei denn, daß die Industrialisierung und alle ihre wirtschaftlichen und sozialen Errungenschaften gleichzeitig ungeschehen gemacht werden könnten. Dies ist jedoch reine Phantasterei. Selbst wenn es möglich wäre, allein für die Frau eine rückläufige Entwicklung in Gang zu bringen, so würde das die Spannungen zwischen den Geschlechtern gewiß noch unüberwindlicher als je zuvor machen. 'tatsächlich ist es ebensowenig möglich, in ein vergangenes Stadium der gesellschaftlichen Entwicklung zurückzukehren, wie es einem Erwachsenen möglich ist, in das embryonale Stadium seliger Unbewußtheit oder in die Nicht-Verantwortlichkeit seiner früheren Kindheit zurückzukehren. Das einzige, was der Sozialreformer tun kann, ist Härten, die sich auf Grund von ungleichmäßigen Entwicklungen in den verschiedenen Bereichen der Gesellschaft ergeben haben, auszugleichen und die Anpassung der Gesellschaft an neue Lebensbedingungen so glatt wie möglich gestalten zu helfen.
Eine wichtige Minderheit
Es ist natürlich richtig, daß viele verheiratete Frauen ihrem früheren Beruf nicht nachtrauern und froh darüber sind, von Arbeitsverhältnissen befreit zu sein, die sie als Sklaverei empfanden. Auch ist es richtig, daß viele, die nach der Heirat ihren Beruf beibehalten, dies nicht freiwillig, sondern unter dem Zwang der wirtschaftlichen Verhältnisse tun. Man wird uns gewiß darauf hinweisen, daß die psychologischen Spannungen und Schwierigkeiten, die wir in diesem Kapitel erörterten, vorwiegend eine verhältnismäßig kleine Gruppe von Frauen aus dem gebildeten Mittelstand betreffen.
Mit voller Absicht haben wir den Problemen der Frau, die für einen Beruf ausgebildet wurde, mehr Aufmerksamkeit gewidmet, als es ihrer Zahl nach gerechtfertigt scheint. Wir haben dies aus verschiedenen Gründen getan. Einer davon ist der, daß nur dort ein Problem der Wahl entstehen kann, wo es zumindest eine gewisse Freiheit des Wählens gibt. Eine Frau, die erwerbstätig sein muß, um ihre Familie zu ernähren, wird von den psychologischen Auswirkungen ihrer Abwesenheit auf ihre Kinder nicht allzusehr angefochten werden. Sie weiß, wenn sie nicht das notwendige Geld für die Ernährung ihrer Kinder verdient, werden sie Hunger leiden. Welches von beidem das kleinere Übel ist, unterliegt keinem Zweifel.
Überdies meldet sich die gebildete Elite mehr zu Wort, und ihre Probleme werden daher häufiger erörtert. Diese Minderheit schafft das Modell, das später von der Gesellschaft allgemein angenommen wird. Nach ihren Erfolgen und Fehlschlägen wird man das Ergebnis der Frauenemanzipation beurteilen und die Frage »wieviel Gleichberechtigung« entscheiden. Eine Lehrerin, Fürsorgerin oder Ärztin, die bei der Heirat ihre Laufbahn abbricht, schafft damit einen stärker beachteten Präzedenzfall als Dutzende von Ladenmädchen, Fabrikarbeiterinnen oder Stenotypistinnen, die dasselbe tun. Frauen sind in den höheren Berufsgruppen noch verhältnismäßig neu und durchlaufen dort ein Versuchsstadium; und man beurteilt, wie bei anderen Minderheiten, den ganzen Stand nach dem Verhalten jedes seiner Mitglieder. Wenn die berufstätige Frau entweder in ihrem Beruf oder in ihrer Ehe versagt, was den wachsamen Augen der anderen nicht entgeht, dann wird dadurch nicht nur der allgemeinen Stellung der Frau in der Gesellschaft, sondern auch ihrer eigenen Hoffnung auf eine glückliche Änderung der bestehenden Lebensbedingungen großer Schaden zugefügt. Wenn es den Vorkämpferinnen gelingt, Mutterschaft und Beruf miteinander zu verbinden, können alle Frauen daraus Mut schöpfen.
Es ist natürlich richtig, daß der Wert der Bildung nicht in der Weise gemessen werden kann, wie man den materiellen Ertrag aus Kapitalinvestitionen mißt. Ihre Erträge lassen sich zu schwer bestimmen, als daß sie in einem Kontobuch in Erscheinung treten könnten. Es gibt immer wieder in der Presse ausgedehnte Diskussionen darüber, ob die Hochschulbildung für Mädchen nicht Zeit- und Geldverschwendung sei, da die meisten Frauen ihren Beruf bei der Heirat aufgeben. (Labour Lost through Love oder Durch Liebe verlorene Arbeitskräfte war die treffende Überschrift, mit der etwa der Economist seinen eigenen Diskussionsbeitrag versah.) Die -vielen verheirateten Akademikerinnen, die an der Diskussion teilnehmen, betonen gewöhnlich, sie seien glücklich, zum Studium Gelegenheit gehabt zu haben und zögen daraus Nutzen, und sie hegten nicht den geringsten Zweifel daran, daß es für sie von großem Wert gewesen sei. Eine Minderheit sagt, sie hoffe, ihre berufliche Laufbahn wieder aufnehmen zu können, sobald ihre Kinder alt genug sind, und einige andere berichten, wie sie dies im Alter von über vierzig mit Erfolg getan hätten.
Die Mehrzahl der Diskussionsteilnehmerinnen betonte den Wert der akademischen Bildung, weil sie den geistigen Horizont erweitert, die Aufnahmefähigkeit steigert und das Verständnis sowie das Urteilsvermögen verbessert; all das, sagen sie, sei für sie auch in ihrem Verhältnis zu Mann und Kindern ein Gewinn, und darum sei auch ihre Ausbildung keinesfalls vertan, selbst wenn sie von ihr beruflich keinen Gebrauch gemacht hätten.
Das kann nicht bestritten werden. Sicherlich ist die Ausbildung für einen Beruf nur eine Seite der akademischen Bildung; die Entwicklung charakterlicher und geistiger Kräfte ist eine andere, die nicht unterschätzt werden darf. Je mehr für das Universitätsstudium geeignete Menschen studieren können, um so besser ist es für die Gesellschaft. Doch solange die Zahl der Studienplätze begrenzt ist und die Öffentlichkeit weitgehend die Kosten einer solchen Ausbildung trägt, werden jene, die die Geldmittel verwalten, pflichtgemäß darauf achten, daß das in der Universitätsausbildung investierte Geld möglichst große Erträge abwirft. Man kann ihnen keine Vorwürfe machen, wenn sie von denen, die den Vorteil einer akademischen Bildung genießen, einen Beitrag zur gesellschaftlichen Arbeit erwarten. Wenn die Frau unter gleichen Bedingungen zum Universitätsstudium zugelassen worden ist, kann sie sich entsprechenden Vergleichen mit dem Mann nicht entziehen. Sie darf daher nicht überrascht sein, wenn man die kultivierten und gebildeten Mütter - so wünschenswert sie auch sein mögen - lediglich als ein Nebenprodukt, aber nicht als Hauptziel der akademischen Erziehung betrachten kann.