Susan B. Anthony stellte einmal die Frage, warum Frauen nicht laut aufschreien vor Empörung und gegen die Benachteiligung ihrer Rechte protestieren, die sie aufgrund ihres Geschlechts hinnehmen müssen. In den letzten fünfzehn Jahren haben Feministinnen Methodiken ausgearbeitet, wie Sexismus aufgedeckt, Protest entfacht und Emanzipation vorangetrieben werden können. Dadurch, daß wir die Kraft wiedergewonnen haben, zu uns selbst und zu unseren Erfahrungen zu stehen, haben wir Frauen das Patriarchat als eine Krankheit entlarvt. Die Behandlung von Natur und Tieren ist die schlimmste Erscheinungsform dieser Krankheit. Natur und Tiere machen auf ihre schlimme Situation in einer Weise aufmerksam, die diese Kultur sich weigert zu verstehen. Dieses Buch ist ein flammender Protest gegen die Mißhandlung von Natur und Tieren, die im Patriarchat untrennbar mit der Unterdrückung von Frauen verbunden ist. Wir Feministinnen müssen den Kampf gegen diese Unterdrückung als Teil unserer ganzheitlichen, biophilen [1] Vision deutlich machen. Denn es ist eine Tatsache, daß keine Frau frei sein wird, bevor nicht alle Tiere frei sind und die Natur von der skrupellosen Ausbeutung durch die Männer erlöst ist. Im Patriarchat werden Natur, Tiere und Frauen zu Objekten gemacht, gejagt, angegriffen, ausgebeutet, in Besitz genommen, konsumiert und gezwungen, einen Ertrag zu bringen und zu produzieren (oder eben nicht). Dieser Eingriff in die Integrität der Natur und des eigenständigen Lebens ist Vergewaltigung. Die Gründe dafür sind Angst und Lebensverweigerung. Der Unterdrücker aber sonnt sich in der Illusion, Herrschaft und Macht auszuüben, lebendig zu sein. Wie die Klasse Frau, so werden auch die Natur und die Tiere in einem Zustand der Unterlegenheit und der Machtlosigkeit gefangengehalten, um es der Klasse Mann zu ermöglichen, an ihre »natürliche« Überlegenheit und Dominanz zu glauben und sie auszuleben.
Für mich bilden Tiere ein Vergrößerungsglas für die todesorientierten Werte der patriarchalen Gesellschaft, zum einen, weil mir ihr Wohlergehen sehr am Herzen liegt, und zum anderen, weil, so wie der Mann mit ihnen umgeht, diese Werte in ihrer primitivsten und entlarvendsten Form aufgedeckt werden. Ich vertrete die Einstellung, daß es unmoralisch ist, zum Vergnügen zu töten, wegen des Reizes von Entdeckungen, die niemand braucht, Qualen zu verursachen, anderer Geschöpfe Geist und Körper auszubeuten, einen Fetisch aus eben den Tieren zu machen, die die Kultur insgesamt gerade im Begriff ist auszurotten, freilebende Tiere in Parks, Zoos und Reservaten zu konservieren uind so ihre Wesensintegrität zu zerstören. Ebenso sind Gleichgüiltigkeit, Gedankenlosigkeit und der Rückzug aus Verantwortung und Entscheidung moralische Verbrechen; sie ermöglichen überhaüpt erst die weltweite Verschmutzung und Zerstörung der Erde, die Unterdrückung von Menschen, die Scheußlichkeiten, die Tieren im Namen des wissenschaftlichen Fortschritts in den Laboratorien angetan werden, und die Verdinglichung allen Lebens in der Natur schlechthin durch Naturschutzprogramme und Domestizierung.
Weil die Vergewaltigung der Natur und ihre freiheitliche Grundordnung so komplex und schmerzhaft aufeinanderprallen, sind viele Empfindungen in dieses Bild eingeflossen, die zu verbergen ich mir nur wenig Mühe gegeben habe. Ich stehe in erster Linie auf seiten der Natur. Ihre Unschuld (in der etymologischen Ableitung von »nicht schädlich« [2]) rührt vermutlich daher, dat~ die Vorgänge in ihr nicht irgendeiner Entscheidting entspringen, sondern einer inneren Gesetzmäßigkeit. Was immer in der Natur vor sich geht, mag es in den Augen der Menschen auch grausam und böse erscheinen, es geschieht ohne Arg. In der Natur ist ein sich selbst steuernder Strom von Entstehen und Vergehen wirksam, woraus sich ein Gleichgewicht zwischen Tod und neuem Leben ergibt, das sich die Menschen in ihrer sich vergrößernden Torheit zum Vorbild hatten nehmen sollen. Dort, wo nicht der Mensch in seiner Gier eingegriffen hat, zeigt sich Natur in all ihrer Ursprünglichkeit, achtunggebietend, von belebender Unbekümmertheit und herrlich anzuschauen in ihrer Vielfalt. Tausende von Jahren war Natur der Maßstab für unsere Menschlichkeit, bildete sie den Großteil unseres Selbstverständnisses.
Ich meine nicht, daß wir die Zeit zurückdrehen sollten, um wieder unseren »Urzustand« zu erreichen, und doch halte ich es für wichtig, unser Verständnis für die Vergangenheit auszuweiten und aus anderen Kulturen und anderen Zeiten ein Gefühl für die allumfassende Zueinandergehörigkeit zu lernen. Unter dieser Zueinandergehörigkeit verstehe ich, daß wir Menschen unsere Verbindung zu allem, was existiert, wiedererkennen. Das wiederum würde zu dem Verständnis und dem Gespür führen, daß jede auch noch so geringfügige Einzelheit unverzichtbar ist für den Einklang und das Wohlergehen des Ganzen. Mit anderen Worten: Die Menschen würden wieder dem Gedanken und der Tatsache näherkommen, daß sie der Natur gleich sind, und sie würden sich von der Auffassung trennen, Natur als das Andere, das Unterlegene anzusehen. Würdevoll gingen wir wieder mit allen Geschöpfen um, wenn erst die patriarchale, separatistische Denkweise, die die Gemeinschaft allen Lebens in miteinander verfeindete Splittergruppen zerschlägt, aus den Köpfen verschwunden ist. Alle diese teilenden und einteilenden »Ismen« wären dann abgeschafft - Sexismus, Rassismus, Militarismus usw. Kurz: Ein Leben entsprechend der Vorstellung von einer allumfassenden Zueinandergehörigkeit würde die kulturelle Revolution einläuten, die das Ende des Patriarchats wäre.