Tierversuche

Diese Dinge, die der Mann durch seine Wissenschaft und Technologie auf dieser Welt zustande gebracht hat, in die er zunächst als ein schwacher tierischer Organismus eintrat... diese Dinge klingen nicht nur wie im Märchen, sie sind die eigentliche Erfüllung jedes - oder fast jedes - Märchenwunsches.
Sigmund Freud, Das Unbehagen in der Kultur

Ich kann mir Käfige vorstellen, bitterer für den Geist als der hochragende Baum auf dieser Insel: den Käfig, wo man das Versuchstier erforscht, den Käfig, wo man das Haustier einsperrt, den Käfig, wo man Überleben fordert vom Bedrohten, den Käfig, wo man die Widerspenstigen und Verrückten zähmt, den Tragkäfig des Alptraums...
Robin Morgan, Voices from six tapestries

... dieser Doktor weiß nicht, wovon er redet. Er mußte nie eine Stute besamen. Wer sagt, daß sie keine Schmerzen verspüren? Bloß »weil sie nicht schreien«? Weil sie es nicht sagen kann, denken sie, sie spürt nichts. Wenn sie ihr tief in die Augen blicken würden und den traurigen Blick sähen, dann würden sie wissen.
Toni Morrison, Sehr blaue Augen

Tiere als lebende Werkzeuge

In Forschungslaboratorien werden Tiere als lebende Werkzeuge benutzt. Ich übernehme den Ausdruck »lebende Werkzeuge« von Aristoteles, der ihn auf die Situation der Sklaven in der Welt des Herrn anwandte. Der Sklave verdient ungleiche Behandlung, so sagt er, »denn da gibt es nichts Gemeinsames der beiden Seiten; der Sklave ist ein lebendes Werkzeug, und das Werkzeug ist ein lebloser Sklave«. [1] Den Sklaven als Werkzeug zu bezeichnen, macht es dem Herrn möglich, des Sklaven Erfahrung der Sklaverei zu ignorieren und/oder zu bestreiten. Es gibt ihm die Möglichkeit, den Sklaven zum Objekt zu machen, der Sklaverei objektiv gegenüberzustehen. In der Logik des Aristoteles sind Sklaven von Natur aus minderwertig, weil ihnen die Fähigkeit zu vernünftigem Denken abgeht. Deswegen werden sie als Dinge objektiviert und sind damit der Gewalt des Herrn unterworfen und von ihr abhängig. Weil es keine gemeinsame Ebene für sie gibt, braucht der Herr auch keine Bedenken zu haben, wie er den Sklaven behandelt. Da Sklaven Werkzeuge sind, liegt ihre einzige Funktion darin, die Fähigkeiten ihres Herrn zu verbessern und ihm bei dem, was er nicht allein bewältigen kann, zu helfen.
Auf Labortiere angewandt bedeutet das, daß sie als Werkzeuge objektiviert und dazu benutzt werden, das Interesse der Wissenschaft zu unterstützen. Der Experimentator kann somit emotional unberührt bleiben und die Erfahrung des Tieres ignorieren und/oder bestreiten. Diese Situation beschrieb der Experimentalpsychologe Clark L. Hull ganz treffend, als er sagte, daß Objektivität in der Tierforschung darin besteht, »den funktionierenden Organismus als einen vollständig selbstgelenkten Roboter« zu betrachten, »der aus Materalien zusammengesetzt ist, so unähnlich uns selbst, wie es überhaupt nur sein kann«. [2] wie Andrea Dworkin es formuliert hat: Objektivität ist das, was dir nicht passiert.
Von dieser Warte aus beraubt der Forscher das Tier seiner natürlichen Eigenheiten und manipuliert es so, daß es seinem Zweck dienlich ist. Das Tier strahlt keine Anmut, keine Stärke und Gesundheit mehr aus. Körperlich und geistig drastisch eingeschränkt, leidet es an körperlichen und geistigen Krankheiten. Der Forscher identifiziert sich nicht mit diesem Tier, fahlt sich ihm nicht verbunden. Vielmehr beobachtet und registriert er unberührt die Reaktionen des Tieres auf die Substanzen und Bedingungen, denen er es aussetzt. So wie das Tier gezwungenermaßen seinem eigenen Wesen entfremdet und von seinen Artgenossen isoliert ist, so hat es auch keine Verbindung zu dem Forscher, und der wiederum entfremdet sich durch die Gewalt, die er der Integrität des Tieres antut, seiner Natur und den anderen Menschen.
In Gesellschaften wie der des Aristoteles und unserer eigenen, in denen der Sinn für die Gemeinschaft alles Leidenden zugrundegegangen ist, in diesen durch rohe Gewalt und Macht zerbrochenen und zergliederten Gesellschaften haben Experimentator und Tier nichts gemein. Unsere Kultur lehrt uns, daß wir uns durch unser jeweils unterschiedliches Denk- und Empfindungsvermögen von den Tieren abheben und daß wir die Berechtigung haben, sie von oben herab zu behandeln und sie zu benutzen, wie wir es für richtig halten, weil die Tiere von Natur aus dem Menschen untergeordnet sind. Einige Jahrzehnte nachdem Htill seine Richthnien für die Möchtegern-Tierexperimentatoren aufgestellt hatte, ging W. Lane-Petter auf das bekannte Thema vom »Tier als dem Minderwertigen und dem lebenden Werkzeug« ein. Im Vorwort zu Animal for Research gab er seiner Hoffnung Ausdruck, daß die Benutzung von Labortieren ethischen Kriterien unterworfen sein würde: »Ein Versuchstier - und das betrifft vor allem die höher eingestuften Arten und Klassen der Mäuse und Ratten - ist trotz seiner Funktion als Hilfsmittel und Testobjekt ein kompliziertes und gelegentlich empfindliches System« [3] Wie »gelegentlich« für viele Experimentatoren das Empfindungsvermögen von Tieren eine Rolle spielt, wird klar, wenn man die Arbeit von Männern wie Robert White von der Case Western Reserve University und vom Cleveland Metropolitan General Hospital unter die Lupe nimmt. Zu seinen Leistungen zählt, Affen und Hunden das Gehirn herausgeschnitten und sie am Leben erhalten zu haben. Einem lebenden Hund pflanzte er ein Gehirn auf die Kehle und Ratten- und Affenköpfe auf die Körper von anderen vorher enthaupteten Ratten und Affen, wobei er die Köpfe tagelang am Leben hielt. [4] Whites eigene Worte: »Unser wichtigstes Ziel ist es, ein lebendes Laborwerkzeug herzustellen, ein Affen-Modell, an dem und durch das wir neue Operationstechniken für das Gehirn entwickeln können.« [5]
Viele andere, ob Laien oder Fachleute, dürften die Ansicht des Mediziners John C. Lilly teilen, jenem Außenseiter unter den Gehirnforschern, der die meisten seiner späteren Experimente an Delphinen vornahm. Lilly behauptete, daß noch »der schwachsinnigste Mensch dem Begabtesten unter den Gorillas oder Schimpansen überlegen ist.« [6] Sein Beurteilungskriterium bei dieser wunderlichen Intelligenzabstufung ist die Größe des Gehirns.

In gewissen Fällen erweist es sich als notwendig, das Tier zu entmenschlichen und nicht seinen Zweck mit unserem zu vermischen. Dieser Gesichtspunkt ist für mich solange ausschlaggebend, ais das Gehirn viel kleiner als unseres ist. Auf diese Weise lassen sich in der Forschung an Tieren mit kleinen Gehirnen Erfolge erzielen. Ich arbeitete viele Jahre lang mit Katzen und Affen und fand diesen Gesichtspunkt sehr zuträglich. auch von dem Standpunkt aus, schnelle Ergebnisse zu erhalten, ist es das Sinnvollste.[7]

Die unterschiedliche Gehirngröße wurde auch als Argument angeführt, wenn es darum ging, Rassismus und Sexismus zu rechtfertigen. So wurden Schwarze und Frauen gleichermaßen dadurch abgestempelt, daß sie kleinere Gehirne hätten als ihre Unterdrücker. Entmenschlichung zeitigt immer Erfolge für die, die entschlossen sind, andere zu benutzen oder zu mißbrauchen.
Das Grundprinzip für die Verwendung von Forschungstieren blieb seit Claude Bernard (1813-78), der erstmals biochemische Versuche an den Körpern großer Hunde vornahm, unverändert. Für Bernard bestand das Prinzip darin, »niemals einen Versuch an einem Menschen durchzuführen, wenn dieser in irgendeiner Weise Schaden daran nehmen könnte, selbst dann nicht, wenn das Ergebnis von hohem wissenschaftlichen Interesse wäre und damit der Gesundheit anderer Menschen zugute käme. [8] Hinter den Mauern der Laboratorien in aller Welt mißhandelt die versammelte Wissenschaft (Männer und Frauen, die für ihre wissenschaftliche Arbeit bezahlt werden) Legionen von lebenden Kreaturen. Sie bohren, schneiden, schnipseln, brennen, amputieren und lahmen, sie injizieren und transplantieren, sie testen, entziehen und belohnen, sie stechen und versetzen elektrische Schocks Millionen von Tieren, die fast immer bei vollem Bewußtsein sind, d.h. die keine Betäubung erhalten und keine Beruhigungsmittel nach der Operation. All das geschieht im »Interesse der Wissenschaft« und zum »Wohl der menschlichen Gesundheit«. Die Bilder variieren je nach Zeit, Ort und Art des Experiments - an manchen Tagen ist der Forscher einfühlsamer« als an anderen, es gibt strengere Richtlinien, bessere sanitäre Bedingungen usw. Solche Umstände mögen sich auf einige Aspekte im Leben der Tiere auswirken, Tatsache bleibt jedoch, daß mit Gewalt in diese Leben eingegriffen wird.

Und niemand tut ihnen weh

Man erfand Worte und Begriffe wie »lebende Werkzeuge«, »beseeltes Instrument« (wie Iwan Pawlow einen seiner Versuchshunde nannte), »funktionierender Organismus« »Roboter« und »Ss« als Abkürzung für das englische subjects (Subjekte, Gegenstände)[9], um von der Erfahrung des Tieres abzulenken. Diese Erfahrung ist Schmerz. Die Forscher holen weit aus, nur um ihn nicht beim Namen nennen zu müssen, gerade wenn sie zu Studienzwecken Tieren absichtlich Schmerzen zufügen. Schmerz mit anzusehen, ohne ihm einen Namen zu geben, bedeutet, ihn zu objektivieren und zu einer Erkenntniskategorie zu verändern. Wenn der Schmerz somit von der subjektiven Erfahrung des Tieres getrennt ist, kann er gut beobachtet und gemessen werden, wie beispielsweise die Kontraktionshäufigkeit des Darms von Meerschweinchen, auf den man einen bestimmten Reiz ausübt. Aber der Schmerz führt kein Eigenleben im Körper. Er ist ein wahrnehmbares Phänomen, das ein Lebewesen einem komplizierten, subjektiven Wechselspiel zwischen Nervenenden und Gehirn ausliefert. Und Schmerz bleibt Schmerz, ob das »Subjekt« nun Opfer von Frauenverachtung, Rassenhaß oder Artendünkel ist.
Aus der Handvoll nachstehender Beispiele, die ich aus der Fülle von Dokumentationen über Tierforschung ausgewählt habe, geht ganz klar hervor, daß der Schmerz des Tieres und das Machtstreben des Forschers der Kern der Versuchsforschung sind.
Der oben erwähnte Claude Bernard wurde voller Bewunderung von einem Zeitgenossen beschrieben, der ihm bei der Arbeit in seinem »Laboratorium« zuschaute, einem engen, feuchten Gang, in dem er vor seinem Versuchstisch stand, »einen hohen Hut auf dem Kopf, mit langem, grauem, herabhängendem Haar, einen Schal um seinen Hals, die Finger im Unterleib eines großen Hundes, der kläglich heulte«. [10] (interessant ist, daß die Grausamkeiten, die Bernard seinen Tieren zufügte, bei seiner Frau ein solches Entsetzen hervorriefen, daß sie vergeblich versuchte, ihn davon abzubringen. Schließlich trennte sie sich von ihm und spendete beträchtliche Summen an Tierschutzorganisationen, um die Folgen seiner Arbeit zu bekämpfen.)
Heutzutage wird der große Hund, wenn er nicht betäubt ist, manchmal von Labormitarbeitern »präpariert«. Sie schnallen ihn auf einem Tisch fest und entfernen ihm die Stimmbänder. Kein Laut, kein Schmerz.
Iwan Pawlow und seine Kollegen arbeiteten über ein Vierteljahrhundert an der Erforschung »der Aufgaben beider Hälften des Hundegehirns«. Sie entdeckten die Konditionierbarkeit des Speichelreflexes, was Pawlows Namen berühmt machte. Um etwas über die Alpträume seiner Hunde zu erfahren, ist es von Nutzen, Conditioned Reflexes zu lesen, die Zusammenfassung seiner Vorlesungen und Demonstrationsvorführungen aus dem Jahre 1924 an der Medizinischen Militärakademie in Petrograd. Freilich bekommt man dabei nur eine schwache Ahnung, davon, wie schrecklich die Hunde manchmal unter Pawlows fortschreitendem Studium gelitten haben müssen. Immerhin hielt Pawlow es für angemessen, seiner Zuhörerschaft immer wieder zu versichern, daß seine Hunde nicht litten. »Sehr einpfindsame Menschen« würden vielleicht beim Anblick seiner Versuche bestürzt sein, indes völlig zu unrecht, wie er beteuerte, denn er habe am Pulsschlag und in der Atmung der Tiere keine nennenswerten Veränderungen durch die starken Reize messen können. In einer seiner Vorlesungen berichtete Pawlow von seinem »bemerkenswerten« Hund, der es auf zehn verschiedene konditionierte Reflexe brachte, worauf sie ihm den Spitznamen »beseeltes Instrument« gaben. Man trifft sehr häufig auf Experimentatoren wie Pawlow, die auch weiterhin ihren Spaß und ihren Nutzen an der Qual haben wollen, die sie Tieren bereiten. Pawlow erhielt den Nobelpreis dafür, daß er seine Hunde regelrecht in den Wahnsinn trieb und sie folterte. In Conditioned Reflexes zählt er nicht weniger als 236 veröffentlichte Studien auf, die er am »besten Freund des Menschen« in seinem Laboratorium durchgeführt hat. Über diese Forschung vermochte er lediglich zu sagen, daß er mehr von solchen »Studien« bräuchte, denn 1924, »nachdem wir uns einiges Wissen angeeignet hatten... fühlten wir uns umstellt, ja fast erdrückt, von einer Menge Details, die nach Aufklärung schrien«. [11] Pawlow setzte seine Versuche fort und kam zu Ruhm und Geld. Von der Verantwortlichkeit für die Schmerzen, die er verursachte, sprach er sich frei und gab eigentlich seinen Opfern selbst die Schuld an ihrem Leiden. Zum Beispiel war eine von Pawlows Hündinnen unglücklicherweise intelligent genug zu verstehen, was man mit ihr anstellte, und hatte auch den Willen, ihm, seinen Apparaten und Prozeduren Widerstand entgegenzusetzen. Als man sie schließlich mit Zwang gefügig machte, war sie selbst an ihrem Schmerz schuld.

Mit eingezogenem Schwanz schleicht sie dem Experimentator in den Versuchsraum nach. Mitarbeitern, die beharrlich versuchen, ihr näherzukommen und sie zu streicheln, weicht sie jedesmal rasch aus, zieht sich zurück und kauert sich auf den Boden nieder. In derselben Weise reagiert sie auf jede etwas schnellere Bewegung oder auf ein etwas lauteres Wort ihres Herrn, und allen gegenüber verhält sie sich, als ob wir ihre ärgsten Feinde wären, unter denen sie ständig ganz übel zu leiden hätte. [12]

Frauen, die den Mut hatten, die Macht der Männer als den Ausgangspunkt ihrer Unterdrückung zu erkennen und das auch laut zu sagen, wird dieser Absatz nur allzu vertraut klingen. In einem System, in dem Gewalt und Feindseligkeit gegenüber Frauen selbstverständlich geworden sind, ist die Frau, die sich gegen Angriffe zur Wehr setzt, sich männlicher Macht oder gönnerhaftem Verhalten - was eine verkappte Form von Gewalt ist nicht unterwerfen will, genau diejenige, die von Männern (und einigen Frauen) am meisten kritisiert und abgewertet wird. Sie ist »nicht gut auf Männer zu sprechen. Sie ist die »Männerhasserin«. Sie ist »paranoid«. Sie verhält sich gegenüber Männern, »als ob sie ihre ärgsten Feinde wären, unter denen sie ständig ganz Uibel zu leiden hätte«. Ihre Zurechnungsfähigkeit wird genauso angezweifelt wie ihre Aufrichtigkeit. Wie Pawlows Hündin wird sie, sobald sie offen redet, zum Schweigen gebracht.
Die Wahrnehmung von Schmerz stand im Mittelpunkt der klassischen Studie von Ronald Melzack und T.H. Scott über die Isolation bei Hunden. Unter der Schirmherrschaft der Rockefeller Foundation, dem Foundations Fund for Research in Psychiatry und dem National Research Council of Canada hielten sie Scotchterrier von der Kindheit bis zur Geschlechtsreife in Einzelzwingern, die so konstruiert waren, daß die Hunde von allen sinnlichen und sozialen Erfahrungen ferngehalten wurden. Dann gingen sie daran, die pathologischen Reaktionen der Hunde auf ihre Manipulationen zu beobachten und zu messen. Melzack und Scott arbeiteten mit starken Elektroschocks und Verbrennungen, d.h. sie zündeten Streichhölzer an und versuchten die Flamme in die Nasenlöcher der Hunde zu drücken. »Zur Überraschung der Beobachter machten sieben der zehn abgesonderten Hunde keinen Versuch, während der Reizung von E (dem Experimentator) wegzukommen... und E konnte die Nasen von vier Hunden so oft mit der Flamme berühren, wie er wollte.« [13] Nicht genug, daß sie sie verbrannten, versuchten sie den Hunden Nadeln ins Fleisch zu stechen, auch das wohl, um einen pathologischen Befund der Hunde zu erhalten. »Der Hund wurde im Nacken festgehalten, und gleichzeitig stieß man ihm drei oder viermal eine lange Seziernadel in die Seiten und in die Hinterläufe.« [14] Die Hunde, die in einer Umwelt ohne Beschränkungen aufgewachsen waren, reagierten heftig auf diese schmerzhaften Attacken.

Jedoch war es E oftmals möglich, die Nadel in ihrer ganzen Länge in das Fleisch des abgesonderten Hundes zu bohren, ohne daß dieser zurückwich oder durch irgendein Verhalten ein Schmerzempfinden signalisierte; die einzige Reaktion waren krampfhafte, reflexartige Zuckungen. Wenn man die Hunde losließ, blieben sie in der Nähe des E, dem es dann möglich war, den Vorgang zu wiederholen und ihnen die Nadel, so oft er wollte, hineinzustoßen.[15]

Mit ihrer Tierquälerei haben Melzack und Scott gezeigt, was Folterer quer durch die Geschichte schon immer wußten: Es ist möglich, lebende Wesen völlig gefühllos zu machen und sie so weit zu bringen, daß sie jede noch so schreckliche Tortur, ohne mit der Wimper zu zucken, über sich ergehen lassen und dabei von ihren Peinigern hoffnungslos abhängig werden. Das von den Verfassern der zitierten Passagen eingestandene Erstaunen ist ebenso grundlos wie scheinheilig. Es ist Wahnsinn, sich solche Methoden einfallen zu lassen. Sie »so oft, wie man will» anzuwenden, ist Sadismus. Sie als legitime wissenschaftliche Handlungsweisen zu veröffentlichen und als Möglichkeiten hinzustellen, die Heilung von Geisteskranken (in der Psychiatrie) voranzutreiben, ist die Institutionalisierung der Grausamkeit.
Die Erkenntnis, daß ihre Handlungen moralisch abstoßend sind, ersparten sich die E's. Sie ignorierten die Erfahrungen der Tiere und rechtfertigten das Versäumnis und die Verzerrung als wissenschaftliche Objektivität. So konnten Melzack und Scott ohne weiteres zusammenfassen: »Es käme in der Tat einer Vermenschlichung schon recht nahe, zu behaupten, daß diese isoliert gehaltenen Hunde Feuer und Nadelstiche als Bedrohung oder in irgendeinem normalen Sinn als schmerzhaft empfunden hätten; als eine Schlußfolgerung aus dem beobachteten Verhalten kommt das jedenfalls keineswegs in Betracht. [16](Angesichts der von den E's ausgehenden Gewalt klingt das Wort »normal« befremdlich und deplaziert. Außerdem gilt es für einen Wissenschaftler wohl als Schande, wenn man ihm auch nur den leisesten Hauch einer Vermenschlichung vorwerfen kann. Das würde ja bedeuten, der Forscher sei nicht objektiv. Man könnte sogar vermuten, er hätte sich erlaubt, zwischen sich und dem tierischen Gegenstand irgendeine Verbindung zu sehen. Vielleicht finge gar einer an zu spüren, daß der »funktionierende Organismus« aus einem Stoff besteht, der dem unseren so »unähnlich« nun auch wieder nicht ist. Es wäre tatsächlich der Anfang von Weisheit, Tieren menschenähnliche Gefühle zuzuschreiben. Joan McIntyre schrieb dazu: »Wir würden keinen Schaden nehmen, wenn wir zu unseren Wurzeln zurückfänden, die uns einst nährten und die noch immer unsichtbar alles Leben verbinden, das auf diesem unserem gemeinsamen Planeten lebt und fühlt und denkt und stirbt.« [17] Diese gegenseitige Verbundenheit zu spüren, ist ein Tabu in der Wissenschaft - absolut lächerlich und unprofessionell. Sie nicht zu spüren, ist der erste Schritt zum Sadismus.
Das, was Tierexperimentatoren wie Bernard, Pawlow, Melzack und Scott tun, ist qualitativ das gleiche wie das, was der berüchtigte Marquis de Sade mit seinen Opfern anstellte. In ihrer brillanten Analyse der Pornographie widmete Andrea Dworkin de Sade einen langen Essay, der den vielen, die in ihm heute noch das Opfer einer puritanischen Gesellschaft sehen, den Mund schließen müßte. Sie beschäftigt sich unter anderem damit, wie de Sade Rose Keller behandelte. 1768 sperrte de Sade Rose Keller in seinem Haus in einen dunklen Raum ein. Nach einer Stunde suchte er sie wieder auf und befahl ihr, sich auszuziehen. Sie weigerte sich. Da riß er ihr die Kleider vom Leib, warf sie mit dem Gesicht nach unten auf eine Couch und fesselte sie mit Seilen. Dann peitschte er sie brutal. Er brachte ihr Schnitte mit einem Messer bei und rieb anschließend Wachs und Brandy in die Wunden und eine Salbe, die er selbst hergestellt hatte. Später gab er vor, er habe ihr für das Auspeitschen Geld gegeben, damit er seine Salbe habe ausprobieren können. [18] De Sade rechtfertigte seine Brutalität gegenüber Frauen auf die gleiche Weise, wie Experimentatoren ihre Grausamkeit gegenüber Tieren rechtfertigen - ihre Handlungen bewegen sich innerhalb der kulturellen Norm, die von Männern bestimmt ist. »Ich habe mich lediglich einer sexuellen Freizügigkeit schuldig gemacht, so wie sie mehr oder weniger alle Männer ausleben, je nach angeborenem Temperament und Neigungen. [19] Dworkin weist darauf hin, daß die heutige Faszination de Sades darin liegt, daß seine sexuellen Zwangsvorstellungen zwar verboten, aber dennoch allgemein üblich sind und daß er wie viele Männer den Gebrauch von Frauen für sein absolutes Recht hielt.
Absolutes Recht. Allgemein üblich. Dem Opfer die Schuld geben. Der Sadismus in der Tierforschung wird mit denselben Worten gerechtfertigt wie der Sadismus der männlichen sexuellen Gewalt. Es erinnert an die Pawlowschen Experimente mit denselben Instrumenten und an die anschließende »Menge von Details« die nach »Aufklärung« schreien - also nach noch mehr Schinderei von Versuchstieren - wenn Vergewaltiger ihre Tat damit rechtfertigen, daß sie Frauen zuvorderst als »lebende Werkzeuge« betrachten, von ihrem Gott in diese Welt gesetzt, um die Wünsche von Männern zu befriedigen. Sie verletzen sie und behaupten, daß sie »darum gebeten haben«. Vergewaltigungsprozesse, während derer das Opfer gezwungen wird, das Grauen seiner Schändung noch einmal zu durchleben, bilden den Schauplatz für die Ausbreitung der erdrückenden »Menge von Details«, die nach Aufklärung schreien, nicht nach Aufklärung der Mentalität des Vergewaltigers, sondern der des Opfers. Dem Opfer die Schuld zu geben, ist der sicherste Weg zu weiteren Vergewaltigungen. Der Prozeß um eine Mehrfachvergewaltigung 1984 in New Bedford, Massachusetts, ist ein Beispiel dafür. Man hatte eine erdrückende Menge von Details ausgegraben, die die angebliche Mitwirkung des Opfers an dem Verbrechen belegen sollten. Hinzu kam, daß die Vergewaltigung als ein Gewaltakt gegen Frauen immer weniger im Brennpunkt stand, weil sich das Augenmerk von Gericht und Öffentlichkeit immer mehr auf die gegen die Verteidigung vorgebrachten Beschuldigungen des Rassismus und immer weniger auf die Tat der Vergewaltiger richtete.
Forschungen, wie Paul Madean sie betreibt, der auf der Suche nach dem Sitz der menschlichen Sexualaggression in die Gehirne von Affen eindrang, garantieren ebenfalls den Fortbestand von Vergewaltigung.[20] Festgezurrt in Spezialstühlen und mit dauerhaft befestigten Elektrodengittern an ihren Schädeln, werden Affenmännchen gezwungen, ihr Gehirn Madean zur »millimeterweisen« Untersuchung preiszugeben, wahrscheinlich um die menschliche Sexualpathologie aufzuhellen. Eine Beschreibung seiner »Entdeckungen« und die dazugehörige Interpretation sind es wert, ausführlich zitiert zu werden.

In der rückwärtigen Hypothalamusgegend, genau über der Zentralregion des Hypothalamus (Zwischenhirn), die für das agonistische (Kampf-)Verhalten zuständig ist, löst die Stimulation eine vollständige Erektion aus, die normalerweise von Lauten begleitet wird. Wenn man die Elektrode dann etwas tiefer ansetzt, stellen sich Anzeichen von Ärger oder Furcht ein, die sich in der Stärke der Lautgebung, in Aufbäumen, Beißen und Entblößen der Zähne äußern. Als Folge davon kommt es hinterher bezeichnenderweise zu einer Erektion. An dem Punkt, wo der Pallihypothalamustrakt über dem mittleren Teil des Gewölbes verläuft, werden nur agonistische Anzeichen ausgelöst. Wenn sich die Elektrode schließlich von der Zentralregion wegbewegt, ruft die Stimulation in erster Linie Beißen oder Kauen hervor. Es scheint so, als könnten diese Erketintnisse die nervliche Ausgangsbasis für aggressive und gewalttätige Ausdrucksweisen im sexuellen Verhalten etwas klarer machen. [21]

Hier ist es notwendig, darauf hinzuweisen, daß »gewalttätiges sexuelles Verhalten« (aus der Sicht des Opfers: Vergewaltigung) ein Problem von Männern und gewiß nicht von Affen ist. Diese Art von Gewaltforschung dient eigentlich nur zur Legitimation von Vergewaltigung. Das beweist schon die Verletzung der Tiere, die, einmal im Labor des Mannes gefangen, voll und ganz der Gnade ihrer Peiniger ausgeliefert sind. Darüber hinaus suggeriert die Feststellung, daß es eine »nervliche Ausgangsbasis« für Vergewaltigung gäbe, so etwas sei »natürlich«, der Mann könne nichts dagegen tun. Die Aufmerksamkeit wird, von den eigentlichen Opfern der Vergewaltigung auf die Täter gelenkt, die als unglückliche Opfer ihrer Gehirnwindungen hingestellt werden. Außerdem führt die Behauptung, daß Vergewaltigung »ihren Sitz im Gehirn hat«, zu der Schlußfolgerung, daß jeder Versuch, sie in den Griff zu bekommen, einem Eingriff in das männliche Gehirn gleichkommt, wobei die frauenfeindliche und machtbesetzte Kultur des Mannes unangetastet bleibt. Der Eingriff in das Gehirn eines anderen Geschöpfes ist nichts anderes als eine andere Form von Vergewaltigung.
Eine weitere Schlußfolgerung, die sich aus der Art Forschung, wie sie in Madeans Laboratorium betrieben wird, gezogen werden kann, ist die, daß orale Sexualität normal ist, die Steuerungen von Kopf und Schwanz im Gehirn nahe beieinander liegen. Die »Steigerung des Lebensgefühls« besteht darin, daß die Psychiater nun »einer Anzahl ihrer Patienten« helfen können, sich von den »Schuldgefühlen aufgrund ihrer oralsexuellen Phantasien und damit verbundener Verhaltensmuster zu befreien«. [22]
Kein Tier, ob klein oder groß, hat sich biologisch und psychisch entwickelt, damit es schließlich als lebendes Werkzeug benutzt werden kann; sein Dasein angeschnallt an Expemrientierstühlen und -tischen in irgendwelchen Zellen und Käfigen fristen muß, damit es den Mann und seine Probleme weiterbringt und ihm hilft, über seine geistigen und körperlichen Störungen hinwegzukommen. Krankheit und Neurosen sind menschliche Probleme. Fortschritt ist eine fixe Idee von Menschen. Kein Tier hat bei diesen Störungen eine Rolle gespielt. Kein Tier ist dafür verantwortlich. Und kein Ergebnis aus der Tierforschung wird sie beheben.

Mit den Augen eines Toten

Der Wissenschaftler will nicht mit dem lebendigen, offenen Auge des Künstlers schauen, das sich gerne verführen läßt durch alles Bezaubernde, Traumatische oder Furchterregende und dann wie in Trance verharrt. Sein Ziel ist ein neutrales Auge, ein unpersönliches Auge ... letztlich die Augen eines Toten, in denen sich die Wirklichkeit ohne emotionale Verzerrung widerspiegelt.
Theodore Roszak, Whert? the Wasteland Ends

Die tatsächliche Funktion vom »Tier-als-lebendem-Werkzeug« ist, dem Forscher zu einer Krücke zu verhelfen, mit deren Hilfe er das patriarchale Ideal der Gottähnlichkeit erreichen kann: die Macht zu »erschaffen« die Macht zu zerstören, die Macht zu beherrschen. Freud erkannte diese Beziehung zwischen dem unvollendeten Mann und der Wissenschaft, seinem Transmissionsriemen zur Vollendung, als er sagte:

(der) heutige (Mann) ist (seinem) Ideal sehr nahegekommen, er ist fast Gott selbst geworden ... der Mann ist sozusagen eine Art Glieder-Gott geworden. Wenn er all seine künstlichen Glieder anlegt, ist er wahrlich großartig. Zukünftige Zeiten werden neue, wahrscheinlich unvorstellbar große Fortschritte mit sich bringen ... und werden die Ähnlichkeit des Mannes mit Gott noch größer werden lassen.[23]

Ungefähr zur selben Zeit, als Freud diese Worte in Das Unbehagen in der Kultur schrieb, gelangte der spanische Histologe Ramon y Cajal zu derselben Ansicht über die Wissenschaft des Mannes, die er als Sprungbrett zu dessen Größe ansah. »Das Wissen über die physiochemische Grundlage des Gedächtnisses, der Gefühle und der Vernunft wird ihn zum wahren Herrn der Schöpfung machen. Seine erhabenste Leistung dürfte seine Eroberung des eigenen Gehirns sein.« [24] 1970 griff der französische Biologe Jean Rostand den erfolgreichen männlichen Bemühungen, Leben zu klonen, vor, als er einen ähnlichen Gedanken wie Freud entwickelte.

Wenn der Mann zum zweiten Mal Leben aus etwas anderem als aus dem Leben selbst heraus entstehen lassen kann, dann wird er den großen geheimnisvollen Kreislauf vollendet haben. Selbst ein Produkt des Lebens, wird er umgekehrt ein Schöpfer von Leben sein. Damit wird er dem Bild von Gott, das er selbst geschaffen hat, ein Stück naher kommen. [25]

Um diese »göttlichen« Ziele zu erreichen, müssen Wissenschaftler nicht nur technisch bestens ausgebildet, sie müssen auch emotional tot sein, denn ihre sogenannte »Herrschaft über die Schöpfung« verdanken sie nur der Verletzung und Vernichtung ungezählter Tiere. Wissenschaftler, die nicht all ihre Fähigkeit, das Leben anderer fühlender Kreaturen zu erkennen und zu respektieren, eingebüßt haben, müssen diese Voraussetzung bei ihrer Berufsausbildung schmerzlich zur Kenntnis nehmen. Eine Ärztin aus meiner Bekanntschaft erzählte, in ihrem Studium habe man gelehrt, daß die »Arbeit« an Tieren unerläßlich sei, um uns Empfindungslosigkeit beizubringen,« was soviel bedeutet wie die innere Distanzierung, die notwendig ist, »um vom Grauen vor gewissen Dingen nicht überwältigt zu werden«. Eine andere Ärztin beschrieb die Tierversuche, die sie als Teil ihrer Ausbildung durchzuführen hatte, als »verwerflich, unkreativ, überflüssig, eine Verschwendung von Zeit und Leben und eine Entmenschlichung«. Dennoch machte sie die Versuche. Sie redete sich ein, es sei dumm, sich dadurch aus der Fassung bringen zu lassen, wo doch offenbar niemand sonst beunruhigt war. Freilich, es wehrte sich keiner. Solch ein »klassisches Experiment für Medizinstudenten« wird von José Delgado in Physical Control of the Mind beschrieben. Die Übung besteht darin,

ein Kaninchen oder ein anderes kleines Säugetier zu betäuben und sein Gehirn freizulegen, um dann die motorische Hirnrinde zu stimulieren ... Studenten sind im allgemeinen beeindruckt, wenn sie die Bewegungen eines Tieres sehen, das unter dem Kommando eines Menschen steht. Die Vorführung ist noch eleganter, wenn das Versuchstier völlig dei Bewußtsein und mit ins Gehirn eingepflanzten Elektroden bestückt ist. [26]

Mich beeindruckt bei dieser »Vorführung,« daß Medizinstudenten nicht entsetzt sind, wenn sie ein anderes Lebewesen sehen, das auf ihr Kommando wie eine Marionette zappelt. Die Bereitschaft, sich anzupassen, ist besonders groß bei denen, die sich am Fuß der Machtpyramide befinden und nach oben wollen. Dementsprechend sind nur wenige Studenten der Naturwissenschaften mutig und integer genug, ihre Professoren nach der moralischen Basis für die »Arbeit an« Tieren zu fragen. Sie wissen, daß sie durch »zimperliches«, »gefühlsseliges«, »unkooperatives« und kritisches Verhalten ihre Karriere aufs Spiel setzen. Die meisten Studenten verloren ihre Fähigkeit, sich mit den Tieren verwandtschaftlich verbunden zu fühlen, höchstwahrscheinlich bereits lange vor der Zeit, in der sie ihre Berufsausbildung begonnen haben. Als Studenten kultivierten sie nur noch das, was sie schon in der Schule zu lernen begonnen hatten, nämlich ihre Gefühle für Tiere im Labor oder Unterrichtsraum zu unterdrücken, gleichzeitig aber ihre Haustiere daheim zu »lieben« Am Ende ihrer Ausbildung sind diese Studenten Meister in der Kunst der alltäglichen Schizophrenie. Dann haben die meisten gelernt, Tiere und natürlich auch das Leben selbst mit Augen anzusehen, die durch keinerlei »emotionale Verzerrung« mehr getrübt sind, mit den Augen eines Toten. Fragen nach der Verantwortlichkeit des Unterdrückers und nach seiner Fähigkeit, entsprechend zu reagieren, haben im Patriarchat schon immer heikle Probleme aufgeworfen, gerade bei denen, die sich noch ein Gefühl für die Not der Unterdrückten bewahrt haben. In Animal Liberation behauptet Peter Singer, es sei falsch, »die genannten Personen (denen Mißhandlung von Versuchstieren vorgeworfen wird) für besonders schlecht oder grausam zu halten. Sie tun, was man ihnen beigebracht hat und was Tausende ihrer Kollegen auch tun.« [27] Diese Menschen werden in der Tat nicht als »besonders schlecht oder grausam« angesehen, denn in Gesellschaften, in denen die »Ideologie des kulturellen Sadismus« vorherrscht, wie Kathleen Barry es genannt hat, werden Gewaltakte neutralisiert, weil sie allgemein üblich sind. Was Tierversuche anbelangt, zollt man den Gewaltakten Anerkennung (sie werden veröffentlicht und kopiert) und bedenkt die Forscher mit Auszeichnungen (Geld und Ämter).
Auf diese Weise kann erschreckende Grausamkeit gegenüber Tieren legitimiert werden. Roger Ulrich, ein Pionier in der Arbeit mit Ratten, bei denen er durch Schmerz Aggressionen hervorrief, gestand ein: »Ich stellte schließlich Sachen mit Tieren an, die mich richtiggehend krank machten. Aber ich rationalisierte es. Ich dachte, die Wissenschaft könnte sich Gott weiß was leisten, wenn sie nur unsere sozialen Probleme damit löste.« [28] Ulrich stellte die Tierforschung mit der Begründung ein, daß sie »eine abstoßende und für die Gesellschaft unerhebliche Handlungsweise« sei. Viele »Tausende seiner Kollegen« folgten seinem Beispiel zum Leidwesen der Tiere nicht.
Wenn Tierversuche kritisiert werden, warten Studenten, Professoren und Forscher gleichermaßen mit den beiden üblichsten Rechtfertigungen auf: Zum einen seien die Versuche an lebenden Tieren zum Wohl der Menschheit notwendig, und zum anderen befolgten die Forscher strenge Richtlinien, die das Leiden der Tiere auf ein Mindestmaß reduzierten. Was versteht man unter dem Wohl der Menschheit? Bessere Gifte, bessere Chemikalien, bessere Kosmetika, bessere Arzneimittel, besseres Verhalten, bessere Gehirne, bessere Gene? Akzeptable Grenzwerte von inakzeptablen krebserregenden Stoffen, die bis in jeden Haushalt gedrungen sind? Weniger Krankheiten? Die zweifelhaften Vorteile von Organtransplantationen? Kinder aus der Retorte? Klone? Menschliche Hybriden? Genetisch konstruierte Lebensformen? für dieses »Wohl« müssen jährlich Millionen von Tieren leiden und ihr Leben lassen. [29]
Im Gegensatz zu dem Eindruck, der in der Öffentlichkeit erweckt wird, der Hauptzweck der Tierforschung sei die Entdeckung von Heilmitteln für menschliche Krankheiten, ist nur ein winziger Bruchteil der Tierversuche auf dieses Ziel hin ausgerichtet - und selbst davon könnten noch viele durch alternative Methoden ersetzt werden.[30] Gordon Hankinson beispielsweise, der Leiter des Foster Bio-Medical Research Laboratory an der Brandeis University, konzentrierte sich in seiner Verteidigung der Tierversuche ausschließlich auf den medizinischen Fortschritt. Besonders hob er dabei die Entdeckung des Polioimpfstoffes als eines der »vielen Gesundheitsprobleme« hervor, die durch Tierforschung gelöst worden seien. [31] Doch in Wirklichkeit sieht die geschichtliche Entwicklung des Polio-Impfstoffes ganz anders aus: Die Impfstoffe Salk (1953) und Sabine (1956) wurden aus Viren gewonnen, die im Gewebe menschlicher Embryonen gewachsen sind. Tiere, insbesondere Affen, wurden am Anfang der Polio-Forschung eingesetzt. Der Virus wurde in ihrem Nervensystem herangezogen. Als Enders aber 1949 die besser funktionierende Alternative entdeckte, stellte man diese Praxis wegen mangelnder Erfolge wieder ein. [32]
Die meisten Tierexperimentatoren sind intellekthell unredlich, wenn es um das tatsächliche Ziel ihrer Forschungsarbeit geht. Richard Ryder, der den Begriff »Speziezismus« (englisch: speciesism) prägte, um die menschliche Voreingenommenheit zugunsten der eigenen Art und die Diskriminierung aller anderen Arten zu kennzeichnen, wies darauf hin, daß »sie von Grund auf Anpasser sind, die nicht in Frage stellen, was von ihnen erwartet wird... Wie die meisten Menschen streben sie nach Sicherheit und Erfolg, und sie wissen, daß es sich auszahlt, linientreu zu sein, wenn man diese Ziele erreichen will.« [33] So ist in Wahrheit das wirkliche Ziel der wissenschaftlichen Forschung das persönliche »Wohl« derer, die sie betreiben. Daß überhaupt »Richtlinien« notwendig sind, beweist die Unfähigkeit der Forscher, die Grenzen menschenwürdiger Behandlung zu erkennen und sich darauf einzustellen. Deshalb geben ihre Standesorganisationen von Zeit zu Zeit einen Katalog von »Richtlinien« heraus, die die Mißhandlung von Tieren bei der Unterbringung, bei chirurgischen Eingriffen und bei der Laborarbeit eindämmen sollen. Ihre Einhaltung beruht auf der »Standesehre«, ist also freiwillig. Den roten Faden bildet dabei in allen Fällen die Vermeidung von »unnötigem Schmerz«. Das ist ein relativer Begriff, und den Maßstab dafür bilden unglücklicherweise die »Bedürfnisse« des Experimentators, nicht aber die der Tiere. Wie es W. Lane-Petter in Animals for Research ausgedrückt hat:

Nur wenn man ein Maximum an Informationen aus dem Versuchstier herausholt, indem man es optimal präpariert und benutzt, kann man von bewußter Wirtschaftlichkeit und einträglicher Forschung reden. Ein Verständnis für die Natur, die Fähigkeiten und die Grenzen des Tieres wird wahrscheinlich auch seinen menschenwürdigen Gebrauch zur Folge haben; ein Ergebnis, das möglicherweise nebensächlich, aber jederzeit wünschenswert ist. [34]

Die Sprache enthüllt die emotionale Einöde des Tierexperimentators, der wissenschaftliche Distanz mit wirtschaftlichen Interessen verbindet; seine Kriterien sind Effizienz und Erfolg. Wenn einer den Punkt erreicht, an dem er festzulegen hat, was menschenwürdige Behandlung ist, und sie gleichzeitig als nebensächlich bezeichnet, hat er jegliches Gefühl für eine Verbundenheit mit anderen Geschöpfen verloren. Unsere Verbindung mit den Tieren ist natürlich (von Natur), normal (von Norm,) und gesund (heilsam). Auf diese Art verspürten »primtive« Gemeinschaften, die die Urgöttin verehrten, die allen Geschöpfen gemeinsame Bindung an Mutter Erde. Im Zeitalter der Wissenschaft und Technologie experimentieren Wissenschafter an dieser Verbindung. Sie manipulieren Gene, Gehirne und Verhalten unter dem Vorwand, das »Wohl der Menschheit« im Auge zu haben. Von dem uns aufgezwungenen hektischen, nekrophilen modernen Leben aber befreien sie uns nicht.[35]
Wenn einer sich am Leben von Tieren vergreift, vergreift er sich schließlich an jeglichem Leben, auch an seinem eigenen, denn er reduziert Leben auf einzelne Abläufe, die meßbar sind. Er bestreitet die komplexe Wechselwirkung zwischen allen Lebensordnungen, die sich im Innern eines jeden Tieres, einer jeden Pflanze und eines jeden Menschen genauso abspielt wie außerhalb von ihnen. Er bestreitet die politischen, sozialen und ökonomischen Elemente, die bei dieser Interaktion ins Spiel kommen und die die Selbstwahrnehmung wie die Wahrnehmung der anderen, die Gefühle, die innere Antriebskraft und den Verstand formen. Am Ende hat er ganze Berge von Informationen angehäuft, nur sein Wissen oder sein Verständnis sind um keine Spur größer geworden. Wie Joan McIntyre, deren Worte stets einen eng mit dem Leben verbundenen Geist widerspiegeln, sagte, als sie über die im Interesse der Wissenschaft abgeschlachteten Wale sprach.

Wir können Zahlenkolonnen mit Angaben über Länge und Gewicht und Alter bis zum Himmel auftürmen, aber das wird uns kein Verständnis für die lebende Kreatur vermitteln. Eine lebende Kreatur zu verstehen, heißt, ihre Gegenwart zu respektieren und sich ihr mit Feingefühl, Anstand und Liebe zu nähern. [36]

Tierzüchter: Die Lebensklempner in Aktion

Der »Fortschritt« in den Wissenschaften und in der Industrie hat eine übermäßige Nachfrage nach Labortieren erzeugt. Allein auf dem Gebiet der chemischen Substanzen werden immer mehr Tierversuche »benötigt« um die wachsende Zahl staatlicher Auflagen zu erfüllen, ehe dann die 50 000 vorhandenen Chemikalien weiter verwendet werden dürfen und die 300 bis 400 neuen, die jedes Jahr entwickelt werden, als »sicher« eingestuft auf den Markt geworfen werden können. Die Toxizitätsprüfungen dieser und anderer von Menschen geschaffener Schadstoffe wie auch die medizinische, genetische und Verhaltensforschung kosten einer ungeheuren Anzahl von Tieren in den Laboratorien das Leben. Der Tierbedarf wird weitgehend mit Hilfe von Zuchtlabors gedeckt, die ein vollständiges Sortiment von Versuchstieren bis hin zu »keimfreien« produzieren können. Anstelle von Zucht oder Züchtung verwendet die englische Sprache ein schönes und sauberes Wort: breeding, verwandt mit dem deutschen brüten. Breeding bezeichnet den Verlauf des Entstehens und Sichentwickelns bis zum Auf-die-Welt-kommen durch Ausbrüten oder Austragen. Mit breeding verbinden sich Vorstellungen von Hegen und Schützen, die »Brut« kommt einem in den Sinn - wir sehen den Vogel, der die Flügel schützend über seine Jungen breitet und sie mit seinem Körper wärmt. Übertragen bedeutet »brüten« auch »nachsinnen, in schwerer Stimmung nachdenken«. Genau diese Stimmung bezeichnet die englische Sprache mit dem Wort gloom, das ursprünglich nichts anderes beschrieb als die Farbe Gelb. Gelb wie der Augustmond, wie blühender Ginster, wie eine reife goldene Frucht. Die Brüterin oder der Brüter sind die, die Leben heranreifen lassen, die es mit ihrer Wärme zur Entfaltung bringen, die es austragen, hegen und die dabei nachdenken.
Die Tierzüchter und das, was sie tun, könnten gar nicht weiter entfernt sein von diesen Gedanken über das Brüten und Gebären und Geborenwerden. Die Züchtung von Labortieren ist eine äußerst komplizierte Wissenschaft, bei der Tiermediziner, Genetiker, Neurologen und Legionen anderer Fachleute zusammenarbeiten müssen. Sie übernehmen dabei eine Rolle, die von Rechts wegen der zur Weitergabe der erblichen Anlagen fähigen Frau zukommt. Tierzüchter haben sich die Rolle der Frau widerrechtlich angeeignet. Ihre Versuche, die Erbanlagen zu »verbessern«, korrumpieren die Integrität des Tieres. Sie passen in das Raster der Objektifizierung, das diese Kultur durchdringt.
Die folgenden Beispiele sollen eine Vorstellung vom Umfang und der wirtschaftlichen Größenordnung dieses Unternehmens geben. Das Charles River Laboratory in North Wilmington, Masachusetts, dessen Gründer und Prasident Henry Foster war, ist der größte systematisch arbeitende Zuchtbetrieb von Labortieren in der Welt. 1979 setzte er mit der Zucht von Ratten, Mäusen, Hamstern, Kaninchen, Meerschweinchen und Rhesusaffen 30 Milliarden Dollar um. Die Affen wurden auf zwei kleinen Karibikinseln vor der Küste Floridas gezüchtet. Er verkauft im Jahr 18 Millionen Tiere an Universitäten, Regierungsbehörden und Firmen wie Revlon, Dupont, General Foods und Hunderte anderer internationaler Unternehmen. Zu den Niederlassungen in den Vereinigten Staaten, Europa und Japan kommen demnächst noch Anlagen in Kanada und Großbritannien dazu.[37]
Die Hazelton Laboratories in Vienna, Virginia, verkaufen ein »Paket«, das Kundenwünsche und Regierungsauflagen gleichermaßen berücksichtigt. Sie liefern Forschung, Ausrüstung und die Tiere - »mit denen das Geschäft steht und fällt«, wie Hazelton Präsident Kirby L. Cramer sagt. Die Gesellschaft preist sich selbst als »führenden Importeur von Primaten« an, von 1975-80 züchtete sie 6400 Affen. Sie hat Import und Zuchtprogramme von Primaten und Hunden mit dem Ziel erweitert, den neuen Vorschriften der Food and Drug Administration zur Erzeugerprüfung genauso gerecht zu werden wie der Genetikforschung. Trotzdem ist der Bedarf an Rhesusaffen in der Forschung aufgrund ihrer physiologischen Nähe zum Menschen derart groß, daß die Warteliste bei Bestellungen zwei bis drei Jahre umfaßt.
Die MOL-Enterprises in Oregon wetteifern mit Charles River und Hazelton darum, den wachsenden Bedarf an Primaten abzudecken. MOL gibt an, die Rhesusaffen aus Bangladesch einzuführen. In einer ihrer Anzeigen fordern sie den Kunden auf: »Bestellen Sie jetzt! Exportgenehmigungen des Ursprungslandes und Einfuhrpapiere liegen vor.«[38] Genehmigungen und Papiere können aber die Tatsache nicht verdecken, daß diese Gesellschaften mit Tieren auf eine Art Handel treiben, die an Sklaven- und Mädchenhandel erinnert.[39] Auf alle Fälle werden lebende Geschöpfe aus ihrem Lebensraum und ihren sozialen Bindungen herausgerissen, von ihren Artgenossen getrennt, roh behandelt und an Bestimmungsorte transportiert, wo sie ein trauriges Schicksal erwartet.
Wie ich schon erwähnte, bieten auch die strengsten Richtlinien für die »Pflege« von Labortieren keine Gewähr dafür, daß die den Forschern gelieferten Tiere »menschenwürdig« behandelt werden. 1978 verbot der indische Premierminister Morarji Desai den Export von Rhesusaffen in die Vereinigten Staaten mit der Begründung, das vorher geschlossene Abkommen, das die Verwendung der Tiere nur unter menschenwürdigen Bedingungen in der medizinischen Forschung vorschrieb, sei verletzt worden. Damals stellte Desai fest: »Es gibt keinen Unterschied zwischen der Grausamkeit gegenüber Tieren und der Grausamkeit gegenüber Menschen.[40] Auf den ersten Blick scheinen Desais Aussage und Reaktion die Anerkennung der Gleichwertigkeit von Tier und Mensch widerzuspiegeln und auch ein Gespür für die Not von Forschungstieren. Aber allein die Tatsache, den Export von Affen für Forschungszwecke überhaupt genehmigt zu haben, war an sich schon ein Akt der Grausamkeit. Die Verharmlosung von Grausamkeit in patriarchalen Kulturen sorgt für die Zunahme von Grausamkeiten »auf der unteren Ebene« (vergleichbar der »Niedrig«-Strahlung, den »minder«-krebserregenden Stoffen oder den »menschenwürdig« durchgeführten Tierversuchen) und für die fortgesetzte Hinnahme dieser nicht mehr tolerierbaren Toleranzwerte, die angeblich eine Garantie für »Sicherheit« oder »Moral« geben.
Frauen, die sensibilisiert sind für die vielen Erscheinungsformen des Frauenhasses, vermögen nicht nur die Grausamkeit der Tierzüchter zu erkennen, mit der sie die Ausbeutung von Leben im großen Stil betreiben, sondern auch die verächtliche und geringschätzige Einstellung gegenüber Natur, Tieren und Frauen, die dem zugrundeliegt. So griff auch Foster in die Natur ein und verbesserte sie, indem er ein »spezifisch pathogenfreies» (SPF) Nagetier züchtete, ein Tier, das »frei« von den »üblichen Krankheiten« war, die ihm bei der Geburt von seiner »unreinen Mutter« übertragen wurden.
Das bei der Erstellung von Gnotobioten, keimfreien Tieren, angewandte Verfahren besteht darin, daß man einem graviden (schwangeren) Weibchen die Föten mittels Kaiserschnitt aseptisch entfernt und sie in eine sterile Umgebung bringt und sie dort hält ... zusammen mit einer reinen Pflegemutter - einem laktierenden Weibchen aus einer anderen SPF-Kolonie oder besser aus einer Kolonie von Gnotobioten, das kurz zuvor Junge geworfen hat.[41]
Bei dieser und der folgenden Beschreibung der Methoden, die bei der »keimfreien Entfernung« von Föten eines »graviden« Weibchens angewandt werden, liegt das Augenmerk auf dem Verfahren und den Operateuren. Daß es sich um etwas Lebendiges handelt, kann man nur schlußfolgern, als sei das Leben unwichtig für die Prozedur. Mehr noch: unter der glatten Oberfläche neutraler wissenschaftlicher Ausdrucksweise wird ein tiefer Abscheu vor den weiblichen Körperfunktionen sichtbar. Ein Weibchen ist nicht schwanger, es ist gravid. Es ist nicht unbehaart, sondern depiliert. Der Mutterleib ist abstoßend, verseucht mit Keimen. Also wird er »geopfert«, abgetötet, und das Leben in ihm in Plastik-»Kammern« sterilisiert.
Die früheste Methode hierfür war 1946 von Reyniers entwickelt worden.

Sie besteht darin, das gravide, epilierte, abgetötete Weibchen auf eine straffe Plastikmembrane im Boden eines Operationsisolators zu legen. Man hat ganze 10-15 Minuten Zeit, nachdem die Respiration in dem geopferten Muttertier ausgesetzt hat. Der Operateur, beide Arme in überlangen Operationshandschuhen, führt eine Hysterektomie innerhalb der sterilen Kammer durch und hebt den intakten graviden Uterus mit Hilfe der Operationsmembrane am Boden des Plastikisolators durch eine Schleuse in die eigentliche Kammer. [42]

Die zweite Methode, 1959 von Foster entwickelt, besteht darin,

eine aseptische Hysterektomie an einem depilierten, graviden Weibchen durchzuführen, das durch eine Zervikalfraktur (Genickbruch) getötet wurde, und dann den kompletten Uterus mit Inhalt mittels einem Behälter mit keimtötender Lösung in den sterilen Operationsisolator einzuführen.[43]

Schwangere Nagetiere bringen ihre Jungen unter natürlichen Bedingungen meist zwischen 11 Uhr abends und 6 Uhr morgens zur Welt. Doch ist ein Kaiserschnitt zu dieser Zeit für die Operateure »lästig und anstrengend«. Dementsprechend werden vom siebzehnten Tag an täglich Progesteron-Injektionen gegeben, wodurch sich in einem hohen Prozentsatz der Fälle der normale Gebärvorgang verzögert, so daß man bei Tag operieren kann und eine Nachtwache sich praktisch erübrigt.[44] Unfähig, selbst Kinder zu gebären, täuscht der Mann die Kraft weiblicher Fortpflanzang vor, indem er ihre Abläufe mit Medikamenten manipuliert und sie zwingt, zu gebären, wann er Zeit hat. Dabei gefährdet er ihr Leben und/oder bringt sie um. In Ihe Hidden Malpractice hat Gena Corea den Zugriff des Mannes auf die weiblichen Fortpflanzungsprozesse analysiert. Sie schrieb: »Die Einleitung der Wehen wird nach dem Gutdünken des Arztes vorgenommen, ohne Rücksicht auf die Gefahren für Mutter und Kind... Die Manipulation der Wehen gestattet es dem Arzt, seinen Tagesplan effizient zu gestalten.« [45] Außerdem ist die amerikanische Mutter keine »aktive Gebärerin mehr... Angeschnallt und eingelullt von Medikamenten ist sie heute das Objekt, an dem der Arzt arbeitet, und ihr ungeborenes Baby ist »zum intrauterinen Patienten« geworden.» [46] Der einzige Unterschied zwischen schwangeren Frauen und jenen graviden Nagetierweibchen ist der, daß die Nagerinnen automatisch geopfert, also abgetötet werden.
Der Mann verändert Natur, Tiere, Frauen bis zur Unkenntlichkeit, und er trifft gedankliche Vorkehrungen für einen sanften Übergang. Foster sagt dazu: »Mit jedem Monat und jedem Jahr setzt sich mehr und mehr die Meinung durch, daß das saubere SPF-Tier die authentischere Verkörperung eines normalen Tieres ist als sein Vorläufer, das konventionelle Tier.« [47] Das laborgefertigte, manipulierte »lebende« Erzeugnis wird langsam die Norm, zunächst weil es aufgrund der Tatsache, daß es den Zwecken des Mannes mehr entgegenkommt und besser handhabbar ist als die konventionelle »Abart«, auch mehr gefragt ist, und am Ende, weil es irgendwann die einzige Art von Lebewesen darstellen wird, die es gibt.
Die Tierzüchter vermarkten diese »Norm« in den Tierhandelsjournalen wie Möbelstücke. Ein besonders abstoßendes Beispiel stammt dabei von den King Animals Laboratorie«; (Wisconsin): »Das EVANGELIUM ist aus der Mode! King ist wirklich gut... Sie können King vertrauen ... Vergleichen Sie Preis und Qualität! Rufen Sie an, vergleichen Sie - garantieren Ihnen, Sie werden voll zufrieden sein.« In einer einzigen Ausgabe der Zeitschrift Laboratory Anmial Science (Februar 1979) priesen nicht weniger als siebzehn Tierzuchtunternehmen Tiere zum Verkauf an, alle mit den gleichen haarsträubenden Werbesprüchen. Ihre »Produkte« sind häufig in Posen und Aufmachungen abgebildet, die zu den Klischees von den Geschlechterrollen passen: Unterwürfige Weibchen locken, verführen und laden zu ihrem Mißbrauch ein. Dominante Männchen befehlen. Die t Überschriften sprechen Bände: Harlan Industries aus Indiana tönt: »Wir sind die Harlan-Truppe. Sie sollten die Harlan-Truppe einmal kennenlernen ... Harlan-Nager werden großgezogen, um Ihnen besser zu Diensten zu sein.« Die Firma Eagle Laboratory Animal«, auch aus Indiana, zeigt ein schwangeres Hamsterweibchen mit langen Wimpern und der Überschrift: »Ich gebe mir wirklich alle Mühe, Sie zufriedenzustellen.« Diese Werbeanzeigen richten sich eindeutig an männliche Kunden, die vom Anblick schüchterner »anziehender« Weibchen, die auf ihrem Weg zur Schlachtbank fortwährend lacheln, erregt werden. Andere Firmen, die in diesen Zeitschriften werben, sind auf das Zubehör für Tierversuche spezialisiert. Sie offerieren Versuchsausrüstung, »Heimkäfige«, Betten, Futter, Trinkvorrichtungen, Medikamente und Zubehör wie Labormäntel und die »komplett waschbare« Guillotine, die nicht nur Ratten und Mäusen, sondern auch »anderen Labortieren sekundenschnell« den Kopf abschlägt. Lab-Caging Systems bietet ein gesamtes Programm in Aluminiumausführung an. Die Bilder von diesen metallenen »Heimkäfigen« muß man gesehen haben. Die einzigen »Tiere«, die offenbar hier untergebracht werden sollen, sind miniberockte Frauen in weißen Mänteln, die, um die Käfige drapiert, über das Metall streicheln, offensichtlich erpicht darauf, in die größeren selbst hineinzukommen.
Für die Milliarden von Tieren, deren Schicksal es war und weiterhin sein wird, von Männern zu Versuchszwecken gezüchtet zu werden, ist das alles ein Alptraum. Der Profit derjenigen, die auf allen möglichen Ebenen an dem Geschäft mit Tieren beteiligt sind, ist Blutgeld.

Der Konsum frißt seine Kinder

Um diese Ausführungen auf einen realistischen Boden zu stellen, möchte ich klarmachen, daß ich das Wort »Konsument« vor dem Hintergrund einer Konsumhaltung verwende, nicht in dem herkömmlichen Sinn, daß jemand etwas verbraucht, um am Leben zu bleiben. Konsumhaltung bedeutet eine Lebensform, die auf dem Verbrauch von Waren allein zu dem Zweck beruht, künstlich erzeugte Bedürfnisse zu befriedigen. Es würde mich auf eine Reihe von Nebenschauplätzen führen und damit zu weit vom Thema abbringen, wollte ich hier den Unterschied zwischen einem grundlegenden und einem künstlichen Bedürfnis herausarbeiten oder zu diesem Zweck gar eine Definition von »Bedürfnis« zu liefern versuchen. Ich setze voraus, daß die intelligente Leserin den Unterschied kennt und weiß, daß wir über die Befriedigung grundlegender Bedürfnisse hinaus konsumieren.

Die Herstellung von neuen Produkten geht Hand in Hand mit einer öffentlichkeitswirksamen Präsentation in den Medien, die die »Bedürfnisse« der Leute und ihre Vorstellungen vom »guten Leben« gestalten, um zum Konsum anzuregen. Diese veredelten oder synthetischen Artikel werden, da sie für den menschlichen Konsum und Verbrauch bestimmt sind, zur »Sicherheit« an Tieren erprobt. Folglich wirkt der Konsument, der beides erwirbt, Produkt und Präsentation, direkt an der Entwertung und Künstlichkeit von Leben mit und an der Qual der Tiere. Die Sicherheit von Arzneimitteln, Kosmetika, Toiletten- und Haushaltsartikeln, Nahrungsmittel-Zusätzen, Kunststoffen usw. wird mit der sogenannten »Writhing«-Methode und dem »LD/50«Test ermittelt. Diese Tests setzen die Tiere äußersten Leiden aus. Die »Writhing«-(»Krümm«-)Methode heißt so nach der qualvollen Weise, in der die Tiere reagieren, nachdem man ihnen Reizmittel in den Unterleib injiziert hat. Der »LD (lethale Dosis)/50-Test« besteht »in der Zwangsfütterung einer Gruppe von Tieren mit einer bestimmten Substanz, bis die Hälfte von ihnen gestorben ist«.[48]
Peter Singer hat eine Dokumentation über die am Mead Johnson Research Center in Evansville, Indiana, und am Huntingdon Research Center in Huntingdon, England, durchgeführten LD/50-Tests verfaßt. Als Versuchstiere wurden Kaninchen, Rhesusaffen, Totenkopfäffchen, Katzen, Ratten, Hunde und Mäuse verwendet. In einem der Tests wurde Amidephrin-Mesylat, ein Mittel zum Freimachen der Nasengänge, »den Tieren oral, mittels Injektion und über die Nasenlöcher zugeführt und zur Überprüfung der Reizwirkung Kaninchen in die Augen und auf die Penisse geträufelt... die LD/50-Werte waren für alle Arten vorgeschrieben.«[49]
Tiere sind die Zielscheiben der Forschung, und Frauen sind die Zielscheiben der Vermarktung. Seien es diätische Lebensmittel und Getränke, Kosmetika, die ein »natürliches Aussehen« verheißen, oder Sprays und Reinigungsmittel für das wohlriechende keimfreie Heim, immer sind es die Frauen, die man dazu bringen will, eine durch und durch denaturalisierte Umwelt und Erscheinung zu akzeptieren. Der letzte Schrei in der Kosmetikindustrie ist beispielsweise die drei Millionen Dollar teure Verwertung einer NASA-Computer-Technologie. Frauen können jetzt unter einer Anzahl von >High-Tech-Gesichtern« auswählen, die »Make-Up-Künstler« (Männer) für sie entworfen haben und die sie über einen speziellen Video-Monitor anschauen können. Wenn der »Künstler« »empfindet, daß die Frau einen größeren Mund oder schmalere Lippen bräuchte, kann er ihr zeigen, wie das zu bewerkstelligen ist, ohne daß sie ihren Lippenstift dazu entfernen müßte. Er kann ihr auch die neuesten Make-up-Techniken beibringen.« [50] Eine weitere Errungenschaft ist der computergesteuerte Hautanalysator, der sogenannte »Schönheits-Berater«. »Er arbeitet mit einem Stab, der, über das Gesicht der Frau geführt, einen Fettigkeitsmesser, ein Hydrometer und einen Teint-Analysator in Betrieb setzt« und dann Make-up-Empfehlungen ausspuckt.[51]  Bei der Technologie handelt es sich um ein Abfallprodukt der männlichen Kriegsmaschinerie, die Vermarkter sind »Frauen«-Berater, die Zielgruppe und Opfer dieser jüngsten Modelle der Illusions-Industrie (das »neue Image«) sind die Frauen, die schon vom Mythos der Jugend und Schönheit zerfressen sind, und die Opfer der Opfer sind die Tiere, an denen die Produkte erprobt wurden.
Essen ist ein Grundbedürfnis, aber vorbehandelte Lebensmittel, deren Zusammensetzung entsprechend den Vorschriften der Toxizitätsprüfungen zurechtgetrimmt wurde, liefern ein weiteres Beispiel für ein künstliches Bedürfnis. Diese Nahrungsmittel können den Hunger stillen, Zeit und Arbeit sparen, den Anschein sozialer Kontakte während des Essens vermitteln usw., aber sie ernähren einen nicht. Sie befriedigen den Wunsch nach Bequemlichkeit (auch wenn diese Art von Bequemlichkeit dem Leben abträglich ist) und das Bestreben, den physischen, gesellschaftlichen und geistigen Normen, die die Kultur vorgibt, zu entsprechen. Das weibliche Schönheitsideal war in den 80er Jahren beispielsweise eine »mädchenhaft schlanke« Figur, in der Medizin als anorexisch, magersüchtig bekannt. Weil aber 60% der Amerikaner/innen Übergewicht haben, entsteht das »Bedürfnis« nach Spezialdiäten und getränken, die an Tieren getestet wurden. Diese Diätnahrungsmittel sind indes alles andere als gesund und rufen zusätzliche Probleme hervor, die erneut Tierversuche »notwendig machen«.
Manchmal taucht das Argument auf, Aufklärung über die Schrecken der Tierforschung, die den Boden für die Konsumideologie bereitet, würde die Sensibilität der Menschen erhöhen und sie wieder ihren Gefühlen näherbringen. Der »mündige Verbraucher« würde schließlich die Waren boykottieren, für die diese Tests durchgeführt wurden. Angenommen, die Verbraucher würden sich wirklich um solche Zusammenhänge kümmern, welchen Preis wären sie bereit zu bezahlen, um den Tieren die Quälerei zu ersparen? In einer überbevölkerten, verstädterten Welt ist es leichter, das Warenangebot in den Supermärkten hinzunehmen, als diese Nahrungsmittel zu boykottieren und nach Alternativen zu suchen. Im übrigen werden die Verbraucher geradezu ermutigt, sich von Aussehen und materiellen Gütern abhängig zu machen und so einen krankhaften Hunger nach Anerkennung und ein falsches Selbstwertgefühl zu befriedigen. Derartige Bedürfnisse sind indes von Natur aus unersättlich und »verlangen« nach immer mehr Konsum.
Die Konsumidee gedeiht wegen der Gleichgültigkeit und Gedankenlosigkeit der Verbraucher.[52] So tragen die Leute zwar Einkaufstüten mit dem Aufdruck »Mündiger Verbraucher« mit sich herum, aber sie tragen keine Plakate, auf denen sie gegen die Tierquälerei protestieren, die für den Handel mit eben diesen Waren in ihren Einkaufstüten begangen wurde. Der aufgedruckte Werbespruch mag »geschickt« sein, aber er beinhaltet nichts anderes als die »Mündigkeit« noch mehr zu konsumieren. Insgesamt wenden die Verbraucher viel Zeit, Energie und Geld dafür auf, die Werbung zu durchschauen, Produkte zu vergleichen und schließlich zu entscheiden, was sie kaufen sollen - und damit unterstützen sie indirekt die Industrie, die ihnen »neue«, überflüssige Produkte anbietet. Auf der anderen Seite unternehmen die Verbraucher als gesellschaftliche Gruppe praktisch nichts, um sich auf dem Gebiet der Tierforschung, mit der diese Industrie arbeitet, sachkundig zu machen. Dem Konsum liegt auch ein Gefühl der Ohnmacht zugrunde, und auch das fördert ihn. Wenn die Verbraucher auch mehr und mehr für die »guten Dinge im Leben« aufwenden, so scheint das gute Leben doch eher unfaßbar und unerreichbar zu bleiben. Dieses Ohnmachtsgefühl versuchen die Verbraucher letztlich damit zu verdrängen, daß sie immer »modernere und bessere Waren« kaufen und konsumieren, um auch ja »den Anschluß nicht zu verlieren«.Einige Menschen mag Aufklärung über die Schrecken der Tierforschung tatsächlich soweit sensibilisieren, daß sie ihre Lebensgewohnheiten verändern. Aber es ist sehr unwahrscheinlich, daß die Mehrheit, die die Stadt außer zu gelegentlichen Ausflügen nicht verläßt und deshalb das, was in der Natur vor sich geht, gar nicht einzuschätzen vermag,[53] ihre »Bequemlichkeit« und ihre im Kaufhaus erworbenen Selbstbilder aufgibt, nur um die Not der Labortiere zu ändern.
Gerade die amerikanischen Städte, in denen die Konsumhaltung entstanden ist und sich am meisten durchgesetzt hat, sind das Symbol all dessen, was den Gegensatz zur Natur darstellt. Auf vielen Quadratkilometern voller Beton und Glas wimmelt es hier von Menschen, die in einer künstlichen Umwelt arbeiten, um sich die Annehmlichkeiten zu verschaffen, die sie dann auch in gewaltigen Mengen konsumieren. Die Erinnerungen an Natur sind dürftig: ein paar Bäume, [54] ein paar Vögel, ein paar Nagetiere. Wenn die Aufklärung der Verbraucher über die sadistische Behandlung von Versuchstieren erfolgreich sein soll, dann muß sie von einer grundlegenden Revolution unseres gesamten Wertesystems begleitet sein. Wir leben in einer egozentrischen Kultur. Da auszubrechen erfordert eine willentliche Entscheidung: den Willen, anstelle des Experiments die unmittelbare Erfahrung der ganzen Welt zu setzen, den Willen, unserem Bewußtsein den Raum zu gönnen, den es braucht, um Programm und Wirklichkeit auseinanderhalten zu können, Wir müssen darüber hinauskommen, uns und die ausschließliche Darstellung unserer Weltsicht in den Mittelpunkt zu stellen, und wir müssen den Geist schärfen, damit wir weise Entscheidungen treffen und »Neues« mit Besonnenheit einschätzen können. Das erfordert Geduld, Aufgabe unserer Vorurteile und die Bereitschaft, viele unserer Gewohnheiten und Denkmuster zu verändern. Kurz: das Leben lieben zu lernen.

Tierversuche sind Kopfgeburten

für die, die noch nicht krank sind, und ganz sicher für die Generationen, die noch nicht geboren sind, ist Vorbeugung das Gebot der Stunde.
Rachel Carson, Stummer Frühling

Vorsicht ist besser als Nachsicht.
Sprichwort

Ein gesunder Körper

Ein Großteil der Tierforschung erfolgt angeblich nur zu dem Zweck, ein besseres Verständnis für die menschlichen Krankheiten zu gewinnen, um »Leben zu retten« und Gesundheit zu fördern. Die amerikanische Krebsgesellschaft konstatierte: »Bedeutende Entdeckungen in der Medizin sind durch solche Versuche (an Tieren) gemacht oder bestätigt worden. Zahllose Menschenleben wurden gerettet«.[55] Dieser Gedankengang soll den Anschlag auf die Integrität der Natur, der in allen Tierversuchen sichtbar wird, rechtfertigen. Das ist typisch für die patriarchale Herrschaftsstrategie: Die Integrität von Materie (lebender und nicht-lebender) wird zerstört, künstlich restauriert und wiederhergestellt und dergestalt vermarktet (über Heilmethoden, Verbesserungen usw.), daß es auch noch Dankbarkeit hervorruft. Mary Daly nannte dieses Syndrom »Sado-Sublimierung«, sie hat aufgezeigt, daß es sich besonders zerstörerisch auf Frauen auswirkt, wiewohl es seine Bestimmung ist, alles Leben zu verhindern. Frauen werden damit so weit gebracht, ihre maskieren Peiniger auch noch zu verehren und so immer tiefer in Hilflosigkeit und Abhängigkeit zu stürzen.[56]
Die fortschreitende Ausbreitung von Krankheiten bedingt die Suche nach Lösungen für die Gesundheitsprobleme. Dennoch sollten wir nicht übersehen, daß die Ausbreitung eine Folge des tödlichen Eingreifens von Männern in die Lebensabläufe und die Unversehrtheit »der Umwelt« ist. Wenn ihnen die Gesundheit wirklich ein Anliegen wäre, würden die Wissenschaftler ihre Bemühungen darauf richten, wieder gesunde Bedingungen für alles Lebendige zu schaffen. Indem sie sich auf Krankheiten konzentrieren, lenken sie von der patriarchalen Besessenheit nach Herrschaft ab, die von der Angst herrührt, der Natur unterworfen zu sein. Diese Lebensangst ist der Nährboden für jegliche Tierforschung, gleichgültig welche Rechtfertigungen man vorbringt.
Etymologie wie Erfahrung sagen, daß Gesundheit im Einklang von Geist und Körper besteht. Gesund sein bedeutet unversehrt sein - nicht gebrochen, geschädigt oder verletzt. Es bedeutet vollständig zu sein - all seine einzelnen Elemente oder Wesensbestandteile beisammen zu haben. Es bedeutet ganz zu sein nicht in sich selbst gespalten. Gesundheit ist der natürliche Zustand jeden Geschöpfes, das sich das, was es braucht, von einer heilsamen und helfenden Umwelt nehmen und zu seinem Wohlergehen verwenden kann. In diesem natürlichen Zustand führt die Übereinstimmung zwischen den Bedürfnissen eines Organismus und der dementsprechend eingerichteten Umwelt zu einer gegenseitigen Ergänzung, innerhalb derer alle Organismen »wissen« wie sie ihre Integrität bewahren können. In einem natürlichen Zustand ist Gesundheit die Regel, Krankheit die Ausnahme. Der Organismus versagt, weil er in seiner Umwelt entweder nicht finden kann, wessen er bedarf und/oder weil er nur findet, was seinem Wohlergehen abträglich ist. Er könnte auch feindlichen Elementen in seiner Umwelt ausgeliefert sein, gegen die er sich nicht genügend zur Wehr setzen kann. Der Zustand von Krankheit ist ein unnatürlicher, in dem das feine, lebenerhaltende Gleichgewicht zwischen einem Organismus und seiner Ökologie gestört ist. Vergleichsweise wenig Organismen erkranken in einem solche Maße, daß ihre eigenen Heilfähigkeiten versagen. Sollte die Anzahl erkrankter Organismen in unverhältnismäßiger Weise ansteigen, würde das Leben auf der Erde zusammenbrechen.
In der Zivilisation findet eine krasse Umkehrung dieser Werte statt. Krankheit ist dermaßen üblich geworden, daß Gesundheit eher als Abwesenheit von bestimmten Krankheiten definiert werden kann denn als Zustand der Integrität, der Ganzheitlichkeit, des Einklangs. Außerdem ist Krankheit ein Ereignis, das erwartet wird. Das zeigt sich schon an der Bedeutung, die regelmäßigen »Vorsorge«-Untersuchungen beigemessen wird, an Pflichtkrankenversicherungen, an der wachsenden Zahl von «Gesellschaften« und Organisationen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, private und öffentliche Mittel anzuzapfen, um damit noch mehr Tierversuche zu finanzieren und so Krankheit zu besiegen, und an den weitverbreiteten, detaillierten Veröffentlichungen über fürchterliche Krankheiten, neueste Technologien und Durchbruchserfolge. All diese Umstände zusammen mit »herzzerreißenden« Geschichten über unschuldige Kinder, überlastete Mütter und hart arbeitende Väter, die sterben müssen, weil das richtige »Heilmttel« nicht zur Verfügung steht, haben ein Volk von Hypochondern hervorgebracht, die verzweifelt ihre tiefsitzenden Wehwehchen beklagen und ihre Arznei dagegen kaufen.
Die wuchernden Übungsprogramme, »Gesundheits«-Clubs, »Vollwert«-Nahrungsmittel, Diätvorschriften, freiverkauften und rezeptpflichtigen Medikamente, persönlichen Therapien und/ oder privaten Bücherregale, voll mit Werken von Wunderärzten und Modepsychologen, all das drückt nur zu deutlich die weitverbreitete Krankheit an Körper und Geist aus, und es besagt auch genug über die gewaltigen Profite, die sich am Geschäft mit der Krankheit verdienen lassen. Es ist nur noch ein kleiner Schritt von der Krankheit als Norm zu der Krankheit, die wieder unter dem Namen »Gesundheit« läuft. Eine von Boston aus gesteuerte Kette von »Gesundheits«-Kliniken empfiehlt sich mit dem Slogan: Wir sind für Sie da, ob Sie gesund sind oder krank.« Sie ersetzte das Wort »Doktor« durch den Begriff »Betreuer«. So verhilft der Betreuer dem dankbaren »Patienten« zu einer Ware, die der «Patient« ohne sein Wissen bereits besitzt (Gesundheit). Heimtückisch hat die Medizinbranche das Wissen der Menschen über sich selbst untergraben und ein Abhängigkeitsverhältnis aufgebaut, das den »Bedarf von noch mehr Betreuern, medizinischer Technologie und Tierforschung sicherstellt. Trotz all der schönen Worte über die Gesundheit ist die Zahl der Krebsfälle, der Herzerkrankungen und Geburtsfehler angestiegen. Außerdem sind neue Krankheiten aufgetaucht (Aids, Toxisches Schocksyndrom), und auch die Zahl der »milieugeschädigten« Menschen hat zugenommen. Da die meisten dieser Störungen von den Lebensbedingungen unter patriarchaler Herrschaft herrühren, kann die Tierforschung nicht zu ihrer Behebung führen. Als zwei Beispiele dafür mögen Krebs und Depressionen stehen. Beide sind zunehmend übliche Krankheiten, deren Ursachen anerkanntermaßen in Umwelt- oder Gesellschaftsbedingungen liegen. Beide haben schon eine hohe Anzahl von Tieropfern in der Forschung gefordert und tun das auch weiterhin. Und dennoch sind sie weit von ihrer Ausrottung entfernt, sie haben vielmehr epidemische Ausmaße erreicht.
Daß Krebs sich ausbreitet, liegt ganz offensichtlich nicht daran, daß die Wissenschaftler noch nicht das richtige Mittel dagegen gefunden haben. Die Krebsrate steigt an, weil so wenig getan wird, die Streßfaktoren und Giftmengen zu reduzieren, mit denen unsere Lebensgrundlagen belastet sind. Die Wissenschaftler haben, heißt es, einen »großen Fortschritt« in ihrem Wissen über den Krebs erzielt, indem sie ihn auf genetische Faktoren zurückführten. Sie hoffen, »Wege zu finden, ihn, d.h. die genetischen Abläufe (sic) zu blockieren, die bewirken, daß »Zellen außer Kontrolle geraten, und so seinem Entstehen vorzubeugen oder ihn nach seiner Entdeckung zu heilen«. [57] Dieses biologische Eingreifen in die Zellstruktur läßt die Frage nach den umweltbedingten Ursachen des Krebses völlig außer acht. Tiere absichtlich krank zu machen, ist etwas ungesundes, sowohl für den Ausführenden (den Experimentator) wie für sein Opfer. Aus ungesundem kann per definitionem nichts Gesundes erwachsen.
Irgendeinen Teil des Organismus zu isolieren, als ob er ein in sich abgeschlossenes Element wäre, ist die mechanistische Annäherungsweise an Krankheit oder Gesundheit, die in der Wissenschaft gang und gäbe ist. Der Organismus wird bagatellisiert, z.B. durch die Aussage, daß es »kein großes Kunststück« sei, in unsere Gene einzudringen. [58] Der Körper ist mit einer Krankheit infiziert, die als gerissener und gefährlicher Feind angesehen wird, um das Forschergenie in ein um so besseres Licht rücken zu können. J.Michael Bishop, Professor für Mikrobiologie an der University of Columbia und Träger des Lasker-Preises für seinen Beitrag zu »unserem« Wissen über den Krebs, beurteilte den jüngsten Durchbruch in der Krebsforschung (die Entdeckung des Versagens der Onkogene) so: »Nach Jahrhunderten der Verwirrung hat die menschliche (sic) Intelligenz den Krebs schließlich in den Griff bekommen, den Griff, der der Krankheit letztendlich ihr tödliches Geheimnis entreißen kann«.[59] Eine weitere »neue Krebsspur« haben Forscher am Memorial Sloan Kettering-Krebszentrum in New York im Blut von Mäusen gefunden. Diese Substanz vernichtet den Krebs bei anderen Mäusen. Die Entdeckung »stützt die These, daß gesunde Tiere ein biochemisches Überwachungssystem haben, das sie befähigt, immer wieder im Verlauf ihres Lebens Krebs abzuwehren«. [60] Jedes dieser Tiere könnte noch am Leben sein, würden sich Forscher im besonderen und die Menschen im allgemeinen auf ihren gesunden Menschenverstand verlassen, denn diese Ergebnisse beweisen nur, daß unter natürlichen Umständen Gesundheit die Norm ist. Die eigentliche Frage, die sich im Zusammenhang mit Krebs stellt, ist die, ob die Onkogene oder irgendein anderer Teil des Organismus auch dann versagten, wenn man nicht von ihnen verlangt, massive und unnatürliche Mengen krebserregender Stoffe aufzunehmen. Aber dieser Frage wird nicht ernstlich nachgegangen, denn es wirft allemal mehr Profit ab, weiter Krebsforschung zu betreiben und immer mehr Leben zu schädigen - Tiere, Pflanzen und Menschen - als die am meisten krebserregenden Stoffe aus dem Verkehr zu ziehen, die der riesige Industriekomplex produziert, der für eine gesunde Wirtschaft als lebensnotwendig angesehen wird.
Daß die Gesundheit im Vordergrund steht, ist eine Lüge. Das wird noch deutlicher, wenn wir die Nahrungsmittelindustrie betrachten. Sie beteiligt sich an der Krebsforschung über Tests von karzinogenen Nahrungsmittelzusätzen und von Rückständen der Schädlingsbekämpfungs- und Unkrautvertilgungsmittel. Indem sie aber genau diese Stoffe auf den Markt wirft, trägt sie ebenso zur Krebserzeugung bei. So hat sie die Aufgabe der Nahrung in ihr Gegenteil verkehrt. Diese trägt nicht mehr zur Gesundheit bei, sondern ruft Krankheit hervor. Die Industrie aber gaukelt der Öffentlichkeit weiterhin Bilder von Gesundheit und Kraft vor. Die US-Umweltschutzbehörde (EPA), deren Aufgabe es eigentlich ist, die Sicherheitsauflagen zu überwachen, arbeitet Hand in Hand mit den Tierforschungseinrichtungen und den Giftherstellern. Jini Davis aus der EPA-Abteilung »Pestizide und Toxische Substanzen« sagte: »Oft werden die krebserregenden Stoffe, die wir in Nahrungsmitteln finden, als geringfügig gefährlich eingestuft.[61] Die Gesellschaft muß sich als Ganzes irgendwie festlegen, welchen Grad von Gefährlichkeit sie noch zu akzeptieren bereit ist.«[62] Wie soll die »Gesellschaft« folgende Fakten berücksichtigen: Es gibt 900 registrierte Pestizide, die in Nahrungsmitteln verwendet werden und mit hoher Wahrscheinlichkeit Krebs hervorrufen. Gespritztes Obst und Gemüse fallen nicht unter die Delaney-Klausel, die vorbehandelte Nahrungsmittel »schützt« [63] Da die landwirtschaftliche Produktion immer mehr zentralisiert wird (d.h. auch: es wird großflächig gesprüht und chemisch behandelt), wird es, besonders im Einzugsbereich von Städten, immer weniger möglich, die Waren auszuwählen. Die Berücksichtigung dieser Tatsachen führt im besten Fall zu einer großen Konfusion. So wie Gesundheit, auf die wir ein Recht haben, immer mehr unserem Einfluß entgleitet und in den Hintergrund tritt, so ziehen die Forscher in ihrem Irrsinn immer mehr Tiere dazu heran, um die Risikofaktoren möglicher Erkrankungen zu berechnen. Das nennen sie dann »Gesundheit«. Für die, die sich selbst helfen wollen, hat Joan Gussow, die Leiterin des Ernährungsprogrammes am Columbia University Teacher College in New York, folgendes gesagt:

Wenn Sie nichts essen, was Ihre Vorfahren aus dem Neolithikum nicht auch gekannt haben, werden Sie wahrscheinlich gesund bleiben. Es ist nicht schwer, sich ein gesundes Essen aus Vollwertnahrungsmitteln zusammenzustellen. Es ist in der Tat fast unmöglich, das nicht zu schaffen. Aber es ist außerordentlich schwierig, ein gesundes Essen aus 18 000 verschiedenen vorbehandelten Nahrungsmitteln auszuwahlen. [64]

Sie gab die Empfehlung:

Suchen Sie den Bauern auf. Kaufen Sie Nahrungsmittel, die in Ihrer Umgebung wachsen je näher, umso besser. Kaufen Sie einfache, relativ wenig vorbehandelte Lebensmittel, solche, die vollwertig sind (d.h. gesund) und frisch. Ein Teil dessen, was die Menschen tun müssen, ist denken.[65]

Denken bedeutet auch, sich vor Augen zu halten, was die technologischen Ansprüche, die wir mit unserer Gesundheit verbinden, das Leben - die Tiere, die Menschen und den ganzen Planeten - kosten. Wir Feministinnen stehen dabei in vorderster Reihe, denn wir sind hervorragend vorbereitet dafür, die patriarchalen, maniplilativen Taktiken aufzudecken, wo immer sie sich zeigen. Die »Veredelung« ist eine Technik, die wir im Hinblick auf die Frauen im Patriarchat schon analysiert haben. Frauen werden in derselben Weise »vorbehandelt« wie Lebensmittel: Sie werden in ihre Bestandteile zerlegt, Wesentliches wird entfernt und durch von Männern erfundene Zusätze wieder ergänzt, schließlich werden sie künstlich neu zusammengesetzt. Außerdem wissen wir aus Erfahrung, daß jedes Argument, das die Unterdrückung stärkt, eine Lüge ist, egal in welcher Verkleidung man sie uns präsentiert. In dem Fall, der mich hier beschäftigt, sind die Versuchstiere die Unterdrückten. Aber ihre Unterdrückung ist offensichtlich auch unsere, und die Qualen, die sie für unsere »Gesundheit« auszuhalten haben, schlagen als Krankheit auf uns zurück.
Kernfragen wie die, warum wir zulassen und weiter unterstützen, daß Dinge produziert werden, die erwiesenermaßen Krankheiten verursachen - atomare Radioaktivität, Giftgas, chemische und biologische Waffen, industrielle und landwirtschaftliche Schadstoffe, Alkohol, Tabak, vorbehandelte Lebensmittel usw. - werden nicht ernst genommen. Sie gehen unter bei dem Tanz um die goldenen Kälber, die da heißen »Fortschritt«, »Bruttosozialprodukt«, »nationale Sicherheit«, »persönliche Freiheit«, Begriffe, hinter denen sich nichts anderes verbirgt als Arbeitsstellen, hoher Lebensstandard und das große Geld für die, die am Ruder sind. Den Zusammenhang zu sehen zwischen Krankheit und der Lebensform, die wir gewählt haben, setzt voraus, daß wir auch erkennen, wie wir als einzelne und als Gesellschaft unsere Bereitschaft zur Krankheit täglich neu bekräftigen. Wir müssen das ganze Problem wahrnehmen und zu einer radikalen, nicht einer scheibchenweisen Veränderung bereit sein.

Ein gesunder Geist

Wenn wir uns dem Gebiet der »geistigen Gesundheit« zuwenden, sehen wir, daß die Tierforschung auch hier zur Rechtfertigung des Status quo herangezogen wird und daß, wie auf dem Sektor der körperlichen Gesundheit, die »Heilmittel« für geistige Störungen, die man gefunden und/oder an Tieren erprobt hat, die Gesundheit (die Ganzheitlichkeit) eher aushöhlen als fördern. Da diese »Heilmittel« bestenfalls kurzfristige Erleichterung verschaffen, sei es mittels Elektroschocks, Tabletten oder über eine Stunde erlaubten (d.h. therapeutisch kontrollierten) echten Gefühls wie Schmerz oder Wut, bleiben sie auf lange Sicht ohne Wirkung. Sie spiegeln etwas vor und haben keinen Bezug zu den Wurzeln der Krankheit. Wie die meisten körperlichen Leiden auch, sind die »Neurosen« weitgehend die Folge krankmachender gesellschaftlicher Bedingungen.
Ein beispielhafter Fall dafür ist die Depression. Depression ist ein manipulierter Zustand, ein unechtes Gefühl, das sich in extremer Passivität äußert (abgeschwächte sinnliche Wahrnehmung, Lustlosigkeit und Desinteresse an der Umgebung), ein erstarrter, blutleerer und lebloser Zustand physischer und emotionaler Hilflosigkeit, ein Ergebnis menschlicher Machtspiele. Bei ihrer experimentellen Erforschung der Ursachen dieses Zustands setzten Bruce Overmier und Martin Seligman 88 Mischungshunde einer ausweglosen Situation aus: Sie versetzten ihnen an den Pfoten Elektroschocks und hinderten sie gleichzeitig am Weglaufen. Einige Hunde erhielten nicht weniger als 640 Schocks - durchschnittliche alle neun Sekunden einen. Wie nicht anders zu erwarten, »lernten« die Hunde »Hilflosigkeit« d.h. sie versuchten auch dann nicht, dem Schock zu entgehen, als man ihnen später die Möglichkeit zur Flucht gab.[66] Gebrochen an Geist, Willen und Emotion ergaben sie sich hilf- und hoffnungslos den schmerzhaften Stromstößen, denen die Experimentatoren sie aussetzten. Sollte jemand, der nicht an einem »genehmigten« Projekt arbeitet, seinen Hund aus purer Neugierde auch nur ansatzweise einer solchen Behandlung unterziehen, würde er wahrscheinlich den »Behörden« (den Tierschutzvereinen) gemeldet werden, und man würde ihm das Tier wegnehmen. Sollte ein solcher Mensch damit auch noch Karriere machen wollen, würde man ihn für verrückt erklären und in eine Nervenklinik stecken. Es gibt noch mehr Leuchten in der psychologischen Forschung, die Tiere im Namen der Depression mißhandelt haben, vermutlich um ein Mittel dagegen zu entwickeln. Harry Harlow vom Primaten-Forschungszentrum in Madison, Wisconsin, setzte junge Affen in rostfreie Stahlboxen und ließ sie bis zu 45 Tagen dort. Es war vorherzusehen, daß die Affen schließlich bewegungslos und depressiv die Wand anstarrten oder zum Deckenlicht hinaufblickten. [67]
Man versuchte gegen Depression auch mit »therapeutischen« Pillen anzugehen, die die chemischen Abläufe im Körper und/ oder im Gehirn verändern. Forscher auf diesem Gebiet fanden es sehr »spannend«, daß sie mit ihren Zaubertränken den Auswirkungen der streßindizierten Hilflosigkeit gegensteuern können. Für Jay Weiss und seine Mitarbeiter ist das bei Hunden beobachtete Verhaltensphänomen (Hilflosigkeit) sogar noch aufregender, wenn man seine physiologische Grundlage (verminderte Ausschüttung von Norpinephrin im Gehirn) erkennt und versteht...Umwelt, Gehirn und Verhalten werden auf diese Weise zusammengebracht.[68]
Umwelt, Gehirn und Verhalten mögen ja noch auf irgendeine verquere Art und Weise zusammengebracht werden, aber die Tiere werden bei diesen Versuchen auseinandergerissen. Tabletten »schätzen« Ratten gegen die Nachwirkungen schwerer Streßsituationen wie Zwangsschwimmen in kaltem Wasser (2 Grad Celsius) und starker, unausweichlicher Schocks. Unter diesem Schutz ist zu verstehen, daß die Tiere solche TraLimata aushalten können, ohne danach Verhaltensmängel aufzuweisen. Ihre Depression und Hilflosigkeit ist vorübergehend durch den Einfluß von Chemikalien in ihren Gehirnen gemildert.
Klar ist, daß die Tiere nicht vor den natürlichen Reaktionen ihrer Gehirne, sondern vor den Menschen geschützt werden müssen, die sie dazu zwingen, Mißhandlungen und Überanstrengungen auszuhalten, die ihre Hilflosigkeit »aufregend« finden und deren sogenannte Heilmethoden darin bestehen, die Integrität der Tiere immer weiter zu vernichten. Eine solche Fragmentierung (Spaltung der Persönlichkeit) schwächt die eigene Fähigkeit, den wahren Charakter »des Problems« zu erfassen und dementsprechend unabhängig und sinnvoll zu handeln. Wir Frauen sind besonders sensibel für solche Leiden. Wir sind in den Leidenskreis der kräftezehrenden, patriarchalen Sado-Sublimierung hineingezogen und dann in »Therapien« gesteckt worden, die die Depressionen immer aufs neue verstärken, indem sie die wirkliche Ursache unserer Hilflosigkeit weiter im Dunkeln halten und uns für unsere Wut bestrafen. Dabei könnten wir genau daraus unsere Energie schöpfen, diese Wut würde uns vor der Depression bewahren.
Eine andere Möglichkeit, »unerwünschte« Gefühlszustände unter Kontrolle zu bekommen, stellt der direkte Eingriff in die Gehirnbereiche (sic) dar, die dafür zuständig sind. Dr. José Delgado, Professor der Physiologie an der Yale University School of Medicine vermutet, daß der Auslösemechanismus von äußerst schwierigen therapeutischen Problemen die erhöhte Reaktionsbereitschaft bestimmter Gehirnbereiche sein kann. Alle diese Störungen könnten behoben oder zumindest gemildert werden, wenn wir mehr über ihre anatomischen und funktionellen Grundlagen wüßten und die Aktivität der für diese Phänomene verantwortlichen Nervenzellen einschränken könnten.[69]
Das folgende Experiment Delgados zeigt einen seiner Versuche, sich dieses Wissen anzueignen, indem er das Gehirn und damit den Geist von Tieren vergewaltigt. Er verwandelte zunächst einen Schimpansen (Paddy) in einen Kyborg. Über 100 Gehirnelektroden, die man in seinen Schädel eingepflanzt hatte, Wurde Paddy dann mit einem Computer verbunden. Dieser registrierte in einem Gehirnbereich bestimmte Stromfrequenzen und aktivierte demgemäß Paddys »Stimalator« in einem anderen. Delgado steuerte diesen Vorgang so lange, bis Paddys Gehirnstromfrequenz in diesem Bereich auf ein Hundertstel der Normalaktivität reduziert worden war. Zu dem Zeitpunkt war auch Paddys Geist vollständig zerrüttet.

Als die Gehirnfrequenzen aufhören, wird Paddy ungewöhnlich ruhig. Obwohl er vor dem Experiment ein lebhafter Schimpanse war, sitzt er jetzt nur noch in seinem Stuhl, tut das, was man von ihm verlangt, und bewegt sich kaum noch. Die Futterstücke, die man ihm zur Belohnung gibt, sieht er nicht an; in den meisten Fällen ißt er sie auch nicht. Er traut sich nicht mehr, irgendeine Erregung zu zeigen. Noch Wochen nach Ende des Experiments benimmt sich Paddy so ängstlich wie ein geprügelter Hund.[70]

Es ist nicht anzunehmen, daß solche »therapeutischen« Erfahrungen auf Labortiere beschränkt sind. Dr. Robert Heath von der Tulane University hat aber Jahrzehnte hinweg Teile von Menschengehirnen stimuliert (und zerstört). Er arbeitete dabei entsprechend der Theorie und den Beobachtungen, die sich bei seinen Experimenten an Katzengehirnen ergeben hatten.

1950 pflanzte er einem schizophrenen Patienten eine Elektrode in den Septalbereich des Gehirns mit der erklärten Absicht ein, das »Individuum aus seinem schlafähnlichen Zustand der Träumerei herauszuholen und ihm zu einer besseren Wahrnehmung der Wirklichkeit zu verhelfen«.[71] Als er das Gehirn eines anderen Patienten stimulierte, der gerade versucht hatte, sich durch einen Sprung vom Dach das Leben zu nehmen, fing der Mann an zu lächeln und erklärte, es »ginge ihm gut«.[72]

Wenn tierische oder menschliche Patienten ihrer echten Gefühle beraubt werden, die aus ihrer eigenen Erfahrung kommen, und man sie mittels einer Stimulation des Gehirns kontrolliert, sind sie leicht zu beeinflussen und fügen sich schließlich dem Willen des Arztes oder Therapeuten. Ein solcher Zustand ist charakteristisch für viele Frauen. Sie taumeln von einer depressiven Phase in die nächste, vorübergehend ruhiggestellt durch Tabletten, Therapie, Alkohol, Fertiggerichte, Fernsehen und gelegentliche Injektionen männlicher Anerkennung. Wenn wir Frauen den wahren Charakter unserer Verletzung erkennen, reagieren wir nicht mit Depression, sondern je nachdem mit kreativem Schmerz oder Wut. Doch in unserer Kultur darf kaum jemand sich solche ehrlichen Gefühle leisten. Schmerz ist nur solange gestattet, als er nicht mit den Verpflichtungen einer Frau kollidiert und richtige Wut wird ohnehin als asoziales, destruktives Verhalten bewertet und geahndet. Für Frauen schickt sich so etwas erst recht nicht.
Die Arbeit von Samuel Corson an der Ohio University mit Hunden liefert ein weiteres Beispiel für das Eindämmen von Gefühlen durch Medikamente, die die Tiere an das anpassen, was sie sonst nicht aushalten würden.

Innerhalb einer Stunde (nach der Verabreichung von Amphetamin) verwandelte sich der unverbesserliche, bösartige und asoziale Krieger Jackson verblüffenderweise in einen friedfertigen, folgsamen und liebenswerten Hund, der sich nicht nur streicheln ließ, sondern die Zuwendung auch zu genießen schien. Das zeigte sich an der Art, wie er auf einen zukam und wie er dabei winselte, ganz wie ein gut abgerichtetes Haustier.[73]

»Gut abgerichtete Haustiere« haben viel mit wohlangepaßten Frauen und Farbigen gemeinsam, die beide vom weißen Mann unterworfen, ausgebeutet und versklavt wurden. Ein Hund ist erst dann wirklich »gut erzogen«, wenn er winselt und sich streicheln läßt. Frauen sind gut abgerichtet und angepaßt, wenn sie hinter freudlosem Lächeln, schwachen Stimmchen und gekünsteltem Gehabe verschwinden; das macht sie folgsam. Sklaven und kolonisierte Völker sind gut angepaßt, wenn sie die Wertvorstellungen und Verhaltensmuster der Weißen übernehmen und sich streicheln lassen, d.H. den Weißen ihre Ehrerbietung erweisen. Der Meister gewinnt und erhält seine Herrschaft mit Hilfe einer brutalen Schulung, bei der Gesundheit bestraft (»unverbesserlich, bösartig und asozial«), Konformismus und Unterwerfung (»friedfertig, folgsam und liebenswert«) der Beherrschten aber belohnt werden. Im Kampf der Wissenschaftler gegen körperliche und seelische Krankheiten spielt die Tierforschung eine so große Rolle, weil sie dem Forscher die bedingungslose Herrschaft über die »blinde Natur« ermöglicht. Wir haben gesehen, wie »aufregend« diese Arbeit ist. Auf jeden Fall ist sie gewinnbringend. Wir haben auch gesehen, daß die Argumentation sich erstens auf die Gesundheit der Bevö1kerung und zweitens auf die Verringerung der Risiken für die Patienten durch die Tierforschung konzentriert. Daß Körper und Geist krank sind, gehört zum Patriarchat. Auch eine noch so umfangreiche Tierforschung kann dem nicht abhelfen. Ganzheitlichkeit bedeutet Gesundheit. Ganzheitlichkeit bedeutet heilende Kraft. Wenn wir mit uns selbst im reinen sind, dann sind wir auch mit der Erde im reinen und mit ihren Geschöpfen und ihren Elementen. Wenn wir uns der Erde mit Ehrfurcht nähern, dann kann sie ihre Energie entfalten und sich selbst heilen. In Doughters of Copper Woman erzählt Anne Cameron von Frauen, die unsere Ganzheitlichkeit wiederherstellen, die sich, so glaube ich fest, als Gesundheit des ganzen Universums erweisen wird. Frauen fügen die einzelnen Teile der Wahrheit zusammen. Frauen glauben wieder daran, daß, wir ein Recht darauf haben, ganz zu sein. Von überall her kommen die Beiträge unserer schwarzen Schwestern, unserer gelben Schwestern, unserer weißen Schwestern und versuchen, ein Ganzes zu bilden, und es kann kein Ganzes geben ohne die Teile, die wir Indianerinnen bewahrt und in Ehren gehalten haben.[74]

Glück

Wie kannst du nur so mit dem Leben herumspielen?
Mary Shelley, Frankenstein

Wenn die Wissenschaftler »das Mysterium des Lebens« in den Genen und in den chemischen Abläufen im Körper aufzudecken versuchen, wenn sie »den Geheimnissen des Gehirns« und den Grundmustern des Verhaltens nachspüren, dann nennen sie immer das »Glück« als das eigentliche Ziel ihrer Bestrebungen. In ihrem wissenschaftlichen Streben nach Glück machen sie es zu einer meßbaren Größe von Wissen, die wenig mit der tatsächlichen Erfahrung von Glück zu tun hat, sehr viel aber mit dem Erreichen vollständiger Unabhängigkeit von der Natur und den Frauen. Ein Mann, der sich von diesen verhängnisvollen Lasten befreit hat, ist ein glücklicher Mann. José Delgado hat die Herausforderung folgendermaßen beschrieben:

Ein entscheidender Schritt in der Evolution des Menschen und in der Festigung seiner Vorherrschaft über andere Lebewesen war seine schrittweise ökologische Befreiung. Warum sollte der Mensch ohne Not Mühen auf sich nehmen. So entwickelte sich die ökologische Herrschaft des Menschen, der Sieg der menschlichen Intelligenz über den schicksalhaften Verlauf der Ereignisse in einer geistlosen Natur.[75]

Das, was Delgado »geistlose Natur« nennt, war für Freud noch vor der Zeit der wissenschaftlichen Erfolge in der Gen- und Gehirnforschung das »Schicksal«. Für ihn war die menschliche »Unabhängigkeit vom Schicksal« die Voraussetzung für Glück, denn damit wäre der Mann besser ausgestattet, um mit »dem Lustprinzip« zurechtzukommen, in dem die Ursache so vieler Konflikte und Neurosen lag. Selbst unter dem Blickpunkt, daß der Mann letztendlich Herrschaft ausüben will, ist es nicht sofort zu erkennen, daß die Anwesenheit des Weiblichen in dem vertrauten Wort »Glück« nicht mehr mit eingeschlossen wird. Deshalb will ich kurz auf die etymologische Herkunft von »Glück« (im Englischen happiness) und verwandten Wörtern eingehen und aufzeigen, wie ihre Bedeutungen in der Rationalisierungssprache der Forscher drastisch beschnitten worden sind. Obwohl es überhaupt zweifelhaft ist, ob irgend jemand Glück in dem Sinn finden kann, wie es in der Vorstellungswelt der Forscher existiert, ist das für uns Frauen mit Sicherheit unmöglich, weil wir in diesem Begriff von Glück gar nicht vorkommen. Happiness kommt von dem nordischen Wort happ für das Glück, das jemandem widerfahren ist. Diese Bedeutung gibt es heute noch in dem englischen Wort happen (zustoßen, passieren), wie es in Sätzen gebraucht wird wie »Rat einmal, was mir heute zugestoßen ist« oder »Ich bin gespannt, was morgen passieren wird«. Luck, ein zweites englisches Wort für Glück, ist von der Definition her das unvorhersehbare, unberechenbare Glück. Es wurde traditionsgemäß schon immer mit Frauen in Verbindung gebracht, z.B. in der Glücksbringerin »Lady Luck«. Das aus dem Lateinischen stammende fortune meint ebenfalls das Glück, das einem durch das Wohlwollen weiblicher Macht, nämlich der Glücksgöttin Fortuna, zufällt. Luck fällt einem zu, ebenso wie chance, das vom lateinischen cadere, fallen, kommt. Luck wie chance werden für etwas gehalten, das aus unsichtbaren und unbekannten Gefilden »hoch über« der Erde auf uns herabfällt und Ungewöhnliches und Gutes bringt. Das englische felicity ist ein Synonym zu happiness. Seine lateinische Wurzel und seine etymologischen Verbindungen mit dem Wort »feminin« weisen noch deutlicher auf den Zusammenhang weiblicher Kraft hin. Frui (genießen) und felic (fruchtbar) spielen auf Fruchtbarkeitsrituale an, in deren Mittelpunkt Frau und Natur standen. Die Belebung solcher Rituale birgt immer unberechenbare Elemente in sich, und dennoch ist die Fruchtbarkeit lebenswichtig für das Wohl einer Gemeinschaft. Die Begriffe »Schicksal« (engl. fate) und »Bestimmung« (engl. destiny) stehen ebenfalls mit happiness, luck, felicity und chance in Verbindung. Seit alters her werden die Parzen (Fates) als Frauen dargestellt, die dem Menschen in seinem Leben das zuteilen, was ihm auferlegt ist und seine Bestimmung ausmacht. Ihre Weissagungen waren Frauen übertragen, die feinfühlig auf Naturereignisse reagierten. Sie nahmen diese Ereignisse als Omen, Zeichen und Verheißungen eines glücklichen Schicksals, das jemandem beschieden war - oder des Verhängnisses, das einem drohte. Aus diesem kurzen Ausflug in die Etymologie wird deutlich, daß Glück eng mit weiblicher Macht zusammenhängt und daß es ebenso unvorhersehbar wie unbeherrschbar ist. Im Gegensatz dazu sind die erklärten Ziele der Wissenschaft Vorhersehbarkeit und Beherrschung aufgrund direkter Einwirkung. Die Behauptung, daß die Tierforschung den Menschen Glück bringe, ist somit ein Widerspruch in sich. In ihrem Bemühen, das unvorhersehbare auszuschalten, nehmen die Wissenschaftler das eigentlich Glücklichmachende aus dem Glück heraus. Im gleichen Atemzug wird das weibliche Element der Spontaneität entfernt. Den Kern dieser Zwangshandlungen bildet das Experimentieren. Da wird nichts mehr dem Glück überlassen, nicht einmal vor dem eigentlichen Experiment, denn das beruht auf Beherrschung und Kontrolle. Am Ende stehen »Ergebniss«, die aus einer Menge von Daten errechnet wurden, und für die, die sich bemühen dahinterzublicken, ein erschreckendes Maß an Tierquälerei. Glück springt bei diesen Absichten und Abläufen für niemanden heraus, weder für die Versuchstiere noch für die Menschen, denen zuliebe diese Art von Forschung angeblich betrieben wird. Dennoch ist es »Glück«, das die suchen, die das Gehirn künstlich stimulieren, genetische Codes verändern, Lebensbedingungen manipulieren, um Verhalten zu ändern, Arten kreuzen und versuchen, Menschen mit Maschinen zu paaren. Diese Forscher wollen unsere Art sozusagen von innen her aushöhlen, sie wollen den Menschen von all dem entkleiden, was menschlich an ihm ist. Sie wollen ihn umkonstruieren zu einem neuen Produkt, das zu ihrer Vorstellung von einer glücklichen Welt paßt. Also ist ihr Glück die Abwesenheit von Schmerz, von Streß, von Angst, Gewalt, Krankheit, Depression, von Pessimismus usw. Vor allem ist es die Abwesenheit von Bewußtsein und der ethischen Aufgaben dieses Bewußtseins. In diesem Sinn ist Glück die Abwesenheit von »richtig« und »falsch«, die Abwesenheit der Wahl zwischen beiden. Der »neue Mensch« werde »bewußtlos glücklich« sein, ohne Bewußtsein davon, daß man ihn absichtlich in eine Scheinwelt von Glück hineinmanipuliert hat. Er wird buchstäblich nicht bei Sinnen sein, ohne Paranoia zu empfinden (Paranoia: nicht bei Sinnen, wahnsinnig). In Wahrheit wird er überhaupt nichts mehr erfahren, nur noch Wahrnehmungen unterschiedlicher Intensität aufnehmen, indem seine »Lustzentren« programmiert von der neuen technologischen Elite, mechanisch aktiviert werden. Ein solcher »Mensch« ist nicht mehr als ein Versuchsobjekt. Ein solcher »Mensch« ist kein Mensch mehr.
Das Ausmaß, in dem die »Machttechnologen« daran arbeiten, die menschliche Art in totalitären und mechanistischen Begriffen neu zu definieren und zu formen, ist ausführlich dokumentiert.[76] José Delgado glaubt zum Beispiel, die uneingeschränkte Kontrolle über das Gehirn würde über elektrische Stimulation (ESB) in einer »Psychokultur« münden und einen Menschen hervorbringen, der »glücklicher, weniger zerstörerisch und ausgeglichener ist als der heutige Mensch«.[77] Robert Sinsheimer, Präsident der Amerikanischen Biophysikalischen Gesellschaft, der daran arbeitet, Mensch und Maschine miteinander zu verbinden (Biokybernetik), träumt von einer Welt voller Genies und hofft, daß »wir uns befreien und wegkommen vom Weg emotionaler Anachronismen, wie übermäßiger Aggressivität und Pessimismus.[78]
Frauen brauchen die Forschung des Mannes nicht, die darauf abzielt, das Gehirn zu besetzen, um das Glück zu finden, Auf die Fragen: Was können wir für eine bessere Welt tun? Was können wir tun, um glücklich zu werden? würde eine Frau niemals antworten: ich muß meine Gewalttätigkeit und die Gewalttätigkeit anderer Frauen unter Kontrolle bekommen. Die Gedanken einer Frau, die nach Glück sucht, würden um eine neue Wahrnehmung ihrer selbst kreisen, und sie würde die Freiheit und das Glück in sich finden.[79] Eine Tierforschung freilich, der eine Neukonstruktion des Menschen nach den Vorstellungen des Mannes vorschwebt, bringt für die Frauen und deren Suche nach Glück gar nichts.
Insgesamt verstehen Frauen unter Glück nicht einen durchgängigen Zustand, sondern einen Strom von Leben, der aus ihnen selbst hervorbricht und sich in der Verbundenheit mit anderen ausdrückt. Begriffe wie »Macht« oder »Abwesenheit von« sind ihnen nicht gegenwärtig, außer im Zusammenhang mit Selbstbeherrschung und der Befreiung des ichs von Abhängigkeit.
Glück, so wie Frauen es begreifen, schließt nicht aus, daß sie auch zornig sein können und daß dieser Zorn sich in Aggression äußern darf. Zorn ist ein echtes Gefühl - Männer verletzen nicht aus Zorn, sie verletzen, weil sie dominieren und dem Männlichkeitsbild entsprechen wollen. Jules H. Massermann, ein Psychoanalytiker und Neurologe an der Northwestern University School, umschrieb ungewollt das Wesen der männlichen Aggression als »ein zwanghaftes Durchsetzungsbedürfnis seines Allmachtsgefühls, seiner Unverletzlichkeit und Unsterblichkeit, das den Mann dazu bringt, unumschränkte Herrschaft über sein materielles Universum zu suchen und noch den Tod zu verleugnen«. [80] Die Aggression der Frau kommt aus ihrer Schutzhaltung: Eine Mutter verteidigt ihr Kind, eine Frau verteidigt ihr Ich. Zorn bedarf keiner Rechtfertigung. Wohl aber Herrschaftsstreben und männliche Gewalttätigkeit. Ohne unmittelbare Erfahrung kann es kein Glück geben, und es gibt keine unmittelbare Erfahrung ohne unsere Fähigkeit, unsere Sinneswahrnehmungen, unsere Gefühle und Bilder immer wieder aufs neue zusammenzubringen. Wir Frauen wissen viel über verfälschte Erinnerungen. Man nahm uns unsere gynozentrische Vergangenheit und machte uns glauben, daß die Bilder des Mannes (Geschichte) menschliche Wirklichkeit darstellten. Mary Daly wies darauf hin, daß »die Väter die Erinnerung als ihren Feind ausgemacht und darauf hingearbeitet haben, seine letzten Spuren in den Frauen auszutilgen«.[81] Man hat uns gelehrt, die Träume der Männer vom Glück zu träumen. Erst seit kurzem sind wir soweit, wieder die Bilder aus unserer Vergangenheit zu sammeln, und wir haben begonnen, aus diesem Stoff unsere Träume zu spinnen, aus ihm die Kraft zu beziehen, die wir für unser heutiges Glück brauchen. Aus unserer Vergangenheit lernen wir, uns wieder mit Natur, Pflanzen, Tieren, der Erde, dem Meer verbunden zu fühlen und mit all dem sanft, sorgsam und schonend umzugehen.
Aus der Forschung des Mannes lernen wir, daß gerade unsere Erinnerungsbilder chemisch wachgerufen, geformt und ausgelöscht werden können. Bernard Agranoff vom Forschungsinstitut für Geisteskrankheiten an der Michigan University hat in »das Räderwerk der Zellen« eingegriffen, indem er auf chemischem Wege die Proteinsynthese bei Tieren blockierte, um ihre kurz zuvor programmierten Erfahrungen zu beeinflussen. Mit seinen Worten: »Mit diesem umfassenden Wissen, das wir über die Proteinsynthese haben, kann man (sic) nun daran gehen, herauszufinden, wie man in den Prozeß auf selektive Weise eingreifen kann.[82] In die Erinnerung eines Lebewesens einzugreifen, egal auf welche Weise, ist immer gefährlich für dessen Integrität.[83] Wenn man es mit wissenschaftlicher Präzision tut, hat es verheerende Auswirkungen auf Frauen: Ohne Erinnerungen gibt es keine Träume, keine Phantasie, keine Zukunft und vor allem keine Gegenwart. Wie es die Kunsthandwerkerin Kady ausdrückte: Die Erinnerung an unsere Geschichte »hilft mir, die Vorstellung zu wagen, daß wir uns irgendwie befreien können«.[84] Und was wäre Glück, in seinem ursprünglichen Sinn als jähe Woge des Glücks, verbunden mit weiblicher Kraft, ohne unsere Freiheit?

Ein langes Leben

Ich kann nicht leben ohne mein Leben!
Ich kann nicht leben ohne meine Seele!
Emily Bronte, Sturmhöhe

Wie das Streben nach Gesundheit und Glück gehört auch das Streben nach einem langen Leben zu der patriarchalen Ordnung, die sprengen und spalten will. Die gewaltsame Loslösung des Mannes von der Erdmutter hat eine Fülle von Dichotomien hervorgebracht, die es notwendig machten, ideologische Systeme zu erfinden, mit deren Hilfe der Mann seinen Platz im Universum wiederfinden und die Leere hinter seiner Existenz erklären konnte. Weil ihm von da ab der Glaube verwehrt war, nach seinem Tod wieder in den Lebensstrom der Göttin einzutauchen, die er gemordet hatte, trat er dem Tod allein gegenüber, voller Angst, Schuld und Neid auf der Erdmutter endlos-zeitlose Erneuerungen. Die Sehnsucht nach einem langen Leben hat hier ihren Ursprung. Langlebigkeit und damit verbunden Unsterblichkeit erwachsen aus einem Bewußtsein für Zeit. In prähistorischen Begräbnisstätten finden sich Belege dafür, daß die Toten mit Kultobjekten des Stammes sowie Nahrung und Getränken für ihre Reise zur Wiedergeburt versorgt wurden. Diese zyklische, regnerative Auffassung von Zeit und Raum, von Leben und Tod ist charakteristisch für alle Gesellschaften, die die Erde verehrt haben. Abwandlungen davon hielten sich bis in patriarchale Zeiten. Aus dieser Sicht von Zeit und Natur ist Langlebigkeit eine Bestätigung von Leben. Es ist die Erfahrung, dauerhaft zu sein. Unsterblichkeit aber ist eine Gnade der Erdmutter im endlosen Wogen von Ebbe und Flut. Im Gegensatz dazu geht der Wunsch nach einem langen, möglichst ewigen Leben von einer linearen Zeitauffassung aus; er wurzelt in der Abkehr vom Körper und dessen Verbundenheit mit der Natur. Er enthüllt eine krankhafte Angst vor dem Altern, eine Abneigung gegen das Vergehen und die Verleugnung von Tod. Langlebigkeit wird zur Quantität (eine Ansammlung von Jahren ohne Beachtung der Qualität des darin enthaltenen Lebens) und Unsterblichkeit zu einem statischen, langweiligen Zustand (unveränderlich, ohne die alten Ideen von unentwegter Erneuerung, wie sie die regenerativen Kreisläufe der Erdmutter verkörpern). Langes Leben garantiert Nachkommenschaft: eine lange Reihe von Söhnen, die den Namen des Vaters weiterleben lassen. Es macht Geschichte: Das hohe Alter eines Mannes ist eine Leistung (Methusalem). Es macht Politik: An der Spitze von Familie und Kirche, Stadt und Staat stehen tatterige oder tyrannische alte Männer. Es zahlt sich aus: Hohes Alter ist gleich großes Geschäft.
Als männliche Wertvorstellung ist die Langlebigkeit verankert in Sex und Macht. Mannesalter und Mannespotenz spielen eine größere Rolle als die schlichte Tatsache eines langen Lebens, was immer auch kontinuierliches Wachstum in einer gesunden Umgebung bedeuten würde. Diese Umgebung fehlt in Gesellschaften, die ihre Alten in »Pflege«-Stationen, Rentnersiedlungen und Seniorenheime abschieben, dafür aber neue Wissenschaften (Geriatrik, Gerontologie) erfunden haben, die sich mit dem Alter »auseinandersetzen«. Wachstum verkümmert ganz zwangs1äufig unter solchen Ghetto- und Abhängigkeitsbedingungen. Schon der Ausdruck »Senioren« für alte Frauen oder Männer ist ein Versuch, den Prozeß des Alterns und Vergehens zu vertuschen und die Gedanken an den bevorstehenden Tod wegzuwischen. Der Ausdruck dient dazu, eine alte Frau von der Greisin in ihr zu trennen, und verhindert so, daß ihr langes Leben von den anderen erwähnt und wahrgenommen wird, was sie wieder in den Kreislauf von Leben einbinden könnte.
Das Streben nach Langlebigkeit ist in Wirklichkeit kein Streben, eher ein Verharren, das aber eine ständige Betriebsamkeit erforderlich macht (z.B. Tierforschung, Entwicklung neuer Theorien und der dazugehörigen Terminologie, Vorbereitung auf kommende Probleme, Herstellung und Verbrauch neuer Produkte), um den Betrug zu verschleiern. Die »längere Lebensspanne« die der Natur und ihrem Kreislauf abgerungen wurde, ist keine Bestätigung für Leben, sondern dessen Verleugnung. Die Gewaltakte, die unter dem Deckmantel der Lebensverlängerung begangen werden, entlarven dies Streben als das, was es ist - die Eroberung der Natur und des Körpers. Diese Akte hinter Begriffen wie »Fortschritt« »Mitgefühl für die alten Leute«, »Mitleid«, »menschliches Wohl« usw. zu verstecken, läßt die ihnen zugrundeliegende Gewalt und tödliche Absicht im Dunkeln.
Das Paradoxon, daß man Leben verlängern könne, indem man es zerstört, ist eingebettet in Tierversuche. Solange diese Tretmühle durch »neue Ergebnisse« in Gang gehalten wird, wird diese sinnlose Suche unbeeinflußt durch etwaige Wahrheiten weitergehen. Die Wahrheit aber ist, daß Tiere dafür leiden und sterben, daß Wissenschaftler in die Lage versetzt werden, menschliche Körper durch Ersatzteile (transplantierte Organe) am Laufen zu halten, durch Kraftspritzen (biologische Frischzellen, Drogen und Manipulationen), elektronische Schaltungen (Kybernetik) und ganz allgemein durch Herumpfuscherei an Körperzellen. Man experimentiert mit lebend eingefrorenen Körpern, die zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgetaut werden sollen, eine Technik, die die Unsterblichkeit anpeilt (à la Rip van Winkle) und die gleichzeitig das Klima deutlich macht, in dem dies alles stattfindet. Die Idee der Lebensverlängerung, der diese Forschung dient, gehört unübersehbar zu dem übergeordneten System der Objektivierung, in dem Natur erst reduziert, ärmer gemacht, mechanisiert wird, um anschließend durch »bessere« künstliche Teile ersetzt zu werden.
Die männliche Idee von Lebensverlängerung und Unsterblichkeit ist ein verheerender Mythos, der schwächt, weil er an Vaterbilder (Wissenschaftler, Medienmacher, Ärzte) kettet. Die Forschung, die Leben verlängern will, ist sinnlos und wirkt nur um so ironischer angesichts der allgegenwärtigen Bedrohung des Lebens, mit der der Mann anmaßend und besitzergreifend das gesamte Universum überzogen hat. Wenn es tatsächlich einen »Schlüssel« zur Verlängerung des Lebens gibt, dann wird er sicher nicht in der Manipulation tierischer Zellen, Gene oder Gehirne gefunden werden, sondern darin, daß der Mann seinen Zugriff auf all dieses Leben aufgibt und wir seine Verlängerung eines Lebens nur um des Lebens willen zurückweisen.

Freiheit für die Tiere

Verstehen wir denn überhaupt, daß wir nichts anderes im Sinn haben als einen völligen Umsturz der augenblicklichen Gesellschaftsordnung, eine Auflösung des gesamten bestehenden Gesellschaftsvertrages?
Elizabeth Oakes Smith, A Dissolution of the Existing Social
Compact, 1852

Stellen wir uns vor, daß Wesen von einem anderen Stern, die dieselbe Mentalität wie Männer haben, auf der Suche nach Experimentierobjekten die Erde überfallen. Nehmen wir an, sie verachteten das Leben und hielten Menschen für empfindungslose, untergeordnete Geschöpfe, andererseits aber hervorragend geeignet, als beseelte Instrumente und lebende Werkzeuge in ihren ausgedehnten und vielfältigen Gesundheitsprojekten eingesetzt zu werden. Sie wollen sich weiterentwickeln. Sie brauchen Informationen für ihre neuen Technologien. Sie träumen davon, den Weltraum zu erobern. Sie haben keine moralischen Bedenken, Menschen einzufangen. Sie zögern auch nicht, uns in Käfige einzusperren und uns zu foltern, alle möglichen Gegenstände in uns hineinzupflanzen, uns an Maschinen anzuschließen, uns zu belohnen oder zu bestrafen, um unser Verhalten zu ändern, und uns mit unbekannten Krankheiten zu infizieren. Wir leisten Widerstand. Wir versuchen zu überzeugen. Wir beißen und kratzen, schlagen und treten, schreien und strampeln, ziehen und zerren bis zur Erschöpfung. Wir werden in Zwangsjacken gesteckt, Wir werden gewaltsam ruhiggestellt. Wir werden ausgerottet. In ihre Geschichtsbücher gehen wir ein als bösartige, dumme, gefährliche und unkooperative Wesen. Wir sind wirklich unterentwickelt. Sie können es beweisen.
In Beaver Tears zeichnet Dr. Alice B. Sheldon (unter dem Pseudonym James Tiptree Jr.) ein solches Szenario. Sie beschreibt einen Mann, der sich im Fernsehen eine Sendung über die Umsiedlung von Bibern anschaut. Er schläft dabei ein. Als er aufwacht, findet er sich in derselben Lage wieder wie die gefangenen Biber. Man hat ihn grün und blau geschlagen und von Frau und Kind fortgerissen. Er ist vollständig verwirrt. Er stellt fest, daß er und eine Handvoll Nachbarn von Außerirdischen gefangengenommen worden sind und nun an Bord eines Raumschiffes mit unbekannten Ziel verschleppt werden. Er beobachtet seine Mitgefangenen, und ihm wird klar, daß ihr Zug in eine zukünftige Menschenkolonie keine Abkehr von jenen den Tod liebenden Werten und von dem gewalttätigen Verhalten mit sich bringen wird, die auf der Erde vorherrschen.[85]
1979 hielt ich im Rahmen eines Symposions über die skandalöse Behandlung von feministischen Professorinnen an amerikanischen Universitäten einen Vortrag über die skandalöse Behandlung von Tieren. Nach dem Vortrag erhob sich eine sichtlich empörte Frau aus dem Publikum und forderte uns auf, alle zusammen zu den Forschungslaboratorien der Harvard-Universität zu marschieren, wo sie früher einmal angestellt gewesen war. Wir sollten alle Käfigtüren öffnen und die Tiere freilassen. Unser Beispiel würde für die Frauen in aller Welt ein Ansporn sein, ebenfalls die Forschungslaboratorien zu stürmen. Das würde überall das Ende der Tierkonzentrations- und Vernichtungslager bedeuten. Wir blieben aber alle auf unseren Plätzen sitzen. Als ich heimfuhr, fühlte ich mich wie eine Heuchlerin und dachte nach über unsere Ohnmächtigkeit. Meine Phantasien schlagen die gleichen Wege ein, die diese bewundernswerte Frau eröffnet hatte. Ich sehe riesige Ansammlungen von Frauen vor mir, die auf der ganzen Welt Laboratorien besetzen. Ich sehe vor mir die Möglichkeit eines sanften Todes für die hoffnungslos Verkrüppelten, und ich sehe vor mir die Freiheit. Ich sehe ein Forscherteam nach dem anderen die leeren Flure entlanghetzen. Sie hören ihr Echo, starren auf die weißen Wände und stehen vor ihren zerschlagenen Illusionen. Laßt sie ruhig darüber nachgrübeln, was sie getan haben. Ich sehe auch vor mir, wie jede das tut, was sie am besten kann. Für einige ist der Marsch auf die Laboratorien das Beste. Andere werden sich auf die Macht des gesprochenen oder geschriebenen Wortes verlegen. Alle aber werden sich dagegen entscheiden, an der brutalen männlichen Behandlung von Leben mitzuwirken, in was für einem Kleid sie sich auch immer zeigt.
Frauen können sich ohne weiteres mit der Not der Tiere identifizieren, nicht nur, weil wir der Natur so nahestehen, sondern auch und zu allererst, weil wir die vielen Gesichter der Unterdrückung kennen, Wir reagieren auf sie mit jeder Faser unseres Seins. Der Anblick macht uns traurig und wütend, ohne daß wir das Bedürfnis haben, unsere Gefühle zu rechtfertigen. Ich war tief verärgert über die Hartnäckigkeit, mit der Peter Singer darauf bestand, bei seinem Kampf gegen die Mißhandlung von Tieren vernünftig zu bleiben. Zwar halte ich »Befreiung der Tiere« für ein mutiges Buch, das unbedingt geschrieben werden mußte, und ich stimme mit ihm überein, daß Tierversuche und Intensivtierhaltung »moralisch nicht zu rechtfertigen« und »abstoßend« sind. Aber Singers Furcht, zu »weich« zu erscheinen, als Tierliebhaber verschrieen zu werden und Emotionen auszusprechen, »die von der Vernunft nicht gedeckt sind« setzt dem Wert seiner Analyse über die Verbindung von Speziezismus und Sexismus Grenzen.
Wenden wir uns zuerst der »Befreiung« zu: ein falsches Wort, wenn es im Zusammenhang mit Tieren gebraucht wird, und sei es auch nur wegen der Assoziationen, die es weckt. Die echten Befreiungsbewegungen* (*Eine unechte Befreiungsbewegung ist eine, die von oben initiiert wird und die Massen mit Freiheitsversprechen manipuliert. Unechte Befreiungsbewegungen werden hart durchgedrückt (China, Rußland, Kuba). Sie täuschen nur eine Form der patriarchalen Herrschaft gegen eine andere aus. sind immer von den UnterdKickten ausgegangen und haben ihre Antriebskraft aus dem Zorn, der Frustration und der Sehnsucht nach Freiheit bezogen. Die Befreiungsbewegung der Schwarzen und die Frauenbewegung (wie früher die Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei) waren Wellen der Empörung unterdrückter Menschen, die aufstanden, um sich aus dem Griff des Unterdrückers zu befreien und gleichzeitig von der verinnerlichten Selbsteinschätzung als Opfer, die den Unterdrückten an seinen Unterdrücker bindet. Befreiung bedeutet für jeden einzelnen den persönlichen Exorzismus des inneren Feindes und den persönlichen Kampf gegen die Drangsalierung durch Kultur, Vorurteil und Unterdrückung. Tiere müssen einen solchen Kampf nicht führen. Alles, was sie brauchen, ist, von menschlicher Herrschaft befreit zu sein.
Peter Singer und viele andere, die sich für die Befreiung der Tiere eingesetzt haben - ich denke dabei besonders an Richard Ryder, Brigid Brophy und einige andere kluge Autoren von Animals, der Publikation der Massachusets-Gesellschaft zur Verhinderung von Grausamkeiten gegenüber Tieren - sind sich dieser Zusammenhänge bewußt, lassen aber zuviel ungesagt. Noch sind wir allein beim Kampf gegen den Speziezismus und müssen uns einer Herausforderung stellen. Singer nannte es die Wahl zwischen Tyrannei und Altruismus:

Werden wir die Herausforderung annehmen und unsere Fähigkeit zu echtem Altruismus unter Beweis stellen, indem wir Schluß machen mit der erbarmungslosen Ausbeutung von Arten, die uns ausgeliefert sind, und das nicht, weil wir durch Aufständische oder Terroristen zu solchem Handeln gezwungen werden, sondern weil wir einsehen, daß unsere Einstellung moralisch nicht mehr zu halten ist? Wie wir auf diese Frage antworten, hängt davon ab, wie jeder einzelne von uns sie für sich beantwortet.[86]

Singers Vorschläge, was jeder einzelne tun kann, umfassen unter anderem vegetarische Ernährung, sparsamen Verbrauch von Industrie-»Gütern« sowie Briefaktionen an repräsentative Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und an Ausbeutungsunternehmen. Ich schlage außerdem vor, daß wir uns für eine andere Verwendung der reichlich fließenden Subventionen für die Laborforschung stark machen. Diese Geldbeträge sollten dazu verwendet werden, Möglichkeiten zu finden, Erde und Luft von den gefahrlichen Schadstoffen zu reinigen, ohne abermals Tiere dafür zu mißbrauchen. Die Gelder, die bislang in die Herstellung von Nahrungsmittelzusätzen, Kosmetika, Kunststoffen und immer neuen Chemikalien für immer neue Anwendungsbereiche fließen, sollten gezielt dazu benutzt werden, ein Verbot solcher Produkte durchzusetzen. Auf sich selbst zurückgeworfen würden die Wissenschaftler gezwungen sein, über alternative Methoden oder einen anderen Beruf nachzudenken. Letztlich liegt reaustisch gesehen die Verantwortlichkeit bei jedem einzelnen, eine gesunde Lebensweise zu finden und sich von Ängsten, Vorurteilen und Fehleinschätzungen zu befreien Verirrungen des Geistes, entsprungen aus dem fieberhaften Zivilisierungsrausch des Mannes, seiner blutleeren Vorstellungskraft und seinem absichtsvollen Gedächtnisschwund. Gerade wir Frauen müssen uns ernsthafte Gedanken machen und wieder eine Verbindung herstellen, wenn schon nicht zu unseren gynozentrischen Wurzeln, so doch zumindest zu der männlichen Geschichte der Gewalttätigkeit gegenüber Tieren. Denn was Tieren angetan wurde, ist über kurz oder lang immer auch uns angetan worden.