Auf das Baumalphabet Beth-Luis-Nion bin ich zuerst in O'Flahertys Ogygia gestoßen; er stellt es neben dem Boibel-Loth als echtes Überbleibsel des Druidentums vor, das über die Jahrhunderte mündlich überliefert wurde. Angeblich wurde es später nur zu Zwecken der Wahrsagung gebraucht und besteht aus fünf Vokalen und dreizehn Konsonanten. Jeder Buchstabe ist nach dem Baum oder Strauch benannt, dessen Anfangsbuchstaben er bildet:
Beth | B | Birke |
Luis | L | Eberesche |
Nion | N | Traueresche |
Fearn | F | Erle |
Saille | S | Weide |
Uath | H | Weißdorn |
Duir | D | Eiche |
Tinne | T | Steineiche |
Coll | C | Haselstrauch |
Muin | M | Weinrebe |
Gort | G | Efeu |
Pethboc | P | Zwergholunder |
Ruis | R | Holunder |
Ailm | A | Silbertanne |
Onn | O | Stechginster |
Ur | U | Heidekraut |
Eadha | E | Weißpappel |
Idho | I | Eibe |
Die Namen der Buchstaben im modernen irischen Alphabet sind ebenfalls Baumnamen, und die meisten entsprechen O'Flahertys Katalog, allerdings wurde T zu Stechginster (gorse); O zu Besenginster (broom); und A zu Ulme (elm).
Mir fiel gleich auf, daß die Konsonanten einen Kalender der Jahreszeitlichen Baum-Magie bilden und daß alle diese Bäume eine wichtige Rolle in der europäischen Folklore spielen.
B für Beth
Der erste Baum in der Reihe ist die weitverbreitete Birke. Birkenreiser wurden überall in Europa zum Abstecken von Grenzen und zum Auspeitschen von Delinquenten - und Irren verwendet, stets mit dem Ziel, böse Geister zu vertreiben. Wenn Gwion im Cdd Goddeu schreibt, daß die Birke »sich erst spät bewaffnete«, so meint er, daß die Birkenzweige erst spät im Jahr hart werden. (Die gleiche Aussage macht er über die Weide und die Eberesche, deren Zweige eine ähnliche zeremonielle Verwendung fanden.) Die Birkenreiser werden auch im bäuerlichen Brauchtum verwendet, um den Geist des alten Jahres auszutreiben. Die römischen Liktoren trugen bei der Einführung der Konsuln, die gerade in dieser Jahreszeit stattfand, Birkenzweige mit sich; jeder Konsul hatte zwölf Liktoren, was eine Gruppe von dreizehn ergab. Die Birke ist der Baum des Anfangs. Abgesehen von dem geheimnisvollen Holunder ist sie sogar der erste Baum im Walde, der neue Blätter ansetzt (in England um den 1. April, dem Anfang des Finanziahres), und in Skandinavien bezeichnet das junge Birkenlaub den Anfang des landwirtschaftlichen Jahres, weil die Bauern sich bei der Aussaat des Sommerweizens nach ihm richten. Der erste Monat beginnt unmittelbar nach der Wintersonnwende, wenn die Tage, nachdem sie sich bis zum äußersten verkürzten, wieder länger werden.
Nachdem das Alphabet dreizehn Konsonanten enthält, ist es begründet, den Baum-Monat als den achtundzwanzigtägigen Mond-Monat des britischen Common Law anzusehen, wie Blackstone ihn definiert. Wie schon gesagt, umfaßt ein Sonnen-Jahr dreizehn solcher Monate, wobei ein Tag übrig bleibt. Cäsar und Plinius berichten beide, daß die Druiden das Jahr nach Mond-Monaten rechneten, aber keiner von beiden definiert den Mond-Monat, und es gibt keinen Beweis dafür, daß er einen Mondumlauf von etwa neunundzwanzigeinhalb Tagen umfaßte - deren das Jahr zwölf hat, wobei zehn und dreiviertel Tage übrig bleiben. Denn der »Coligny-Kalender« aus dem ersten Jahrhundert n. Christi, der auf Mondumläufen beruht, gilt nicht mehr als druidische Schöpfung; er ist in lateinischen Buchstaben auf eine Messingtafel eingraviert, und heute wird angenommen, daß er im Rahmen der in der Frühzeit des Imperiums versuchten Romanisierung der einheimischen Religion entstanden ist. Außerdem sind achtundzwanzig Tage nicht nur im astronomischen Sinn der Mondumläufe im Verhältnis zur Sonne ein echter Mond-Monat, sondern auch im mystischen Sinn, da der Mond, weiblichen Geschlechts, die normale Menstruationsperiode der Frau (»Menstruation« hängt mit dem Wort »Mond« zusammen) [1] von achtundzwanzig Tagen aufweist. [2] Das Coligny-System gelangte wahrscheinlich durch die an der claudinischen Eroberung beteiligten Römer nach Britannien, und T. Glynn Jones meint, daß die Erinnerung an seine Schalttage sich in der walisischen Folklore bis heute erhalten haben. Daß aber »ein Jahr und ein Tag« in den ältesten irischen und walisischen Mythen ein immer wiederkehrender Ausdruck ist, legt den Schluß nahe, daß der Beth-Luis-Nion-Kalender aus 364 Tagen plus einem besteht. Wir dürfen daher annehmen, daß der Birken-Monat vom 24. Dezember bis zum 20. Januar dauerte.
L für Luis
Der zweite Baum ist die Eberesche (»Lebensbaum«), anderwärts auch als Vogelbeerbaum, Eberesche oder Bergesche bekannt. Ihre Ruten, rund gebogen und mit frisch gehäuteten Stierfellen bespannt, wurden von den Druiden als äußerstes Mittel benützt, um die Dämonen zu zwingen, schwierige Fragen zu beantworten - daher das irische Sprichwort »die Ruten des Wissens aufsuchen«, was etwa bedeutet, das äußerste zu unternehmen, um eine Information zu erhalten. Zudem ist der Vogelbeerbaum auf den britischen Inseln der als Schutz gegen Blitzschlag und allerlei Hexenzauber beliebteste Baum: zum Beispiel lassen behexte Pferde sich nur mit einer Gerte von der Eberesche bändigen. Im alten Irland entzündeten die Druiden gegnerischer Heere Ebereschenfeuer, über denen sie Beschwörungen sprachen, um die Geister aufzufordern, sich an der Schlacht zu beteiligen. Die Beeren der von einem Drachen bewachten magischen Eberesche aus der irischen Romanze von Fraoth enthielten die Nährkraft von neun Mahlzeiten; auch Heilten sie Wunden und verlängerten das menschliche Leben um ein Jahr. In der Romanze von Diarmuld und Crainne wird die Vogelbeere, neben dem Apfel und der Frucht der Roteiche, als Speise der Götter bezeichnet. »Speise der Götter« legt den Schluß nahe, daß es sich bei dem Tabu, etwas Rotes zu verzehren, um eine Erweiterung jenes Tabus handelt, das den gewöhnlichen Sterblichen verbot, den scharlachroten Fliegenpilz zu essen - denn die Fliegenpilze waren, einem von Nero zitierten griechischen Sprichwort zufolge, »die Speise der Götter«. Im antiken Griechenland waren alle roten Speisen wie Hummer, Schinken, Seebarbe, Flußkrebse, sowie scharlachrote Beeren und Früchte tabu, mit Ausnahme bei Festen zu Ehren der Toten. (Rot war in der Bronzezeit in Griechenland und Britannien die Farbe des Todes - roter Ocker wurde in megalithischen Grabhügeln in den Prescelly-Mountains wie auch in der Ebene von Salisbury entdeckt.) Die Eberesche ist der Baum der Erweckung. Ihr botanischer Name, Fraxinus -oder Pyrus -Aucuparia verweist auf eine Verwendung bei der Wahrsagerei. Ein weiterer Name dieses Baumes in England ist »the witch«, die Hexe; und der Zauberstab der Hexen, der einst zum Auf spüren von Erzen verwendet wurde, war aus dem Holz der Eberesche gemacht. Nachdem die Eberesche der Baum der Erweckung war, konnte sie auch dem entgegengesetzten Zweck dienen. Im danaischen Irland hielt ein Ebereschenpflock, der durch einen Leichnam getrieben wurde, dessen Geist gefangen; und in der Cuchulain-Sage spießten drei Hexen einen Hund, das Cuchulain heilige Tier, mit Ästen von der Eberesche auf, um seinen Tod herbeizuführen.
Die Tatsache, daß die Eberesche zu Orakelzwecken diente, erklärt das überraschende Vorkommen großer Ebereschenhaine auf Rügen und auf den anderen Bernsteininseln der Ostsee, die einstmals als Orakelstätten dienten, wie auch das häufige Vorkommen der Eberesche in der Nachbarschaft antiker Steinringe, auf das John Lightfoot in seinem 1777 erschienen Werk Flora Scotica hinweist. Der zweite Monat dauert vom 21. Januar bis 17. Februar. In seine Mitte (2. Februar) fiel das bedeutende keltische Lichtmeß-Fest. Es wurde gefeiert, um die Wiedererweckung des Jahres zu bezeichnen, und es war der erste der vier » Kreuz-Viertel-Tage«, an denen die britischen Hexen ihre Sabbate hielten; die übrigen waren der Abend vor dem ersten Mal (Walpurgisnacht), Lammas (2. August) und All Hallow E'en (Allerheiligen), der Tag, an dem das Jahr verschied. Diese Tage entsprechen den vier großen irischen Feuerfesten, die Cormac, der Erzbischof von Cashel im zehnten Jahrhundert, erwähnt. In Irland und auf den schottischen Highlands ist der 2. Februar eigentlich der Tag von St. Birgit, der einstigen Weißen Göttin, der zum Leben erweckenden Dreifachen Muse. Auf die Verbindung der Eberesche mit dem Feuerfest Lichtmeß verweist auch Moran Mac Mains Ogham aus dem Book of Ballymote: er nennt als poetischen Namen der Eberesche »Wonne der Augen, nämlich Luisiu, Flamme«.
N für Nion
Der dritte Baum ist die Traueresche. In Griechenland war die Traueresche dem Poseidon heilig, dem zweiten Gott der achäischen Trinität, und die Mellai, oder Eschengeister, wurden weithin verehrt; laut Hesiod waren die Mellal aus dem Blut des Uranos entsprungen, als er von Kronos entmannt wurde. In Irland waren der Baum von Tortu der Baum von Dathi und der Verzweigte Baum von Usnech drei der Fünf Magischen Bäume, deren Fällen im Jahr 665 n. Chr. den Sieg des Christentums über den Paganismus bezeichnet, Trauereschen. Ein Ableger des heiligen Baumes von Creevna, ebenfalls eine Esche, stand noch im 19. Jahrhundert bei Killura; sein Holz war ein Zauber, der vor dem Ertrinken schützen sollte, und die Auswanderer, die nach der Kartoffel-Hungersnot nach Amerika fuhren, nahmen es Stück für Stück mit. In der britischen Folklore ist die Traueresche ein Baum der Wiedergeburt - Gilbert White beschreibt in seiner History of Selborne, wie einstmals nackte Kinder vor Sonnenaufgang durch gespaltene Strünke von Tauereschen geschoben wurden, um Leistenbrüche zu heilen. Dieser Brauch erhielt sich in entlegenen Gegenden Englands noch bis 1830. Der mit einer Spirale verzierte Druidenstab, Bestandteil eines neueren, aus dem ersten Jahrhundert n. Chr. datierenden Fundes in Anglesea, bestand aus Eschenholz. Die große Esche Ygdrasill, dem Woden oder Wotan oder Odin oder Gwydion heilig, wurde schon in Zusammenhang mit der Schlacht der Bäume erwähnt; sie diente ihm als Stre;.troß. Er hatte den Baum jedoch von der Dreifältigen Göttin übernommen, die, als die drei Nornen der skandinavischen Sage, in seinem Namen Recht sprachen. Poseidon blieb zwar der Schutzpatron der Pferde, wurde aber auch ein Gott der Seefahrer, als die Achäer sich auf das Meer hinauswagten; ähnlich wie Wotan, als sein Volk sich auf das Meer begab. Im alten Wales und Irland waren alle Ruder und Bootsrippen aus Eschenholz; auch die Gerten, mit denen man die Pferde antrieb, falls nicht die tödliche Eibe vorgezogen wurde. Die Grausamkeit der Traueresche, die Gwion erwähnt, ist bedingt durch die schädliche Wirkung ihres Schattens auf Gras und Getreide; die Erle dagegen hat eine günstige Wirkung auf die in ihrem Schatten wachsenden Feldfrüchte. So sind auch in Odins Runenalphabet alle Buchstaben aus Zweigen der Traueresche geformt; wie es auch heißt, daß die Eschenwurzeln die Wurzeln aller anderen Bäume des Waldes ersticken. Die Traueresche ist der Baum der Seemacht oder der dem Wasser einwohnenden Macht; und der andere Name Wodens, »Yggr«, auf den Ygdrasill zurückgeht, hängt offensichtlich mit hygra zusammen, dem griechischen Wort für Meer (wörtlich »das nasse Element«). Der dritte Monat ist der Monat der Überschwemmungen, und er dauert von 18. Februar bis zum 17. März. In diesen ersten drei Monaten sind die Nächte länger als die Tage, und die Sonne steht noch, wie man meinte, unter der Obhut der Nacht. Die Tyrrhenier zählten sie daher nicht als Bestandteil des heiligen Jahreskreises.
F für Farn
Der vierte Baum ist die Erle, der Baum des Bran. In der Schlacht der Bäume kämpfte die Erle in der vordersten Reihe, eine Anspielung darauf, daß der Buchstabe F einer der ersten fünf Konsonanten des Beth-Luis-Nion und des Boibel-Loth ist; und in Ossians irischem Song of the Forest Trees [3] wird sie bezeichnet als »die wahre Kriegshexe unter allen Hölzern, der Baum, der in der Schlacht am eifrigsten ist«. Obwohl sie, ähnlich wie Weide, Pappel und Kastanie, als Brennholz wenig geeignet ist, schätzen die Köhler sie, weil sie die beste Holzkohle ergibt. Ihre Verbindung mit dem Feuer zeigt sich in der Romance of Branwen, wo »Gwern« (Erle), der Schwestersohn Brans, in einem Erntefeuer verbrannt wird. Und in ländlichen Gegenden Irlands herrscht der Glaube, das Fällen einer heiligen Erle werde dadurch vergolten, daß das Haus des Betreffenden abbrennt. Die Erle ist auch ein Schutz gegen die Zerstörungskraft des Wassers: ihre leicht gummiartigen Blätter widerstehen dem winterlichen Regen länger als die Blätter aller anderen Laubbäume, und Wasserleitungen oder Stützpfosten aus ihrem Holz sind unbegrenzt haltbar. Der Rialto in Venedig ruht auf Erlenpfosten, desgleichen mehrere mittelalterliche Kathedralen. Der römische Architekt Vitruv berichtet, daß beim Bau von Dämmen in den Sümpfen von Ravenna Erlenstämme als Pfosten verwendet wurden.
Einen deutlichen Hinweis auf einen entsprechenden Zusammenhang zwischen Bran und der Erle enthält die Romance of Branwen, wo die Schweinehirten (Orakelpriester) des Königs Matholwch von Irland einen Wald im Meer sehen und nicht erraten können, was er darstellt. Branwen verrät ihnen, daß es die Flotte von Bran dem Gesegneten ist, der kommt, um sie zu rächen. Die Schiffe ankern vor der Küste, und Bran watet durch das seichte Wasser und bringt seine Güter und seine Menschen an Land; danach überbrückt er den Fluß Linon, obwohl dieser durch einen magischen Zauber geschützt ist, indem er sich über den Fluß legt und Bohlen auf seinen Körper legen läßt. Mit anderen Worten, es wurde zuerst eine Mole und dann eine Brücke aus Erlenstämmen gebaut. Von Bran hieß es, daß »kein Haus ihn zu beherbergen vermochte«. Das Rätsel: »Was kann kein Haus beherbergen?« findet eine einfache Antwort: »Die Pfosten, auf denen es erbaut ist.« Denn die ersten europäischen Häuser wurden an Seeufern auf Erlenpfählen errichtet. In einem Sinn war das singende Haupt des Bran das mumifizierte Orakelhaupt eines Sakralkönigs; in einem anderen Sinn war es das »Haupt« des Erlenbaumes - nämlich der Wipfel. Grüne Erlenzweige sind gut geeignet, um Pfeifen zu schnitzen, und wie mein Freund Ricardo Sicre y Cerda mir erzählte, kennen die jungen von Cardana in den Pyrenäen ein althergebrachtes katalanisches Gebet:
Berng, Berng, komm heraus aus deiner Haut
Und ich will dich lieblich pfeifen lassen.
Sie wiederholen diesen Spruch ununterbrochen, während sie mit einem Weidenast die Rinde klopfen, um sie vom Holz zu lösen. Berng (oder, in der verwandten mallorkanischen Sprache: Verng) ist wiederum Bran. Die Anrufung Berngs geschieht in Namen der Weiden-Göttin. Die Tatsache, daß die Rinde mit einem Stück Weidenholz und nicht mit einem anderen Stück Erlenholz geklopft wird, verweist darauf, daß solche Pfeifen von Hexen benützt wurden, um zerstörerische Winde - vor allem von Norden herbeizubeschwören. Aber auf gleiche Art wie diese Pfeifen lassen sich auch Flöten mit mehreren Löchern herstellen, und in diesem Sinn wird das singende Haupt des Bran wohl eine Erlenflöte gewesen sein. In Harlech, wo das Haupt sieben Jahre lang sang, gibt es einen Mühlbach, der an einem Burgfelsen vorbeif ließt - ein geeigneter Ort für einen heiligen Erlenhain. Möglicherweise erinnert die Sage, in der Apollon den Pfeifer Marsyas häutet, an dieses Ablösen der Erlenrinde beim Pfeifenschnitzen.
Die Erle wurde im alten Irland auch für die Herstellung von Milchkübeln und anderen Molkereigefäßen verwendet: daher ihr poetischer Name im Book of Ballymote: Comet lachta »Hüter der Milch«. Diese Verbindung von Bran-Kronos, der Erle, mit Rhea-lo, der weißen Mond-Kuh, ist bedeutsam. In Irland hieß lo nämlich Glas Gabhnach, »die grüne Melkerin«, weil sie, obwohl sie Milch in Strömen gab, nie ein nie Kalb gebar. Sie war von Gavida, dem fliegenden Zwerg-Schmied, aus Spanien geraubt worden; machte an einem Tag, begleitet von seinen sieben Söhnen (die wahrscheinlich für die Tage der Woche standen), die Runde über ganz Irland; und gab der Milchstraße den Namen Bothar-bo-finni, die »Spur der Weißen Kuh«. Wie in The Proceedings of the Grand Bardic Academy überliefert, wurde sie auf Bitten von Seanchan Torpests Gemahlin von Guarie getötet und, laut Keatings History of Ireland, im Jahr 528 gerächt. König Diarmuid, der über ganz Irland herrschte, wurde von seinem ältesten Sohn getötet, weil er eine, andere heilige Kuh erschlagen hatte.
Brans Verbindung mit dem westlichen Ozean ist durch Caer Bran erwiesen, den Namen des westlichsten Berges in Britannien, der Lands End überblickt.
In griechischen oder lateinischen Mythen wird die Erle selten erwähnt, da sie als Orakelbaum offenbar durch den delphischen Lorbeer verdrängt worden war. Doch in der Odyssee und in der Äneis gibt es zwei wichtige Hinweise auf diesen Baum. In der Odyssee wird die Erle als erster von drei Bäumen der Auferstehung erwähnt - aus denen der Wald um die Höhle Kalypsos, der Tochter des Atlas, auf ihrer elysischen Insel Ogygia, bestand; in diesem Wald nisteten schwatzende Seekrähen (die in Britannien dem Bran heilig waren), Falken und Eulen. Dies erklärt Vergils Bericht von der Verwandlung der Schwestern des Sonnenheros Phaeton: in der Äneis sagt er, daß sie, während sie den Tod ihres Bruders beklagten, nicht in einen Pappelhain verwandelt wurden, wie Euripides und Apollonios Rhodios erzählen, sondern in ein Erlendickicht an den Ufern des Po - dies war offenbar ein weiteres elysisches Eiland. Das griechische Wort für Erle, klethra, wird allgemein von kleio, »ich schließe« oder »ich umschließe«, abgeleitet. Die Erklärung dafür liegt offenbar in der Tatsache, daß die Erlendickichte, die an den Ufern der Orakelinsel wuchsen, den Heros auf dieser einschlossen; die Orakelinseln waren ursprünglich wohl Flußinseln, keine Inseln im Meer.
Die Erle wurde und wird gepriesen, weil sie drei gute Farbstoffe liefert: Rot aus der Rinde, Grün aus den Blüten und Braun aus den Zweigen: Sinnbilder für Feuer, Wasser und Erde. Im in Carmacs im zehnten Jahrhundert verfaßten Glossary obsoleter Wörter wird die Erle ro-eim genannt, was als »jene, die das Gesicht rötet« erläutert wird; woraus zu schließen ist, daß die »karmesinrot gefleckten Helden« der walisischen Triade, nämlich Sakralkönige, mit Brans Erlenkult in Verbindung standen. Ein Grund für die Heiligkeit der Erle liegt darin, daß ihr Holz, wenn sie gefällt wird, anfangs weiß ist und dann karmesinrot zu bluten scheint, als ob sie ein Mensch wäre. Die grüne Farbe wird in der britischen Folklore mit Feengewändern in Verbindung gebracht-. wenn man die Feen als überlebende vertriebener früherer Stämme auffaßt, die sich in die Berge und Wälder zurückziehen mußten, kann man das Grün der Gewandung als Schutzfarbe erklären: auch die Waldläuf er und Gesetzlosen des Mittelalters trugen grüne Gewänder. Diese Verwendung der grünen Farbe geht offenbar auf älteste Zeiten zurück. Hauptsächlich aber ist die Erle ein Baum des Feuers, der die Kraft des Feuers versinnbildlicht, die Erde vom Wasser zu scheiden; und der Erlenzweig, an dem Bran im Cdd Goddeu erkannt wird, ist ein Zeichen der Auferstehung - seine Knospen sind spiralförmig angeordnet. Dieses Spiralsymbol geht auf vorsintflutliche Zeiten zurück; die frühesten sumerischen Tempel sind »Geisterhäuser«, ähnlich jenen, wie sie in Uganda üblich sind, und von spiralförmigen Säulen flankiert.
Der vierte Monat dauert vom 18. März, der Zeit der ersten Erlenblüte, bis zum 14. April und bezeichnet das Austrocknen der winterlichen Überschwemmungen durch die Frühlingssonne. In diese Zeit fällt auch das Frühlingsäquinoktium, wonach die Tage länger als die Nächte werden und die Sonne zum Mannesalter heranreift. Wenn man poetisch sagen kann, daß die Trauereschen die Ruder und Rippen der Boote sind, die den Geist des Jahres durch die Fluten ans trockene Land tragen, so kann man sagen, daß die Erlen die Pfähle sind, die sein Haus aus den Fluten des Winters tragen. Fearn (Bran) tritt in der griechischen Mythologie als König Phoroneus, Herrscher der Peloponnes, auf, der in Argos, das er angeblich begründete, als Heros verehrt wurde. Heilanikos von Lesbos, ein gelehrter Zeitgenosse Herodots, macht ihn zum Vater von Pelasgos, Iasos und Agenor, die nach seinem Tod sein Königreich unter sich auf teilten: mit anderen Worten, sein Kult in Argos war unvorstellbar alt. Pausanias, der zu Studienzwecken nach Argos reiste, schreibt, daß Phoroneus der Gatte der Kerdo (der Weißen Göttin als Parze) war und daß der Flußgott Inachus ihn mit der Nymphe Mella (»Traueresche«) gezeugt hatte. Nachdem die Erle im Baumkalender der Traueresche voransteht und außerdem an Flußufern wächst, wäre dies ein plausibler Stammbaum. Zudem stützt Pausanias die Gleichsetzung von Phoroneus mit Fearn, wenn er die Prometheus-Sage übergeht und Phoroneus zum Erfinder des Feuers macht. Den Namen seiner Mutter gibt Hygin als Argela (»blendendes Weiß«) an, die wiederum die Weiße Göttin ist. So wurde Phoroneus wie Bran und alle anderen Sakralkönige von der Weißen Göttin geboren, ging mit ihr die Ehe ein und wurde schließlich von ihr getötet: seine Mörderin war die Todesgöttin Hera Argeia, der er angeblich als erster Opfer darbrachte. Phoroneus ist mithin Fearineus, der Frühlingsgott, dem zur Zeit des Frühlingsäquinoktiums auf dem Kronos-Berg bei Olympia alljährlich Opfer dargebracht wurden. [4] Sein singendes Haupt erinnert an das Haupt des Orpheus, dessen Name möglicherwels eine Kurzform von Orphruoeis war, was soviel heißt wie »am Flußufer wachsend«, d. h. die Erle.
S für Saille
Der fünfte Baum ist die Weide oder Korbweide, die in Griechenland Hekate, Kirke, Hera und Persephone heilig war - allesamt Todesaspekte der Dreifältigen Mondgöttin und von den Hexen hoch verehrt. Wie Culpeper in seinem Complete Herbal bündig feststellt: » Sie gehört dem Mond an.« Ihre Verbindung mit den Hexen ist im nördlichen Europa so eng, daß die englischen Wörter »witch« (Hexe) und »wicked« (böse) aus dem gleichen alten Wort für Weide, »willow«, abgeleitet sind, das auch die Wurzel von »wicker« (Weidenkorb) bildet. Der Hexenbesen wird in ländlichen Regionen immer noch aus einem Eschenstiel, Birkenreisern und gebundenen Weidenruten hergestellt: aus Birkenzweigen, weil bei der Austreibung böser Geister einige im Besen hängenbleiben; einem Eschenstiel als Schutz gegen das Ertrinken - Hexen konnte man unschädlich machen, indem man sie von ihrem Besen trennte und in fließendes Wasser warf; und Weidengeflecht zu Ehren der Hekate. Die Menschenopfer der Druiden wurden bei Vollmond in Weidenkörben dargebracht, und die Pfeilspitzen aus Feuerstein, die als Grabbeigaben dienten, waren in der Form von Weidenblättern behauen. Die Weide (im Griechischen belike, im Lateinischen salix) verlieh auch dem Helikon den Namen, dem Sitz der neun Musen, orgiastischen Priesterinnen der Mondgöttin. Es ist wahrscheinlich, daß Poseidon als Führer der Musen ein Vorgänger Apollons war, wie er es ja auch als Wächter des Delphischen Orakels war; denn noch in klassischer Zeit war ihm ein helikeischer Hain geweiht.
Plinius zufolge stand ein Weidenbaum vor der kretischen Höhle, in der Zeus geboren wurde; und in einer Anmerkung zu einer Münzenserie aus dem kretischen Gortyna vermutet A. B. Cook in seinem Zeus, daß die Europa, die auf diesen Münzen auf einem Weidenzweig sitzend abgebildet ist, während sie einen Weidenkorb in der Hand hält und von einem Adler begattet wird, nicht nur unsere Eur-opa, »die mit dem breiten Gesicht«, d. h. der Vollmond, sondern auch Eu-ropa, »die von den weißen Weidenblüten«, d. h. Helike, die Schwester der Amalthea ist. Das Anstecken eines Weidenzweiges an den Hut, als Zeichen des abgewiesenen Liebhabers, scheint ursprünglich ein Zauber gegen die Eifersucht der Mondgöttin gewesen zu sein. Die Weide ist ihr aus vielen Gründen heilig: sie ist der Baum, der am meisten das Wasser liebt, und die Mondgöttin ist die Spenderin des Taus und der Feuchtigkeit überhaupt; ihre Blätter und ihre Rinde, aus denen Sallcylsäure gewonnen wird, sind ein wirksames Mittel gegen rheumatische Krämpfe, die man einst durch Hexerei verursacht wähnte. Der wichtigste Kultvogel der Göttin, der Wendehals, der im Englischen auch Schlangenvogel (snake bird) oder Kuckucksliebchen (cuckoo's mate) heißt - ein Frühlings-Strichvogel, der wie eine Schlange zischt, flach an einen Zweig geschmiegt zu liegen pflegt, in der Wut seinen Kamm auf richtet, seinen Hals hin und her windet, weiße Eier legt, Ameisen frißt und eine V-förmige Zeichnung aufweist, ähnlich wie auf den Schuppen Orakelschlangen im antiken Griechenland - nistet immer in Weidenbäumen. Außerdem wurde der Iiknos, das einst zum Worfeln des Getreides verwendete Korbsieb, aus Weidenruten geflochten; in solchen Worfelsieben, »riddles« genannt, fuhren die Hexen von North Berwick, wie sie König Jakob I. bekannten, an ihren Hexensabbaten über das Meer. Ein berühmtes griechisches Bildnis, von Polygnotos in Delphi geschaffen, zeigt Orpheus, wie er die Gabe mystischer Beredsamkeit übt, indem er in einem Hain der Persephone Weidenbäume berührt; man vergleiche damit das Gebot aus dem Song of the Forest Trees: »Verbrenne nicht die Weide, einen den Dichtern heiligen Baum.« Die Weide ist der Baum der Zauberei, und sie ist der fünfte Baum des Jahres; fünf (V) war die der römischen Mondgöttin Minerva heilige Zahl. Der Monat dauert vom 15. April bis zum 12. Mai, und die Walpurgisnacht, berühmt für ihre orgiastischen Gelage und ihren magischen Tau, fällt in die Mitte des Monats. Das Umhertragen von Salweidenzweigen am Palmsonntag, einem gleitenden Fest, das gewöhnlich auf Anfang April fällt, ist möglicherweise ein Brauch, der mit dem Beginn des Weidenmonats zusammenhängt.
H für Uath
Der sechste Baum ist der Weißdorn oder Hagedorn, im Englischen auch »may«, was auf den Monatsnamen Mai zurückgeht. Er gilt in der Regel als Baum des Unglücks, und der Name, mit dem er in den irischen Brehon Laws bezeichnet wird, nämlich sceith, hängt offenbar mit der indogermanischen Wurzel sceath oder sceth zusammen, was Schaden oder Leid bedeutet; woraus das englische scathe, Schaden, Harm, und das griechische a-skethes, der Harmlose, abgeleitet ist. Im antiken Griechenland wie in Britannien liefen die Menschen in diesem Monat in alten Kleidern umher - ein Brauch, auf den das Sprichwort »Ne'er cast a clout ere May be out« anspielt, was besagt-. »Zieh keine neuen Kleider an, bevor der Mal vorbei ist«, womit nicht unbedingt das britische Klima gemeint ist; tatsächlich ist dieses Sprichwort auch in Nordspanien geläufig, wo ab Ostern stets warmes Wetter herrscht. Sie enthielten sich auch des Geschlechtsverkehrs - ein Brauch, der die Überzeugung erklärt, der Mai sei ein ungünstiger Monat für Hochzeiten. In Griechenland und in Rom war der Mal der Monat, in dem die Tempel ausgekehrt und die Götterbilder gewaschen wurden: es war der Monat der Vorbereitung auf das Mittsommerfest. Die griechische Göttin Maia, die in der englischen Dichtung wohl als »ewig jung und schön« dargestellt wird, hatte ihren Namen von dem Wort maia, »Großmutter«; sie war eine böswillige Vettel, deren Sohn Hermes die Seelen in die Hölle geleitete. Tatsächlich war sie die Weiße Göttin, die, wie wir hörten, unter ihrem Namen Kardea mit Hilfe des Weißdorns Bannflüche aussprach. Die Griechen besänftigten sie bei Hochzeiten denn die Ehe galt der Göttin als verhaßt -mit fünf Fackeln aus Weißdornholz und, bevor der Unglücksmonat begann, mit Weißdornblüten.
Plutarch fragt in seinen Quaestiones Romanae: »Warum heiraten die Römer nicht im Monat Mai«, und er antwortet zutreffend: »Liegt nicht der Grund darin, daß sie in diesem Monat die größten Reinigungszeremonien ausführen?« Er erklärt, daß in diesem Monat Puppen, genannt argeloi (»weiße Männer«) als Opfer an Saturn in den Fluß geworfen wurden. Ovid erzählt in seinen Fasti von einem Orakelspruch, den die Priesterin des Juppiter ihm wegen der Hochzeit seiner Tochter gegeben hatte: »Bis zu den Iden des Juni (Mitte des Monats) ist kein Glück für Bräute und ihre Ehemänner. Bis der Kehricht aus dem Tempel der Vesta vom gelben Tiber ins Meer geschwemmt ist, darf ich nicht meine Locken kämmen, die ich zum Zeichen der Trauer geschnitten habe, noch meine Nägel beschneiden oder meinem Gatten beischlafen, obwohl er der Priester des Juppiter ist. Deiner Tochter wird mehr Glück in der Ehe beschieden sein, wenn das Feuer der Vesta auf einem gesäuberten Herd brennt.« Die Unglückstage endeten am 15. Juni. In Griechenland begann und endete der Unglücksmonat ein wenig früher. Sozomen von Gaza, der Kirchenhistoriker des fünfzehnten Jahrhunderts, berichtet, daß das Terebinthenfest in Hebron zur gleichen Zeit begangen wurde, da jene Tabus hinsichtlich neuer Kleider und der Sexualität galten, und zwar mit dem gleichen Ziel - dem Waschen und Reinigen der heiligen Bildnisse.
In der walisischen Mythologie kommt der Weißdorn als der böse Häuptling der Riesen, Yspaddaden Penkawr, vor, der Vater von Olwen (»Die von der Weißen Spur«), wieder ein anderer Name der Weißen Göttin. In der Romance of Kllhwych and Olwen - Kllhwych trug seinen Namen, weil er in einem Schweinekoben gefunden worden war - legt der Riese der Hochzeit Kllhwychs mit Olwen allerlei Hindernisse in den Weg und verlangt eine offenbar unmöglich auf zubringende Morgengabe von dreizehn Schätzen. Der Riese haust in einem von neun Pförtnern und neun Wachhunden bewachten Schloß, ein Beweis für die Stärke des Tabus gegen Hochzeiten im Weißdornmonat.
Die Zerstörung eines alten Weißdornbaumes ist in Irland mit größter Gefahr verbunden. E. M. Hulls Folklore of the British Isles zitiert zwei Beispiele aus dem neunzehnten Jahrhundert. Fällt jemand einen solchen Baum, so werden seine Kühe und seine Kinder sterben, und er wird sein ganzes Geld verlieren. Vaughan Cornish berichtet in seiner gut dokumentierten Studie Historic Thorn Trees in the Britisch Isles von heiligen Weißdornbäumen, die in den gälischen Provinzen neben den Brunnen zu stehen pflegten. Er erwähnt den Fall des »St. Patrick Thorn« zum Timahely in County Wicklow: »Die Frommen strömten am 4. Mai herbei, sie schritten in ordentlicher Runde um den Brunnen, rissen sich Fetzen aus den Kleidern und hängten sie an den Weißdorn.« Er fügt hinzu: »Es ist der Tag der St. Monika, aber ich kenne den Zusammenhang nicht.« Klar, denn nachdem der St. Monika-Tag des neuen Kalenders dem 15. Mai alten Kalenders entspricht, war dies eine Zeremonie zu Ehren des eben angebrochenen Weißdornmonats. Die aus den Kleidern der Frommen gerissenen Fetzen waren ein Zeichen der Trauer und Beschwichtigung.
Der Weißdorn ist also der Baum der erzwungenen Keuschheit. Der Monat beginnt am 13. Mai, zur Zeit der ersten Maienblüte, und endet am 9. Juni. Die asketische Bedeutung des Weißdorns, die dem Kult der Göttin Kardea entspricht, ist aber zu unterscheiden von seiner späteren orgiastischen Verwendung, die dem Kult der Göttin Flora entspricht und den mittelalterlich-englischen Brauch erklärt, an einem Maimorgen auszureiten, um blühende Weißdornzweige zu pflücken und den Maibaum zu umtanzen. Die Weißdornblüte hat für viele Männer einen stark an weibliche Sexualität gemahnenden Duft. Deshalb gilt bei den Türken ein blühender Zweig als erotisches Symbol. Cornish weist nach, daß dieser Flora-Kult gegen Ende des ersten Jahrhunderts v. Chr. durch die zweite belgische Invasion auf den britischen Inseln eingeführt wurde. Und außerdem berichtet er, daß der »Glastonbury Thorn«, der am Alten Weihnachtstag (5. Januar nach neuem Kalender) blühte und von Puritanern im Laufe ihrer Revolution gefällt wurde, eine Abart des gewöhnlichen Weißdorns war. Die Mönche von Glastonbury bewahrten sein Andenken und begründeten seine Heiligkeit mit einer erbaulichen Legende über den Stab des Joseph von Arimathia und die Dornenkrone als Abschreckung gegen den orgiastischen Gebrauch der Weißdornblüten, die in der Regel nicht vor dem Ersten Mai (alten Kalenders) aufbrechen.
Sehr wahrscheinlich war der alte Dornbusch, der auf dem Gelände der St. David Kathedrale wuchs, ein orgiastischer Weißdorn; dies würde die Legende von Davids geheimnisvoller Geburt erklären.
D für Duir
Der siebente Baum ist die Eiche, der Baum des Zeus, Juppiter, Herakles, des Dagda (des obersten der alt-Irischen Götter), des Thor und aller anderen Donnergötter, auch Jahwes, insofern er » EI« war, und Allahs. über die königliche Würde der Eiche brauchen wir nicht mehr viel zu sagen: die meisten kennen James Frazers Ausführungen in seinem Golden Bough, die sich auf das Menschenopfer des Eichenkönigs Nemi am Mittsommertag beziehen. Der Brennstoff der Mittsommerfeuer ist immer Eichenholz, das Feuer der Vesta wurde mit Eichenholz geschürt, und das Notfeuer wird stets in einem Eichenstamm entzündet. Wenn Gwion im Cäd Goddeu schreibt: »Mannhafter Wächter der Pforte / Heißt ihr Name in allen Sprachen«, so meint er wohl, daß die Türen üblicherweise aus Eiche, dem stärksten und zähesten Holz gemacht wurden und daß »Duir« - der Name für Eiche im Beth-Luis-Nion in vielen europäischen Sprachen »Tür« bedeutet, so auch im Alt-gälischen dorus, im Lateinischen foris, im Griechischen thura , im Deutschen Tür, die allesamt aus dem Sanskritwort dwr abgeleitet sind, und daß auch Daleth, der hebräische Buchstabe D, »Tür« bedeutet - wobei das I ursprünglich ein r war. Der Mittsommer ist die Blütezeit der Eiche, die auch der Baum der Ausdauer und des Sieges ist und von der es, wie von der Esche, heißt, daß sie » den Blitzstrahl anzieht«. Ihre Wurzeln, so glaubten die Menschen, reichen so tief in den Boden, wie ihre Äste sich emporstrecken - so sagt Vergil - was sie zum Symbol eines Gottes macht, dessen Gesetz sowohl im Himmel wie in der Unterwelt gilt. Der Eschen-Gott Poseidon und der Eichen-Gott Zeus waren einst beide mit dem Blitzstrahl bewaffnet; als aber die Achäer die Äolier unterwarfen, wandelte Poseidons Strahl sich zu einem Dreizack oder Fischspeer, und Zeus behielt als einziger das Recht, den Blitz zu schleudern. Man vermutet, daß die Eichen-Orakel von den Achäern in Griechenland eingeführt wurden: daß sie ursprünglich, wie die Franken, die Buche konsultierten, dann aber, da sie in Griechenland keine Birken vorfanden, ihre Loyalität auf den ihr ähnlichsten Baum, auf die eßbare Früchte tragende Eiche übertrugen, der sie den Namen phegos gaben - was, wie gesagt, das gleiche Wort wie das lateinische fagus für Buche ist. Wie dem auch sei, die Orakeleiche zu Dodona war ein phegos, kein drus, und das Orakelschiff Argo bestand laut Apollonios Rhodlos überwiegend aus diesem Holz. Es ist aber wahrscheinlich, daß das Orakel von Dodona schon Jahrhunderte vor der Ankunft der Achäer bestand und daß Herodot recht hat, wenn er unter Berufung auf ägyptische Priester feststellt, daß die Schwarztauben- und Orakeleichenkulte des Zeus von Ammon in der Lybischen Wüste und des Zeus von Dodona gleichartig waren. Flinders Petrie behauptet, daß schon früh, seit dem dritten Jahrtausend v. Chr., ein heiliges Bündnis zwischen Libyen und dem griechischen Festland bestanden habe. Die Ammon-Eiche befand sich in der Obhut des Stammes Garamantes: die Griechen nannten ihren Ahnherrn Garamas den »ersten der Menschen«. Der Zeus von Ammon war eine Art Herakles mit Widderkopf, ähnlich dem widderköpfigen Osiris und dem widderköpfigen Sonnengott Amon-Rha des ägyptischen Theben, von wo, wie Herodot berichtet, die schwarzen Tauben nach Ammon und Dodona flogen.
Der Monat, dessen Name sich von dem Eichen-Gott Jupiter herleitet, beginnt am 10. Juni und endet am 7. Juli. In seine Mitte fällt der johannistag am 24. Juni, der Tag, an dem der Eichenkönig in einer Opferhandlung lebendig verbrannt wurde. Das keltische Jahr wurde in zwei Hälften unterteilt, wobei die zweite Hälfte im Juli begann, anscheinend nach einer zwölftägigen Wache oder Totenfeier zu Ehren des Eichenkönigs.
Ähnlich wie Gwion weist John Frazer auf die Ähnlichkeit der Wörter für »Tür« in allen indoeuropäischen Sprachen hin, und er weist auch nach, daß Janus ein »mannhafter Wächter der Pforte« war, dessen Kopf in zwei Richtungen blickte. Aber wie üblich führt er seine Überlegungen nicht weit genug. Duir als Gott des Eichenmonats blickt in beide Richtungen, weil er an der Jahreswende steht; dies berechtigt, ihn mit dem Eichengott Harakles gleichzusetzen, der nach seinem Tod der Türwächter der Götter wurde. Wahrscheinlich ist er auch mit dem britischen Gott Llyr oder Lludd oder Nudd gleichzusetzen, einem Meeresgott das heißt, dem Gott eines seefahrenden Volkes aus der Bronzezeit, der »Vater« von Creiddylad (Cordelia), einem Aspekt der Weißen Göttin war; denn laut Goeffrey of Monmouth befand sich das Grab von Llyr in Leicester in einer zu Ehren des Janus erbauten Gruft. Geoffrey schreibt:
»Cordelia, die zur Herrschaft über das Königreich gelangte, begrub ihren Vater in einer gewissen Gruft, die sie für ihn unter dem Fluß Sore in Leicester zu bauen befahl und die ursprünglich zu Ehren des Gottes Janus unter der Erde erbaut worden war. Und dort pflegten alle Arbeiter der Stadt mit einer jährlichen Feier ihr Arbeitsjahr zu beginnen.«
Nachdem Llyr ein vor-römischer Gott war, läuft dies auf die Feststellung hinaus, daß er doppelköpfig wie Janus und der Schutzpatron des neuen Jahres war; aber das keltische Jahr begann im Sommer, nicht im Winter. Geoffrey datiert die Totenfeier nicht, aber wahrscheinlich fand sie usprünglich Ende Juni statt.
Die einstigen »Wachen«, die in ländlichen Gegenden Englands üblichen Gesindemärkte, wurden zu verschiedenen Zeitpunkten zwischen März und Oktober abgehalten, je nach dem Namenstag des örtlichen Schutzheiligen. (»Zur Zeit der Bunbury Wakes sollen Roggen und Klee reif für den Schnitter sein. Zur Zeit der Wrenbury Wakes sind die ersten Äpfel reif.« English Dialect Dictionary.) Ursprünglich aber fanden sie wohl alle zu Lammas statt, zwischen der Heu- und Getreideernte. Daß die Wakes eigentlich Totenwache für den getöteten König waren, wird sich in unserem siebzehnten Kapitel bestätigen. Die angelsächsische Form von Lughomass, Messe zu Ehren des Gottes Lugh oder Llew, lautete hlafmass, »Brotlaib-Messe«, was auf die Getreideernte und die Tötung des Getreide-Königs hinweist.
Im letzten Abschnitt von Merlins Prophezeiung für den heidnischen König Vortigern und seine Druiden, wie von Goffrey of Monnouth überliefert, findet sich eine Stelle, die ich für einen Hinweis auf Llyr oder Janus halte.
»Nach diesem soll Janus niemals wieder Priester haben. Seine Tür wird geschlossen und in Ariadnes Klüften versteckt bleiben.«
Mit anderen Worten, die alte, auf einem Eichenkult beruhende druidlsche Religion würde vom Christentum hinweggefegt werden und die Tür - der Gott Llyr - würde vergessen im Schloß von Arianrhod, in der Corona Borealis dämmern.
Nunmehr verstehen wir besser, welche Beziehung in Rom zwischen Janus und der Weißen Göttin Cardea herrschte, die, wie wir am Schluß des 4. Kapitels erfuhren, als Göttin der Türangeln über Alba Longa nach Rom gelangt war. Sie war die Angel, um die sich das Jahr drehte - und zwar das alte lateinische, nicht das estruskische Jahr; und wie bedeutend ihre Stellung in dieser Hinsicht war, bezeugt das lateinische Adjektiv cardinals (auch im Deutschen sprechen wir z. B. von »Kardinaltugenden«), das auch zur Bezeichnung der vier großen Windrichtungen diente; denn die Winde, so glaubte man bis in klassische Zeiten, unterstanden einzig der Weisung der Großen Göttin. Als Cardea herrschte sie über die himmlische Angel hinter dem Nordwind, um die sich, wie Varro in seinem Werk Naturgeschichte erklärt, der Mühlstein des Universums dreht. Diese Konzeption zeigt sich am deutlichsten in der skandinavischen Edda, wo die Riesinnen Fenja und Menja, die in der kalten Polarnacht den ungeheuren Mühlstein Grotte drehen, für die Weiße Göttin in ihren komplementären Aspekten der Schöpfung und der Zerstörung einstehen. In einem anderen Zusammenhang der skandinavischen Mythologie ist die Göttin neunfältig: die neun Riesinnen, die gemeinsamen Mütter des Helden Rig, alias Heimdall, des Erfinders des skandinavischen Sozialsystems, drehten ebenfalls die kosmische Mühle.
Janus war vielleicht nicht von Anfang an doppelgesichtig: vielleicht hatte er diese besondere Eigenschaft von der Göttin selbst entlehnt, die bei den Carmentalien, dem Carmenta-Fest Anfang Januar, von ihren Anbetern als »Postvorta und Antevorta« angerufen wurde - als »sie, die nach vorn und nach hinten zugleich blickt«. Allerdings findet sich ein Janus mit langen Haaren und Flügeln auf einer frühgriechischen Münze aus Mallos, einer kretischen Kolonie in Killklen. Er wird mit dem Sonnenhelden Talus gleichgesetzt, und auf der gleichen Münze findet sich ein Stierkopf. Auf ähnlichen Münzen aus dem- späten fünften Jahrhundert v. Chr. hält er einen achtstrahligen Diskus in der Hand, und aus seinem Doppelhaupt entspringt eine Spirale der Unsterblichkeit.
Hier kann ich nun endlich meine Überlegungen zu Arianrhods Schloß und dessen »bewegungslosem Herumwirbeln zwischen drei Elementen« abschließen. Der heilige Eichenkönig wurde zu Mittsommer getötet und in die, von der Weißen Göttin regierte, Corona Borealis versetzt, die um diese Zeit gerade über dem nördlichen Horizont sichtbar wurde. Aus einem Lied, das Apollonios Rhodios dem Orpheus zuschreibt, wissen wir aber, daß Euronyme alias Cardea, die Königin des kreisenden Universums, mit der Rhea von Kreta gleichgesetzt wurde; Rhea wohnte also auf der Achse des bewegungslos herumwirbelnden Mühlwerks, wie auch auf der Milchstraße. Dies zeigt, daß in der späteren mythologischen Überlieferung der Sakralkönig hinging, um ihr im Mühlwerk, nicht im Schloß zu dienen; denn Samson drehte nach seiner Blendung und Schwächung eine Mühle in Delilas Kerker.
Ein weiterer Name für die Göttin der Mühle war Artemis Kalliste oder Kallisto (»die Schönste«), und ihr war in Arkadien die Bärin geweiht; beim Fest der Artemis Brauronia in Athen spielten ein zehnähriges Mädchen und ein fünfjähriges Mädchen, dem Gott zu Ehren in safrangelbe Gewänder gekleidet, die Rolle der heiligen Bärinnen. Großer Bär und kleiner Bär sind noch heute die Namen der beiden Sternbilder, die die Mühle im Kreise drehen. Im Griechischen hieß die große Bärin Kallisto auch Helike, was sowohl »die, welche dreht« als auch »Weidenzweig« heißt - eine Erinnerung daran, daß die Weide dieser Göttin heilig war. Der - am Schluß des 6. Kapitels, im Zusammenhang mit Gwyn erläuterte - Beweis für die Annahme, daß der Eichenkult zwischen 1600 und 1400 v. Chr. von der Ostsee nach Britannien gelangt war, legt auch den Schluß nahe, daß jene Sequenz des Beth-Luis-Nion, in der Duir der Haupt-Baum ist, auf jeden Fall nicht vor 1600 v. Chr. entstanden ist, wiewohl Eberesche, Weide, Holunder und Erle wahrscheinlich schon in sakralem Gebrauch waren. Gwyn, »der Weiße«, Sohn des Llyr oder Lludd, wurde zu Ehren seines Vaters in einem bootförmigen Eichensarg bestattet: er war eine Art Osiris (sein Rivale »Victor, Sohn des Scorcher«, eine Art Seth) und wurde schließlich mit König Arthur identifiziert. Auf seinen Namen geht die Vorsilbe Win in so vielen alten Städtenamen Britanniens zurück.
T für Tinne
Der achte Baum ist die Steineiche, die im Juli blüht. Die Steineiche kommt in der ursprünglich irischen Romance of Gawain and the Green Knight vor. Der Grüne Ritter ist ein unsterblicher Riese, dessen Keule ein Steineichenbusch ist. Er und Sir Gawain, den wir in der irischen Version als Cuchulain kennen, eine typische Heraklesgestalt, schließen den Pakt, einander an den aufeinanderfolgenden Neujahrstagen, d. h. zu Mittsommer und Mittwinter, zu enthaupten, aber tatsächlich verschont der Steineichenritter den Eichenkönig. In Sir Gawains Marriage, einer Robin-Hood-Ballade, sagt König Arthur, der einen Thron in Carlisle hat:
- als einst ich übers Moor gezogen
Sah ich eine Dame sitzen
Zwischen einer Eiche und einer grünen Steineiche
Sie war in roten Purpur gekleidet.
Diese Dame, deren Name nicht genannt wird, war vermutlich die Göttin Creiddylad, um die im walisischen Mythos der Eichenkönig und der Steineichenritter bis zum jüngsten Tag an jedem ersten Mai kämpfen müssen. Da in der mittelalterlichen Überlieferung Johannes der Täufer, der am Johannistag enthauptet worden war, Titel und Attribute des Eichenkönigs übernahm, war es nur logisch, daß Jesus als gnadenreicher Nachfolger des Johannes die des Steineichenkönigs übernahm. Die Steineiche wurde also noch höher verklärt als die Eiche. Zum Beispiel in dem Holly-Tree-Carol:
Unter allen Bäumen, die im Walde wohnen,
Gebürt der Steineiche die Krone
eine Auffassung, die auch aus dem Song of the Forest Trees spricht: »Unter allen Bäumen weit und breit, ist die Steineiche die beste jederzeit.« In jeder Strophe des Liedes - mit seinem passenden Kehrreim über die »aufgehende Sonne, das flüchtende Wild« - wird eine Eigenschaft des Baumes mit Geburt und Passion Jesu Christi verglichen: das Weiß der Blüten, das Rot der Beeren, die Schärfe der Stacheln, die Bitterkeit der Rinde. Das englische Wort für Steineiche, holly, klingt an holy, »heilig«, an. Aber die auf den britischen Inseln heimische Steineiche ist vermutlich nicht der ursprünglich in dem Alphabet genannte Baum. Sie dürfte die immergrüne Purpureiche ersetzt haben, mit der sie manches, darunter auch den botanischen Namen ilex gemeinsam hat und die erst im sechzehnten Jahrhundert auf den britischen Inseln eingeführt wurde. Die Purpur-Eiche oder Kermeseiche oder Steineiche (holly oak) ist der immergrüne Zwillingsbruder der gewöhnlichen Eiche, und ihre klassischen Namen prinos und hysge sind auch noch im heutigen Griechenland für die Steineiche gebräuchlich. Sie hat stachelige Blätter und beherbergt die Kermesschildlaus, ein scharlachrotes Insekt, das der Steineichenbeere recht ähnlich sieht (und einst mit dieser Beere verwechselt wurde) und aus dem die Alten ihre königliche Purpurfarbe und ein aphrodisisches Elixier bereiteten.. In der King-James-Version der Bibel wird das Wort Eiche manchmal mit »Terebinthe« übersetzt, manchmal mit »Purpur-Eiche«, und diese Bäume bilden in der palästinensischen Religion ein heiliges Paar. Jesus trug, als er zum König der Juden ausgerufen wurde, ein mit Kermes-Purpur gefärbtes Gewand (Matthäus 27,28).
Wir dürfen die Buchstaben D und T als Zwillinge auffassen: es sind die »lilienweißen Knaben, gekleidet ganz in Grün, oh!« aus dem mittelalterlichen Lied Green Rushes. D ist die Eiche, die den zunehmenden Teil des Jahres regiert - die heilige Eiche der Druiden, die Eiche des Golden Bough. T ist die immergrüne Eiche, die den abnehmenden Teil des Jahres regiert, die blutige Eiche: so war ein Hain von immergrünen Eichen in der Nähe des korinthischen Asopus den Furien geweiht. Dann oder Tann, das Äquivalent für Tinne, ist ein keltisches Wort für »heiliger Baum« . In Gallien und Britannien bedeutet es »Eiche«, im keltischen Deutschland bedeutet es »Tanne«; in Cornwall bedeutet die zusammengesetzte Form glastann (»grüner heiliger Baum«) immergrüne Steineiche, und das englische Wort to tan rührt vom Gebrauch ihrer Rinde beim Färben her. Doch im alten Italien war es die Steineiche, und nicht die immergrüne Eiche, die von den Viehhirten bei ihren mittwinterlichen Saturnalien verwendet wurde. Tannus war der Name des gallischen Donnergottes, und Tina der Name des mit einem dreifachen Blitzkeil bewaffneten Donnergottes, den die Etrusker von den gälischen Stämmen, unter denen sie siedelten, übernommen hatten.
Die Gleichsetzung des friedfertigen Jesus mit der Stechpalme oder Steineiche ist als poetisch unpassend zu bedauern, es sei denn, insofern er erklärte, er sei gekommen, nicht den Frieden, sondern das Schwert zu bringen. Der tanist, der gewählte Nachfolger des Häuptlings bei den Kelten, war ursprünglich der Scharfrichter seines Zwillingsbruders; nicht der Steineichenkönig, sondern der Eichenkönig wurde an einem T-förmigen Kreuz gekreuzigt. Dies spricht Lukian (um 160 n. Chr.) ganz deutlich aus:
»Die Menschen weinen und beklagen ihr Los und verwünschen Kadmos mit vielen Flüchen, weil er Tau in die Familie der Buchstaben eingeführt hat; seinen Leib, so sagen sie, haben die Tyrannen zum Vorbild genommen, seine Gestalt haben sie nachgeahmt, als sie die Gerüste bauten, an denen die Menschen gekreuzigt werden. Stauros wird das schändliche Gerät genannt, und es hat seinen schändlichen Namen von ihm. Nun, da all diese Verbrechen auf ihn kommen, verdient er denn nicht den Tod, ja, viele Tode? Ich für mein Teil weiß ihm keinen, der schlimm genug wäre, als jenen, den seine eigene Gestalt zufügt - jene Gestalt, die er dem Galgen gab, den die Menschen nach ihm Stauros nennen.«
Und in einem gnostischen Evangelium nach Thomas, das etwa um die gleiche Zeit entstanden sein mag, kehrt das gleiche Thema in einem Gespräch zwischen Jesus und seinem Lehrer über den Buchstaben T wieder. Der Lehrer schlägt Jesus auf den Kopf und prophezeit ihm die Kreuzigung. Zu Jesu Zeiten hatte das hebräische Zeichen Tav, der letzte Buchstabe des Alphabets, die Form des griechischen Tau.
Die Steineiche regiert den achten Monat, und die Acht als Zahl der Mehrung paßt gut zum Monat der Gerstenernte, der vom 8. Juli bis zum 4. August dauert.
C für Coll
Der neunte Baum ist der Haselstrauch, in der Jahreszeit, da die Nüsse reifen. Die Nuß ist in der keltischen Sage stets ein Symbol für konzentrierte Weisheit: etwas Süßes, Festes und Nährendes, eingeschlossen in eine kleine harte Schale - wie wir ja auch von der »Wahrheit in einer Nußschale« sprechen. In dem Dinnshenchas von Rennes, einer bedeutenden früh-irischen topographischen Abhandlung, wird ein schöner Brunnen mit dem Namen Connla's Well in der Nähe von Tipperary beschrieben, über dem die neun Haselsträucher der Dichtkunst standen, die Blüten und Früchte (d. h. Schönheit und Weisheit) gleichzeitig hervorbrachten. Wenn die Nüsse in den Brunnen fielen, nährten sie einen darin schwimmenden Lachs, und so viele Nüsse er verschlang, so viele helle Punkte zeigten sich auf seinem Leib. Alles Wissen um Künste und Wissenschaften war mit dem Verzehr dieser Nüsse verbunden, wie bereits in der Geschichte von Fionn vermerkt, dessen Namen Gwion annahm. In England wurde bis ins siebzehnte Jahrhundert eine gegabelte Haselrute benutzt, nicht nur, um - wie heute noch - vergrabene Schätze und verborgene Wasseradern zu erkunden, sondern auch, um bei Fällen von Mord und Diebstahl den Schuldigen zu finden. Und im Book of St. Albans (Ausgabe von 1496) ist ein Rezept angegeben, wie man sich so unsichtbar machen kann, als hätte man Farnsamen gegessen, indem man lediglich eine Haselrute bei sich trägt, anderthalb Klafter lang, mit einem eingeklemmten grünen Haselzweig.
Der Buchstabe Coll diente als bardische Ziffer Neun - weil die Neun die den Musen heilige Zahl ist und weil der Haselstrauch nach neun Jahren Früchte trägt. Der Haselstrauch war der Bile Ratha, der »verehrte Baum der Hügelfestung« - der Hügelfestung, in welcher der poetische Aes Sidhe wohnte. Er gab auch einem Gott Mac Coll oder Mac Cool (»Sohn des Haselstrauchs«) seinen Namen, der laut Keatings History of Ireland einer der drei ersten Herrscher Irlands war und dessen Brüder Mac Caecht (»Sohn des Pfluges«) und Mac Greine (»Sohn der Sonne«) waren. Sie feierten eine dreifache Hochzeit mit der Dreifältigen Göttin Irlands, Eire, Fodhla und Banbha. Diese Sage scheint auf den ersten Blick den Sturz des Matriarchats durch patriarchalische Invasoren zu berichten; nachdem aber Greine, die Sonne, eine Göttin und kein Gott war, und nachdem die Dreifältige Göttin sowohl die Landwirtschaft als auch die Weisheit regierte, waren die Invasoren zweifellos selbst Anhänger einer Göttin und übertrugen ihre angestammte Loyalität lediglich auf die Dreifältige Göttin des Landes.
In der fenianischen Sage von dem Alten Tropfenden Haselstrauch erscheint der Haselstrauch als ein Baum, der zu zerstörerischen Zwecken benutzt werden kann. Er schied eine giftige Milch aus, hatte keine Blätter und war ein Hort von Geiern und Raben - Vögeln der Wahrsagerei. Er spaltete sich, als das Haupt des Gottes Balor nach dessen Tod in seine Astgabel gelegt wurde, und als Flonn in der Schlacht einen Schild aus seinem Holz benützte, töteten dessen giftige Dämpfe Tausende von Feinden. Fionns Haselschild ist ein Symbol des satirischen Gedichts, das einen Fluch enthält. Es war der Baum der druidischen Herolde, von dem es in Gwions Câd Goddeu heißt, »der Haselstrauch war Schiedsrichter«; die alt-irischen Herolde trugen weiße Stäbe aus Haselholz. Der Haselstrauch ist der Baum der Weisheit, und sein Monat dauert vom 1. August bis zum 1. September.
M für Muin
Der zehnte Baum ist der Weinstock zur Zeit der Weinlese. Der Weinstock, wenngleich in Britannien nicht heimisch, ist ein wichtiges Motiv der britischen Bronzezeit-Kunst; also hatten wahrscheinlich die Danaer den Baum selbst wie auch das Symbol nach Norden mitgebracht. Dort gedieh er gut auf den wenigen geschützten Südhängen. Aber da er sich nicht als wildwachsender Baum durchsetzen konnte, nahmen sie vermutlich die Brombeere als Ersatz: sie entspricht nach Reifezeit, Farbe der Beeren und Form der Blätter dem Wein, und Brombeerwein ist ein berauschendes Getränk. (In allen keltischen Ländern besteht ein Tabu gegen den Verzehr der Brombeere, obwohl sie eine bekömmliche und nahrhafte Frucht ist. In der Bretagne nennt man als Grund: »à cause des fées«, »wegen der Feen«. Auf Mallorca lautet die Erklärung anders: die Brombeere war der Strauch, von dem die Dornenkrone stammte, und die Beeren sind das Blut Christi. In Nordwales wurde ich als Kind lediglich ermahnt, sie seien giftig. In Devonshire besteht nur ein Tabu, Brombeeren nach dem ersten September zu essen, wenn »der Teufel in sie hineinfährt«; was meine Theorie stützt, daß die Brombeere im Westland ein beliebter Ersatz für Muin war.) Der Weinstock war dem thrakischen Dionysos wie auch Osiris heilig, und eine goldene Weinrebe war eines der Ornamente am Tempel von Jerusalem. Er ist der Baum der Freude, der Heiterkeit und des Zorns. Der Monat dauert vom 2. September bis zum 29. September, und in diese Zeit fällt das Herbst-Äquinoktium.
G für Gort
Der elfte Baum ist der Efeu zur Blütezeit. Der Oktober war die Jahreszeit der ausschweifenden Bacchanalien in Thrakien und in Thessalien, bei denen die Bassariden wild durch die Berge streiften, wobei sie die Tannenzweige der Königin Artemis (oder Ariadne) schwenkten, die zu Ehren Dionysos' (des Herbst-Dionysos, zu unterscheiden vom Dionysos der Wintersonnwende, der eigentlich ein Herakles ist) mit Efeuspiralen - von der gelben Efeusorte - umwunden waren, und sich auf den rechten Arm, über dem Ellbogen, einen Rehbock tätowiert hatten. In ihrer Ekstase rissen sie Rehkitze, Kinder und sogar Männer in Stücke. Der Efeu war Osiris wie auch Dionysos heilig. Wein und Efeu nähern sich zur Jahreswende einander und sind gemeinsam der Auferstehung geweiht, vermutlich weil sie die einzigen im Beth-Luis-Nion vorkommenden Bäume sind, die spiralförmig wachsen. Der Weinstock symbolisiert auch deshalb die Auferstehung, weil seine Kraft im Wein konserviert ist. Der Efeubusch war in England seit jeher das Zeichen der Weinstuben; daher das Sprichwort »Guter Wein braucht keinen Busch«. Und Ivy-Ale, ein im Mittelalter gängiges, stark berauschendes Getränk, wird noch heute am Trinity College in Oxford zum Andenken an einen Studenten des Trinity gebraut, der von Männern Balliols ermordet wurde. Der Trank der Bassariden war vermutlich Tannenbier (spruce ale), gebraut aus dem Saft der Silbertanne und mit Efeusaft versetzt; vielleicht kauten sie auch Efeublätter wegen ihrer toxischen Wirkung. Doch das wichtigste mänadische Rauschmittel war wohl Amanita muscaria, der weißgefleckte Fliegenpilz, der allein die nötige Muskelkraft verlieh. Hier werden wir an Phoroneus, den Frühlings-Dionysos und Erfinder des Feuers erinnert. Er erbaute die Stadt Argos, deren Emblem laut Apollodor eine Kröte war; und Mykene, die Hauptfestung von Argolis, trug nach Pausanias diesen Namen, weil Perseus, der sich zum Dionysos-Kult bekehrt hatte, auf ihrem Grund einen Fliegenpilz gefunden hatte. Dionysos hatte zwei Feste - im Frühling das Anthesterion, »Blumen-Sprießen«; und das herbstliche Mysterion, was vermutlich soviel heißt wie »Sprießen der Fliegenpilze«; mykosterion war als Ambrosia (»Speise der Götter«) bekannt. War Phoroneus auch der Entdecker eines dem Fliegenpilz innewohnenden göttlichen Feuers und mithin sowohl Phryneus (» Kröten-Wesen«) als auch Fearinus (»Frühlings-Wesen«)? Die Amanita muscaria, wenngleich kein Baum, wächst doch unter einem Baum; nördlich von Thrakien und in den keltischen Ländern bis zum Polarkreis stets unter einer Birke; südlich von Griechenland und Palästina aber, bis zum Äquator, unter einer Tanne oder Fichte. Im Norden ist sie scharlachrot; im Süden eher fuchsrot. Und erklärt dies etwa, warum die Silbertanne unter den Vokalen als A, die Birke unter den Konsonanten als B das Alphabet eröffnen? Ist dies ein weiterer Aspekt von »Christus, Sohn von Alpha«?
(Die oben erwähnte Rivalität zwischen Steineiche und Efeu, wie mittelalterliche englische Lieder sie besingen, ist nicht, wie wir erwarten sollten, ein Konflikt zwischen dem Baum des Mordes und dem Baum der Auferstehung, zwischen Typhon-Seth und Dionysos-Osiris; vielmehr repräsentiert sie den häuslichen Krieg der Geschlechter. Die Erklärung liegt offenbar darin, daß in manchen Teilen Englands die letzte in einem Kirchspiel eingebrachte Erntegarbe mit dem Efeu des Osiris bekränzt und »the Harvest May«, »the Harvest Bridge« oder »the Ivy Girl« genannt wurde - der Bauer, der bei der Ernte der letzte war, erhielt zur Strafe das Efeumädchen - ein Omen, das bis zum folgenden Jahr Unglück verhieß. So gewann der Efeu schließlich die Bedeutung von Vettel, widerspenstiges Weib, ein Vergleich, der durch die Tatsache gestützt wurde, daß der Efeu den Baum erstickt, den er umrankt. Aber Efeu und Steineiche hingen beide mit den Saturnalien zusammen, die Steineiche als Saturns Keule, der Efeu als Nistplatz des Goldhähnchens, des ihm geweihten Vogels; am Morgen des Jultages, dem letzten seiner fröhlichen Herrschaft, mußte als erster der Stellvertreter Saturns den Fuß über die Schwelle setzen, ein finsterer Mann, Holly Boy (Steineichen-Knappe) genannt, und man traf sorgfältige Vorkehrungen, um die Frauen fernzuhalten. So standen sich Ivy Girl und Holly Boy gegenüber; woraus sich der Jul-Brauch entiwckelte, bei dem »Efeumädchen« und »Steineichenjungen« in einem Pfänderspiel miteinander wetteiferten und dabei - vorwiegend satirische - Lieder gegeneinander sangen.)
Der Efeumonat währt vom 30. September bis zum 27. Oktober.
P für Peith, oder NG für Ngetal
Der zwölfte in O'Flahertys Liste aufgeführte Baum ist Peith, der Schneeballbusch oder Schlehdorn oder Wasser-Holunder, ein geeigneter Auftakt zum letzten Monat, den der richtige Holunder repräsentiert. Aber Peith ist nicht der ursprüngliche Buchstabe; es ist ein brythonisches Substitut für den ursprünglichen Buchstaben NG, der für die Brythonen oder (in diesem Fall) die Gälen literarisch nutzlos, aber Bestandteil der ursprünglichen Reihe war. Der Baum für NG war der Ngetal oder das Schilfrohr, das im November geschnitten werden kann. Das Canna-Rohr, das wie ein Baum aus einer dicken Wurzel wächst, war im östlichen Mittelmeerraum ein altes Emblem der Königswürde. Die Pharaonen hatten Schilfrohr-Szepter (daher verspottet der Prophet Jesja Ägypten als »gebrochenes Schilfrohr«), und ein königliches Rohr wurde Jesus in die Hand gegeben, als sie ihn mit dem Purpurmantel kleideten. Es ist der Baum, aus dem Pfeile geschnitten wurden, und daher für den Pharao als dem lebenden Sonnengott, der seine Pfeile in alle Richtungen schleudert, ein angemessenes Emblem der Souveränität. Die Zahl Zwölf bedeutet gefestigte Macht, was in dem irischen Brauch, die Häuser mit Schilf zu bedachen, seine Bestätigung findet: ein Haus ist kein fertiges Haus, solange es nicht unter Dach ist. Der Monat dauert vom 28. Oktober bis zum 24. November.
R für Ruis
Der dreizehnte Baum ist der Holunder, ein am Wasser stehender Baum, der mit den Hexen in Verbindung gebracht wird und der bis weit in den September seine Früchte behält. Ein britannischer Aberglaube besagt, daß ein Kind, das in einer Wiege von Holunderholz liegt, verschmachtet oder von den Feen blau und schwarz gekniffen wird. Die Wiege wird traditionell aus dem Holz der Birke, des Baumes des Neubeginns gefertigt, der die bösen Geister bannt. Und in Irland nehmen die Hexen Stäbe aus Holunder-, nicht aus Eschenholz als Zauberpferde. Obwohl die Blüten und die innere Rinde des Holunders seit jeher als heilkräftig gelten, glaubten die Menschen einst, der Duft eines Holunderdickichts verursache Krankheit und Tod. Ein so unglücklicher Baum ist der Holunder, daß Langland in seinem Pliers Plowman den Judas an einem Holunder sich erhängen läßt. Spenser stellt den Holunder neben den Friedhofsbaum Zypresse, und T. Scot schreibt in seiner Philomythie (1616):
Der verwünschte Holunder und die todbringende Eibe
bei denen (Eberesche) und Nachtschatten in ihrem Dunkel stehn.
König William Rufus wurde von einem Bogenschützen getötet, der unter einem Holunder postiert war. Der Holunder war angeblich auch der Kreuzigungsbaum, und die Holunderblatt Form der in megalithischen Langhügelgräbern gefundenen Feuersteine beweist, daß dieser Baum seit alters her mit dem Tod in Verbindung gebracht wird. In der englischen Folklore bedeutet das Verbrennen von Holunderscheiten »den Teufel ins Haus zu holen«. Seine weißen Blüten, die sich zur Mittsommerzeit voll entfalten, bringen den Holunder abermals mit der Weißen Göttin in Verbindung. Dasselbe gilt für die Eberesche. Der Holunder ist der Baum des Verhängnisses - daher noch heute die unglückliche Bedeutung der Zahl Dreizehn-, und der Monat dauert vom 25. November bis zur Wintersonnwende am 22. Dezember.
Was aber ist mit dem zusätzlichen Tag? Er fällt aus dem Jahr von dreizehn Monaten heraus und untersteht daher keinem der Bäume. Ich nehme an, daß sein natürlicher Platz zwischen den Buchstaben-Monaten R und B liegt, am Tag nach der Wintersonnwende, wenn die Tage wieder länger werden: tatsächlich am Weihnachtsabend, dem Geburtstag des göttlichen Kindes. Die Laute R und B erinnern an robur, das lateinische Wort für »Eiche« und »Kraft«, und auch an das keltische Wort robin. In dieser Jahreszeit zieht laut britischer Überlieferung das Rotkehlchen, der Geist des Neuen Jahres, mit einem Birkenreis aus, um den Zaunkönig, den Geist des Alten Jahres zu töten, den es in einem Efeubusch versteckt findet. James Frazer hat in seinem Golden Bough nachgewiesen, daß der alte Weihnachtsbrauch, den Zaunkönig mit Birkenruten zu jagen, wie er sich noch in Irland und auf der Isle of Man erhalten hat, einstmals auch in Rom und im antiken Griechenland geübt wurde, wo der Zaunkönig »kleiner König« genannt wurde. Daß der Zaunkönig sich um die Weihnachtszeit gern im Efeugestrüpp aufhält, ist eine ornithologische Tatsache. Vom Rotkehlchen heißt es, es habe seinen Vater ermordet, was seine rote Brust erklärt. Hier gibt es einen deutlichen thematischen Bezug zu Gwions Angar Cyvyn dawd: »Keing ydd ym Eidduw Bum i arweddawd« (»Versteckt in einem Efeubusch wurde ich herumgetragen«), heißt es dort. Die Buben, die in Irland den Zaunkönig jagen, suchen ihn manchmal im Holunderbusch statt im Efeu; und der Holunder ist der Baum des Häuptling-Stellvertreters, der zu Mittsommer den alten König tötete. Der Zaunkönig ist in allen anderen Jahreszeiten geschützt, und wer seine Eier stiehlt, dem wird Unglück verheißen. Einer der in Devonshire gebräuchilchen Namen des Zaunkönigs ist cuddy vran Brans Sperling - und in Irland wurde er als prophetischer Vogel mit Brans Krähe oder Rabe in Verbindung gebracht. R. I. Best hat in Erin VIII (1916) eine Sammlung von Orakelsprüchen um Zaunkönig und Rabe veröffentlicht. Bran war aber, wie wir sahen, Saturn.
Die vielleicht älteste Überlieferung um den Zaunkönig wird von Pausanias in seiner Beschreibung Griechenlands erwähnt: er sagt, daß Triptolemos, das eleusinische Gegenstück zum ägyptischen Osiris, ein Priester der argivischen Mysterien namens Trochilos war, der von Argos nach Attika floh, als Agenor die Stadt eroberte. Trochilus bedeutet aber Zaunkönig, und es bedeutet auch »der vom Rade«, wahrscheinlich weil der Zaunkönig gejagt wird, wenn das Jahr seinen Zyklus vollendet hat. In Sommersetshire hat sich die Verbindung von Zaunkönig und Rad bis vor kurzem erhalten. Swainson berichtet in seinem Werk Birds (1885): »Es ist der Brauch, am zwölften Tag einen Zaunkönig herumzutragen, der König genannt wird; er ist in einen Kasten mit Glasfenstern eingesperrt, über dem ein Rad mit daran befestigten bunten Bändern angebracht ist. « Eine spätere Darstellung erklärt Triptolemus zum Sohn des Picus (des Spechts, abermals ein prophetischer Vogel) und setzt ihn folglich mit Pan oder Faunus gleich. Pausanias bezieht sich anscheinend auf den historischen Vorgang, als die Priesterschaft Kronos' (Brans), dem der Zaunkönig geweiht war, von den Syrern aus Argos vertrieben wurde.
Wenn man erst einmal die Grammatik und Formenlehre der Mythen beherrscht, sich einen gewissen Wortschatz angeeignet und gelernt hat, die Jahreszeitlichen von den historischen und lkonotropischen Mythen zu unterscheiden, dann ist man immer wieder überrascht, wie nah an der Oberfläche die Erklärungen für Sagen liegen, die seit vor-homerischen Zeiten vergessen und doch als Teil unseres europäischen Kulturerbes religiös bewahrt sind. Zum Beispiel die verschiedenen Sagen um den Halkyon oder Eisvogel, der im griechischen Mythos, ähnlich wie der Zaunkönig, mit der Wintersonnwende in Verbindung steht. Es gab alljährlich die vierzehn »halkyonischen Tage«, sieben vor der Wintersonnwende, sieben danach: friedliche Tage, an denen das Meer still wie ein Teich war und an denen das Halkyonweibchen ein schwimmendes Nest baute und ihre Jungen ausbrütete. Wie Plutarch und Älian erzählen, hatte es noch eine andere besondere Gewohnheit, nämlich ihren toten Gefährten über das Meer zu tragen und ihn mit einem ungemein klagenden Schrei zu betrauern.
Die Zahl Vierzehn ist eine Mondzahl, es sind die Tage der ersten, glücklichen Hälfte des Mondumlaufs; so bezieht sich die Sage (die keine naturgeschichtliche Begründung hat, da der Halkyon nämlich gar kein Nest baut, sondern seine Eier in Höhlen am Ufer legt), offenkundig auf die Geburt eines neuen Sakralkönigs zur Wintersonnwende - nachdem seine Mutter, die Mondgöttin, den Leichnam des alten Königs zu einer Begräbnisinsel geleitet hat. Natürlich fällt die Wintersonnwende nicht immer mit der gleichen Mondphase zusammen, und daher müssen wir »jedes Jahr« als »jedes Großjahr« verstehen, an dessen Ende die Sonnen und Mondzeit ungefähr synchron waren und die Herrschaft des Sakralkönigs endete.
Homer bringt den Halkyon mit Alkyone in Verbindung, ein Titel von Meleagers Gemahlin Kleopatra (Ilias IX, 562), sowie mit einer früheren Alkyone, einer Tochter der Ägäle (»sie, die den Wirbelsturm abwehrt«), und des Äolus, des eponymen Vorfahren der äolischen Griechen. Das Wort »Halkyon« kann daher nicht, wie gemeinhin angenommen, hal-kyon, »Seehund« bedeuten, sondern muß wohl für alky-one stehen, »die Fürstin, die dem Bösen wehrt«. Diese Ableitung wird bestätigt durch die von Apollodor und Hygin erzählte und von Homer kurz erwähnte Sage von der früheren Alkyone: wie sie und ihr Gemahl Keyx (»Seemöwe«) sich vermaßen, sich Hera und Zeus zu nennen und wie der wahre Zeus sie bestrafte, indem er Keyx ertrinken ließ, woraufhin Alkyone sich ebenfalls ertränkte. Keyx wurde dann in eine Seemöwe oder, laut Alkman, in einen Tordalk verwandelt und sie in einen Halkyon. Den von der Seemöwe handelnden Teil der Sage brauchen wir hier nicht weiterzuverfolgen, obgleich der Vogel, der sich durch einen besonders klagenden Ruf auszeichnet, der Meeresgöttin Aphrodite geweiht ist; die historische Begründung liegt offenbar darin, daß die Äoler des späten zweiten Jahrtausends v. Chr., die bereit gewesen waren, die prähellenische Mondgöttin als ihre göttliche Ahnfrau und Beschützerin anzubeten, den Achäern tributpflichtig und gezwungen wurden, die olympische Religion zu übernehmen.
Plinius, der das angebliche Halkyon-Nest - anscheinend den von Linnäus als halcyoneum bezeichneten Zoophyten - ausführlich beschreibt, berichtet, daß der Halkyon sich selten zeige, und auch dann nur zur Zeit der Winter- und Sommersonnwende und beim Untergang der Pleiaden. Dies beweist, daß er ursprünglich eine Manifestation der Mondgöttin war, die an den beiden Sonnenwenden abwechselnd als Göttin des Lebens und des Todes verehrt wurde - und die Anfang November, wenn die Plejaden untergehen, dem Sakralkönig sein Todesurteil sandte (wie im 12. Kapitel ausgeführt wird).
Wieder eine andere Alkyone, Tochter der Pleione, »Königin der Seefahrt«, und des Eichenheros Atlas, war die mystische Anführerin der sieben Plejaden. Der heliakalische Aufstieg der Plejaden im Mai bezeichnet den Anfang des navigatorischen Jahres; ihr Untergang bezeichnete dessen Ende, wenn (wie Plinius in einem Kapitel über den Halkyon anmerkt) ein bemerkenswert kalter Nordwind weht. Die Umstände von Keyx' Tod zeigen, daß die Äolier, die berühmte Seefahrer waren, der Göttin den Titel Alkyone verliehen, weil sie, in ihrer Eigenschaft als Meeresgöttin, sie vor Riffen und schlechtem Wetter schützte: denn Zeus hatte Keyx trotz Alkyones beschützender Kraft schiffbrüchig werden lassen, indem er einen Blitz gegen das Schiff schleuderte. Dem Halkyon wurde noch jahrhundertelang die magische Kraft zugeschrieben, Stürme zu besänftigen, und sein getrockneter Körper diente als Talisman gegen Zeus' Blitzstrahl angeblich mit der Begründung, daß dieser kein zweites Mal einschlägt, wo er einmal eingeschlagen hat. Ich habe zweimal - im Abstand von vielen Jahren - einen Eisvogel über den Spiegel einer Bucht am Mittelmeer gleiten sehen, beide Male um die Mittsommerzeit, als das Meer reglos lag: sein auffälliges, strahlend blau-weißes Federkleid machte ihn zum unvergeßlichen Symbol für die Göttin der ruhigen See.
Die Verbindung, die Homer zwischen Meleagers Gemahlin Alkyone und dem Halkyon zieht, ist diese: Als Apollon ihre Mutter Marpessa von ihrem geliebten Gemahl, dem Argonauten Idas entführte, trauerte sie um ihn so heftig, wie die frühere Alkyone Keyx betauert hatte, und gab daher ihrer neugeborenen Tochter Kleopatra den Beinamen »Alkyone«. Dies ist aber Unsinn. Eine Priesterin namens Kleopatra, die der ursprüngliche Meleager heiratete, konnte ohne weiteres den göttlichen Titel Alkyone tragen; aber es ist eher wahrscheinlich, daß Alkyone die Tochter der Marpessa (der »Greiferin«) genannt wurde, weil Marpessa die Weiße Göttin in ihrer Eigenschaft als alte Muttersau war, die die Wintersonnwende regierte, und weil die halkyonischen Tage in die Mittwinterzeit fallen. Dies würde nebenbei auch erklären, warum Plinius getrocknete und pulverisierte Halkyon-Nester als »wunderbares Heilmittel« gegen die Lepra empfiehlt. Man glaubte nämlich, daß Lepra durch Schweinemilch verursacht sei (die Verbindung der Weißen Göttin mit der Lepra wird ausführlich 24. Kapitel behandelt), und Alkyone wäre als Marpessas wohltätige Tochter folglich immun gegen Ansteckung. Wenn Apollon in der Sage Marpessa in Messene wie auch Daphne (»die Blutige«) in Delphi vergewaltigt hat, so bezieht sich dies auf Vorgänge der frühen griechischen Stammesgeschichte: die Eroberung von Orakeltempeln durch die achäischen Anhänger Apollons.