Gwions Rätsel

Während diese komplizierten mythologischen Beziehungen allmählich in meinem Kopf Ordnung gewannen, und als ich mich dann wieder dem Hanes Taliesin (»Die Sage von Taliesin«) zuwandte, jenem Rätselgedicht, mit dem Taliesin den König Maelgwyn am Anfang der Romanze anspricht, da ahnte ich bereits, daß Gwion den Hund, den Kiebitz benutzte, um in seinem Rätsel das neue Gwydionsche Geheimnis der Bäume zu verstecken, das er irgendwie aufgedeckt hatte und das ihm poetische Macht verlieh. Und wie ich das Gedicht aufmerksam las, erkannte ich bald, daß Gwion auch hier, genau wie beim Cad Goddeu, kein verantwortungsloser Rhaphsode, sondern ein wahrer Dichter war; und während Heinin und seine Bardengenossen, wie die Romanze sagt, nur Latein, Französisch und Englisch verstanden, war er auch in den irischen Klassikern belesen - und sogar in der griechischen und hebräischen Literatur, wie er selbst behauptet. Ich erkannte auch, daß er ein altes religiöses Mysterium - eine Blasphemie, vom Standpunkt der Kirche - unter dem Mantel der Posse verbarg, ohne daß er es aber einem gebildeten Dichterkollegen ganz unmöglich machte, dieses Geheimnis zu erraten. Ich gebrauche hier für »Taliesin« den Namen »Gwion« , um zu verdeutlichen, daß ich nicht das wunderbare Kind Taliesin aus der Romance of Taliesin mit dem historischen Taliesin des späten sechsten Jahrhunderts verwechsele; von letzterem sind, im Red Book of Hergest, eine Reihe authentischer Gedichte enthalten, und Nennius, aus einer im siebten Jahrhundert verfaßten Genealogie der Sachsenkönige zitierend, erwähnt ihn als »berühmt in britischer Dichtung«. Der erste Taliesin lebte im letzten Drittel des sechsten Jahrhunderts längere Zeit als Gast verschiedener Häuptlinge und Fürsten, denen er schmeichelhafte Gedichte widmete, (so dem Urien ap Cynvarch, Owein ap Urlen Gwallag ap Laenaug, Cynan Garwyn ap Brochfael Ysgythrog, King of Powys und dem Großkönig Rhun ap Maelgwn, bis dieser in einem trunkenen Streit von den Coeling erschlagen wurde.) Mit Rhun zog er in den ersten Feldzug gegen die Nordmänner, dessen Anlaß die Ermordung des Elidir (Heliodorus) Mwynfawr und der rächende Überfall von Clydno Eiddin, Rhydderch Hael (oder Hen) und anderen waren, und den Rhun mit einer regelrechten Invasion vergalt. Dieser Taliesin bezeichnet die Engländer ebenso oft als »Eingl« oder »Deifyr« (Deirans) wie als »Sachsen«, und die Waliser nennt er nicht »Cymrer« sondern »Brythonen«. »Gwion« schrieb sechs Jahrhunderte später, gegen Ende der Fürsten-Epoche. lfor Williams, der beste heutige Kenner der Gedichte Taliesins, behauptet nun - in seinen Lectures on Early Welsh Poetry - aufgrund der inneren literarischen Stimmigkeit, daß Teile der Romanze in einer Originalhandschrift aus dem neunten Jahrhundert existierten. Ich bezweifle dies nicht, auch nicht seine Folgerung, daß der Autor ein heidnischer Kleriker gewesen sein muß, der Verbindungen nach Irland hatte; allerdings muß ich seiner Auffassung widersprechen, daß in den Gedichten »keinerlei Mystizismus, Semi-Mystizismus oder Demi-Semi-Mystizismus« stecke und die ganze Geheimnistuerei sich wie folgt erklären lasse:

»Taliesin prahlt nur; er mußte es - wie das Känguruh in
Kiplings Geschichte! Das war die Rolle, die er zu spielen hatte.«

Als Wissenschaftler ist Williams natürlich eher mit dem früheren Taliesin vertraut, der ein redlicher Barde nach Art der Skalden war. Das Entscheidende an der Romanze aber ist für mich nicht, daß ein Pseudo-Taliesin sich im Scherz als allwissend rühmte, sondern daß jemand, der sich als Klein-Gwion, Sohn des Gwreang von Llanfair in Caereinion ausgab, ein unbedeutender Mensch, ganz zufällig auf ein gewisses altes Mysterium gestoßen war und, nachdem er selbst Adept geworden, die professionellen Barden seiner Zeit zu verachten begann, weil sie die Grundlagen ihrer poetischen Überlieferung nicht verstanden. Sich zum Meisterdichter ausrufend, nahm Gwion den Namen Taliesin an, ähnlich wie ein strebsamer griechischer Dichter der Heilenistischen Zeit den Namen Homer annehmen mochte. »Gwion, Sohn des Gwreang« ist vielleicht selbst ein Pseudonym, jedenfalls nicht der Taufname des Autors der Romanze. Gwion ist das Äquivalent (gw für f) zu Fionn oder Finn, dem irischen Helden einer ähnlichen Sage. Fionn, Sohn der Mairne, der Tochter eines Oberdruiden, erhielt von einem Druiden, der den gleichen Namen trug wie er selbst, den Auftrag, ihm einen Lachs zu kochen, der aus einem tiefen Tümpel des Boyne-Flusses gefangen worden war, verbot ihm aber, davon zu kosten. Als aber Gwion den Fisch im Kessel umwendete, verbrannte er sich den Daumen und steckte ihn in den Mund, wodurch ihm die Gabe der Inspiration zuteil wurde. Denn der Lachs war ein Lachs der Weisheit, der sich von Nüssen genährt hatte, die von den neun Haselsträuchern der Dichtkunst herabgefallen waren. Das Äquivalent zu Gwreang ist Freann, eine geläufige Variante von Fearn, Erle. Somit beansprucht Gwion Orakelkräfte als geistiger Sohn des Erlen-Gottes Bran. Daß er ein Pseudonym annahm, war durch die Tradition gerechtfertigt. Der Heros Cuchulain (»Hund des Culain«) hieß zuerst Setanta und war eine Reinkarnation des Gottes Lugh; und Fionn (»fair«) selbst hieß zunächst Deimne. Bran aber war ein höchst geeigneter Vater Gwions, denn damals war er als der Riese Ogyr Vran, als Guineveres Vater bekannt - dieser Name, der soviel heißt wie »Bran der Böse« (ocur vran) [1] schenkte der englischen Sprache, über Perraults Fatry Tales, offenbar das Wort »Ogre« (Oger, Menschenfresser), und ihm schrieben die Barden die Erfindung ihrer Kunst zu und hielten ihn für den Bewahrer von Cerridwens Kessel, aus dem, wie sie meinten, die Dreifaltige Muse geboren war. Und Gwions Mutter war Cerridwen selbst. Leider ist nicht mit Sicherheit festzustellen, ob die Zurückführung der Romanze - in einem von der Welsh MSS. Society gedruckten Iolo-Manuskript - auf einen gewissen »Thomas ap Einion Offeiriad, einen Nachkommen von Gruffydd Gwyr«, zuverlässig ist. Dieses Manuskript, das den Titel »Anthony Powel of Llwydarth's MS« trägt, liest sich einigermaßen authentisch, was man von anderen Aussagen über Taliesin, wie sie Lady Guest, unter Berufung auf lolo Morganwgs Authorität, in ihren Anmerkungen zu der Romance of Taliesin abdruckt, nicht behaupten kann: »Taliesin, der Oberste der Barden, Sohn des Sankt Henwg von Caerlleon upon Usk, wurde an den Hof des Urien Rheged zu Aberllychwr eingeladen. Als er einmal mit Elffin, Sohn von Urien, auf dem Meer in einem Kanu aus Häuten fischte, nahm ein irisches Piratenschiff ihn und sein Kanu gefangen und entführte ihn nach Irland. Während aber die Piraten sich fröhlich dem Trunk ergaben, stieß Taliesin sein Kanu ins Meer und stieg selbst hinein, in der Hand einen Schild, den er auf dem Schiff gefunden hatte, und mit diesem ruderte er das Kanu, bis es das Land erreichte. Da aber die Wogen sich in wilder Brandung brachen, verlor er den Schild, so daß ihm nichts anderes übrig blieb, als sich der Strömung des Meeres anzuvertrauen, in welchem Zustand er eine Weile verharrte, bis das Kanu gegen die Spitze eines Pfahls im Fischweiher des Gwyddno, Herzog von Ceredigion in Aberdyvi, stieß; und in dieser Stellung ward er bei Ebbe von Gwyddnos Fischern aufgefunden, die ihn befragten; und als offenbar wurde, daß er ein Barde und Lehrer von Elffin, dem Sohn von Urien Rheged, des Sohnes von Cynvarch war, sprach Gwyddno: »Auch ich habe einen Sohn namens Elffin. Sei du auch sein Barde und Lehrer, und ich will dir Ländereien zu freiem Lehen geben.« Dies wurde vereinbart, und mehrere Jahre hintereinander verbrachte er seine Zeit an den Höfen von Urien Rheged und Gwyddno, genannt Garanhir, Herr des Tiefland-Bezirks; nachdem aber Gwyddnos Ländereien vom Meer überschwemmt waren, wurde Taliesin von dem Kaiser Arthur an seinen Hof in Caerlleon upon Usk geladen, wo er für sein dichterisches Genie und seine verdienstvollen Wissenschaften hochgerühmt ward. Nach Arthurs Tod zog er sich auf den ihm von Gwyddno verliehenen Landsitz zurück und nahm Elffin, den Sohn jenes Fürsten, unter seine Obhut. Aus dieser Geschichte aber schuf Thomas, Sohn des Einion Offeiriad, seine Romanze von Taliesin, dem Sohn der Cariadwen, von Elffin, dem Sohn von Goddnou, von Rhun, dem Sohn des Maelgwn Gwynedd, und die Ereignisse um den Kessel der Cerridwen.« Falls dies ein echtes mittelalterliches Dokument und nicht eine Fälschung aus dem achtzehnten Jahrhundert ist, so handelt es von einer entstellten Überlieferung des Dichters Taliesin aus dem sechsten Jahrhundert und berichtet vom Auffinden des göttlichen Kindes im Fischweiher in der Nähe von Aberdovey, und nirgendwo sonst. Wahrscheinlich aber war »Gwion« mehr als eine Person, denn das Gedicht Yr Awdyl Vralth, das ich im neunten Kapitel in voller Länge wiedergebe, wird im Peniardd MS dem Jonas Athraw zugeschrieben, einem »Doktor« aus Menevia (St. David's), der im dreizehnten Jahrhundert lebte. Ein ehrender Hinweis auf den Bischofssitz von St. Davids, der im Hanes Taliesin enthalten ist, stützt diese Zuschreibung. (Menevia ist die lateinische Form des ursprünglichen Ortsnamens Hen Meneu, »der alte Busch«, was auf den Kult einer Weißdorn-Göttin hinweist.) Warum der Text der in der Romanze enthaltenen Gedichte so entstellt ist, sucht Williams mit dem Hinweis zu erklären, daß sie das erhalten gebliebene Werk der Awenyddion aus dem zwölften Jahrhundert sein könnten, wie Giraldus Gambrensis sie schildert: »Es gibt in Cambria gewisse Personen, die man sonst nirgends findet;  sie heißen die Awenyddion oder die inspirierten Menschen. Befragt man sie über ungewisse Dinge, so brüllen sie gewaltig los, geraten außer sich und werden, wie es scheint, von einem Geist besessen. Die von ihnen erwartete Antwort geben sie nicht in zusammenhängender Form; derjenige aber, der sie aufmerksam beobachtet, wird feststellen, daß die gewünschte Erklärung - nach mancherlei Einleitungen und vielen albernen, ungereimten, wenngleich ausgeschmückten Reden - in irgendeiner Redewendung übermittelt wird; dann erwachen sie aus ihrer Ekstase wie aus einem tiefen Schlaf und kommen, offenbar wie durch Zwang, wieder zu Verstand. Nachdem sie die Antwort gegeben haben, erholen sie sich erst, wenn sie von anderen heftig geschüttelt werden; auch können sie sich nicht an die gegebenen Antworten erinnern. Befragt man sie ein zweites oder drittes Mal zu der gleichen Angelegenheit, so werden sie völlig verschiedene Ausdrücke gebrauchen; vielleicht sprechen fanatische oder unwissende Geister aus ihnen. Diese Gaben werden ihnen für gewöhnlich im Traum verliehen; manche glauben, ihre Lippen würden mit süßer Milch und Honig benetzt; andere wähnen, es würde ihnen eine schriftliche Formel in den Mund gelegt, und beim Erwachen erklären sie öffentlich, solche Gaben erhalten zu haben ... Bei ihren Prophezeiungen rufen sie den wahren lebendigen Gott und die Heilige Dreifaltigkeit an und beten darum, daß ihre Sünden sie nicht hindern mögen, die Wahrheit zu finden. Diese Propheten finden sich nur unter jenen Briten, die von den Trojanern abstammen.« Vielleicht tarnten die Awenyddion oder Volks-Spielleute ihre Geheimnisse tatsächlich, indem sie vorgaben, von Geistern besessen zu sein, wie es wohl auch die irischen Dichter in ihren Possen taten; und vielleicht leiteten sie ihre Ekstasen durch Einnahme von Fliegenpilzen ein; aber Cäd Goddeu, Cyryndawd und all die anderen seltsamen Gedichte der Sammlung Book of Taliesin lesen sich nur deshalb wie blühender Unsinn, weil die Texte absichtlich in Unordnung gebracht wurden - zweifellos aus Vorsicht, um nicht von einem Repräsentanten der Kirche der Ketzerei angeklagt zu werden. Diese Erklärung könnte auch Aufschluß darüber geben, warum einfache, plump-religiöse Stücke in der Sammlung enthalten sind als plausible Garanten der Orthodoxie. Unglücklicherweise ist ein großer Teil des ursprünglichen Materials anscheinend verloren gegangen, wodurch eine zuverlässige Wiederherstellung des erhaltenen Restes schwierig wird. Wenn erst einmal eine verbindliche Textversion und eine autoritative Übersetzung ins Englische vorliegen - gäbe es sie, dann hätte ich sie gern verwendet - wird das Problem sich vereinfachen. Daß aber die Awenyddion Nachfahren der Trojaner waren, ist eine wichtige Auskunft Geralds; er will damit sagen, daß sie ihre Überlieferungen nicht von den Cymry, sondern von den früheren Bewohnern Wales' übernommen hatten, die die Cymry verdrängten. Der Kontext der aus dem dreizehnten Jahrhundert stammenden Version der Romanze läßt sich rekonstruieren aus dem, was Gwynn Jones über Phylip Brydydd von Llanbadarn Fawr und das Gedicht geschrieben hat, in dem dieser seinen Wettstreit mit den beirdd yspyddeld, den vulgären Reimeschmieden erwähnt, durch den entschieden werden sollte, wer als erster dem Fürsten Rhys Leuanc am Weihnachtstag ein Lied vortragen durfte: »Als historische Quelle ist dieses Gedicht sehr wertvoll, denn es beweist schlüssig, daß der niedere Barden-Orden damals wenigstens schon das Privileg errungen hatte, an einem walisischen Hof aufzutreten und mit Angehörigen der engeren Zunft in Wettstreit zu treten. Den Sinn des Gedichts zu ergründen ist sehr schwierig, doch der Barde scheint die Lockerung oder Abschaffung alter Bräuche des Hofes beim Hause Tewdwr (nachmals das englische Haus Tudor) zu beklagen, wo vordem nach einer siegreichen Schlacht niemand ohne Belohnung ausging und er selbst häufig Geschenke erhalten hatte. Wenn Huldigung der Lohn der Tapferkeit war, dann hatte er es verdient, daß man ihm einen berauschenden Trank reichte, statt ihn in die Verbannung zu schicken. Der Barde erwähnt auch einen gewissen Bleiddriw, der ihm anscheinend nicht huldigen wollte, und deutet an, daß dieser Mann sich schuldig gemacht habe, die Unwahrheit zu dichten, und belegt ihn mit dem Schimpfwort twyll i gwndid (»Verdreher der poetischen Überlieferung«). Das Gedicht will also offenbar sagen, daß die erwähnte Person der Autor eines verstümmelten oder regelwidrigen Liedes war. Außerdem erfahren wir von Phylip, daß der Stuhl von Maelgwn Hir den Barden und nicht den wilden Reimeschmieden zustand und daß diese Würde, wenn sie denn verdient war, mit Zustimmung der Heiligen und im Einklang mit der Wahrheit und den Privilegien erstritten werden sollte. Ein Mann ohne Kunst und Wissen konnte kein Penkerdd (»privilegierter Barde«) werden. In einem zweiten Gedicht wird der Schutzpatron des Dichters, und wahrscheinlich auch des Hauses Tewdwr, angerufen, den Wettstreit der Barden und Reimer zu schützen; und es wird das Auftreten eines EIffin beim Wettstreit von Maelgwn erwähnt. Seit damals, so klagt der Barde, habe bloßes Geschwätz zu langen Streitereien geführt, und durch die Lieder falscher Barden, deren Grammatik mangelhaft war und die keine Ehre hatten, seien die Sprache der Fremden, die Laster der Weiber und manch närrische Sagen nach Gwynedd (Nordwales) gelangt. Feierlich erklärt Phylip, daß es dem Menschen nicht zustehe, das Privileg der göttlichen Gabe zu zerstören. Er beklagt den Verfall des Bardenamtes und bezeichnet sein eignes Lied als »das alte Lied von Taliesin«, das, wie er sagt - und dies ist bedeutsam - »selbst seit neun mal sieben Jahren neu gewesen«. »Und«, so fügt er an, »mag ich zwar vor dem gewaltigen Aufruhr des Gerichts in ein fauliges Erdengrab gelegt werden, soll doch die Muse immerdar anerkannt sein, so lange Sonne und Mond auf ihren Bahnen bleiben; und solange nicht Unwahrheit über die Wahrheit triumphiert oder die göttliche Gabe endlich versiegt, sollen jene im Wettbewerb schmählich unterliegen: Er wird den gemeinen Barden ihre eitle Wonne versagen.« Wir stellen fest, daß diese Geschichte einen interessanten Bericht über die Bedingungen liefert, unter denen der Wettstreit stattfand. Wir erfahren, daß Taliesins Lied und die Wettbewerbe von Maelgwn Hir Normen setzten; daß man glaubte, diese Normen seien mit Zustimmung der Heiligen und im Einklang mit Wahrheit und Privilegien erlassen worden; daß die Wettbewerbe dem niederen Bardenorden nicht offen standen; und daß ein Mann ohne Kunstfertigkeit kein Penkerdd werden konnte. Es wird behauptet, daß durch die Lieder falscher Barden, deren Grammatik fehlerhaft war, die Sprache der Fremden, die Laster der Weiber und viele närrische Sagen nach Gwynedd gelangt seien - sogar nach Gwynedd, wo die Wettbewerbe von Maelgwn abgehalten wurden. Wir sehen, daß das Lied der offiziellen oder traditionellen Barden als Gabe Gottes aufgefaßt wurde; daß es als Wahrheit galt, im Gegensatz zur Unwahrheit der neuen Lieder; und daß Phylip Brydlydd bereit war, bis zum letzten Blutstropfen für die privilegierte Gabe wahrer Dichtung zu kämpfen. Trotz alledem erfahren wir, daß es auch den Reimeschmieden gestattet war, am Hof von Rhys leuanc am Weihnachtstag ein Lied vorzutragen. Wir stellen auch fest, daß das erste Gedicht des Phylip Brydydd einen gewissen Bleiddriw erwähnt, der sich weigerte, ihm zu huldigen, und dessen Lied Phylip, falls ich die sehr komprimierte Syntax des Gedichts richtig verstehe, als gebrochen und regelwidrig bezeichnet. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß wir hier einen Hinweis auf den umstrittenen Bledri des Giraldus Cambrensis vor uns haben, »jenen berühmten Verbreiter von Fabeln, der kurz vor unserer Zeit lebte«. Wahrscheinlich ist auch, daß wir mit diesem Bledri einen jener Männer vor uns haben, die walisische Geschichten in französischer Sprache rezitierten und so ihre Verbreitung in anderen Sprachen förderten. Bereits 1879 hat Gaston Paris ihn als jenen Breri identifiziert, dem Thomas, der Autor der französischen Tristan-Dichtung, seine Dankesschuld abstattet und ihm bestätigt, daß er «les histoires et les contes de tous les rois et comtes qui avaient vécu en Bretagne« gekannt habe. Phylip Brydydds Schaffenszeit lag zwischen 1200 und 1250, Wenn Rhys Leuanc, sein Schutzherr, um 1220 starb, war Phylip wahrscheinlich vor 1200 geboren. Giraldus selbst starb 1220. Mithin stehen die beiden sich zeitlich nahe genug, um die Wahrscheinlichkeit abzusichern, daß sie den gleichen Bledri meinen. Jedenfalls kenne ich in der walisischen Literatur keine andere zeitgenössische Erwähnung eines Bledri, die der von Giraldus genannten Person entsprechen könnte. Doch aus dieser möglichen Identität möchte ich keine weiteren Schlüsse ziehen. Sollte der Bleiddri aus Phylips Dichtung ein anderer Bleiddri sein, so bleibt doch die Tatsache, daß er dem geringeren Bardenorden zugerechnet wurde und daß Phylip, der traditionelle Barde, diese Gruppe anklagte, die poetische Diktion der Barden zu verfälschen und die Unwahrheit zum Gegenstand ihrer Dichtung zu machen. Was aber könnte die Aussage bedeuten, daß die Unwahrheit zum Thema der Lieder gemacht wurde? Betrachten wir sie im Licht der Codices der Hofbarden und vergleichen wir sie mit dem Inhalt ihrer Gedichte, so vermute ich, daß hier einfach aus der Phantasie geschöpfte Sagen gemeint waren. Den offiziellen Barden war es ja verboten, aus der Phantasie Geschichten zu schreiben und vorzutragen; sie waren verpflichtet, das Lob Gottes zu singen und den Ruhm guter oder tapferer Männer zu feiern. Und dies taten sie, wie wir sahen, in epithetischen Versen, deren Stil bemerkenswert und absichtlich archaisch war.« Phylips Vorwurf, sein Gegner Bleiddri habe »keine Ehre«, besagte, daß dieser nicht der privilegierten Klasse cymrischer Freisassen angehörte, aus der die Hofbarden gewählt wurden. In der Romance of Taliesin erfahren wir die gleiche Geschichte aus der Sicht des Spielmannes, allerdings eines ungewöhnlich begabten Spielmannes, der seine Kunst im Ausland studiert hatte, bei Gelehrten, wie sie in Wales nirgends zu finden waren, und der behauptete, daß die Hofbarden die Bedeutung ihrer eigenen Dichtung vergessen hätten. Immer wieder taucht in den Gedichten das gleiche abschätzige Thema auf:
Bin ich denn nicht Anwärter auf den Ruhm, im Lied zu vernehmen? Dieser unterprivilegierte Spielmann rühmt sich, daß der Bardenstuhl rechtmäßig ihm zukomme: er selbst, und nicht irgendein Dichter von bloß akademischer Gelehrsamkeit, wie Phylip Brydydd, sei der wahre Erbe Taliesins. Doch um die Schicklichkeit zu wahren, wird die Sage von Gwion und Cerridwen im Gewand der Geschichte aus dem sechsten und nicht jenem aus dem dreizehnten Jahrhundert erzählt. »Die Sprache des Fremden« die, wie Phylip klagt, Gwynedd korrumpierte, ist wahrscheinlich nicht das Irische. Denn Fürst Gruffudd ap Kynan, ein begabter und fortschrittlicher Fürst, der in Irland erzogen wurde, hatte im frühen zwölften Jahrhundert irische Barden und Spielleute in sein Fürstentum eingeladen. Möglicherweise war es diese irische literarische Kolonie und nicht Irland selbst, aus der Gwion ursprünglich sein überlegenes Wissen schöpfte. Auch Norweger befanden sich in Gruffuds Gefolge. Seine sorgfältig ausgearbeiteten Vorschriften für das Auftreten der Barden und Musiker wurden beim Caerwys Eisteddfod, 1523, wieder aufgenommen. Hier folgt nun das Rätsel aus dem Hanes Taliesin, nach Lady Charlotte Guests Übersetzung. Darin beantwortet Klein Gwion die Fragen König Maelgwyns, wer er sei und woher er komme:

Erster Oberbarde bin ich bei Elphin,
Und mein Herkunftsland ist die Region der Sommersterne;
Idno und Heinin nannten mich Merddin,
Einst werden alle Könige mich Taliesin nennen.

  • 5 Ich war bei meinem Herrn in der höchsten Sphäre,
    bei Luzifers Fall in die Höllentiefe,
    Vor Alexander trug ich das Banner;
    Ich weiß die Namen der Sterne von Nord bis süd;
    ich war auf der Galaxie beim Thron des Spenders;
  • 10 Ich war in Kanaan, als Absalom erschlagen wurde;
    Ich begleitete Awen (den Göttlichen Geist) auf die Ebene im Tale Hebron;
    Ich war am Hof von Don vor Gwydions Geburt
    Ich war der Lehrer von Elia und Henoch;
    Ich bin beflügelt vom Genius des herrlichen Bischofs;
  • 15 Ich war schon beredt, bevor ich die Gabe der Sprache erhielt;
    Ich war am Ort der Kreuzigung des gnadenvollen Sohnes Gottes;
    Ich war drei Epochen im Kerker von Arianrhod;
    Ich war der Führer der Arbeiter an Nimrods Turm;
    Ich bin ein Wunder, dessen Ursprung niemand kennt.
  • 20 Ich war bei Noa auf der Arche in Asien,
    Ich sah die Zerstörung von Sodom und Gomorra;
    Ich war in Indien, als Rom erbaut wurde;
    Jetzt bin ich hergekommen zu den Resten Trojas.
    Ich war bei meinem Herrn in der Eselskrippe
  • 25 Ich stärkte Moses in den Wassern des Jordan
    Ich war mit Maria Magdalena am Firmament;
    Ich habe aus Caridwens Kessel die Muse erhalten;
    Ich war der Barde der Harfe bei Lleon of Lochlin.
    Ich war auf dem White Hill am Hofe von Cynvelyn,
  • 30 Ein Tag und ein Jahr im Stock und in Fesseln,
    Ich litt Hunger nach der Jungfrau Sohn,
    Ich ward genährt im Lande der Gottheit,
    Ich war Lehrer aller Geister,
    Ich vermag das ganze Universum zu lehren.
  • 35 Ich werde bis zum Tag des Gerichts auf dem Antlitz der Erde weilen;
    Und niemand weiß, ob mein Leib Fleisch oder Fisch;
    Dann war ich neun Monate lang
    Im Schoß der Hexe Caridwen;
    Anfangs war ich Klein-Gwion
  • 40 Und einst werd ich Taliesin sein.

Der trügerische Ruf dieses Kiebitz! Gwion war nicht so unwissend in biblischer Geschichte, wie er vorgab. Er mußte wissen, daß Moses nie den Jordan überschritten hat, daß Maria Magdalena niemals ans Firmament erhoben wurde und daß der Prophet Jesaja Jahrhunderte vor Alexander dem Großen von Luzifers Sturz berichtete. Aber durch diese scheinbar unsinnigen Aussagen ließ ich mich nicht von dem Geheimnis fortlocken, und so begann ich das Rätsel zu entdecken, indem ich mir folgende Fragen beantwortete:

  • Zeile 11. Wer begleitete den Heiligen Geist nach Hebron?
  • Zeile 13. Wer unterwies Henoch?
  • Zeile 16. Wer wohnte der Kreuzigung bei?
  • Zeile 25 - Wer durchquerte die Wasser des Jordan, während es Moses verboten war?

Ich war zuversichtlich, daß ich einen weißen Schimmer im verwobenen Dickicht entdecken würde, dort, wo der Rehbock stand. Nun starb Moses, dem Pentateuch zufolge, am Pisga auf der anderen Seite des Jordan, »und kein Mensch weiß bis auf diesen Tag sein Grab«; und von allen Kindern Israels, die mit ihm aus der Sklaverei in die Wildnis gezogen waren, betraten nur zwei, Kaleb und Josua, das verheißene Land. Als Kundschafter hatten sie bereits einmal kühn den Fluß überschritten. Es war Kaleb, der auf Geheiß von Israels Gott Hebron von den Anakim eroberte, das ihm von Josua als sein Erbe zugesprochen wurde. Ich erkannte also, daß der Hund mit seinen Zähnen das ganze Gedicht in Stücke gerissen und daß der listige Kiebitz diese irreführend wieder zusammengesetzt hatte, wie er es auch mit den verstümmelten Teilen der Früchte-Passage im Cad Goddeu getan hatte. Die ursprüngliche Aussage lautete: »Ich begleitete den Heiligen Geist durch die Wasser des Jordan, zur Ebene im Tale Hebron.« Und das »Ich« war zweifellos Kaleb. Falls der gleiche Trick bei jeder Zeile des Hanes Taliesin angewandt worden war, konnte ich noch weiter in das Dickicht eindringen. Ich konnte das Gedicht als eine Art Akrostikon auffassen, zusammengesetzt aus zwanzig oder dreißig Rätseln, deren jedes eine eigene Lösung erforderte; die Antworten zusammengenommen versprachen ein Geheimnis mitzuteilen, das es wohl wert war, entdeckt zu werden. Zuerst aber mußte ich die einzelnen Rätsel sortieren und neu zusammenfügen. Nachdem das irreführende »durch die Wasser des Jordan« aus Zeile 25 ausgeschieden war, blieb übrig: »stärkte ich Moses«. Nun, wer hat Moses gestärkt? Und wo fand diese Stärkung statt? Ich erinnerte mich, daß Moses am Ende seines Kampfes mit den Amalekitern Stärkung erfuhr, indem seine Hände von zwei Gefährten gehalten wurden. Wo fand diese Schlacht statt, und wer waren jene, die ihn stärkten? Sie fand statt bei Jahwe Nissi, nahe dem Berg Gottes, und die ihn stärkten, waren Aaron und Hur. So konnte ich das Rätsel zusammensetzen wie folgt: »Ich stärkte Moses im Lande der Gottheit.« Und die Antwort lautete: »Aaron und Hur.« Falls nur ein Name gesucht war, müßte es wahrscheinlich Hur sein, denn dies ist seine einzige im Pentateuch berichtete Tat. Ähnlich mußte ich, in Zeile 25, »Ich war mit Maria Magdalena« von dem irreführenden »am Firmament« trennen und den fehlenden Teil des Rätsels in einem anderen Vers suchen, und ich fand sie, indem ich die Liste der bei der Kreuzigung Anwesenden durchging; Simon von Kyrene, der Apostel Johannes, die Heilige Veronika, Dysmas der gute Räuber, Gestas der böse Räuber, der Kenturion, die Jungfrau Maria, Maria Kleophas, Maria Magdalena ... Aber ich hatte nicht jene Frau übersehen, die (nach dem apokryphen Evangelium des Jakobus) als allererste das Jesuskind angebetet hatte und die erste Zeugin seiner jungfräulichen Geburt (Parthenogenesis) und seine treueste Jüngerin war. In Markus 15 heißt es, daß sie neben Maria Magdalena stand. Also: »Ich war bei Maria Magdalena am Ort der Kreuzigung des gnadenvollen Sohnes Gottes.« Die Antwort lautete: Salome. Wer unterwies Henoch?
(Elia gehört anscheinend nicht in den Zusammenhang dieses Rätsels.) Ich stimme mit Charles, Burkitt, Oesterley, Box und anderen Bibelforschern überein, daß niemand die Gleichnisse Jesu verstehen kann, der nicht das Buch Henoch gelesen hat, das zwar aus dem Kanon der Apokryphen ausgeschieden, doch von den Urchristen eifrig gelesen wurde. Zufällig habe ich das Buch gelesen und wußte also, daß die Antwort »Uriel« lauten mußte, und daß Uriel den Henoch »über Luzifers Fall in die Höllentiefe« unterrichtete. Es ist eine seltsame historische Tatsache, daß der Vers über die Unterweisung des Henoch durch Uriel weder in den Fragmenten des griechischen Buches enthalten ist, das Syncellus, der byzantinische Historiker aus dem neunten Jahrhundert, zitiert, noch in der vatikanischen Handschrift (1809), oder in den Zitaten aus dem Buch Henoch in dem Brief des Hl. Judas. Der Vers ist nur in dem bei Akhmim in Ägypten 1886 ausgegrabenen Text sowie in der äthiopischen Übersetzung eines früheren griechischen Textes zu finden, der, soweit wir wissen, die einzige im dreizehnten Jahrhundert verbreitete Version war. Wo aber war Gwion auf diese Geschichte gestoßen? Gehörte etwa auch die Kenntnis der äthiopischen Sprache zu seinen verblüffenden Fertigkeiten? Oder fand er in der Bibliothek irgendeines irischen Abtes eine vollkommene griechische Handschrift, die dem Wüten der Wikinger gegen die Bücher entgangen war? Der betreffende Abschnitt aus dem 1. Buch Henoch, 18, 11, sowie 19,1,2,3 lautet:

»Und ich sah einen tiefen Abgrund und Säulen himmlischen Feuers, und unter ihnen sah ich stürzende Feuersäulen ... Und Uriel sagte zu mir: »Hier sollen die Engel stehen, die bei Weibern lagen und deren Geister, mancherlei Gestalt annehmend, die Menschen beflecken und sie in die Irre führen, so daß sie Dämonen anbeten und ihnen opfern. Hier sollen sie stehen bis zum Tag des Gerichts ... Und die Frauen, die sie verführten, sollen Sirenen werden.« Ich, Henoch allein, sah diese Vision vom Ende aller Dinge; kein anderer soll sehen, was ich geschaut.«

Diese Entdeckung brachte mich einen Schritt weiter, zu Zeile 7: »Ich trug vor Alexander das Banner.« Unter den Taliesin zugeschriebenen Gedichten im Red Book of Hergest befindet sich ein Fragment, betitelt Y Gofelsws Byd (»Ein Entwurf der Welt«), das eine kurze Panegyrie auf den historischen Alexander enthält, sowie ein weiteres Gedicht, Anrhyfeddonau Alexander, »Die Un-Wunder Alexanders« - ein Scherz auf Kosten einer spanischen Romanze aus dem dreizehnten Jahrhundert, die dem Alexander Abenteuer zuschreibt, die eigentlich zum Merlin-Mythos gehören - und die spöttisch berichtet, wie Alexander ins Meer eintauchte und dort »unter den Fischen Geschöpfe von vornehmer Herkunft ...« - antraf. Doch keines dieser Gedichte gab mir einen Schlüssel zu dem Rätsel. Sollte es wörtlich aufgefaßt werden, dann hätte ich als Antwort wohl »Neoptolemos« vermutet, jenen Mann, der einer der Leibwächter Alexanders war und beim Sturm auf Gaza als erster die Mauer erklomm. Wahrscheinlich aber wurde Alexander nur als Reinkarnation Moses' erwähnt. Als Alexander zu Beginn seiner Eroberungen im Osten nach Jerusalem kam, verzichtete er laut Josephus - darauf, den Tempel zu plündern; vielmehr verneigte er sich und betete das Tetragramm am Stirnreif des Hohepriesters an. Erstaunt fragte sein Gefährte Parmenio, warum in aller Welt er sich so unköniglich benähme. Alexander antwortete: » Ich habe nicht den Hohepriester selbst angebetet, sondern den Gott, der ihm sein Amt verliehen. Tatsächlich habe ich, als ich in Dios in Makedonien weiIte, genau diesen Mann in einem Traum geschaut, genau so gekleidet wie eben. In meinem Traum haderte ich mit mir selbst, ob ich Asien erobern solle, und dieser Mann ermutigte mich, nicht länger zu zögern. Ich sollte, so sagte er, mit meinem Heer kühn die Meerenge überschreiten, denn sein Gott würde vor mir wandeln und mir helfen, die Perser zu besiegen. Darum bin ich jetzt überzeugt, daß Jahwe auf meiner Seite ist und meine Heere zum Sieg führen wird.« Dann ermutigte der Hohepriester Alexander noch einmal, indem er ihm die Prophezeiung des Buches Daniel zeigte, die ihm die Herrschaft über den Orient verhieß; und er stieg zum Tempel hinauf, opferte Jahwe und schloß einen großmütigen Frieden mit dem jüdischen Volk. Die Prophezeiung bezeichnete Alexander als den »doppelgehörnten König«, und in der Folge ließ er sich auf seinen Münzen mit zwei Hörnern abbilden. Im Koran tritt er als Dhul Karnain, der »Zwei-Gehörnte« auf. Auch Moses war »zweigehörnt«, und in der arabischen Legende schließt »EI Hidr, der immer junge Prophet«, ein einstiger Sonnen-Heros des Sinai, sowohl mit Moses wie mit Alexander Frieden, »an dem Ort, wo zwei Meere zusammentreffen«. Für den gelehrten Gwion war daher ein Alexander vorangetragenes Banner zugleich auch ein Banner, das Moses vorangetragen wurde; und St. Hieronymus oder seine jüdischen Mentoren hatten bereits die Hörner Alexanders mit denen des Moses gleichgesetzt. Das Banner Moses' war »Nehuschtan«, die Bronze-Schlange, die er emporhielt, um in der Wüste die Pest abzuwehren. Als er dies tat, wurde er zu einem »Alexander«, d. h. »Wehrer des Übels von den Menschen«. Die Antwort auf dieses Rätsel lautet also »Nehuschtan«, oder, in der Schreibweise der griechischen Septuaginta, wo Gwion, wie ich mir vorstellen kann, die Geschichte gelesen hatte, »Ne-Esthan«. Wir müssen uns auch daran erinnern, daß diese Bronzeschlange im Evangelium nach Johannes und im apokryphen Brief des Barnabas, 7,7, eine Gestalt Jesu Christi ist. Barnabas betont, daß die Schlange »an einem hölzernen Pfahl«, d. h. am Kreuz hing und die Macht hatte, Tote lebendig zu machen. In Numeri, 21,19, wird sie als »Seraph« bezeichnet, ein Name, den Jesaja den fliegenden Schlangen gab, die ihm in seiner Vision als Begleiter des lebendigen Gottes erschienen und mit einer brennenden Kohle vom Altar auf ihn zu flogen. Das nächste Rätsel, das ich lösen mußte, eine Kombination der Zeilen 9 und 26, lautete: »Ich war am Firmament, auf der Galaxie.« Die Galaxie, oder die Milchstraße, entstand angeblich aus der Milch der Großen Göttin Rhea von Kreta, die sie nach der Geburt des Knaben Zeus über den Himmel verspritzte. Da aber der Name der Großen Göttin von jedem Mythographen anders angegeben wird - Hygin z. B. zweifelt, ob er sie Juno oder Ops (Reichtum) nennen soll - gibt Gwion uns großzügig noch einen weiteren Hinweis: »Als Rom erbaut wurde.« Korrekt setzt er eine kretische Göttin mit einer römischen gleich und erkennt - noch überraschender - Romulus als lateinischen Gott, der der gleichen Religion angehört wie der kretische Zeus. Romulus' Mutter hieß ebenfalls Rhea, und falls sie Probleme mit ihrer Milch hatte, weil sie ihre Zwillinge entwöhnen mußte, um ihre Geburt zu verheimlichen, so erging es der kretischen Rhea ähnlich. Der wichtigste Unterschied lag darin, daß Romulus und Remus eine Wölfin als Amme hatten, während Zeus (und manche meinen, auch sein Nährbruder, der Ziegengott Pan) von der Ziege Amalthea gesäugt wurde, deren Fell er nachmals als Mantel trug. Oder, wie wieder andere meinen, von einer weißen Bache. Beide, Romulus und Zeus, wurden von Hirten aufgezogen. Also: »Ich war am Firmament, auf der Galaxie, als Rom erbaut wurde. « Die Antwort lautet »Rhea«, wenngleich auf der Galaxie nicht Rhea selbst, sondern die Spritzer ihrer Milch - griechisch rhea - waren. Schon vor Gwion hatte der Historiker Nennius Rhea, der Mutter des Romulus, mehr Bedeutung zugestanden als die klassischen Mythologen: Nennius nennt sie »die allerheiligste Königin«. Dieses Rätsel ist absichtlich irreführend. Die einzige Legende über die Galaxie, die Heinin und den anderen Barden an Maelgwyns Hof bekannt sein mochte, betrifft Blodeuwedd, die Gwydion als Braut des Llew Llaw Gyff es bezeichnet. Ein anderer Name Llews war Huan, und Blodeuwedd wurde in eine Eule verwandelt und Twyll Huan (»die Täuschung Huans«) genannt, weil sie Llews Tod verursacht hatte: das walisische Wort für Eule ist tylluan. Die Sage von Blodeuwedd und der Milchstraße findet sich in den Penzardd Handschriften:

»Die Gemahlin des Huan ap Don war an der Ermordung ihres Gatten beteiligt und behauptete, er sei auf die Jagd gegangen. Sein Vater Gwydion, der König von Gwynedd, zog auf der Suche nach ihm durch alle Länder, bis er zuletzt in Caer Gwydion, das heißt auf der Milchstraße, eine Spur fand, auf der er ihn im Himmel suchen mußte. Und dort fand er ihn. Als Vergeltung für das von der jungen Frau begangene Unrecht verwandelte er sie in einen Vogel, und sie floh vor ihrem Schwiegervater und heißt bis heute Twyll Huan. So verfuhren die Briten einst mit ihren Geschichten und Sagen nach Art der Griechen, um sie im Gedächtnis zu behalten.«

Anzumerken wäre, daß die Form »Caer Gwydion« anstelle von »Caer Wydion« auf die späte Entstehung des Mythos hinweist. Blodeuwedd war (wie im zweiten Kapitel ausgeführt) Olwen, »Sie von der Weißen Spur«, und somit tat Gwydion recht, sie in der Galaxie zu suchen: Rhea mit ihrer weißen Sternenspur war das himmlische Gegenstück zu Olwen Blodeuwedd mit ihrer Spur von weißen Kleeblüten. Wer erlebte, in Zeile 21, die Zerstörung von Sodom und Gomorra? Lot, oder vielleicht das namenlose »Weib Lots«? Wer war, in Zeile 18, »der Führer der Arbeiter an Nimrods Turm?« Wieder durchschaute ich den Trick des Kiebitz. Denn in Wirklichkeit mußte die Frage lauten: »An welchem Turm war Nimrod der Führer der Arbeiter?« Die Antwort hieß: »Babel«. Seit Jahren schon gingen mir Gowers Verse über die Widrigketen durch den Sinn, die Nimrod und seine Maurer erlitten, als die Sprachverwirrung begann:

»Einer rief nach Steinen, sie brachten ihm Dachziegel,
Und Nimrod, der große Meister,
Er tobte wie ein junger Löwe.«

Wer war, in Zeile 24, »bei meinem Herrn in der Eselskrippe«? Hieß die Antwort etwa »Windeln«? Dann lenkte jemand meine Aufmerksamkeit auf die Textstelle Lukas 2, 16: »Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Joseph, dazu das Kind, in der Krippe liegen.« Hier gibt Gwion sich schelmisch: wörtlich kann man die Stelle so verstehen, als ob Joseph, Maria und das Kind alle miteinander in der Krippe lägen. Die Antwort lautet offenbar »Joseph«, denn dies war der herrlichste Augenblick im Leben des Heiligen Joseph. Wer aber sprach, in Zeile 23, »jetzt bin ich hergekommen zu den Resten Trojas«?
Laut Nennius, Sigebertus Gemiasensis, Geoffrey of Monmouth und anderen landete Brutus, der Enkel des Äneas, mit den Überresten der Trojaner bei Totnes in Devon im Jahr 1074 v. Chr. also 109 Jahre nach dem für den Untergang Trojas angenommenen Datum. Ein Volk, das sieben Jahrhunderte später über die Mor Tawch (die Nordsee) kam und sich mit ihnen vereinte, waren die Cymry. Diese huldigten der Vorstellung, daß sie von Gomer, dem Sohn Japhets abstammten und weither, von Taprobane (Ceylon - siehe Triaden 54), über Kleinasien gewandert waren, bevor sie sich in Llydaw, Nordbritannien, niederließen. Also: »Ich war in Indien und Asien (Zeile 20), und jetzt komme ich her zu den Resten Trojas.« Die Antwort lautete: »Gomer«. »Ich weiß die Namen der Sterne von Nord bis Süd«, Zeile 8, ist ein Hinweis auf einen der »Drei Glücklichen Astronomen« von Britannien, die in den Triaden erwähnt werden, und aus dem Satz, »Mein Herkunftsland ist die Region der Sommersterne« (d. h. der Westen), der zu diesem Rätsel zu gehören scheint, folgerte ich, daß kein griechischer, ägyptischer, arabischer oder babylonischer Astronom gemeint war. Nachdem Idris der erstgenannte unter den drei Astronomen ist, mußte die Antwort wahrscheinlich »Idris« lauten. »Ich war auf dem White Hill, am Hof von Cynvelyn (Cymbeline)«, in Zeile 29, gehört offenbar zusammen mit »Ich war am Hof von Dan vor Gwydions Geburt« in Zeile 12. Die Antwort hieß »Vron« oder »Bran«, dessen Haupt, der Romance of Branwen zufolge, als Schutz gegen feindliche Invasionen auf dem White Hill (Tower Hill) zu London begraben wurde - ähnlich wie das Haupt des Königs Eurystheos von Mykene auf einem Paß begraben wurde, der den Zugang zu Athen beherrschte, und wie angeblich das Haupt Adams am nördlichen Zugang nach Jerusalem begraben war - bis König Arthur es exhumierte. Denn Bran war ein Sohn von Don (Danu), lange vor der Ankunft des Belgiers Gwydion. [2] Die Antwort auf »Ich war in Kanaan, als Absalom erschlagen wurde«, Zeile 10, lautete eindeutig: »David«. König David überschritt den Jordan und zog zur kanaanitischen Fluchtburg Mahanaim, während Joab die Schlacht im Wald von Ephraim ausfocht. Dort, an der Pforte, erfuhr er die Nachricht von Absaloms Tod. Zum Lobpreis des St. David-Sees verband Gwion diesen Satz mit »Ich bin beflügelt vom Genius des herrlichen Bischofs«. (»And St. David!« lautete bei den Royal Welsh Fusiliers das Treuebekenntnis im Anschluß an alle unsere Toasts auf den 1. März.) Eines der wichtigsten Ziele des Fürsten Llewelyn und der anderen walisischen Patrioten in Gwions Tagen war, ihre Kirche von der englischen Vorherrschaft zu befreien. Geraldus Gambrensis hatte den größten Teil seines streitbaren Lebens als Kleriker dem Bemühen gewidmet, den St. David-See von Canterbury unabhängig zu machen und dort einen walisischen Erzbischof einzusetzen. Aber König Heinrich II. und seine beiden Söhne sorgten dafür, daß nur politisch zuverlässige, normannisch-französische Kleriker an den walisischen Seen eingesetzt wurden.

Und Appelle der Waliser an den Papst fanden keine Beachtung, weil die Macht der Angevin-Könige beim Vatikan mehr Einfluß hatte als die mögliche Belohnung durch ein armes, geteiltes und fernes Fürstentum. Wer war »mit Noah in der Arche«, nachdem das irreführende »in Asien« ausgeschieden war? Ich vermutete »Hu Gadarn«, der den Triaden zufolge die Cymry aus dem Osten hergeführt hatte. Mit seinem pflügenden Ochsengespann hatte er auch das Ungeheuer avanc aus dem Zaubersee herauf geholt, das diesen in einer Weltflut zum Überlaufen brachte. Er war »bei der Sintflut zwischen den Knien Dylans genährt« worden. Aber der Kiebitz, so stellte ich später fest, hatte mutwillig Dylan gegen Noa vertauscht; Noa gehört eigentlich zum Henoch-Rätsel in Zeile 13. Das vorliegende Rätsel muß lauten: »Ich wurde in der Arche genährt.« Aber es könnte auch um den Satz aus Zeile 33 erweitert werden: »Ich war der Lehrer aller Intelligenzen«, denn Hu Gadarn, »Hu der Mächtige«, der mit dem alten Gott Hu der Channel Island gleichgesetzt wurde, war der Menes oder Palamedes der Cymry und hatte sie - »in der Gegend, wo heute Konstantinopel liegt« das Pflügen, die Musik und den Gesang gelehrt. Wer hatte, in Zeile 27, »die Muse aus Caridwens Kessel empfangen«? Gwion selbst. Aber Caridwens Kessel war kein bißer Hexenkessel. Es wäre nicht unbegründet, in ihm den auf griechischen Vasen abgebildeten Kessel zu erkennen, auf dem statt Caridwen der Name »Medea« eingeschrieben war, der korinthischen Göttin, die, ähnlich wie die Göttin Thetis, ihre Kinder getötet hatte. In diesem Kessel kochte sie den alten Äson, um ihm die Jugend wiederzugeben; es war der Kessel der Wiedergeburt und Wiederbeseelung. Doch als die andere Medea, nämlich Jasons Gattin, dem alten PElias von Jolkos jenen berühmten Streich spielte (wie Diodorus Siculus berichtet), bei dem sie seine Töchter überredete, ihn in Stücke zu schneiden und ihn zu schmoren, damit er wieder jung werde, und sie darauf hin skrupellos als Vatermörderinnen anklagte, verbarg sie ihre korinthische Nationalität und gab sich als hyperboreische Göttin aus. Anscheinend hatte Pelias von dem hyperboreischen Kessel erfahren, dem er mehr vertraute als dem korinthischen. »Niemand weiß, ob mein Körper Fleisch oder Fisch.« Dieses Rätsel, in Zeile 36, war nicht schwer zu beantworten. Ich erinnerte mich an die langen Dispute der mittelalterlichen Kirche, ob es rechtens wäre, an Freitagen und anderen Fastentagen Bernikelgänse zu essen. Die Bernikelgans brütet nicht auf den britischen Inseln. (Durch meine Hände ging das erste Gelege ihrer Eier, das je nach England gelangte; es war auf Spitzbergen in der Arktis gefunden worden.) Damals glaubte man allgemein,

sie schlüpfe aus der Gänsebernikel - laut Oxford English Dictionary » eine weiße Meermuschel von der blütenstieligen Art Cirripedes«. Die langen, federartigen Cirren, die aus den Röhren hervorstehen, erinnern an Federn. Giraldus Gambrensis sah einmal mehr als tausend embryonale Bernikelgänse an einem Stück Treibholz vor der Küste hängen. Campion schrieb in seiner elisabethanischen History of Ireland: »Bernikeln hängen zu Tausenden mit ihren Schnäbeln an den Kanten versteinerter Hölzer vor den Küsten ... wobei sie Lebenswärme von der Sonne erhalten und zu Wasservögeln heranreifen.« Daher galten die Bernikelgänse bei manchen nicht als Vögel, sondern als Fische - und waren mithin als Fastenspeise der Mönche zulässig. Das Wort »Bernikel« entstand - dem gleichen Lexikon zufolge - aus dem walisischen brenig oder dem irischen bairneach, was Napfschnecke oder Bernikelmuschel bedeutet. Außerdem ist der andere Name der Bernikelgans, »brent« oder »brant«, anscheinend aus dem gleichen Wort entstanden. Der elisabethanische Naturforscher Caius nannte sie Anser Brendinus und schrieb über sie: » »Bernded« oder »Brendet« wird dies Tier genannt.« Dies deutet einen Zusammenhang zwischen bren, bairn, brent, brant, bern und Bran an, der wie aus dem ursprünglichen Cad Goddeu hervorgeht - ein Gott der Unterwelt war. Die Wanderung der Wildgänse nach Norden wird in der britischen Sage mit der Verbannung der verdammten Seelen oder der Seelen der ungetauften Kinder in die eisige Nordhöhle in Verbindung gebracht. In Wales glaubt man, der Schrei der unsichtbar über den Nachthimmel ziehenden Gänse stamme von den Cwm Annwm (»Höllenhunden« mit weißen Körpern und roten Ohren), in England glaubt man, es seien die Yell Hounds, Yeth Hounds, Wish Hounds, Gabriel Hounds oder Gabriel Ratchets. Der Jäger wird verschiedentlich Gwyn (»der Weiße«) genannt - in Glastonbury gab es in vorchristlicher Zeit einen Gwyn-Kult - Herne the Hunter und Gabriel. In Schottland ist es Arthur. »Arthur« mag hier für »Arddu« (»der Dunkle«) stehen ... Satans Name in der walisischen Bibel. Doch sein ursprünglicher Name in Britannien war anscheinend Bran, im Walisischen Vron. Das Fisch-oder-Fleisch-Rätsel muß daher zu den beiden anderen, bereits gelösten Vron-Rätseln gehören. Der alternative Text des Hanes Taliesin, wie er in der Myvyrian Archaiology veröffentlicht ist, wird von D. W. Nash wie folgt ins Englische übersetzt (diese Übersetzung bildet die Grundlage der deutschen Übertragung, Anm. d. Ü.):

  1. Ein unparteiischer Oberbarde
    Bin ich bei Elphin.
    Mein gewohntes Land
    Ist das Land der Cherubim.
  2. Johannes der Seher
    Wurd ich von Merddin genannt,
    Einst wird jeder König
    Mich Taliesin nennen.
  3. Ich war beinah drei Monate
    Im Bauch der Hexe Caridwen;
    Zuerst war ich Klein-Gwion
    Zuletzt bin ich Taliesin.
  4. Ich war bei meinem Herrn
    In der höchsten Sphäre,
    Bei Luzifers Fall
    In die Höllentiefe.
  5. Vor Alexander
    Trug ich das Banner.
    Ich weiß die Namen der Sterne
    Von Nord bis Süd.
  6. Ich war in Caer Bedion
    Tetragramm;
    Ich begleitete Heon (den Göttlichen Geist)
    Hinab ins Tal von Hebron.
  7. Ich war in Kanaan,
    Als Absalom erschlagen ward;
    Ich war am Hof von Dan,
    Schon vor Gwydions Geburt.
  8. Ich saß auf den Kruppen der Pferde
    Von Elia und Henoch;
    Ich war auf dem hohen Kreuz
    Des gnadenvollen Sohn Gottes.
  9. Ich war der Führer der Arbeiter
    an Nimrods Turm
    Ich habe dreimal gewohnt
    Im Schloß von Arianrhod.
  10. Ich war in der Arche
    Mit Noah und Alpha;
    Ich sah die Zerstörung
    von Sodom und Gomorra.
  11. Ich war in Afrika (Asien?),
    Vor Rom erbaut war;
    jetzt komme ich her
    Zu den Resten von Troja.
  12. Ich war bei meinem König
    In der Eselskrippe;
    Ich stärkte Moses
    in den Wassern des Jordan.
  13. Ich war am Firmament
    Mit Maria Magdalena
    Ich empfing meine Inspiration
    Aus dem Kessel von Caridwan.
  14. Ich war der Barde der Harfe
    Bei Deon von Llychlyn;
    Ich habe Hunger gelitten
    Mit dem Sohn der Jungfrau.
  15. Ich war im Weißen Berg
    In der Burg von Cynvelyn,
    Im Stock und in Fesseln
    Anderthalb Jahr.
  16. Ich war in der Speisekammer
    Im Land der Dreifältigkeit;
    Niemand weiß, welcher Art
    Sein Fleisch und sein Fisch.
  17. Ich bin unterwiesen
    Über das ganze System des Universums;
    Ich werde bis zum Tag des Gerichts
    Auf dem Antlitz der Erde sein.
  18. Ich saß auf einem unbequemen Stuhl
    Über Caer Sidin,
    Und das Herumwirbeln ohne Bewegung
    Zwischen drei Elementen
  19. Ist es nicht das Wunder der Welt,
    Das nicht entdeckt werden kann?

Dies ist eine andere Reihenfolge, und der Kiebitz war auch hier am Werk. Aus den Varianten habe ich viel gelernt. Anstelle von »das Land der Sommersterne« heißt es hier »das Land der Cherubim«. Beides bedeutet das gleiche. Aus dem 18. Psalm (Vers II) geht hervor, daß die Cherubim Engel waren, die auf den Fittichen des Windes schweben; und daher sind sie für den Waliser Bewohner des Westens, der Richtung, aus der neun von zehn Stürme wehen. Die Sommersterne sind diejenigen aus dem westlichen Teil des Firmaments. Die ersten beiden Zeilen in Strophe 18, » Ich saß auf einem unbequemen Stuhl über Caer Sidin« halfen mir weiter. Denn auf dem Gipfel des Cader Idris gibt es einen Steinsitz, den »Chair of Idris«, »Stuhl des Idris«, und die lokale Überlieferung behauptet, daß jeder, der auf ihm die Nacht verbringt, am andern Morgen tot, verrückt oder als Dichter aufgefunden wird. Der erste Teil dieses Satzes gehört offenbar zum Idris-Rätsel, wenngleich Gwion in seinem Kerdd am Velb Llyr einen »vollkommenen Stuhl« in Caer Sidi (»das kreisende Schloß«) erwähnt, der elysischen Burg, wo Caridwens Kessel stand. Der Text der 2. Strophe, »Johannes der Seher wurd ich von Merddin genannt«, scheint mit Absicht verstümmelt, denn in der Version des Mabinogion heißt es, »ldno und Heinin nannten mich Merddin«. Anfangs glaubte ich, die Zeile hieße ursprünglich: »Johannes war ich genannt und Merddin der Seher«, und insoweit hatte ich recht. Merddin, der in mittelalterlichen Romanzen zu Merlin stilisiert wird, war der berühmteste antike Prophet der britischen Überlieferung. Offenbar besagt der Vers, daß Gwion von Heinin, dem Oberbarden Maelgwyns, Merddin, »Bewohner des Meeres«, genannt wurde, weil er, wie der ursprüngliche Merddin, von geheimnisvoller Geburt war und noch als Kind die Bardenakademie in Gyganwy in Erstaunen gesetzt hatte, ähnlich wie Merddin (laut Nennius und Geoffrey of Monmouth) die Weisen des Vortigern verwirrt hatte; daß er auch »Johannes der Täufer« genannt worden war (»Und du, Kindlein, wirst ein Prophet des Höchsten heißen«, Luk. 1,76); daß aber schließlich alle ihn Taliesin (»strahlende Stirn«), den Ersten unter den Dichtern nennen würde.

MacCulloch meint, daß es noch einen früheren Taliesin als diesen Barden aus dem sechsten Jahrhundert gab und daß er ein keltischer Apollon war; dies würde die »strahlende Stirn« erklären, wie auch sein Erscheinen unter anderen vergessenen Göttern und Helden an König Arthurs Hof, in der Romance of Kilhwch and Olwen. (Apollon selbst war einst ein Bewohner des Meeres gewesen - der Delphin war ihm heilig - und seltsamerweise wurde Johannes der Täufer anscheinend von den frühchristlichen Synkretisten in Ägypten mit dem chaldäschen Gott Oannes gleichgesetzt, der, Berossus zufolge, in langen Zeitabständen immer wieder in der Verkleidung eines Tritons am Persischen Golf erschien und sich den Gläubigen in seiner ursprünglichen Gestalt offenbarte. Noch komplizierter wird die Sache durch den Mythos von Huan, dem Opfer der Blumengöttin Blodeuwedd, der in Wirklichkeit der Gott Llew Llaw war, ein weiterer »Bewohner des Meeres«.)

Ich habe lange gebraucht, um zu erkennen, daß der verborgene Sinn der 2. Strophe, der die Textverstümmelung notwendig machte, eine häretische Paraphrase jener Stelle aus den drei synoptischen Evangelien war (Matth. 16, 14; Markus 6, 15; Lukas 9,7,8,):

»Etliche sagen, du seiest Johannes der Täuf er; die anderen, du seiest Elia; etliche, du seiest Jeremia, oder der Propheten einer ... Da antwortete Simon Petrus und sprach: Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!«

Die Ergänzung »und Elia« steht in der 8. Strophe. Das Göttliche Kind spricht als Jesus Christus, wie er es auch, so glaube ich, in der 14. Strophe tut: »Ich litt Hunger mit dem Sohn der Jungfrau.« Damals war Jesus allein - bis auf den Teufel und die »wilden Tiere«. Aber der Teufel leidet keinen Hunger; und die im Kontext der Versuchung erwähnten »wilden Tiere« waren, wie die scharfsinnigsten Bibelkritiker - z. B. A. A. Bevan und T. K. Cheyne behaupten, ebenso auf der Seite des Teufels. In der Mabinogion-Version, Zeile 31, heißt es: »Ich litt Hunger nach der Jungfrau Sohn«, was aufs gleiche hinausläuft: Jesus hungerte für sich allein. Die Antwort auf dieses Rätsel hieß einfach »Jesus«, ähnlich wie die Antwort auf den Satz »Johannes, und Merddin der Seher, und Elias war ich genannt« eben »Taliesin« war.
»Ich war in der Arche mit Noa und Alpha«, 10. Strophe, und »Ich war in Caer Bedion, Tetragramm«, 6. Strophe, müssen sich beide auf den »Heiligen unaussprechlichen Namen Gottes« beziehen. »Alpha und Omega« waren eine Umschreibung des göttlichen Namens, die man öffentlich aussprechen durfte; und »Tetragramm« war die kryptographische hebräische Schreibweise für den in vier Buchstaben als JHWH geschriebenen Göttlichen Namen. Zuerst glaubte ich, daß »Ich war in Caer Bedion« zu dem Lot-Rätsel gehöre: denn »Lot« ist der normannisch-französische Name für Lludd, jenen König, der London gründete, und Caer Bedion ist Caer Badus, oder Bath, das Geoffrey of Monmouth zufolge von Lludds Vater Bladud erbaut wurde. Aber für den Waliser Gwion war Lludd nicht »Lot«, und es wird auch nirgends berichtet, daß Lludd in Bath gelebt habe. Das Rätsel um »Caer Bedion« ließ ich also einstweilen offen, und auch das Rätsel »Ich war Alpha Tetragramm« - falls das Rätsel aus dieser Verbindung bestand - aber die Antwort war zweifellos ein vierbuchstabiger, mit einem »A« beginnender göttlicher Name. Inzwischen fragte ich mich, wer war der »Barde der Harfe bei Deon, oder Lleon, oder Llochlin, oder Llychlyn« (Zeile 28; 14. Strophe)? »Deon, der König von Llochlin und Dublin« ist eine merkwürdig komplexe Figur. Deon ist eine andere Schreibweise von Don, der, wie wir sagten, eigentlich Danu war, die Göttin der Tuatha dé Danaan - der Erorberer Irlands -,die zu einem König von Lochlin, oder Lochlann, und Dublin patriarchalisiert wurde. Lochlann war die mythische, unterseeische Heimat der späteren fomorischen Invasoren Irlands, mit denen die Tuatha dé Danaan einen blutigen Krieg ausfochten. Dort regierte der Gott Tethra. Anscheinend wurden die Sagen über den Krieg dieser beiden Völker von späteren Dichtern zu Balladenzyklen umgearbeitet, welche die Kriege zwischen den Iren und Dänen und norwegischen Piraten feierten. So kam es, daß die Skandinavier als »die Lochlannach« bezeichnet wurden und daß der dänische König von Dublin als »König von Lochlin« figurierte. Als der Kult des skandinavischen Gottes Odin, des Runen-Machers und Magiers, nach Irland kam, wurde er mit seinem Gegenstück Gwydion gleichgesetzt, der im vierten Jahrhundert v. Chr. ein neues Buchstabenalphabet nach Britannien mitgebracht hatte und als Sohn der Danu oder Don anerkannt wurde. Außerdem waren die Dänen der Sage zufolge aus Griechenland, über Dänemark, dem sie den Namen ihrer Göttin gaben, nach Britannien gekommen, und im mittelalterlichen Irland wurden Danaan und Dänen verwechselt, wobei die Monumente der Bronzezeit den Dänen des neunten Jahrhunderts n. Chr. zugeschrieben wurden. Daher muß »Deon of Lochlin« für »die Dänen von Dublin« stehen. Diese Piraten mit ihrer See-Raben-Flagge waren der Schrecken der Waliser, und der Spielmann der Dänen von Dublin war vermutlich der dem Odin geweihte See-Rabe, der über ihren Opfern krächzte. Falls dies zutrifft, war die Antwort auf das Rätsel »Morvran« (See-Rabe) nämlich der Sohn der Caridwen und, der Romance of Kilhwch and Olwen zufolge, der häßlichste Mensch auf Erden. In den Triads heißt es von ihm, er sei lebendig der Schlacht von Camlan - einer der »Three Frivolous Battles of Britain« - entkommen, weil jeder vor ihm zurückschrak. Er ist gleichzusetzen mit Afagddu, dem Sohn der Caridwen, dem die Romance of Taliesin die gleiche äußerste Häßlichkeit zuschreibt und den die Göttin ebenso klug wie häßlich machen wollte. Ich fragte mich, ob »Lleon of Lochlin« in der Myvyrian-Version eine mögliche Lesart sei. Arthurs Hof befand sich in Caerlleon-upon-Usk, und das Wort »Caerlleon« bezeichnet gemeinhin »das Lager der Legion«; und sicherlich werden die beiden im walisischen Catalogue of Cities aus dem siebten Jahrhundert erwähnten Caerlleons, nämlich Caerlleon-upon-Usk und Caerlleon-upon-Dee als Castra Legionis erklärt. Falls Gwion diese Ableitung des Wortes übernommen hat, müßte das Rätsel lauten: »Ich war der Barde der Harfe bei den Legionen von Lochlin«, und die Antwort wäre die gleiche. Der Name Leon taucht in Gwions »Kadeir Teynon« (»Der Königliche Stuhl«) auf: »verstümmelte Form des geharnischten Leon«, doch der Kontext ist entstellt, und »Leon« könnte der Beiname eines löwenherzigen Prinzen und nicht ein Eigenname sein. Und dann galt es, das Rätsel in der 8. Strophe zu untersuchen: »Ich saß auf den Kruppen der Pferde von Elia und Henoch« - eine Alternative zu dem irreführenden Rätsel um das Buch Henoch in der Mabinogion-Version:

»Ich war der Lehrer von Elia und Henoch«,

worauf die Antwort »Uriel« lautet. In beiden Texten gehört Elia eigentlich zu dem häretischen Rätsel um Johannes den Täufer, von dem der Kiebitz nach besten Kräften die Aufmerksamkeit abgelenkt hat; die Verknüpfung von Elia mit Henoch ist sehr geschickt. Denn diese beiden Propheten treten in verschiedenen apokryphen Evangelien als Paar auf - etwa in der Geschichte Josephs des Zimmermannes, in den Taten des Pilatus, in der Apokalypse des Petrus und in der Apokalypse des Paulus. In den Taten des Pilatus zum Beispiel, die in lateinischer Übersetzung in Wales verbreitet waren, steht der Vers:

»Ich bin Henoch, hierher gestellt durch das Wort des Herrn,
und bei mir wurde.«

Es zeigt sich aber, daß das Rätsel in der Mabinogion-Version eigentlich lauten müßte: »Ich war der Lehrer von Henoch und Noa.« In jener anderen Version, »Ich saß auf den Kruppen der Pferde von Elia und Henoch« , ist die Erwähnung des Elias überflüssig; denn Henoch wurde wie Elias in einem von Feuerrössern gezogenen Wagen in den Himmel versetzt. Daher lautet die Antwort wiederum »Uriel«, denn »Uriel« bedeutet »Flamme Gottes«.
Vielleicht könnte ich also auch auf das Rätsel »Ich war in Caer Bedion« die Antwort »Uriel« geben. Denn laut Geoffrey of Monmouth wurde im Tempel zu Caer Bedion, oder Bath, dauernd ein heiliges Feuer in Gang gehalten, ähnlich wie jenes, das in Gottes Haus zu Jerusalem brannte. Es gibt eine textliche Abweichung zwischen »ein Tag und ein Jahr in Stock und Fesseln« (Zeile 30) und »anderthalb Jahr in Stock und Fesseln« (15. Strophe). Anderthalb Jahre macht offenbar keinen Sinn, doch ein Jahr und ein Tag könnte mit den dreizehn Kerkerschlössern verglichen werden, die Elphin festhielten, falls jedes Schloß ein Monat von 28 Tagen war und er am überzähligen 365. Tag befreit wurde. Der alte, vom Common Law in Britannien vorgeschriebene Monat ist laut Blackstones Commentaries (2, IX, 142), wenn nicht anders vereinbart, 28 Tage lang, und noch heute wird ein Mondmonat volkstümlich auf diese Anzahl von Tagen veranschlagt, obwohl ein echter Mondmonat, eine Lunation von Neumond zu Neumond, etwa 29 1/2Tage dauert und obwohl die Zahl 13 als Unglückszahl gilt. Der vorchristliche Kalender mit 13 vierwöchigen Monaten und einem überzähligen Tag wurde durch den julianischen Kalender (der keine Wochen kannte) verdrängt, der letztlich auf einem Jahr von 12 dreißigtäglgen ägyptischen Monaten mit fünf überzähligen Tagen beruht. Der Autor des Buches Henoch veranschlagte in seiner Abhandlung über Astronomie und den Kalender ebenfalls das Jahr auf 364 Tage, obgleich er all jene verfluchte, die den Monat nicht mit dreißig Tagen zählten. Die alten Kalendermacher verlegten offenbar den Tag, der zu keinem Monat gehörte und daher nicht als Teil des Jahres gezählt wurde, zwischen den ersten und letzten ihrer künstlichen, achtundzwanzigtägigen Monate; so daß das BauernJahr aus der Sicht der Kalendermacher buchstäblich ein Jahr und einen Tag dauerte. In den walisischen Romanzen kommt die Zahl dreizehn immer wieder vor: »Dreizehn Kostbare Dinge«, »dreizehn Wunder von Britannien«, »dreizehn Königliche Juwelen«. Die dreizehn Kerkerschlösser waren also dreizehn Monate, und am überzähligen Tag, dem Tag der Erlösung durch das göttliche Kind, wurde Elphin freigelassen. Dieser Tag war natürlich gleich nach der Wintersonnwende - zwei Tage vor Weihnachten, wenn die Römer ihr Mittwinterfest hielten. So erkannte ich: falls die richtige Lesart lautete: »ein Jahr und ein Tag im Stock und in Fesseln«, dann mußte dieser Satz verbunden werden mit: »Erster Oberbarde bin ich bei Elphin«, Zeile 1; denn Elphin war es, der eingekerkert war. Nun widerspricht aber Gwynn Jones der üblichen Auffassung, daß das Wort Mabinogion »Jugendromanzen« bedeute; in Analogie zu dem irischen Titel Mac-ind-oic, der Angus of the Brugh verliehen wurde, meint er, es bedeute »Sagen vom Sohn einer jungfräulichen Mutter«; und er zeigt, daß es ursprünglich nur die vier Romanzen bezeichnete, in denen Pryderi, der Sohn von Rhiannon, auftritt. Dieser »Sohn einer jungfräulichen Mutter« wird immer zur Wintersonnwende geboren; nun verstehen wir die Geschichte von Phylip Brydydds Wettkampf mit den Spielleuten um das Vorrecht, dem Fürsten Rhys leuanc am Weihnachtstag als erster ein Lied vorzutragen, wie auch seine Nennung von Maelgwyn und Elphin in diesem Kontext.
Das Rätsel in der 16. Strophe, »Ich war in der Speisekammer«, bezieht sich wahrscheinlich auf Kai, der für König Arthurs Speisekammer verantwortlich war. Diese geschickt mit dem Bernikel-Rätsel vermischte Zeile müßte wohl mit »Ich war bei meinem Herrn in der höchsten Sphäre« (Zeile 5 und 5. Strophe) verbunden werden, denn Kai erscheint in den Triads als einer der dreigekrönten Häuptlinge in der Schlacht, ausgestattet mit magischen Kräften. In der Romance of Olwen und Kilhwch wird er folgendermaßen geschildert: »Er konnte neun Tage und Nächte unter Wasser den Atem anhalten und ebenso lange schlafen. Kein Arzt konnte eine von seinem Schwert zugefügte Wunde Heilen. Er konnte sich, wie es ihm beliebte, so groß wie der höchste Baum machen. Seine natürliche Körpertemperatur war so hoch, daß bei einem Regenguß alles, was er in der Hand trug, eine Handspanne nach oben und eine Handspanne nach unten trocken blieb. An den kältesten Tagen war er für seine Gefährten wie ein glühendes Feuer.« Dies entspricht der Beschreibung des Sonnen-Heros Cuchulain in seiner Kampf eswut. Doch in den späteren Arthur-Sagen war Kai zum Possenreißer und Chef der Köche herabgekommen.Die Erinnerung an das dreizehnmonatige Jahr blieb unter der heidnischen Landbevölkerung Englands mindestens bis ins vierzehnte Jahrhundert lebendig. Die Ballad of Robin Hood and the Curtal Friar beginnt: »Doch wie viele fröhliche Monate hat das Jahr? Es sind dreizehn, sage ich; Der Mittsommermonat ist der fröhlichste von allen Nächst dem fröhlichen Monat Mai.« Dies wurde in einer offenkundig späteren Ballade abgeändert:
»Es gibt zwölf Monate im ganzen Jahr höre ich manche sagen. Doch der fröhlichste Monat im ganzen Jahr
Ist der fröhliche Monat Mai.«

Texttyp

Gedichte
Lieder