»Mit soviel Frauen im Kurs, da kann man sich nicht wundern, daß da geschlafen wird.«
(Studienrat, Politische Wissenschaften, 1977)
»Na ja, da sind ja auch ein paar hübsche Mädchen in der Klasse - ein bißchen dumm, aber das macht ja nichts - so lange sie nur einen Elektroherd einschalten können!"
(Studienrat zu einem Schüler, 1977)
»Ein deutscher Mann muß das können!«
(Studienrat zu einem Schüler, 1977)
Lehrerinnen und Lehrer unterscheiden sich nicht von anderen Menschen in ihren geschlechtsspezifischen Haltungen: Sie machen denselben Sozialisationsprozeß durch. Ihre Einstellungen, Erwartungen und Verhaltensweisen Schüler(inne)n gegenüber sind von diesem Prozeß geprägt. Der eigene Klassenhintergrund, die Familiensituation, Beweggründe für die Berufswahl, eigene Erfahrungswerte mit Frauen/Männern - all dies sind Aspekte, die mitbestimmen, ob eine Person überhaupt geneigt ist, sich mit geschlechtsspezifischer Diskriminierung auseinanderzusetzen. Eine solche Auseinandersetzung muß aber stattfinden, wenn ein(e) Lehrer(in) Schüler(inne)n auf diesem Gebiet ein Bewußtsein vermitteln und einen Veränderungsprozeß unterstützen will.
Broverman u.a. stellten 70 Psychologen, Medizinern und Sozialarbeitern die Frage, welche von 122 Personalitätszügen sie als weiblich bzw. männlich bezeichnen würden.[1] Das Ergebnis war folgende Aufteilung:
Weiblich | männlich |
nicht aggressiv | aggressiv |
unfähig, Gefühle von Ideen zu trennen | nicht emotional und objektiv |
starkes Sicherheitsbedürfnis | wenig Bedürfnis nach Sicherheit |
taktvoll und sanft | unabhängig |
listig | konkurrenzfähig |
religiös | logisch |
selbstbewußt |
Das Fazit der Untersuchung: Die Befragten setzten die Eigenschaften eines Mannes mit denen eines gesunden Erwachsenen gleich. Die Personalitätszüge, die sie Frauen zuerkannten, wurden als krankhaft, aber gleichzeitig als normal für Frauen angesehen.
In Holland wurde inzwischen eine Untersuchung gemacht, die die Broverman-Studie kritisiert und darüber hinausgeht. Eines der Ergebnisse ist für uns besonders wichtig: Frauen und Männer beurteilten die Persönlichkeitszüge unterschiedlich.[2] Wir werden in den folgenden Untersuchungen über Lehrer(innen) sehen, daß sie fast nie auf die geschlechtsspezifischen Unterschiede in Einstellungen und Verhalten eingehen. Die holländische Untersuchung beweist, daß eine solche Differenzierung unbedingt notwendig wäre.
Ich werde anhand einer Reihe von Untersuchungen sowie Interviews und Unterrichtsbeobachtungen aufzeigen, daß Lehrer(innen) ähnliche geschlechtsspezifische Vorstellungen wie die oben angegebenen haben. Daraus ergeben sich unterschiedliche Erwartungen an das Verhalten und die Leistungen von Mädchen und Jungen. Auf die Auswirkungen dieser unterschiedlichen Erwartungen gehe ich dann in den folgenden Kapiteln ein.
Bei einer Befragung in den USA wählten Lehrer(innen) der 7. bis 9. Klasse, die gute Schülerinnen und Schüler beschreiben sollten, ganz ähnliche Adjektive.[3] Gaites gab Lehrer(inne)n kurze Beschreibungen von männlichen und weiblichen Studenten und bat sie, sich vorzustellen, wie das zukünftige Leben dieser Student(inn)en aussehen würde. Das Ergebnis: Erwartungen für männliche Studenten waren sehr viel größer und breiter gefächert; für weibliche Studenten stellten sich die Lehrer(innen) kaum etwas anderes als Ehe und Kinderaufzucht vor.[4] Leider ist hier nicht angegeben, wie das Verhältnis von weiblichen und männlichen Lehrern in der Untersuchung war.
Eine Untersuchung, die 1972 mit 20 Oberschullehrer(inne)n gemacht wurde,[5] kam zu dem Ergebnis, daß die meisten Lehrer idealtypisches Verhalten nach Geschlecht unterscheiden. Da diese Untersuchung mehrere Aspekte anspricht, möchte ich sie näher beschreiben. Den Lehrpersonen - leider wird in dem Bericht nicht gesagt, ob es weibliche oder männliche Lehrer waren und wie sich die Ergebnisse nach Geschlecht aufteilten - wurde eine Kurzform von Brovermans Fragebogen gegeben. Sie sollten nicht nach Geschlechtsstereotypen identifizieren, sondern die Frage beantworten: »Wie sollte Ihrer Ansicht nach ein Mann oder eine Frau sein?» Das Ergebnis war, daß die meisten Lehrer(innen) idealtypisches Verhalten nach Geschlecht unterscheiden. Nur 3 von 19 sagten, daß beide Geschlechter dieselben Charakteristika aufweisen sollten. Die anderen markierten keines der Charakteristika als »dasselbe« für beide Geschlechter. 75% ()der mehr der Lehrer(innen) wünschten sich, daß junge Männer maskuliner, dominanter, unabhängiger und bestimmter sein sollen sowie weniger emotional, weniger bereit zu weinen und weniger besorgt um ihre äußere Erscheinung. Sie wollten, daß junge Frauen femininer, unterwürfiger, weniger bestimmt, abhängiger, bereit zu weinen und besorgt um ihre äußere Erscheinung sein sollen.
- Hospitationen bei denselben Lehrern deuteten an, daß viele von ihnen ihre Geschlechtsrollenstereotypen in Klassenzimmer ausagierten. Zum Beispiel brachte ein Musiklehrer den Jungen bei, ihre Instrumente zu stimmen, aber stimmte die der Mädchen für sie. In einer Englischklasse rief der Lehrer bei der Besprechung eines Examens immer erst einen Jungen auf zu antworten und dann ein Mädchen, um ein Beispiel für die, Antwort zu geben. Als die Klasse unruhig wurde, tadelte er die Mädchen wegen des Schwatzens. Ein paar Lehrer, die stereotype Idealvorstellungen für das Verhalten von weiblichen und männlichen Jugendlichen hatten, behandelten Mädchen und Jungen nicht unterschiedlich und zeigten keine Geschlechtsstereotypisierung im Klassenzimmer. Anscheinend verhinderte die Einstellung des »liberalen Professionalismus« (d.h. alle gleich zu behandeln) dieser Lehrer im Klassenzimmer, daß wir ihre Geschlechtsrollenstereotype in Praxis beobachten konnten. Diese Stereotype sind so durchdringend und oft so subtil.... daß komplexere Beobachtungsmethoden innerhalb und außerhalb des Klassenzimmers notwendig sind, um die Wahrnehmungen der Schüler von den Einstellungen ihrer Lehrer und die Auswirkungen dieser Einstellungen auf die Schüler zu messen.[6]
In einem weiteren Test wurden den Lehrer(inne)n kurze Beschreibungen von vier hypothetischen Schüler(inne)n gegeben. Sie sollten einschätzen, wie die Schüler(innen) handeln würden, und beschreiben, wie sie als Lehrer(innen) das Handeln der Schüler(innen) er- oder entmutigen würden. Bei jeder Beschreibung wurden abwechselnd Namen von Jungen und von Mädchen angegeben. Wenn eine Schülerin als »ein warmherziges Kind, das gerne anderen Menschen hilft« beschrieben wurde, so sah man dies als unvereinbar mit akademischer Befähigung an und richtungsweisend für eine bestimmte Berufswahl (Lehrerin, Krankenschwester, Sozialarbeiterin). Bei Jungen hingegen wurden diese traditionell »femininen« Charakteristika in Zusammenhang mit potentiellen Verhaltensproblemen gebracht oder man nahm an, daß sie anderen auf akademischem Gebiet hilfreich sein würden. Weitere Antworten waren, daß die Lehrer ein »zurückgezogenes« Mädchen sanft ermutigen würden. Zu einem Statement über eine weibliche »ldealschülerin« sagten die Lehrer, daß sie nicht wirklich intelligent sein könne, sondern wahrscheinlich irgendetwas kompensieren würde. Ähnliche Kommentare gab es nicht über männliche »ldealschüler«. Jungen, die kompetent in Mathematik und Naturwissenschaften waren, wollten die Lehrer ermutigen; Mädchen mit diesen Fähigkeiten wollten sie raten, Kompetenzen auf anderen Gebieten zu entwickeln, damit sie nicht zu »einseitig« würden. Zu diesen Ergebnissen kamen die Lehrer trotz ihrer Behauptung, daß sie »alle Schüler fair und gleich behandeln«.
Solche Widersprüche tauchen in vielen Untersuchungen auf. Bei einer Befragung von Lehrer(inne)n verschiedener Schulsysteme und Schulstufen in den USA sagten alle aus, sie hätten Mädchen und Jungen gegenüber die gleichen Gefühle und behandelten sie gleich. Unterrichtsbeobachtungen bei denselben Lehrern ergaben jedoch eindeutige Unterschiede im Interaktionsmuster von Lehrer(inne)n und Schüler(inne)n.[7]
In einer weiteren Untersuchung wurden 30 Lehrerinnen und 30 Lehrer (25 bis 57 Jahre alt) befragt. 73% meinten, daß Jungen und Mädchen sich unterschiedlich verhalten und unterschiedliche Leistungen erbringen. Der Prozentsatz war der gleiche für Frauen und Männer. 55% der Frauen und 50% der Männer waren der Ansicht, daß Jungen und Mädchen eine unterschiedliche Behandlung erwarten. Ungefähr die gleiche Anzahl sagte, daß Lehrer(innen) weder die Verantwortung noch das Recht hätten, die Einstellung von Kindern zu Geschlechtsrollen zu beeinflussen. Die anderen meinten, daß sie die Einstellungen der Kinder verändern könnten, indem sie selbst ein nicht-sexistisches Vorbild wären.[8]
Hier werden die Konflikte deutlich: Einerseits meinen Lehrer(innen), daß Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen vorhanden sind, andererseits verneinen sie eine unterschiedliche Einstellung zu Mädchen und Jungen bei sich selbst. Sie wollen die Einstellungen von Schüler(inne)n nicht beeinflussen, zeigen aber ein geschlechtsspezifisches Verhalten im Unterricht.
Auswirkungen geschlechtsspezifischer Einstellungen deuten sich in einer Untersuchung an, die zeigte, daß Grundschullehrerinnen abhängige Mädchen lieber als abhängige Jungen mochten.[9] Guttentag und Bray schreiben dazu:
In der Schulsituation, wo Gehorsam und gleichmäßige Leistung gefordert werden, ist das abhängige Mädchen vielleicht diejenige, die der Lehrerin zuhört, Anordnungen ausführt und korrekte Arbeiten produziert und so der unterwürfige Typ der erfolgreichen Schülerin wird... Direkte und auch indirekte Erwartungen und Bestätigungen werden dem abhängigen Mädchen vermittelt, die gemocht wird, und dem abhängigen Jungen, der nicht gemocht wird. Aber es ist Unabhängigkeit und nicht Abhängigkeit, die später mit kreativer intellektueller Fähigkeit korreliert.[10]
(Hier zeigt sich übrigens auch wieder, daß die vermeintliche Benachteiligung von Jungen in der Grundschule sich zu ihrem Vorteil auswirkt.)
Eine Untersuchung 1967 in der BRD ergab, daß der schlechte Schüler im Vergleich zur schlechten Schülerin als noch fauler, träger und nachlässiger dargestellt wird und dazu noch als besonders erziehungsschwierig und moralisch fehlerhaft, also unehrlich und ungezogen, aber auch etwas böse, feige, grob und verwahrlost. Dagegen wird der schlechten Schülerin eher zugestanden, daß sie wenigstens etwas gut, ehrlich, brav und gepflegt sein kann.[11]
Ein wachsendes öffentliches Bewußtsein über Fragen von Geschlechtsstereotypen beginnt, sich bei Lehrern und besonders Lehrerinnen niederzuschlagen. Aber andererseits ist dennoch anzunehmen, daß die Mehrzahl der Lehrer diese stereotypen Ansichten nicht abgelegt hat, wie z.B. Praktikumsberichte bestätigen:
L. bezeichnete einen Jungen aus ihrer Klasse als »Memme« und »unjungenhaft«. - »Der ist so wehleidig... von einem Jungen erwartet man doch, daß er ab und zu mal richtig draufhaut, rumtobt und so weiter...« Auf unsere Frage hin gesteht sie zu, daß ihr derartiges Verhalten bei Mädchen gar nicht aufgefallen wäre, da es »normal«, »erwartet« sei.[12]
Eine Hauptschullehrerin erzählte mir über Reaktionen im Kollegium auf Mädchen und Jungen:
»Wenn Jungen sich schlecht benehmen, heißt es, was für Raufbolde sie sind. Bei Mädchen: Die schicken sie mir nicht in den Unterricht, die alte Tucke. Bei Mädchen laufen die Kommentare besonders der Lehrer in Richtung Nutte, die in der Tratschecke, Giftschlange»
Präferenz für männliche Schüler
Die Einstellungen von Lehrer(inne)n spiegeln sich auch auf eine noch andere Art wider: Häufig ziehen Lehrer und Lehrerinnen es vor, mit Jungen zu arbeiten. Zum Beispiel gaben bei einer Befragung von 30 weiblichen und 30 männlichen Lehrern in Kanada die Mehrzahl der Lehrer und insbesondere der Lehrerinnen an, männliche Schüler vorzuziehen. Sie beschrieben männliche Schüler als offener, aktiver, interessierter an Ideenaustausch, ehrlicher. Der einzige Grund, den sie bei Vorzug von Schülerinnen angaben, war der Mangel an Disziplinproblemen.[13]
Ein größeres Interesse an Schülern mag damit zu tun haben, daß Lehrer(innen) Jungen anscheinend besser einschätzen können. Jackson u.a. fanden heraus, daß Lehrer(innen) häufiger negative Bemerkungen über Jungen machten, aber daß diese Bemerkungen auch ein stärkeres persönliches Engagement mit Jungen andeuteten.[14] In zwei weiteren Untersuchungen stellte Jackson fest, daß Lehrer(innen) durchaus in der Lage waren, genau zu unterscheiden, welche Jungen unzufrieden mit der Schule waren und welche nicht, während sie dies bei Mädchen nicht konnten.[15] Jungen sind demzufolge nicht nur interessanter für Lehrer(innen), ihre Einstellungen und persönlichen Belange haben auch einen wichtigeren Stellenwert.
Aus meinen eigenen Erfahrungen und Gesprächen mit Lehrerinnen kann ich ähnliches bestätigen. Gerade für Lehrerinnen und Lehrer, die berufliche Befriedigung in der kreativen Auseinandersetzung mit Schüler(inne)n finden, ist die Arbeit mit angepaßten Schülerinnen, die nicht gewohnt sind, Meinungen zu entwickeln und zu vertreten, nicht so reizvoll. Wenn in einer Klasse ein starkes Gefälle zwischen aktiven Jungen und weniger aktiven Mädchen besteht, ist die Versuchung oft groß, sich mehr mit den Jungen zu beschäftigen. Sich den Mädchen zuzuwenden, erfordert häufig ein besonderes Interesse und Bewußtsein, was aus folgenden Kommentaren von Lehrerinnen hervorgeht.
»Ich wende mich mehr den Jungen zu, weil sie die Gosche haben. Die Mädchen bringen nicht so viel »
(Sonderschullehrerin)
»Auf die stillen, unauffälligen Mädchen achtest du wenig. Du stürzt dich erstmal auf die Sportlichen, Aktiven, die tolle Sachen in Diskussionen sagen. »
(Hauptschullehrerin)
»Es macht oft mehr Spaß, mit den Jungen zu arbeiten. Sie sind lebhafter und haben mehr Ideen. Aber das hängt natürlich mit der Erziehung zusammen. Und es liegt auch daran, daß die Mädchen sich durch den Unterrichtsstoff oft nicht angesprochen fühlen. Und wenn sie sich nach den Vorbildern in Schulbüchern richten sollen, dann dürfen sie sowieso keine Eigeninitiative entwickeln »
(Grundschullehrerin)
Ulrike Pohl beschreibt ihre Gedanken zu diesem Phänomen in einem Artikel über die Arbeit mit Hauptschülerinnen:[16]
Bei meiner Arbeit (medienorientiertes Projekt innerhalb des Modellversuchs Künstler und Schüler) mit den Kindern überrollt mich dann ein für mich überraschendes Problem. Ich, die ich mich hauptsächlich mit Mädchen-/Frauendingen befasse und für Frauen weit größere Sympathie empfinde, komme immer wieder in Versuchung, mich intensiver mit den Jungen zu beschäftigen. Sind sie nun aggressiv, launisch, br-utal oder kaputt, es ist sichtbar, sie sind was, es weckt Interesse, Besorgnis und Initiative, d.h. man reagiert, engagiert sich. Die Mädchen, ja, bestimmt hat diese oder jene weitaus schlimmere Ängste, Probleme und Kümmernisse, aber das ist schon wohlverborgen liinter der angepaßten, braven, stillen, glatten, zurückhaltenden Mädchenmine. Mädchensein ist eine Krankheit (eine von Staat und Gesellschaft geförderte Krankheit), anders kann ich mir nicht erklären, wie es möglich ist, ein lebendiges Wesen mit Verstand und Hoffnung zu sein und apathisch lächelnd für nichts mehr ein Interesse entwickeln zu können. Wo die Vorstellung von Morgen schon genauso verflacht ist wie das Leid um die verlorenen Hoffnungen und Träume abgeschmirgelt. Kleine Computer, geeicht auf einen Traumprinzen (auch einen arbeitslosen), auf Geschirrspülen und Kinderhüten.
Es gibt durchaus Lehrerinnen, die sich über ihre Präferenzen Gedanken machen und versuchen, damit besser umzugehen. So eine Realschullehrerin:
»Ich selbst habe schon im Studium (Praktikum) erkannt, daß ich dazu neige, eher auf Jungen einzugehen Bei meinen eigenen Klassen habe ich mich deshalb bewußt verstärkt den Mädchen zugewandt. Das Ergebnis ist schwer abzuschätzen Aber ich glaube, daß ich keine wesentliche Bevorzugung einer bestimmten Gruppe zukommen lasse, auch wenn ich Jungen und Mädchen oft unterschiedlich anspreche (aber ich spreche ja auch sonst nicht jeden Menschen gleich an).»
Für Lehrerinnen, deren Bewußtsein sich durch mehr oder weniger direkten Kontakt mit der Frauenbewegung oder durch Ideen, die daraus hervorgingen, veränderten, war die gezielte Arbeit mit Mädchen ein intensives Erlebnis:
»Früher war mir das passive und wenig unterrichtsfördernde Verhalten von Mädchen lästig. Ich reagierte manchmal aggressiv darauf und zensierte Mädchen vielleicht sogar schlechter. Jetzt bin ich in der Lage, ihr Verhalten zu hinterfragen, und verstehe die Ursachen dafür. Wenn Mädchen passiv sind, weiß ich, daß sie sich durch die Dominanz der Jungen unterdrückt fühlen. Ich versuche, sie zu fördern und die Dominanz der Jungen abzubauen. Bei einigen ist es mir gelungen, ihr Selbstbewußtsein zu stärken. Dadurch, daß ich mich den Mädchen bewußt mehr zuwende, bin ich einerseits selbstkritischer geworden, andererseits akzeptiere ich sie mehr und fühle mich ihnen viel mehr verbunden.«
(Gymnasiallehrerin)
Zusammenfassung
Zweifellos ist die Mehrzahl von Lehrerinnen und Lehrern nicht frei von geschlechtsspezifischen Vorurteilen. Die Frage stellt sich, ob Lehrerinnen aus ihrer unterschiedlichen objektiven und subjektiven Situation heraus einen anderen Ansatz als Lehrer haben. Außerhalb des schulpädagogischen Bereichs haben einige Untersuchungen ergeben, daß Frauen weniger dazu neigen, Geschlechtsstereotype zu verwenden.[17] Andererseits fanden Diane D. Goebes und Milton Shore bei einer Befragung von 72 Lehrer(inne)n heraus, daß für weibliche Lehrer das Verhalten von Mädchen viel mehr dem des Idealschülers entsprach als für männliche und daß männliche Grundschullehrer männliche Schüler bevorzugten.[18] Larry J. Brandt und Mary Ellen Hayden meinten aufgrund einer Untersuchung mit Lehrerstudenten, daß grundlegende Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Einstellungen existieren und Lehrer-Schüler-Interaktionen beeinflussen.[19]
Die Ergebnisse sind teilweise so widersprüchlich, daß von Schlußfolgerungen, die sich auf empirische Untersuchungen berufen, abzuraten ist. Ganz davon abgesehen, daß nur wenige Untersuchungen nach Geschlecht des Lehrers unterscheiden und wenn, dann meist im Rahmen der Diskussion über den Einfluß der Feminisierung im Grundschulbereich. Die Untersuchungen waren bisher in ihren methodischen sowie inhaltlichen Ansätzen nicht so angelegt, daß sie Unterschiede zwischen Lehrerinnen und Lehrern erfassen konnten. Dies gilt besonders für den Vergleich von Teilgruppen: Teilen Lehrer und Lehrerinnen mit progressiven Ansichten bezüglich Erziehungsmethoden und Unterrichtsinhalten dieselben geschlechtsspezifischen Einstellungen? Die Untersuchung folgender Hypothese würde die Komplexität der Lehrer(innen)-Schüler(innen)-Beziehungen intensiver erfassen: Je mehr die geschlechtsspezifischen Einstellungen, Erwartungen und Verhaltensweisen der Lehrer(inne)n von den institutionell vertretenen abweichen, desto folgenreicher ist das Lehrergeschlecht in Beziehung zum Geschlecht des Schülers. Wenn eine Lehrerin mit emanzipatorischen Ansprüchen an sich selbst und an Frauen einer Schülerin gegenübertritt, so wird dies eine andere Auswirkung haben, als wenn ein Lehrer einer Schülerin nahelegt, stereotype Verhaltensweisen zu verändern.
Lehrer(innen) können ihre Einstellung verändern. Zunächst gehört dazu die Bereitschaft, sich selbst bewußt zu überprüfen. Ich habe schon häufig den Satz gehört: »Ich mache keine Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen - soweit bin ich schließlich schon. Überhaupt kann man das Thema bald nicht mehr hören.« Diese Haltung bedeutet: Ich kann das Thema nicht mehr hören, weil es mir zu nahe geht, weil ich keine Lust oder auch Angst habe, mich damit auseinanderzusetzen. Somit ist die beste Lösung, »das Thema« mit dem Argument abzutun, daß es von irgendwelchen »überempfindlichen« Frauen, die meinen, sich auf diese Weise emanzipieren zu können, aufgebauscht wird.
Die Offenheit für Kritik und Selbstkritik und das Interesse daran, Mädchen besser zu verstehen, sind also die Grundlage dafür, stereotype Ansichten zu verändern und Vorurteile abzulegen.