Schulische Sozialisation

Die Funktion der Institution Schule

Die Schule baut auf der Sozialisation auf, die in der Familie, durch Umwelt und Medien etc. begonnen hat. Durch eine äußerst rigide Organisation ändern sich jedoch mehrere Faktoren im Lernprozess der Kinder. Die Leitbilder/Autoritäten Mutter und Vater sind hier Lehrer (innen). Im Kindergarten sind es fast ausschließlich, in der Grundschule fast 75% Frauen; in den höheren Schulstufen wird die Verteilung gleichwertiger, gliedert sich jedoch nach Fächern auf. Gesetzliche Bestimmungen zwingen zumindest zur passiven, Leistungskontrollen in Form von Zensuren etc. zur aktiven Teilnahme. Wissensgebiete werden aufgegliedert, voneinander getrennt und in Segmenten von gewöhnlich 45 Minuten vermittelt. Die Möglichkeit, sich mehr an Gleichaltrigen zu orientieren und peer Gruppen zu formen, bietet sich an. Dem entgegen stehen Leistungsforderungen, die Konkurrenzverhalten fördern, und strukturelle Gegebenheiten wie etwa die Auflösung des Klassenverbandes in Gesamtschulen und in der reformierten Oberstufe. Schüler(innen) werden gezwungen, sich mit ihren sensorischen und motorischen Bedürfnissen an einen Zeitplan und an räumliche Bedingungen zu halten. Jegliche Spontaneität wird systematisch unterdrückt bzw. als Störfaktor im reibungslosen Ablauf des Schultags angesehen. Die Kinder müssen Dinge lernen, die in keinem Zusammenhang zur späteren Lebenspraxis stehen. Der Lernzwang, Angst vor Zensuren, Angst vor Strafe drosseln häufig jedes Interesse.
In kritischen Analysen der Schule werden diese Merkmale auch als Charakteristika der »totalen Institution« bezeichnet. In totalen Institutionen führen Menschen ein verwaltetes, eingeschlossenes, verplantes Leben, für das Regeln gelten, die außerhalb der Institution unzulässig sind.[1] Die Institution Schule hat nach Reimer vier deutliche Funktionen:[2] die Verwaltungsfunktion, Selektion sozialer Rollen, Indoktrination (Vermittlung und Verinnerlichung der herrschenden Ideologien), Vermittlung von Fähigkeiten und Wissen. Reimer meint, daß einerseits die Kombination dieser Funktionen aus der Schule ein wirksames Instrument für soziale Kontrolle macht, sie andererseits durch den Konflikt zwischen diesen Funktionen ineffektiv wird.
Ein Konflikt, der im Klassenzimmer beobachtet wurde, entsteht zwischen der Forderung nach institutioneller Anpassung und dem angeblichen Anspruch der Bildungspolitiker auf kreative Entwicklung. Dies ist ein Konflikt, der sich aus den Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt ergibt. Fortschreitende Technisierung und die Verweigerung (männlicher) Arbeiter, monotone Arbeitsgänge zu verrichten, erfordern Kooperationsvermögen, Mobilitätsbereitschaft und Führungsfähigkeiten, ohne jedoch hierarchische Strukturen und vorgezeichnete Arbeitsabläufe anzutasten.
Untersuchungen von Erziehungswissenschaftlern stellten fest, daß Schüler(innen) intellektuell versagen, weil sie erfolgreich Strategien entwickeln, um mit den Strukturen der Institution fertigzuwerden. So führen Konkurrenz und Leistungsdruck in immer stärkerem Maß dazu, daß Schüler(innen) sich die Antworten abjagen und versuchen, um jeden Preis die Zustimmung der Lehre(rinnen)) zu bekommen. Sie fördern jedoch nicht kritisches Denken.[3] Silberman bemerkte bei Kindern aus der 5. Klasse eine Korrelation zwischen dem Wunsch, dem Lehrer zu gefallen, und der Ablehnung intellektueller Herausforderungen.[4] Leacock fand heraus, daß nach Meinung der Kinder »gutes Benehmen« mehr von Lehrern belohnt wird als »gute Arbeit«.[5]
Wo bleiben nun die Mädchen in solchen kritischen Diskussionen über die Institution Schule? In Becks Analyse der »Klassenschule« z.B. die sich in diesem Punkt mit denen anderer marxistischer Kritiker deckt, finden wir folgende Kernsätze:

  • Die konkrete Lernarbeit des Schülers setzt sich um in die »Selbstproduktion« der konkreten Eigenschaften der eigenen Arbeitskraft, die in Jahren zur eigenen Reproduktion verkauft werden muß. ... Die schulische dient also vermittelt der Warenproduktion... die Schule (ist) das Trainigslager für eine Produktion, über die die Produzenten nicht verfügen, insofern bleibt sie von der Produktion getrennt. In gewisser Weise ist sie eine Verdoppelung, ein Abbild des Industriebetriebs. Dadurch bringt sie ihre Insassen zu einem vergleichbaren Verhalten, wie es im wirklichen Betrieb erforderlich ist. Allerdings können die Schüler dieses Verhalten (Lernarbeit) nicht unmittelbar gegen tatsächlichen Lohn eintauschen.

Diese Definition schließt Mädchen weitgehend aus. Die Schule ist nicht nur ein Trainingslager für die außerhäusliche Produktion, sie ist auch ein Trainingslager für die Ideologie und Praxis der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung. Mädchen und Jungen lernen auf vielfältige Weisen, daß Frauen für bestimmte Erwerbstätigkeiten und insbesondere für Hausarbeit, d.h. die Produktion und Reproduktion der Ware Arbeitskraft, zuständig sind. Hausarbeit ist jedoch unbezahlte Arbeit; Mädchen leisten also Lernarbeit, die sie auch später nicht in Lohn eintauschen können. Teil dieser Lernarbeit ist es, zu akzeptieren, daß sie sich in Abhängigkeit eines Mannes zu begeben haben und ihre Funktion als Hausfrau eine »natürliche«, »private« ist, die angeblich viel mit Liebe und nichts mit Geld zu tun hat. Die Qualifikationen für Hausarbeit (Säuglingsschwester, Erzieherin, Lehrerin, Psychologin, Köchin, Krankenschwester, Altenpflegerin, Buchhalterin und so weiter) werden kaum an der Schule vermittelt.
Zu den von Reimer zitierten Funktionen füge ich also folgende hinzu: die Aufrechterhaltung und (Re)Produktion der geschlechtsspeziflschen Arbeitsteilung und Machtverhältnisse. Für Mädchen ergibt sich daraus der Widerspruch zwischen einer Sozialisation, die sie vornehmlich auf die Hausfrau-Mutter-Funktion vorbereitet, und einer Schulausbildung, die einerseits mit Hausarbeit, andererseits mit den Berufen, die ihnen offenstehen, wenig zu tun hat.

Wie verfestigen Schulen Geschlechtsunterschiede?

Die folgenden mehr oder weniger institutionell festgelegten Aspekte des Schulwesens tragen dazu bei, daß Mädchen und Jungen unterschiedliche Einstellungen und Fähigkeiten entwickeln:
Die Personalstruktur der Schule und des Schulverwaltungswesens demonstriert die männlich/weibliche Machtverteilung in dieser Gesellschaft: Die Männer verwalten das System, die Frauen arbeiten darin. Dies ist besonders deutlich, in der Grundschule, aber auch in der Oberstufe ändert sich diese Struktur nicht. So arbeiten etwa in der Westberliner Schulverwaltung und in den Schulverwaltungen der einzelnen Bezirke nur rund 8-10% Frauen in maßgeblichen Positionen;[6] Fachbereichsleiter sind meistens Männer. Hinzu kommt die Verteilung weiblicher und männlicher Lehrer auf verschiedene Fächer: Wenn Mädchen nie einen weiblichen Physiklehrer haben, wird ihnen damit auch nahegelegt, daß Frauen sich nicht für eine Ausbildung in dem Fach eignen. In jeder Schulstufe werden bestimmte Funktionen, wie die Vorbereitung von Festen, Frauen zugeschoben oder von Frauen übernommen. Mädchen sehen hier also, daß Frauen auch im Beruf für die Arbeiten zuständig sind, die mit Hausarbeit zu tun haben oder als »weiblich« definiert werden.
In Lehrplänen sind unterschiedliche Ansprüche an Mädchen und Jungen weiterhin verankert. Obwohl sich hier einiges seit Maria Borris' Analyse von 1972 geändert hat, finden wir weiterhin Unterschiede in den Lernzielen (siehe Kapitel über Lehrpläne). Es gelingt immer weniger, die Rahmenrichtlinien zu umgehen, da der Staat ihre Durchführung zunehmend kontrolliert.
Lehrbücher haben sich trotz kritischer Analysen so gut wie gar nicht verändert und präsentieren Frauen überhaupt nicht oder geben ein Bild von ihnen, das nicht der Realität entspricht, obwohl sie nicht einmal erstrebenswert ist. Das heißt, Frauen werden fast durchweg als Mütter und Hausfrauen dargestellt. Wenn sie überhaupt erwerbstätig gezeigt werden, dann in Dienstleistungsberufen.
Aktivitäten in den Schulen sind teilweise nach Geschlecht gesondert (Werken, Kochen, Hauswirtschaft, Handarbeit, Sport). Auch wenn sie gemeinsam unternommen werden, hängt es von der individuellen Einstellung der Lehrperson ab, ob Mädchen und Jungen in gleicher Weise an den Stoff herangeführt werden.
Lehrer(innen) haben im Rahmen der Schule die Aufgabe, Wissen und Einstellungen zu vermitteln. Inwieweit ihnen das gelingt, hängt von ihrer Persönlichkeit ab, vom Interesse der Schüler(innen) am Unterrichtsstoff und von den Druckmitteln, die zur Verfügung stehen. Sie können Schüler(innen) zu Veränderungen motivieren, können sie in positiven, aber auch in negativen Einstellungen bestärken. Es ist nicht möglich, Schülern/innen kritisches Bewußtsein über Geschlechtsstereotypen zu vermitteln, ohne sich selbst mit dieser Thematik intensiv auseinandergesetzt zu haben. Und dazu werden bisher im Rahmen der Institution Schule so gut wie keine Möglichkeiten gegeben, noch werden Lehrer (innen) aufgefordert, sich mit dieser Problematik zu befassen.
Schüler und Schülerinnen bestätigen sich gegenseitig in dem Verhalten, das sie von der Erwachsenenwelt übernommen haben. Wie ihre Umwelt machen sie es häufig einem(r) Schüler(in) schwer, der/die sich nicht den Stereotypen entsprechend benimmt.
Bevor ich einzelne Aspekte erläutere, möchte ich näher auf drei Argumente eingehen, die häufig in kritischen Analysen von den Auswirkungen der Schule auf Schüler, d.h. meistens Jungen, auftauchen.

Argument 1:

»Jungen werden durch Lehrerinnen feminisiert«

Dieses Argument gab in den USA Anlaß zur Veröffentlichung vieler Artikel und einiger Bücher. Ebenso wie hier sind dort über 70% der Grundschullehrer Frauen (USA: 85%, BRD: 70%). Ihnen wird unterstellt, daß sie »... Anpassung, geistige Passivität und sanften Gehorsam - worin Mädchen sich hervortun - dem aggressiven Vorgehen und der Originalität von Jungen vorziehen«. Sie »erwarten, daß Jungen sich benehmen, reagieren und lernen wie Mädchen«.[7] Patricia Sexton begründet ihre Warnungen vor Lehrerinnen, die Schüler »entmännlichen«, so:

  • ... die Schule ist zu sehr eine Welt der Frau, regiert von Frauenregeln und -standarden. ... Das Unterrichtsmaterial scheint zu verspielt und feminisiert. ... Obwohl der Junge lernen muß, seine eigene Autorität zu sein, besteht die Schule darauf, daß er ihrer Autorität gehorcht. Dies ist keine gute Vorbereitung für richtige Männlichkeit.[8]

Zunächst muß man hier die Frage stellen, was »richtige Männlichkeit« ist und inwiefern die Erziehung zu dieser Männlichkeit einer Erzie-hung zur Weiblichkeit vorzuziehen ist. Wenn wir von den allgemeingesehschaftlichen Ausdrucksfonnen von Männlichkeit ausgehen, die neben Stärke und Durchsetzungsvermögen negative Aggressivität, Gefühllosigkeit und Verdrängung beinhaltet, so ist es fraglich, ob eine solche Sozialisation für Jungen erstrebenswert ist.
Die Behauptung, die Schule sei eine »Welt der Frau« ist absurd, weil es wohl kaum Frauen sind, die die Schulregeln festsetzen und die Lehrmittel und -pläne entwickeln. Die Diskussion über die »Gefahren« einer Feminisierung des Lehrerberufs setzt sich auch bei uns heute noch fort. Der Oberstudiendirektor Joachim Schiller wies vor kurzem in der Serie »Ist Berlins Schule krank?« auf die Folgen einer »einseitigen« Ausbildung von Kindern durch weibliches Lehrpersonal hin. Schulsenator Rasch sprang den Frauen zur Seite (siehe den Artikel auf der gegenüberliegenden Seite).

Wer aus den Überlegungen meist herausfällt, sind Mädchen. Levy schreibt:
Es wird impliziert, daß das »Feminisierungs-« oder »Domestizierungstraining« der Schule eine gute Vorbereitung für »richtige Weiblichkeit« ist. Die Tatsache, daß Mädchen doppelt trainiert werden - zu Hause und in der Schule - untergeben und angepaßt zu sein, ist nicht von Interesse. Was wichtig ist, ist, daß Jungen in der Schule schlecht, d.h. »wie Mädchen«, behandelt werden könnten. Es wird nicht diskutiert, daß die Schule von beiden Geschlechtern Anpassung und Gehorsam verlangt und daß die meisten Schulen Kinder unterdrücken. Statt dessen werden weibliche Lehrer zu Feinden gemacht, die den »männlichen Geist« zerstören.[9]
Es gibt jedoch durchaus Wissenschaftler, die Sextons These empirisch untersuchten. So fanden z.B. Faggot und Patterson,[10] daß Lehrerinnen Jungen weniger häufig als Mädchen belohnten und meistens für »feminines« Verhalten (Malen, in der Puppenecke oder Küche, anstatt mit Autos und Bausteinen Spielen, Rennen etc.). Allerdings entwickelten die Jungen im Laufe der Jahre nicht eine Vorliebe für feminines Verhalten. Der Einfluß der Umgebung (Familie, Medien etc.) und der Jungen aufeinander überwand offensichtlich den angeblich feminisierenden Einfluß der Lehrerinnen. Die Untersuchung kommentiert nicht, welchen Einfluß Lehrerreaktionen und Gleichaltrige auf Mädchen haben.
Leistungseinschätzungen wurden daraufhin untersucht, wie sie vom Geschlecht des Lehrers und des Schülers beeinflußt wurden. Goebes und Shore stellten fest, daß Mädchen in den Augen von Lehrerinnen dem Bild des »idealen Schülers« näherkamen als Jungen, während Lehrer Kinder ihres eigenen Geschlechts bevorzugten. Sie ziehen daraus die Schlußfolgerung, daß eine höhere Anzahl von männlichen Lehrern in Grundschulen die akademischen Leistungen von Jungen entscheidend steigern müßte.[11] Auch hier wird nicht einmal gefragt, wie die Mädchen und ihre Leistungen von dem angeblichen Schülerbild der Lehrerinnen beeinflußt werden. Bei Mädchen hielt man es nicht für nötig zu untersuchen, inwieweit schlechte Leistungen vom Geschlecht der Lehrperson abhängig sind. Brophy und Losa konnten auf der Kindergartenebene keinen signifikanten Einfluß des Lehrergeschlechts feststellen.[12] Forslund und Hull fanden bei Schülern/innen der 5. und 6. Klasse, daß das Geschlecht des Lehrers weder bei Jungen noch bei Mädchen Auswirkungen auf Lesen, Rechnen und IQ hat. [13] Andere Untersuchungen bestätigen diese Ergebnisse.[14] Eine Untersuchung behauptet auf recht schwacher Basis, daß eine kleine Anzahl von Jungen, die von einem männlichen Lehrer unterrichtet wurden, ihre Leseleistung verbesserten, während die Gruppe einer Lehrerin dies nicht tat.[15] Eine Reihe anderer Projekte weisen jedoch darauf hin, daß das Geschlecht des Lehrers wenig mit der Verbesserung der Leseleistung von Jungen zu tun hat. Eher sind es Variablen wie Lehrmethoden und Unterrichtsstil.[16] Untersuchungen zeigen nur begrenzte Ergebnisse. Subtile langfristige Einflüsse von Lehrern/innen sind schwer zu messen.
Es scheint also, daß eine Reihe von Faktoren die Struktur der Schule, unterschiedliches intellektuelles Training in der Familie, unterschiedliche Erwartungen von Familie und Gleichaltrigen und unterschiedliche Darstellung der Geschlechter in Lehrmitteln den Einfluß von der Geschlechtszugehörigkeit des Lehrers weit übersteigen. Mehr Männer in die Grundschulen zu bringen, um auf diese Weise die Sprachleistungen von Jungen zu steigern, wird daher auch von vielen zurückgewiesen. Statt dessen wird vorgeschlagen, Lesebücher und Sprachprogramme zu entwickeln, die sich noch spezieller als bisher an den Interessen von Jungen orientieren, weil dies auch schon erfolgreich gewesen sei.[17] Die Autoren weisen darauf hin, daß die Diskussion Mädchen mit schlechten Leistungen und Mädchen, die unter ihrem eigentlichen Leistungsstand zurückbleiben, berücksichtigen sollte. Sie schreiben jedoch nichts darüber, wie Schulbücher und Rechenprogramme verändert werden sollten, damit Mädchen ihre Leistungen verbessern können.
Untersuchungsmethoden bei Lehrern/innen-Schülern/innen. Interaktionsanalysen haben bisher auch keine eindeutigen Unterschiede im Einfluß des Lehrergeschlechts gezeigt. Allerdings sind viele dieser Untersuchungen in Grundschulen gemacht worden, also mit Lehrerinnen, und bei einigen anderen ist das Geschlecht nicht angegeben. Ich denke, daß die Geschlechtszugehörigkeit von Lehrern zwar einen Einfluß auf Schüler(innen) ausübt, der mit den bisherigen Untersuchungsmethoden aber nicht erfaßt wurde. Dies wird in den Betrachtungen zum Verhältnis zwischen Lehrern/innen und Schülern/innen in den nächsten Kapiteln ersichtlich.
Auch in der Diskussion über die Feminisierung von Schulen wird wie bei Analysen der familiären Situation das Argument benutzt, Jungen hätten durch die weibliche Umgebung in der Grundschule größere Schwierigkeiten, von dem Einfluß der weiblichen Identität (Mutter) auf die eigene männliche umzuschalten.[18] Mädchen hätten es hingegen angeblich leicht, da sie weiterhin unter dem Schutz einer mütterlichen Lehrerin aufwachsen. Aber welche Folgen hat die Tatsache, daß Mädchen in der Schule eine Machtstruktur erleben, die sie schon in der Familie und in Medien kennengelernt haben? In den USA waren 1971 85% aller Grundschullehrer Frauen und 78% aller Grundschulleiter Männer.[19] Allein, indem sie zur Schule gehen, lernen Kinder also etwas über den unterschiedlichen Status von Frauen und Männern in der Berufswelt. Wer aber spricht davon, die Auswirkungen dieses Lernprozesses zu untersuchen und mehr Frauen als Schulleiter einzustehen, um unter anderem Mädchen andere Identifikationsmöglichkeiten zu geben und das Bild, daß Jungen von Frauen haben, zu verändern?

Argument 2:

»Jungen sind im Gegensatz zu Mädchen in der Schule
widersprüchlichen Erwartungen und Anforderungen ausgesetzt«
Diese widersprüchlichen Erwartungen, von denen ich schon sprach, wirken sich im Grunde nicht negativ für Jungen aus. Sie lernen schnell, daß jungenhaftes Verhalten zwar mit Schulregeln kollidiert, aber eigentlich positiv bewertet wird, während Anpassung »feminin«, d.h. negativ ist.
Maskulinität wird also als Rebellion gegen die Schule definiert. Lehrer (innen) unterdrücken einerseits diese Rebellion, andererseits ermutigen sie Jungen dazu (siehe das Kapitel »Interaktion«). Jungen sehen in der Familie, daß der Mann die wichtigen Entscheidungen trifft und sich gegen Frau und Kinder durchsetzt. Dieser Lernprozeß wird in der Schule nicht unterbrochen. Was Jungen dazulernen, ist, daß sie sich Vorgesetzten unterordnen müssen. Die Vorgesetzten, die in ausschlaggebenden Stellen sitzen, sind jedoch meist Männer, was für Jungen bedeutet, zumindest eine Chance zu haben, selbst einmal eine ähnliche Position einzunehmen. Auf jeden Fall lernen sie, sich gegen Frauen durchzusetzen.
Für Mädchen wird die familiale Sozialisation noch mehr verfestigt. Trotz der Autorität der Lehrerin vermittelt die Schule die institutionalisierten Formen der Inferiorität von Frauen durch die Personalstruktur, durch unterschiedliche Behandlung von Lehrerinnen durch Vorgesetzte, durch Lehrmittelinhalte und durch geringe Ausbildungs- und Berufsaussichten, die im Vergleich mit denen von Jungen klar vor Augen stehen.

Argument 3:

"Der Lernprozeß in der Schule hat keinen Bezug zum Beruf
(zur >Produktion<)«

Man beklagt, daß für Jungen der Lernprozeß losgelöst ist von ihrem späteren Berufsleben. Wie sieht die Situation der Mädchen aus? Angeblich verläuft auch hier die Vorbereitung auf die zukünftigen Funktionen reibungslos. Mädchen sind anpassungsfähig, die Disziplinforderungen der Schule liegen ihnen, gewisse Leistungsanforderungen wie Fleiß, Ordnungsliebe erfüllen sie scheinbar gut und gerne. Dies ist eine zynische Beurteilung, denn sie führt darauf hinaus, daß Mädchen keine anderen Ziele und Aufgaben im Leben haben wollen, als sich für Mann und Kinder aufzuopfern.
Bei Jungen besteht ein sehr viel stärkerer Zusammenhang zwischen Kinderspiel, schulischem Lernen und Berufstätigkeit. Besonders in höheren Schulstufen zeigt sich, daß sie analytisches, abstrahierendes Denken, das ihnen von klein auf durch Spielzeug etc. beigebracht wurde, in der Schule weiterentwickeln können. Dieses Denken sowie auch praktische Fähigkeiten (Basteln, technische Arbeiten) kommen ihnen später im Beruf durchaus zugute. Hier bestehen zwar starke Klassenunterschiede, aber der Trend bleibt derselbe: Auch Mädchen in Hauptschulen haben weniger Berufsmöglichkeiten als Jungen, selbst wenn sie die besseren Zensuren haben.
Spontaneität, Kreativität, abstraktes Denken werden bei Mädchen in der Schule ebensowenig wie in der Familie und in Mädchenspielen angeregt. Diese Fähigkeiten sind jedoch wichtig für Anforderungen besonders in der Oberstufe und für ein sinnvolles Ausnutzen der Möglichkeiten, die die Schule trotz aller Begrenzungen bietet. Das Resultat dieser Erziehung ist, daß viele Mädchen ein zunehmendes Desinteresse an intellektuellen Dingen zeigen - je älter sie werden und je mehr sie merken, daß bestimmte Leistungserwartungen eigentlich gar nicht an sie gestellt werden.
Arbeiterkindern ist klar, daß ihre soziale Lage ihre Ausbildungsmöglichkeiten bestimmt daran ändert auch die Gesamtschule nichts. Für Arbeitermädchen verschärft sich die Situation. Sie sind fast immer darauf ausgerichtet, zu heiraten und Kinder zu bekommen, auch wenn sie wissen, daß sie wahrscheinlich irgendwann in ihrem Leben erwerbstätig sein werden bzw. sein müssen. Aber wenn sie sich umsehen, dann machen die Tätigkeiten von Frauen aus ihrer Umgebung die Vorstellung, einen Beruf auszuüben, nicht sehr attraktiv. Die Schule scheint wenig Einfluß auf die Möglichkeiten zu haben, die ihnen offenstehen, und sie teilen nicht den bürgerlichen Glauben an Erziehung um ihrer selbst willen. Obwohl Gymnasiastinnen bessere Berufsaussichten haben, hat auch für sie die Ausbildung, die sie in der Schule bekommen, oft kaum einen Bezug zu der Erwerbstätigkeit, die sie später ausüben. Frauen werden bei der gegenwärtigen Arbeitsmarktlage immer mehr in Berufen angestellt, die unter ihrer Qualifikation liegen und in denen Fähigkeiten gefragt sind, die kaum etwas mit akademischem Training zu tun haben (z.B. als Büroangestellte und Sekretärinnen). In den USA ist diese Situation noch extremer, da mehr Frauen die Oberschule und Colleges besuchen. In dem folgenden Essay aus »Daughters in High School« beschreibt eine Oberschülerin in den USA, wie sie sich für eine Hausfrau die Verbindung zwischen Schulwissen und Arbeit vorstellt. Hinter dem Humor steht bittere Ironie.[20]

Vier Jahre Oberschule - Vier Jahre College

Ah, es ist schon wieder morgens. In meiner Erdkundeklasse brachte man mir bei, daß, wenn der Frühling naht, die Sonne jeden Tag früher aufgeht. Es ist schon an der Zeit, die Kinder für die Schule zu wecken. Anthropologie, ja, ich glaube, in der Anthropologiestunde lernte ich, daß es natürlich ist, daß Menschen schlafen müssen. »Los kommt, Kinder. Es ist Zeit aufzustehen. Guten Morgen.« Dann wecke ich den Ernährer. Ich kann mich immer noch an unser erstes Treffen erinnern. Es war in der Oberschule während einer Geometrie-Stunde. Wir sprachen gerade über Formeln. Dieser Kurs veränderte soviel für mich. Oh, ich verschwende so viel Zeit, wenn ich über so dumme Dinge nachdenke, dabei muß ich doch das Frühstück machen. Nun, mal sehen, man soll Wasser mit Salz zum Kochen bringen. Ja, und wenn genug Salz hinzugefügt wird, dann ist es übersättigt. Genau wie in der Chemie.
Oh, Gott sei Dank, die Kinder sind in der Schule. Gerade noch ein bißchen Zeit, um einen Brief zu schreiben, bevor die Post kommt. Ich muß mich einfach zwingen, all die Techniken wie »fantastische Wirklichkeiten« und »zusammenpassende Wörter« zu benutzen, die ich in meiner Schreibklasse gelernt habe, und all diese Konnotationen müssen stimmen.
Mal sehen . . . sollte ich sagen ... da! Briefmarke drauf und schon kann er abgeschickt werden. Oh diese Kinder! Das Wohnzimmer ist so dreckig wie immer. Ich werde den Teppich heute schon wieder saugen müssen. Sieh, wie dieser Dreck weggesaugt wird. Hey, ich hätte fast vergessen, daß er nicht weggesogen wird - wahrscheinlich hat uns das Herr Marie gesagt sondern daß der Luftdruck ein Equilibrium zu bilden versucht. Geschafft, aber wenn die Kinder da sind, wird es sowieso wieder verdreckt sein. Ich rege mich über solche Dinge gar nicht auf, denn mein Lehrer für Erwachsenenpsychologie hat gesagt, daß das normal wäre. So habe ich mich daran gewöhnt.
13 Uhr. Jetzt kommt das Hörspiel, das ich so gerne höre. Ich freue mich wirklich darüber, weil ich dabei üben kann, Werturteile in verschiedenen Situationen zu treffen, so wie im Englischunterricht. Ich kann sehen, wie ich reagieren würde, wenn meine Tochter schwanger wäre, mein Mann mich betrogen hätte, und mein Lieblingsgeschäft geschlossen werden würde und das alles am selben Tag.
Die Kinder sind wieder zu Hause. Ich werde jetzt lieber Mittag machen. Hier spielt Hauswirtschaft hinein. Von diesem Unterricht weiß ich noch, daß ich nicht zuviel Gemüse zu einer Mahlzeit servieren darf. In Herrn Lanes Stunden über orientalische Philosophie lernte ich, daß meine Entscheidung noch nicht feststehen darf, wenn ich gefragt werde, was es zum Mittag gibt. Während dieser hektischen Phase meines Tages kommt mir die Rhetorikklasse sehr zugute.
»Segne uns oh Herr und all das, was du uns bescheret hast, in Ewigkeit, Amen.«
Als ich diese Kurse zum ersten Mal hatte, war es für mich sehr schwer, zu begreifen, welche Wichtigkeit sie einmal für mein späteres Leben haben würden. Aber da habe ich mich halt geirrt. Jeden Tag brauche ich sie mehr und mehr. Denn morgen werde ich neue wissenschaftliche Methoden des Geschirrspülens üben und entdecken. Ich kann es kaum erwarten!
Ann Cofell

Die Institution Schule dient der Aufrechterhaltung einer Gesellschaft, die auf kapitalistischen Produktionsverhältnissen, geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung und hierarchischen sowie geschlechtsspezifischen Machtverhältnissen beruht. Während sie Jungen noch einige Möglichkeiten zur Entwicklung von Selbständigkeit, Selbstbewußtsein, Kreativität und Durchsetzungsvermögen bietet, unterstützt sie die Einschränkung von Mädchen auf ein physisches, psychisches und materielles Abhängigkeitsverhältnis von Männern.