Im Alter von drei bis vier Jahren haben Mädchen und Jungen schon die Fähigkeit der Geschlechtsdifferenzierung und -zuordnung.[1] Rene Zazzo stellte fest, daß von 100 Jungen im Alter von 3 1/2 Jahren nur einer lieber ein Mädchen sein wollte, während 15% der Mädchen lieber Jungen gewesen wären.[2] Von zwanzig Untersuchungen über die Akzeptierung von Geschlechtsrollen zeigten fünfzehn bei Jungen eine stärkere Akzeptierung als bei Mädchen.[3] Jungen und Mädchen haben mit wachsendem Alter eine bessere Meinung von Jungen und eine schlechtere von Mädchen.[4] Beide schreiben der männlichen Rolle mehr Macht und Prestige zu: »... vom 5. bis 6. Lebensjahr an hat der Vater mehr Prestige als die Mutter. ... Mädchen zwischen 5 und 8 zeigen kein verstärktes Vorziehen von gleichgeschlechtlichen Sachen und Aktivitäten, während Jungen dies tun.« [5]
All diese Untersuchungen beweisen, daß Mädchen früh ihre eigene Benachteiligung erfahren und einschätzen können. Sie sagen allerdings nichts darüber, wie es dazu kommt. Zum Beispiel besteht bei Jungen eine mit dem Alter wachsende Korrelation zwischen Leistung und Selbstbewußtsein, bei Mädchen dagegen nicht. Bardwick meinte, bei jungen Mädchen bestünde diese Korrelation, bis sie in das Alter kommen, wo heterosexuelle Verbindungen wichtiger als Leistung werden.[6] Deborah Fein und andere fanden jedoch, daß Mädchen schon vor der zweiten Klasse ihr Selbstbewußtsein nicht mehr über Leistungserfolge erhalten: Während bei Jungen das Selbstbewußtsein zwischen 7 1/2 und 13 Jahren stieg, blieb es bei Mädchen auf demselben Stand.[7] (Ob dies nun wirklich alles mit heterosexuellen Interessen zu tun hat, ist wohl nicht klar. Ich denke, Wer spielen eine ganze Reihe von Komponenten mit, die ich zum Teil im vorigen Kapitel angesprochen habe)
Dieser Trend setzt sich in der Oberschule fort. Eine Untersuchung in den USA Ende der Sechziger Jahre ergab: Weniger Schülerinnen als Schüler schätzen sich als über dem Durchschnitt liegend ein, was Führungsqualitäten, allgemeine Popularität, Popularität bei dem anderen Geschlecht und intellektuelles sowie gesellschaftliches Selbstvertrauen anbetrifft.[8]
Die Einstellung zum eigenen wie zum anderen Geschlecht führt uns zu verschiedenen Formen der Selbsteinschätzung und Selbstbewertung.
Der Einfluß kognitiver Wahrnehmung von Geschlechterrollen
Das Selbstbild und die Verhaltensweisen von Kindern werden teilweise geformt:
- durch die Beobachtung und Interpretation von Aktivitäten und Verhaltensweisen der Menschen um sie herum;
- indem sie subjektive und gesellschaftliche Bewertungen dieser Aktivitäten erfahren;
- indem sie die Bewertung ihrer eigenen Verhaltensweisen durch andere Menschen (Erwachsene wie Gleichaltrige) erleben.
Je größer die materielle und emotionale Abhängigkeit vom Urteil anderer Personen ist, desto eher werden Mädchen auch die Züge übernehmen, die von ihnen erwartet werden, selbst wenn sie eine niedrigere gesellschaftliche Bewertung beinhalten. Nur so ist zu erklären, daß Mädchen Charakteristika übernehmen, deren negative Beurteilung ihnen bekannt ist.
Mit wachsendem Alter ordnen Kinder Bereiche danach ein, ob sie maskulin oder feminin sind. Während junge Mädchen Gebiete wie Rechnen und Sport als feminin bezeichnen, werden diese von älteren als maskulin kategorisiert.[9] Die Mechanismen, durch die dies hervorgerufen wird, sollten auf jeden Fall untersucht werden. Denn die geschlechtsspezifische Benennung bestimmter Aufgaben und damit ihre unterschiedliche Bewertung führen bei Kindern zu unterschiedlichen Leistungen in diesen Aufgaben. So fanden Stein und andere heraus, daß Jungen weniger von Aufgaben, die als feminin definiert werden, erwarteten und ihre Leistungen abfielen, während sie bei »maskulinen« Aufgaben anstiegen. Bei Mädchen hingegen fielen die Leistungen bei »maskulinen« Aufgaben und stiegen bei »femininen« nicht an.[10] Montemayors Ergebnisse bestätigten die von Stein: Die Leistungen von Kindern in der ersten und zweiten Klasse waren direkt von den geschlechtsspezifischen Bezeichnungen der Aufgaben beeinflußt.[11]
Die Wahrnehmung der eigenen Fähigkeiten
Wenn »feminine« Bereiche geringeren Leistungseinsatz bewirken und Mädchen andererseits weitgehend auf diese Bereiche beschränkt werden, ist anzunehmen, daß Mädchen auch geringere Erwartungen an ihre eigenen Fähigkeiten entwickeln als Jungen, sogar wenn ihre Leistungen besser sind. Diese These wurde von Parsons und anderen aufgestellt und in einer Untersuchung bestätigt.[12]
Statistikstudentinnen des Mathematiklehrers John Ernest in Kalifornien befragten Mädchen und Jungen nach ihren Lieblingsfächern. Rechnen wurde von keiner Gruppe erwähnt. Auf die Frage, wer besser rechnen kann, erhielten sie als einstimmige Antwort, mit der auch die Lehrer(innen) übereinstimmten: »Jungen«. Die Zensuren ergaben jedoch keinen Leistungsunterschied. Trotzdem bestanden die Kinder darauf, daß nur Jungen wirklich rechnen könnten. Wenn Mädchen gut waren, so war dies in ihren Augen ein Zufall oder ein zeitlich begrenzter Erfolg.[13]
Es hat sich erwiesen, daß Jungen auch schon im Vorschulalter die eigenen Leistungen realistischer einschätzen als Mädchen.[14] Bei Jungen stimmt die Selbsteinschätzung mehr damit überein, wie sie meinen, von zentralen Personen in ihrem Leben (significant others) beurteilt zu werden.[15]
Selbsteinschätzung im Verhältnis zu Erfolg und Mißerfolg
Parsons und andere weisen darauf hin, wie die niedrige Selbsteinschätzung von Mädchen dazu führen kann, daß sie Entschuldigungen für ihre guten Leistungen finden. Sie beziehen sich auf eine Untersuchung, die folgende These aufstellt:[16] Wenn jemand einen Mißerfolg erwartet, aber erfolgreich ist und dann den Erfolg damit erklärt, Glück gehabt zu haben, bleibt die anfänglich niedrige Erwartenshaltung für die Aufgabe erhalten; wenn jemand einen Mißerfolg erwartet und auch erfährt, stimmt die Erklärung eines scheinbaren Mangels an Fähigkeit mit der anfänglich niedrigen Erwartenshaltung überein. Dies bedeutet, daß Kinder mit niedrigen Erwartungen ihre Mißerfolge einem Mangel an Fähigkeiten zuweisen und ihre Erfolge mit besonderem Arbeitseinsatz oder Glück erklären. Eine ganze Reihe von Untersuchungen bestätigen dieses Modell.[17] So etwa auch die Forschungsarbeit von Sue Sharpe in England, von der sie berichtet: »... Mädchen waren sehr bereit, Verantwortung für intellektuelles Versagen zu übernehmen, während Erfolg eher dem Glück oder den Launen von anderen zugeschrieben wurde.«[18]
Für Mädchen ist also Erfolg Glücksache und Versagen ein Mangel an Fähigkeiten Für Jungen sieht es genau umgekehrt aus: Erfolg- schreiben sie ihren Fähigkeiten zu, Mißerfolg- ist eher ein Zufall.
Wenn Mädchen meinen, aufgrund von Geschlechterstereotypen geringere Fähigkeiten zu haben, ist anzunehmen, daß sie als Resultat niedrigere Erwartungen an sich selbst entwickeln und ihre Erwartungen mehr von Mißerfolg und weniger von Erfolg beeinflußt werden als die von Jungen. Die meisten Untersuchungsergebnisse bestätigen diese Hypothesen.[19] Guttentag und Bray meinen hierzu: »Wenn Mädchen ihre Erfolgschancen unterschätzen und im Ermessen ihrer Fähigkeiten unrealistisch sind, haben sie vielleicht mehr Angst vor Mißerfolg oder wenigstens weniger Freude an dem Wissen um ihre Kompetenz.«[20] Diese Aussage wirft uns voll in die Diskussion um die Bedeutung von Angst vor Erfolg, die in den USA seit Erscheinen eines Aufsatzes von Matina Horner im Gange ist.
Angst vor Erfolg
Ich werde dieses Phänomen sehr detailliert beschreiben, weil ich die Auseinandersetzung damit in folgender Hinsicht wichtig finde: Horners Konzept wurde - wahrscheinlich gegen ihre Absicht - zum Anlaß, das Versagen von Frauen in bestimmten Situationen mit persönlichkeitspsychologischen Begründungen abzutun; vielleicht ein Grund für dessen Popularität. Condry und Dyer schreiben:
Persönlichkeitszüge sind, wenn überhaupt, schwierig zu verändern, und sie implizieren eine »Behandlung« des Individuums. Wenn Frauen die Opfer dieses Prozesses sind, dann wird gerade mit diesen Theorien die Schuld dem Opfer gegeben. ... wir können nicht ein »Motiv, das Frauen besitzen« benutzen, um die Ungleichheiten in der Gesellschaft wegzuerklären.[21]
Die Geschichte von Frauen ist davon geprägt, daß die Auswirkungen ihrer gesellschaftlichen Unterdrückung physischen und psychischen Anlagen zugeschrieben werden. Doch nun zu dem Motiv »Angst vor Erfolg«.
Die Theorie der Leistungsmotivation, die 1953 von McClelland und anderen [22] eingeführt wurde, erbrachte, daß bei Männern Leistungsvorstellungen unter anregenden Bedingungen wachsen und dabei Leistungsergebnisse mit dem Eingehen von Risiken sowie dem Grad von Ehrgeiz und Ausdauer zusammenhängen. Für Frauen traf dies nicht zu, [23] weshalb Matina Horner eine Ergänzung der Theorie vorschlug, nämlich die »Motivation, Erfolg zu vermeiden« (motive to avoid success) oder die »Angst vor Erfolg« (fear of success). Hier Horners ursprüngliche Formulierung:
Die Motivation, Erfolg zu vermeiden, ist ein stabiles Charakteristikum der Persönlichkeit, das früh im Leben zusammen mit Geschlechtsrollenstandarden angenommen wird (acquired). Es wird als eine Neigung gesehen, a) sich unwohl zu fühlen, wenn man in Leistungskonkurrenzsituationen erfolgreich ist, weil ein solches Verhalten mit Feminität nicht übereinstimmt (ein interner Standard) und b) gesellschaftliche Ablehnung in solchen Situationen als Ergebnis von Erfolg zu erwarten oder zu befürchten.[24]
Dies bedeutet, daß Frauen, die diese »stabile Neigung, Erfolg zu vermeiden« haben, in Leistungssituationen gehemmt sind. Horner meinte, daß diese Ängste eher bei Frauen auftreten, die Leistungserfolge anstreben und die Fähigkeiten dafür haben. Sie wählte ein einfaches Instrument, das aus der Tradition der Forschung über Leistungsmotivation stammt, nämlich die Analyse von Geschichten, die zu dem Satz geschrieben wurden: »Nach den Klausuren des ersten Semesters steht Anne (für Frauen) oder John (für Männer) an erster Stelle ihrer/seiner Semestergruppe im Medizinstudium.« Horner fand heraus, daß 65,5% der Frauen, aber nur 9,1 % der Männer Geschichten schrieben, die Angst vor Erfolg (ANT) ausdrückten. Frauen, die ANT-Geschichten schrieben, erbrachten - im Gegensatz zu Männern auch schlechtere Leistungen in Konkurrenzsituationen.
In den folgenden Jahren wurde Horners Methode teilweise kritisiert, und man führte eine Serie von Untersuchungen durch, um zu testen, inwieweit sich Homers Ergebnisse bestätigen ließen. Die Resultate bei Variationen des Instruments - weisen darauf hin, daß die Geschichten eher die Einstellung der Person zu einer bestimmten Situation als tiefsitzende Motivationen darstellen. Wenn beide Sätze (über Anne und über John) sowohl an Männer als auch an Frauen gegeben wurden, zeigte sich, daß Männer mehr AVE-Geschichten in Bezug auf Anne schrieben, während die Resultate für Frauen je nach Untersuchung unterschiedlich waren. Anscheinend hat die negative Reaktion auf Anne nicht nur mit ihrem Erfolg zu tun, sondern damit, daß sie von der Norm abweicht: Wenn die Aussage war, daß Anne die Erste in der Schule für Krankenschwestern war (statt im Medizinstudium), gab es weniger ANT-Geschichten.[25] Und Lockheed fand bedeutend weniger Angst vor Erfolg, wenn eingefügt wurde, daß die Hälfte von Armes Kommilitoninnen in der Medizin Frauen waren, als wenn alle dachten, Anne wäre die einzige Frau.[26]
Diese und andere Ergebnisse deuten darauf hin, daß das Konzept »Angst vor Erfolg« mit Geschlechterrollennormen zu tun hat und mit den negativen Konsequenzen, die in gewissen Situationen bei Abweichung von Normen zu erwarten sind. Ferner scheinen Frauen mehr Schwierigkeiten in Konkurrenzsituationen mit Männern als mit Frauen zu haben. Daß Frauen in den Geschichten solche Konsequenzen von Erfolg beschreiben, zeigt im Grunde eine klare Einschätzung ihrer Realität: Offensichtlich laufen ihre Erfahrungen darauf hinaus, daß Männer erfolgreiche Frauen bestrafen. Die Schwierigkeit, die Frauen mit Leistungsanforderungen und Konkurrenzsituationen mit Männern haben, rühren also nicht von einer geschlechtsgebundenen Persönlichkeitsneigung her, sondern von gesellschaftlichen Gegebenheiten, die Frauen immer wieder konkret und persönlich erfahren.[27]
Lockheeds Ergebnisse sind in dieser Hinsicht in mehreren Aspekten interessant. Sie machte ihre Untersuchung 1974 an zwei Colleges in der San Francisco Bay Gegend, einer Region, in der die Frauenbewegung stark vertreten ist. Lockheed weist auch darauf hin, daß der Prozentsatz von Frauen, die einen höheren Universitätsabschluß anstrebten, sich von 38,6% im Jahr 1967 auf 50,2% im Jahr 1971 erhöht hatte. Sie schreibt, daß fast 65% der Geschichten über »Anne«, die von Frauen geschrieben wurden, diese Orientierung implizit wiedergaben und 6% sich direkt auf die Frauenbewegung bezogen.
Implizit:
Sie verdoppelt ihre Bemühungen, fährt mit der Ausbildung fort, spezialisiert sich vielleicht auf ein besonderes Interessengebiet wie Gynäkologie und wird eine erfolgreiche Ärztin. Sie verfolgt ihre Karriere weiter, obwohl sie schließlich heiratet und eine Familie hat.
Explizit:
Sie ist sehr stolz auf diese Leistung. Sie wird sich der Frauenbewegung und deren Zielen viel bewußter. Sie hat das Gefühl, daß sie und die anderen Frauen in ihrem Semester allein durch ihre Gegenwart in der medizinischen Fakultät etwas zu der Bewegung beitragen.[28]
Die Frauen gaben in ihren Geschichten zu, daß eine erfolgreiche Frau große Hindernisse zu überwinden hat, berichteten jedoch nicht, daß sie Erfolg vermeiden muß. Ihre Geschichten glichen mehr denen, die Männer über »John« schrieben.
Angst vor Erfolg hängt mit den gesellschaftlichen Gegebenheiten zusammen. Eine soziale Bewegung wie die Frauenbewegung kann dazu beitragen, die Einstellung von Frauen zu diesen Gegebenheiten zu verändern.
Die Reaktion der Männer war auch von der jeweiligen Darstellung der Situation abhängig. War Anne die einzige Frau in ihrem Semester, so wurde ihr Erfolg meist ihrer Sexualität zugeschrieben:
Anne ist eine Frau mit außerordentlichen Maßen. In mathematischer Terminologie kann sie als 90-60-90 beschrieben werden, alles schöne, gerade Zahlen. Mit dem Blick auf Anne, wer konnte da den Lehrer beachten?
Da Anne nicht wirklich klug, aber ein schönes Exemplar des weiblichen Geschlechts war, versuchten alle Männer, ihre Zuneigung zu gewinnen, indem sie ihr halfen, bei den Prüfungen zu schummeln.
Erfolg und Feminität schlossen sich für die Männer aus:
Erst fühlte sie sich gut, aber dann bemerkte sie eines Morgens, daß ihr Körper muskulös und unfeminin wurde. ... Anne merkte, was mit ihr passierte - indem sie wider Erwarten hohe Leistungen erbrachte, verneinte sie ihr eigenes feminines Selbst.
War jedoch das Medizinstudium dadurch als legitim ausgewiesen, daß die Hälfte der Klasse Frauen waren, wurden die Reaktionen der Männer positiver. Lockheed schließt aus diesen Ergebnissen:
Männer zeigen weniger Antipathie für weiblichen Erfolg, wenn das Verhalten der Studentinnen als Frauen angemessen beschrieben wird. Dies ist ein starkes Argument für schnelle Änderung der existierenden männlichen Institutionen so daß gleiche Beteiligung von beiden Geschlechtern möglich ist.[29]
Klassenspezifische und kulturelle Aspekte von »Angst vor Erfolg«
Die Untersuchungen über »Angst vor Erfolg« wurden vornehmlich bei Student(inn)en und Kindern der Mittelkasse vorgenommen - ein weiteres Argument gegen die Verallgemeinerung eines solchen Phänomens. Inzwischen sind sozio-ökonomische Unterschiede bei »Angst vor Erfolg« festgestellt worden.[30] Fennema und Sherman fanden zum Beispiel, daß Mädchen aus oberen Schichten eine etwas weniger positive Einstellung zu Erfolg hatten als Jungen, während in Schulen mit Kindern aus der Unterschicht das Gegenteil zutraf.[31]
Ein Indikator für klassenspezifische und kulturelle Unterschiede ist die Einstellung von schwarzen Mädchen, die Joyce Ladner in ihrer Untersuchung aus Familien mit einem bürgerlichen Wertsystem in den USA beschreibt.[32] Diese Mädchen widerstanden emotionalen Bindungen mit Männern. Eine Ausbildung war für sie ausschlaggebend, uni ihre soziale Stellung zu verändern. Wenn du einen guten Job willst, mußt du eine Ausbildung haben Ich könnte jetzt schon heiraten, aber ich bin noch nicht so weit. » Das heißt, »das schwarze Mädchen trägt Verantwortungsgefühl mit der Unabhängigkeit, die sie sich von Anbeginn aneignet. Das bedeutet in ihren Augen Feminität und Frausein.«[33] Die Kombination von Unabhängigkeit und Verantwortungsgefühl für sich selbst ist unbedingt notwendig, um mit der doppelten Diskriminierung fertig zu werden, der schwarze Frauen ausgesetzt sind.[34]
Im Denken der weißen Mädchen nahmen Liebe und Männer einen dominierenden Platz ein. Wenn wir »Angst vor Erfolg« zumindest teilweise als Angst davor, keinen Mann zu finden, interpretieren, dann bedeutet das, daß die Veränderung der Abhängigkeit von Männern und der Organisation von Ehe und Familie ebenso wichtig ist wie die Veränderung der Stellung von Frauen im Beruf.
Ein ähnliches Muster wie bei den schwarzen und asiatischen Mädchen in England mag sich bei türkischen Mädchen in der Bundesrepublik zeigen. Ich habe von mehreren Lehrerinnen gehört, daß türkische Schülerinnen oft ein stärkeres Unabhängigkeitsstreben, verbunden mit dem Wunsch nach einer guten Ausbildung, als deutsche Mädchen ähnlicher Klassenherkunft haben.
Es bleibt die Frage, wie gerade die Schülerinnen, die du Selbstvertrauen aufgrund realistischer Einschätzung ihres Mangels an Entwicklungsmöglichkeiten verlieren, unterstützt und gefördert werden können.
Angst vor Versagen
Die »Angst vor Versagen« ist meiner Ansicht nach ein noch größeres Phänomen bei Frauen als die »Angst vor Erfolg«. Sie äußert sich auch in der »Schulangst«, deren Auswirkungen in letzter Zeit viel Beachtung erhalten haben, allerdings kaum auf geschlechtsspezifische Aspekte hin untersucht wurden. In einer Untersuchung über Schulangsterfahrungen von Gesamtschulen [35] ergaben sich durchgängig höhere Angstwerte für Mädchen sowohl bei »Prüfungsangst« wie bei »manifester Angst« (Verfestigung gehäufter, aber unbewältigter Angsterfahrungen zu einer allgemeinen Neigung).
Die Kombination der Merkmale Geschlecht und Leistung ergab für die Prüfungsangstwerte, daß sich Geschlecht und Leistung gegenseitig verstärken: Die Differenz zwischen leistungsstarken Jungen und leistungsschwachen Mädchen ist hochsignifikant. Zwischen Mädchen beider Leistungsgruppen ist der Unterschied wiederum größer als zwischen guten und schlechten Schülern. Leistungsstarke und -schwache Jungen haben relativ weniger Prüfungsangst als vergleichbare Mädchen.
Die Autor(inn)en weisen darauf hin, daß geschlechtsspezifische Unterschiede in der realen Angstprägung nicht eindeutig belegt seien. Sie meinen, daß die Sozialisation von Mädchen es, ihnen möglicherweise eher »zugestehe«, ihren Ängsten Ausdruck zu verleihen, während sie sich bei Jungen eher in Aggressivität und Schulunlust äußere. Es zeigte sich allerdings bei dem Merkmal »Schulunlust«, daß leistungsschwache Mädchen (also die Gruppe, die die höchsten Angstwerte hatte, auch die höchsten Werte für Schulunlust aufwiesen; ein Ergebnis, das in der Untersuchung nicht weiter diskutiert wird. Wir können jedoch aufgrund der in Kapitel über Interaktionsformen und Leistungsbewertung aufgezeigten unterschiedlichen Beurteilungen von Schülern und Schülerinnen sagen: Da leistungsschwache Mädchen noch weniger Aufmerksamkeit und weniger differenzierte Beurteilungen erhalten, ist zu erwarten, daß nicht nur ihre Prüfungsangst, sondern auch ihre Schulunlust größer ist als die der Jungen.
Schulangst hängt mit Mangel an Selbstvertrauen und Prüfungsangst mit mangelnder Übung in Konkurrenzsituationen zusammen. Mädchen werden so erzogen, daß sie Konkurrenzsituationen vermeiden und wenig Selbstvertrauen entwickeln. So sagte mir eine Frau:
»Meine Zeit als Leistungssportlerin war wichtig für mich, weil ich dort lernte, mit Konkurrenzsituationen umzugehen. Ich verlor meine anfängliche Angst. Später war das sehr nützlich - im Vergleich zu anderen Frauen fand ich, daß ich Examenssituationen besser bewältigen konnte und mich weniger von den Allüren der Männer einschüchtern ließ.«
Nur wenige Mädchen haben Gelegenheit, sich auf diese Weise zu trainieren. Das Ergebnis ist auch wieder in einer Reihe von Untersuchungen demonstriert. Sechs- bis neunjährige Mädchen zeigten wenig Selbstvertrauen und erwarteten, in Situationen zu versagen, in denen Jungen erwarteten, erfolgreich zu sein. Sie schrieben sich auch selbst die Schuld an einem Versagen zu, während Jungen diese in der Aufgabe selbst oder in einer anderen Person sahen.[36]
Bei einem Versuch mit Kindergarten- und Grundschullehrern sollten Kinder zwei Puzzle in einer bestimmten Zeit zusammensetzen. Dann wurde ihnen gesagt, sie könnten ein zweites Mal an einem der Puzzle weiterarbeiten. Die Jungen machten meist das Puzzle fertig, das sie vorher nicht zuende machen konnten, während die Mädchen das Puzzle wiederholten, das sie schon einmal erfolgreich zusammengesetzt hatten. Sie vermieden die Situation, die Versagen beinhalten konnte.[37]
Mehrere Untersuchungen zeigten, daß Jungen sich noch mehr bemühen, wenn sie versagt haben, während Mädchen eher aufgeben. Interessanterweise war das Ergebnis genau umgekehrt, wenn es sich um Interaktion zwischen Gleichaltrigen handelte: Hier gaben die Jungen eher auf, während die Mädchen die Aufgabe noch einmal versuchten.[38]
Die Wirkungsrichtung der Angst vor Versagen hängt mit der Sozialisation zusammen: Mädchen, die auf Männer und Ehe hin trainiert sind, werden nicht nur Angst vor Versagen im Beruf haben, sondern auch Angst vor Versagen in Bezug darauf, einen erstrebenswerten Mann zu finden. Mädchen, die mehr darauf hinerzogen sind, selbständig zu sein, wird der zweite Aspekt weniger belasten. Die Möglichkeit, Situationen zu entgehen, die ein Versagen bedeuten könnten, scheint sich jedoch gerade durch Ehe und Familie zu bieten und wird auch deshalb von so vielen Frauen weiterhin wahrgenommen. Auf diese Weise nehmen sie sich häufig die Möglichkeit, diese Sozialisationseffekte abzubauen.
Es wäre interessant zu untersuchen, ob lesbische Frauen sich im Hinblick auf Angst vor Versagen und Erfolg von heterosexuellen Frauen unterscheiden, worauf bei ihnen solche Ängste beruhen und wie sie mit ihnen umgehen. Allein aus ökonomischen Gründen können sie es sich meist nicht erlauben, leistungsfordernden Situationen aus dem Weg zu gehen.
Einfluß von Sozialisationsagenten
Eine Reihe von Untersuchungen deuten darauf hin, daß Eltern an ihre Söhne größere Erwartungen stellen als an die Töchter. In der Grundschule erwarten Eltern oft bessere Leistungen von den Mädchen, was aber unabhängig ist von ihren Prognosen für die Leistungen ihrer Töchter und Söhne als Erwachsene. Hohe Erwartungen für Schulleistungen der Töchter wenden Erwachsene also nicht unbedingt auf deren Berufsperspektiven an.[39] Diese Erwartensvermittlung ist so subtil, daß sie schwer in Versuchsreihen festzustellen ist. Ihr Einfluß schlägt sich jedoch unter anderem in der Berufswahl der Mädchen nieder.
Die Erklärungsweisen von Eltern und Lehrern für Erfolg und Versagen sind Teil dieses Sozialisationsprozesses:
Eltern und Lehrer(innen) können kognitive Erklärungen für die Erfolge und Mißerfolge von Kindern geben, wie »Das hast du wirklich wieder mal gut geschafft« (Junge) oder »Du mußt dir ja sehr viel Mühe gegeben haben« (Mädchen). ... Auf die Weise ermutigen Eltern und Lehrer(innen) Jungen, ihre Mißerfolge den Schwierigkeiten der Aufgabe oder schlechter Stimmung zuzuschreiben, während sie Mädchen vermitteln, daß ihr Versagen mit mangelnden Fähigkeiten zu erklären ist. Sie fördern so bei Mädchen, im Gegensatz zu Jungen, daß Versagenserlebnisse in das Selbstbild aufgenommen werden.[40]
Eine Untersuchung von Dweck bestätigt das für Lehrerinnen. Sie schrieben intellektuelles Versagen bei Jungen sechsmal mehr einem Motivationsmangel (einer »unstabilen« Ursache) zu als bei Mädchen.
Für Eltern stehen solche Untersuchungen noch aus.
Außer Eltern und Lehrer(inne)n wirken andere Personen, die persönlichen Kontakt mit Kindern haben, einschließlich der Gleichaltrigen, als Sozialisationsagenten. Hinzu kommen die allgemeine Umgebung, Medien, Religion, kulturelle Institutionen wie Feste, Bräuche. Meist bestärken sie die mehr oder weniger unterschwelligen Tendenzen der Eltern und Lehrer(innen) in mehr oder weniger subtiler Weise.
Ein gegenteiliger Einfluß kann in der Masse untergehen, kann aber auch eine machtvolle Wirkung hervorrufen. Viele Mädchen und Frauen berichten von einer Person in ihrem Leben, die ihnen ein anderes Selbstbild vermittelt hat oder einfach durch das, was sie war, gezeigt hat: Du kannst auch etwas anderes sein, als man von dir erwartet. Der aufrührerische Gedanke, der einmal angeregt wurde, kann sich auf verschiedene Weise langfristig auswirken.
Wie können Veränderungen angegangen werden?
Einstellung zum eigenen Geschlecht:
Wie wir in vorher zitierten Untersuchungen gesehen haben, hat sich der Einfluß der Frauenbewegung und ein sich im Wandel befindliches Frauenbild in Untersuchungen mit Studentinnen niedergeschlagen. Eine Untersuchung bei Vorschulkindern unterstützt die Hypothese, daß die Frauenbewegung zur Reduzierung von Geschlechterstereotypen beigetragen hat: Selcer fand weniger Geschlechterstereotypen bei Kindern aus Frauenbewegungsfamilien als bei Kindern aus orthodoxen jüdischen Familien, was sich in Einstellungen sowie in Verhaltensweisen zeigte.***407.10.42**
Praxis und Forschung stehen hier noch in den Anfängen. Für die Praxis ist es jedoch wichtig, sich in der Forschung Frauen zuzuwenden, die fixe Einstellung zum Frausein verändert oder sich von Anbeginn gegen die Übernahme des idealtypischen Frauenbildes gewehrt haben. Wir müssen mehr über die Prozesse wissen, die zu diesen Auffassungen geführt haben, und über die Art und Weise, wie Mädchen und Frauen sich mit einer solch abweichenden Einstellung durchsetzen.
Selbsteinschätzung und Selbstbewertung:
Im Aufbau eines positiven Selbstbildes und gleichzeitig einer realistischen Selbsteinschätzung und -bewertung kommen Eltern und Lehrer(inne)n eine große Aufgabe und Verantwortung zu. Um dieser nachkommen zu können, müssen sie sich selbstkritisch mit den Erwartungen an Mädchen und Frauen auseinandersetzen und auch andere auffordern, sie durch kritische Beobachtung zu unterstützen. Nur so können sie beginnen, die Mechanismen subtiler Einflußnahme bewußt zu machen und, wenn nötig, zu verändern. Folgende Vorschläge können hilfreich bei Bemühungen sein, Mädchen ein positives Selbstbild zu vermitteln:[43]
- Eltern müssen darauf achten, daß sie nicht mit ihrem eigenen Verhalten die kulturellen Stereotype verstärken. Sie müssen die subtilen Hinweise vermeiden, die niedrige Erwartungen vermitteln, und sollten nicht zuviel Besorgnis um die Sicherheit von Mädchen zeigen. Wenn etwas schief geht, sollten sie darauf achten, Mädchen zu ermutigen. Erklären diese ihr Versagen mit mangelnden Fähigkeiten, sollten sie solche Erklärungen nicht einfach hinnehmen, sondern die allgemeinen Umstände mit einbeziehen und auf andere Möglichkeiten hinweisen. Sie sollten Mädchen ermutigen, berufliche Pläne für die Zukunft zu entwickeln und sich hierbei nicht auf frauentypische Berufe zu beschränken.
- Negative und positive Kritik muß auf differenzierte Weise geleistet werden. Sie muß im Zusammenhang mit der Qualität der Arbeit von Kindern gesehen und mit Vorschlägen, wie Kinder ihre Leistungen verbessern können, verbunden werden.
- Mütter, Lehrerinnen und andere Frauen im Leben von Mädchen sollten Modelle weiblicher Kompetenz darstellen und das Leistungsverhalten und hohe Erwartungen von Mädchen an ihre Fähigkeiten und ihre Selbständigkeit verstärken.
- Mißerfolge sollten nicht immer mangelnden Bemühungen und Fähigkeiten zugeschrieben werden, sondern man sollte auch die externen Bedingungen mit einbeziehen. Auf diese Weise kann die »erlernte Hilflosigkeit« von Mädchen verringert werden.
- Eltern und Lehrerinnen sollten Mädchen ermutigen, ihre Erfolge den eigenen Fähigkeiten zuzuschreiben, anstatt sie »bescheiden« zurückzuweisen oder geringer darzustellen.
- Lehrer(innen) sollten sich fragen, ob direkte Konkurrenzsituationen zwischen Mädchen und Jungen förderlich für Mädchen sind.
- Viele Mädchen wehren sich dagegen, Mädchen und Frauen zu werden. Eltern sollten ihnen helfen, eine positive Identifikation mit Frauen zu finden, die nicht bedeutet, daß sie sich »typisch weibliche« Verhaltensweisen aneignen. Hierzu gehört zum Beispiel, sie in den Freundschaften mit Mädchen und in vielseitigen Freizeitaktivitäten zu bestärken, ihnen »Jungenspiele« nicht zu verbieten und »burschikoses« Benehmen abzugewöhnen.
All diese Vorschläge sollen Hilfestellung leisten bei der Stärkung des Selbstvertrauens durch personelle Interaktion. Das ist ein wichtiger Teil im Kampf um die Geschlechtergleichstellung - bei einer gleichzeitigen Veränderung der Umweltbedingungen, besonders der Medien, die Kinder ebenso wie Erwachsene mit Geschlechterstereotypen und frauenfeindlichen Bildern und Aussagen überschütten.
Trotz aller Schwierigkeiten glaube ich, daß die Ermutigung von Mädchen, eine positive und überzeugte Einstellung zu sich selbst zu bekommen, ihnen die Bewältigung und die Veränderung auftretender Schwierigkeiten eher ermöglicht.