Sicherlich erfordern verschiedene Schülerinnen unterschiedliche Arten von Aufmerksamkeit, emotionalem Kontakt und intellektueller Förderung. Die allgemeinen Vorschläge, die folgen, und die auf Erfahrungen beruhen, sind jedoch für viele Mädchen relevant. Sie gehen darauf ein, wie Lehrerinnen sich ihr eigenes Verhalten bewußter machen können, wie sie mit Mädchen und Jungen umgehen können und welche Bedeutung außerschulische Kontakte haben.
Wichtig ist es, so oft wie möglich das eigene Verhalten zu hinterfragen.
Einige Vorschläge mögen als sehr kleine Schritte wirken, sind es aber doch wert, aufgenommen zu werden. So wies eine Lehrerin in der Arbeitsgruppe »Sexismus in der Schule« an der Westberliner Sommeruniversität für Frauen darauf hin, daß es wichtig sei, Schüler(innen) mit Namen anzureden. Da man häufig die Namen der ruhigen Mädchen eher vergißt, sollte man ein Klassenfoto machen und die einzelnen Namen darunter schreiben.
Um zu kontrollieren, welche Schüle(rinnen) passiv sind, ist es hilfreich aufzuschreiben, wer was gesagt hat. Dadurch kann eine Lehrerin vermeiden, sich nur auf die aktiven Schüler(innen) zu konzentrieren. Gegenseitige Unterrichtsbeobachtungen sind zeitlich zwar schwer zu organisieren, sind aber hierfür besonders nützlich. Lehrerinnen sollten versuchen, die Hemmungen abzubauen, Kolleginnen im eigenen Unterricht dabei zu haben. Auch mit Referendarinnen und Praktikantinnen bietet sich eine Zusammenarbeit in dieser Hinsicht an.
Weitere Möglichkeiten sind, Referendare/innen zu bitten, den eigenen Unterricht zu beobachten. Verfügt die Schule über ein Videogerät, kann es sehr hilfreich sein, sich anhand von Videoaufnahmen zu überprüfen. In solchen Aufnahmen kann man gemeinsam mit Kolleg(inn)en beobachten, welche Schüler(innen) aktiv bzw. passiv sind, wer aufgerufen wird, wer nicht, und dabei etwa auch erkennen, wie lähmend aktive Schüler(innen) oft auf ihren Umkreis wirken.
Darüber hinaus ist der Kontakt mit Kolleg(inn)en äußerst wichtig. Gespräche über Schülerinnen und du Verhalten können Einblick in den Einfluß unterschiedlichen Lehrerverhaltens geben und andere Lehrer(innen) dazu anregen, ihren Umgang mit Schüler(inne)n mit einem kritischeren Bewußtsein anzugehen.
Ein anderer Aspekt ist, sich bei der Zensurengebung kritisch zu beobachten. Lehrer(innen) sollten vermeiden, Zensuren für Verhalten zu geben. (Stille, fleißige Schülerinnen erhalten gewöhnlich nie eine 5, aber auch nie eine 1. Es wird vorausgesetzt, daß sie nichts Außergewöhnliches bringen.) Andererseits sollte bei der Zensurengebung die unterschiedliche Vorbildung von Mädchen und Jungen in Betracht gezogen werden.
Bei der Lehrmittelauswahl sollten Lehrer(innen) sich fragen, welche Rolle Frauen, wenn überhaupt eine, in den Büchern spielen. Beim Aufsetzen von Klassenarbeiten, Übungssätzen, eingekleideten Rechenaufgaben, Prüfungsthemen etc. sollten Geschlechtsstereotypen und vornehmliche Bezugnahme auf Männer und männliche Aktivitäten, Errungenschaften etc. ausgeschaltet werden.
Wie können wir nun an eine gezielte Arbeit mit Mädchen herangehen?
Lehrerinnen sollten sich dessen bewußt sein, daß Mädchen meist eine mehr personengebundene Sozialisation hinter sich haben als Jungen. Dies bedeutet, daß sie sich möglicherweise mit der Lehrerin stark identifizieren und daß daher gewisse Einstellungen und Verhaltensweisen übernommen werden. Die Gefahr besteht also, daß Veränderungsprozesse von dem Einfluß einer Person abhängig gemacht werden. Andererseits bietet sich auf diese Weise die Möglichkeit, Mädchen überhaupt dazu anzuregen, sich Vorbilder zu suchen und sich selbst wichtiger zu nehmen. (Die Personenzentriertheit hat schließlich nicht nur mit familiären Erziehungsmethoden zu tun, sondern wird in der Schule dadurch fortgesetzt, daß Mädchen keine Vorbilder - in Berufsbeschreibungen, biographischen Aufzeichnungen, aktuellen Persönlichkeiten etc. - finden.)
Die Autorinnen eines Buches über außerschulische, einwöchige Lehrgänge mit Hauptschülerinnen schreiben über die Notwendigkeit einer konstanten Identifikationsfigur:
Weil Lehrerinnen über Jahre mit den Schüler/innen zusammen sind, haben sie trotz der bekannten schlechten Bedingungen an der Hauptschule bessere Möglichkeiten, das traditionelle Frauenbild der Schülerinnen (und Schüler) und entsprechend deren Verhalten zu korrigieren. Viele Lehrerinnen unterschätzen diese Möglichkeit.
Erfahrungen mit unterschiedlichen Hauptschulklassen zeigen, daß viele Mädchen aus Klassen, in denen Lehrerinnen unterrichrichten, die die Mädchen fördern, selbstbewußter sind, aktiver am Unterricht teilnehmen, ihre Interessen formulieren können. Zwar gibt es auch in diesen Klassen stille Mädchen, die »bloß atmen", aber der Anteil der selbstbewußten Mädchen ist höher.[1]
Die Verhaltensweisen von Mädchen dürfen nicht als »typisch weiblich« abgetan werden. Häufig sind sie Ansätze und Ausdruck von Gegenwehr. Sie müssen als solche erkannt werden und Lehrerinnen sollten sich fragen, wie sie Mädchen unterstützen können. Savier und Wildt schreiben in diesem Zusammenhang über ihre Arbeit mit Mädchengruppen außerhalb der Schule:
Eine Pädagogik, die von der Devise ausgeht »Mädchen sind emanzipiert, wenn sie das können, was Jungen können", hat die fatale Folge, daß Mädchen mit einer zusätzlichen Leistungsanforderung konfrontiert werden . . . »Feministische Pädagogik« heißt, Verhaltensweisen danach zu bewerten, wie ihr tatsächlicher gesellschaftlicher Nutzen ist (z.B. Neubewertung der von Mädchen und Frauen geleisteten Arbeit im Reproduktionsbereich).
Ein solcher Ansatz spricht nicht dagegen, daß Mädchen die Möglichkeit haben sollen, das zu lernen, was sie wollen. Dazu gehören dann vielleicht auch Fähigkeiten, die bisher als »typisch männlich« galten. Es muß nur klar sein, daß ein Mädchen diese »männlichen« Fähigkeiten nicht unter dem Aspekt, genauso »gut« zu werden wie ein Junge erlernt, sondern aufgrund ihres Interesses an der Sache.[2]
Ich denke, daß diese Aufwertung von Frauenarbeit grundlegend ist, obwohl eine qualitative Gleichstellung unmöglich sein wird, solange Arbeit im Reproduktionsbereich unbezahlt ist und fast ausschließlich von Frauen verrichtet wird.[3]
Lehrerinnen sollten:
- Schülerinnen, die sich nicht »idealtypisch« verhalten, bestärken und anderen Kolleg(innen)en und Mitschüler(inne)n gegenüber unterstützen. Die Methoden hängen von den individuellen Schülerinnen ab. Wie oben diskutiert, gibt es auch in diesem Rahmen positives und negatives Verhalten. Letzteres kann nicht unbedingt unterstützt werden. Die Schülerin darf jedoch nicht aufgrund ihres Verhaltens als unfähig abgelehnt werden. Stattdessen sollte man ihr Angebote zur Mitarbeit machen und Gelegenheit geben, zu zeigen, daß sie mehr kann.
- Mädchen in Auseinandersetzungen mit Jungen unterstützen. Dies ist häufig eine schwierige Aufgabe. Es gibt gewisse Situationen, in denen wir uns eindeutig für die Mädchen einsetzen müssen, auch wenn sie sich selbst ambivalent verhalten, wie z.B. bei direkten sexuellen Übergriffen von Jungen. Gleichzeitig sollten Lehrerinnen versuchen, Konkurrenzverhalten zwischen Mädchen abzubauen, das sich häufig in der Pubertät entwickelt.
- Schülerinnen dazu ermutigen, sich in naturwissenschaftlichen Fächern und in Arbeitslehre (Technik) zu bewähren. Dies sollte nicht heißen, daß andere Fächer, in denen Mädchen sich üblicherweise mehr hervortun, abgewertet werden, sondern, daß Mädchen vielseitigere Interessen und Fähigkeiten entwickeln. Auch in diesem Bereich ist eine Zusammenarbeit mit den entsprechenden Fachlehrern erforderlich: Schülerinnen brauchen Beachtung, Ermutigung und positive Kritik. Sie müssen erfahren, daß hohe Ansprüche an sie gestellt werden. Wenn sie nach mehr Zweckgebundenheit verlangen, sollte dies als konstruktive Kritik aufgefaßt werden, die auch Jungen zugute kommt.
- Schülerinnen immer wieder zum selbständigen, kreativen Arbeiten anregen: Wichtig ist die Erfahrung, daß Lehrpersonen noch andere Fähigkeiten von Mädchen erwarten, als Sauberkeit, Fleiß und gutes Vorlesen. Lehrerinnen müssen Mädchen immer wieder fordern, ihnen positive Bestätigung geben, sie wissen lassen, daß sie sich für Mädchen einsetzen, wenn Jungen sie lächerlich machen, Dazu ist wichtig, Schülerinnen zu beobachten: manchmal wollen sie etwas sagen, trauen sich aber nicht, sich zu melden. Man sollte ihnen auch immer wieder Arbeitsangebote machen und Gelegenheit geben, Aufgaben, die sie bewältigt haben, vor der Klasse zu vertreten. Viele Lehrer(innen) werden erstaunt sein, was die Mädchen an unerwarteten Leistungen bringen, wenn sie gefordert werden.
Insbesondere wenn durch Aufgreifen des Themas Sexismus ein gewisses Bewußtsein bei den Schülerinnen geschaffen ist, sollte * n beide Seiten sich zur Kritik und Selbstkritik anregen. So erzählte mir eine Lehrerin, daß die Kinder im Musikunterricht eine Reihe von Instrumenten zusammenbauten und sie den Jungen automatisch die Trommeln überließ. Als die Mädchen die Trommeln übernehmen wollten, wies sie darauf hin, daß dies für die Jungen doch einfacher zu bewältigen sei. Die Mädchen empörten sich sehr über ihre Einschätzung und sie selbst kritisierte sich dann vor ihnen. Sie meinte zu mir: » Vielleicht sollte ich gar keine Unterrichtseinheit über Frauen machen, wenn ich selbst noch solche Probleme habe.« Ich denke, dies ist eine falsche Schlußfolgerung. Gerade der Umgang mit dieser Problematik im Unterricht kann zu Bewußtseinsprozessen führen, die beide Seiten voranbringen - wenn die Lehrerin offen genug ist, sich und den Schülerinnen einzugestehen, daß sie selbst auch noch vor vielen Hürden steht. Problematisch wird das Thema, wenn sie meint, den Schülerinnen ein falsches Bild von sich geben zu müssen.
Wenn eine Lehrerin sagt: »Es ist immer erst ein Bewußtseinsakt, wenn ich den Mädchen eine technische Arbeit zuteile«, so deutet dies auf die Entwicklung hin, die Lehrerinnen mit Mädchen zusammen durchmachen (können). Viele Lehrerinnen beherrschen selbst nicht die handwerklichen und technischen Fähigkeiten, die sie Mädchen als wichtig nahelegen möchten. Es wird auch vorkommen, daß Lehrerinnen in dieser Hinsicht von den Schülerinnen lernen können.
Zwischen der eigenen Betroffenheit beim Ansprechen frauenspezifischer Themen und der meist privilegierten Position sowie der Machtstellung Schülerinnen gegenüber besteht ein Widerspruch. Hinzu kommen Klassenunterschiede. Trotzdem dürfte es für eine Lehrerin immer noch einfacher sein, sich mit den Schülerinnen zu identifizieren, als es zum Beispiel für einen Lehrer bürgerlicher Herkunft ist, eine gemeinsame Ebene mit Hauptschülern zu finden.
Austausch auf privater Ebene
Wenn wir private Kontakte mit Schülerinnen aufbauen, können Konkurrenzprobleme zwischen Jungen und Mädchen aufkommen. Wir können uns mit Jungen und Mädchen zusammen treffen. Dies gibt ihnen Gelegenheit, sich außerhalb der Schulsituation auseinanderzusetzen. Andererseits ist es wichtig, sich auch alleine mit Mädchen zu treffen.
In Jugendfreizeitheimen haben Mädchengruppen immer mehr an Bedeutung zugenommen.[4] Hier bestätigt sich eine wesentliche Erfahrung der autonomen Frauenbewegung: Mädchen müssen zeitweise unter sich sein, um nicht ständig der Konkurrenzsituation mit Jungen (oder mit Mädchen um Jungen) ausgesetzt zu sein. Um sich selbst wichtig zu nehmen, müssen sie die Erfahrung machen, daß sie auch ohne Jungen etwas mit sich anfangen können. Hinzu kommt, daß sie auf diese Weise einen Erfahrungsaustausch haben können, der meist vor Jungen nicht stattfindet und der ihnen ein Gefühl der Stärkung und des Rückhalts vermitteln kann.
Lehrerinnen sollten sich nicht durch Befürchtungen, daß sie sich dem Vorwurf der Einseitigkeit aussetzen könnten, davon abhalten lassen, Mädchengruppen anzuregen oder zu unterstützen:
»Geschlechtsspezifische Erziehung muß nicht feministisch sein, aber feministische Erziehung ist immer geschlechtsspezifisch . . . Eine feministische Arbeit mit Mädchen ist in jedem Fall parteilich und an ihren Interessen und dem Wunsch nach eigener Identität orientiert.«[5]
Es stellen sich jedoch andere Probleme. Z.B.. wie weit führe ich mein Privatleben an, wenn ich mit Schülerinnen über Verhaltensweisen zwischen Frauen und Männern und über ihre Verhaltensweisen untereinander spreche? Ganz abgesehen davon, wie weit sie zu meinem Privatleben aufgrund ihres Erfahrungsbereichs überhaupt einen Bezug haben können. Hierbei müssen wir offen für verschiedene Formen der Kritik sein und uns selbst fragen, wo unser eigenes Verhalten Parallelen zu dem der Mädchen aufweist (z.B. wenn wir mit den Mädchen kritisch über ihre Zentriertheit auf Äußerliches sprechen, unsere Ausgaben für Friseur und Kleidung reflektieren; wenn wir ihren Mangel an verschiedenartigen Interessen diskutieren, unsere -eigenen Schwierigkeiten auf diesem Gebiet einzugestehen.)
Ein kontinuierlicher Einblick in das Privatleben der Lehrerin/Erzieherin kann dazu führen, daß Mädchen ihren Horizont dahingehend erweitern, auch andere Lebensformen als z.B. die Gründung einer Kleinfamilie gleich nach Schulabschluß in Erwägung zu ziehen, oder daß sie gewisse Dinge in ihre häusliche Situation einbringen, z.B. bezüglich der Behandlung von Kindern. Andererseits ist uns klar, daß auch dieser Austausch uns nicht auf dieselbe Diskussionsebene bringt: die Mädchen haben nicht denselben Einblick in unser Privatleben wie wir in ihres. Wir verbringen zunächst einmal Zeit mit den Mädchen, weil dies zu unserem Beruf gehört, für den wir bezahlt werden. Auch wenn wir uns außerhalb der Schule freiwillig mit ihnen treffen, ist unsere berufliche Stellung der Ausgangspunkt dieser Kontakte.
Was für Aktivitäten können Lehrerinnen mit Schülerinnen außerhalb der Schule entwickeln?
Die Situation ist schwierig, weil die Lehrerin nur begrenzt Zeit haben wird und weil keine Räumlichkeiten für diese Treffen vorgesehen sind. Viel hängt davon ab, welche Interessen die Mädchen haben, wie alt sie sind, was ihr Familien- und Klassenhintergrund ist, etc.
Um sich dem Vorwurf der Bevorzugung zu entziehen, können Lehrerinnen eine Arbeitsgruppe zu einem frauenspezifischen Thema angeben. Ein Projekt wird oft ergiebiger sein, als eine Gesprächsgruppe, die leicht erlahmen kann.
Hier sind ein paar Ideen für Gruppenaktivitäten:
- zusammen Frauenfilme ansehen und darüber sprechen
- Frauenprojekte, wie Frauenbuchläden, Frauenzentren, das Berliner Frauengesundheitszentrum, Frauencafes zusammen besuchen; gemeinsam über ausgewählte Frauenliteratur und -zeitschriften sprechen
- zusammen Sport treiben; möglicherweise eine Mädchenmannschaft in Sport aufbauen
- zusammen Musik machen - zusammen kochen
- Kontakte mit anderen Mädchengruppen knüpfen
- heatergruppen können eine gute Gelegenheit sein, sich auf verschiedenen Ebenen mit Dingen auseinanderzusetzen und gleichzeitig etwas zu produzieren:
- Konzipierung und Formulierung eines Problems, Interesses . . . (z.B. »Wie wehre ich mich, wenn ich von Jungen/Männern angemacht werde?« Das Durchspielen realer Möglichkeiten kann Ansätze zur Veränderung stärken.)
- Arbeit daran, mithilfe von Rollenspiel.[6]
- Gelegenheit, sich mündlich, schriftlich und durch Körpersprache auszudrücken
- kooperieren, etwas zusammen produzieren und das Produkt ernst nehmen und möglicherweise auch nach außen darstellen
- parallel laufende Gesprächsprozesse, die mit Selbsterfahrung zu tun haben. Tonbandaufnahmen geben die Möglichkeit, zusammen Veränderungen zu verfolgen.
Eine solche projektähnliche Arbeit kann möglicherweise auch im Rahmen der Schule stattfinden.
Die Entwicklung und Bewußtmachung von verbalen und nicht-verbalen Kommunikationsformen kann ein wichtiger Aspekt dieser Zusammenarbeit sein. Die Übernahme des »Jargons« der Schülerinnen mag z.B. eher hemmend als kommunikationsfördernd wirken. Körpersprache ist ein wichtiger Bereich, gerade weg wir als Lehrerinnen so trainiert sind, uns hauptsächlich verbal zu verständigen. Aber:
- sind wir darauf vorbereitet, auch ein Verstummen oder Sichzurückziehen der Schülerinnen als Kritik wahrzunehmen?
- wie verhalten wir uns, wenn Mädchen miteinander Zärtlichkeiten austauschen? Gerade beim Austausch von Zärtlichkeiten unter Mädchen ist es wichtig, daß wir sie spüren lassen (z.B. durch Blick, Lächeln etc.), daß dies akzeptabel ist, daß der in der Pubertät einsetzende Bruch zur Heterosexualität (den auch Jungen nicht unbedingt ohne Zwang erleben) nicht bedeuten muß, daß sie ihre Freundinnen und die Gefühle zu ihnen verleugnen müssen. Ebenso wichtig ist es, daß Mädchen sehen, wie Lehrerinnen unter sich Zärtlichkeiten austauschen.
Wenn sich Gespräche über Sexualität und Beziehungen ergeben, sollten Mädchen die Möglichkeit haben, einen offenen Austausch zu führen. Hierfür müssen wir unsere eigenen Ansichten hinterfragen und uns darüber klar sein, wieviel wir von uns selbst preisgeben wollen. Wir sollten uns auch mit dem Zwang zur Heterosexualität auseinandersetzen: einmal, um Mädchen zu helfen, sich und ihre Bezüge untereinander nicht völlig für Jungen aufzugeben und zum anderen, um die wenigen Mädchen zu unterstützen, die sich für Frauenbeziehungen entscheiden und sich einem Berg von Vorurteilen gegenübersehen, ohne sonstige Möglichkeiten für Austausch und Bestätigung. Besonders wichtig ist es, mit Kolleginnen über Sexualität zu sprechen. Ein konstruktiver Austausch auf dieser Ebene, der bisher sehr selten ist, hat einen Multiplikationseffekt.
Außerschulische Kontakte sollten Gelegenheit geben, sich mit Schülerinnen intensiver über Problembereiche und Zukunftspläne auseinanderzusetzen. Dazu kann gehören, daß wir ihre Berufswünsche bzw. den Mangel daran mit ihnen diskutieren. In Zusammenarbeit mit anderen Lehrerinnen und Lehrern können wir versuchen, gerade in diesem Bereich Mädchen Identifikationsmöglichkeiten zu schaffen und Schülerinnen dazu zu ermutigen, sich das Äußerste zuzutrauen - natürlich nicht, ohne die gesellschaftlichen Hindernisse mit ihnen durchzusprechen und Strategien dagegen zu entwickeln. Zusammenarbeit mit Frauengruppen und anderen interessierten Gruppen sollte auf die Organisierung von Widerstand gegen den Ausschluß von Mädchen aus vielen Berufssparten zielen. Ein solcher Rückhalt kann auch ihr Durchhaltevermögen stärken, wenn sie sich für einen bestimmten Beruf entschieden haben.
Oft erzeugt die Beschäftigung mit dem Bereich »Beruf« Ängste. Es kann nützlich sein, die Schülerinnen mit Frauen aus allen möglichen Berufssparten zusammenzubringen, auch mit Frauen, die ein ungewöhnliches Leben führen.[7] Fernerhin sollten Lehrer(innen) an Gymnasien darauf dringen, daß Berufskunde unterrichtet wird. Auch Elternarbeit ist in dieser Beziehung von großer Bedeutung.
Falls sich durch den Schulunterricht oder durch außerschulische Kontakte eine Mädchengruppe bildet, muß sich die Lehrerin darüber klar werden, wann sie ihre Teilnahme an der Gruppe aufgeben kann oder sollte. Hierbei sind z.B. folgende Fragen zu erwägen:
- übe ich eine lähmende oder eine anregende Funktion aus
- fördert oder stört meine Gegenwart den sozialen Zusammenhang der Mädchen?
- brauchen die Schülerinnen mich als Identifikationsmodell innerhalb der Gruppe.
- inwiefern bin ich selbst von der Zuwendung der Schülerinnen oder dem Arbeitserfolg durch die Gruppenprozesse abhängig? (Eine solche Abhängigkeit ist durchaus akzeptabel, solange sie nicht zum Eigenzweck wird.
- welche Wirkung hat es, wenn ich mich der Gruppe entziehe?
Eine Mädchengruppe kann auch von außen her unterstützt werden, indem Frauenthemen im Unterricht aufgegriffen werden.Es ist gut, wenn man als Einzelne(r) an diese Problematik herangeht. Besser ist es jedoch, wenn man so viel wie möglich mit Kolleg(inn)en zusammenarbeitet und auch versucht, die Eltern miteinzubeziehen. Ebenso ist es wichtig, besonders männliche Kollegen zu überzeugen, sich mit Jungen über die Probleme ihrer Sozialisation auseinanderzusetzen und sie dazu anzuregen, ihr Verhalten untereinander und Mädchen gegenüber zu verändern.Die folgenden Kommentare einer Realschullehrerin sprechen einige der genannten Punkte an:
»Der Einfluß des Lehrers ist auf das Verhalten seiner Schüler um so stärker, je mehr er auch außerunterrichtlich und außerschulisch mit den Schülern unternimmt. Notwendige Voraussetzung ist ein gutes Verhältnis zwischen Lehrer und Klasse, in dem der Lehrer, als, Vorbild für die Schüler, natürlich nicht die traditionelle Rolle übernehmen darf.
In gewisser Weise wirkt man also dem Elternhaus entgegen, woraus sich Konflikte ergeben können, und zwar für den Schüler in seiner Beziehung zum Lehrer und zu den Eltern bzw. einem Elternteil. Auch dies ist nur durch eine entsprechende Elternarbeit aufzufangen (ich mache alle vier Wochen einen Elternabend - vorgeschrieben sind zwei im Jahr! wir feiern Feste zusammen, ich besuche Eltern, sie können mich jederzeit anrufen). Die Eltern nehmen diese Angebote gern an, fragen sich allerdings auch, wie eine Frau soviel Zeit in ihren Beruf investieren kann.
Interessant erscheint mir übrigens, daß - auch durch den Einfluß der Medien - vielen Schülern das Problem geschlechtsspezifischer Unterschiede durchaus bewußt ist, allerdings ohne allzu fundierte Kenntnisse. Es beruht z. T. auch auf selbst erlebten Ereignissen, z.B. meinen fast alle Mädchen meiner jetzigen Klasse, einen richtigen Beruf ergreifen zu müssen, da viele gesehen haben, daß dies nach der Scheidung der Eltern für die Mutter sehr wichtig war oder ist. Praktisch wirkt sich nach meinen Beobachtungen dieses Bewußtsein hauptsächlich so aus,
daß sowohl Jungen wie auch Mädchen versuchen, sich unter Berufung auf die Gleichberechtigung Vorteile zu verschaffen. Wenn es um Tätigkeiten geht, die ein Junge oder ein Mädchen gern übernimmt, auch wenn es traditionell nicht seinem Geschlecht entspricht, wird oft mit dem Argument der Gleichberechtigung der Anspruch darauf begründet. Sobald es, sich allerdings um unangenehme Dinge handelt, heißt es oft wieder: das ist Mädchensache bzw. Männersache! Dieses Verhalten zeigen nicht alle Schüler, aber sowohl Jungen wie auch Mädchen (was aber wohl schon als Fortschritt bezeichnet werden muß).
Und gerade diese Fälle sind für die Erziehung sehr fruchtbar, weil sich Diskussionspunkte daraus ergeben, denn jeweils die andere Seite wehrt sich natürlich gegen eine solche Argumentation. Wenn nun auch der Lehrer hier das Rollenverhalten in Frage stellt, müssen die Schüler eine praktische Lösung finden, mit der alle einverstanden sind; und das bedeutet meistens, daß alle Schüler, Jungen und Mädchen, gleiche Rechte und Pflichten bekommen und auch praktizieren müssen.
Ich möchte hierzu noch bemerken, daß sich diese Ansätze von praktizierter Gleichberechtigung am leichtesten auf Klassenreisen verwirklichen lassen, weil dort eben sehr viel mehr Lebensbereiche angesprochen werden (jeder muß seinen Koffer tragen, jeder muß abwaschen, saubermachen etc.). Die Unterrichtssituation in der Schule ist dagegen ein sehr einseitiger und enger Raum, in der Erziehung in weiterem Rahmen schon aus Zeitgründen kaum stattfinden kann, sondern kaum mehr als die im Klassenverband notwendigen Verhaltensformen für den Lernprozeß eingeprägt werden können. Der Spielraum für soziale Kontakte ist viel zu eng!«