Sexualität im Verhältnis von Lehrer(inne)n und Schüler(inne)n

»Mit den Mädchen müssen Sie flirten!«
(Fachseminarleiter zu männlichen Referendaren)
»Die Lehrer spielen ihre Männlichkeit total aus. Das kann man so pauschal von allen Kollegen sagen.«
(Hauptschullehrerin)
»Sexuelle Beziehungen zwischen Lehrern und Schülerinnen spielen eine ganz starke Rolle eine viel größere als bei Lehrerinnen.«
(Gymnasiallehrerin)
»Wir sollten mit der Erotik, die im Lehrerberuf durchaus vorhanden ist, offener umgehen.«
(Hauptschullehrerin)

Wird Sexualität zwischen Vater und Tochter in der Sozialisationsliteratur kaum (über einen Freud'schen Ansatz hinaus) thematisiert, so ist die sexuelle Komponente im Verhältnis von Lehrer(inne)n zu Schüler(inne)n und speziell von Lehrern zu Schülerinnen fast völlig tabuisiert. Dies gilt sowohl für die Forschung als auch für die Praxis. Es gibt wohl kaum ein Lehrerkollegium, in dem dieser Aspekt offen und problematisiert besprochen wird.
Zunächst müssen wir also die Frage stellen: Spielt Sexualität im Verhalten von Lehrer(inne)n und Schüler(inne)n eine Rolle? Wenn wir davon ausgehen, daß Sozialisation in unserer Gesellschaft geschlechtsspezifisch verläuft und die im Kapitel zur Familiensozialisation dargestellte These vertreten, geschlechtsspezifische Sozialisation beinhalte (insbesondere was das Verhältnis von Männern zu Mädchen angeht) immer eine sexuelle Komponente, dann können wir behaupten, daß diese sexuelle Komponente auch in der Schule zum Tragen kommen muß.

Sexualität zwischen Lehrern und Schülerinnen

Die verschiedenen Weisen, in denen Sexualität Beziehungen zwischen Lehrern und Schülerinnen mitbestimmt, werden uns vielleicht klarer, wenn wir an unsere eigenen Schulzeit zurückdenken. Mir fällt dabei der Direktor meiner Schule ein, der gerne »freundschaftlich« seinen Arm um Schülerinnen legte, ihnen einen »väterlichen« Klaps auf Wange oder Hinterteil gab, häufig schlüpfrige Witze auf den Lippen hatte und vor uns anzügliche Kommentare über Lehrerinnen machte. Welche Gefühle hatten wir im Umgang mit ihm ? Die Anzüglichkeiten riefen in uns eine zwiespältige Reaktion hervor: Wir fühlten uns erniedrigt, hilflos und gleichzeitig geschmeichelt. Das Gefühl der Erniedrigung überwog, wenn das Casanova-Verhalten gekoppelt wurde mit Aussprüchen wie: »Ich weiß gar nicht, warum ihr Abitur machen wollt. Ihr heiratet ja doch alle und studiert nicht.«  Aufgrund der Autoritätsstruktur und der Machtverhältnisse hatten wir keine Möglichkeit, uns zu wehren. Dieser Mann konnte also mehrere objektive Gegebenheiten zu seinem Vorteil nutzen:

  1. seine Machtposition als Lehrer und Direktor
  2. seine Machtposition als Mann
  3. die Tatsache, daß wir schon so weit sozialisiert waren, um ein solches Verhalten duldend zu ertragen.

In meinen Interviews mit Lehrerinnen an verschiedenen Schultypen sagten fast alle, daß die sexuelle Komponente eine Rolle spielt, wobei dies in Schultypen mit älteren Jahrgängen natürlich andere Formen annimmt als in denen mit jüngeren Jahrgängen. In den meisten Fällen bezogen sich die Lehrerinnen auf Kommunikationsformen zwischen männlichen Lehrern und Schülerinnen. Ähnlich war es in meinen Gesprächen mit Schülerinnen und Schülern.

»Ich habe an der Handelsschule, an der ich ein Jahr unterrichtete, sowie auch an Hauptschulen häufiger Kollegen erlebt, die ein recht merkwürdiges Verhältnis zu Schülerinnen hatten. M-a-n stellte sich etwa nach dem Klingeln unten an die Treppe, um Schülerinnen unter die Röcke zu schauen, oder bestellte sie in der Jugendherberge zu einem väterlichen Rat einzeln aufs Zimmer. Die Naivität (?!) eines Kollegen ging soweit, mir als Frau von heroischen Liebestaten mit Schülerinnen zu erzählen. Die Angst vor Denunziation (die immerhin die Stelle hätte kosten können) war immerhin geringer als die Sucht nach sexueller Protzerei.«
(Gesamtschullehrerin)
»Zwei Lehrer unterhielten sich über die Attraktivität einer Schülerin, was für einen großen Busen sie habe, daß man sie doch dauernd ansehen müsse. ... Sie sahen sie als Lustobjekt, möglicherweise mit dem Hintergedanken, wie es wäre, mit ihr eine Beziehung zu haben. Sie wußten, daß ich zuhörte.«
(Realschullehrerin)
»Sexuelle Beziehungen zwischen Lehrern und Schülerinnen spielen eine ganz starke Rolle, eine viel größere als bei Lehrerinnen. Zum Beispiel heiratete an unserer Schule ein Lehrer eine dreißig Jahre jüngere Schülerin, ein anderer betatscht gerne. Ein Referendar hat eine Beziehung mit einer Schülerin. Über diese offensichtlichen Formen hinaus gibt es dann die vielen subtilen Arten der Einflußnahme über Sexualität.«
(Gymnasiallehrerin)
»Vielleicht ist ein Satz, der gestern auf einer Feier gefallen ist, bezeichnend für die Situation. Da wurde einem Kollegen von uns gesagt: >Na, nun hast du wieder 'ne 10. Klasse zum Abschluß gebracht. Jetzt hast du ja wieder ein neues Jagdrevier!< Die Lehrer spielen ihre Männlichkeit total aus. Das kann man so pauschal von allen Kollegen sagen. Und zumindest bei uns im Kollegium sind diese Lehrer kritisiert worden. Aber was dabei rauskommt, ist so ein charmantes Lächeln, geschmeichelt, und der Satz: >Na ja, wenn ihr das mit euren Jungen eben nicht macht, seid ihr selbst schuld.< Konservative Lehrer mit einem bürgerlichen Lebensstil lehnen das oft ab. Aber das sind dann auch die, die sowieso die Jungen vorziehen und sagen, Jungen leisten eben mehr, und bei denen die Mädchen sowieso ganz unten rangieren.«
(Hauptschullehrerin)

Nicht alle diese Beziehungen sind auf dieselbe Ebene zu stellen. Die Ehe zwischen dem Lehrer und der dreißig Jahre jüngeren Schülerin mag ein romantischer Sonderfall sein. Flirtverhalten ist nicht unbedingt mit sexuellem Mißbrauch gleichzusetzen. Eindeutig ist jedoch, daß Lehrer die Geschlechtszugehörigkeit von Mädchen ausnutzen:

»Ein männlicher Lehrer hat es leichter. Indem er ein gewisses Flirtverhalten an den Tag legt, zeigt er Mädchen, daß er sie als Sexualpartnerinnen nicht ausschließt. Auf diese Weise kann er die Schülerinnen für sich gewinnen und gleichzeitig den großen Mann vor den Jungen spielen, der ihnen zeigt: >Guckt mal, so mach' ich das, aber dafür müßt ihr erst älter werden.< Ganz abgesehen davon, was man von so einer Methode hält: Wenn eine Lehrerin sich so verhält, wird es von Jungen stark abgelehnt und mit Disziplinschwierigkeiten und Aggressionen beantwortet, denn Frauen dürfen nicht sexuell aktiv sein.«
(Gesamtschullehrerin)
Was hier von Lehrerinnen behauptet wird, wird von Schülerinnen und Schülern bestätigt:
»Wir hatten so einen Lehrer, der sich da besonders hervortat - aber der war krank. Er hat nur in sexuellen Sprüchen geredet. Er war 35 und schlug seine Frau und Kinder. Zum Beispiel fragte ihn mal eine Schülerin, ob er sie mit dem Auto ein Stück mitnehmen könne. Er antwortete: >Aber Sabine, dann landen wir doch gleich im Busch!< Er wurde dann schließlich Schulleiter an einer anderen Schule.«
(Gymnasialschülerin)

Die Begründung, daß der Lehrer krank sei, ist häufig die einzige Ausflucht für Schülerinnen, die keine andere Möglichkeit sehen, sich sein Verhalten zu erklären. (Immerhin war der Lehrer gesund genug, um woanders Schulleiter werden zu können!) Auch in folgendem Kommentar wird das Verhalten eines Lehrers als unabänderlicher Charakterzug interpretiert: Gymnasialschülerin: »Unser Kunstlehrer nimmt immer gerne die Hand von Mädchen und tätschelt sie oder legt seinen Arm um uns. Erst fanden wir das schon komisch. Inzwischen haben wir uns dran gewöhnt.«  Schüler: »Na ja, das ist eben so seine Art.«

Es gibt durchaus Schülerinnen, die die Einstellung und das Verhalten von Lehrern sehr bewußt erleben:

»Die Lehrer sind entweder so konservativ, daß sie uns Mädchen gleich als minderwertig abstempeln. Oder es sind progressive, die sich nicht anmerken lassen wollen, daß sie Schülerinnen von oben bis unten abtasten. «
(Gymnasialschülerin)
»Die Lehrer sprechen uns eben oft als Mädchen an, mit solchen Sätzen wie: So benimmt sich doch ein hübsches junges Mädchen nicht. Einer sagte mal über ein dickes Mädchen, das gut in der Schule war >Na ja, sie ist ja auch keine Augenweide, da braucht sie ja die Zensuren.< Ich kriegte Angst, daß er auch solche Sprüche über mich im Lehrerzimmer und in anderen Klassen macht.«
(Hauptschülerin)
»Sicher gibt es Beziehungen zwischen Lehrern und Schülerinnen. Die jungen Lehrer kommen ja auch zu Feten und tanzen mit den Schülerinnen, und die Schülerinnen schwärmen oft für tolle, kluge Lehrer. Seit wir eine Frauengruppe an der Schule haben, hat sich das etwas geändert. Jetzt haut das nicht mehr so hin, das Idol für intelligente Schülerinnen zu sein. «
(Gymnasialschülerin)

Ab und zu hört man von Schülerinnen, die einen Lehrer unter Druck setzen, indem sie drohen zu behaupten, daß er ein sexuelles Interesse an ihnen gezeigt habe. Sicher kommt so etwas vor. Es ist jedoch bezeichnend, daß gerade diese Fälle an die Öffentlichkeit gelangen, während über das Verhalten von Lehrern kaum gesprochen wird.
Wie betroffen eine Schülerin davon sein kann, sich in einen Lehrer zu verlieben, zeigt sich in folgendem Bericht. Hier wird klar, daß ein Lehrer sich ernsthaft überlegen sollte, wie er auf solche Gefühle reagiert:

»Ich bin 15, gehe aufs Gymnasium, 10. Klasse. In der 9. hab' ich mich in einen Lehrer verknallt und bin jetzt noch nicht ganz davon los. Wir hatten bei ihm Mathe, ich kam von 4 auf 2! Es ist eben unvermeidlich, auch was vom Stoff mitzukriegen, wenn man dauernd die kleinsten Äußerungen und Bewegungen des Lehrers beobachtet. Ich hatte vier Grundschuljahre bei meinem Vater Unterricht, meine Mutter war auch Lehrerin. Dieser Typ entsprach genau meinem idealisierten Vaterbild. Mein Vater hat sich langsam aber sicher als Patriarch, CSU und so weiter erwiesen. Außerdem hat er meine Mutter nervlich kaputtgemacht. Dieser Lehrer grinste die ganze Stunde, sagte niemandem ein wütendes Wort, wohl mal kleine ironische Spitzen, damit haben wir uns gegenseitig befeuert: ständiger Anlaß zum Grinsen. Außerdem wohnt er in demselben Kaff wie ich, ich bin also häufig mittags mit ihm nach Hause gefahren.
Nach einem halben Schuljahr wurde mir dann klar, daß ich ihn lieb(t)e. Ich dachte mir aber: Na, was soll's, es macht Spaß, tut deinen Zensuren gut, verführen willst'n ja nicht. Ich hab' mich dann Hals über Kopf darein gestürzt. Glücksgefühle durchlebt, Magenkrämpfe gespürt, rot geworden, Blicke geworfen. Vor den Sommerferien hatte er schon manchmal recht massive Witze und Anspielungen losgelassen, die ich aber nicht verstand, weil ich's nicht wahrhaben wollte. Aber er grinste beständig weiter. Kurz vor den Zeugnissen wollte er dann mal mit meiner Mutter sprechen, mir ging immer noch kein Licht auf! Mutter hat auf meine direkte Frage hin geleugnet, irgendetwas Privates mit ihm besprochen zu haben.
Nach den Ferien unterrichtete er unsere Klasse nicht mehr. Aber es ging weiter. Er und ich belauerten uns gegenseitig. Ich zum Beispiel, indem ich mich so auf den Gängen aufstellte, daß ich ihn sehen mußte, wenn er vorbeikam. Damit habe ich fast alle Pausen verbracht. Er, indem er etwa mit Leuten redete und mich dabei ansah, wenn ich da war.
Dann erzählte mir meine Schwester, meine Mutter hätte ihr einen Brief geschrieben, in dem sie Andeutungen machte. Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Sein Verhalten wurde mir sehr viel klarer, und ich hätte mich fast in den Boden geschämt vor soviel Naivität! Seitdem beobachte ich ihn seltener, aber zufällige Begegnungen lassen sich nicht vermeiden. Da haben wir uns dann auch angestarrt, ich mit Magenkrampf, er nur interessiert, mit einem: >Na. wie geht's dir denn jetzt?< im Blick. Ähnliches habe ich dann mit anderen Lehrern, ausgerechnet Fachrichtung Mathe-Physik-Chemie, erlebt! Er hat also rumgetratscht. Darf er das? Klassenlehrer, Eltern sehe ich ein, aber alle möglichen anderen Lehrer, die mich jetzt alle ansehen, als ob ich wahnsinnig wäre oder so!
Am 1. Mai habe ich angefangen, Tagebuch zu schreiben. Mehr als die Hälfte (400 DIN A 4-Seiten) handelt von ihm! Also nicht nur Schwärmerei, wie meine Mutter es auszudrücken wagt, sondern womöglich ein verschleppter Ödipuskomplex. Vielleicht kannst du mir ein paar Ratschläge geben und mir erzählen, wie ein Lehrer sowas sieht und beurteilt.«

Offensichtlich sieht der Lehrer (ebenso wie die Mutter) das Verliebtsein der Schülerin nicht so, daß er es ernst genug genommen hätte, um ein klärendes Gespräch mit ihr zu führen und die Angelegenheit vertraulich zu behandeln.
All diese Zitate deuten nur an, was sich zwischen Lehrern und Schülerinnen abspielt. Ich will hier weder behaupten, daß alle männlichen Lehrer Schülerinnen als Sexualobjekt sehen und/oder behandeln, noch, daß es keine Lehrer gibt, die an dem intellektuellen Wachstum von Schülerinnen interessiert sind und vielleicht sogar versuchen, gegen eine Sozialisation zu arbeiten, die Mädchen auf Ehe und Haushalt fixiert. Was ich jedoch herausstellen möchte, ist die Tatsache, daß jede Schülerin ein potentielles Sexualobjekt für Lehrer ist. Viele Lehrer haben mehr oder weniger bewußt ein stereotypes Bild von Frauen und Männern, d.h. auch von Schülerinnen und sich selbst. Dies findet in ihren Umgangsweisen Ausdruck - etwa im Flirt- oder abschätzenden sexistischen Verhalten. Wir können uns verschiedene Motivationen dafür denken: geschmeichelte Eitelkeit, erotische Interessen, eine erleichterte Arbeit im Klassenzimmer oder auch negative Einschätzungen von Frauen im allgemeinen. Wie der Lehrer sich Schülerinnen gegenüber verhält, hängt zum Teil aber auch von der Situation ab: dem gesellschaftlichen Status der Mädchen, ihren intellektuellen Fähigkeiten sowie ihrem Aussehen.

»Sicher gehen Lehrer auf Mädchen anders ein als auf Jungen. Als Mädchen kann man Lehrer mit Lächeln und so etwas beeinflussen. Natürlich nutzt man das aus, weil man gute Zensuren kriegen muß. Es macht nicht unbedingt viel aus, manchmal nur ein >Plus< - »Und was machen die Schülerinnen, die nicht der Norm entsprechend aussehen oder bekleidet sind?« »Die versuchen es gar nicht erst.«
(Gymnasialschülerin)

Dieses Zitat zeigt nicht nur, daß gewisse Lehrer auf hübsche Schülerinnen anders reagieren als auf solche, die weniger dem gängigen
Schönheitsideal entsprechen. Es demonstriert auch, wie sie in Schülerinnen genau das Flirtverhalten bestärken, das Mädchen schon von klein auf anerzogen wurde. Die Schule ist nach der Familie somit die nächste Institution, in der Frauen lernen, mit einem »typisch mädchenhaften« Verhalten gewisse Dinge erreichen oder durchsetzen zu können. Arbeitsplatz und/oder Ehe schließen sich an.

»Die Schülerinnen lernen schnell, auf Lehrer zu reagieren, die mit ihnen herumflirten Mit dem steigenden Konkurrenzkampf in der Schule können sie es sich kaum leisten, solche Möglichkeiten nicht auszunutzen, besonders, wenn die Lehrer intellektuell sowieso nicht soviel von den Mädchen halten wie von den Jungen. So kaufen sie sich ihre Kleidungsstücke eine Nummer kleiner oder lassen einen Knopf mehr an der Bluse auf Das Resultat ist dann, daß es heißt: >Na, so wie die aussieht, kann sie sich ja nicht wundern ...<
(Gesamtschullehrerin)

Hier schließt sich wieder einmal der Teufelskreis: Mädchen werden intellektuell nicht so gefördert wie Jungen. Statt dessen wird ihnen vermittelt, ihr Kapital sei ihr Körper und ihr »freundliches Wesen«. Männer geben ihnen immer wieder Gelegenheit zu erproben, wie sie dieses Kapital am wirksamsten einsetzen, gehen die Mädchen aber darauf ein, wird ihnen die Schuld für die Konsequenzen gegeben.
Verhängnisvoll ist auch, daß ein solches Verhalten zwar ein Geschick eigener Art verlangt, aber nicht etwas Aufbauendes wie Kritik, Durchsetzungsvermögen, Individualismus und Stärke. Statt dessen zeichnet es sich durch Schwäche und Selbstaufgabe aus. Mädchen machen sich davon abhängig, Männer durch du Aussehen und durch Schmeicheleien zu überzeugen. Sie lernen so nicht, sich selbst durch intellektuelle und körperliche Fähigkeiten zu beweisen. Daher behalten Frauen häufig ein solches Verhalten bei, auch wenn es nicht mehr den ursprünglichen Sinn einer Überlebensstrategie beinhaltet, sondern sie ohne ersichtliche Vorteile nur noch einem Mann ausliefert.[1] Meiner Ansicht nach ist es ein Verbrechen gegen Frauen, wenn Schulen und Lehrer zu einem solch verkrüppelnden Sozialisationsprozeß beitragen.
Sexualität und Erotik sind Teil menschlicher Beziehungen, eine Tatsache, die in der Schule ignoriert oder unterdrückt wird. Gleichzeitig wird Sexualität von den geschlechtsspezifischen Machtverhältnissen geprägt. Solange die Beteiligten sich hiermit nicht offen auseinandersetzen können und die gesellschaftlichen Bedingungen für Mann-Frau-Beziehungen sich nicht ändern, können sexuelle Beziehungen zwischen Lehrern und Schülerinnen nur selten eine partnerschaftliche Grundlage haben. Daher würde ich die große Mehrzahl solcher Beziehungen als sexuellen Mißbrauch seitens des Lehrers bezeichnen, gleichgültig, ob sie mit Einverständnis oder auf Initiative der Schülerin zustandekommen oder nicht.[2] Mein Standpunkt wird nicht durchgängig geteilt. So veröffentlichte der Lehrerkalender 1977/78 folgende Seite:

      

Aus der aus »betrifft: erziehung« übernommenen Abbildung geht hervor, daß der Lehrer, der die Schülerin »liebevoll« auf dem Schoß hat, eine unverhältnismäßig hohe Strafe erhält im Vergleich zu dem Lehrer, der den Schüler brutal ins Gesicht schlägt. Ohne hier für Gefängnisstrafen zu plädieren, meine ich, daß diese Gegenüberstellung die Situation der Schülerin total ignoriert.[3] Darüberhinaus erfordert diese Darstellung eine Neudefinition des Begriffs Gewalt: Gewalt gegen Frauen nimmt vielfältige Formen an. (Hier ist auch zu bemerken, daß >betrifft: erziehung< in dem Heft »Gewalt in der Schule«,  Juli 1976, nicht ein einziges Mal Schülerinnen erwähnt, geschweige denn den Versuch macht, eine differenziertere Interpretation von Gewalt anzugehen.)
Auf der Hochschulebene sowie in anderen Ausbildungssituationen verschärft sich die Lage der Frauen. Ohne das Ausmaß sexueller Übergriffe an Schulen zu kennen, scheint es, daß mit steigendem Alter der Frauen und mit geringerer Sanktionierungsgefahr (aufgrund von Volljährigkeit der Frauen und scheinbarer Selbstbestimmung) die »lehrenden« Männer sich Studentinnen gegenüber Dinge erlauben können, die ungeheuerlich sind.
Weibliche Lehrlinge sind hier besonders schlimm dran, da sie Vorgesetzten völlig ausgeliefert sind und dies auch noch in einem Acht-Stunden-Tag. Ich habe von Frauen in versclüedensten Berufen gehört, daß sie in ihrer Ausbildungszeit ständig körperlichen und verbalen Arizüglichkeiten irgendwelcher Männer, teils Vorgesetzter, teils Kollegen, ausgesetzt waren und auch zu sexuellen Beziehungen gezwungen wurden - ganz abgesehen von Hausarbeitsdienstleistungen, die als selbstverständlich angesehen wurden. So erzählte eine Laborassistentin:
»Meine Ausbildungszeit war schrecklich Ich wurde ständig von den Männern angemacht und angefaßt. Wenn ich mich wehrte, kamen Bemerkungen, hinter denen ganz massiv die Drohung stand, daß ich meinen Lehrlingsplatz verlieren könnte. Jeden Tag war es eine Überwindung für mich, zur Arbeit zu geherl -ich hatte auch niemanden, an den ich mich wenden konnte, denn der Chef war wie die anderen.«[4]

Exkurs: Sexueller Mißbrauch von Studentinnen

Die Einstellung vieler Professoren gegenüber Studentinnen ist von einer erschreckenden Frauenfeindlichkeit geprägt, deren Ausmaß in der Untersuchung von Hans Anger (1960) dokumentiert ist. Zwei Drittel der befragten Hochschullehrer sprachen sich gegen ein Frauenstudium aus (in einer ähnlichen Befragung von 1897 waren es immerhin nur 50%!) und 79% lehnten weibliche Dozenten ab.[5] Die Universität, Forschung und schöpferische Absicht wurden als »Männersache«,  Frauen als »unnütze Belastung«,  die ja doch »wegheiraten«,  deklariert. Sie studieren angeblich, weil sie nicht hübsch genug sind, und sollten die Zeit, in der sie am besten gebären könnten, nicht durch wissenschaftliches Arbeiten vertun. So wurde zum Beispiel einer Frau, die sich um Verlängerung ihrer wissenschaftlichen Assistentenstelle bewarb, gesagt, daß sie ja nun verheiratet sei und Kinder habe und sich doch ihren Aufgaben zu Hause widmen solle.[6]
Wenn Studentinnen Anerkennung erhalten, dann für Fleiß, Gedächtnis und Gewissenhaftigkeit und nicht für Intelligenz und kritisches, schöpferisches Denken. (Zur Darstellung der Situation der Studentin verweise ich auf den Aufsatz von Ingrid Schmidt-Harzbach. [7])
Eine solche Einstellung dient der Selbstverherrlichung und Selbstbestätigung. Existierende Machtstrukturen in einem patriarchalischen Wissenschaftsbetrieb werden um jeden Preis aufrechterhalten. Sie bringen dann auch die Möglichkeit, Frauen nicht nur intellektuell, sondern auch physisch zu vergewaltigen. Leider sind folgende Berichte keine Einzelfälle. Es gibt weiterhin viele Frauen, die durch Abhängigkeitsverhältnisse in solche Situationen gebracht werden. Wir hören ebensowenig darüber wie über den sexuellen Mißbrauch von Mädchen durch männliche Verwandte. Warum? Weil diese Frauen befürchten müssen, daß ihnen nicht geglaubt wird, sie als die Verführerin dastehen würden und wegen Verleumdung angeklagt werden könnten - ganz abgesehen von den akademischen und beruflichen Folgen.

»Nach meiner Diplomprüfung in einem naturwissenschaftlichen Fach an einer Universität in der BRD erkundigte ich mich bei verschiedenen Professoren nach einem Thema für eine Doktorarbeit. Ich bekam einen Termin bei einem Professor (ungefähr 50 Jahre alt, verheiratet, zwei Kinder), den ich aus Vorlesungen und von einer mündlichen Prüfung her kannte. Der Termin war für Dienstag nach Rosenmontag festgesetzt. Ich kam 15 Minuten zu spät, der Professor war nicht mehr da. Ich legte einen Zettel auf seinen Schreibtisch, auf dem ich mich für mein Zuspätkommen entschuldigte und schrieb, daß ich an einem anderen Tag wiederkommen würde.
Ich ging nach Hause und legte mich schlafen, da ich von einer Rosenmontagsfeier müde war. Ungefähr zwei Stunden später klingelte es an meiner Wohnungstür. Ich zog meinen Bademantel über und ging zur Tür, um zu fragen, wer dort sei Vor der Tür stand dieser Professor und sagte, er wolle mit mir reden. Ich war verwirrt, denn ich kannte ihn nicht näher und wußte nicht, wieso er bei mir vorbeikam. Ich entschuldigte mich für mein Nichtpünktlichsein und für die Unordnung in meinem Zimmer (ich hatte nur ein Zimmer). Er sagte, wir könnten ja auch hier über mein Anliegen sprechen. Ich bot ihm meinen Schreibtischstuhl an. Ich setzte mich auf meine Bettkante, Knie zusammen, Füsse auseinander. Er stand auf, kam 'rüber und sagte: »So sitzt doch ein Mädchen nicht.«  Dabei machte er seinen Reißverschluß auf, machte meine Beine auseinander und penetrierte. Ich war so perplex, das Ganze war so unerwartet. Ich konnte nicht schreien - mir fiel nichts anderes ein, als ihm zu sagen, daß ich lesbisch sei. Ich hoffte, ihn damit abzuschrecken, aber es schien den gegenteiligen Effekt zu haben. Da ich zuvor noch nie mit einem Mann geschlafen hatte und auch total verkrampft war, verspürte ich starke Schmerzen, was ihn noch mehr zu erregen schien. Nach vollbrachter Tat wischte er sich mit einem Taschentuch ab und sagte, er müsse zu einer Vorlesung.
Er ging und mir wurde klar, was überhaupt passiert war. Ich rannte ins Bad und wusch mich sehr lange und weinte entsetzlich. Dann setzte ich mich ins Auto und fuhr ziellos und weinend durch die Stadt. Schließlich ging ich zu einer Freundin, weinte aber nur bei ihr und konnte ihr gar nicht sagen, warum. Bei ihr blieb ich eine Zeitlang wohnen und erzählte ihr später den Grund. Sie wollte mit mir zur Polizei gehen. Ich lehnte das ab, weil ich mich einmal nicht im Stande fühlte, das Ganze dort nochmal zu erzählen, und zum anderen befürchtete, daß man mir nicht glauben, sondern annehmen würde, daß ich den Professor verführt oder zu so einem Verhalten gereizt hätte.
Jahrelang konnte ich nicht über dieses Erlebnis reden, ohne zu weinen - aus dem Gefühl der Erniedrigung und Beschmutzung heraus. Später hörte ich von einer anderen Studentin, daß dieser Professor schon öfter Studentinnen vergewaltigt hatte, besonders in der Karnevalszeit.«
(Ehemalige Studentin, 1978, über ein Ereignis von 1971)[8]

Auf meine Frage, warum sie auch heute nicht den Namen des Professors preisgeben wolle, antwortete diese ehemalige Studentin, die jetzt erfolgreich im Beruf (an der Universität und freiberuflich) steht:

»Weil ich glaube, daß sich auch bis heute die öffentliche Einstellung nicht verändert hat. Daß einem Professor und Mann mehr Glauben geschenkt wird als mir als Frau, gleichgültig, welche berufliche und gesellschaftliche Stellung ich einnehme. Ich habe inzwischen Abstand zu der Situation gewonnen, das heißt, ich wäre emotional imstande, eine Anzeige zu leisten. Aber das Ganze ist mir zu aufwendig und anstrengend. Ich habe andere Frauen in solchen Bemühungen unterstützt, wobei die Erfahrung war, daß Polizeibeamte und Krankenhauspersonal sich so inadequat verhielten und die Polizisten sich förmlich an dem Bericht aufzugeilen schienen, so daß die Betroffene hinterher sagte, sie würde diesen Gang nie wieder mache. Diese Erfahrung hat zu meinen Bedenken beigetragen. Dennoch sollten Frauen sich solidarisieren und die Ausnutzung solcher Abhängigkeitsverhältnisse öffentlich machen.«

Interview mit einer Studentin der Naturwissenschaften

Folgendes Interview beschreibt eine weitere Situation, in der sich Frauen an der Universität befinden können. Sicherlich eine Ausnahme, aber eine Ausnahme, die soweit von der Gesellschaft geduldet wird, daß es für die Betroffenen keine Möglichkeit gibt, sich öffentlich gegen diesen Menschen zu wehren.

Studentin:
Nach 14-jähriger Berufstätigkeit und 7 Semestern Wartezeit bekam ich durch die ZVS einen Studienplatz, der über 600 km von meinem Heimatort entfernt war. Angefangen hat das damit, daß mir von den früheren Semestern klargemacht wurde, als ich da neu an der Universität ankam, daß dieser Prof. ein absolutes Schwein ist, die Leute terrorisiert und reihenweise durch Prüfungen fallen läßt. Ich ging das erste Mal in seine Vorlesung, weil ich e5 mußte, und weil ich auf den Mann neugierig war. Da habe ich gedacht, ich flippe aus über die Sachen, die sich die Leute in der Vorlesung gefallen ließen - inhaltlich, was schon schlimm war, aber auch persönliche Beleidigungen. Schon in der dritten Vorlesung habe ich angefangen, Zwischenbemerkungen zu machen, um die Leute ein wenig spitz gegen den Mann zu machen. Das hat mir dann von allen Seiten Kommentare nach dem Motto eingetragen: »Du bist wohl lebensmüde. Der merkt sich jedes Gesicht und besonders Frauen. Damit hör lieber auf.«
Ich fühlte mich irrsinnig stark und habe meine Verhaltensweisen nicht geändert. Ich bin ihm systematisch sehr unangenehm aufgefallen, weil ich eine ganze Menge Terror gemacht habe. Für die Verhältnisse an der Uni war das schon ganz schön doll, wenn mal jemand sagte, daß etwas rassenfeindlich ist. Wenn er mich in der Vorlesung mit irgendeinem klebrigen, plumpen Bla-Bla angesprochen hat, habe ich ihm laut geantwortet, daß ich über so was nicht Iachen kann. Normalerweise wären da sofort die Fetzen geflogen, aber bei mir nie.
Im zweiten Semester bin ich dann in die Hochschulpolitik gegangen und bin zur Fachschaftssprecherin gewählt worden. Damit war ich die Hauptvertreterin von den damals 500 Student(inn)en im Fach. Und da ich für die Leute ganz schön rot war, hat man mir auch gesagt, daß ich mich mit diesem Professor X vorsehen müßte, abgesehen davon, daß ich ja sowieso schon eine kesse Lippe bei ihm riskiert hätte. Aber wenn der auch noch erfahren würde, daß ich rot bin, dann würde ich bei ihm über die Klinge springen.
Ich habe es dann in der Fachschaft auch noch ziemlich radikal gemacht. Wir waren fünf Leute, vier Männer und eine Frau, und davon habe ich nachher auch noch drei rausgeekelt. Wir brauchten nämlich einen Mehrheitsbeschluß, und die drei stimmten immer dagegen. Da habe ich mir 3 neue - fortschrittliche - Studenten für die gemeinsame Arbeit gesucht. Wir wurden dann so eine richtig dufte Truppe und haben eine ganze Menge kleiner Sachen gestartet gegen Profs und Praktika usw. Auf alle Fälle hat man mir gesagt, daß mich das nun endgültig den Kopf bei Prof. X kosten würde.
Das war dann auch so. Als er hörte, daß ich Fachschaftssprecherin war, da an der Uni und dann noch als Frau, änderte er seinen Kurs mir gegenüber. Er hatte dann unentwegt was in der Vorlesung zu motzen, z.B.: »Fräulein Fachschaftssprecherin, Frau ... vom Dienst
Aber ich habe ihm immer kontra gegeben. Ich war mittlerweile auch bekannt und beliebt und hatte fast immer die Lacher auf meiner Seite. Das hätte normalerweise auch wieder unheilvoll enden können, aber es passierte eigentlich gar nichts.
Zweite Studentin:
Deine Selbstsicherheit hat ihn wohl auch irritiert.
Studentin:
Das war damals noch nicht so genau zu ermessen, warum, weil er mich noch nie persönlich gesprochen hatte. Also er hatte mich doch nur immer im Auditorium in der Mangel.
Zweite Studentin:
Und Du hast gekontert. Das war ungewöhnlich. Das zeugte von Deiner Selbstsicherheit.
Studentin:
Das kann schon sein. Jedenfalls fing er an, unheimlich herumzufieseln nach dem Motto, daß die neue Fachschaft nun schon zwei Monate im Amt wäre, es aber nicht für nötig gehalten hätte, sich bei ihm persönlich vorzustellen. Die hätten wohl Angst, weil sie so ein roter Haufen wären, und überhaupt die Fachschaftssprecherin ... Das hat er alles in unserer Abwesenheit erzählt. Jedenfalls die  solle ihm mal unter die Finger kommen, die hat ja auch noch die einzigen Liberalen aus ihrem Verein rausgeschmissen.
Da bin ich also am nächsten Tag in die Vorlesung gegangen und habe zum Schluß zu ihm gesagt: >Aber lieber Herr Professor, wir konnten ja nicht wissen, daß sie ein so unendliches Bedürfnis haben, uns privat kennenzulernen. Wann wünschen Sie uns zu sehen?< Er hat vor dem Auditorium den Termin bekanntgegeben. Wir sind dann zu fünft ins Büro hingezogen.
Erst einmal hat er versucht, uns alle fünf zu verunsichern mit ganz dummen Bemerkungen. Er fragte, wo wir denn organisiert wären, das würde er schon herausbekommen, er hätte gute Beziehungen zum BKA (Bundeskriminalamt). Die wüßten immer, wo die Leute hingehören. Und wenn wir zu irgendeiner kommunistischen Gruppe gehören würden, würde er das ganz schnell herausfinden.
Die Jungs haben erstaunlicherweise einen flauen Hintern gekriegt und haben anfangs immer mich reden lassen, aber der eine, der jetzt
mein Nachfolger geworden ist, der hat sich auch mit stark gemacht, die anderen zogen nach. Dann hat er uns alle nach unseren Meinungen gefragt, und wir haben doch ganz schön massiv gesagt, was wir an ihm zu kritisieren haben. Darauf hat er geantwortet, daß nichts verändert wird, das wäre schon seit 1949 so usw. Und dann hat er vor versammelter Mannschaft gesagt, daß er verhaßt sein will. Angst sollen wir vor ihm haben, denn das wäre das einzige Zuchtmittel.
Zum Schluß wollte er noch wissen, wer den Fachschaftssprecher(in) ist, denn nur mit dem/der würde er verhandeln. Wir haben sofort eingewendet, daß wir ein Team sind, aber das interessierte ihn gar nicht, und ich war dann also die Nummer Eins für ihn. Er wollte nur mit mir verhandeln. Nur wenn ich krank wäre, würde er mit einem Vertreter vorlieb nehmen.
Dann hatten wir zum ersten Mal ein hochschulpolitisches Problem, und wir mußten mit ihm verhandeln. Ich fragte ihn nach der Vorlesung, ob ich mit ihm sprechen könnte, er sagte, daß ich freitags um 18 t% in seinem Büro sein sollte, aber allein. Also bin ich dann dahinmarschiert und das einzige, was mich schon vorher gewundert hat, war, daß das Institut freitags um diese Zeit mehr oder minder leer war. Es war übrigens bekannt, daß er einen Prozeß wegen einer unzüchtigen Sache mit einer Studentin am Hals gehabt hatte. Also war er auf jeden Fall Frauen gegenüber, wenn sie attraktiv waren, ansprechbarer. Jungen haben es bei ihm noch schwerer.
Zweite Studentin:
Die wurden immer danach eingeteilt, welchen Rang sie bei der Bundeswehr hatten.
Studentin:
Und besonders schlimm hatten es die Jungen, die bei den Mädchen beliebt waren. Das war dann so was wie Futterneid. Der Alte sah übrigens fürchterlich aus, was nicht heißen soll, daß ich mich anders verhalten hätte, wenn er schön und jung gewesen wäre. Und lernen konntest du bei dem nichts. Der wollte, daß man ihm völlig ausgeliefert war. Der wollte die Leute kaputtmachen.
Jedenfalls bin ich dann zu ihm gegangen und hatte so eine unterschwellige Ahnung, daß da was faul war. Er war dann scheißfreundlich zu mir, ich sollte doch erst einmal entspannen. Er wollte erst über private Dinge mit mir reden, so zum Aufwärmen. Und ich dachte, laß den mal reden, tun kann er dir ja nichts, und wenn, dann kannst du dich schon wehren. Dann hat er mir sofort seinen größten Hammer erzählt. Er berichtete fast stolz über seine drei Prozesse. Bis dahin hatte ich nur von einem gewußt. Und dann fragte er mich, was ich vom Geschlechtsverkehr halten würde. Ich sagte, daß es eine schöne Sache ist, wenn man den richtigen Partner hat. Und das hat ihn begeistert, weil »ich nicht so verklemmt wäre wie diese Jungfrauen vom Dienst, die ja versucht hätten, ihm juristisch den Strick zu drehen". Er erzählte, was er mit den Frauen angeblich gemacht hätte, aber er hat nie zugegeben, daß er es wirklich getan hat. Dann holte er seine Prozeßakten aus dem Schrank. Ich habe dann begriffen, was er wollte. Er sagte - und das war der springende Punkt mir gegenüber -, daß die Prozesse den Frauen nichts genützt hätten und, daß er rehabilitiert sei. Da könne ihm keine was anhaben. Und auch ich als Linke nicht, auch wenn ich ein Tonband mitgebracht hätte. Er hätte eine so starke Lobby hinter sich und Franz Josef Strauß sei sein Freund. Ich sagte, daß ich aber mit ihm fertig werden würde und keine Angst hätte. Und er antwortete darauf, daß die letzte Studentin sogar die Tochter des Uni-Präsidenten gewesen ist, und auch das hätte nur bewirkt, daß er 6 Monate vom Dienst suspendiert wurde.
Die Vorbereitung war klar. Er wollte mich einschüchtern durch seine Macht. Dann fragte er mich nach »meinen menschlichen Bindungen«,  und ich erzählte, daß ich einen fabelhaften Mann zu Hause hätte. Und darauf er: »Aber das ist doch Unsinn! Sie können doch nicht immer wegen ihres Sexuallebens 600 km weit fahren! Sie brauchen unbedingt hier am Studienort einen Mann für's Bett, denn nur wenn Sie befriedigt sind, können Sie erfolgreich lernen. Dann bot er mir seine Hilfe an. Er würde mir stets mit Rat und Tat zur Seite stehen und wurde langsam konkreter. Zuerst lobte er mich, weil »ich mich doch hochgearbeitet habe durch das Begabtenabitur, und weil ich nicht so devot bin". Das reize ihn. Normalerweise sind das Punkte, die mich ihm verhaßt gemacht haben müßten, 2. Bildungsweg ist doch für solche Leute ein Notstandsabi, und ich habe nie Latein und Griechisch gelernt, war schon 30 und komme auch noch aus dem Arbeitermilieu, aber bei mir hat ihm das imponiert. Angeblich. Dann sagte er: »Passen Sie mal auf, machen Sie es sich doch nicht so Schüler. Da hätte es doch Möglichkeiten für eine Frau wie Sie gegeben, leichter zum Abi und zu einem Studienplatz zu kommen.« Ich wußte, was er meinte, und ich antwortete bewußt direkt darauf, daß es sicherlich Frauen gibt, die sich ihr Abi erschlafen haben, aber für mich kommt das nicht in Frage. »Ich schlafe nicht mit jemandem wegen irgendeines Zwecks«. Und er dann darauf: »Ja, das finde ich gut. Ich habe ja auch nichts davon, wenn die Frau gar nicht will. Aber passen Sie mal auf, Sie wissen doch, daß Sie mir gefallen. Was würden Sie denn sagen, wenn ich Sie fragen würde, ob Sie mit mir schlafen wollen?« Ich sagte darauf, und nutzte den Gebrauch des Konjunktivs aus, daß mir schon eine passende Antwort einfallen würde, wenn er mich wirklich danach fragen würde. Er sagte noch, daß die zwei Praktika, die ich bei ihm machen müßte, ganz schön haarig werden würden und ich es mir überlegen sollte, ob ich mir nicht Erleichterungen verschaffen wollte. Da habe ich nur gesagt, daß ich stark bin, und daß ich es mit Leistung schaffen würde, gerade bei ihm. Ich würde so viel arbeiten, daß er mich gar nicht durchfallen lassen könnte. Er meinte, daß ich da abwarten solle - und lächelte diabolisch.
Ich wollte endlich zum Thema kommen. Mittlerweile war ich schon zwei Stunden bei ihm. Ich habe also meine hochschulpolitischen Wünsche vorgetragen, und es wurde mir alles bewilligt. Und dann wollte er mich nach Hause fahren, weil es schon so spät sei, und er nicht wolle, daß mich »irgendjemand befingert«. Aber ich hatte ja meinen eigenen Wagen dabei. Ich habe dann auch noch ganz frech zu ihm gesagt: »Aha, Sie wollen wohl nur eine Unbefingerte!« Ich bin halt kämpferisch und wollte ihm seine Grenzen aufzeigen.
Im Praktikum war ich ihm dann ausgesetzt. Er kam auch immer an meinen Tisch und hat mir dauernd Spezialfragen gestellt. Zu 80 % war er nur bei mir. Wir hatten ja sozusagen einen Kampf begonnen. Dann kam die Klausur, und die ist ganz schön Schüler. Wenn man die nicht besteht, ist man gleich raus aus dem Kurs. Also zwei Tage vor der Klausur pfiff er mich aus einem ganz blöden Vorwand in sein Büro. Ich hatte in seiner Vorlesung gehustet, und da hat er gesagt, daß ihn das stört, und ich mir Hustensaft von ihm abholen sollte. Ich bin also zu ihm rein, und da wurde er konkret. Er sagte, daß er mich nur in sein Büro locken wollte, denn übermorgen wäre ja die Klausur. Ob ich denn immer noch auf Kampf aus wäre? Ja? Und dann sagte er, daß im Schrank die Klausurergebnisse liegen würden, und was ich davon halten würde, wenn er sie mir geben würde. Ich sagte nein, den Stoff der Klausur schaffe ich auch so, ich wäre bestens vorbereitet. Und dann schrie er: »Stellen Sie sich doch nicht so an! Was ist denn schon dabei, die Beine ein bißchen breitzumachen?«
Und da wurde ich das erste Mal richtig aufgeregt und bin schweigend gegangen. Mir wurde plötzlich die Tragweite des Ganzen bewußt. Der konnte mich doch jederzeit durchrauschen lassen.
Ich bin dann zu einer Freundin gefahren, und die wollte mir das gar nicht glauben, zuerst. Und da war ihr Freund, und der sagte: Mach die Augen zu, und laß es über Dich ergehen.« Und ich habe dann geschrien, ob er blöd ist, es geht doch nicht nur darum, daß mir der Typ körperlich widerlich ist. Das ist doch eine Prinzipfrage! So einem Schwein darf man sich doch nicht ausliefern! Besonders, weil ich nicht die letzte Betroffene sein werde. Dann habe ich noch zusätzlich zwei Tage und zwei Nächte für die Klausur gelernt, um es zu schaffen. Ich erreichte 26 Punkte, und 25 mußte man haben, um nicht durchzufallen. Viele sind durchgefallen.
Nach der Klausur ging es erst richtig los. Zwei Tage danach holte er mich wieder in sein Büro und sagte:
»Meine Liebe, dafür, daß Sie mir den Kampf angesagt haben, habe ich 50 Punkte von Ihnen erwartet. Es kommt noch schlimmer. Ich rate Ihnen, sich das noch einmal zu überlegen, denn, machen Sie sich keine Illusionen, am längeren Hebel sitze ich!"
Und ich fragte ihn, was er denn eigentlich von mir will, und er antwortete, daß ich das ja wüßte und: »Aber eins sage ich Ihnen gleich, selbst sollen Sie wollen! Ich will es nicht gegen Ihren Willen! Nicht Licht aus und ein bißchen Hin und Her. Viel Licht und viel Knöpfe an der Bluse! Ich will Sie nicht zwingen, aber ich rate Ihnen gut, in 3 Wochen ist das Testat. Sie können sich aussuchen, ob Sie es bei mir oder bei einem Assistenten absolvieren, aber selbst dann werde ich Mittel und Wege finden. Und sagen Sie mir Bescheid.«
Da bin ich schweigend gegangen und habe überlegt. Ich habe auch mit der Fachschaft gesprochen, aber die waren gegen einen juristischen Weg wegen der anderen erfolglosen Prozesse und den fehlenden Mitteln. Die hatten wohl Angst, wegen ihrer eigenen Abhängigkeit von ihm. Nur der eine, der jetzt mein Nachfolger geworden ist, der hat gesagt, daß er erst konkreter werden müßte um einzugreifen. Dann passierte eine Weile gar nichts. Einen Tag fehlte der Prof. X in der Vorlesung. Wir standen auf dem Flur herum. Er kam und sagte, daß die Vorlesung ausfallen würde, weil er krank wäre. Ein paar Tage später sprach er mich auf dem Flur an und bestellte mich in sein Büro. Ich habe einen von der Fachschaft informiert, und der hielt sich ganz in der Nähe auf. Falls es schlimm würde, sollte ich schreien usw. Dann ist es gar nicht dazu gekommen, denn der Prof. X sagte mir wörtlich: »Sie haben Glück, meine Liebe, und noch eine Gelegenheit für Ihre Entscheidung gewonnen, weil ich z.Zt. krank bin und sowieso nicht kann.« Und dann konnte ich abzischen.
Schließlich kam das Endtestat. Da wollte er mich persönlich prüfen.
Ich war topfit. Aber ich kam nicht zu ihm. Ich kam zu einem Assistenten. Die anderen Leute hatten echt Schwierigkeiten, haben wenig gewußt und stammelten herum, aber die,haben alle ihr Testat gekriegt. Und ich kriegte 3 schwerere Aufgaben', die ich wie aus der Pistole geschossen beantwortet habe. Aber das war dem Assistenten nicht genug, er stellte mir laufend neue Aufgaben, zum Schluß zwei, die ich nicht wußte. Mich bestehen zu lassen könnte er seinem Chef X gegenüber nicht verantworten, denn der würde sich genau nach meinem Ergebnis erkundigen. Ich mußte also in die Nachprüfung zu Prof. X. Daß ich beim Assistenten durchgefallen war, sollte wohl als Legitimierung nach außen dienen.
Zwei Tage später hatte ich die Nachprüfung und ging in Henkerstimmung hin. Und die habe ich dann beim X bestanden, mit Glanz und Gloria. Den Schein mußte ich mir persönlich bei dun abholen. Und da sagte er dann zu mir:
»Leicht war das ja wohl nicht für Sie, aber das war noch der einfachste Kurs. Nun machen Sie erst einmal Ferien, und im nächsten Kurs sind Sie dann fällig«. Wir verstehen uns doch???
Da habe ich die Uni gewechselt. Wir haben keinen Prozeß angestrebt, weil wir keine Beweise in der Hand hatten. Erst ein tätlicher Angriff vor Zeugen reicht aus!
(Studentin, 1978)

Die Tatsache, daß diese ehemaligen Studentinnen auch im Nachhinein keine Namen und Daten angeben möchten, ist bezeichnend für die Situation, in der Frauen sich befinden, wenn sie sexuelle Übergriffe von Männern öffentlich machen.
Aus meiner eigenen Erfahrung während meines Studiums kann ich berichten, daß ein (verheirateter) Professor regelmäßig mit weiblichen Examenskandidatinnen und Doktorandinnen Affären hatte. Hatten die Frauen sich erstmal auf dieses Verhältnis eingelassen, so schienen sie es auch vor sich rechtfertigen zu müssen - jedenfalls war es uns nicht möglich, sie darauf anzusprechen und sein Verhalten öffentlich zu machen, obwohl alle im Institut, einschließlich einiger Hochschullehrer(innen), über dieses Verhalten sprachen und es als Ausnutzung dir Abhängigkeit der Studentinnen interpretierten. In Gesprächen mit Studentinnen aus anderen Fachbereichen stellte sich heraus, daß dieser Professor durchaus nicht der einzige war.
Wie in der Schule, so ist auch in der Universität die Form des Mißbrauchs nicht immer ein Verhältnis oder eine Vergewaltigung:

»Aussehen und Kleidung sind unheimlich wichtig. Die Kombination >Kopf und Körper< kommt am besten an. Das war schlimm für mich, weil ich nicht wußte, ob ich meine guten Noten aufgrund meines Kopfes oder meines Körpers bekommen hatte - auch und manchmal gerade bei linken Dozenten«
»Bei uns gibt es viele Beziehungen zwischen Dozenten und Studentinnen. Bei irgendwelchen Auseinandersetzungen herrscht dann der Ton: >Nun sei mal nicht so, wir haben doch eine andere Basis< «
»In den Naturwissenschaften wird die Einstellung von Professoren häufg bei Exkursionen klar. So sagte einer, als die wenigen anwesenden Frauen sich über das Verhalten der Männer beschwerten:  >Die Studentinnen würden doch gerne mit den Professoren ins Bett gehen.< Wenn man ständig nur auf diese Art beurteilt wird, ist es sehr schwer, das eigene Vertrauen in intellektuelle Leistungen aufrechtzuerhalten.«[9]

Die Studentinnen sprechen hier klar aus, was die Schülerinnen andeuteten: Wenn eine Frau ständig mit den entsprechenden sexistischen Vorstellungen über ihre Geschlechtszugehörigkeit beurteilt und behandelt wird, dann folgen daraus häufig mangelndes Selbstvertrauen und Zweifel an den eigenen intellektuellen und physischen Fähigkeiten. Die wirksamste Strategie der Herrscher ist es, denen, die sie beherrschen wollen, einzureden, sie seien minderwertig. Die Frauenbewegung (ebenso wie die Bewegungen von Minderheiten) richten sich besonders gegen diese Strategie.
Es ist nur zu hoffen, daß weibliche Schülerinnen, Lehrlinge und Studentinnen sich im Zuge der Frauenbewegung zusammentun und sich massiv und öffentlich gegen sexuelle Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen wehren.

Sexualität zwischen Lehrerinnen und Schülern

Wie sieht es nun im umgekehrten Fall aus, d.h. bei erotischem Verhalten von Lehrerinnen Schülern gegenüber? Es gibt durchaus Lehrerinnen, die mit Schülern flirten und bestimmte Schüler attraktiv finden. So sagte mir ein siebzehnjähriger Schüler: »Manche Lehrerinnen mögen besonders gut gewachsene blonde Jungen« Sexuelle Anspielungen, ein mehr oder weniger offenes erotisches Verhalten und die Behandlung von Jungen als Sexualobjekte seitens der Lehrerinnen kommen jedoch selten vor:

»Auch wenn ich einen Jungen attraktiv finde, würde es mir nicht im Traum einfallen, mich näher mit dem Gedanken zu beschäftigen. Das
schließe ich einfach aus. Manche Lehrer reden von bestimmten Schülerinnen in einem Ton, aus dem man direkt heraushören kann, daß sie sich danach sehnen, so ein junges Mädchen zu besitzen. Was ich so über sexuelle Beziehungen von Lehrern zu Schülerinnen höre, habe ich persönlich bei Lehrerinnen noch nie beobachten können.«
(Gymnasiallehrerin)

Wenn eine Lehrerin sich (angeblich) an einem Jungen vergreift, so wird dies in der Öffentlichkeit völlig anders behandelt, als wenn ein Lehrer eine Schülerin verführt. Dies wurde 1977 deutlich, als eine englische Lehrerin vor Gericht stand, weil sie angeblich ein Verhältnis mit einem elfjährigen Schüler hatte. (Sie wurde mangels Beweisen freigesprochen.) In England wurde der Fall in der Tagesschau behandelt und nahm die Schlagzeilen auf den ersten Seiten der Presse ein. Er war sogar von internationalem Interesse - In Berlin widmete die Berliner Zeitung ihm ihre Rückseite unter der Überschrift: »11-jähriger: Ich mußte meine Lehrerin zu Hause immer und immer wieder küssen«. Die BZ und die Morgenpost berichteten zwei Tage lang über den Prozeß mit Photos und ausführlichen Beschreibungen von Frisur und Kleidung der Lehrerin sowie den Kommentaren des Staatsanwalts über die »Liebeskünste.«[10] Über Lehrer habe ich nichts ähnliches gesehen.
Ich selbst weiß von zwei Lehrerinnen, die sich in Schüler verliebten: In beiden Fällen warteten sie, bis die Schüler mit der Schule fertig waren, bevor sie ihre Gefühle mitteilten. Sicher gibt es auch Beispiele, wo das nicht so ist, so kenne ich einen jungen Mann, der seine Schwierigkeiten in Beziehungen zu Frauen darauf zurückführte, daß er als Teenager von seiner Lehrerin, in seinen Worten, »vergewaltigt« wurde. (Sie lud ihn zu sich nach Hause ein und kam im Negligé aus dem Badezimmer.) Vergleichen wir eine solche Situation mit einer, in der eine Schülerin von einem Lehrer verführt/vergewaltigt wird. Auch die Lehrerin mißbraucht ihre Machtposition; sie hat jedoch keine gesellschaftliche Machtposition als Frau außerhalb der Schule, die sie mißbrauchen kann, und Jungen sind nicht dahingehend sozialisiert, daß sie Übergriffe von Frauen duldend hinnehmen. Auch wenn ein Junge von einer Lehrerin verführt wird, lernt er doch in allen Lebenssituationen, daß er als Mann Macht über Frauen hat. Falls das Erlebnis mit der Lehrerin nicht sogar sein Selbstbild stärkt, wird er sich jedenfalls kaum erniedrigt fühlen, denn ihm wird nicht tagtäglich vermittelt, daß er vornehmlich als Sexualobjekt behandelt werden kann, und die Umwelt stellt an ihn - im Gegensatz zu Mädchen - weiterhin andere Erwartungen. Das Erlebnis schüchtert ihn also allenfalls ob seiner gesellschaftlichen Ungewöhnlichkeit ein. Es wird ihn jedoch nicht daran hindern, die Macht, die er als Mann über Frauen hat, wahrzunehmen.
Im übrigen hat ein Junge, der sich vielleicht unglücklich in eine Lehrerin verliebt, weiterhin andere Bereiche, auf die er in der Lage ist zurückzugreifen: Hobbies, Freunde, Ausbildung oder andere Frauen, denen er sich nähern kann. Mädchen hingegen sind aufgrund ihrer Sozialisation schon so reduziert, daß ihnen diese Regenerierungsmöglichkeiten nur selten bleiben.
Wie unterschiedlich das Machtverhältnis Lehrerin -Schüler zu dem von Lehrer-Schülerin ist, wird in folgenden Berichten deutlich:

»Ich spielte mit meiner Klasse Ball und war besser als viele der Jungen (15-jährige). Ein Trupp rannte hinter mir her, und plötzlich rief einer der Jungen: >auf sie, vergewaltigt sie!< Ich brach das Spiel ab und konfrontierte den Jungen Seine Antwort:  >War ja nicht so gemeint. <«
(Sonderschullehrerin)
»Wenn ich geschlechtsspezifische Probleme zur Sprache bringe, schlägt die Angst der Jungen oft in Wut gegen mich um.  An so einem Männergymnasium wie diesem besteht die Vorstellung, >das müssen frustrierte Ziegen sein< Lehrerinnen kompensieren das z.T mit hohen wissenschaftlichen Ansprüchen und sind unnahbar und besonders streng im Unterricht. Wenn eine Lehrerin nicht diese >Vogelscheuchenrolle< übernimmt, reagieren die Schüler mit unterschwelliger Anmacherei. Dahinter steht die Haltung: >Wie weit geht sie wohl?<«
(Gymnasiallehrerin)

Solche Verhaltensweisen sind seitens der Schülerinnen undenkbar. Sie sind unvorstellbar aufgrund der qualitativ und quantitativ unterschiedlichen Machtverhältnisse zwischen Männern und Frauen.

Sexualität zwischen Lehrerinnen und Schülerinnen

Nun zu erotischen und emotionalen Beziehungen zwischen Lehrerinnen und Schülerinnen. (Zur Situation zwischen Lehrern und Schülern kann ich nichts sagen.) Ich denke, daß es für viele Schülerinnen ein sehr positives Erlebnis ist, war oder sein kann, für eine Lehrerin zu schwärmen. Häufig ist für Mädchen eine Lehrerin die erste oder einzige Frau, die sie idealisieren. Die Frauen, die in der Öffentlichkeit als Idole dargestellt werden, sind oft wirklichkeitsfremd und unerreichbar. Ist es überraschend, daß das schwärmerische Verliebtsein sich häufig auf Lehrerinnen konzentriert, die nicht unbedingt das Weiblichkeitsideal verkörpern, wie z.B. die Turnlehrerin? Vielleicht vermittelt
sie eine gewisse Stärke und ein Körperbewußtsein, das Schülerinnen im Laufe des Sozialisationsprozesses gerade in diesem Alter abgewöhnt wird.
Auch hier muß sich die Lehrerin der Auswirkungen ihrer Machtposition bewußt sein, wenn sie auf das Verliebtsein von Schülerinnen reagiert oder sich zu einer Schülerin hingezogen fühlt. Schülerinnen werden sie ganz anders erfahren als einen männlichen Lehrer. In gleichgeschlechtlichen Beziehungen kommt jedoch die allgemeine Einstellung zum Tragen, daß emotionale und sexuelle Kontakte zwischen Schülerinnen allenfalls noch als »Phase« wegerklärt werden können, aber bei einer Lehrerin schlechthin als »pervers« bezeichnet werden. Hieraus können sich ernsthafte psychische Probleme für ein Mädchen ergeben, die nicht schwerer zu bewerten sind als heterosexuelle Probleme, aber anders angegangen werden müssen. Der Film »Mädchen in Uniform« stellt diese Konflikte im Extremfall dar: Die gesellschaftlichen Bedingungen, die es einer Schülerin unmöglich machen, ihren Gefühlen für eine Lehrerin freien Lauf zu lassen, und es der Lehrerin verbieten, darauf einzugehen, treiben die Schülerin zum Selbstmordversuch.
Folgender Bericht einer Schülerin stellt die Schwierigkeiten dar, in denen sich ein Mädchen befindet, die sich in eine Lehrerin verliebt.

»Ich heiße Ingrid, bin 14 Jahre alt und gehe in die 9. Klasse eines Kölner Gymnasiums. Vor einiger Zeit begann ich, die ganzen Benachteiligungen und Ungerechtigkeiten Frauen gegenüber immer mehr zu durchschauen, und mir war klar, daß es so nicht weitergehen durfte.
Zu meinem >neuen Bewußtsein< hat auch noch ein anderes, großes Ereignis erheblich beigetragen Es fing alles damit an, daß ich vor einigen Monaten plötzlich ganz stark für eine Lehrerin schwärmte, was mich ziemlich verwirrte und völlig durcheinander brachte, denn so etwas konnte und durfte es doch gar nicht geben Wäre diese Lehrerin ein Mann gewesen, hätte ich sogar von Liebe gesprochen, so stark empfand ich für sie (und tue es noch immer). Sie ist aber auch wirklich eine bewundernswerte, tolle Frau; wie ich liest sie die EMMA, lebt in einer Frauenwohngemeinschaft und ist emanzipierter als so manche Durchschnittsfrau.
Als ich meiner Mutter gegenüber mal die Befürchtung äußerte, lesbisch zu sein, reagierte sie entsetzlich böse und verständnislos und meinte, das käme alles nur durch meine alberne EMMA und die ganze >utopistische Frauenbewegung< Nun ja. Niemand fand meine Schwärmerei normal, jeder wollte mich >auf den richtigen Weg zurückbringen<, und ich wurde immer verzweifelter. Als ich schließlich gar nicht mehr weiterwußte, vertraute ich mich einer Feministin an, die mich seltsamerweise sehr gut verstehen konnte, überhaupt nichts anormal fand und mir so toll half, daß ich sogar den Mut hatte, endlich mal mit der Lehrerin selbst zu reden Durch dieses Gespräch konnte ich dann meine ganzen Ängste und meine Unsicherheit endgültig abbauen, denn sie war zwar selber ein wenig ratlos, hatte aber wenigstens Verständnis für mich. Natürlich machte sie mir von vorneherein klar, daß ich nicht zuviel von ihr erwarten dürfte, was ich ja auch akzeptiere. Mit der Zeit haben wir ein richtig freundschaftliches Verhältnis zueinander erhalten, ich darf sie duzen, und überhaupt ist alles in Ordnung. Zumindest in dieser Beziehung. Auf die Dauer ist es nämlich sehr unbefriedigend für mich, dieser Lehrerin meine ganze >Liebe< entgegenzubringen und so wenig Erwiderung zu finden Was nun werden soll, weiß ich auch noch nicht, ich muß mich wohl nach einem gleichberechtigteren Partner umsehen, der auch in der Lage ist, auf mich einzugehen.
Von diesem Erlebnis habe ich sehr viel gelernt, und es hat mir auch zu etwas mehr Selbstbewußtsein verholfen. Zum ersten Mal in meinem Leben wurde mir von meiner Umwelt nichts als Ablehnung entgegengebracht, und ich war gezwungen, mir selbst zu helfen und siehe da, es klappte tatsächlich! Seit ich erfahren habe, daß man als Mädchen nicht immer nur die passive Rolle spielen muß, sondern daß es wesentlich nützlicher ist, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen, habe ich viel mehr Vertrauen zu meinen Fähigkeiten bekommen und habe auch öfter als vorher den Mut, sie anzuwenden. Ich glaube, daß ich nun stark genug bin, mir meinen festen Platz im Leben auch ohne die Hilfe eines männlichen >Beschützers< verschaffen zu können.«

Hier zeigt sich ein wichtiger Unterschied zu dem Bericht der Schülerin, die sich in einen Lehrer verliebte: Ingrid konnte mit der Lehrerin sprechen. Durch diese Offenheit kam sie aus dem quälenden Zustand des heimlichen Verliebtseins heraus und konnte auch ein freundschaftliches Verhältnis herstellen. Trotz der Feindseligkeit ihrer Umwelt vermittelt Ingrid eine ungewöhnliche Stärke und ein Bewußtsein. Ohne die Frauenbewegung und ohne Kontakt zu einer Feministin wäre es ihr sicher schwerer gefallen, ihre Gefühle für Frauen so positiv zu verarbeiten.

Die rechtliche Lage

Zur rechtlichen Situation ist folgendes zu bemerken: Der Paragraph 174 wurde 1973 neu gefaßt und durch das Adoptionsgesetz vom 2.7.
1976 geändert. Die Neufassung von 1973 lautete folgendermaßen (ich zitiere nur die hier relevanten Teile):

(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter sechs Monaten wird bestraft, wer einen seiner Erziehung, Ausbildung, Aufsicht oder Betreuung anvertrauten Menschen unter einundzwanzig Jahren ... mißbraucht.
(2) Der Versuch ist strafbar. ... Die Tat ist demnach nur noch ein Vergehen, da die Mindeststrafe unter einem Jahr liegt; ...

Als Erzieher galt in dieser Fassung mit bestimmten Einschränkungen auch der Lehrer: »So wird ein Erziehungsverhältnis in einer kleinen Dorfschule mit vier Lehrern zwischen allen Lehrern und Schülern vorliegen ..., während in einer großstädtischen Berufsschule das Erziehungsverhältnis im allgemeinen erst mit Zuweisung des Schülers an einen bestimmten Lehrer entsteht.« Der Schulleiter galt in jedem Fall als Erzieher.[11]
Das Adoptionsgesetz von 1976 weist einige Änderungen auf; es lautet:

Sexueller Mißbrauch von Schutzbefohlenen
(1) Wer sexuelle Handlungen
1. an einer Person unter sechzehn Jahren, die ihm zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist,
2. an einer Person unter achtzehn Jahren, die ihm zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut oder im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist, unter Mißbrauch einer mit dem Erziehungs-, Ausbildungs-, Betreuungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnis verbundenen Abhängigkeit oder ... wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Wer unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 Nr. 1 bis 3
1. sexuelle Handlungen vor dem Schutzbefohlenen vornimmt oder
2. den Schutzbefohlenen dazu bestimmt, daß er sexuelle Handlungen vor ihm vornimmt, um sich oder den Schutzbefohlenen hierdurch sexuell zu erregen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(3) Der Versuch ist strafbar.
(4) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 oder des Absatzes 2 in Verbindung mit Abs. 1 Nr. 1 kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn bei Berücksichtigung des Verhaltens des Schutzbefohlenen das Unrecht der Tal gering ist.

Nach Nr. 1 werden unter Erziehung, Ausbildung und Betreuung in der Lebensführung Obhutsverhältnisse verstanden, »auf Grund deren der Täter die (Mit-)Verantwortung auch für die Persönlichkeitsbildung im ganzen einschließlich der sittlichen Entwicklung des Schutzbefohlenen trägt und deren Vermengung mit Sexualbeziehungen den Erziehungsaufgaben abträglich sein würde.« Lehrer sind Erzieher auch gegenüber den Kindern ihrer Schule, die sie nicht selbst unterrichten (eine Änderung gegenüber dem Gesetz von 1973), Ausbilder auch bei Volontär-, Praktikanten- und Anlernverhältnissen, solange ein gewisses »Überordnungs- und Unterordnungsverhältnis von allgemein geistiger Art erfolgt«. Bloße Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten genügt nicht; z.B. zwischen dem Leiter eines Koch- und Nähkurses besteht kein Ausbildungsverhältnis in dem Sinn. Unter »Betreuung in der Lebensführung« fallen etwa Lagerleiter und Teilnehmer eines Zeltlagers und so weiter.
Unter Nr. 2 sind Personen unter 18 Jahren geschützt, wenn sie »dem Täter im Sinne des Nr. 1 zur Erziehung anvertraut oder im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet sind«. Der Mißbrauch wird hier folgendermaßen ausgelegt:
»Erforderlich ist..., daß der Täter offen oder versteckt seine Macht und Überlegenheit auf einer für den Jugendlichen erkennbar werdenden Weise als Mittel einsetzt, um sich diesen gefügig zu machen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn er den Jugendlichen unter Druck setzt, indem er in diesem - und sei es auch nur durch schlüssiges Verhalten - die Befürchtung ernster Nachteile oder das Ausbleiben von Vorteilen für den Fall hervorruft, daß er sich ihm nicht willfährig zeigt ... Eine Drohung ... ist nicht erforderlich... Der Nachteil (z.B. Kündigung, Kürzung des Gehalts, Versetzung an schlechteren Arbeitsplatz, Rücknahme von Vergünstigungen usw.) braucht z.Zt. der Handlung noch nicht konkret faßbar zu sein; ... Ein Mißbrauch wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Täter schon vor Begründung des Abhängigkeitsverhältnisses sexuelle Beziehungen zu dem Opfer unterhalten hat. Nicht ausreichend ist es, wenn der Täter lediglich durch Versprechen von Vorteilen zum Ziele kommt, ... Hier nutzt der Täter zwar seine Stellung aus, mißbraucht aber nicht die zu ihm begründete Abhängigkeit.
... Von einem Mißbrauch kann nur da gesprochen werden, wo der Täter seine Macht tatsächlich einsetzen muß, um sein Ziel zu erreichen. Ist der Jugendliche ohne einen solchen Einsatz zur Beteiligung bereit, so liegt kein Mißbrauch vor. Die Frage der Einwilligung stellt sich nicht. Sie würde, soweit sie durch den Einfluß des Täters zustande kommt, keine Wirkung haben. Anders als in Nr. 1 ist hier dem Minderjährigen die Disposition über seine sexuellen Beziehungen grundsätzlich freigestellt.***407.7.12**
Das neue Gesetz setzt also aufgrund der Veränderung der Volljährigkeit die Altersgrenze des Opfers herab. Im Hinblick auf Lehrer erweitert es die Definition des Erziehers auch auf solche, die Kinder, die sie nicht selbst unterrichten, mißbrauchen. Bis zum 16. Lebensjahr gilt jeder sexuelle Kontakt als Mißbrauch.
Das Gesetz scheint mir besonders wichtig für Frauen in Lehrlings- und in Arbeitsverhältnissen. Bisher sind nur wenige Fälle vor Gericht gekommen, und es wird angenommen, daß eine hohe Dunkelziffer besteht. Frauen sollten sich zusammentun und mit Juristinnen beraten, wie sie mittels dieses Gesetzes gegen Übergriffe von Lehrern, Ausbildern und Arbeitgebern vorgehen können.