In kaum einem anderen Bereich wird die Ideologie der »Weiblichkeit« so unverbrämt institutionalisiert wie im Sport. Die körperliche Unterlegenheit, die hier bei Mädchen systematisch entwickelt wird, bildet einen bedeutenden Teil der Grundlage für die Macht von Männern über Frauen. Nicht umsonst nehmen immer mehr Frauen an Karatekursen teil. Daß die mangelnde Förderung physischer Fähigkeiten auch einen Einfluß auf die intellektuelle Entwicklung haben kann, wurde schon in dem Kapitel über familiale Sozialisation erwähnt.
In den letzten Jahren wurde Koedukation im Sportunterricht auf verschiedenen Ebenen diskutiert. Eine Reihe wissenschaftlicher Analysen und Untersuchungen erschienen, die Kultusministerkonferenz machte eine Umfrage über Koedukation, der Deutsche Sportlehrerverband gab eine Stellungnahme ab. 1975 veranstaltete der Deutsche Sportbund einen Kongreß zum Thema »Chancen und Hemmnisse für Frauen im Sport« und veröffentlichte die Referate, die sich weitgehend für eine Veränderung und Erweiterung des Frauensports aussprachen.
In keiner anderen Diskussion über Koedukation treffen unterschiedliche Standpunkte über psychische und physische Fähigkeiten und Defizite so hart aufeinander. Iris Penseler, Sportstudentin, untersucht diesen Widerstreit aus ihrer Sicht. Kerstin Köhntopp, Schülerin, schreibt, was sie von dem Sportangebot für Mädchen hält.
In dem Kapitel »Women's Studies an Schulen - Zwei Beispiele« gehe ich auf Aktionen in den USA ein, die ansatzweise zur Erweiterung der sportlichen Möglichkeiten geführt haben. Auch in England ist die Forderung nach Chancengleichheit im Sport bis in die Gerichtssäle gedrungen.
Die Feminist Press wird in Kürze ein Buch mit historischen und zeitgenössischen Aufsätzen zu dem Thema veröffentlichen, zusammen mit einem didaktisch aufgearbeiteten Curriculum für Sportlehrerinnen.[1]
In der Bundesrepublik und Westberlin hat sich bisher in dieser Weise (Kampf auf Gesetzesebene, organisiertes Auftreten von Schülerinnen, Eltern und Lehrerinnen) wenig getan. Die Zahl der Mädchen und Frauen, die am Sport teilnehmen, und zwar nicht nur an frauenspezifischen Sportarten, wächst jedoch ständig (von 1954 bis 1970 um 166,4 %):[2] Ein Beispiel: Seit 1970 kann offiziell »Damenfußball« gespielt werden. Bis 1977 fand dieser Sport 274.000 Anhängerinnen - eine beachtliche Zahl, gleichzeitig jedoch nur 7,1 % aller Spieler.[3]
Ebenso haben sich die Leistungen erhöht - sie sind relativ schneller gestiegen als bei Männern, wie z.B. aus dieser Abbildung zum Schwimmsport ersichtlich ist:[4]
Wissenschaftlich gesehen haben Frauen eine relativ gleich hohe Leistungsfähigkeit wie Männer. Dasselbe gilt für die relative Trainierbarkeit, insbesondere was Ausdauerleistungen betrifft (z.B. Langstreckenlauf).[5] Es ist also z.B. nicht einleuchtend, warum viele Lehrpläne vorsehen, daß Mädchen weniger lange Strecken als Jungen laufen.
Ein weiterer Faktor ist der angebliche Entwicklungsvorsprung von ein bis zwei Jahren der Mädchen. Sabine Kröner, Sportprofessorin in Gießen und Autorin des Buches Sport und Geschlecht, schreibt, daß im Falle eines solchen Vorsprungs Schülerinnen gerade mehr im Hinblick auf Kraft und Ausdauer zugemutet werden müsse. Das Gegenteil sei jedoch der Fall:
- ... Der innerhalb des Phasenmodells angenommene Vorsprung der weiblichen Heranwachsenden wirkt sich nicht auf Lernforderungen aus. Statt den Vorsprung zu nutzen, wird er zum Defizit deformiert, die Stagnation quantitativer Leistungen systematisch vorbereitet zu Gunsten einer Leistungsentwicklung qualitativer Art, die als die angemessenere gilt. Ob diese hiermit verbundene Lernangebote tatsächlich als von den Betroffenen »angemessen« erlebt werden, darf angesichts der zwischen 11 und 15 auftretenden und auch von den Rahmenrichtlinien konstatierten »allgemeinen Bewegungsunlust« der Mädchen bezweifelt werden. Vielmehr ist anzunehmen, daß die den Mädchen im gesamten sekundären Sozialisationsprozeß vorenthaltenen Lernanreize zur irreparablen Bewegungsunlust kumulieren. Das sog. »biologisch bedingte Schonungsbedürfnis« . . . gerät zur Leitlinie und Rechtfertigung eines unterfordernden Mädchensportunterrichts, häufig vom 1. Schuljahr an.[6]
Um zu überprüfen, wie sich die Diskussion um Mädchensport auf den Schulsport ausgewirkt hat, sichtete ich die Lehrpläne mehrerer Länder und führte telefonische Interviews mit den zuständigen Referenten in den Kultusministerien.[7] Wie auch für das Fach Arbeitslehre, waren die Referenten ausschließlich Männer. Im folgenden werde ich die Einschätzungen der Referenten kurz zusammenfassen.
Allgemein ist zu sagen, daß in den meisten Ländern Sport in den ersten 4 bis 6 Jahren koedukativ durchgeführt wird, spätestens ab der 7. Klasse getrennt stattfindet und im Kurssystem der reformierten Oberstufe teilweise wieder koedukativ bzw. koinstruktiv (mit Binnendifferenzierung) angeboten wird. Die Begründungen für diese Regelung sind jedoch unterschiedlich, ebenso wie die Einstellungen zu möglichen Veränderungen.
Berlin, Hamburg und Baden-Württemberg nehmen die konservativsten Standpunkte Koedukation gegenüber ein. Der Referent von Baden-Württemberg sah Koedukation nur bis zum 4. Schuljahr als sinnvoll an und meinte, daß sie bei Mannschaftsspielen wie Handball und Volleyball schon problematisch würde.
Die Hamburger Richtlinien geben für das 5. und 6. Schuljahr folgenden didaktischen Hinweis:
- Neben der unterschiedlichen physiologischen Leistungsfähigkeit der Jungen und Mädchen dieser Altersstufe werden Tendenzen in geschlechtsspezifischen motorischen Verhaltensweisen auffällig. Während bei den Jungen nach wie vor das Leistungswollen vorherrscht, neigen die Mädchen als Folge weiterentwickelter sensomotorischer Leistungsfähigkeit eher dazu, Erlerntes auszuformen und zu gestalten. So zeichnen sich auch schon anlagebedingte Neigungen und dauerhafte leistungsorientierte Motivationen ab, denen in einem entsprechend differenzierten Unterricht entsprochen werden muß.
Aus dieser »Neigung« der Mädchen wird dann für den Bereich Gymnastik geschlossen: »Die wachsende Fähigkeit, Bewegungen zu formen und zu gestalten, erschließt vorwiegend den Mädchen den Zugang zur Gymnastik.«
Der koedukative Unterricht beschränkt sich nach Aussage des Referenten im wesentlichen auf die Grundschulen. Im Lehrerfortbildungsprogramm konnte ich keine Veranstaltung zum Thema Koedukation und auch keine Fortbildungskurse für Lehrerinnen, z.B. im Fußball, finden.
Berlin steht zweifellos Koedukation am konservativsten gegenüber. Der Lehrplan ist durchgängig nach Richtlinien für Mädchen bzw. Jungen aufgeteilt, während Lehrpläne anderer Länder oft nur bestimmte Bereiche geschlechtsspezifisch ausweisen. Der zuständige Referent begann das Interview mit dem Satz, den ich von fast allen Ländern hörte: »Generell haben wir Koedukation« und fuhr fort:
»Wir haben in früheren Jahren empfohlen, Koedukation aufzuheben, weil die Entwicklungsunterschiede zu stark sind und weil vom Interesse her die Mädchen andere Dinge lieber machen als die Jungen. Andererseits empfehlen wir, Koedukation in Grund- und Leistungskursen möglich zu machen«,
d.h. zu einem Zeitpunkt, wenn unterschiedliche Interessen und Fähigkeiten durch unterschiedliches Training schon geprägt sind. Ein Problem sah der Referent in der Aufsichtspflicht männlicher Lehrer, die bei koedukativen Schwimmkursen dazu verpflichtet wären, zu sehen, ob die Mädchen sich richtig duschen! Über 90 % des Unterrichts in der 5. bis 10. Klasse sei -getrennt. Die unteren Klassen seien aus organisatorischen Gründen nicht getrennt. In Zukunft, meinte der Referent, würde seine Richtung beibehalten, d.h. es würde keine Änderungen geben.
Immerhin wird in der Lehrerfortbildung wenigstens einmal jährlich ein Lehrgang in Schulfußball für Lehrerinnen angeboten. Mädchenfußballmannschaften wurden schon aufgestellt, aber es fanden sich nicht genug, um auf Stadtebene an Spielen teilzunehmen.
Eine relativ neutrale Stellung wird von Bayern, Rheinland-Pfalz und dem Saarland vertreten. In Bayern kann Koedukation durchgeführt werden, wenn der Elternbeirat zustimmt. Bis zur 4. Klasse wird meist koedukativ unterrichtet, Klasse 5 bis 11 gewöhnlich getrennt, »weil Lehrer und Lehrerinnen nicht dieselbe Ausbildung haben.« In klassenübergreifenden Interessengruppen ist Koedukation z.B. bei Tennis und Langlauf, Judo und Rudern möglich, bei Kampfspielen (Handball, Basketball) und bestimmten Geräten nicht. Der Referent berief sich auf negative Erfahrungen, die Hessen mit Koedukation gehabt habe, so z.B. mit Jungen, die sich gegen die Teilnahme von Mädchen wehrten. (Der Referent von Hessen sagte hierzu, daß solche Schwierigkeiten nicht überraschend seien und nicht als Grund zur Absage an Koedukation gewertet werden könnten.)
In Rheinland Pfalz und dem Saarland bleibt der Entschluß für oder gegen Koedukation Lehrer(inne)n bzw. der Fachkonferenz überlassen. Der Referent von Rheinland Pfalz verband unterschiedliche Leistungen mit den unterschiedlichen Anforderungen, die an Mädchen und Jungen gestellt werden. Er meinte, daß das schwindende Interesse der Mädchen am Sport jedoch nicht nur eine schulische Frage sei, sondern auch Sache der Emanzipation: ». . . dann kommt der liebe Freund und verlangt seine Zeit. . .« Im Saarland befindet sich gegenwärtig ein Erlaß in Anhörung, der zu Koedukation, »soweit pädagogisch sinnvoll«, auffordert.
Gegenwärtig laufen in Bayern Versuche mit durchgängiger Koedukation in einigen Gymnasien und in zwei Hauptschulen. In der Unterstufe zeigen sich dabei, entgegen den Erwartungen, größere Probleme als in der 9. und 10. Klasse. Fußball für Mädchen ist in Diskussion und kann im differenzierten Unterricht angeboten werden. Hier liegen die größten Schwierigkeiten bei der Opposition der Eltern.
Hessen und Schleswig Holstein veröffentlichten Erlasse (1973 und 1975), die Koedukation , »wo pädagogisch sinnvoll«, empfahlen und darauf hinwiesen, daß Lehrerinnen Jungen und Lehrer Mädchen unterrichten können. Nordrhein Westfalen ist im Begriff, einen solchen Erlaß zu erarbeiten. Der Referent von Schleswig Holstein vertrat die Ansicht: »Koedukation bietet enorme Vorteile. Sport darf nicht nur vom Leistungsaspekt her gesehen werden.«
Ein Vertreter des Kultusministeriums von Nordrhein Westfalen sah einen Zwang zur Binnendifferenzierung aufgrund unterschiedlicher Voraussetzungen. Der Referent wies auf das Problem der Meinungsänderung unter den Lehrer(inne)n hin und meinte, daß Schüler und Schülerinnen durchaus zusammenarbeiten könnten, wenn sie es früh lernen: »Ich sah in einer Unterrichtsstunde eine Sicherungshilfe in einer 8. Klasse. Die Mädchen waren den Jungen voraus und gaben ihnen Ratschläge. Die Jungen fühlten sich nicht angegriffen. Das liegt daran, daß sie koedukativ gearbeitet haben.«
Der zuständige Referent sah die Dinge etwas anders. In der Sekundarstufe I seien die Gründe für getrennten Unterricht so gravierend, daß man gegen Koedukation entscheiden müsse. Änderungen seien nicht zu erwarten. Er meinte, daß sich beim Leistungssporthandball unter den Mädchen jungenhafte Typen durchsetzen, mit denen man die eigene Tochter nicht auf das Spielfeld schicken wollte! Auch würde z.B. bei Handball ab einem bestimmten Alter der Spielgedanke durch Koedukation verändert.
Sowohl in Nordrhein Westfalen, wie in Hessen und Schleswig Holstein werden Versuche mit Koedukation durchgeführt, deren Rückmeldungen positiv sind. In allen drei Ländern werden Fortbildungskurse für Lehrerinnen in Fußball angeboten, und in Schleswig Holstein und Hessen finden auch Kurse zum Thema »Koedukation im Sportunterricht« statt.
Die Frage, die sich mir stellt und die die Referenten mir nicht beantworten konnten, ist, warum Mädchen nicht in geschlechtshomogenem Unterricht dieselben Sportarten wie Jungen erlernen können. Wenn die Probleme bei Koedukation die angeblich unterschiedlichen Leistungsfähigkeiten und die Schwierigkeiten bei der Interaktion zwischen Mädchen und Jungen sind, dann scheint dies die naheliegendste Lösung. Mädchen werden aber nicht nur getrennt, sondern auch in anderen Sportarten unterrichtet. Die Gründe für eine solche Curriculumpolitik liegen also woanders. Ich unterstelle den Schulpolitikern, daß ein Schulsport nicht in ihrem Interesse ist, durch den Mädchen sich zu starken Frauen entwickeln, die ihren Körper in verschiedensten Situationen wirksam einsetzen können und die durch sportliche Betätigung ihr Durchsetzungsvermögen und ein positives Verhältnis zu Leistungsanforderungen entwickeln.
In den folgenden Seiten wird Iris Penseler noch näher auf diese Fragen eingehen.
Erziehung zur Weiblichkeit durch Sport
»Aufgabe einer echt weiblichen Leibeserziehung ist die Steigerung der naturhaften Schönheit des weiblichen Körpers . . .«. Das formulierte Bode vor mehr als 50 Jahren und Möckelmann bemerkt zum Thema Frauensport 1975 folgendes: »Typisch frauliche Übungen« sind solche Sportarten, »bei denen natürliches Bewegungsgefühl, Geschicklichkeit und Gestaltkraft gefordert werden ...[8] Insbesondere die Gymnastik wird von sogenannten Sportwissenschaftlern und (wen wundert's) Sportmedizinern als eine der »weiblichen Eigenart« entsprechende Disziplin den Frauen zudiktiert; denn - so Möckelmann die Frau könne in ihrem ganzen Sein dem Kinde gleich (!), das sich völlig dem Spiel hingibt und sich selbst dabei vergißt, vom Tanz, der Gymnastik und dein Spiel ergriffen werden«.
Derartige Zitate ließen sich trotz zunehmender kritisch-emanzipatorischer Ansätze in der Sportwissenschaft beliebig aneinanderreihen. Sport - nach wie vor Domäne des Mannes wird von diesen hartnäckig verteidigt. Um den Frauen den Zugang zu »typischen Männersportarten« zu erschweren, beruft man sich u.a. auf die geringere körperliche Leistungsfähigkeit der Frauen, und es ist in diesem Zusammenhang bezeichnend, daß die Leistungen der Frau an der des Mannes gemessen werden - eine Tatsache, die zur eindeutigen Benachteiligung der im Vergleich zum Mann (d.h. absolut) weniger leistungsfähigen Frau führt. Auch die Warnung bzw. Angst vor »Vermännlichung«, d.h. durch die Ausübung bestimmter Sportarten an Feminität zu verlieren, ist sicherlich jedem bekannt. Die Tatsache der relativ gleichen Leistungsfähigkeit und die enormen Leistungssteigerungen der Frauen in den letzten Jahren (der Weltrekord der Frauen beim 100 m-Lauf hat sich z.B. innerhalb von 40 Jahren um 0,9 sek. verbessert, der der Männer dagegen nur um 0,3 sek.!!)[9] scheint die Männer nicht daran zu hindern, den Mythos »vorn schwachen Geschlecht« im Sport aufrechtzuerhalten. Sport soll der Meinung konservativer Sportwissenschaftler nach »dem Wesen der Geschlechter« entsprechen, das ohne Analyse der Umwelteinflüsse als »naturgegeben« interpretiert wird. Die befürworteten geschlechtsspezifischen Sportarten verfehlen keinesfalls ihre Wirkung. Mädchen und Frauen lernen die für sie »geeigneten« Disziplinen zu akzeptieren, bzw. »ungeeignete« abzulehnen, eine Tatsache, an der auch der Freizeitsport einen erheblichen Anteil hat. Hier wird der Einfluß und die Bedeutung, die die zitierten Sporttheoretiker nach wie vor haben, deutlich.
Entsprechend der traditionellen Frauenrolle wird der Sport durch Volkshochschulen und Vereine »weiblich« abgestimmt, was in einem Überangebot im gymnastischen und tänzerischen Bereich resultiert. Ohne Zweifel sollen durch die ästhetischen Kriterien sogenannter Frauensportarten (Gymnastik, Tanz, Eislauf) Anmut, Grazie, Geschicklichkeit beim weiblichen Geschlecht als solche Eigenschaften gefördert werden, die die Attraktivität der Frau als Sexualpartnerin steigern (Schlankheit, Schönheit, Jugendlichkeit). In der Wettkampfgymnastik - einer typischen Aktivitätsform für Frauen und Mädchen - kommt durch die Vorführung schlanker, attraktiver Mädchen die Orientierung der Männer an ihrer »Schaulust« besonders deutlich zum Ausdruck. Bei der Berliner Gymnaestrada durften z.B. nur Frauen an der Ballgestaltung teilnehmen, die als höchste Konfektionsgröße Nr. 40 hatten.
Bezeichnend ist weiterhin die Tatsache, daß die Ausbildung von Gymnastiklehrerinnen an spezifischen Berufsfachschulen fast ausschließlich für das weibliche Geschlecht vorgesehen ist. In den Medien (Rundfunk, Fernsehen, Zeitschriften) wird Gymnastik vorwiegend in Zusammenhang mit Frauensport erwähnt, nach dem Motto »schlank und schön durch Gymnastik«. Da Frauen die für sie bestehenden Normen bereits in frühem Alter internalisiert haben, wundert es kaum, daß ein hoher Prozentsatz der weiblichen Bevölkerung »der Figur wegen« motiviert ist, Sport zu treiben.
Trotz des zunehmenden Engagements der Frauen im Sport (sie spielen z.B. seit 1970 offiziell Fußball, in der Leichtathletik machen sich Veränderungen an den immer länger werdenden Laufstrecken bis hin zum Marathonlauf bemerkbar), weigern sich ca. 1/3 aller Vereine, in Zukunft Frauen aufzunehmen. Ein Viertel aller Vereine hat keine weiblichen Mitglieder - ein Sachverhalt, der sich darauf zurückführen läßt, daß es sich um Vereine handelt, die typische »Männersportarten« betreiben, wie Schießen, Fußball, Kraftsport, Boxen. 23 % aller Vereine lehnen Leistungssport und Fußball für Frauen ab - Damenfußball wird für eine Volksbelustigung gehalten.[10] Kennzeichnend für die ignorante Haltung der Vereine gegenüber den sportlichen Interessen der Frauen ist weiterhin das geringe und einseitige (s.o.) Angebot im Frauensport, sowie fehlende personelle und materielle Voraussetzungen Mißstände, die den Verdacht nahelegen, daß Sportvereine das gesellschaftlich erwartete Frauenbild (wonach die Frau »ins Haus gehört«) unterstützen.
Als ein weiteres Hemmnis für die Frauen erweist sich die Orientierung der Vereine an den Normen des Wettkampf- und Leistungssports. Die organisierte weibliche Bevölkerung ist nach den Ergebnissen einer Umfrage der Ansicht, der Frauensport habe in den Vereinen weniger Ansehen, weil sich die weiblichen Aktiven weniger am Leistungssport beteiligen und weniger trainieren als die Männer. Vor allem aber zählt die Leistung der Frau im öffentlichen Leben, d.h. auch im Sport niemals soviel wie die eines Mannes.
Als Resultat ihrer Sozialisation vermeiden Frauen Disziplinen, die von Wettkampfsituationen, Leistungsdruck und -vergleich und Niederlagen gezeichnet sind. Der überwiegende Teil der Frauen bevorzugt eindeutig den ästhetischen Bereich des Sports (Turnen, Eislauf, Gymnastik), während sich die männliche Bevölkerung an solchen Sportarten orientiert, die aufgrund ihres Leistungs- und Wettkampfcharakters den unmittelbaren Kräftevergleich herausfordern (wie Fußball, Fechten, Karate). Den bestehenden Normen und Idealen männlichen bzw. weiblichen Verhaltens wird also durch die spezielle Ausgestaltung des Sports Rechnung getragen.
Das sportliche Verhalten der Frauen muß insbesondere aber auch als Resultat des Schulsports gesehen werden. Er ist aufgrund der Inhalte des Mädchensports maßgeblich an der Herausbildung und Festigung traditionellen rollenspezifischen Verhaltens beteiligt. Meine eigenen Erfahrungen sind dabei sicherlich kein Einzelfall: Wir lernten z.B. an dem Mädchengymnasium, das ich von der Sexta bis zum Abitur besuchte, während der Sportausbildung weder Handball, noch Basketball oder Fußball zu spielen, auch in Leichtathletik und im Schwimmen war unsere Ausbildung u.a. aufgrund fehlender materieller Voraussetzungen mehr als ungenügend. Statt dessen war die Gymnastik ein wesentlicher Bestandteil des Mädchensports. Tänzerisch-rhythmisches Bewegen mit Grazie und Anmut nach verträumten Klängen der begleitenden Klaviermusik wurde gewünscht und gefordert. Da mir diese »künstlerischen« Verrenkungen in der Art des »sterbenden Schwanes« zu diesem Zeitpunkt sogar Spaß machten, wurde ich von meiner Sportlehrerin als angeblich junges Talent gefördert und zur Wettkampfgymnastik motiviert (heute mache ich übrigens Karate). Als Resultat dieser Erfahrungen beschränkte sich meine sportliche Aktivität auch während meines Sportstudiums nach der Grundausbildung ausschließlich auf Gymnastik und Tanz. Bevor ich aber auf die spezifischen Inhalte der Sportlehrer(innen)ausbildung an der Uni eingehe, will ich zunächst einige wichtige Bemerkungen zum Mädchensport an den Schulen machen: Die Analyse der (immer noch gültigen) Rahmenpläne [11] ist erschreckend:
- Die Lauf- und Schwimmstrecken sind bei den Mädchen kürzer, eine kontinuierliche Erhöhung der Leistungsanforderungen findet bei ihnen nicht statt, d.h. in der Ausdauerschulung werden wesentlich geringere Anforderungen an sie gestellt als an die Jungen.
- Krafttrainierende Übungen fehlen fast völlig, die Kraftschulung wird von Anfang an vernachlässigt.
- Eine Vielzahl von sportlichen Disziplinen ist im Schulsport der weiblichen Jugendlichen nicht vorgesehen, z.B. Delphinschwimmen, Speer-, Diskuswurf, Wälztechnik (Hochsprung).
- Mutübungen (z.B. Sprünge vom 3-m-Brett beim Schwimmen oder Überschläge beim Turnen) werden von ihnen nicht gefordert.
- in den Sportspielen werden ihnen zahlreiche Erfahrungen vorenthalten. Nach den Rahmenplänen lernen Mädchen weder Wasserball noch Faust- oder Fußball zu spielen.
Kennzeichnend für den Mädchensport in allen Altersstufen ist die musikalische, rhythmische - Ausdrucksschulung, die Betonung der Schwung- vor der Kraftschulung, das Erlernen der Anpassungsfähigkeit an Partner, Gruppen und Rhythmen, wobei mit zunehmendem Alter der Anspruch an die Mädchen wächst, Gymnastik und Tanz zu betreiben. Begründungen für diese disparaten Anforderungen sind den Rahmenrichtlinien dabei wie folgt zu entnehmen:
Quantitativ meßbare Kraft und Ausdauer fordernde Leistungen entsprechen der weiblichen Konstitution weniger als Leistungen, die Bewegungsgefühl, Geschicklichkeit und Gestaltkraft erfordern.
Entsprechend der »geschlechtsbedingten Eigenart« werden solche Übungen befürwortet, die dem »Verständnis der Mädchen für Schönheit, Form und Qualität der Bewegung« entgegenkommen. Diese »weiblichen Eigenschaften« sollen in der Gymnastik und den Tänzen als »unentbehrliche Bestandteile der Bewegungsbildung bei den Mädchen« verwirklicht werden.[12] Hier stoßen Gleichheit der Bildungschance und Schulwirklichkeit aufeinander!
Derartige Inhalte des Mädchensports fördern idealtypische weibliche Verhaltensweisen (wie Ängstlichkeit, Anpassung, Anmut) bzw. verhindern, ein nicht dem weiblichen Rollenstereotyp entsprechendes Sportverhalten auszubilden. Zugleich bleibt aufgrund des Einsatzes von Gymnastiklehrerinnen im Schulsport der weiblichen Jugendlichen die »mädchenbildende« Sporterziehung erhalten, denn Leistung und wettkampfsportliches Verhalten (mit den dafür erforderlichen Eigenschaften, wie Mut, Durchsetzungskraft, Aggressivität) ist den Absolventinnen von Gymnastikschulen sicherlich kein zentrales Anliegen.[13] Es bleibt auch fraglich, inwieweit das Sportcurriculum der gymnasialen Oberstufe als eine positive, emanzipatorische Tendenz gewertet werden kann. Den Schülerinnen steht zwar in gleichem Maße wie den Schülern die Wahlfreiheit der verschiedenen in Kursform angebotenen Sportarten zu, jedoch ist m.E. von der Annahme auszugehen, daß Schülerinnen solche Sportarten wählen, die sie im Laufe ihrer ersten Erfahrungen im Schulsport für sich als »adäquat« (kennen)gelernt haben. Bezeichnend ist im übrigen auch die Tatsache, daß sich geschlechtsspezifische Lernziele und -Inhalte im Turnsport (Sekundarstufe II) nach wie vor erhalten haben. im Mädchenturnen wird die »Freude an der Eigengestaltung von Bewegungsfolgen« als »typisch« angesehen, während für den Jungen »die Freude« der Schüler, »schwierige Übungsteile und die eigene Kraft« zu erproben angeblich kennzeichnend sei. Der Junge soll »sicher turnen« lernen, das Mädchen »seine kreativen Kräfte« entdecken.[14] Die allgemein schwierigeren Anforderungen im Jungenturnen werden beim Mädchen wie eh und jeh durch graziöse, gymnastische Übungen ersetzt. Sport erweist sich also als ein gesellschaftliches Subsystem, in dem sich geschlechsspezifische Verhaltensweisen nicht nur deutlich widerspiegeln, sondern auch verfestigt werden.
Sollte nun die Gleichheit der Bildungschancen weiterhin nicht Postulat bleiben, sondern konkrete Realität annehmen, so erscheint es aufgrund der Ergebnisse der Sozialisationsforschung notwendig, daß sich Sportwissenschaft, -lehrpläne und -praxis von der These der naturbedingten Geschlechterunterschiede, durch die geschlechtsspezifischer Sport u.a. befürwortet bzw. mehr oder weniger nachdrücklich gefordert wird, distanzieren. Mädchen müssen einerseits aufgrund der sportlichen Defizite vermehrt zum sportmotorischen Handeln (insbesondere im Bereich der Spiele und der Leichtathletik) motiviert und in leistungskompetitiver Weise gefördert werden, zum anderen aber wäre der Abbau traditioneller Geschlechterrollen durch die Einführung koedukativen Unterrichts eine wünschenswerte Perspektive. Durch zahlreiche Unterrichtsversuche konnte inzwischen nachgewiesen werden, daß Koedukation eine Änderung in der traditionellen Rollenstruktur fördert.[15] Gemeinsamer Sportunterricht läßt sich sicherlich in solchen Sportarten problemloser durchführen, wo die sportlichen Erfahrungs- und Handlungsvoraussetzungen der Geschlechter ähnlich sind. In vielen Disziplinen (z.B. Fußball) wird Koedukation jedoch zunächst auf Grenzen stoßen, die erst dann überwunden werden können, wenn den Mädchen die notwendigen Bewegungserfahrungen vermittelt worden sind.
Veränderungen im Schulsport setzten aber zugleich auch Reformen in der Sportlehrerausbildung voraus.
Während meines Sportstudiums in Mainz wurden alle praktischen Veranstaltungen getrennt durchgeführt. Die fehlende Handball- und Fußballausbildung wurde bei den Frauen - im Vergleich zu den Sportstudenten - durch erhöhte Anforderungen in der Gymnastik und dem Tanz »kompensiert«. Auch in Berlin ist die Fußballausbildung bislang nicht für Frauen vorgesehen, in der Fachausbildung Gymnastik müssen Frauen 6 Semesterwochenstunden, Männer dagegen nur 2 Semesterwochenstunden absolvieren. Immerhin werden hier aber alle Veranstaltungen außer Handball koedukativ durchgeführt. Bliebe zu wünschen, daß die ungleichen Ausbildungsanforderungen aufgehoben werden und die gemeinsame praktische Sportausbildung verbindlich eingeführt wird.
Weder die Orientierung der Frauen an männlicher Sporttätigkeit und Trendbestimmung, noch die einseitige Ausrichtung auf sogenannte frauliche Bereiche des Sports, sondern die gleichberechtigte, selbstverantwortliche Handlungs-, Entfaltungs- und Entscheidungsmöglichkeit können für eine Neuorientierung im Sport richtungweisend sein.
Iris Penseler
Schulsport - der totale Unsinn (?)
In der Schule vollführen wir Mädchen graziöse Verrenkungen auf einem Schwebebalken. Bis jetzt kam mir das immer ziemlich normal vor, wenn die Lehrerin sagte: »So, es ist wieder soweit, baut doch mal den Schwebebalken auf.« Doch jetzt finde ich das gar nicht mehr normal.
Ich habe nämlich vor kurzer Zeit ein Lauftraining angefangen und schon nach dem vierten Lauf fühlte ich mich mehr gekräftigt, als nach einem ganzen Jahr mit Schulsport. Und jetzt fällt mir auch der Unterschied auf zwischen Jungen und Mädchen im Sport: Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie einen Jungen auf einem Schwebebalken gesehen.
Man soll nun nicht annehmen, daß wir das ganze Jahr über Schwebebalkenübungen vollführen, nein, durchaus nicht, es soll nur ein Beispiel sein, was für unnütze Sachen wir Mädchen machen müssen und wie doof wir doch sind: Jungen würden nie einen Schritt auf dieses Folterding machen.
Brauchen sie ja auch nicht, sie können Fußball spielen. Allerdings machen sie anstrengendere Sachen im Turnunterricht als wir (Zirkeltraining z.B.). Da fällt mir gerade ein, daß ich eigentlich gar nicht weiß, was die Jungs alles turnen ... naja.
In der Grundschule waren Jungs und Mädchen (noch) körperlich gleich stark, aber jetzt in der Oberschule muß irgendeine Sperre eingetreten sein, nach dem Motto: »So, das reicht jetzt.«
Irgendwo hab' ich mal gelesen, daß ein Junge mit dreizehn Jahren doppelt so stark ist wie ein Mädchen mit dreizehn. Ich wette, das hat bestimmt auch was mit dem Training zu tun.
Hat man (um wieder auf das Beispiel zurückzukommen) überhaupt schon mal so ein unnützes und vor allem unnatürliches Ding gesehen, wie den Schwebebalken? Wozu werden Mädchen unnatürliche Bewegungen auf einem 20 mm breiten Ding beigebracht? Bewegungen, die mich nicht fit halten, geschweige denn »aufbauen«? Daß sie auf normalem Boden auch so laufen? Wozu?
Aber nicht nur am Schwebebalken muß ich meine Wut auslassen, sondern auch an der Bodenkür (die die Jungs teilweise auch machen müssen) oder am (sehr gefährlichen) Trampolin-Springen. Warum müssen 40 Mädchen das machen, was sie gar nicht wollen? (Was heißt, sie wollen es nicht, Schwebebalken ist doch soooooo toll!!) und warum kriegen sie auch noch Zensuren dafür?
Oft wird gesagt, Schulsport solle einen ja auch nicht »aufbauen«, sondern anregen, privat vielleicht auch etwas sportlicher zu werden. Na, toll, dazu fallen mir zwei Sachen ein:
1) Jungen werden mehr dazu angehalten, privat was zu machen (und wenn es nur Fußballspielen ist, das ist sowieso ein »Muß« für die Jungs). Wahrscheinlich, weil das Idealbild vom »starken Mann« immer noch erwünscht ist (von wem eigentlich ??!??).
2) Der Schulsport soll also eine Anregung sein. Wenn ich allerdings in jeder Sportstunde einer guten Zensur nachrennen muß (»was, in Sport 'ne vier? Das muß ja nu' wirklich nicht sein!«), habe ich nichts vom Sport, sondern bloß immer Angst (»krieg' ich noch 'ne drei oder eine vier?«). Damit wird einem nämlich die ganze Lust, die man (eventuell) noch hat, ausgetrieben, und man beschließt, privat kein Bein zu rühren.
Fazit: Warum kriegt man für unnütze Sachen, die man nicht kann oder die einem Angst einjagen, eine Zensur? Und warum werden wir nicht ein bißchen »sinnvoll angeregt«? (wenn das so weiter geht, wird Schulsport mein größter Feind, es ist sogar leicht möglich, daß er's schon ist.)
Kerstin ( 14 Jahre)
Interview mit dem Berliner Damen Motorrad Club
Ich sprach mit Beate Eberstein, 23 Jahre, Erzieherin, die seit 1975 Mitglied des Clubs ist.
Wir würden uns eigentlich lieber Frauen Motorrad Club nennen, aber wir sind nun schon so bekannt unter dem alten Namen. Der Club wurde 1975 von ein paar Frauen gegründet, die jetzt nicht mehr dabei sind, und zwar weniger als Alternative zu anderen Clubs als aus Prestigegründen. Am Anfang waren 24 Frauen in dem Club. Wir trafen uns wöchentlich in einer Kneipe. Wir veranstalteten »Pfiffigkeitsrallies« mit Scherzaufgaben, bei denen man seinen Grips beweisen mußte. Alle Motorradfahrer waren eingeladen und fanden dies ungewöhnliche Ereignis ganz dufte. Und wir führten Schrauberkurse (Reparaturkurse) durch, zu denen wir Leute aus Motorradgeschäften einluden, die viel vom Schrauben verstanden. Auf die Weise lernten wir, mit unseren Maschinen umzugehen.
Parallel zu diesen Aktivitäten lief die Initiative Ring Berlin. Dies war eine Vereinigung von neun Motorradclubs. Ich war die zweite Vorsitzende. Wir organisierten Informationsveranstaltungen und machten Öffentlichkeitsarbeit, um das Ansehen der Motorradfahrer(innen) zu verbessern. Ich hatte dort eine Aushängeschild-Funktion nach dem Motto: »Bei uns sind Frauen drin«. Das paßte mir nicht, zumal unser Frauenclub immer gegen Vereinsmeierei war. Wir mußten uns dauernd vor den anderen Vereinen rechtfertigen: Warum wir gegen eingetragene Vereine waren, warum wir keine Vorsitzenden hatten etc. Schließlich sind wir aus dem Ring ausgetreten, weil wir es ablehnten, uns dauernd mit dem chauvinistischen Verhalten der Männer auseinanderzusetzen. Der Club tat auch nichts für neue Fahrer. Wir Frauen setzten uns z.B. für einen Mopedführerschein ein, den es nicht gab.
Wir genießen es, unter uns zu sein. Uns ging das Rollenverhalten der Männer auf den Geist. Wir führen viele persönliche Gespräche und haben überhaupt kein Bedürfnis, Männer in unserem Club zu haben. Nach einer Weile wurden wir von anderen Motorradfahrern akzeptiert. Vorurteile wie »lhr Weiber auf Karre...« kamen nicht mehr. Manche sagten, wir hätten am Anfang eine große Klappe gehabt. Das brauchten wir aber als Schutzschild. Wenn sich Männer uns gegenüber blöd verhielten, gingen wir direkt auf sie zu und fragten: »Warum sagst du so'n Zeug?«
Auf technischem Gebiet haben wir uns gegenseitig Sachen beigebracht oder sie uns von anderen zeigen lassen. So half uns z.B. ein Typ, der früher Rennen fuhr, und eine alte Dame von über 90 Jahren, die als erste Frau in Berlin Motorrad gefahren war, besuchte uns.
Zur Zeit sind wir neun Frauen aus verschiedenen Altersstufen und mit verschiedenen Berufen. Ellen z.B. ist Mutter von fünf Kindern und fährt eine 750 BMW. Julia fährt eine 900 Ducati und studiert Gartenbau. Ich bin Erzieherin, Gabi arbeitet im Feministischen Frauen Gesundheits Zentrum, Uli ist Kraftfahrzeuglehrling, Ramona Verkäuferin, Sabine Dekorateurin und Marianne (sie fährt eine 350 Honda) Arbeiterin.
Bisher fahren wir keine Rennen, die Möglichkeiten sind in Berlin begrenzt. Wir würden gerne mal ins Gelände gehen, aber auch das ist hier fast unmöglich. Unser Ziel ist, so geschickt wie möglich auf der Maschine zu werden.
Einige von uns waren im Juli auf dein Treffen der Women's International Motorcycle Association (WIMA) in Wales. Über 60 Frauen aus vielen Ländern nahmen daran teil - doppelt so viele wie im vorigen Jahr in Südfrankreich. Das Treffen fand vor 27 Jahren zum erstenmal in den USA statt, wo es die Organisation heute nicht mehr gibt. Frauen aus den Ostblockländern konnten leider nicht dabei sein, aber im nächsten Jahr werden wir uns in der Tschechoslowakei treffen.
In England veranstalteten wir eine Hindernisfahrt (der Parcourt war auf einer Wiese aufgebaut), einen Geschwindigkeitswettbewerb, eine Straßenrallye und eine Geländeprüfung, bei der man auf der Maschine stehend durch Wasser und dann wieder Hänge hinauf fährt. Am Ende fand ein Stechen unter den Besten statt. Aber wir haben das nicht tierisch ernst genommen, es ging uns nicht um Preise und Gewinnerinnen. Wichtig ist vielmehr die Verbundenheit der Frauen untereinander, Freundschaften, die über Grenzen hinweg geschlossen werden, und die gemeinsame Begeisterung für das Motorrad. Es waren auch einige Männer dabei, Freunde und Männer der Frauen. Sie störten mich nicht und leisteten gute Dienste, indem sie Ghymkana (Hindernisse) aufbauten, die Zeit stoppten, Kaffee machten etc.
Für die Zukunft planen wir, mehr Frauen zu finden, die aktiv mitmachen. Wir wollen unser Wissen über Schrauben und Fahren weitergeben und auch Aufklärung für andere Verkehrsteilnehmer betreiben. Wir wollen auch unsere Kontakte zu anderen Motorradclubs, einschließlich der gemischten, aufrechterhalten.
Was ist das Besondere am Motorradsport? Motorradfahren ist eine Mischung aus der Notwendigkeit, sich fortzubewegen, und der Leidenschaft für diesen Sport. Die Umwelt ist dir näher, wenn du auf einem Motorrad fährst, als wenn du im Auto sitzt. Du kommst auf ganz andere Gedanken, und du gewinnst eine Art Ausgeglichenheit. Um zu schrauben, brauchst du Seelenfrieden. Wenn ich Probleme habe, setze ich mich aufs Motorrad und fahre los. Mein Gehirn wird durchgeblasen, mir fallen Lösungen ein. Ich bin im Freien, und ich komme ins Reine mit mir.
Hinzu kommt natürlich das Moment der Geschwindigkeit und das Gefühl der Gefahr. Es gibt immer wieder Momente, in denen man sieht, wie sehr man in Gefahr gebracht werden kann. Seit ich Motorrad fahre, gehe ich auch anders mit dem Auto um: das Leben wird einem bewußter.
Beate Eberstein (Kontaktadresse: Haberechtstraße 14 - Berlin Tempelhof)
Frauen lernen Selbstverteidigung
In Berlin gibt es seit bald drei Jahren einen Verein »Selbstverteidigung für Frauen«. Schon 1975 gab es eine Schwarzgurtträgerin, Marta, die neunzig Frauen in Karate und Jiu Jitsu unterrichtete. Immer mehr Frauen zeigten sich interessiert, und so brauchten sie bald eigene Räume und weitere Trainerinnen und gründeten deshalb den Verein, den ersten KarateFrauen-Verein in Europa. Inzwischen hat der Verein über 400 Mitgliederinnen und zehn Trainerinnen für Karate, Aikido, Jiu Jitsu und andere Kampfsportarten. Auch ohne Werbung sind die Wartelisten von Frauen, die mitmachen wollen, immer voll. Kontaktadresse: Selbstverteidigung für Frauen e. V., 1 Berlin 62, Hauptstraße 9, 3. Hinterhof, 3. Stock.
Marta schreibt ein Lehrbuch über Selbstverteidigung speziell für Frauen, in dem sie auch ihre langjährigen Erfahrungen als Trainerin verwertet.
Motivation einer Frau aus dem Verein
Ich wollte schon immer einen Sport betreiben, bei dem ich meine Körperkräfte verausgaben und wo ich regelmäßig hingehen kann. Denn ich fühlte mich in meiner Haut nicht wohl. Nichts hatte bisher geklappt. Sonntag Trimm-Dich, dann Volley-Ball, aber bis ein gemeinsamer Terinin gefunden war, bis man alle beisammen hatte, verging viel Zeit, und dann klappte es doch nur zwei, drei Mal, dann wieder nicht. Leistungssport wollte ich nicht, und beim Trimm-Dich fühlten wir uns auch immer etwas lächerlich. Deshalb war ich sehr froh, als ich hörte, es gäbe eine Karate-Gruppe für Frauen. Ich hatte das Gefühl, dort das Angenehme mit dem nützlichen verbinden zu können, d.h. intensiver Sport mit dem Resultat, mich verteidigen zu können.
Ich hatte schon vor einigen Jahren einmal daran gedacht, in eine Karateschule zu gehen. Ich ließ es dann aber, weil es da keine Gruppe für »ältere Frauen« gab. Damals war ich nämlich schon 28 Jahre, und ohne Frauenbewegung erschien mir das bereits ein hohes Alter. Fünf Jahre später fing ich dann in der Frauengruppe mit Karate an, das Alter spielte beim Training keine Rolle mehr. ...
Spaß« macht das Training immer dann, wenn du dabei verwirklichen kannst, was dir am wichtigsten ist. Wenn du in erster Linie mit Frauen zusammen sein willst und etwas Körperbewegung brauchst, dann hast du Spaß, wenn es locker zugeht, wenn du zwischendrin deine Freundinnen begrüßt, erzählst, was du erlebt hast, wenn sicher ist, daß ihr nachher noch in die Kneipe geht. Willst du ein anderes Verhältnis zu deinem Körper bekommen, hast du das viele Reden satt, so wird dir jedes gesprochene Wort unter den Frauen auf die Nerven gehen. Spaß wird dir die absolute Ruhe, Disziplin und Konzentration machen. Willst du dich unbedingt gegen Angreifer verteidigen können, so wird es dir Spaß machen, ein und dieselbe Übung immer zu wiederholen, und du wirst erst dann aufhören wollen, wenn du merkst; daß du sie schon ganz mechanisch beherrschst. Willst du Meisterin werden, an Wettkämpfen teilnehmen und vielleicht selbst mal Frauen ausbilden wollen, interessieren dich auch all die Regeln, Prüfungen, Wettkämpfe, Begriffe und so weiter. ...
Viele Frauen schrecken vor Karate zurück, weil sie die Meinung vertreten, es sei schon ausreichend, wenn Männer aggressiv und brutal sind, wir Frauen hätten das nicht nötig. Davon abgesehen, daß die in Filmen verbreiteten Bilder über Karate wenig mit dem Sport selbst zu tun haben, läßt uns das Verhalten der Männer auch keine freie Wahl. Wollen wir frei und selbständig sein, müssen wir - um uns gegen Angriffe zu verteidigen - gegen den Angreifer ebenso aggressiv vorgehen wie er gegen uns. Brutal empfinde ich inzwischen nicht mehr die Frau, die übt, sich effektiv verteidigen zu können, sondern diejenige, die die Unverletztheit ihres Angreifers für wichtiger hält als die eigene. Indem sie aggressives Verhalten bei Frauen ablehnt, ist sie brutal gegen Frauen und gegen sich selbst, erhält den Männern die Sanftheit von uns Frauen, von der sie selbst profitieren, mit der sie uns unterdrücken, die sie von uns fordern, ohne selbst daran zu denken, sie ebenfalls zu praktizieren.
Cosima