Frau Tamara Kaurov erzählte mir die Geschichte ihrer Scheidung. Für mich war es eine Variation über dieses unerschöpfliche Thema.
Berlin 1937. Tamara Kaurov lebt zu dieser Zeit in Berlin. Sie war vor 10 Jahren aus ihrer östlichen Heimat nach Deutschland gekommen. Sie kam, um zu lernen und um in ordentlichen Verhältnissen zu leben. Sie lernt in diesen Jahren Deutsch, absolviert zum Schluß eine Modeschule, wobei sich ihre besondere Begabung für freien Entwurf zeigt. Dann arbeitet sie in einem führenden Modesalon in Berlin als selbständige Entwurfskraft. Die Frau kann ihre Begabung und Phantasie gut beweisen. Bei einem Wettbewerb der Stadt Berlin für einige Modesalons gewinnt der Salon E. den ersten Preis für seine originellste und schönste Kollektion. Der erste Preis ist eine Reise nach Paris mit Besuch aller damals führenden Modehäuser wie Molineux, Patou, Schiaparelli, Lanvin usw. Das ist ein erfolgreicher Start für die Frau. Sie liebt ihre Arbeit, ist unabhängig, die Welt erscheint ihr unkompliziert und voll von Erfolg. Die Frau hat einen kleinen Freundeskreis, Menschen aus der Modebranche, durchweg älter, durchweg erfolgreich. Sie verehrt diese Freunde und lernt viel von ihnen.
Der Mann ist ein junger, genialer Maler. Er ist 23 Jahre alt, ein Jahr älter als die Frau. Er liebt sein unabhängiges Leben, hat viele Interessen, liebt Bücher, Musik - Jazz genauso wie Klassik. Er besucht Ausstellungen und Museen, um daraus für seine Kunst zu lernen. Die Weiblichkeit ist dem Maler sehr zugetan, und jede flüchtige Begegnung ist ihm recht. Auf einem der berühmten Berliner Faschingsfeste begegnen der Mann und die Frau einander zum ersten Mal. Sie treffen sich täglich, verlieben sich ineinander, sind unzertrennlich. Sie machen lange Spaziergänge durch die Straßen, sitzen in Kneipen und Cafes. Bei diesen langen Spaziergängen erzählt der Mann viel über sich, über seine Kindheit, über seinen Vater. Er will nie so werden wie sein Vater. Der Mann sagt, daß seine Kinder, wenn er welche hätte, nie das erleben sollen, was er erlebt hat. Er würde seine Kinder nie in ein Internat geben. Er sei in einem gewesen und habe Schreckliches erlebt. Und der Mann sagt, nie würde er seine Kinder verlassen und nie würde er Kinder schlagen. Er erzählt, daß er nie habe lernen dürfen, wozu er begabt sei. Dafür war kein Geld da, für die brotlose Kunst. Er müsse jede kleinste Arbeit annehmen, um Geld zu verdienen. Der Mann spricht sehr viel über Politik, er hat einen angeborenen Instinkt für das Geschehen und die Gefahr. Für die Frau ist er schön, klug, begabt und fasziniert sie durch das, was ihr als Kraft und Überlegenheit erscheint.
Der Mann und die Frau unternehmen viele Ausflüge - an den Wannsee mit einem Faltboot, mit einem Grammophon. Der Klang der Schellackplatte »Begin the Beguine«, von leichter Brise über das Wasser getragen, den Mann ganz nah vor sich, die Frau ist wunschlos glücklich. Sie fahren an die Krumme Lanke, gehen zum Fünfuhrtee ins Delphi, wo Teddy Stauffer spielt. Sie besuchen die Freunde des Mannes. Sie gehen jeden Sonntag zur Matinee in die Philharmonie, Furtwängler dirigiert.
Der Mann hat viele Bücher, die die Frau noch nicht kennt. Stendhal, Flaubert, Stefan Zweig, Feuchtwanger. Jazzmusik und Klassik wechseln sich den ganzen Tag über ab. Für die Frau ist das alles noch nie Erlebtes in dieser konzentrierten Form. Die Frau vergißt völlig ihre Freunde, die der Mann sowieso ablehnt. Die Frau sieht, hört, lebt nur für den Mann. Auch ihre so geliebte Arbeit wird zur Nebensache. Der Mann spricht sehr viel über Politik, von der die Frau keine Ahnung hat. Sie glaubt, wenn man zusammen ist, sind Politik und alle anderen Gefahren nicht erschreckend. Ein unvorhergesehenes Ereignis verändert den seelischen Rhythmus. Die Frau erwartet ein Kind. Der Mann nimmt diese Tatsache entgegen mit freundlichen, beruhigenden Worten und Augen. Der Mann wird ein zärtlicher, sein Kind erwartender Vater. Er wird fleißig, nimmt Aufträge an, verkauft Bilder. Die Frau kündigt zu aller Erstaunen im Modesalon, verzichtet damit auf ihr Einkommen, auf ihre Selbständigkeit, zieht zu dem Mann. Sie erwartet ein Kind und ist nicht verheiratet - heute wird das alles anders beurteilt. Damals aber hat das Ganze den Hauch des Unmoralischen.
In der Eckkneipe am Rankeplatz hören der Mann und die Frau im Lautsprecher Extranachrichten: Es gibt Krieg. Der Mann hat Tränen in den Augen, die Frau tröstet ihn. Sie sagt, wenn wir zusammen sind, ist das halb so schlimm.
Geburt eines Sohnes, das Leben zu dritt. Der Mann trägt liebevoll seinen Sohn in den Armen hin und her und lächelt das vollbrachte Wunder an. Erste Wohnung. Der Mann streicht selbst die Wände.
Berlin hat sich verändert. Es ist grau, es ist Verdunkelung. Nachts Fliegeralarm, in den Keller gehen, nach der Entwarnung sich freuen, daß keinem etwas geschehen ist. Der Mann arbeitet nachts, die Frau bereitet das Essen, kocht Kaffee. Musik spielt und das Baby schläft.
1940 Heirat im kleinsten Freundeskreis. Die Frau heißt jetzt Tamara Schulz. Eine junge, naive Familie in einer unfreundlichen, zerstörerischen Welt. Der Mann hat große, natürliche Angst vorm Eingezogenwerden. Macht Pläne und denkt an alle Möglichkeiten, die passieren könnten. Und was man alles unternehmen könnte, wenn es ernst wird. Der Mann ist sehr liebevoll und anhänglich in dieser Zeit. Geburt des zweiten Sohnes. Zweite größere Wohnung mit einem Kinderzimmer und einem Atelier für den Mann. Einberufung zum Wehrdienst. Graue, schlecht sitzende Uniform. Leben in der Kaserne. Angst, daß man auffällt, die Uniform nicht vorschriftsmäßig geknöpft zu haben. Oder, wenn man seinen Vorgesetzten nicht richtig gegrüßt hat. Angst, durch einen dummen Grund an die Front versetzt zu werden. Alle Beziehungen werden ausgeschöpft, um dies zu vermeiden. Die Frau erledigt alles für ihn. Immer wieder muß sie ihn trösten, beruhigen, weil er solche Angst hat. Über allem ist die Angst, wie ein großes Netz. Unmittelbare Gefahr für die kleine Familie.
Alarm, Sirenen, Entwarnung, Flugzeuggeräusche, Pfeifen der Bomben, krachende Volltreffer, Lautsprecher mit den Verkündigungen von Sieg und vom Tod. Penetrantes, lautes, verlogenes Pathos und immer Marschmusik. Das ist die Geräuschkulisse, in der man lebt. Nachts Abhören vom Londonsender unter Lebensgefahr.
Die Frau lebt mit den beiden kleinen Söhnen. Sie ist um alles besorgt und ruhig. Kurze Urlaube des Mannes, des Vaters. Die Uniform wird sofort ausgezogen, versteckt. Privates kurzes intensives Leben.
Der Mann erhält den Marschbefehl zur Propagandatruppe in die Tschechoslowakei. Die erste Zeit für ihn ist schwer - weg von seinem individuellen Leben. Gefreiter Schulz muß alle Schliche lernen, um sich das neue Leben erträglich zu machen. Er schreibt zärtliche Briefe nach Hause, hat immer viele Wünsche und Bestellungen. Er schickt, was er bekommen kann an Lebensmitteln, vor allem Zigaretten zum Tausch. Das Leben allein und die Verantwortung für die beiden kleinen Knaben ist für die Frau nicht einfach. Wegen unaufhörlicher Bombardements müssen alle Frauen mit Kindern sofort Berlin verlassen. Durch Freunde ergibt sich eine Möglichkeit, nach Meersburg am Bodensee zu gehen. Die Frau packt das Nötigste, und das ist viel. Zusammenklappbares Kinderbett, dazwischen Bettdecken, Töpfe, Nachttöpfe, Breipakete, Koffer mit Zeug. Alles muß griffbereit sein. Und die beiden Knaben, einer drei, der andere vier Jahre. So fahren sie los. Meers bürg, da, wo sie nun wohnen, ist wie ein großer Obstgarten, voller Fallobst. Die Frau richtet ihr Leben ein. Die Menschen sind von einmaliger Freundlichkeit, sie sind glücklich, die beiden Knaben dort springen zu sehen. Ein Telegramm: Die Wohnung in Berlin total ausgebrannt. Der Mann hat drei Tage Heimaturlaub. Die Frau findet jemanden, der die Kinder nimmt, und fährt nach Berlin. Bei Ulm Luftangriff, alle steigen aus dem Zug. Völlige Dunkelheit. Die Menschen schlagen an verschlossene Türen. Die Luft zittert von Flugzeugen und Flak. Bomben fallen. Die Frau hat panische Angst.
Anhalter Bahnhof in Berlin. Eine Masse von Menschen schiebt sich über Trümmerwege. Nichts ist zu erkennen. Stunden bis zu ihrem Haus. Die Frau steht vor einer Art Treppenrest, steigt hoch bis zu ihrer Wohnung. Die Bilder, der Flügel, die Bücher - alles unter Mörtel und Schutt. Verrußte Balken und Schnee. Im Hintergrund klingelt das Telefon. Bei Freunden trifft sie den Mann. Freude, Scherzen und Lachen, weil man lebt und sich wiedersieht. Der Mann sieht schön aus, wie in der glücklichen Zeit mit der Frau. In diesem Chaos, Zusammenbruch und Sterben erlebt der Mann eine neue große Liebe. Die Frau kann sich nicht mit ihm freuen. Sie fragt sich selbst, warum man so wenig großzügig ist. Es ist Krieg. Jeder kann jede Minute sterben, warum soll sich ein Mensch nicht verlieben und alles leichter erleben. Die Frau kann sich nicht mit ihm freuen, er kann sie nicht beruhigen.
Wieder zurück in Meersburg, warten auf das Ende, warten auf den Mann. Eines Nachts der vertraute Pfiff. Der Mann steht vom Mond beschienen im Garten. Da ist er. Er kam zurück.
Eine Zeit voll innerer Spannungen, keine Zeit für richtige Ruhe. Dann kommen sie, die Tanks. Man kann sie vom Haus anrollen sehen. Alle Hausbewohner laufen eilig in den großen Weinkeller. Dort wartet man im Halbdunkel. Nach Stunden geht die Tür auf. Die Befreier, die Sieger kommen herein. Belustigt schauen sie auf die Menge. Ein Franzose und ein Farbiger. Meersburg wird von Franzosen besetzt. Der große Krieg ist für Meersburg vorbei. Man hat überlebt, man ist zusammen.
Und was kommt nun? Man weiß nicht, wo soll man sein Leben wieder anfangen, das Richtige wählen. Soll es München, Hamburg oder Berlin sein? Immer wieder sagte die Frau, wir haben überlebt ohne sichtbaren Schaden. Ein Freund kommt nach Meersburg, überredet den Mann, nach Hamburg zu gehen. Der Mann und der Freund fahren zuerst, um alles vorzubereiten. Das ist nicht gut, denkt die Frau, daß sie nicht mitfahren kann.
Endlich kommt der erwartete Wagen, um die Frau und die Knaben abzuholen. Der Mann kommt nicht mit, das versteht die Frau nicht. »Abgesehen von Eurer Habe«, stand in dem Brief von dem Mann, »bringt alles an Lebensmitteln mit, was Ihr könnt.« Die Frau nimmt, was der kleine Anhänger tragen kann. 1 Sack Mohrüben, 1 Sack Kartoffeln, einige Kisten Äpfel und Mehl. Der Fahrer hat in seinem Benzinkanister Schnaps mitgenommen. Das fällt bei der Kontrolle unterwegs unangenehm auf. Eine unerfreuliche Fahrt. Mit Pausen bei irgendwelchen bleichen, grauen Menschen in dunklen Häusern, wo etwas getauscht und gekauft wird. Hamburg, englische Besatzung. Provisorische Behausung, aber auch alles kaputt. Fenster vernagelt, Toilette kaputt, und so ist auch die Stimmung. Die Frau findet eine hübsche Wohnung. Aber es fehlt an allem: Möbel, Gemütlichkeit. Der Krieg ist vorbei, aber der Kampf geht weiter. Eine neue Art des Überlebens beginnt. Wer war Nazi, wer nicht. Wer hat schwarz gekauft. Aber man muß schwarz kaufen. Man tauscht alles, was man zum Tauschen hat. Oder wenn man englische Freunde hat. Der Mann tauscht Graphiken, Zeichnungen gegen Zigaretten und Lebensmittel. In den englischen Clubs brodelt das Leben. Der Mann hat einen Engländer kennengelernt, der ist verrückt auf seine Bilder und auf ihn. Ein Füllhorn von Whiskys und Steaks, von Bakenbeans, Weißbrot, Kaffee und Zigaretten schüttet seinen Segen über den Mann und seine Familie. Parties, Parties, jeder ist glücklich, wenn er dabeisein kann. Diese blassen, ausgemergelten deutschen Gestalten feiern mit den satten Siegern.
Der Mann sagt, er habe keine Lust, noch einmal aufzubauen im langsamen Tempo. Er wolle leben, Karriere machen, und das schnell.
Auf einer Ausstellung begegnet der Mann einer Zeitungsverlegerin, Frau Magda Breit. Sie will für ihn eine Ausstellung organisieren, Kataloge drucken lassen. Sie schlägt ihm einige Pläne vor, wie er schneller vorwärtskommen kann. Der Mann ist begeistert.
Ein neuer Lebensabschnitt beginnt: Karriere und schnelles Vorwärtskommen. Frau Breit hält, was sie verspricht. Beide sind viel unterwegs, Besprechungen über Ausstellungen und viele Pläne. Der Mann muß viel malen, Frau Breit will ihm ein repräsentatives Atelier einrichten.
Der Mann gehört plötzlich zur sogenannten Prominenz. Alles geschieht ohne die Frau. Sie ist plötzlich aus dem Leben des Mannes ausgeklammert. Oft liest sie Kritiken von Bilder-Ausstellungen, leider mit nur mäßigem Erfolg. Sie liest auch kleine Zeitungsberichte: Ehepaar Schulz-Breit hat eine Ausstellung in der Schweiz besucht oder Frau Schulz-Breit hat ein Restaurant eingeweiht zur Geburtstagsfeier des Mannes. Schuld an diesen Berichten sind natürlich die Journalisten, als die Frau den Mann fragt.
Zu Hause entwickelt sich der Mann zum Tyrannen. Die Wohnung, zu spießig, die Straße zu laut, die Kinder nicht erzogen, die Frau zu stark geschminkt. Die Frau ist diese Nörgeleien nicht gewöhnt und ihnen nicht gewachsen. Aber zeitweise ist er auch voller Liebe und Harmonie, und dann ist das Leben wieder wunderschön. Das dauert immer nur kurze Zeit. Dann geht er wieder, um Karriere zu machen. Ein entnervendes Hin und Her. Einmal kommt der Mann mit Frau Breit zusammen in die Wohnung, und Frau Breit gibt der Frau viele Ratschläge. Wie sie den Künstler behandeln soll, und wie die Kinder erzogen sein müßten. Es folgen weitere Ratschläge mit Fragen, die ins Geschmacklose ausarten. Die Frau fühlt sich in ihren eigenen vier Wänden beleidigt und nicht mehr Herr der Lage. Sie verliert zum ersten Mal die Beherrschung und bittet Frau Breit, die Wohnung zu verlassen. Der Mann sagt, dann gehe er auch, und das tun die beiden dann. Die Frau ruft einen Anwalt an, sie müsse ihn sofort sprechen.
Schon vor längerer Zeit hat die Frau in einem Buch einen Brief von Frau Breit an den Künstler gefunden, aus dem klar zu ersehen ist, wie die beiden miteinander leben. Sie erzählt dem Anwalt alles, was da vor sich geht. Sie will die Scheidung, wenn der Mann sich nicht besinnt. Die Frau bittet den Anwalt um Anruf am Abend um 8 Uhr. Und wenn der Mann wirklich von ihr weg will, brauche er es dem Anwalt nur zu sagen, dann sei er frei. Um 8 Uhr ist der Mann zu Hause und das Telefon klingelt. Die Frau sagt, der Mann habe die Freiheit, wenn er jetzt dem Anwalt sagt, daß er in die Scheidung einwillige. Die Kinder kämen in ein Internat usw. usw. Denn so wie jetzt könne sie nicht weiterleben. Der Mann bittet die Frau, dem Anwalt zu sagen, daß er keine Scheidung will. Das gehe alles vorbei. Es gibt eine lange Aussprache. Der Mann betont immer wieder, das Ganze sei doch nicht ernstzunehmen, das brauche er nur für seine Karriere. Für die Beziehungen. Für das Vorwärtskommen. Ruhe und Frieden dauern nur kurze Zeit. Der Mann fährt wieder weg mit Versprechungen, daß alles wieder in Ordnung käme. Und das alte entnervende Spiel geht weiter. Es vergeht viel Zeit. Die Frau weiß nicht, wie und wodurch sie eine Änderung erzielen kann.
Und dann macht der Mann sie bekannt mit einem Herrn X. Herr X gefällt der Frau gut. Es werden Reisen gemacht, es werden Freunde von Mann und Frau besucht. Alle sind begeistert von Herrn X.
Die Frau erfährt, daß Herr X alle Freunde angepumpt hat mit größeren und kleineren Beträgen. Herr X erzählt Geschichten vom Verkauf eines Hauses, wobei ihm Tausende verlorengegangen seien. Er erzählt, worüber er sich mit Erich Kästner im Pen-Club unterhielt und wie er mit Werner Egk über ein neues Ballett gesprochen habe, daß Werner Henze auch dabei gewesen sei und daß er der Firma Hoechst einen neuen Stoff für einen Werbefilm vorgeschlagen habe. So geht es pausenlos, grotesk, unglaubwürdig. Herr X sagt, daß er verheiratet sei, am nächsten Tag sagt er, daß er sich scheiden ließe. Eines Tages erzählt er, nun habe es geklappt, er habe einen Vertrag mit dem Augstein-Verlag als Korrespondent in China abgeschlossen. Herr X bittet die Frau, ihn zu heiraten. Die Frau müsse sich natürlich erst von Schulz scheiden lassen. Herr X soll ja sofort mit der Arbeit beginnen, und man könne dort nur verheiratet leben.
Die Frau bittet den Mann (Schulz), den Vertrag zu prüfen. Er blättert die Seiten um und hat dabei diese bestimmten Augen, die die Frau an ihm kennt. Etwas unernst, so, als ob er sich das Lachen verkneift. »Ja«, sagt er, »der ist in Ordnung.« Sie denkt, wenn der Mann sagt, daß der Vertrag richtig ist, dann wird es schon stimmen.
Schulz sagt zu der Frau, er habe einen Freund, der sei Anwalt, und der würde die Scheidung schnell erledigen und ihrer beider Interessen wahrnehmen. Warum solle man zwei Anwälte beschäftigen. Im gegenseitigen Einvernehmen. Die Frau will vieles fragen, sie ist aber nicht dazu imstande, und man läßt sie auch nicht zu Wort kommen. »Das kannst du alles dem Anwalt erzählen, der weiß es besser als ich.« Der befreundete Anwalt hat es sehr eilig. Er stellt fest: Auseinandergelebt, beide einverstanden. Wann war der letzte eheliche Verkehr? Die Frau kann vieles nicht verstehen. Da es ein befreundeter Anwalt ist und beider Interessen wahren wird, wird er es schon richtig machen. Pro Kind 250,- Mark und sie auf Vertrauensbasis. Die Frau widerspricht und bittet den Anwalt um andere Bedingungen.
Dann bittet sie ihn, beim Augstein-Verlag zu prüfen, ob der Vertrag des Herrn X in Ordnung sei. Der befreundete Anwalt sagt, das könne er leider nicht tun. Die Frau sagt, daß sie in die Scheidung einwillige, wenn der Vertrag stimmt. »Aber er stimmt doch!« sagt der befreundete Anwalt. So einem befreundeten Anwalt glaubt man doch. Zu Hause werden nun Überseekisten gepackt. Das gemietete Haus ist bereits gekündigt. Der Mann kommt, ist sehr ungehalten, ist empört. Er würde die Frau nie im Stich lassen. Er kann alles nur auf Vertrauensbasis machen. Sie müsse ihm vertrauen. Sie müsse ihn doch gut genug kennen. Er werde immer da sein, wenn die Frau ihn braucht. Er hasse Gerichte und hasse es, durch ein Gericht festgelegt zu sein. Das wisse doch die Frau.
Gerichtstermin. Das Ganze geht sehr schnell vorüber. Der befreundete Anwalt regelt alles. Frau Tamara Schulz ist nun eine geschiedene Frau. Pro Kind bekommt sie 250,- Mark. Sie bekommt das Vertrauen. Und das Recht, die Kinder zu erziehen. Sie muß ein Papier unterschreiben, daß sie in Zukunft keine Geldansprüche an den Mann stellen wird. Und sie unterschreibt.
Zu Hause - die Kisten sind alle gepackt - sagt Herr X, daß kein Vertrag mit dem Verlag existiere und daß auch nie ein solcher bestanden hat.