Vom Klavier zur Schreibmaschine

Weiblicher Arbeitsmarkt und Rollenzuweisungen am Beispiel der
weiblichen Angestellten in der Weimarer Republik

I.

Als der Junggeselle Immanuel Kant in seiner Königsberger Studierstube 1798 über den »Charakter des Geschlechts« räsonnierte und dabei vornehmlich den weiblichen Teil als die kunstvollere »Maschine« im Auge hatte,[1] lag seinen pragmatischen Ausführungen noch keine dogmatische Absicht zugrunde. Erst nachfolgende Dichter und Denker machten sich voll Eifer daran, das Typisch-Weibliche zum Ewig-Weiblichen zu stilisieren und in einen unverrückbaren Gegensatz zum männlichen »Geschlechtscharakter« zu stellen.[2] In Konversationslexika und Hauskalendern, philosophisch-ästhetischen Abhandlungen und literarischen Werken wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein ideal-typisches Bild der Frau entworfen, das bis in die heutige Zeit hinein verbindliche Geltung beansprucht.
Die dem innersten Wesen der Frau entsprechende Wirkungsstätte war das Haus, in dem sie die für die Reproduktion der Familie notwendigen Arbeiten verrichtete (oder verrichten ließ), ihrem von den Pflichten des »öffentlichen« Lebens hart bedrängten Ehemann eine hingebungsvolle Gattin und den Kindern eine treusorgende Mutter war. Während der Mann außer Haus ging, um seine Fähigkeiten gegen Geld zu tauschen, schuf die Frau im Binnenraum der nunmehr eng umgrenzten Familie jene Behaglichkeit und Intimität, die das Private als »Bereich der reinen Menschlichkeit«[3] erscheinen ließ. Im Unterschied zur traditionalen Familienwirtschaft, in der Mann und Frau in gemeinsamer Arbeit alle zur Ökonomie des ganzen Hauses gehörenden Aufgaben bewältigten, sollte die Frau in der sich entwickelnden bürgerlichen Gesellschaft nicht mehr »arbeiten«, sondern lediglich »liebend gestalten«; Hausarbeit wurde als Liebesdienst idyllisiert.[4] So wie der Bereich des bürgerlichen Heims ganz Privatsphäre war, den Augen der Öffentlichkeit möglichst vollständig entzogen, verschwand auch die (Haus-)Arbeit der Frau aus dem öffentlichen Blick und Interesse. In der Abgeschiedenheit ihrer vier Wände kultivierte die Frau jene Eigenschaften und Fähigkeiten, die fortan als »echt weibliche« in den Bildungs- und Erziehungskanon des jungen Mädchens eingingen: Passivität, Bescheidenheit, Fleiß, Güte, Anpassung, Emotionalität, Rezeptivität, Tugendhaftigkeit.[5] Zu einer Zeit, als die Erziehung der Töchter noch ausschließlich im Hause stattfand und weitgehend darin bestand, das Verhalten der Mutter nachzuahmen, war die Weitergabe dieser Qualitäten kein Problem. Selbst die Forderung der frühen Frauenbewegung nach einer formalisierteren Mädchenbildung setzte sich nicht in Widerspruch zu den bislang anerkannten Erziehungszielen, waren doch die bürgerlichen Frauenrechtlerinnen in der gleichen Vorstellungswelt befangen wie ihre gesellschaftliche Umgebung. So stand 1852 in der von Louise Otto redigierten »Frauen-Zeitung« über des Weibes Beruf zu lesen:

»Dienen muß das Weib seinem ganzen Hause, in welchem es schaltet und waltet und unaufhörlich bereitet und schafft. Keine Arbeit darf ihm zu schwer und keine zu gering sein. Das Buch in der Hand und belehrend, wie die Nadel einzig führend, muß es allen Hausbewohnern eine freundliche Erscheinung sein.«[6]

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Auch die bestehenden Mädchenschulen (»höhere Töchterschulen«), die vielfach auf private Initiative hin gegründet worden waren,[7] fühlten sich den Erziehungszielen »Häuslichkeit« und »Mütterlichkeit« uneingeschränkt verpflichtet.
Natürlich konnte dieses ideale Frauenbild nur für einen äußerst kleinen Bevölkerungsteil Realität werden; am reinsten verwirklichte es sich in Beamtenhaushalten, in denen die Grundbedingungen der Familienwirtschaft: Erwerbsgemeinschaft von Mann und Frau, untrennbare Einheit von »Betrieb und Haushalt«,[8] vollständig aufgehoben waren. Die ländliche Bevölkerung lebte weiterhin in der (wie auch immer modifizierten) »Sozialform des ganzen Hauses«, ebenso die große Masse der hausindustriellen Produzenten in der Phase der sogenannten Proto-Industrialisierung. Ihre Wirtschaftsform war durch die »funktionale und organisatorische Einheit von Produktion, generativer Reproduktion und Konsum«[9] gekennzeichnet und beruhte auf der gemeinsamen, keiner geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung gehorchenden Arbeitsleistung der ganzen Familie. Auch die Haushalte der selbständigen Handwerker und kleinen Gewerbetreibenden in den Städten konnten es sich nicht leisten, ihre Frauen für den schöngeistigen Müßiggang freizustellen, von den Familien der lohnabhängigen Arbeiter ganz zu schweigen. Gerade angesichts dieser offensichtlichen Diskrepanz zwischen Frauennorm und Frauenwirklichkeit überrascht der durchschlagende und bis heute anhaltende Erfolg dieses Entwurfs idealer Weiblichkeit. Der Siegeszug der »schönen Seele«, die Festschreibung der Frau auf ihren »Geschlechtscharakter« als Hausfrau und Mutter unter Strafe öffentlicher Verachtung und Schmähung als »emancipirtes Weib« eroberte früher oder später jedes soziale Milieu in einer vereinten Kraftanstrengung der Sozialisationsagenturen Familie, Schule und Öffentlichkeit«.
Im folgenden soll nun die verblüffend korrekte Übertragung einer so konstruierten weiblichen Rollenzuweisung vom Familienbereich auf den außerhäuslichen Arbeitsmarkt und ihre dortige integrative Verwendung nachgezeichnet werden. Das Beispiel jener Frauen, die während der Weimarer Republik als Angestellte arbeiteten, zeigt sehr genau, wie das wechselseitige Ineinandergreifen sozialisationsbedingten Rollenverhaltens und arbeitsmarktpolitisch-ökonomischer Imperative in Kürze ein klar umrissenes geschlechtsspezifisches Berufsfeld der weiblichen Angestellten entstehen ließ, welches wiederum stabilisierend auf die Rollenorientierungen der arbeitenden Frauen zurückwirkte.[10]

II.

Mit der krisenhaften Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage großer Teile des (mittleren und kleinen) Bürgertums vor allem im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ergab sich die zwingende Notwendigkeit, die ideologischen Platzanweisungen zu verlassen und die starre Polarisierung Haus-Frau und Welt-Mann zumindest partiell aufzuheben, d. h. solchen bedürftigen Frauen, die auf dem Heiratsmarkt leer ausgegangen waren, den außerhäuslichen Arbeitsmarkt zu öffnen. Allerdings erstreckte sich die aus der Not geborene Konzessionsbereitschaft nur auf solche Verdienstquellen, die dem weiblichen Rollenbild genuin entgegenkamen. Hier boten sich vor allem erzieherische und pflegerische Berufe an; die Zulassung von Frauen zum Medizinstudium konnte - gegen den massiven Widerstand der männlichen Standesvertreter - erst 1901 bzw. 1908 erstritten werden. Daneben gab es für die Frauen und Töchter der kleinen Beamten, Kaufleute und Gewerbetreibenden nur noch die heimliche Näharbeit, mit der das immer karger werdende Familienbudget etwas aufgebessert werden konnte.[11] Der Weg in die Fabrik, den hunderttausende Arbeiterfrauen vor ihnen beschritten hatten, war für das (Klein-) Bürgertum undenkbar, galt ihm doch die Fabrik als Brutstätte des Lasters und Sittenverfalls. Seit den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts entwickelte sich zwischen dem nur beschränkt aufnahmefähigen sowie langwierigere und kostenintensive Qualifikationsprozesse erfordernden Berufsfeld der Lehrerin und Erzieherin und der als unweiblich verpönten Industriearbeit ein dritter Bereich bürgerlicher Frauenerwerbstätigkeit, der sich dem überlieferten Weiblichkeitsschema zunächst nicht nahtlos einpaßte. Schon 1847 hatte die Vorkämpferin bürgerlicher Frauenemanzipation Louise Otto den kaufmännischen Beruf als geeignete Verdienstquelle für die unverheiratete Frau entdeckt, der ihr - abgesehen von der Lehrtätigkeit - den Standesbedürfnissen der Bürgertöchter am ehesten zu entsprechen schien.[12]
Doch erst dreißig Jahre später gelang den Frauen ein nennenswerter Einbruch in den kaufmännischen Arbeitsmarkt, wurde aus der vereinzelten Ladnerin eine Massenerscheinung. Die weitreichenden Strukturwandlungen in Handel und Industrie seit den 1870er Jahren - Massenkonsum, Unternehmenskonzentration, Anwendung neuer Produktions- und Managementtechniken, die Ausdehnung des tertiären Sektors - schufen einen vermehrten Bedarf an kaufmännisch vorgebildeten Arbeitskräften. War es zuvor oft nur persönlicher Fürsprache zu danken gewesen, daß Prinzipale zur Einstellung weiblicher Verkäufer und Bürogehilfen bewegt werden konnten, griff man im Zuge des Angestelltenbooms gern auf Frauen zurück, die sich mit weit niedrigeren Gehaltssätzen zufrieden gaben als ihre männlichen Kollegen. Für die meisten von ihnen war das Gehalt nur ein Zuverdienst zum bürgerlichen Familieneinkommen; existenzsichernde Funktion besaß es lediglich für jene unverheiratet gebliebenen Frauen, die im finanzschwachen elterlichen Haushalt nicht mehr »mitgefüttert« werden konnten und sich auf eigene Füße stellen mußten.
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Daß sich dieser Einzug der Frauen in Läden und Kontorsäle nicht ganz harmonisch vollzog, sondern im Gegenteil von heftigem Widerstand der männlichen Angestellten gegen die weibliche »Schmutzkonkurrenz« begleitet war, belegen die überlieferten Erfahrungsberichte. So erzählte z. B. eine Angestellte über ihre erste Stellung in einer Großbrauerei um die Jahrhundertwende:

»Zwei junge Männer schimpften fortwährend auf die in Bureaus tätigen jungen Mädchen und erklärten uns Tag für Tag, es sei besser, zu Hause zu bleiben und Strümpfe zu stricken. Sie erschwerten uns die Arbeit, wo sie nur konnten.«[13]

Auch die Berufsorganisationen der kaufmännischen Angestellten liefen Sturm gegen die Frauenarbeit in den eigenen Reihen, die als »eine schwere soziale und sittliche Gefahr für unser gesamtes Volksleben«[14] betrachtet wurde. Mit dem Verweis auf den natürlichen Beruf der Frau als Hausfrau und Mutter forderten die Verbände das Verbot der Frauenarbeit und die Rückführung der Frauen in die Familien.[15] Inmitten dieser von Konkurrenzangst und patriarchalischem Reststolz hervorgerufenen Polemik wurden allmählich aber auch Stimmen laut, die auf eine andere, »männerfreundliche« Wirkung der Frauenarbeit aufmerksam machten. Seit den 1890er Jahren ging in deutschen Angestelltenkreisen das Gespenst der Proletarisierung um. Die Standardisierung und Zerlegung vieler kaufmännischer Tätigkeitsbereiche hatten die ehemals extrem privilegierten Positionen einer expandierenden »Reservearmee« verhältnismäßig gering qualifizierter Angestellter geöffnet, die durch ihre Massenhaftigkeit die Degradierung der Angestellten zu spezialisierten, austauschbaren, fremdbestimmten Teilarbeitern weiter förderten.[16] An diesem Prozeß der quantitativen Expansion bei gleichzeitiger qualitativer Abwertung der Angestelltenfunktionen waren Frauen stark beteiligt. Sie waren es, die jetzt die einfachsten schematischen Repetierarbeiten wie Kopieren, Registrieren und Ablegen der Briefe, Adressenschreiben, Bedienung des Telephons, Sortieren der Post etc. übernahmen, die sich allmählich zu rein weiblichen Tätigkeitsgebieten ausdifferenzierten. Diejenigen Arbeiten, die fabrikmäßigen, »proletarischen« Verrichtungen am nächsten kamen, wurden »feminisiert«, womit den in höheren Positionen beschäftigten standesbewußten Männern das Schicksal der Proletarisierung (vorerst) erspart blieb.[17] Daß dieser Zusammenhang recht schnell begriffen wurde, zeigt folgende Argumentation des Verbandes Deutscher Handlungsgehilfen von 1907, der seinen Mitgliedern die Frauenarbeit schmackhaft machen wollte:

»Es wird sich sicherlich - von einzelnen Ausnahmen abgesehen, nur die Scheidung fortsetzen, die schon jetzt besteht: daß die schwierigen Stellungen im Kontor und auf der Reise, ja selbst beim Verkauf und überall da, wo es gilt, kaufmännisch zu wirken, auf das Zustandekommen der Geschäfte hinzuwirken, mehr den Männern, die kleineren Verrichtungen im Kontor und das Verkaufen, wo es weiter nichts ist als ein Verabfolgen von Waren, mehr den Frauen zufallen. Aber diese Konkurrenz zu fürchten wäre unmännlich. Jeder männliche Kollege muß freilich seine Kräfte zusammennehmen und dafür sorgen, daß er bei dieser Arbeitsteilung auf die richtige Seite kommt ... Daß viele kleine Arbeiten ausgeschieden und von weiblichen Kräften erledigt werden, während den Männern die höhere Arbeit bleibt, ist doch auch eine Hebung der Männerarbeit.«[18]

Einen zusätzlichen Anstoß erhielt die Feminisierung des Kontors durch die Einführung der Schreibmaschine in den 1890er Jahren. In ihrem Gefolge strömten weibliche Stenotypisten in die Büros, die ihnen von den männlichen Angestellten kampflos überlassen wurden. Jene empfanden es fast ausnahmslos als unter ihrer Würde, sich zu »Maschineschreibern« degradieren zu lassen;[19] Frauen hingegen schien eine spezifische Eignung für die Bedienung der Schreibmaschinentastatur anzuhaften:

»Es wird überraschen, hier einen praktischen Nutzen der zur wahren Landplage gewordenen Ausbildung junger Mädchen im Klavierspiel zu finden (sie!): die hierbei gewonnene Fingerfertigkeit, ist für die Handhabung der Schreibmaschine sehr wertvoll.«[20]

Die berühmte weibliche Geschicklichkeit und Fingerfertigkeit, mit der vielfach heute noch argumentiert wird, wenn es darum geht, die kniffligsten und zugleich monotonsten und schlechtbezahltesten Arbeiten Frauen zu überantworten, ebnete auch damals den anscheinend so bequemen Weg in ein neues, ganz den Frauen überlassenes Berufsfeld. Die Tätigkeit einer Stenotypistin erforderte keine aufwendige Qualifikation: der dreimonatige Besuch einer »Presse«, wie die privaten Handelsschulen, die um die Jahrhundertwende wie Pilze aus dem Boden schössen, treffsicher bezeichnet wurden, reichte vollkommen aus. Doch blieb die Schreibmaschine nicht die einzige technische Neuerung, die die Beschäftigungsmöglichkeiten von Frauen in den Büros vergrößerte. Mit zunehmender Verwendung aller Arten von Hilfsmaschinen (Addier- und Rechenmaschine, Buchungsmaschine, Hollerith-Maschine, Adressier- und Frankiermaschine) seit der Jahrhundertwende machte die »Amerikanisierung« der kaufmännischen Verwaltung rasche Fortschritte. Waren 1907 erst 55 100 weibliche Angestellte in der Industrie beschäftigt, so hatte sich ihre Zahl bis 1916 verdreifacht.[21] Die besonderen Bedingungen des 1. Weltkriegs unterstützten diese Entwicklungstendenz, indem nun verstärkt Frauen als Ersatzarbeitskräfte zu kaufmännischen Tätigkeiten herangezogen werden mußten. Viele Betriebe stellten erstmals weibliche Angestellte ein; die neugegründeten Kriegsgesellschaften schufen - einmal ganz abgesehen von dem Bedarf militärischer Dienststellen an weiblichen Schreibkräften -ein Heer neuer Arbeitsplätze für weibliche Angestellte.[22] Wenn der Krieg auch in einzelnen Fällen eine qualitative Aufwertung der Frauenarbeit bewirkte, indem er beispielsweise eine starke Nachfrage nach Buchhalterinnen weckte, denen zuvor nur selten die verantwortungsvolle Tätigkeit der Buchführung zugestanden worden war, so nahm doch andererseits die Zahl der in kaufmännischen Schnellkursen vorgebildeten Kräfte in rasantem Tempo zu, so daß sich die (Qualifikations-) Struktur der weiblichen Angestelltenschaft nicht wesentlich veränderte. Noch immer wurde die dem Krieg geschuldete Zunahme der Frauenarbeit allseits als ein Provisorium begriffen, und selbst die weiblichen Berufsverbände setzten der zwangsweisen Entlassung der »überzähligen« weiblichen Angestellten nach Kriegsende keinen Widerstand entgegen.[23] Zwar bestand in der Öffentlichkeit weitgehende Einigkeit über die »Bewährung« der Frauen in neugeschaffenen Arbeitspositionen, doch verband man damit keine grundsätzliche Modifikation des traditionellen Rollenbildes, welches die Frau für immer und ewig ans Haus binden wollte. Zugleich waren die typischen Begleitumstände der Frauenarbeit während des Krieges: ihre Überbeanspruchung durch die Aufhebung der Schutzbestimmungen, lange Arbeitszeiten, geringe Entlohnung und unzureichende Qualifikation, nur in wenigen (Not-) Fällen geeignet, bei den Frauen den Wunsch nach einem längeren Verbleib im »Beruf zu wecken.
Nur konnten sich Frauen nicht immer aussuchen, ob sie Geld verdienen wollten oder nicht, und jene bürgerlichen »Damen«, die sich freiwillig fürs Vaterland an die Schreibmaschine setzten und nach all der vergeblichen Anstrengung ebenso freiwillig und frustriert wieder aus den Schreibstuben verschwanden, waren gewiß nicht die Regel. Der Krieg und seine ökonomischen Folgen, vor allem der Geldwertverlust in den Inflationsjahren, hatten nicht wenigen einstmals wohlhabenden Familien das wirtschaftliche Fundament entzogen und sie zu einer Veränderung ihrer gepflegt-bürgerlichen Lebensweise gezwungen. Nun mußten unverheiratete Töchter nach einem Zuverdienst Ausschau halten, den sie zumeist in der seit 1924 immer stärker expandierenden Industriebürokratie fanden.
Im Prozeß der technischen Rationalisierung, der zuerst im unmittelbaren Produktionsbereich ansetzte, übernahmen die Angestellten eine wichtige Trägerrolle; dies führte zu einer enormen Ausdehnung des kaufmännischen Verwaltungsapparats, in welchem sich Kontrolle, Planung, Konstruktion und Organisation der Produktions- und Absatzbedingungen vereinigten. Doch waren die Angestellten gleichzeitig auch Opfer dieser Rationalisierungsbewegung, die vor den kaufmännischen Büros nicht halt machte. Arbeitsfunktionen wurden standardisiert und vereinfacht, die »Aktreihe« ausgebaut und vervollkommnet. Mit der weiteren Einführung von Büromaschinen verschob sich das Verhältnis zwischen weiblichen und männlichen Angestellten erneut zuungunsten der Männer; im Gegensatz zur Vorkriegszeit, als der kaufmännische Arbeitsmarkt noch relativ offen war, scheint es für die Zeit nach 1925 legitim, von einer zeitweiligen »Verdrängung« der Männer durch weibliche Arbeitskräfte zu sprechen. Verantwortlich für diesen Boom der Frauenarbeit [24] war jedoch nicht die individuelle Arbeitsbereitschaft von Frauen, hervorgerufen durch wirtschaftliche Notwendigkeit oder gar den Willen zur materiellen Unabhängigkeit, sondern primär die ökonomische Rationalität der Betriebsorganisation. Überliefert ist der Ausspruch eines Warenhausdirektors über die weiblichen Verkäuferinnen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen: »Sie kosten die Hälfte und leisten zwei Drittel.«[25]
Neben der Billigkeit der weiblichen Arbeitskräfte - in den Tarifverträgen, die nach dem Krieg für die kaufmännischen Angestellten abgeschlossen wurden, war durchgehend ein Gehaltsabzug von mindestens 10 bis 20% für die Frauen vereinbart - schätzten Unternehmer besonders ihre angebliche Unempfindlichkeit gegenüber monotoner Arbeit und ihre geringe Konfliktfähigkeit. Vor allem in Krisenzeiten gab man Frauen den Vorzug, da sie sich den veränderten Arbeitsbedingungen bereitwilliger anpaßten und nicht auf berufsständische Traditionen pochen konnten;[26] auch die infolge ihrer Verheiratung meist kurze Verweildauer im Beruf erhöhte die Attraktivität weiblicher Arbeitskräfte für die auf Kosten- und Konfliktminimierung bedachten Unternehmer, da sich so das Problem der älteren Angestellten mit ihrem Anspruch auf Einkommensprogression und Unkündbarkeit elegant umgehen ließ. Bei »notwendigen« Entlassungen leisteten Frauen weniger Widerstand, war doch für die meisten von ihnen die Erwerbsarbeit nicht die ausschließliche Form ihrer Existenzsicherung. Viele Frauen zogen sich in den Krisenperioden des Arbeitsmarkts in ihre Familien zurück und stellten aufgrund dieses Rückhaltes auch keine Belastung für die Erwerbslosenfürsorge dar.[27] Gerade dieses Phänomen bezeugt die durch und durch ambivalente Position der Frauenarbeit in der Weimarer Republik, die sich im Bewußtsein der Zeitgenossen nicht als anerkannte Erscheinung behaupten konnte, sondern je nach Konjunkturlage bekämpft oder gefördert wurde.
Ihre »Lückenbüßer-Funktion«., die auf die Einstellung der Frauen zur Erwerbsarbeit nicht ohne Einfluß bleiben konnte, fußte dabei eindeutig auf einer skrupellos-pragmatischen Indienstnahme der weiblichen »Rolle«[28] durch unternehmerische Verwertungsstrategien. Daraus entwickelte sich mit vorhersagbarer Präzision ein prekärer Teufelskreis: indem die soziale Identität von Frauen nach wie vor in erster Linie in ihrer Wesensbestimmung als Hüterinnen des Hauses erblickt wurde, galt ihr Reservestatus auf dem Arbeitsmarkt als vorgegeben;[29] umgekehrt war es gerade die diskriminierende Struktur des weiblichen Teilarbeitsmarktes, die das traditionelle weibliche Rollenbild immer wieder - auch und vor allem im Selbstverständnis der betroffenen Frauen - stabilisierte.
So konnten sich unter Rückgriff auf hergebrachte Rollenzuschreibungen und Vorurteile geschlechtsspezifische Berufsdifferenzen ausbilden, die den kaufmännischen Arbeitsmarkt allmählich in zwei sehr klar voneinander getrennte Teilbereiche gliederten: die unteren Kontoristenkader (Stenotypisten-, Kontoristen-, Korrespondenztätigkeiten) waren für die Frauen reserviert, die höheren, komplexere Qualifikationen erfordernden Positionen bekamen Männer zugewiesen. Diese nach dem Geschlecht organisierten Schichtungslinien erlaubten es, Frauenerwerbstätigkeit als Puffer im Proletarisierungsprozeß der Angestelltenschaft einzusetzen. Sowohl seitens der Unternehmer wie auch der männlichen Angestellten bestand folglich ein begreifliches Interesse an einer Zementierung dieser strukturellen Unterschiede durch die Festschreibung des rein weiblichen Berufsfeldes der unteren Angestellten.[30] Sie wußten sich mit dieser Strategie im Bunde mit den traditionellen Rollenbildern, die den Handlungsspielraum der Frauen auch im Beruf entscheidend zu prägen verstanden; gleichzeitig etablierte sich so eine neue Ebene weiblicher Determinierung, die die starren Rollenbin: düngen der Frauen erheblich verstärkte, denn die Sozialisation im Beruf wirkte affirmativ auf das überlieferte weibliche Selbstbild ein. So kann es nicht verwundern, daß die Frauen den diskriminierenden Differenzierungsmechanismen (niedrigeres Gehalt, geringe Aufstiegschancen) keinen offensiven, mit der aufoktroyierten Rollenzuweisung ins Gericht gehenden Widerstand entgegensetzten, sieht man von individualisierenden Problemlösungen der weiblichen Berufsverbände einmal ab.[31] In allen einschlägigen Publikationen wurde auf den direkten Zusammenhang von Qualifikation, Leistung, Entlohnung und Mobilität hingewiesen und die schlechtere Ausbildung der Frauen als Angelpunkt ihrer beruflichen Diskriminierung bestimmt. Doch selbst wenn man das prinzipielle Desinteresse der Unternehmer an einer Höherqualifizierung (und Höherbezahlung) der von ihnen eingestellten Frauen außer acht läßt, konnten diese Argumente zugunsten der perspektivischen Rentabilität einer besseren Berufsausbildung die angesprochenen Frauen kaum überzeugen. Angesichts ihrer ohnehin kurzen Verweildauer im Beruf schien sich eine dreijährige Lehrzeit nicht auszuzahlen, zumal die Anfangsgehälter der Kontorgehilfinnen um ein Vielfaches höher waren als das Lehrlingsentgelt.[32] Die strukturelle Abgeschlossenheit des weiblichen Teilarbeitsmarkts, die auch eine individuelle Leistungssteigerung nicht durchbrechen konnte, wurde vor allem dort greifbar, wo die vereinzelten Aufstiegsbemühungen von Frauen an der widerspenstigen Abneigung der männlichen Kollegen gegen weibliche Vorgesetzte scheiterten.[33] Eine Funktionärin des Zentralverbandes der Angestellten kam nach einer niederschmetternden Analyse der Arbeitsplatzbedingungen ihrer weiblichen Mitglieder zu dem lapidaren Schluß: »Die Aufstiegsmöglichkeiten der weiblichen Angestellten sind erschwert, weil sie eine Frau ist.«[34]
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Zusammenfassend läßt sich sagen, daß sich die Integration der nach Erwerbsmöglichkeiten suchenden Frauen in das noch nicht rollensymbolisch besetzte Berufsfeld der kaufmännischen Angestellten auf der Grundlage spezifischer Verhaltensdispositionen der Frauen vollzog, deren Funktionalität für die Stabilisierung der betrieblichen Organisationshierarchie sich schnell herausstellte.
Diejenigen Frauen, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts in den Büros Arbeit fanden, waren für ihren Lebensunterhalt meist nicht allein auf ihren Verdienst angewiesen. Da sie ohnehin nur aus Not arbeiteten und gelernt hatten, ihre eigentliche Aufgabe in der Familie zu suchen, fehlte ihnen - das bezeugen zahlreiche Beispiele - »die Schätzungskraft für ihre Leistung«,[35] und sie ließen sich mit einem Bruchteil des Verdienstes ihrer männlichen Kollegen abspeisen.[36] Dieses Muster hat sich in den folgenden Jahren nur graduell verändert und wirkt bis heute fort. Der persönliche Charakter der Diskriminierung weiblicher Berufstätigkeit - Ende des 19. Jahrhunderts glich der Schritt der Frau ins Kontor beinahe einer »Entfraulichung«, »verweigern ihr doch die männlichen Kollegen den Gruß auf der Straße, denn: eine Dame, die ins Geschäft geht, ist keine Dame mehr« [37] - wurde mit der allmählichen Anerkennung der Erwerbstätigkeit von Frauen als vorbestimmter Phase ihres Lebens schon in der Weimarer Zeit strukturell überformt, immer aber mit dem Hinweis auf die sekundäre Bedeutung dieses Wirkungsbereichs für die »eigentliche« weibliche Identiät legitimiert. Die vor zwei Jahrhunderten vorgenommene Definition des weiblichen Geschlechtscharakters hatte ihre Gültigkeit auch in einer Zeit nicht verloren, die manche Beobachter als »Zeitalter der emanzipierten Frau«[38] in die Geschichte eingehen lassen wollten. Und auch die emphatische Behauptung: »Die Eroberung der Büros durch die weiblichen Angestellten ist die größte Revolution in der sozialen Stellung der Frau«[39] verliert ihre Überzeugungskraft, wenn sie an der konkreten Wirklichkeit dieser Frauen, an ihren Wünschen, Einstellungen und Erfahrungen gemessen wird.
Im folgenden soll daher die andere Seite des Bedingungsverhältnisses weiblicher Arbeitsmarkt - weibliches Rollenbild untersucht werden, um die ambivalente und daurchaus antiemanzipatorische Funktion der Frauenerwerbsarbeit in ihrer traditionellen rollengebundenen Form während der Weimarer Republik zu verdeutlichen. Die geschlechtsspezifische Sozialisation in Familie und Öffentlichkeit (Medien) belegte den »weiblichen Sozialcharakter« nach wie vor mit jenen typisch weiblichen Attributen, welche das Rollenverständnis der Frauen unnachgiebig prägten; sie bestimmte die Erwartungen und Vorstellungen der Frauen von ihrer Erwerbstätigkeit und definierte ihr Verhalten am Arbeitsplatz, das den Verwertungsinteressen eines hierarchisch organisierten Unternehmens so entgegenkam.

III.

War der Angestelltenberuf vor dem Ersten Weltkrieg noch weitgehend eine Domäne bürgerlicher Frauen gewesen, die das behütete Haustöchterdasein kurzfristig mit einer einträglichen Erwerbsarbeit vertauschen mußten,[40] so verschob sich in der Weimarer Republik das soziale Rekrutierungsfeld weiblicher Angestellter eindeutig in die Arbeiterschaft hinein. Obgleich sich die bürgerlichen Mittelschichten infolge ihrer Verarmung duch Krieg und Inflation immer häufiger gezwungen sahen, die Schulausbildung ihrer Töchter zu verkürzen und sie, mit schnell erworbenen Stenographie- und Schreibmaschinenkenntnissen ausgerüstet, in die Büros zu schicken, konnte dieses Potential die expandierende ökonomische Nachfrage nach weiblichem kaufmännischem Personal nicht decken, so daß auch Arbeitertöchtern verstärkt die Möglichkeit geboten wurde, ins Angestelltenverhältnis »aufzusteigen«.[41] Gegenüber den sonstigen Erwerbsalternativen der Arbeitermädchen - Dienstbotin, ungelernte Fabrikarbeiterin oder Näherin -war die Tätigkeit als Verkäuferin oder gar Kontoristin von weit höherem gesellschaftlichem Ansehen. Der ständige Kontakt mit Kunden besserer Kreise, die relativ saubere und vor allem feinere Arbeit und der Zwang zu gepflegter Kleidung, Benehmen und Ausdrucksweise ließen den Verkaufsberuf für Mädchen aus proletarischem Milieu höchst erstrebenswert erscheinen.
Nach dem Krieg hatten sich die Berufswünsche junger Mädchen immer deutlicher auf die kaufmännischen Berufe konzentriert;[42] die Statistiken der Berufsberatung verzeichneten, daß sich rund ein Drittel aller weiblichen Ratsuchenden (gegenüber 15% der männlichen) für eine kaufmännische Tätigkeit interessierten.[43] In der sozialen Hierarchie weiblicher Berufswünsche galt denn auch »der kaufmännische Beruf als der vornehmste und die Hauswirtschaft als der unbequemste Beruf ... - von der ungelernten Arbeit wird einfach gesagt, ,da kann man leicht Geld verdienen'!«[44] Das für die Handelsschule zu entrichtende Schulgeld bzw. der Verdienstausfall infolge verlängerten Schulbesuchs war für Arbeiterfamilien oft ein wichtiger Hinderungsgrund, die Tochter als Kontoristin ausbilden zu lassen. Die formale Qualifikationsdifferenz sowie die höhere soziale Herkunft der Büroangestellten, die sich aufgrund ihres besseren Gehalts auch mit attraktiveren Statussymbolen (Kleidung) ausstatten konnten, vertieften die gesellschaftliche Kluft zwischen den beiden Berufsgruppen. Selbst in großen Warenhäusern, die neben Verkäuferinnen auch Stenotypistinnen beschäftigten, blieben die Büroangestellten eine Grappe für sich, »fast immer bürgerlicher Herkunft und ohne Verbindung zum Proletariat der Mädchen, die im eigentlichen Verkaufsbetrieb tätig sind«.[45] Unabhängig von ihrer sozialen Herkunft war allen weiblichen Angestellten der Weimarer Republik eine überaus starke Familienbindung gemeinsam. Die meisten Frauen wohnten noch im elterlichen Haushalt,46 was angesichts ihrer Alters- und Familienstruktur (zwei Drittel waren 1925 jünger als 25 Jahre und fast alle - 93,6% - unverheiratet) nicht überraschen kann.
Die Ursachen dieser ausgeprägten Familienorientierung, die besonders im Vergleich zu den männlichen Angestellten auffällt, waren auf zwei Ebenen angesiedelt: einmal reichte das niedrige Gehalt kaum zu einer selbständigen Lebensführung aus,[47] zum anderen war die Familie im weiblichen Lebenszusammenhang normativ wesentlich fester verankert als im männlichen. Lockerte sich der Familienzusammenhang der Söhne mit ihrem Eintritt ins Berufsleben, so wurde den Töchtern gerade infolge der »sittlichen« Gefahren der Berufswelt ein besonderer Schutz des Elternhauses zuteil. Vor allem in bürgerlichen Kreisen wurde auf ein solides und traditionsverbundenes Familienleben viel Wert gelegt; allein das Ambiente der Wohnsituation, der Sinn für Tradition und die materielle Lage, die es erlaubte, die Töchter länger im Haus zu behalten und ihnen eine bessere Schulbildung angedeihen zu lassen, stützten den Zusammenhalt der Familie. Dank der zentralisierten Herrschaftsverteilung (auf den Vater) bildete gerade die bürgerliche Familie einen stabilen Hort traditionaler Rollenhierarchien. Die Berufstätigkeit der Töchter vermochte - trotz Anerkennung ihrer wirtschaftlichen Notwendigkeit - die überlieferte Struktur familialer Beziehungen und Deutungsmuster nicht in Frage zu stellen: die geschlechtsspezifischen Rollensymbole wiesen angesichts der parallelen Veränderung sozialer Lebensbereiche eine erstaunliche Beharrungskraft auf. Die Tochter, die außerhalb der Familie ihre Frau stand und zum gemeinsamen Haushalt beisteuerte, konnte sich innerhalb der Familie keine selbständige Position erobern.[48]
Immer wieder erhoben weibliche Angestellte bittere Klage über die starre Autoritätsstruktur in den Familien; so war es weithin und unwidersprochen Sitte, die Frauen nach Arbeitsschluß durchschnittlich zwei Stunden mit Hausarbeit zu beschäftigen - viele von ihnen brachten den einzigen freien Tag damit zu, der Muter beim Wäschewaschen und -ausbessern zu helfen.[49] Selbst kirchliche Kreise, die die Autorität der Familie sonst nicht genug unterstreichen konnten, mußten zugeben, daß die »Familienkrise« überwiegend auf der »Verkalkung der Familie selbst« beruhte, die »sich dem veränderten Wesen der berufstätigen Mädchen noch nicht angepaßt« hätte.***436.450***
Die mangelnde Wertschätzung, die die Eltern dem Berufsleben der Tochter entgegenbrachten, und die starke kulturelle Einbindung in die Familie konnten nicht dazu beitragen, den Mädchen ein positives Vor-Verständnis ihrer Berufstätigkeit zu vermitteln. Der Zielkonflikt zwischen den neuen Eindrücken am Arbeitsplatz und der Welt der Sofakissen wurde in der patriarchalisch strukturierten Familie des mittleren und kleinen Bürgertums zwangsläufig zugunsten der Sofakissen gelöst. Die Berufseinflüsse reduzierten sich damit auf das Niveau sekundärer Umweltbedingungen; der Beruf war nicht Selbstzweck, sondern nur Mittel zur Verwirklichung von außen formulierter Ziele: Geld, Kommunikation, Aufstieg, Ehe.
Zwar hatte sich die Berufsmotivation gegenüber früheren Zeiten erheblich verändert: galt den höheren Töchtern des 19. Jahrhunderts Berufstätigkeit häufig noch als entehrender Makel, so akzeptierte die Masse der weiblichen Angestellten in der Weimarer Republik ihren Beruf als einen selbstverständlichen Teil ihres Lebens. Nie jedoch war er ein erstrebenswertes Ziel per se, eine wichtige Etappe auf dem Weg der Selbstverwirklichung, sondern immer nur »Aufbewahrungsort bis zur Ehe«,[51] Instrument zur Befriedigung extern motivierter Bedürfnisse. Neben die materiellen Beweggründe [52] trat der Wunsch nach intensiverem Kontakt mit anderen Menschen, nach erweiterten Kommunikationsmöglichkeiten auch und vor allem mit dem anderen Geschlecht.

»Wenn eine Sechzehnjährige der Beraterin erzählt, bei dem heutigen Fehlen häuslicher Geselligkeit hätten junge Mädchen, denen der Besuch von Tanz- und anderen Vergnügungsgelegenheiten ,nicht liege' und denen Mittel und Gelegenheit zum Sport fehlten, keine Möglichkeit, mit jungen Männern zusammen zu sein, bei gemeinsamer Berufsarbeit aber biete sich dies und man lerne sich auch besser und unbefangener kennen, als in Gesellschaft, so sprach sie vielleicht nur aus, was manche schon zum Ergreifen eines Berufes getrieben haben mag.«[53]

In der Tat scheint die Kommunikation am Arbeitsplatz in vielen Fällen ehestiftend gewirkt haben. Von den weiblichen Angestellten der (bayrischen) Industrie heirateten 1925 fast die Hälfte einen Angestellten, und da 54% dieser Ehemänner ebenfalls in der Industrie beschäftigt waren, liegt es nahe, daß die Partner sich am gemeinsamen Arbeitsplatz kennengelernt hatten. Von den weiblichen Angestellten des Handels (also vorwiegend Verkäuferinnen) verehelichten sich 35,7% innerhalb ihrer Berufsschicht; ein Viertel schaffte den Aufstieg zur Ehefrau eines Selbständigen (zumeist wohl der Ladenbesitzer selbst), und 40,4% heirateten »unter ihrem Stand.«[54] Wenn sich auch die Träume und Phantasien der Verkäuferinnen und Stenotypistinnen mehr auf den »besseren Herrn« konzentrierten, den ihnen Film und Literatur als erstrebenswerte Partie suggerierten, stand ihnen doch in der Praxis der Arbeitskollege aus der gleichen Klasse näher. Nur gegenüber Arbeitern wahrten die weiblichen Angestellten eine bewußte Distanz. Die Beobachtung von Warenhausverkäuferinnen, die »ihre Abneigung gegen eine Ehe mit einem Arbeiter sehr bestimmt ausgesprochen hätte(n), obwohl sie selbst vorwiegend aus Arbeiterfamilien stammten«,[55] kann durch viele gleichlautende ergänzt werden. Da vor allem Arbeitertöchter ihren Beruf mit sozialem Aufstieg gleichsetzten, mußten sie die Ehe mit einem Arbeiter konsequent ablehnen, denn diese hätte sie in die wohlbekannte Enge und Beschränktheit des elterlichen Milieus zurückgeholt.
Obgleich sich die proletarische Familie weitgehend dem Muster der bürgerlichen nachbildete,[56] übte doch die unterschiedliche ökonomische und kulturelle Situation der Arbeiterschaft eine modifizierende Wirkung auf die Beschaffenheit familialer Bindungssysteme aus. Das »Haus« spielte für den proletarischen Lebenszusammenhang nicht mehr die dominierende Rolle wie das »bürgerliche Heim«. Zwangsläufig verlagerte die Ärmlichkeit und Dürftigkeit der proletarischen Wohnungen einen Großteil der Freizeitgestaltung nach außen; Kneipen und Vereine bildeten für viele Arbeiter einen willkommenen Familienersatz.[57] Der Zusammenhalt der Familie war allein schon durch die ungünstigen Arbeitszeitverhältnisse geschwächt. Gerade die überwiegend aus Arbeiterkreisen stammenden Verkäuferinnen litten unter ungebührlich hohen Zeitbelastungen, die sie der Familie fast völlig entfremdeten. Rund drei Viertel der Angestellten des Einzelhandels arbeiteten regelmäßig länger als acht Stunden täglich; auch Sonntagsarbeit war vielerorts üblich, vor allem im Bedürfnisgewerbe (Milch, Eis), das fast ausschließlich Frauen beschäftigte.[58]
Trotz der begrenzten Freizeitmöglichkeiten wurde die Arbeitertochter zusätzlich noch zur Hausarbeit herangezogen. Auch in proletarischen Familien hatte sich durch die Erwerbstätigkeit der Frauen (Mütter und Töchter) nichts an der traditionellen geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung geändert:

»In der durchschnittlichen proletarischen Familie lassen sich Väter und Brüder mit der größten Selbstverständlichkeit von dem schon müde von der Arbeit heimkehrenden Mädchen bedienen ... Die Frau und auch das junge Mädchen ist das Lasttier in der proletarischen Familie.«[59]

Die Pflichten häuslicher Nebenarbeit, die bedrückende Enge der elterlichen Wohnung, in der das Mädchen nur selten ein eigenes Bett geschweige denn ein Zimmer für sich beanspruchen konnte,[60] und der Zwang zur fast vollständigen Abgabe des Verdienstes61 waren für die Tochter Veranlassung genug, sich in ihren Hoffnungen und aktuellem Verhalten von ihrer Familie abzusetzen. Unterstützt wurde die Auflösung des proletarischen Familienzusammenhanges durch die spezifischen Berufserfahrungen der weiblichen Angestellten, die mit sozialen Schichten in Kontakt kamen, welche die entgegengesetzte Seite der gesellschaftlichen Statushierarchie repräsentierten. Die »offenkundige Verifizierung der Klassengegensätze bei der Kundenbedienung«[62] weckte in der Verkäuferin den Drang zur Identifikation mit den Symbolen von Reichtum, Aufstieg und Großzügigkeit; sie bemühte sich, in ihrem Auftreten und ihren Kleidungsgewohnheiten diesem Wunschbild nahezukommen. Die Erfahrung sozialer Ungleichheit wurde aufgehoben in der identitätsstiftenden äußerlichen Anpassung an das Auftreten höherer gesellschaftlicher Kreise und der radikalen Distanzierung von den eigenen sozialen und familiären Verhältnissen.[63] Ihr Angestelltenjob verschaffte den Frauen aus Arbeiterfamilien die gleichermaßen kurz- und langfristige Chance zur Erfüllung ihrer Aufstiegswünsche: er erlaubte einerseits die direkte Befriedigung narzistischen Geltungsbedürfnisses, indem ein gepflegtes, attraktives Äußeres zur »Berufsqualifikation« gehörte; andererseits verhalf er oft zu einer vorteilhaften Heirat und somit zum endgültigen Aufstieg in den gesellschaftlichen »Mittelstand«.
Einer solchen instrumenteilen Beziehung zur Berufstätigkeit, die sowohl die Angestellte aus bürgerlicher Familie als auch die Arbeitertochter prägte, war ihre prinzipielle Begrenzung bereits eingegeben. Im Bewußtsein der Verkäuferinnen und Bürofräulein war ihre Erwerbstätigkeit nur ein Übergang, eine Zwischenphase, an deren Ende die eigentliche »Berufung« der Frau wartete. All die scheinbare Unabhängigkeit, die die Berufstätigkeit vermitteln konnte, der Glamour der angeblich freien Existenz, die relative Ungebundenheit und Selbstbestimmung wurden gern aufgegeben zugunsten von Ehe und Mutterschaft:

»Der ,Beruf der Frau, auf den sie durch ihre bürgerliche Erziehung und Charakterbildung innerlich angewiesen ist, treibt sie nicht hinter den Verkaufsstand des Warenhauses oder an die Schreibmaschine, sondern zu einer glücklichen Ehe, in der sie selbst versorgt wird und sich um ihre Kinder kümmern kann.«[64]

Daß sich diese »bürgerliche Erziehung« quer durch alle sozialen Schichten zog, kommt auch in den geschlechtsspezifischen Ausbildungsmustern zum Ausdruck. Arbeiter ließen lieber den Sohn »etwas lernen«: während fast die Hälfte der männlichen Nachkommen der Fürther Arbeiterschaft im Jahre 1925 einer handwerklichen Lehre nachgingen, waren es von ihren Töchtern nur 15%. Dagegen verrichteten 38 % der Mädchen, aber nur 19% der Söhne ungelernte Fabrikarbeit. Die besser gestellten Bevölkerungsklassen ermöglichten eher dem Sohn ein Studium als der Tochter; letztere mußte häufig durch ihren Verdienst als Angestellte die Ausbildung des Bruders finanzieren helfen.[66]
Angesichts dieser gravierenden Einflußnahmen konnte jene sich selbst erfüllende Erwartung, die mit den altvertrauten Denkfiguren geschlechtsspezifischer Sozialisation verknüpft war, nicht ausbleiben: sobald die weibliche Angestellte heiratete, gab sie ihren Beruf auf. Aber auch die Erfahrungen des Arbeitsalltages waren nicht geeignet gewesen, das restriktive Vorverständnis von Berufstätigkeit für die Frauen zu relativieren. Der monotone Charakter ihrer Arbeit, die nervlichen Belastungen des Maschineschreibens,[67] die Unselbständigkeit und Abhängigkeit ihrer untergeordneten Betriebsposition konnte keine »job satisfaction« schaffen; der »Kampf um die Arbeitsfreude«, der von Psychotechnikern, Werksgemeinschaftsideologen und Berufsverbänden in der Weimarer Republik geführt wurde, mußte für das Gros der weiblichen Angestellten verloren gegeben werden. Die ideologieverdächtigen Beschwörungen der Berufsverbände, die durch die verbale Verklärung des Berufsethos die faktische Degradierung der Angestellten zu schematischen Maschinenarbeitern zu kompensieren hofften, verfehlten die konkrete Arbeitswirklichkeit der Frauen vor Schreib-, Buchungs- und Additionsmaschinen. Weder der Hinweis auf den wirtschaftlichen Zusammenhang kaufmännischer Funktionen und ihre »Bedeutung für die Volksgemeinschaft«[68] noch die religiöse Überhöhung der Arbeit als »Gottesdienst«, durch die »innerlich reiche und starke Mädchen in Büros und Warenhäusern, in Fabriken und im Kuhstall«[69] geschaffen würden, die ihre Tätigkeiten mit Dankbarkeit und vollendetem Pflichtbewußtsein ausführten, vermochten den jungen Angestellten eine wirkliche Hilfe bei der Bewältigung von Monotonie und Arbeitsstreß zu sein. Wie viele Mädchen waren schon bereit, ihrer sprechenden Schreibmaschine zuzuhören und alle Zurücksetzungen und Mißerfolge im Berufsleben mit erhöhter Arbeitsfreude zu beantworten? Für die meisten war die geisttötende gleichförmige Beschäftigung im Büro oder die von extremen Arbeitsbedingungen und Umsatzoptimierung geprägte Tätigkeit im Geschäft nur dadurch erträglich, daß ihr Ende absehbar war. Gegenüber der permanenten Fremdbestimmung im Arbeitsprozeß mußte die Ehe als Hort der Autonomie erscheinen, als »eine Art Erlösung aus der Knechtschaft«.[70] Ein 17jähriges Lehrmädchen:

»Auch denke ich daran, wenn der richtige Mann kommen würde, würde ich ihm meine Hand reichen und ein eigenes Heim gründen. Es ist dies wohl der Wunsch eines jeden Mädchens, einmal raus aus dem Beruf und sein eigener Herr zu sein.«[71]

Die fehlende Befriedigung im Beruf wurde bei der Mehrzahl weiblicher Angestellter durch äußere Attribute und »Tagträumerei« kompensiert. Die Betonung physischer Attraktivität, die Orientierung auf Freizeitvergnügen, die Zurschaustellung in Tanzbars, Cafes und Sportclubs, die Kinobesessenheit der weiblichen Angestellten waren geradezu zwangsläufige Resultate ihrer Unausgefülltheit im Beruf. In der sprichwörtlichen Außenorientierung dieser Frauen, in ihrer Vernügungs-sucht, ihrem Hang zu Glamour und Kitsch spiegelten sich jedoch nicht nur affirmative Klischees, rollenkonformes Verhalten, sondern auch ein Stück massiven Protests.
Da der Beruf kaum identitätsstiftend wirken konnte, mußten die negativen Erfahrungen am Arbeitsplatz durch Vermeidungsstrategien unterlaufen werden. Tagträume, Erotik, Mode gestalteten den Berufsalltag dynamischer und enthielten zugleich ein Element individueller Verweigerung. So reflektierte der narzistische Modefetischismus der Sekretärinnen und Verkäuferinnen, die einen hohen Prozentsatz ihre Gehalts für Kleidung und Kosmetik ausgaben,[72] - abgesehen von seiner funktionalen Notwendigkeit im Konkurrenzkampf - auch ein Moment des Widerstandes. Was auf den ersten Blick als totales Aufgesogenwerden durch die Identifikationsangebote der Warenwelt erscheint, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als hilfslose Artikulation latenter Kritik.[73] Schönheit, erotische Attraktivität, Konsum, Mode - diese Symbole standen für Öffentlichkeit, Anerkennung, Dynamisierung des Alltags, Verdrängung von Hoffnungslosigkeit. Die geistige und materielle Besitzlosigkeit der weiblichen Angestellten ließ ihnen nur ihren Körper, der mit Hilfe auffallender Kleidung zum Statuszeichen stilisiert wurde.[74] Im Beharren auf Mode und begrenztem Luxus drückte sich daher nicht allein die affirmative, herrschaftsstabilisierende Integration, die Unterwerfung der Frauen unter den normativen Warencharakter ihrer Weiblichkeit aus, sondern auch der defensive Versuch, der Erfahrung von Restriktion und Diskriminierung durch Zeichen des Überschusses zu entrinnen.
Daß sich dieses Verhalten in einem Beruf, der den »Zwang zu gefallen« (Bloch) geradezu zur Eintrittsqualifikation erhob, sehr bequem für die Zwecke der Profitrealisierung nutzbar machen ließ,[75] ist unbestritten und in vielen Erfahrungsberichten dokumentiert. So wurde z. B. eine Schuhverkäuferin entlassen,

»weil sie sich nicht dem Wunsche des Geschäftsinhabers gefügt hatte, duftige Wäsche zu tragen. Der Unternehmer führte vor Gericht aus, daß bei dem ununterbrochenen Hinaufsteigen auf Leitern zum Herabholen der Schuhe den männlichen Besuchern ein möglichst angenehmer Anblick verschafft werden müsse. Daß es sich hier nicht um einen Ausnahmefall handelt, beweisen die Auskünfte von Verkäuferinnen in Schuhgeschäften, die über eine gleiche Auffassung des Geschäftsleiters berichteten; es ist üblich, die unteren Abteilungen der Regale nur mit Attrappen, also mit leeren Kartons zu füllen, so daß ein Besteigen der Leitern notwendig wird.«[76]

Viele Geschäfte verschickten Steckbriefe ihrer Angestellten an Zeitungen und versprachen denjenigen eine Belohnung, die den Beschäftigungsort der Abgebildeten herausfänden; andere veranstalteten Höflichkeitswettbewerbe. Der VWA berichtete,

»daß ein sonst seriöses Berliner Haus seinen weiblichen Angestellten zumutet, sich im Schaufenster von einem Dekorateur aus einem Stück Stoff ein Kleid auf den Leib »anstecken« zu lassen, daß in einer Stadt der Provinz in der Badezeit den Angestellten zugemutet wurde, Badetrikots im Laden und Erfrischungsraum vorzuführen.«[7]

Wenn auch diese spektakulären Ausbeutungsformen als Spitze des Eisbergs vereinzelten Widerstand von Seiten der »Opfer« auslösten, scheinen sich doch die meisten Verkäuferinnen dem Interesse der Ladeninhaber und Personalchefs an der Verwertung ihres weiblichen Objektcharakters zwecks Umsatzsteigerung willig gefügt zu haben. Für die ältere Verkäuferin (d. h. Frauen ab 30!) aber wurden die geforderten Berufsattribute »Jugendlichkeit« und »Attraktivität« zum Verhängnis und Entlassungsgrund: »Der Andrang zu den vielen Schönheitssalons entspringt auch Existenzsorgen, der Gebrauch kosmetischer Erzeugnisse ist nicht immer ein Luxus.«[78]
Begünstigte schon die erotische Werbekraft seiner Verkäuferinnen den Umsatz eines Geschäftes, so ließ sich auch das durch die Betonung der weiblichen Rolle verstärkte Konkurrenzverhalten der Frauen untereinander herrschaftsstabilisierend von der Personalpolitik einsetzen. Doch fanden die betrieblichen Differenzierungsstrategien nicht nur in den Verkäuferinnen ihre (in diesem Fall besonders exponierten) Opfer; auch in den Büros unterlief das erotische Machtbedürfnis die wirksamere Solidarisierung der Frauen gegen die organisierte Repression seitens der männlichen Kollegen und Vorgesetzten. Ein erster Schritt zur Verschleierung der Herrschaftsbeziehungen am Arbeitsplatz war ihre Personalisierung. Der (immer) männliche Vorge-sezte repräsentierte für die Stenotypistinnen, Sekretärinnen und Tele-phonistinnen die gleichsam »natürliche« Autorität; er war Vaterfigur und potentieller Liebhaber in einem. Die familiale Rollenverteilung, in der die Frau den gehorchenden und der Mann den befehlenden Part zugewiesen bekamen, verdoppelte sich in der rational-bürokratischen Unternehmensstruktur; die traditionelle Herrschaftspyramide, deren Trittbrett quasi »naturhaft« die Frau einnimmt, bewies ihre Vorzüge auch im Betrieb. Die Reaktion der Frauen auf dieses wohlbekannte Autoritätsmuster war ebenso »natürlich«: sie paßten sich an, nicht ohne sich allerdings einer wirkungsvollen Ausbruchsmöglichkeit - des »Verhältnisses« - zu versichern. In der Tat waren die erstaunliche Konfliktscheu und die »weibliche« Tendenz zur freiwilligen Unterordnung eng mit der Erotisierung der Herrschaftsbeziehungen verbunden, welche den Warencharakter des Arbeitsverhältnisses überformte und die reizvolle Illusion eines gleichwertigen Tausches schuf.
Der stark instrumentelle Charakter, der diesen Beziehungen für beide Parteien (wenn auch in weit höherem Maße für den Mann, dem kraft seiner höheren Position immer die Rolle des Initiators zukam und der das »Verhältnis« je nach Laune und Bedürfnis gestalten und beenden konnte) anhaftete, fand seinen Niederschlag im Verhältnis der Kolleginnen untereinander. Die offensichtliche Bevorzugung einzelner Frauen durch den Vorgesetzten führte notwendig zu einer stärkeren Konkurrenz der weiblichen Angestellten um Privilegien, die mit einer sexuellen Beziehung verbunden waren: Gehaltserhöhung, verlängerter Urlaub, Aufstiegssymbole, persönliche Prestigesteigerung. Ihre von den Frauen selbst nicht in Frage gestellte Objektrolle, die sich über das Verhältnis zum Vorgesetzten definierte, verhinderte folglich eine kollegiale Kommunikation, die mehr umfaßte als den Austausch von Wochenenderlebnissen. Solange die Erfahrung gemeinschaftlicher Diskriminierung durch die potentiell realisierbare Projektion des individuellen Aufstiegs kraft persönlicher Attraktivität verdrängt werden konnte, überwog »neidische Kleiderkritik« das situationsgerechtere Zusammengehörigkeitsgefühl.
Die Vorbilder dieser rollenkonformen Verhaltensweisen trafen die weiblichen Angestellten im Kino. Bezeichnenderweise hatte sich der Film der 20er Jahre sofort auf die Figur der erfolgreichen attraktiven Sekretärin gestürzt - an diesem Sujet war die Aufstiegsbotschaft, die er den kleinen Leuten zuspielte, am reizvollsten zu demonstrieren. Jung und hübsch, energiegeladen und fleißig wurde die Stenotypistin dem Zuschauer präsentiert. Ihre Identifikation mit dem Unternehmen (oder dem Unternehmer) zahlte sich erwartungsgemäß durch die Heirat mit Chef oder Vorgesetztem aus.[79] Das simple Konstruktionsprinzip dieser Filme verfehlte die Wirkung auf die Angestellten nur selten. Für viele hatte sich bereits die Berufswahl im Kino entschieden:

Fachwissenschaftliche Beiträge

»Wenn durch ein Jugenderlebnis im Film dem jungen Mädchen das Warenhaus als märchenhafter Palast erscheint, in dem sich elegante Käufer um den Ladentisch drängen, liebenswürdige Gespräche mit der Verkäuferin führen und einer von ihnen die Angestellte in eine Ehe voller Glück und Luxus entführt, ... wenn die Handelsschülerin im Film erfahren hat, daß die Privatsekretärin ein sorgenloses schönes Leben ohne viel Arbeit führt, sich überaus elegant kleidet und nach kurzer Tätigkeit die Gattin ihres Chefs wird, dann werden die Wunschträume dieser jungen Menschen nach bestimmter Richtung tendieren«[80]

Der Film-Angestellten standen prinzipiell zwei Aufstiegsmöglichkeiten zur Verfügung: entweder war sie extrem tüchtig und mit ihrer Schreibmaschine verheiratet (»Wir zwei, die Schreibmaschine und ich, wir gehören zusammen!«) und erwarb sich Achtung (und Liebe) des Chefs durch ihren unermüdlichen Einsatz für den Betrieb, oder aber sie kompensierte mangelnde Fähigkeiten durch erotische Attraktivität. Angesichts der geschilderten Berufswirklichkeit, in der ein Aufstieg aus der Masse gleichmäßig tippender Stenotypistinnen durch besondere Anstelligkeit höchst unwirklich anmutete, entsprach die zweite Möglichkeit schon eher den Erfahrungen der Kinobesucher:

»Die Stenotypistin der Tageszeitung und des Magazins ist immer jung, immer elegant, immer bezaubernd, meist heiratet sie den Chef, über ihre Tätigkeit im Beruf dagegen hört man wenig. Daß die Hochzeit mit dem Chef der Erfolg beruflicher Tüchtigkeit sein könnte, fällt den Verfassern selten ein; wird es einmal zur Grundlage der Handlung gemacht, wie in dem vergnüglichen Lustspiel von Fodor »Arm wie eine Kirchenmaus«, so lacht das Publikum über die Unwahrscheinlichkeit.«[81]

Nach dem Strickmuster des Filmschicksals organisierten die »Tippmamsells« ihre eigene Realität. Im Kino bekamen sie die theoretische Bestätigung, daß sie ihr Glück machen konnten, wenn sie den Chef anschwärmten und ihn durch die Betonung ihrer physischen Reize auf sich aufmerksam machten; wenn es »Kiki« oder »Lotte« oder »Susi« gelang, das Interesse des Vorgesetzten so unfehlbar zu wecken, warum sollte der Zufall nicht auch sie selbst einmal auswählen? Wenn sich auch die Hoffnung auf den Märchenprinzen mit zunehmender Berufsdauer allmählich abschwächte, so blieb doch im Bewußtsein der Angestellten die Idealisierung der trüben Wirklichkeit durch die Veräußerlichung der Berufssphäre im filmischen Vorbild wirkmächtig. Der mögliche aktive Protest gegen Monotonie und Arbeitsintensivierung, gegen Berufsstreß und hierarchische Unterordnung verpuffte angesichts der immer wieder plastisch vor Augen geführten Chance des individuellen Aufstiegs. Nicht nur Filme, sondern auch andere Medien halfen bei der Ästhetisierung des Berufslebens. In Magazinen und Zeitschriften war das »Tippfräulein« neben dem »Tillergirl« (beinschwingender Revueimport aus Amerika) bevorzugter Gegenstand von Karikatur und Kolportage. Kosmetikwerbungen wandten sich mit Vorliebe an die Mädchen im Büro und Warenhaus, denen sie ihre Schminke durch Aufstiegsversprechungen schmackhaft machten.
Aber auch die Literaturproduktion ließ diese vielversprechende Thematik nicht aus. Das Interesse am allgemein-menschlichen Konfliktstoff fand in der Figur der Stenotypistin das geeignete Schicksal, in dem sich der »Zusammenprall der menschlichen, spezifisch weiblichen Lebensbedürfnisse mit den Ansprüchen ..., die von einem mechanisierten Arbeitsleben her kommen«,[82] besonders tragisch gestaltete. Von daher ist es auch verständlich, daß nicht die Verkäuferin im bewegten und abwechslungsreichen Trubel des Geschäfts zur Hauptdarstellerin dieser Literaturgattung erkoren wurde, sondern die Stenotypistin, die »an der Maschine im gleichförmigen Einerlei des Büros ... zum Symbol des Angestelltendaseins«[83] geriet. Angesichts der Massenauflage dieser Bücher ist es wahrscheinlich, daß sie auch von einem Großteil weiblicher Angestellter gelesen wurden; durch die Betonung und tragische Überhöhung des Einzelschicksals kamen sie überdies dem starken Identifikationsbedürfnis der Frauen sehr entgegen, die sich in dem geschilderten Angestelltenmilieu sofort wiedererkannten.[84] Die stark expandierende Literatur für weibliche Angestellte [85] unterschied sich deutlich von den Kaufmanns- und Handlungsgehilfenromanen, die sich an den männlichen Leser richteten. Letztere thematisierten zumeist die hervorragende Bedeutung individueller Tüchtigkeit und Rechtschaffenheit für den beruflichen Erfolg des Helden, wogegen die Frauenromane die weibliche Angestellte lediglich als Objekt männlicher Sexualität und Herrschaft abbildeten, die nur durch Zufall, Glück oder persönliche Reize den ersehnten Aufstieg schaffte. Dieses Muster, das bereits in den frühen Warenhausromanen angelegt war, reproduzierte sich auch in der Hochflut der Romanproduktion, die sich Ende der 1920er Jahre der weiblichen Angestellten annahm. Ähnlich wie die Filme zielte auch die Kolportageliteratur auf eine ideologische Romantisierung der Berufswelt. Die Verniedlichung des Arbeitslebens, die Betonung individualistischer Aufstiegsmoral, die sich in den Figuren der Dagmar oder Lolli oder Grete in rührender Weise verkörpert fand, entsprachen ebenso sehr den Interessen mancher Berufsvertretungen an einer Hebung des »Berufsbewußtseins« wie den Identifikationsbedürfnissen der weiblichen Angestellten selbst. Hier wurden sie mit ihren eigenen Wunschvorstellungen konfrontiert; die bedrückende Wirklichkeit des Berufsalltages verschwand hinter der leuchtenden Fassade individuellen Glücks und Erfolgs. Film und Roman waren folglich entscheidend daran beteiligt, das instrumenteile Verhältnis der weiblichen Angestellten zu ihrem Beruf zu stabilisieren und neu zu erzeugen. Die Verklärung struktureller Abhängigkeit und Unterordnung durch erotische Handlungskomponenten, das Vorgaukeln gesellschaftlichen Aufstiegs durch äußerste Anpassung und das Versprechen einer vorteilhaften Heirat bei entsprechendem Wohlverhalten lenkte die Aufmerksamkeit der Frauen, welche ohnehin nicht auf ein solides Selbstbewußtsein hin erzogen worden waren, von den Konflikten des Arbeitslebens auf die regelhafte Ebene personenbezogenen Rollenverhaltens. Strukturelle Interessengegensätze konnten innerhalb dieser individualistischen Handlungsorientierungen nicht mehr verifiziert werden, sondern wurden in der weiblichen Rolle veräußerlicht.
Die theoretisch denkbare Alternative, den Rollenkonflikt offen auszutragen, hätte vorausgesetzt, daß sich die Frauen der Mechanismen traditioneller Rollenzuweisungen bewußt gewesen wären; nur auf diesem Wege konnte eine Distanzierung von ihrer »weiblichen« Identität als Bedingung der Möglichkeit weiblicher Emanzipation erfolgen. Die in der jüngsten Zeit beobachtbare ansatzweise Ausbildung einer autonomen Theorie und Praxis der Frauenemanzipation läßt vermuten, daß erst die fortgeschrittene weibliche Professionalisierung in der Nachkriegszeit sowie - als Öffentlichkeitsrahmen - die entwickelte theoretische Gesellschaftskritik der 60er und 70er Jahre solche Bedingungen schufen.

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