- (* Für wichtige Hinweise und die Diskussion zentraler Passagen danke ich Hans Ulrich Gumbrecht, Thomas Luckmann und Georg Stanitzek)
Für Peter Petra Roos
I. Erkenntnisinteressen:
Historisierung und Systematisierung der aktuellen Diskussion
Seit Mitte der siebziger Jahre findet eine Diskussion über Frauenrolle, Feminismus, Frauenliteratur, weibliche Ästhetik statt. Diese Diskussion ist längst von einer partialen, lediglich in der Frauenbewegung institutionalisierten, zu einer öffentlichen geworden. Sie steht jetzt - so ist zu hoffen - an der Schwelle zur Institutionalisierung im universitären Bereich und rief inzwischen auch die Frage nach spezifischen frauenzentrierten Inhalten von Wissenschaft hervor. Diese sich immer weiter entwickelnde Diskussion und ein sich veränderndes öffentliches Bewußtsein haben zu einer spezifischen Diskrepanz geführt: Dem Reflexionsniveau in den entwickelten Paradigmen der Humanwissenschaften liegen Erkenntnisinteressen zugrunde, in deren Spektrum die Beschäftigung mit dem Thema ,Frau' bisher fast völlig fehlte; in der breiten öffentlichen Diskussion ist dagegen die Beschäftigung mit der Lage der Frau zentrales Anliegen. Aber das Verhältnis dieses Diskussionsstandes zu dem wissenschaftsinternen ist mehr als problematisch. Es handelt sich um zwei unterschiedliche Wissensbestände; sie sind verschieden organisiert - das erklärt einen Großteil der Schwierigkeiten bei der Institutionalisierung von Frauenstudien. Für die Diskrepanz der beiden Wissensbereiche gibt es, wie mir scheint, systematische Gründe. Ebenso gibt es systematische Gründe für die zentralen Defizite des gegenwärtigen Diskussionsstandes. Ihnen ist - so meine These - nur beizukommen, wenn man die Konstitution und die Tradition der Wissensvorräte und der Diskurse über Geschichte und Identität der Frau untersucht.
Das Erkenntnisinteresse dieses Aufsatzes liegt darum auch nicht in der Untersuchung vom Typ „Die Frau im Werk von...", sondern in Grundsatzüberlegungen zur Fundierung der Diskurse über die Frau. Das bedeutet konkret: den Versuch einer kontrollierten Entflechtung des äußerst heterogenen Diskursensembles zum Thema ,Frau', wie wir es heute vorfinden; den Versuch, Vorschläge zur Typisierung dieses Diskursensembles zu machen. Eine Schlüsselstellung nimmt dabei der anthropologische Diskurs ein, daneben werden aber auch Fragen des historiographischen Diskurses über die Frau und das Konzept des ,weiblichen Diskurses' berücksichtigt.
1. Bewertung des gegenwärtigen Diskussionsstandes
Die Entwicklung des gegenwärtigen Diskussionsstandes mit dem inzwischen inflationären Schlagwort vom Paradigmawechsel zu benennen, wäre vielleicht zu hoch gegriffen. Ich möchte stattdessen vorschlagen, die gegenwärtige Situation als eine grundlegende Revision zu beschreiben, die Umbrüche innerhalb des traditionellen anthropologischen Paradigmas mit sich bringt. Bei aller Divergenz der einzelnen Positionen ließe sich damit die gegenwärtige Diskussion in einen Gesamtzusammenhang stellen: den einer grundlegenden Revision tradierter Wissensvorräte und Diskursstrategien über die Frau. Die Frauenbewegung ist dabei lediglich exponiertester und institutionalisierter Ausdruck vom Einstellungswandel; Ausdruck eines generellen Interesses und Bedürfnisses, den Platz der Frau in der Gesellschaft neu zu bestimmen. Der Niederschlag neuer Konsense zeigt sich zum Beispiel in juristischen Maßnahmen wie neuen Scheidungsgesetzen oder dem amerikanischen „equal rights amendment" (Gesetz zur Gleichstellung der Frau gegenüber dem Mann).
Diese grundlegende Revision problematisiert in ihrem Gesamtrahmen jenes Ensemble von Wissensvorräten über die Frau, wie sie - Foucaults Beschreibung folgend - spätestens im Rahmen der Konstituierung der Humanwissenschaften im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts entstanden waren. Sie wurden zu verschiedenen philosophischen, psychoanalytischen, biologischen, anthropologischen Erklärungsmodellen weiterentwickelt. Diese funktionierten ihrerseits normativ als regulative Faktoren. Zumindest bis vor wenigen Jahren waren die traditionellen Erklärungsmodelle auf breiter Basis konsensfähig. Erst seit Kurzem werden neue Fragen und Bedürfnisse thematisch; sie lassen die bisherigen Modelle als defizient erscheinen. Diese Revision des anthropologischen Paradigmas impliziert gewöhnlich, daß die traditionellen „autorisierten Diskurse" (FOUCAULT 1976, S. 38) über Frauen ungültig seien, weil von einem überwiegend männlich geprägten Standpunkt aus formuliert. Eine solche Argumentation impliziert auch, daß Frauen in einem dominant männlichen kulturellen Kontext ein Sonderstatus als einer eigenen sozialen Gruppe zugeschrieben wird. Dieser Kontext etabliert und reproduziert geschlechtsspezifische Zugangs- und Verteilungsregeln.
Die historische Dimension dieser Argumentation kann verschieden angesetzt werden. Wählt man das Patriarchat als Bezugsrahmen, dann gelangt man zu einer fast metahistorischen Kategorie, denn das Patriarchat übergreift den gesamten Raum abendländischer Tradition von der klassischen Antike bis heute; es übergreift ebenso das jüdische und das islamische System. Ein anderer historischer Bezugsrahmen wäre sehr viel enger; diesen möchte ich aus heuristischen Gründen für die Arbeit vorschlagen. Hier geht es um die konkret historische Realisierungsform des anthropologischen Diskurses, so wie er im 18. Jahrhundert entwickelt wurde. Während dieses Prozesses wird der Mensch als Objekt der Humanwissenschaften konstituiert und gleichzeitig wird auch die normative Festschreibung von Geschlechtsspezifik erarbeitet.
2. Was ist - bis heute - das Ergebnis der Revision?
Das Ergebnis der Revision der Wissensbestände über die Frau ist wohl in der Fülle neuer Einzelergebnisse zu sehen. Um nur einige zu nennen: Im Bereich der Psychologie und Psychoanalyse die Revision des Freudschen Weiblichkeitsmodells. Im Bereich der Geschichtswissenschaft die unterschiedlichsten Versuche, eine Geschichte der Frau und der Frauenbewegung zu schreiben. In der Soziologie: Forschung über geschlechtsspezifische Rollenzuschreibung, Patriarchats- und Matriarchatsforschung; in der Literaturwissenschaft verschiedenste Versuche zu einer Literaturgeschichte der Frau; daneben die Untersuchung von Frauenbildern im Werk einzelner Autoren; ein weiterer Diskussionsstrang verfolgt unterschiedliche Konzepte weiblicher Ästhetik, weiblichen Diskurses, die Frage von Frauensprache. Die Organisation und Systematisierung der Vielzahl von Einzelergebnissen erweist sich jedoch aus der Perspektive traditioneller wissenschaftlicher Standards als schwierig. Die Einzelresultate zeigen verschiedene Argumentationspotentiale und verschiedene Diskursformen; sie sind eklektizistisch im Gebrauch von Theorien und Methoden. Ihre einzige gemeinsame Basis ließe sich in der Parteinahme für die Frau sehen: die feministische »Parteilichkeit«.
Im Rahmen einer detaillierteren Auswertung sollte man jedoch zwei verschiedene Phasen in der Entwicklung der gegenwärtigen Diskussion unterscheiden. Die erste Phase, wie sie in der Frauenbewegung institutionalisiert wurde, entstand aus direkten und unmittelbar pragmatischen Interessen, aus dem Wunsch der Veränderung der Lage der Frau im Alltagsleben. Damit ging einher die Forderung nach unmittelbarer Umsetzbarkeit von Theorie in feministische Praxis. Die Diskussion war stark situationsorientiert und situationsabhängig; jedes Erklärungsmodell mußte gleichzeitig auch als Ratschlag dienen können, um ein spezifisches Problem zu lösen. Die Theoriebildung war in der ersten Phase daher begrenzt; es gab und gibt noch immer in einigen Fraktionen der Frauenbewegung eine ausgeprägte Theoriefeindlichkeit - eine Einstellung, die systematische Gründe in der Organisationsform dieses Wissensbestandes hat.
Ein Erklärungmodell übte jedoch große Faszination aus und wurde breit rezipiert: das des Marxismus. Frauen werden hier in Analogie zum Arbeiter als unterdrückte Klasse' definiert; ihre Situation ist die des Klassenkampfes gegen den Mann'; feministische' Parteilichkeit erscheint in Analogie zu politischer Parteilichkeit; der Sonderstatus einer Frauenkultur gegen eine ,dominant männliche' Kultur wird in Analogie zum Status der proletarischen Kultur erfaßt - im Gefolge von Lenins Theorie der zwei Kulturen -, oder in Analogie zum Argumentationsrahmen der Proletkultbewegung der zwanziger und dreißiger Jahre. Eine weitere Analogie besteht zwischen Klassenstaat und Patriarchat, zwischen politischer und .feministischer Revolution'. Deutlich wird hier, daß die Rezeption des marxistischen Modells mit Hilfe von Analogie und metaphorischer Gleichsetzung dessen ökonomische Basis auf den Widerspruch zwischen den Geschlechtern transponierte. Allerdings zeigten sich sehr bald die Grenzen der Verwendbarkeit des marxistischen Modells - seine ökonomische Dominante lieferte systematisch zu wenig Erklärungen für die Dimensionen von Psyche, Verhalten, Einstellungen im Verhältnis von Mann und Frau. Der Marxismus lieferte ebensowenig befriedigende pragmatische Strategien. Denn hier reduziert sich die Frauenfrage auf einen Nebenwiderspruch. Die Frau muß durch Eingliederung in den Arbeitsprozeß erst einmal das richtige Bewußtsein erreichen; dann werden ihre Interessen identisch mit denen des Proletariats. Das marxistische Modell wurde dann relativ schnell im Rahmen der Frauenbewegung heftig kritisiert und von da ab nur noch ganz partiell rezipiert. Damit verschwindet auch im Selbstverständnis des Feminismus das Erklärungsmodell vom Kampf der Frau als Klassenkampf (vgl. zum Beispiel JANSSEN-JURREIT 1976, S. 191-218).
Auch in der zweiten Phase wurde der Grundsatz feministischer Parteilichkeit beibehalten. Aber jetzt öffnete sich die Diskussion von einem partialen und strikt institutionalisierten hin auf ein größeres Publikum. Neben die pragmatische Dimension der Arbeit in der Frauenbewegung tritt zusätzlich eine zweite Dimension: ein relativ entpragmatisiertes, unmittelbaren Verwendungszusammenhängen enthobenes Erkenntnisinteresse; ein Interesse an größeren und umfassenderen Erklärungsmodellen, die weniger von konkreten Situationen abhängig sind; eine Emanzipation von Forschung gegenüber direkter Umsetzbarkeit in Alltagspraxis.
II. Funktion und Struktur des revidierten Wissensbestandes
Mit Kriterien der Wissenssoziologie ließe sich diese Entwicklung dahingehend beschreiben, daß die erste Phase ,Alltagswissen' produzierte, während die zweite Phase 'höhere Wissensformen' hervorbringt. Diese Überlegung impliziert Veränderungen in Funktion und Organisation des Wissensvorrats; sie impliziert auch, daß der ursprüngliche Wissensvorrat sich durch eine Vielzahl von Einzelergebnissen quantitativ so erweitert hat, daß Strukturierungs- und Systematisierungsdruck entstand. Kennzeichnend für Alltagswissen ist, daß seine Erklärungsmodelle nur für ganz begrenzte pragmatische Situationen Sinn zu liefern brauchen, Rezepte fürs Alltagsleben. Aus einer Außenperspektive mögen diese Rezepte untereinander widersprüchlich sein, aber dies ist in der alltäglichen Einstellung nicht von Bedeutung. Das Rezept wird nur dann problematisiert und differenziert, wenn es sich in einer konkreten Situation als unzulänglich erweist. Dann wird es genau soweit ausgearbeitet, wie es zur Problemlösung notwendig ist, und dann wieder auf diesem Status belassen. Im Gegensatz zum 'Alltagswissen' konstruieren 'höhere Wissensformen' wie Religion oder Wissenschaft kohärente Systeme; ihre Elemente müssen untereinander kompatibel sein. Diese Systeme schaffen übergreifende Erklärungszusammenhänge und sind von pragmatischen Situationen relativ weit entfernt. Sie beanspruchen systematische Gültigkeit.
Bindet man solche Überlegungen zurück an die Entwicklung des Wissens über die Frau, so läßt sich für diese unterschiedlichen Erklärungsmodelle inzwischen ein höheres Stadium von Komplexität feststellen.
Statt das Patriarchat als Klassenmodell zu definieren - mit einer einfachen Beziehung von Unterdrückern und Unterdrückten -, wird es jetzt mehr und mehr als ein Ensemble von typischen Sinnbildungsleistungen beschrieben, die für alle seine Teilnehmer' Gültigkeit haben. Damit verändert sich gleichzeitig auch die pragmatische Dimension der Frauenbewegung. Das Patriarchat erscheint nicht mehr durch eine Revolution abschaffbar, die traditionelle Macht- und Herrschaftsstrukturen lediglich umkehrt, wenn die Frau den Platz des Mannes einnimmt. Wie ist nun der neue Wissensbestand, der sich einer generellen Revision des anthropologischen Paradigmas verdankt, in seiner zweiten Phase organisiert? Einerseits werden hier Systematisierungstendenzen sichtbar; andererseits stehen wir vor einer Heterogenität der Argumentationspotentiale und Diskurse und vor einem Eklektizismus, der sich deutlich unterscheidet von der Situation in den Humanwissenschaften mit ihren normativen, etablierten wissenschaftlichen Diskursen. Die Schwierigkeiten bei der Institutionalisierung von Frauenstudien an der Universität sind nur ein Hinweis auf die Probleme, die eine traditionelle wissenschaftliche Organisation dieses heterogenen Wissensbestandes mit sich brächte. Einige seiner Charakteristika sollen hier zunächst aus der Perspektive des wissenschaftlichen Normdiskurses -und damit als Defizite - beschrieben werden.
Eine der auffälligsten Beobachtungen ist der methodologisch unkontrollierte Einsatz des anthropologischen Diskurses innerhalb anderer Argumentationszusammenhänge, für die er dort als Beweis fungiert. Die Argumentation springt von der Sinnbildung über konkrete Situationen zu normativen anthropologischen Setzungen. Diese isolierten, situationsabhängigen Mikro-Anthropologien - ebenso wie breiter ausgefaltete anthropologische Diskurse - haben inzwischen zu einer längst unüberschaubaren Serie von in sich und wechselseitig widersprüchlichen Definitionsversuchen von Männlichkeit und Weiblichkeit geführt. Verbindlichkeit und normativer Anspruch der einzelnen Zuschreibun-gen relativieren sich dabei wechselseitig. Alle beanspruchen, Alternativen zum traditionellen Wissen über ,das Wesen' von Mann und Frau zu bieten, stattdessen produzieren sie nur neue Varianten der Verteilung von substantieller anthropologischer Differenz zwischen den beiden Geschlechtern. Ein zweites Charakteristikum des heterogenen Status der Diskussion zeigt sich im Einsatz des Diskurses über die Geschichte der Frau: Er trägt Beweisfunktion im Rahmen normativer Identitätsstiftung. Dabei geht der historiographische Diskurs oft eine problematische Mischung mit dem anthropologischen ein. So kann zum Beispiel der Typ >Biographien großer Frauen< die verschiedensten normativen anthropologischen Potentiale der Frau beglaubigen. Neben dieser offiziellen' Geschichte wird aber auch noch eine >heimliche< Geschichte der Frau als der Geschichte der unterdrückten, vergessenen und sprachlosen Minderheit rekonstruiert. Als durchgehendes Charakteristikum läßt sich Heterogenität der Argumentationspotentiale feststellen: das Flottieren zwischen positivistischer Empirie, anthropologischer Spekulation und historischer Rekonstruktion, dem Anspruch auf feministische Parteilichkeit untergeordnet.
Eine solche Beschreibung der Revision des Wissens über die Frau ist eine Beschreibung nach Defiziten. Aus dieser Perspektive begibt man sich jedoch der Chance, Leistungen wahrzunehmen: Die Revision des anthropologischen Paradigmas antwortet mit einer Fülle isolierter Einzelergebnisse auf das Bedürfnis, neues Wissen über ,den Ort der Frau in der Welt' zu produzieren. Erklärt man diese Heterogenität nicht mit indivdueller Unzulänglichkeit, sondern als durchgängige Struktur, dann stellt sich die Frage nach den systematischen Gründen.
Systematische Gründe der Heterogenität des revidierten Wissensbestandes
Systematischer Ort dieses Problems sind die anthropologischen Bestimmungen, mit denen die Humanwissenschaften im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts ihren Gegenstand, den Menschen, konstituieren und gleichzeitig sich selbst. Aus ihren definitorischen Bemühungen entstehen Superioritätsmodelle ebenso wie Egalitätsmodelle über das Verhältnis von Mann und Frau; in gleicher Weise spielt sich ein Spektrum von Konsensen ein über unterschiedliche Zugehörigkeiten von ,Mann' und ,Frau' zu einem mehr oder minder emphatisch begriffenen anthropologischen Potential des ,Menschen'. Regulative Kraft gewinnen solche Diskurse des ,Wissens' - nach Foucault - erst in ihrer Allianz mit der ,Macht'. Die Formierung der „autorisierten Diskurse" (FOUCAULT 1976, S. 38) setzt eine Selektion aus dem Inventar anthropologischer Modelle voraus. Sie geht - so meine These - dahin, daß faktisch die Realisation des Menschen nur im Mann gesehen wird und die Frau in ihrer Eigenschaft als Mensch eine systematische Leerstelle bleibt. Diese Leerstelle wird kompensiert und instrumentiert durch eine Vielzahl von Imaginationen von Weiblichkeit. Aber sie verstehen sich selbst oft als fruchtlose Versuche, der Leerstelle habhaft zu werden: Die Frau als Objekt des Normdiskurses wird zum unbekannten Wesen gemacht und bleibt es. Mit dieser Überlegung soll eine kausale Beziehung hergestellt werden zwischen dem heterogenen Charakter der gegenwärtigen Diskussion einerseits und dem Status der Frau als einer systematischen Leerstelle in der Anthropologie des 18. und 19. Jahrhunderts andererseits. Eine solche Historisierung zeigt, daß dort ,die' Natur des Menschen normativ definiert ist, obwohl Anthropologien lediglich bestimmte historische Verständnisse von menschlicher Natur liefern - ein jeweiliges Verständnis, das nur jene historischen Beziehungen von Mensch und Umwelt spiegeln kann, zu deren Zeit es entstanden ist. Solange die Anthropologie des 18. und des 19. Jahrhunderts Menschliches als Männliches festschreibt, wird die Frau als systematische Leerstelle zum Mythos, zum Rätsel, zum Nichts, zum und zur Verrückten, zum weißen Fleck auf der Topographie der Menschheit, oder zum „dark continent" (FREUD 1926, S. 241). Das trifft besonders für die Freudsche Psychoanalyse, für Kulturphilosophie und Literatur zu. Sie sind jene Orte, an denen bevorzugt die kulturellen Präsentationsformen und Konventionen der Imagination von Weiblichkeit produziert werden (vgl. BOVENSCHEN 1979). Auch die Diskurse über die Frau fallen unter das typische Dispositiv von Machtdiskursen seit dem 17. Jahrhundert. Sie stellen normierende, positive Zuschreibungen dar über das Wesen des Menschen, des Mannes, der Frau. Mindestens genau so wichtig wie das, was zugeschrieben wird, ist, wer diese Zuschreibungen machen darf. Diskurse funktionieren in Situationen, unterliegen verschiedenen Institutionalisierungsbe-dingungen. Ebenso wichtig wie der Prozeß der Zuschreibung selbst sind daher die Möglichkeiten seiner Institutionalisierung (FOU-CAULT, 1976, S. 20). So gibt es keine auch nur annähernd starke Alternative zum Ensemble der Machtdiskurse über das Wesen der Frau. Die eine Diskursnorm - die der „polymorphen Techniken der Macht"(ebd.) - ist die dominante um den Preis, daß ihr Gegenstand sich ihr ständig entzieht, materialisiert in der Leerstelle.
III. Mensch - Mann - Frau: Resultate autorisierter Diskurse
Diese Leerstelle soll nun - an einigen begriffsgeschichtlich perspekti-vierten Beispielen - anhand der Asymmetrie verschiedener anthropologischer Definitionen von „Mensch", „Mann" und „Frau" untersucht werden. Das Textmaterial wurde im Hinblick auf sozialhistorische Relevanz vorwiegend dem Bereich von Lexika entnommen. Ihre genretypische Selektionsleistung verbürgt, daß sie überwiegend jene begriffsgeschichtlichen Möglichkeiten innerhalb eines Sprachsystems repräsentieren, die Sprachnorm, sozialen Sprachgebrauch wiedergeben (vgl. GUMBRECHT 1978, S. 94f.).
1. Die Enzyklopädie (Encyclopedie 1751-1780):
- Artikel „Homme" (Mensch, Mann):
„er ist ein fühlendes und denkendes Wesen, das frei über die Erde schreitet und wohl an der Spitze aller anderen Tiere steht, über die er herrscht; er lebt in Gemeinschaft, hat Wissenschaften und Künste erfunden, besitzt ihm eigene Güte und Bosheit, hat sich Herrscher gegeben, sich Gesetze geschaffen, usw." (Encyclopedie 1765, S. 256)
- Artikel „Femme" (Frau):
„Sie ist das Weibchen des Menschen" („la femelle de l'homme"
(Encyclopedie 1756, S. 468) Im Artikel „Homme" der Enzyklopädie werden die beiden Bedeutungsbereiche „Mensch" und „Mann" nicht getrennt, sie fließen ineinander über; der geschlechtsunspezifische ist vom geschlechtsspezifischen Teil in keiner Weise getrennt. Besonders auffällig wird dies in den Artikeln „Homme morale" und „Homme politique", so daß über weite Strecken Mann und Mensch identifiziert werden. Die Definition von „Femme" aktualisiert lediglich den geschlechtsspezifischen Teil des Bedeutungsbereichs, reduziert auf die Opposition männlich - weiblich. Der menschliche Mehrwert bleibt implizit beim Mann, die animalische Konnotation von „Femelle" (Weibchen) hat keine Entsprechung im Artikel „Homme": „Male" (Männchen) kommt nicht vor.
2. Wörterbuch der spanischen Akademie (Diccionario de la Real Academia 1970):
- Artikel „Hombre" (Mensch, Mann):
„Vernunftbegabtes Tier. Dieser Begriff umfaßt das ganze Menschengeschlecht.
Männliches Wesen, vernunftbegabte Kreatur männlichen Geschlechts." (Diccionario de la Real Academia 1970, S. 715)
- Artikel „Mujer" (Frau):
„Person weiblichen Geschlechts" (Diccionario de la Real Academia 1970, S. 903) Expliziter als in der Enzyklopädie ist die Lage im Wörterbuch der spanischen Akademie. Hier erscheint die Asymmetrie noch deutlicher; das Bedeutungsspektrum für „Hombre" ist aufgeteilt in einen geschlechtsspezifischen und einen geschlechtsunspezifischen Teil. Interessant ist dabei, daß ein geschlechtsunspezifisches Kriterium - „vernunftbegabte Kreatur" - bei der geschlechtsspezifischen Definition des Mannes wiederholt wird. Im Gegensatz dazu ist der Artikel „Mujer", genau wie in der Enzyklopädie, nicht symmetrisch zum Artikel „Hombre" gebaut; die Definition von „Frau" ist implizit, unter Wegfall des Rationalitätskriteriums, auf den Bedeutungsbereich und damit die Existenz als Geschlechtswesen beschränkt. An die Stelle der „vernunftbegabten Kreatur" tritt jetzt „Person" (vgl. für den spanischen Bereich SCHNELL 1981).
3. Der „Große Larousse" (Grand Larousse 1973):
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Artikel „Homme" (Mensch, Mann):
1. Menschliches Wesen ohne Berücksichtigung des Geschlechts.
2. Menschliches Wesen männlichen Geschlechts. (Grand Larousse 1973, S. 2441 ff.) -
Artikel „Femme" (Frau):
„Menschliches Wesen weiblichen Geschlechts." (Grand Larousse 1973, S. 1907) Hier sind die Definitionen - und das wäre die idealtypische Alternative - strikt symmetrisch gebaut. Die Stelle des „etre humain" (menschlichen Wesens) ist in allen drei Defintionen identisch, ohne geschlechtsspezifischen Unterschied, besetzt.
Die Gegenüberstellung von Enzyklopädie und dem Wörterbuch der spanischen Akademie einerseits und dem „Larousse" andererseits zeigt Asymmetrie und Symmetrie in der geschlechtsspezifischen Verteilung des Menschlichkeitsprädikats. Entscheidend ist dabei, daß die Setzung der Asymmtrie nur implizit erfolgt; es wird ja nicht etwa explizit der Frau der Charakter des Menschseins abgesprochen. Vielmehr bleibt diese Stelle unbesetzt, nicht aktualisiert. Das Funktionieren des Machtdiskurses beruht gerade auf der impliziten Ineinssetzung von „Mann" und „Mensch", der Ausschluß der Frau geschieht stillschweigend. Die Lösung des „Larousse" zeigt, daß diese Problemstellung nicht durch den Hinweis auf andere Sprachen entkräftet werden kann, die - wie das Deutsche - vom Sprachsystem her die Möglichkeit bieten, die semantische Differenz von „Mann" und „Mensch" auch auf der Bezeichnungsebene in zwei verschiedene Nomina zu trennen, wie das Beispiel des „Brockhaus" zeigt.
4. Der „Brockhaus" (1830):
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„Mann, s. .Geschlecht'." (a.a.O., Bd. 7, S. 94) „Weib, s. .Frauen' und .Geschlecht'." (a.a.O., Bd. 12, S. 133) „Geschlecht":
„... Das Wesentliche dieses Charakters aber ist: Entgegensetzung zusammengehöriger und zu gemeinschaftlichem Zeugungszweck wirkender Kräfte. Überall demnach, wo wir Zeugung aus entgegengesetzten Kräften wahrnehmen, können wir auch den Geschlechtscharakter anerkennen,... wenn sich nur der eine Theil als bestimmendes, gebendes Princip, der andre als bestimmtes, empfangendes verhält. ... Daher offenbart sich in der Form des Mannes mehr die Idee der Kraft, in der Form des Weibes mehr die Idee der Anmuth, und schon in dieser Beziehung gebührt dem weiblichen Geschlechte der Name des schönen oder reizenden mit Recht. ... Über die Gleichheit beider Geschlechter im Menschengeschlechte hat Hufeland . . . eine Abhandlung geschrieben." (a.a.O., Bd. 4, S. 664-666) „Mensch. Unter den organisierten Wesen unserer Erde gebührt dem Menschen der erste Rang. Durch seinen Körper, in welchem wir ein Bild der Schönheit und Vollkommenheit erblicken, noch mehr aber durch seine geistigen Kräfte ragt er weit über alle seine Mitgeschöpfe hervor. ... Auch in den geistigen Fähigkeiten findet zwischen Mann und Weib der größte Unterschied statt." (a.a.O., Bd. 7, S. 283, 285)
„Frauen. Die Frauen .. . sind die Repräsentanten der Liebe, wie die Männer des Rechts im allgemeinsten Sinne. ... Man hat weitläufig die Frage untersucht, ob sie wirklich zum Menschengeschlechte gehören; man hat sie bald Engel, bald Teufel genannt. . . . Diese Widersprüche lassen sich vielleicht erklären, wenn man bedenkt, daß die Schönsten unter ihnen wohl manche Leiden über ihre Verehrer verhängen. ... Man findet aber freilich oft Verbildung und Überbildung, besonders im Gebiete der Kunst und Wissenschaft, wo die Frauen, ihrer Natur gemäß, mehr die nahen als die fernen Güter ergreifen sollen. Es ist zwar wahr, daß wir talentvolle, gebildete Schriftstellerinnen unter den Frauen besitzen; allein ist es ebenso wahr, daß sie nicht gerade in strengwissenschaftlichen Gattungen zu Schriftstellerinnen berufen sind. Es sei ihre Pflicht, den Schatz der Gefühle, dieses heilige Feuer, welches ihnen die Natur geschenkt hat, nur in Farben, Tönen, in der Poesie und Musik oder im Umgange zu erhalten und zu vermehren. So werden sie gewiß auch vorteilhaft auf die männliche Welt wirken." (a.a.O., Bd. 4, S. 356 f.)
Noch ist die Frage, ob die Frauen Engel oder Teufel, die besseren oder die schlechteren - in jedem Fall aber: andere - Menschen seien, nicht ad acta gelegt. Sie erhält ihre galante Antwort auf dem Terrain, das der Frau zugewiesen wird: dem der Liebe. Ein expliziter Diskurs von ,Arbeitsteiligkeit' suggeriert Gleichheit, indem er die Geschlechter zweckrational nach ihren Funktionen unterscheidet, scheinbar ohne geschlechtsspezifische Beeinträchtigung der menschlichen Qualität. Im Gegenteil: Je genauer beide, Mann und Frau, ihren Funktionen nachkommen, desto mehr erfüllen sie angeblich ihre menschliche Bestimmung: Zeugung/Empfängnis, Kraft/Anmut, Recht/Liebe. Nun ist diese Arbeitsteiligkeit aber nicht eine egalitäre, sondern muß in einem übergeordneten Herrschafts-Zusammenhang gedacht werden: das eine ist das bestimmende Geschlecht, das andere das bestimmte. Dieser Diskurs konstituiert den weiblichen Menschen kategorial anders als den männlichen. „Frauen" sind kollektiv ,dem' Mann gegenübergestellt; während ihre Spezifika als das „schöne oder reizende" Geschlecht breit abgehandelt werden und mit dem Repertoire von .Eigentümlichkeiten' einen Sonderstatus konstituieren, versteht sich der Status des Mannes von selbst: Eine analoge, symmetrische Bestimmung seiner Spezifika wird nicht thematisiert. Er geht 'ohne Rest' im Menschen auf - ohne das Surplus des „Engels", ohne das Defizit des „Teufels".
IV. Mann - Mensch - Frau: Konstituentien autorisierter Diskurse
Am Beispiel der Artikel „Frau" der Enzyklopädie soll nun ein Inventar von Argumentationspotentialen vorgestellt und dabei gezeigt werden, wie komplex und auch gegenläufig ein Ensemble anthropologischer Modelle und Diskursstrategien sein kann, welche im einzelnen aus dem vorhandenen Inventar aktualisiert werden und sich zu Machtdiskursen kristallisieren. Der Artikel „Femme" besteht aus drei Einheiten, die mit drei unterschiedlichen Verwendungsbereichen auch drei verschiedene Institutionalisierungen und Aktualisierungen des anthropologischen Potentials zeigen: „Frau (Anthropologie)", „Frau (Naturrecht)", „Frau (Moral)" (vgl. dazu auch STEINBRÜGGE 1979). Der Artikel „Frau (Anthropologie)" enthält eine Revue verschiedenster kultureller Wissensbestände über die Frau von der klassischen Antike bis zur jüdischen und orientalischen Tradition, hin zu den zeitgenössischen Philosophen. Der Artikel präsentiert das Material zunächst unter der positivistischen Perspektive:
- „Nicht allein die Anatomen haben die Frau in gewisser Weise als einen mißratenen Menschen (,homme manque') betrachtet; auch Philosophen hegten eine ähnliche Idee." (Encyclopedie 1765, S. 469)
Dieses Repertoire wird dann kritisch bewertet als: „die verschiedenen Vorurteile über den Vorrang des Mannes vor der Frau" (ebd.). Wie sähe dann eine Position aus, die nicht mit „prejuges" über das Verhalten von Mann und Frau behaftet ist?
Dieses Thema wird im Artikel „Frau (Naturrecht)" behandelt. Er verbindet die Konzepte von Naturrecht und positivem Recht mit der Situation der Frau in der Ehe. Die Ehe wird unter ihrem institutionellen Aspekt betrachtet - als ein Bereich, in dem Herrschaftsfragen zwischen Mann und Frau juristisch zu regeln sind. Vom positiven Recht her gesehen, muß sich die Frau dem Mann unterordnen:
„Ob auch Mann und Frau im Grunde dieselben Interessen in ihrer Gemeinschaft teilen, so ist es doch unverzichtbar, daß die Befehlsgewalt entweder dem einen oder dem anderen eigne: nun gestehen das positive Recht der zivilisierten Nationen, die Gesetze und die Sitten Europas diese Autorität einstimmig und definitiv dem Manne zu („male"), als demjenigen, der mit größerer Geistes- und Körperkraft ausgestattet ist, der mehr zum Gemeinwohl beiträgt - sowohl im Bereich der menschlichen, als auch der heiligen Dinge, derart, daß die Frau mit Notwendigkeit ihrem Manne („mari") Untertan sein muß und seinen Befehlen in allen häuslichen Dingen zu gehorchen hat. Dahin geht das Empfinden der klassischen wie auch der modernen Rechtsgelehrten, und ebenso die formelle Entscheidung der Gesetzgeber." (a.a.O., S. 471)
Diese Perspektive wird nun von der Basis des Naturrechts aus im Namen der Menschlichkeit aus den Angeln gehoben (vgl. in diesem Zusammenhang auch BAXMANN 1980):
- „. .. so sollen doch die Gründe, die wir für die eheliche Befehlsgewalt anführten, nicht ohne Erwiderung bleiben, indem wir als Menschen sprechen; und der Charakter dieses Werkes (sc. die Enzyklopädie) erlaubt es uns, dies kühn zu sagen." (ebd.)
Die Stimme der Menschlichkeit steht jedoch unter Legitimationszwang gegen den Machtdiskurs des positiven Rechts. Erst der Kontext der Enzyklopädie und ihr Anspruch auf Revision von Wissen legitimiert das „gewagte" Gegenargument, das auf der natürlichen Gleichheit der Menschen insistiert.
- „Es scheint zunächst, daß es 1. schwierig sei, nachzuweisen, daß die Befehlsgewalt des Ehemannes von der Natur herrühre; denn dieses Prinzip läuft der natürlichen Gleichheit der Menschen zuwider; und daraus allein, daß einer geeignet ist zum Befehlen, folgt noch nicht, daß er auch tatsächlich das Recht dazu habe. 2. hat der Mann ('l'homme') durchaus nicht immer die größere Kraft des Körpers, des Geistes, der Weisheit und der guten Lebensführung als die Frau" (ebd.).
Der zweite Gedanke verfolgt eine deskriptive Anthropologie im Gegensatz zu der für das positive Recht formulierten normativen Anthropologie, in der die Überlegenheit des Mannes auf quasi-natürliche Ungleichheit gegründet ist.
Entscheidend ist nun das Verhältnis der konfligierenden beiden Diskurse. Auf einer generellen, epistemologischen Ebene hat im Rahmen der Aufklärung die Naturrechtsargumentation die höhere Legitimität; das positive Recht ist nur durch Anciennität, und damit schwächer, legitimiert. Aber hier verfolgt die Relationierung von positivem Recht und Naturrecht nicht etwa den Anspruch höherer moralischer Legitimität, sondern bildet einen Kompromiß von Regel und Ausnahme:
- „... denn gewöhnlich sind die Männer fähiger als die Frauen, um die häuslichen Geschäfte zu führen. Es ist sehr vernünftig, als allgemeine Regel festzusetzen, daß die Stimme des Mannes den Vorrang habe, solange beide Parteien keinen anderslautenden gemeinsamen Beschluß gefaßt haben; denn das allgemeine Gesetz entstammt der Institution des Menschen und nicht dem Naturrecht. Derart hat sich eine Frau, die die Vorschrift des bürgerlichen Rechts kennt, und die schlicht und einfach ihren Ehekontrakt geschlossen hat, stillschweigend dadurch diesem bürgerlichen Recht unterstellt." (ebd.)
„Bürgerliches Recht", „Institution des Menschen" und „positives Recht" bilden also den Regelfall. Nur in Ausnahmefällen - nicht zuletzt dem, daß die Frau eine höhere soziale Position als der Mann einnimmt - tritt das Naturrecht in Kraft:
- „Wenn aber eine Frau das Gegenteil dessen vereinbart, was das Gesetz besagt - in der Überzeugung, daß sie ein besseres Urteil und eine bessere Lebensführung hat, oder wenn sie weiß, daß sie ein größeres Vermögen besitzt oder höheren Standes ist als der Mann, der ihren Gatten darstellt - wenn diese Frau also das Gegenteil dessen vereinbart, was das Gesetz besagt, und dies mit Zustimmung ihres Gatten: muß sie dann nicht, kraft des Naturgesetzes, dieselbe Macht haben wie ihr Ehemann kraft des fürstlichen Gesetzes? Der Fall einer Königin, die .. . einen Fürsten unter ihrem Rang heiratet - oder, wenn man will, einen ihrer Untertanen - genügt, um zu zeigen, daß die Befehlsgewalt einer Frau über ihren Mann - selbst im Bereich der Führung der Familie - nichts Unvereinbares hat mit der Natur der ehelichen Gemeinschaft." (ebd.)
Mag auch das Alternativmodell zum Status quo des positiven Rechts theoretisch von höherer Legitimität sein, so ist es doch unter pragmatischen Bedingungen reduziert auf die „besonderen Übereinkünfte" im übergeordneten Bezugsrahmen des „allgemeinen Gesetzes".
Leitfrage des Artikels „Femme (Morale)" ist: „Wer kann die Frauen definieren?" (ebd.) - Und derjenige, der sie definiert, konstitutiert sie auch. Hier findet sich explizit die Feststellung, daß die Frau eine Leerstelle einnimmt - und komplementär dazu eine Vielzahl von Imaginationen, die dieses Vakuum füllen.
- „Wer kann die Frauen definieren? ... die Ausnahmen sind so zahlreich, so vermengt mit dem Allgemeinen, daß man zu umso weniger Resultaten kommt, je mehr Beobachtungen man macht. Um die Seele der Frauen ist es bestellt wie um ihre Schönheit: sie lassen sie sehen, nur um uns imaginieren zu lassen." (a.a.O., S. 472)
Frauen sind nicht faßbar und darum werden sie Objekte freier Imagination:
- „Die Frauen haben meist vermischte, in Zwischenlagen angesiedelte oder veränderliche Charaktere; sei es, daß die Erziehung ihr Naturell mehr verändert als das unsrige; sei es, daß die Zartheit ihres Baues ihre Seelen zu einem Spiegel macht, der alle Gegenstände empfängt, sie lebhaft wiedergibt und keinen bewahrt." (ebd.)
Zweierlei ist hier bemerkenswert. Zunächst der Gebrauch des Personalpronomens: wir, die Männer - sie, die Frauen. Institutionalisiert ist die Sprecherrolle des Mannes, die auch den Kreis der Leser noch umfaßt; die Frau ist Objekt des Diskurses und steht außerhalb dieses Kreises. Zum zweiten ist die Verwendung der Spiegelmetapher signifikant, die semantisch beide Komplexe enthält: die Wesenlosigkeit der Frau und ihre Eignung als Gegenstand von Imagination und Projektion. Mit einem letzten Zitat soll die Beziehung des Mannes zu diesen Objekten bestimmt werden:
- „Frau" - dieses Wort allein rührt die Seele an, erhebt sie freilich nicht immer. Läßt dieses Wort doch nur angenehme Gedanken emporsteigen, die einen Augenblick später zu unruhigen Gefühlen werden, oder zu zärtlichen Empfindungen. Und der Philosoph, der noch Kontemplation zu pflegen meint, ist schon bald ein Mann, der begehrt, oder ein Liebender, der träumt." (ebd.)
Entscheidend ist hier die Opposition zwischen dem Philosophen, der betrachtet, und dem Mann, der begehrt, sowie dem Liebenden, der träumt. Ein theoretischer Zugriff und ein Interesse an Erkenntnis lassen sich dann nicht verfolgen, wenn das Objekt dieser Erkenntnis eine Frau ist. Die theoretische Attitüde weicht einem sehr pragmatischen Zugriff.
Die Enzyklopädie stellt verschiedene Modelle anthropologischer Definition und Ortsbestimmung der Frau vor. Sie bieten auf theoretischer Ebene systematische Alternativen - naturrechtlich begründeten Egalitätsdiskurs - gegen die traditionellen Diskurse der Galanterie oder des positiven Rechts. Aber auf der Ebene der Pragmatik und der Institutionalisierung wird das Naturrecht faktisch marginalisiert, obwohl ihm die höhere moralische Dignität zugesprochen wird. Die Machtimplikation des moralisierenden Anspruchs gewinnt hier, in der Enzyklopädie, noch keine pragmatische Dimension.
1. Geschlecht und Charakter
Eine andere, extreme Variante im Spektrum des anthropologischen Diskurses über die Frau ist Otto Weiningers „Geschlecht und Charakter", das 1903 zum ersten Mal erschien. Weininger steht in einer um die Jahrhundertwende populären Tradition; ein Klassiker neben Möbius' Studie über den physiologischen Schwachsinn des Weibes; „Geschlecht und Charakter" weist den logischen und moralischen Schwachsinn des Weibes nach. Es soll hier freilich nicht um billige Kritik an einer überspitzten Position gehen. Texte wie diese sind - in ihrer Explizitheit und mit ihrer Systematisierung - im Rahmen eines kulturanthropologischen Normdiskurses auch schon einem Teil ihrer Zeitgenossen überzogen erschienen; sie mögen sich gegen alternative Modelle nicht durchgesetzt haben - wie zum Beispiel gegen das von der ethischen Überlegenheit der Frau über den Mann. Texte wie diese haben aber wie ein Fundus weitverbreitetes Material und beliebte Versatzstücke geliefert und einen dominant frauenfeindlichen Diskurs argumentativ ausgestattet.
Weininger führt mit aller Klarheit vor, daß der Mann Form, das Weib Materie sei:
- „Materie, die jede Form annimmt. Das Weib ist nichts, und darum kann es alles werden. Aus einer Frau kann man machen, was man will." (WEININGER 1903, S. 394)
Ebenso ist das Weib nicht etwa unmoralisch und unlogisch, sondern „amoralisch" und „alogisch" (a.a.O., S. 398), - außerhalb, jenseits menschlicher Ethik und Rationalität stehend: „logical insanity" (logischer Schwachsinn) (a.a.O., S. 92). Aus der „Wesenlosigkeit" (a.a.O., S. 395) des Weibes resultiert, daß es einen Begriff des Weibes - in Analogie zu dem des Mannes - nicht gibt. Damit wird systematisch die Frau von der Qualität des Menschseins ausgeschlossen; sie ist nichts als Geschlecht.
- „Der Mann ist der Mikrokosmus, in ihm sind alle Möglichkeiten überhaupt enthalten." Die Frau dagegen ist „universelle Suszeptibilität, die alles wird, ohne irgend etwas zu sein" (a.a.O., S. 395). Der Mann repräsentiert „höheres Leben" gegen das „niedere" der Frau, „Subjekt" gegen "Objekt", „absolutes Etwas" gegen die Frau „als Symbol des Nichts", „Sinn" gegen „Nicht-Sinn", „Sein" gegen „Nicht-Sein" (a.a.O., S. 398).
Damit ist die Frau aus der Sphäre gesellschaftlicher Sinnproduktion ausgeschlossen. Weiningers logisches Fazit: „der kategorische Imperativ" ist „im Weibe" tot, es steht außerhalb „der sittlichen Idee", „der Idee der Menschheit": ist also nicht Mensch (a.a.O., S. 461). Dieser usurpatorische Diskurs verbannt die Frau an die Ränder der menschlichen Topographie, hin zum Tier. Weininger radikalisiert den traditionellen Status der Frau als einer Leerstelle der Anthropologie von einem impliziten Ausschluß vom menschlichen Mehrwert zu einer expliziten Aberkennung.
2. Alternative Modelle in der gegenwärtigen Diskussion
Die Probleme der gegenwärtigen Diskussion sind auf die Thematisierung der bisher meist nur implizit konstituierten Leerstelle „Frau" in der traditionellen Anthropologie zurückzuführen. Bei dem Versuch, diese Leerstelle durch neue Erklärungsmodelle aufzufüllen, scheinen zwei unterschiedliche Strategien typisierbar, die oft miteinander vermischt auftreten. Kennzeichnend für die erste Strategie ist, daß angesichts der vielen widersprüchlichen Definitionen von Maskulinität und Feminität die Sicherheit verloren geht, überhaupt normative geschlechtsspezifische Anthropologie schreiben zu können. In Biologie und psychoanalytischer Forschung entsprechen dieser Argumentation Untersuchungen zur Bisexualität des Menschen. Sie implizieren den weitgehenden Verzicht auf substantialistische anthropologische Differenzierung der Geschlechter und arbeiten stattdessen mit einem Mischkonzept von Männlichkeit und Weiblichkeit in jedem Menschen. In der interaktionistischen Soziologie läßt sich eine Affinität zwischen dieser Argumentation und der Einführung des Begriffs der „Geschlechtsrolle" zeigen. Auch er impliziert den Verzicht auf substantialistische anthropologische Geschlechtsdifferenzierung. Begriffe wie „Bisexualität" und „Geschlechtsrolle" markieren eine strikt funktionale Perspektive auf die sogenannten nicht hintergehbaren biologischen Determinanten von Geschlechtszugehörigkeit, wie zum Beispiel Gebärfähigkeit etc. Frauen- und Männerrolle sind in funktionaler Perspektive nichts, was unmittelbar und direkt aus der biologischen Konstitution folgt (vgl. zum Beispiel BECK-GERNSHEIM 1980). Vielmehr werden erst im Laufe ganz bestimmter psychologisch oder soziologisch begriffener Prozesse Geschlechtsrollenidentitäten entwickelt. Geschlechtsrollen sind gebunden an je historische Komplexe von Erwartungen über Männlichkeit und Weiblichkeit, die gesellschaftlich dem Individuum zugemutet und normativ durchgesetzt werden (BECK-GERNSHEIM
1980, S. 13 f.). Was typisch weiblich und typisch männlich ist, ist also nicht naturwüchsiges Ergebnis biologischer Eigenschaften, sondern gesellschaftlich konstruiert. Dementsprechend sind geschlechtsspezifische Handlungs- und Verhaltensrepertoires mit gesellschaftlichen Verteilungsregeln und Zugangschancen korreliert; sie konstituieren eigene weibliche und männliche „Lebenszusammenhänge" (PROKOP 1976) in Analogie zu Kommunkationssituationen. Diese funktionale Perspektive wurde befördert auch durch Ethnologie und vergleichende Kulturanthropologie (BECK-GERNSHEIM 1980 S. 14). Sie haben deutlich gemacht, daß Geschlechtsrollenidentitäten als gesellschaftlich hergestellte in verschiedenen Kulturen verschieden konstituiert sind: Was „typisch männlich", was „typisch weiblich" konnotiert ist, schwankt je nach Kulturzugehörigkeit. Der Verzicht auf ein festes Repertoire von metahistorischen und transkulturellen geschlechtsspezifischen Eigenschaften hat auf pragmatischer Ebene wichtige Konsequenzen. Er liefert den Begründungsrahmen für die Forderung nach völlig geschlechtsneutralen Zugangschancen zu Beruf etc. und zur Aufhebung der traditionellen Konstruktion weiblicher und männlicher Lebenszusammenhänge. Die spezifischen Verteilungsregeln und Zugangsbarrieren zum Nachteil der Frauen, die den weiblichen Lebenszusammenhang konstituieren, haben dabei strukturelle Ähnlichkeit zu den Bedingungen anderer sozialer Gruppen wie Neger, Juden, etc. - das Feld der Minderheitensoziologie und -psychologie. Die wichtigste pragmatische Konsequenz war in den USA die Zubilligung des Minderheitenstatus an Frauen. Dies ist die Grundlage für Quotierungssysteme im beruflichen Bereich. Quotierungsverfahren implizieren, daß eine Minderheit prozentual genauso weit in den Arbeitsprozeß aufgenommen werden muß, wie es der Höhe ihres Bevölkerungsanteils entspricht; d.h. daß bei gleicher Qualifikation verschiedener Stellenbewerber die Frau den Vorrang hat. Wenn man 50% Frauen in der Gesamtbevölkerung vergleicht mit einer geschlechtsspezifischen Über-bzw. Unterrepräsentierung in den verschiedenen Berufstypen, läßt sich leicht ermessen, welche Veränderungen solche Systeme bedeuteten. Der Verzicht auf ein festes Repertoire von metahistorischen und transkulturellen geschlechtsspezifischen Eigenschaften hat jedoch auch Konsequenzen für die Geschichtsschreibung über die Frau. Nach dem Konzept der ,Lebenszusammenhänge' könnte Frauengeschichte dann nicht unabhängig von der Geschichte des Mannes geschrieben werden: Diese Geschichte der Lebenszusammenhänge ist erst noch zu schreiben; eine Geschichte der konkreten Besetzungen von Männlichkeit und Weiblichkeit, eine Geschichte geschlechtsspezifischer Verteilungs- und Zugangsregeln, eine Geschichte der geschlechtsspezifischen Anthropologie: Was ist wann und in welchen Kommunikationssituationen männlich oder weiblich konnotiert und mit welchen Konsequenzen? Damit ist die erste Strategie typisiert, die in der gegenwärtigen Diskussion die Leerstelle „Frau" auffüllt: der Verzicht auf normative Anthropologie; die funktionale Perspektive unter einem absolut ge-schlechtsunspezifischen Gleichheitspostulat. Es scheint, als ließe sich diese Forschungsstrategie relativ problemlos mit etablierten Wissenschaftsdiskursen vermitteln.
Dies trifft sicherlich nicht zu auf die zweite Strategie der gegenwärtigen
Diskussion. Sie geht davon aus, daß trotz des Verzichts auf normative
geschlechtsspezifische Anthropologie innerhalb eines konstanten kul
turellen Kontexts die jahrhundertelangen historischen Zuschreibungen
durch Arbeitsteilung und Machtdiskurse ihre Wirkung hatten. Be
stimmte Eigenschaften, Verhaltensweisen, Erfahrungsräume, themati
sche Bereiche, etc. sind tatsächlich als Langzeitphänomene ge
schlechtsspezifisch durchgängig; so zum Beispiel die institutionali
sierte Verteilung von Logik, Denken, Disziplin einerseits und Körper
erfahrung, emotionaler Spontaneität andererseits. Sie gewinnen in der
heutigen Diskussion oft einen semi-anthropologischen Status und normativen Wert. Diskurse dieses Typs sind strikt separatistisch und sie betonen Geschlechtsspezifizität anstelle einer geschlechtsunspezifischen Anthropologie, nicht selten wieder unter Rückgriff auf Biologie.
Vom Argumentationsmaterial und der Argumentationsstruktur her fallen sie oft genug verblüffend mit traditionellen Rollenschreibungen zusammen, nun freilich mit umgekehrten Werturteilen. Die radikalste Variante dreht den alten Superioritätsdiskurs systematisch um: Die Frau ist weniger als der Mann deformiert, weniger von Gefühl und Körper entfremdet. Die wahren menschlichen Eigenschaften haben in Frauen überwintert, weil sie nicht in das patriarchalische Kulturzentrum integriert wurden, sondern eine marginale Existenz an den Rändern der herrschenden Kultur führten. Das Surplus von Menschlichkeit geht damit auf die Frau über. Jetzt ist der Mann ein „homme manque", ein „mißratener Mensch", um noch einmal die Enzyklopädie zu zitieren. Diese Strategie birgt insofern Gefahren, als sie die Frauen wieder auf traditionelle Zuschreibungen festlegt. Aber andererseits besteht diese Argumentation auf der Erkenntnisqualität und der Erkenntnischance von marginalen Diskursen und auf der Befreiung aus ihrer traditionellen Sprachlosigkeit. Die Sprache des Wahnsinns, der Körpererfahrung, weiblicher Subjektivität können offensichtlich nicht so leicht in traditionelle wissenschaftliche Diskursmuster überführt werden.
Eine Konsequenz dieser separatistischen Strategie besteht unter anderem in der Etablierung einer eigenen feministischen Öffentlichkeit, um einen institutionalisierten Schonraum gegen den Machtdiskurs zu schaffen. Eine weitere Konsequenz läge in der Historiographie über die Frau: Sie wäre dann zu schreiben als eigene und unabhängige Geschichte der Frau als Minderheit, als die Geschichte der Stellung der Frau in den Institutionen. Ein repräsentatives Beispiel für dieses Verfahren ist Shulamith Shahars Studie „Die Frau im Mittelalter" (1981).
Wohl am meisten kontrovers wurde in der Öffentlichkeit diskutiert die Frage nach den spezifischen Eigenschaften weiblicher Literatur, nach weiblicher Ästhetik, nach einer eigenen Frauensprache. Diese Diskussion soll als ein Beispiel für das Nebeneinander und die Vermischung der beiden Strategien stehen, der nichtgeschlechtsspezifischen und der geschlechtsspezifischen Argumentation. Ich beziehe mich dabei auf das Konzept des „weiblichen Diskurses", wie es von Luce Irigaray, Helene Cixous und Catherine C16ment erarbeitet wurde. Auch sie gehen aus von einer Beschreibung von Feminität als einer systematischen Leerstelle in der „logozentristischen" und „phallokratischen" Kulturtradition des Abendlandes. Der Ort der Weiblichkeit - und dies ist eine der zentralen Metaphern - ist nicht die Rückseite des Spiegels, sondern seine Ränder. Das Zentrum des Spiegels und damit das Zentrum der patriarchalen Kultur ist gekennzeichnet durch eine Isomorphie von Denkformen, Diskursformen und Verkehrsformen. Sie beruhen auf der ausschließlichen Setzung des Einen als Subjekt und der Inbesitznahme des Anderen als Objekt. Diese männliche Ordnung wird als symbolische Ordnung des Gesetzes zur gesellschaftlich herrschenden. Während hier der Anschluß an die bisherige Argumentation, die Verortung der Frau als Leerstelle in der traditionellen Anthropologie, offensichtlich ist, entstehen Schwierigkeiten bei einer genaueren Beschreibung und Verortung des Weiblichen jenseits des logozentristischen Diskurses. Die Überlegungen von Irigaray, Cixous, Clement begreifen die Frau als das ganz Andere; der Diskurs - das „Femme-parler" ist ein marginaler Diskurs, ein „verrückter Diskurs", der die patriarchalen Muster von Sinnbildung und Wahrnehmung verrückt. Sein Ziel:
- „dem Männlichen seine Sprache zu überlassen, und so die Möglichkeit einer anderen Sprache einzuräumen. Das bedeutet, daß das Männliche nicht länger 'das Ganze' wäre. Daß es nicht länger für sich die Eigenschaft(en) des Ganzen/von Allem definieren könnte" (IRIGARAY 1976, S. 35 f.).
Das Weibliche so zu denken heißt, es als Imaginäres zu denken. Es wird durch die Diskurspraxis, durch den subversiven Diskurs erst hervorgebracht. Was bedeutet das? Einerseits ist Weiblichkeit hier als offener Entwurf konzipiert; es verweigert sich der Sinnbildung; es ist verbunden mit dem Konzept utopischer Bisexualität, so daß Maskulinität und Feminität eher zu funktionalen Vorstellungen werden, weitgehend unabhängig von der Geschlechtsidentität ihrer Träger. Andererseits ist der Ort einer fast geschlechtsunspezifischen Feminität wieder die Frau; ihre Welterfahrung ist abgeleitet aus ihrer Körpererfahrung. Einerseits soll die Frau nicht normativ gesetzt, sondern als das ganz Andere offengehalten werden; andererseits soll der Geschlechtsunterschied bewußt forciert und verstärkt werden. So konkretisiert sich auch das Konzept des weiblichen Imaginären oft in ganz konkreten Kriterien aus dem traditionell weiblichen Bereich des Natürlich-Sinnlichen. Dem entspricht ein offener Diskurs jenseits von Kohärenzforderungen und Kompatibilitätszwängen. Marxismus und Lacan werden metaphorisch verbunden; Theorie, Mythos, emphatischer Entwurf und Norm werden in Analogieschlüssen zusammengebunden. Versucht man, diesen Diskurs mit den beiden Strategien zu beschreiben, die ich angeführt habe, dann kommt man zu einem zunächst paradox scheinenden Zusammenhang: Geschlechtsspezifische Anthropologie wird hier unter den Rahmenbedingungen von geschlechtsunspezifischer Anthropologie geschrieben. Dieser Zusammenhang macht die spezifische Erkenntnisqualität der Argumentation aus.
Damit sind einige der wichtigsten Strategien vorgestellt, mit denen paradigmatisch der Ort der Frau als einer Leerstelle in der gegenwärtigen Diskussion gefüllt wird. Durchgängig werden in diesem Rahmen die etablierten wissenschaftlichen Diskurse als elliptisch wahrgenommen -derart, daß sie die Leerstelle reproduzieren und nicht offen genug sind für spezifische, bisher marginalisierte Wahrnehmungs- und Erfahrungsbereiche von Frauen. So scheint der Erkenntniswert, den zur Zeit eine metaphorisch, eklektisch, mit Analogieschlüssen arbeitende Diskussion hat, mit den homogenen, traditionellen wissenschaftlichen Diskursen noch nicht einholbar.