Frauengeschichte als Sozialgeschichte

Skizze eines Unterrichtsprojekts in der Sekundarstufe II

Fachwissenschaftliche Neuerungen pflegen - wenn überhaupt - erst mit mehrjähriger Verzögerung Eingang in Lehrpläne und Schulbücher zu finden; noch später wirken sie sich im Unterricht aus. Im Falle der Frauengeschichte, deren Aufschwung während des letzten Jahrzehnts nach dem Urteil eines namhaften Sozialhistorikers „vielleicht die wichtigste neue Entwicklung in der amerikanischen und europäischen Geschichtsschreibung" darstellt,[1] macht sich ein solcher Trägheitseffekt besonders deutlich bemerkbar. Obwohl sich die Geschichtsdidaktik rasch des Themas angenommen hat,[2] scheint es zumindest in der Sekundarstufe II bislang nur ausnahmsweise behandelt zu werden.[3] Welche Widerstände prinzipieller Natur dabei im Spiel sein mögen, verdiente eine ausführliche Erörterung. Hier sei aus dem Blickwinkel der Schule nur auf vier praktische Hindernisse hingewiesen:

  1. Sofern in den Schulen sozialgeschichtliche Gegenstände berücksichtigt werden, konzentriert sich der Unterricht auf „klassische" Themen wie etwa die Gesellschaftsordnung des vorindustriellen Europa oder die soziale Lage und politische Organisation der Arbeiterschaft im Zeitalter der Industrialisierung.
  2. Gegenüber solchen Themen von säkularer Bedeutung erscheint Frauengeschichte als „Bindestrich-Geschichte" minderen Ranges, die das herrschende Geschichtsbild allenfalls in Nuancen ergänzt oder korrigiert. Tritt sie zudem noch mit dem weitreichenden Anspruch auf, gewohnte Interpretationen des historischen Geschehens in radikal-feministischer Weise in Frage zu stellen, so wird sich der verwirrte Praktiker in aller Regel der Auseinandersetzung mit dem entziehen, was sich ihm als sektiererischer Gegenentwurf zu etablierten Auffassungen darstellen dürfte.
  3. In den Lehrplänen und offiziösen Curriculumempfehlungen für die neugestaltete Oberstufe sind frauengeschichtliche Gegenstände als Kursthemen in der Regel nicht vorgesehen, zumal dann nicht, wenn für die sechs Halbjahre der Sekundarstufe II ein systematisch aufgebautes Grundpensum festgelegt ist. Es stellt sich das Problem, einen unkonventionellen Unterrichtsgegenstand in das Gefüge der großen Standardthemen (Industrialisierung, Weimarer Republik, Nationalsozialismus usw.) einzupassen.
  4. Von wenigen Ausnahmen abgesehen,[4] fehlen bislang praxisbezogene Unterrichtsmodelle und für den Schulgebrauch zugerichtete Materialsammlungen. Die Vorbereitung erfordert vom Lehrer deshalb einen überdurchschnittlichen Arbeitsaufwand. Angesichts solcher Hemmnisse mag es hilfreich sein, von Erfahrungen zu berichten, die im Unterricht bei der Behandlung frauengeschichtlicher' Themen gesammelt wurden. Im folgenden stelle ich ein Projekt zum Thema „Frauenexistenz und Frauenbewegung im Kaiserreich" vor, das im Rahmen des durch schulinterne Festlegung vorgegebenen Kursthemas „Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland 1850-1914" in einem Gemeinschaftskunde-Grundkurs der Jahrgangsstufe 11/II realisiert wurde.

I. Emanzipation - Sozialstruktur - Alltag

Zunächst einige Überlegungen zu den didaktischen Möglichkeiten: So notwendig und verdienstvoll die Versuche sind, ein umfassendes Curriculum zur Frauengeschichte zu entwickeln, so wenig sollte die bescheidenere Aufgabe unterschätzt werden, Frauengeschichte nicht nur als Spezialität weniger Kenner(innen) und Enthusiasten, sondern als maßvoll dosierten, aber selbstverständlichen Bestandteil historischer Bildung in der Unterrichtswirklichkeit zu verankern. Keineswegs genügt als Begründung die Forderung, einem lange mißachteten Gegenstand zu gebührendem Rang zu verhelfen, denn von der historischen Friedensforschung bis zu der - von der Geschichtsdidaktik noch immer vernachlässigten - Geschichte außereuropäischer Gesellschaften erheben allenthalben neue Wachstumsgebiete der Geschichtswissenschaft den berechtigten Anspruch, auf dem Wege über die Schulen dem allgemeinen Geschichtsbewußtsein nahegebracht zu werden. Was Frauengeschichte indessen unter den Konkurrenten um curricu-lare Beachtung besonders auszeichnet, sind die reichen Möglichkeiten, die sie bietet, in exemplarischer Weise umfassende Sachverhalte und Zusammenhänge zu erschließen. Über ihren eigenen materialen Gehalt hinaus verweist sie auf „Sachstrukturen fundamentaler Art".[5] Da sich unter dem Titel der „Frauengeschichte" die verschiedenartigsten wissenschaftlichen Ansätze von der Organisationsgeschichte bis zur sozialhistorischen Auswertung von Erzählprosa sammeln,[6] läßt sich zugleich die Spannweite moderner Geschichtsbetrachtung erarbeiten. Drei der denkbaren exemplarischen Bezüge scheinen mir für den Unterricht besonders ergiebig zu sein:

  1. Die Frauenbewegung läßt sich als Beispiel einer sozialen Emanzipationsbewegung verstehen. Die an diesem Beispiel gewonnenen Erkenntnisse über Emanzipationsdefizite, Protestpotentiale, Programmatik, Organisations- und Aktionsformen usw. können dann kate-gorial auf parallele historische Erscheinungen übertragen werden. Vor allem mit der Arbeiterbewegung ergeben sich zudem zahlreiche realhistorische Berührungspunkte. Der Unterricht sollte daher nicht nur die besonderen Merkmale der „Frauenfrage" und des aus ihr entspringenden Protests der Betroffenen deutlich machen, sondern zugleich eine analytische Perspektive entwickeln, die es erlaubt, Ursachen, Formen und Folgen des kollektiven politischen Handelns auch anderer unterprivilegierter Bevölkerungsgruppen zu untersuchen.
  2. Da sich in nahezu allen denkbaren gesellschaftlichen Lagen Frauen finden, kann am Leitfaden der Untersuchung weiblicher Lebensumstände in verschiedenen sozialen Schichten ein Querschnitt durch die Sozialstruktur einer gegebenen Gesellschaft zu einer gegebenen Zeit erarbeitet werden. Dabei ist stets das Zusammenwirken von geschlechtsspezifischer und schichtspezifischer Determinierung einer individuellen sozialen Lage zu beachten.
  3. Der Blick auf die Lebenswirklichkeit von Frauen in Familie und Arbeitswelt bietet einen günstigen Zugang zu einem Geschichtsverständnis, das die Geschichte der großen Politik und des Strukturwandels auf der Makroebene in Richtung auf eine Geschichte des Alltags erweitert.[7] Damit eröffnen sich Chancen für eine Verbreiterung des historischen Wahrnehmungsfeldes bei den Schülern. Freilich muß vermieden werden, daß Alltagsgeschichte zu einem Sammelsurium kulturhistorischer Gemeinplätze und Kuriositäten verkommt.

Dieser dreifache exemplarische Bezug auf Emanzipationsprozesse, soziale Strukturen und alltägliche Lebenswelten rückt Frauengeschichte in den Mittelpunkt eines sozialhistorisch orientierten Geschichtsunterrichts. Zugleich lassen sich in jeder der drei Dimensionen Gegenwartsbezüge auffinden, ohne daß es herbeigezwungener Aktualisierung bedürfte: Die Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts hat wichtige Impulse an den Feminismus der Gegenwart weitergegeben; die Sozialstruktur des späten 19. Jahrhunderts wirkt in wichtigen Grundzügen heute noch nach und läßt sich teilweise auf der Grundlage gegenwärtiger Erfahrungen erschließen;[8] Spuren vergangenen Alltagslebens sind aus dem Erfahrungsbereich der Schüler durchaus noch nicht völlig verschwunden. Vor allem der letzte Punkt kann nicht überschätzt werden. Die Geschichte des Alltags in neuerer Zeit bietet Schülern nahezu einzigartige Möglichkeiten zu eigenen Nachforschungen auf der Grundlage primären Quellenmaterials.

II. Projektorientierter Unterricht

Eine projektorientierte Unterrichtsform scheint besonders geeignet, derlei didaktische Potentiale zu nutzen. Ohne in eine grundsätzliche Diskussion um das Für und Wider von Projektunterricht einzutreten,[9] seien nur kurz einige Eigenarten dieser wichtigsten Alternative zum üblichen Lehrgangsunterricht genannt. Ein Unterricht,

  • der dem Grundsatz der Produktorientierung folgt, in dem sich also die Bearbeitung von Problemen nicht (nur) in für den Lehrer bestimmten Lernerfolgsnachweisen niederschlägt, sondern (auch) in der „Darstellung der Arbeitsergebnisse für andere mit dem Zweck, bei diesen anderen für die eigenen Einsichten zu werben und mit ihnen darüber in eine Diskussion einzutreten";[10] der auf
  • der weitgehenden Mitwirkung der Schüler an der Umriß-und Prozeßplanung der Lern- und Handlungsverläufe beruht;[11]
  • dessen bevorzugte Arbeits- und Sozialform themenzentrierte Gruppenarbeit ist;
  • bei dem der Lehrer aus der Rolle des Arrangeurs kunstvoll strukturierter Unterrichtsstunden in die des nach Bedarf tätig werdenden Beraters, des Material besorgenden „Forschungsassistenten" und des Organisators von praktisch-technischen Rahmenbedingungen hinüberwechselt

ein solcher Unterricht bietet für das Fach Geschichte /Gemeinschaftskunde im Idealfall folgende Lernchancen:

  1. Zurückhaltende und bei Frontalunterricht schwierig zu motivierende Schüler werden zur Beteiligung angeregt. Das gesamte Aktivitätsniveau des Unterrichts steigt.[12]
  2. Da die Arbeitsgruppen selber entscheiden müssen, auf welche Weise sie die von der gesamten Lehr-Lern-Gruppe einvernehmlich bestimmten Ziele (Art des Handlungsprodukts, Termin der Fertigstellung usw.) erreichen wollen, gewinnen die Schüler Erfahrungen mit eigenverantwortlicher Arbeitsorganisation.
  3. Es wird so gut wie kein ad usum discipulorum aufbereitetes Material verwendet, sondern überwiegend solches, wie es der Historiker unter „natürlichen" Bedingungen benutzt: ungedruckte und gedruckte Quellen, wissenschaftliche Fachliteratur, Ergebnisse von Befragungen usw. Solange die Gefahr der Überforderung vermieden wird, haben die Schüler hier eine bessere Gelegenheit, den kreativen, aber auch sorgfältigen Umgang mit Materialien verschiedener Art zu lernen als beim herkömmlichen Lehrbuch-cum-Arbeitsblatt-Unterricht. Einfache Arbeitstechniken wie Quellenanalyse [13] und Auswertung von Statistiken sollten allerdings schon vor Beginn der Projektarbeit geübt werden. Soll „forschendes Lernen" zu sichtbaren Erfolgen führen, so kann es, jedenfalls in der Oberstufe, nicht am Nullpunkt einer ungeschulten „Spontaneität" der Schüler ansetzen.
  4. Da die Ergebnisse der Projektarbeit der Öffentlichkeit vorgestellt werden, müssen sich die Schüler bei der Darbietung ihrer Ergebnisse um Adressatenbezug bemühen. Ob es sich um eine publizierte Broschüre oder eine Ausstellung, einen Film oder eine szenische Aufführung handelt - stets ist auf mediengerechte Darstellung zu achten, deren Regeln und Gesetzmäßigkeiten sich Schüler und Lehrer, beide oft gleichermaßen Laien, durch Versuch und Irrtum aneignen müssen.
  5. Von Öffentlichkeitsorientierung, Handlungscharakter und Forschungsspielräumen des Projektunterrichts gehen Anreize aus, die nicht allein aus den Normen und Werten schulischen Leistungsverhaltens resultieren. Die Belohnung für Erfolg besteht nicht nur in einer Zensur, wie sie sich auch bei Projekten selten vermeiden lassen dürfte, sondern auch in Aufmerksamkeit und Beifall des Publikums. Die Schüler gewinnen ein Verhältnis zu ihrer eigenen Tätigkeit und deren Produktion, das über den Tauschhandel „Leistung gegen Note" hinausgeht.

III. Material

Entscheidend für den Erfolg eines Projekts ist die Auswahl des Materials. Einerseits soll den Schülern ein möglichst breites Spektrum von Primär- und Sekundärmaterialien angeboten werden, ja, ein gewisser „Materialüberschuß" ist wünschenswert, da die selektive Verarbeitung von Informationen zu den Zielen eines wissenschaftlichen Denk- und Arbeitsweisen verpflichteten Unterrichts gehört. Andererseits dürfen die Schüler nicht durch Texte überfordert werden, die sich dem Verständnis des Anfängers verschließen. Ein großer Teil der monographischen Literatur zur Geschichte der Frauenbewegung, unerläßlich wie sie für die Vorbereitung des Lehrers ist, kann deshalb nicht direkt im Unterricht verwendet werden.[14]
Im folgenden gebe ich eine Übersicht über Literatur, die sich bei der Realisierung des Projekts „Frauenexistenz und Frauenbewegung im Kaiserreich" bewährt hat.

1. Quellen

  • 1.1    Sammlungen schriftlicher Quellen
Brinkler-Gabler, Gisela (Hrsg.): Frauenarbeit und Beruf, Frankfurt a.M. 1979.
    Dokumente der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung zur Frauenfrage 1848-1974, hrsg. von einem Autorenkollektiv unter Leitung von Joachim Müller, Leipzig 1975.
    Emmerich, Wolfgang (Hrsg.): Proletarische Lebensläufe. Autobiographische Dokumente zur Entstehung der Zweiten Kultur in Deutschland, Bd. I, Reinbek 1974. Enzensberger, Hans Magnus, u.a. (Hrsg.): Klassenbuch 2, Darmstadt / Neuwied 1972.
    Frauenalltag und Frauenbewegung im 20. Jahrhundert. Materialsammlung zu der Abteilung 20. Jahrhundert im Historischen Museum Frankfurt, Frankfurt a.M. 1980.
    Gerhard, Ute: Verhältnisse und Verhinderungen. Frauenarbeit, Familie und Rechte der Frauen im 19. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1978 (Dokumentenanhang).
    Hardach-Pinke, Irene / Gerd Hardach (Hrsg.): Deutsche Kindheiten. Autobiographische Zeugnisse 1700-1900, Kronberg 1978.
    Institut für Marxistische Studien und Forschungen (Hrsg.): Arbeiterbewegung und Frauenemanzipation 1889-1933, Frankfurt a.M. 1973. Klucsarits, Richard / Friedrich G. Kürbisch (Hrsg.): Arbeiterinnen kämpfen um ihr Recht. Autobiographische Texte zum Kampf rechtloser und entrechteter ,Frauenspersonen' in Deutschland, Österreich und der Schweiz des 19. und 20. Jahrhunderts, 2. Aufl. Wuppertal 1981.
    Ritter, Gerhard A. / Jürgen Kocka (Hrsg.): Deutsche Sozialgeschichte. Dokumente und Skizzen, Bd. II: 1870-1914, 2. Aufl. München 1977. Saul, Klaus, u. a. (Hrsg.): Arbeiterfamilien im Kaiserreich. Materialien zur Sozialgeschichte in Deutschland, Königstein/Düsseldorf 1982. Schröder, Hannelore (Hrsg.): Die Frau ist frei geboren. Texte zur Frauenemanzipation, 2 Bde., München 1980/81.
    Twellmann, Margrit (Hrsg.): Die deutsche Frauenbewegung. Ihre Anfänge und erste Entwicklung. Quellen 1843-1889, Meisenheim a.G. 1972.

 

  • 1.2    Einzelschriften

    Hier kann nur eine Auswahl solcher zeitgenössischer Schriften genannt werden, die in Nachdrucken verhältnismäßig leicht greifbar sind. Baader, Ottilie: Ein steiniger Weg. Lebenserinnerungen einer Sozialistin, 3. Aufl. Berlin/Bonn 1979.
    Bebel, August: Die Frau und der Sozialismus. 2. Nachdruck der 1929 erschienenen Jubiläumsausgabe, Berlin/Bonn 1979.
    Braun, Lily: Die Frauenfrage. Ihre geschichtliche Entwicklung und ihre wirtschaftliche Seite. Nachdruck der 1901 erschienenen 1. Auflage, Berlin/ Bonn 1979.
    Dohm, Hedwig: Emanzipation, Zürich 1977.
    Dohm, Hedwig: Die Antifeministen. Ein Buch der Verteidigung, hrsg. von Arno Widmann, Frankfurt a. M. o.J.
    Popp, Adelheid: Jugend einer Arbeiterin, hrsg. und eingeleitet von Hans J. Schütz, Berlin/Bonn 1980.
    Auch die Schrift eines berüchtigten Antifeministen kann im Unterricht einer ideologiekritischen Analyse unterzogen werden:
    Möbius, Paul J.: Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes, München 1977 (zuerst 1903).

 

  • 1.3 Bildliche Quellen
    Frauenbilder-Lesebuch, hrsg. von der Elefanten Press, Anna Thüne und Rina Olfe-Schlothauer, Berlin 1980 (auch wichtige Textbeiträge!). Frick, Inge, u.a. (Hrsg.): Frauen befreien sich. Bilder zur Geschichte der Frauenarbeit und Frauenbewegung, München 1976.
    Fuchs, Eduard: Sozialgeschichte der Frau. Nachdruck des 1928 in 3. Auflage erschienenen Werkes 'Die Frau in der Karikatur', Frankfurt a. M. 1973. Weber-Kellermann, Ingeborg: Die Familie. Geschichte, Geschichten und Bilder, Frankfurt a.M. 1976.
    Eine Fundgrube sind auch zeitgenössische Zeitschriften, leicht zugänglich in Facsimile-Editionen:
    Hartenstein, Liesel (Hrsg.): Facsimile-Querschnitt durch den Kladderadatsch, München 1965.
    Klüter, Heinz (Hrsg.): Facsimile-Querschnitt durch die Gartenlaube, Bern 1963.
    Luft, Friedrich (Hrsg.): Facsimile-Querschnitt durch die Berliner Illustrierte, München 1965.
    Schütze, Christian (Hrsg.): Facsimile-Querschnitt durch den Simplicissimus, Bern 1963.
    In der Reihe „Die bibliophilen Taschenbücher" sind Nachdrucke von Modezeitschriften und Kochbüchern erschienen.

2.    Darstellungen

Ganz oder in Auszügen im Unterricht verwendbar sind zum Beispiel: Beuys, Barbara: Familienleben in Deutschland. Neue Bilder aus der deutschen Vergangenheit, Reinbek 1980.
Duden, Barbara / Elisabeth Meyer-Renschhausen: Landarbeiterinnen, Näherinnen, Dienstmädchen, Hausfrauen. Frauenarbeit in Preußen, in: Preußen. Zur Sozialgeschichte eines Staates, Reinbek 1981, S. 265-285 (= Preußen. Versuch einer Bilanz, Bd. III).
Mitterauer, Michael / Reinhard Sieder: Vom Patriarchat zur Partnerschaft. Zum Strukturwandel der Familie, 2. Aufl. München 1980.
Heidi Rosenbaum: Formen der Familie. Untersuchungen zum Zusammenhang von Familienverhältnissen, Sozial struktur und sozialem Wandel in der deutschen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, Frankfurt a. M. 1982. Schenk, Herrad: Die feministische Herausforderung. 150 Jahre Frauenbewegung in Deutschland, München 1980.
Weber-Kellermann, Ingeborg: Die deutsche Familie. Versuch einer Sozialgeschichte, Frankfurt a. M. 1974.
Anspruchsvoll, aber der vielleicht beste kurze Gesamtüberblick: Conze, Werner: Sozialgeschichte 1850-1918, in: Hermann Aubin / Wolfgang Zorn (Hrsg.): Handbuch der deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. II, Stuttgart 1976, S. 602-684, dort S. 632-637.
Vorzügliches Primär- und Sekundärmaterial zu einem wichtigen Thema: Müller, Heidi: Dienstbare Geister. Leben und Arbeitswelt städtischer Dienstboten, Berlin 1981 (= Schriften des Museums für Deutsche Volkskunde Berlin, Bd. 6).
Die Auswertung der genannten Literatur macht nur einen Teil der Projektarbeit aus. Sie vermittelt den Schülern jenen Wissenshorizont, der erforderlich ist, um sinnvolle Fragen an selbstgefundenes Material zu stellen. In dem hier beschriebenen Projekt spürten die Schülerinnen und Schüler u.a. folgende Quellen auf, die sie selbständig auswerteten:

  • Fotografien (Familienfotos, Hochzeitsbilder usw.),
  • Dokumente aus Familienbeständen (Gesindebücher, Dienstmädchenverträge, Aussteuerverzeichnisse usw.),
  • Modezeitschriften des 19. Jahrhunderts (in der örtlichen Bibliothek gefunden),
  • zeitgenössische Publikationen: Anstandsfibeln, Kochbücher (etwa das zahlreich verbreitete von Henriette Davidis, das wichtige Aufschlüsse über den Stil bürgerlicher Haushaltsführung gibt),
  • handschriftliche Dorfchroniken.

Einige Gruppen versuchten, sich durch Befragung älterer Frauen ein Bild von vergangenem Alltagsleben zu machen. Besonders beim Thema „Frauen auf dem Lande", zu dem es nur wenige Untersuchungen gibt, die im Unterricht verwendet werden können, erwies sich solche oral history als recht hilfreich.[15]

IV. Bericht

Der Vorschlag, das Thema in Projektform zu bearbeiten, kam vom Lehrer. Der Lerngruppe, 15 Mädchen und 7 Jungen an einem Gymnasium einer oberhessischen Kleinstadt, war diese Art des Unterrichts bis dahin unbekannt. Der Verlauf des Projekts kann in einem stichwortartig ausgefüllten Phasenschema dargestellt werden.

A. Einstiegs- und Planungsphase

  1. Einstiegsgespräch (Textvorlage als Anstoß: Friedrich Schiller, Das Lied von der Glocke [Auszüge]), daraus sich ergebend:
  2. grobe Strukturierung des Gegenstandsbereichs, festgehalten in Form einer einfachen Matrix:[16]

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Hypothesenformulierung zu der Frage, welches Gewicht die einzelnen Bereiche für Frauen aus den unterschiedlichen sozialen Schichten gehabt haben mochten.

3. Planungsgespräch:
Lehrer schlägt Alternative zum gewohnten Lehrgangsunterricht vor: Projektarbeit mit dem Ziel einer Ausstellung, grundsätzliche Zustimmung der Schüler,
Gespräch über Realisierungschancen (die Schüler sprachen sehr schnell die technische Seite einer Ausstellung an), verbindliche Entscheidung für eine Ausstellung. Zugleich wurde vereinbart, einen „Ausstellungskatalog" oder „Reader" mit darstellenden Texten zu erarbeiten. Diese Texte sollten als Ergebnisse der inhaltlichen Beschäftigung mit den Gruppenthemen als erstes geschrieben werden (pro Teilnehmer 3-4 Schreibmaschinenseiten, gruppenweise zu Kapiteln zusammengefaßt); sie sollten dann die Grundlage bilden für die Tafeltexte der Ausstellung.
4. Formulierung von Untersuchungsfragen und Gruppenthemen
5 Bildung von Arbeitsgruppen zu folgenden Themen:

  • Kindheit und Jugend, Erziehung und Ausbildung von Mädchen
  • Frauen auf dem Lande
  • Arbeiterinnen in der (Heim-) Industrie
  • Frauen des Bürgertums (die bürgerliche Hausfrau)
  • Dienstmädchen
  • Hauptströmungen der Frauenbewegung
  • Männliche Ansichten über die „Natur des Weibes"

Die Lage städtischer Industriearbeiterinnen traf bei den Schülerinnen und Schülern auf geringes Interesse; die Gruppe zog es vor, sich auf Näherinnen und Frauen in der Hausindustrie zu konzentrieren.

6. Konstituierung der Gruppen und erstes „brainstorming", gezielte Materialanforderungen an den Lehrer („Wir brauchen Material
zu ...")

B. Erarbeitungsphase I

In Gruppenarbeit innerhalb und teilweise auch außerhalb des Unterrichts werden die Texte für den „Katalog" erarbeitet. Nebenbei werden mögliche Exponate für die Ausstellung gesammelt. Nach Bedarf werden Plenumssitzungen zwischengeschaltet, die unterschiedliche Funktionen haben können:

  • Austausch von Erfahrungen mit Informationsquellen und deren Auswertung (z. B. Gespräch über Möglichkeiten und Grenzen von Interviews),
  • Vorstellung von Zwischenergebnissen durch fortgeschrittene Gruppen,
  • Besprechung von allgemein interessierenden Fragen (z.B. hatten mehrere Gruppen Schwierigkeiten mit Konzepten der historischen Familiensoziologie: große Haushaltsfamilie, Kernfamilie usw.).

Am Ende dieser Phase stehen Schlußredaktion, Vervielfältigung und Besprechung des „Katalogs".

C. Erarbeitungsphase II

Vorbereitung der Ausstellung:

  • Auswahl der Ausstellungsstücke und ihre Herrichtung (Fotoarbeiten, Herstellen von Modellen, Modezeichnungen usw., Aufziehen von Bildern auf Karton),
  • Verfassen und Schönschreiben der Texte (Kommentare, Auszüge aus Quellen, Bildunterschriften, graphische Darstellungen usw.),
  • Aufstellen und Herrichten des Ausstellungssystems (Stellwände, Vitrinen),
  • Aufbau der Ausstellung.

D. Präsentationsphase

Die Ausstellung wird eine Woche lang im Foyer der Schule gezeigt. Zahlreiche  Klassen und Kurse besuchen sie im  Rahmen des Geschichts- oder Sozialkundeunterrichts oder in Vertretungsstunden; Mitarbeiter stehen gelegentlich zu Führungen zur Verfügung. Um die Besucher zu gezielter Aufmerksamkeit anzuleiten, wird ein Quiz, bestehend aus neun scherzhaft formulierten Multiple-Choice-Fragen, vervielfältigt und ausgelegt (1. Preis: ein Kuchen nach „Omas Rezept", also ohne Backpulver gebacken). Auf der Rückseite des Blattes werden die Besucher um Kommentare und Verbesserungsvorschläge gebeten.

E. Auswertungsphase

  • - Lokaltermin vor der Ausstellung mit einem Museumsfachmann,
  • Diskussion über Kommentare der Besucher und über das Echo in der Lokalpresse,
  • Gespräch über das Projekt qua Unterricht (Was haben wir „gelernt"? Ist eine solche Verfahrensweise sinnvoll? Wo liegen ihre Grenzen?).

V. Schlußbemerkungen

Unsere „Handlungen" hatten nach neun Wochen zu folgenden „Produkten" geführt: Es lag ein 87 DIN-A-4-Seiten umfassender „Katalog" vor, für die Ausstellung waren 16 Stellwand-Elemente von 70 cm Breite und eine Vitrine gestaltet worden. Zudem hatte uns der Geschichtsverein des Nachbarortes eingeladen, die Ausstellung in seinen Räumen zu zeigen. (Diese Reprise fand einige Monate später statt.) Soweit die sichtbaren Erträge. Und die unsichtbaren? Hatte es Spaß gemacht? Fand man, daß die Sache sinnvoll gewesen sei? Wußte man nun mehr über Frauen in der Geschichte, über das 19. Jahrhundert? Die Mehrzahl der Schüler bejahten diese Fragen, wenngleich sich bei einigen am Ende des Halbjahres zeigte, daß sie sich eher gleichgültig als enthusiastisch den ungewöhnlichen Anforderungen des Lehrers angepaßt hatten - als einer etwas mühseligen Weise, in einem gemeinhin als „leicht" eingestuften Fach zu Punkten zu kommen.
Noch weniger als aus einer stundenweise durchgeplanten Unterrichtsreihe läßt sich aus einem Projekt eine beliebig konsumierbare Unterrichtsrezeptur herausdestillieren. Zu wichtig sind die Umstände des einzelnen Falles: die Lerngruppe, die Vorbereitungsmöglichkeiten des Lehrers, die Einstellungen von Schulleitung und Kollegen, die Hilfsbereitschaft von Informanten, Leihgebern, des örtlichen Geschichtsvereins (der uns sein Ausstellungssystem lieh). Einige Klippen und Probleme dürften aber bei vielen Vorhaben ähnlicher Art auftreten: die außerordentlichen Schwierigkeiten einer durchsichtigen und gerechten Leistungsbewertung, das unterschiedliche Vermögen und Engagement der einzelnen Arbeitsgruppen, das Aufstellen und Einhalten eines langfristigen Zeitplans, der Austausch von Ideen und Ergebnissen zwischen den Gruppen, die davor bewahrt werden müssen, zu Spezialisten auf allzukleinen Teilgebieten zu werden.
Im Rückblick bestätigt sich jedoch das Grundkonzept: Frauengeschichte als sozialhistorische Forschungsaufgabe im Unterricht der Sekundarstufe II, vom Inhalt her exemplarisch verstanden, von der Form her als Darbietung für eine schulische und außerschulische Öffentlichkeit realisiert.