Zur materiellen Situation der Frau
Einleitende Fragestellung war für mich die Suche nach der Entstehung bürgerlicher Weiblichkeitsbilder, speziell des Mutter-Ideals. Dieses ist dadurch zu kennzeichnen, daß es, mit Natur begründet, immer auch einen wesentlichen Bestandteil des Weiblichen schlechthin auszumachen scheint. Weiblichkeit in der bürgerlich-patriarchalischen Gesellschaft ist definiert durch Eigenschaften, die mit Mutterschaft und Kindererziehung assoziiert werden. Hinter den folgenden Ausführungen stand letztlich auch die Frage nach meiner eigenen Identität als Frau in der jetzigen Gesellschaft. Zur Beantwortung dieser Frage ist geschichtliches Denken unverzichtbar.
Die Suche nach der Genese herrschender Weiblichkeitsbilder ließ mich in eine Zeit zurückgehen, in der eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung erst ansatzweise entwickelt war: in der feudalistischen Gesellschaft. Hier sah ich mich konfrontiert mit dem Bild der strahlenden Jungfrau und Mutter Maria, mit der das Mysterium der Mutterschaft noch fest verknüpft schien, und mit ihrem Kontrastbild, dem der Hexe. Die Frage nach der gesellschaftlichen Funktion dieser Bilder ist nicht nur im Kontext von der Legitimationskrise der katholischen Kirche im hohen Mittelalter zu sehen, sondern allgemein mit dem Entstehungsprozeß der bürgerlichen Gesellschaft in Verbindung zu setzen. Die in ihm sich vollziehenden Machtkämpfe und Krisen lassen sich anhand des Marien- bzw. Hexenbildes und seinen Veränderungen nachvollziehen.
Die Produktionsweise des materiellen Lebens bringt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß innerhalb und vermittels einer bestimmten Gesellschaftsform hervor.[1] So verweist die Frage nach den Ursachen der Produktion bestimmter Weiblichkeitsentwürfe auf die materielle Situation der Frau in der entsprechenden Gesellschaft. Welche Frauen fungieren überhaupt als Vorbilder für bestimmte Weiblichkeitsbilder? Welche Elemente ihres Lebenszusammenhangs bilden das realistische Substrat der Bilder, welche gehen möglicherweise über sie hinaus, sind z.T. frühbürgerliche Utopie? Wie sieht es im Arbeits- und Lebensbereich der Frauen mit Realisierungschancen von Eigenschaften aus, die heute gemeinhin mit Mutterschaft in Verbindung gebracht werden?
Zur materiellen Situation der Frau
Da es inzwischen eine Reihe ausführlicher Darstellungen der Frauenarbeit im Feudalismus gibt, kann ich mich hier auf einen knappen Überblick beschränken, der als Basis für einige Thesen über die Funktion weiblicher Produktivkraft [2] im Zusammenhang mit der Entfaltung der gesamtgesellschaftlichen Produktivkräfte dienen soll. Innerhalb der Villikationswirtschaft (ca. 800-1000) arbeiteten Frauen als Mägde, die im wesentlichen gleiche oder ähnliche Aufgaben wie die Männer derselben Stände zu verrichten hatten. Eine Ausnahme bildete die Gewandherstellung, die als spezifischer weiblicher Arbeitsbereich galt. Sie wurde von den angesehensten Mägden in den Genetien geleistet, in denen die Mägde im Übrigen auch Prostitution betrieben. Der Arbeitsbereich der Frauen, die mit ihrem Mann oder ihrer Familie auf dem Land zusammenlebten, weist demgegenüber keine nennenswerte Spezialisierung auf, wenngleich die Arbeiten im Haus eher von den Frauen verrichtet wurden. Von einem besonderen weiblichen Geschlechtscharakter kann aber noch lange nicht die Rede sein.[3] Lediglich innerhalb des Feudaladels waren die Lebensbereiche von Mann und Frau so stark getrennt, daß sich zum ersten Mal spezifisch >weibliche< Eigenschaften ausbilden konnten. Befreit vom Zwang zur alltäglichen (Re-)Produktion hatten die Frauen dieses Standes im hohen Mittelalter ausreichend Zeit für Bildung und Studien. Um die höfischen Damen herum bildeten sich kulturelle Zirkel, denen u.a. die Minnedichtung ihre Entstehung verdankt. Das entsprechende Weiblichkeitsideal zeichnete sich durch Klugheit, Gelehrsamkeit und Kultur aus im Gegensatz zum (damals) kriegerischen Männlichkeitsbild.[4] In den Städten läßt die Art der Arbeit im aufblühenden Handwerksgewerbe ebenfalls noch keinen wesentlichen Unterschied zwischen Männer- und Frauenarbeit erkennen. Im zünftig organisierten Gewerbe galt, daß Frauen vom 13.-15. Jahrhundert zu allen Handwerken zugelassen waren, die sie in allen Teilen mit der Hand beherrschte.
Die in dieser Regelung immer noch enthaltene Zulassungsbeschränkung betraf allerdings nur selbständige Meisterinnen, nicht weibliche Dienstboten oder mithelfende Familienangehörige. Es gab kein Gewerbe, in dem nicht auch Frauen arbeiteten, sogar im angeblich »typisch männlichen' Metallgewerbe und im Bierbraugewerbe (z. B. in Frankfurt). Die Existenz reiner Frauenzünfte fand sich besonders in der Textilproduktion, doch gehörte zum Vorstand immer auch ein Mann, um die Zunft nach außen zu repräsentieren.
Es ist anzunehmen, daß die meisten Frauen, die im Zuge der Versorgungskrise [5] in die Städte zogen, dort zunächst vorwiegend im freien Gewerbe arbeiteten und daß der Zunftzwang erst über sie verhängt wurde, als ihre Arbeit für die in den Zünften organisierten Männer eine ernst zu nehmende Konkurrenz darstellte. Die Aufnahmebedingungen für Frauen waren recht ungünstig, da die Zünfte zu Anfang reine Männerbünde waren. Den Rang einer selbständigen Meisterin erlangten die Frauen zunächst nur über das Witwenrecht. Die Gründung von eigenen Frauenzünften erfolgte eigentlich erst im 13. Jahrhundert. Bis dahin sind selbständige Meisterinnen selten.
Die mit einem Meister verheiratete Frau nahm an den Rechten ihres Mannes nur indirekt teil. Zu ihrem Aufgabenbereich gehörte die Betreuung von Lehrlingen und Gesellen, d.h. sie hatte für Kost, Logis und die Instandhaltung der Kleidung zu sorgen.
Diese Arbeit kann als Vorform der privaten Hausarbeit mit der Hinwendung zu reproduktiven Arbeiten, Dienstleistungen an Mann und Kindern bzw. Gesellen, Lehrlingen und Mägden gelten. In der Stadt verstärkt sich die Tendenz, die Frau auf (psychisch) reproduktive Funktionen zu reduzieren. Produktive Arbeit im Sinn von Warenproduktion wurde der Frau in diesem Prozeß sukzessive entzogen, so daß der Markt immer mehr zum männlichen Terrain werden konnte.[6] Bis dahin sollte jedoch noch einige Zeit vergehen. Vorerst wurde der Kleinhandel zu großen Teilen von Frauen betrieben, insbesondere der Vertrieb von Arznei- und Zaubermitteln.
Im Fernhandel traten Frauen dagegen kaum in Erscheinung. Handelsreisen wurden im allgemeinen für sie als zu gefährlich angesehen, da sie im Umgang mit der Waffe nicht geübt waren. Ökonomisch scheinen sie in diesem Bereich keine wesentliche Rolle gespielt zu haben. Ihre Situation war wegen der engen verwandtschaftlichen Verflechtung von Fernhandel und Adel vermutlich ähnlich der Position von adeligen Frauen:[7] Ausgestattet mit kostbaren Kleidern und andern Reichtümern, beschränkte sich ihre Arbeit auf Repräsentationsfunktionen.
Während die Art der Arbeit nur wenige geschlechtsspezifische Unterschiede erkennen läßt, sieht es auf der Ebene der Machtstrukturen und gesellschaftlichen Einflußmöglichkeiten schon anders aus: Abgesehen davon, daß Frauen als Mägde, Lohnarbeiterinnen und unbezahlte mithelfende Familienangehörige in nahezu allen Arbeitsbereichen anzutreffen waren, in einflußreicheren Positionen, z.B. als selbständige Meisterin oder im Fernhandel dagegen nur selten, schränkten eine Reihe von diskriminierenden Gesetzen ihre Produktivität ein. Erinnert sei hier an die Mund-Gewalt [8] und an die Sitte des >Ehehelfers<, die verdeutlichen, welchen Stellenwert der Körper der Frau als Instrument in der Hand des Mannes zur (Re-)Produktion von Nachkommen bereits hatte. Das >Jus primae noctis<, der Gebrauch von Keuschheitsgürteln und die Existenz von Prostitution in den Genetien, besonders aber später als öffentliches, z.T. zünftisch organisiertes Gewerbe in den Städten [9] weisen auf die generelle Ausbeutung des weiblichen Geschlechts als Sexualobjekt hin. Wo jedoch weibliche Sexualität käuflich ist, ist die Frau bereits zum Objekt degradiert, und zwar nicht nur zum Sexualobjekt.
Ihr Status als Objekt und ihre geringen politischen Einflußmöglichkeiten trugen dazu bei, daß sich die Situation der Frauen in der Krise von Handel und Handwerk im 16. Jahrhundert [10] stark verschlechterte. Bekanntlich wurde nun die sog. weibliche Konkurrenz aus dem selbständigen Handwerk ausgeschlossen, so daß die Frauen bis zum 17./18. Jahrhundert fast vollkommen aus diesen Bereichen verdrängt waren. Die einzigen Erwerbstätigen, denen in der Neuzeit der Kampf nicht angesagt wurde, waren Lohn- und Hilfsarbeiterinnen. Zwar verschwanden die Frauen mehr und mehr aus den selbständigen Gewerben, wurden nun aber zu abhängigen Arbeiterinnen degradiert: Da der größte Teil von ihnen weiterhin auf einen Verdienst angewiesen war, ließ sich die bezahlte Frauenarbeit nicht abschaffen. Die vom Handwerk >frei< werdenden weiblichen Arbeitskräfte wurden zusammen mit Fahrenden, Prostituierten und Bettlern oft mit brutalem Terror in die neu entstehende Manufaktur- und Verlagsproduktion gedrängt, deren Anfänge zum überwiegenden Teil auf Frauenarbeit basieren.[11] Hier wiederholt sich nun ein Prozeß, der bereits bei der Entstehung der Städtewirtschaft festzustellen war: Die jeweils neue Produktionsweise und die entsprechenden Produktionsverhältnisse setzten sich exemplarisch zuerst mit und an der weiblichen Arbeitskraft durch. Ich vermute, daß dies nicht ausschließlich auf den Frauenüberschuß im 11. Jahrhundert bzw. nach dem Dreißigjährigen Krieg zurückzuführen ist, also nicht nur auf die zur Verfügung stehende Quantität der Frauenarbeit, sondern auch auf deren spezifische Qualität. Aufgrund des Ausschlusses weiblicher Produktivkraft aus gesellschaftlich-ökonomischen Herrschaftsbereichen (aus dem Fernhandel, seit dem 15. Jhd. aus dem selbständigen Handwerk) blieb sie von diesen Sphären relativ unabsorbiert.[12]
Charakteristisch ist ja gerade, daß die Frauenarbeitskraft vor allem in unterprivilegierten Positionen anzutreffen war, sozusagen an der Basis der jeweiligen Produktionsbereiche, hier aber in großer Zahl. Die alltägliche (Re-)Produktion wäre ohne Frauenarbeit gar nicht denkbar gewesen. Doch es waren Männer, die diese Arbeit zu beherrschen und kontrollieren suchten; das läßt sich nicht leugnen, auch wenn die kaum vorhandenen geschlechtsspezifischen Trennungen der Arbeitsbereiche als 'idealere' Zustände im Vergleich zu bürgerlichen erscheinen mögen. Ich vermute, daß die Angleichung der weiblichen Arbeitskraft an die sich durchsetzenden, neuen Produktionsverhältnisse einfacher möglich war als die der männlichen, weil relative Flexibilität und Formbarkeit Eigenschaften des weiblichen Arbeitsvermögens darstellten. Dies dürfte m. E. daraus resultieren, daß die weibliche Arbeitskraft von den (zuvor) herrschenden Produktionsbereichen wenig absorbiert, bzw. von ihnen ausgeschlossen wurde, sobald sie sich in ihnen etabliert hatte oder/und den Männern zur Konkurrenz geworden war. Es bleibt zu überprüfen, inwieweit sich die je neue Funktionalisierung und Dequalifizierung der menschlichen Arbeitskraft jeweils exemplarisch an und mit der weiblichen Arbeitskraft als Avantgarde der ökonomischen Umwälzungen durchsetzte und warum dies ausgerechnet in historischen Situationen geschah, in denen mehr weibliche als männliche Arbeitskräfte zur Verfügung standen, sei es durch den Ausschluß von Frauen aus zuvor ökonomisch bedeutsamen Produktionsbereichen (Auflösung der Genetien um 1000 / Ausschluß aus dem Handwerk seit dem 15. Jhd. / Auflösung von Manufaktur- und Verlagsproduktion im 18./19. Jhd.), sei es durch die Dezimierung der männlichen Bevölkerung z. B. infolge von Kriegen.[13]
Konstitutiv für die o.g. Prozesse sind die jeweils existierenden Herrschaftsverhältnisse. Mit der Herrschaftsausübung verbindet sich zugleich die bange Frage, was mit dem unterdrückt gehaltenen, zwar irgendwie an der Basis der gesellschaftlichen Produktionen existenten, jedoch nicht so eindeutig faßbaren, nicht klar definierten weiblichen Produktionspotential eigentlich geschieht. Dies ist immer auch eine Frage nach dem Widerstandspotential von Frauen gegen patriarchalische, feudalistische bzw. frühbürgerliche Ausbeutung ihrer Arbeitskraft und ihres Körpers14. Immer lebt im herrschaftsausübenden Subjekt - aufgrund der historischen Entwicklung bisher ein männliches - die Angst vor der Rache des unterdrückten Objekts weiter, die z. B. im neuzeitlichen Hexenbild manifest wird.
Die Frage nach den Realisierungsmöglichkeiten weiblicher Produktivkraft im Feudalismus ist aber noch nicht ausreichend beantwortet. Frauen wurden/werden ja nicht nur von herrschenden Produktionsweisen direkt, meist an deren Basis subsumiert, es bleibt noch der Bereich der indirekten Subsumtion: der der physischen und psychischen Reproduktion der Arbeitskraft. Ich greife im Zusammenhang meiner Suche nach Anfängen des Mutterbildes den Bereich der Mutter-Kind-Beziehung in vorbürgerlicher Zeit heraus.
Seit den Untersuchungen von Philippe Aries ist bekannt, daß Kindheit als besonders zu beachtende Existenzform zu dieser Zeit noch nicht existierte. Da Mutterschaft/Mütterlichkeit und Kindheit korrelierende Begriffe sind, ist anzunehmen, daß eine spezielle Verantwortung nur von Frauen für Kinder, abgesehen von der ans Stillen gebundenen Kleinkindpflege, nur wenig ausgeprägt war.
In der Literatur wird häufig die Gleichgültigkeit der Frauen gegenüber dem Tod der Kinder erwähnt. Sie kann mit der hohen Kindersterblichkeit infolge von Hungersnöten und Seuchen, aber auch von mangelnder Pflege und Hygiene besonders während der Erntezeit erklärt werden. Kindern kam im allgemeinen wenig Beachtung zu, sie waren des Andenkens nach ihrem Tod nicht würdig, ja er wurde sogar vor allem von der abhängigen Landbevölkerung als Segnung empfunden. Aus dieser Bevölkerungsgruppe, auf der ein enormer Abgabendruck lastete, schickten viele die überlebenden Nachkommen, sobald es ging, auf Wanderschaft, damit sie sich in reicheren Haushalten als Magd, Diener oder Lehrling verdingen konnten.
In einem solchen Klima konnte keine Mutterliebe im bürgerlichen Sinne gedeihen, die Zuwendung, die Frauen ihren Kindern entgegenbrachten, war vergleichsweise gering und beschränkte sich im wesentlichen auf die Säuglingspflege. Doch auch von diesen Anforderungen versuchten sich die Frauen immer wieder zu befreien: Kleinkinderernährung mit fremder Nahrung wurde schon seit der Antike praktiziert. Stillen war nicht sehr beliebt und galt beispielsweise in England noch bis ins 17. Jahrhundert hinein als unwürdig.
Frühestens im 17. Jahrhundert zeichnete sich ein Prozeß des Umdenkens ab, und zwar zuerst bei Frauen der französischen Aristokratie. J. J. Rousseau griff ihn auf und brachte ihn später in seinem Buch >Emile oder Über die Erziehung< deutlich als Forderung an alle Mütter zum Ausdruck.[16] Dagegen ist beim Volk eine umgekehrte Tendenz festzustellen: Während es früher vor allem Handwerksfrauen gewesen waren, die als Ammen der Reichen ihre Brüste verkauft hatten, schickten jetzt diese Frauen ihrerseits die Kinder zu Ammen aufs Land. Erst im 19. Jahrhundert wurden Ammen, meist ledige Mütter, in den bürgerlichen Haushalt genommen.
Zu dieser Zeit scheint sich das Stillen in Frankreich allgemein durchgesetzt zu haben, so daß Edward Shorter von einer >Revolution der Mutterliebe< sprechen kann.[17] Deren andere Seite ist allerdings, daß im 19. Jahrhundert auch die Kindermordziffer aufgrund der zunehmenden Unvereinbarkeit von Kindererziehung mit z.T. unmenschlichen Arbeitsbedingungen von Dienstbotinnen und Fabrikarbeiterinnen anstieg.
Auffällig ist seit dem 18. Jahrhundert die Verbindung von Stillen und Mutterliebe, d.h. die Sorge um das Wohlergehen des Kindes. Jetzt war das Stillen keine nur notwendige Tätigkeit zur Verhinderung der Kindersterblichkeit mehr, sondern ein Indiz für die wahre Mütterlichkeit, Weiblichkeit, sogar Heiratsfähigkeit. Nur >bequeme<, >faule< Frauen stillen nicht - so äußerten sich die Ärzte des 19. Jahrhunderts. Einer von ihnen stellte sogar 1820 fest, daß >ein Gefühl der Sanftheit, ein glücklicher Geist< überall in Familien herrsche, in denen Mütter selbst stillten, und dies ginge Hand in Hand mit >ehelicher Zärtlichkeit<18. Ähnliches zeichnete sich bei den Wickelgewohnheiten ab: Zunächst war das Steckwickeln während des ganzen Mittelalters allgemein gebräuchlich, in einigen ländlichen Gegenden sogar bis ins 19. Jahrhundert.
- >Eine Befreiung des Kindes aus seinem Wickelgefängnis wäre gleichbedeutend mit einer Befreiung zur Interaktion mit einer auf neue Weise spielenden Mutter<.[19]
Ein solcher Freiraum zur Interaktion mit dem Kind entstand, ähnlich wie der zum Stillen, zunächst innerhalb der Aristokratie in Frankreich. Hier begann seit dem 18. Jahrhundert die Abschaffung des Steckwik-kelns. Die Veränderungen in den Still- und Wickelgewohnheiten zeigen die wachsende Bedeutung der (frühkindlichen) Erziehung, der Mutter-Kind-Beziehung und damit zusammenhängend die zunehmende Wichtigkeit von >mütterlich-weiblichen< Eigenschaften. Indem die Frauen vom 19. Jahrhundert an durch das Stillen der Kinder und die Beschäftigung mit ihnen zugleich ihre Befähigung zur ehelichen Zärtlichkeit, zur Hausarbeit und Weiblichkeit schlechthin demonstrieren mußten, leisteten sie zwangsläufig den Verzicht auf eine eigenständige bezahlte Arbeit. Mutterschaft und Beruf ließen sich immer weniger vereinbaren, seitdem die Erziehung des Kindes eine größere Bedeutung erlangt hatte. Durch die Herausdifferenzierung geschlechtsspezifischer Arbeitsteilungen, die Frauen auf die Arbeit am Kind festlegten, wurden sie zugleich reduziert auf ein ganz bestimmtes Verhaltensrepertoire.
>Die Frau wird nicht mehr durch ihr Arbeitsvermögen, sondern durch ihr Liebesvermögen, ihre emotionalen Fähigkeiten bestimmt<.[20]
Solche oder ähnliche Definitionen von Weiblichkeit entsprachen jedoch noch gar nicht dem Charakter der Mutter-Kind-Beziehung bis in die Neuzeit. Die Gesamtheit der weiblichen Produktivkraft war noch kaum durch >mütterliche< Arbeiten am Kind beansprucht, wie ein Blick über die geschlechtsspezifischen Arbeitsteilungen und Frauenarbeit vom frühen Mittelalter bis zum Frühkapitalismus beweisen sollte. Es stellt sich nun die Frage, was mit der unterdrückten, aus der Sicht der Gesellschaft gesehen von herrschenden Bereichen relativ unabsorbierten weiblichen Produktivkraft passiert. Eine These dazu lautet, daß sie nicht nur ökonomisch direkt und indirekt im engeren Sinne ausgebeutet wurde, sondern auch auf andere Weise: Sie diente selber als ein Absorbtionsfaktor der Produktivkraft der Männer zugunsten der Herrschenden.[21]
Sehr grob veranschaulicht: Die Wunschproduktionen der unterdrückten Männer richten sich auf die Produktivkraft der Frau, verkörpert durch den weiblichen Körper als eine Art >Wunschterritorium<. Die Frau erhält in diesem Mechanismus die niemals wirklich zu lösende Aufgabe, den Wünschen des Mannes zu entsprechen, denn >was der Mann zu besitzen wünscht, ist das, was er nicht ist<.[22] Das weist zunächst darauf hin, daß sich innerhalb der Beziehung des Mannes zur Frau seiner eigenen Klasse ein Mangel herstellt, der ständig erhalten bleibt, während dem auf Seiten der Frau (neben dem ebenfalls empfundenen Mangel, nicht als konkrete, reale Person geliebt zu werden) permanente Schuldgefühle entsprächen. Zum herrschaftsabsichernden Sinn dieses Teufelskreises gehört, daß der Wunsch des Mannes niemals wirklich in Erfüllung gehen kann, denn an seine Befriedigung könnten sich andre Wünsche anschließen. Endlich könnte ein allem zugrundeliegender Wunsch sichtbar werden, nämlich der nach der Aufhebung von jeglicher Herrschaft. Ein Bestandteil der ideologischen Absicherung von Herrschaft durch weibliche Produktivkraft ist daher u. a. die permanente Verhinderung von Wunscherfüllungen. Aus diesem Grunde eignen sich gerade die Frauen der herrschenden Männer vorzüglich zum >Wunschterritorium<, das, obwohl immer lockend, nie >betreten< werden kann. Der Superlativ aller möglichen reizvollen Frauengestalten ist im hier untersuchten Zeitraum die Gestalt der heiligen Maria, deren Menschenferne sich in diesem Zusammenhang geradezu aufdrängt.
Das Bild der Maria
Das Bild der Maria tauchte in der Dogmengeschichte der Kirche erst nach dem Zerfall der eschatologischen Hoffnung der frühen Christen, also etwa vom 2. Jahrhundert n. C. an in einigen symbolischen Formulierungen auf. Seit dem 4. Jahrhundert wurde ihr Kultus weiter ausgebaut,[23] doch machte ihre Verehrung im Abendland zunächst nur mäßige Fortschritte. Zwar kannte die vorkarolingische Zeit Maria als Patriotin von sechs Bistümern, jedoch von einer allgemeinen Marienverehrung kann noch lange nicht die Rede sein.
- >Man dachte an die Maria und hörte die Legenden über ihre Jugend und den Ausgang ihres Lebens, aber man verehrte sie nicht<.[24]
Die Schwierigkeiten bei der Durchsetzung des Marienkultes weisen auf allgemeine Probleme bei der Missionierung der Landbevölkerung hin. Sie schritt nur sehr schwerfällig voran, denn dem Alltagsleben der noch direkt von der Natur abhängigen, agrarisch produzierenden Menschen muß der Glaube an einen einzigen, abstrakten männlichen Gott sehr fremd gewesen sein. Erst der Übergang von der Produktrente zur Geldrente, die Ausdehnung der Geldwirtschaft und der Warenproduktion seit der Entstehung der Städtewirtschaft bewirkten Abstraktionen und Verallgemeinerungen im Bewußtsein, die das Christentum der Bevölkerung plausibler erscheinen ließen.
Der vor diesen tiefgreifenden gesellschaftlich-ökonomischen Umwälzungen noch existierende Widerspruch zwischen der abstrakten christlichen Glaubenslehre und dem Alltagsbewußtsein der Agrarproduzenten konnte von Seiten der Kirche nur durch eine Integration und Assimilation vorchristlicher, abergläubischer Elemente überwunden werden. Zahlreiche Beispiele von Marienwallfahrtsorten an Bäumen und Quellen, an denen das Volk offensichtlich noch bis ins hohe Mittelalter vorchristliche Fruchtbarkeitsgöttinnen verehrte, bestätigen dies. Auch die von den Priestern zur Veranschaulichung der abstrakten Glaubenssätze benutzten Legenden standen selbst an der Grenze zum Aberglauben, vor allem, wenn sie zum Ziel hatten, das Rätsel der >unbefleckten Empfängnis< und der >Jungfrauengeburt< in die ungläubigen Köpfe der Landbevölkerung hineinzupredigen. Denn gerade das im Marienkult entfaltete Jungfrauenideal stand nicht nur im krassen Gegensatz zur natürlichen Erfahrung, sondern auch zur sinnenfreudigen Haltung
der Geschlechter auf dem Lande, die vielfach belegt wurde.[26]
Doch nicht nur einzelne abergläubische Elemente des Marienkultes, die auch innerhalb der Kirche Widerspruch provoziert haben (Thomas von Aquin wandte sich z.B. noch im 13. Jhd. gegen den Gebrauch von Wundergeschichten in Predigten), veranschaulichen die Probleme bei der Missionierung der germanischen Landbevölkerung bzw. den Widerstand der Bevölkerung gegen die Übernahme des Christentums.[27]
Der Marienkult selbst ist als ein Zugeständnis an vorchristliche Glaubensinhalte zu werten und als Eingeständnis der kirchlichen Ohnmacht gegenüber der Attraktivität vorchristlicher Fruchtbarkeitsreligionen. In der Marienverehrung sollte dem Anbetungsbedürfnis der Landbevölkerung ein Ersatz für die lange verehrten, durch das Christentum mit den andern Naturgottheiten entthronten weiblichen Göttinnen gegeben werden. Der ambivalente Charakter der weiblichen Gottheiten, ihre Macht zur Spende von Leben und Fruchtbarkeit und zu Tod und Vernichtung übertrug sich auf die Darstellung der frühen Madonnengestalten.
Maria wurde in karolingischer Zeit häufig thronend mit Zepter und Krone dargestellt, das Kind auf dem Schoß, beide in frontaler Ansicht. Diese Madonnen haben meist noch einen Respekt erwartenden, abweisenden Ausdruck von mystischer Unnahbarkeit, wie er den Kunstproduktionen der autoritären byzantinischen Hofkultur zueigen war. Marias Züge sind einfach, noch gar nicht mild >weiblich<, ihre Haltung ist die einer Herrscherin, ähnlich der von Königen. Das Fehlen der Mutterliebe, zärtlicher Beziehung zum Kind und Mütterlichkeit, der Mangel dieser >weiblichen< Eigenschaften, die real im Lebenszusammenhang der Frauen noch kaum entfaltet werden konnten, wird an diesen archaischen Muttergottesgestalten sichtbar. Eine der frühesten Darstellungen, die eine schwache Beziehung zum Kind andeutet, ist die >Essener Goldmadonna< aus dem 10./11. Jahrhundert, doch auch hier kann von einer Mutter-Kind-Idylle noch längst nicht die Rede sein. Die romanischen Maria-Christus-Figuren verweisen in ihrer Starrheit und Blockhaftigkeit nicht aufeinander, sondern eher auf einen jenseitigen göttlichen Plan, der nach der theologischen Auffassung der damaligen Zeit in allem Gegenständlichen und Irdischen enthalten ist. Dementsprechend archaisch, unheimlich und mächtig wirkt auch die Essener Maria-Kind-Gestalt, so daß der am bürgerlichen Schönheitsideal orientierte männliche Blick sie als >von geradezu abschreckender Häßlichkeit< wahrnimmt.[28]
Freundlichere, weniger herrschaftliche Züge erhielt Maria zunächst in der Literatur des 11.-12. Jahrhunderts. Bis zum 13. Jahrhundert waren die zuvor existierenden Ungleichzeitigkeiten in der Kunstentwicklung überwunden, und Europa erlebte nun eine wahre Marienepidemie: Nun entstanden die meisten Wallfahrtsorte; Maria geweihte Klöster schossen wie Pilze aus dem Boden; es fand eine wahre Inflation von Ehrentiteln und wunderbaren Marienvisionen statt, von unglaublichen Bekehrungen und Erlösungen, von denen man sich erzählte. Eine charakteristische Darstellung, die seit dieser Zeit beliebt wurde, ist die sogenannte Schutzmantelmadonna. Sie deutet eine neue Rolle Marias als Mittlerin zwischen Gott und dem sündigen Menschen an. Die Reinheit, Güte und Barmherzigkeit der Jungfrau Maria sollte im Gegensatz zur Verweltlichung des Klerus die Wirksamkeit der Fürbitte bei Gott garantieren. Das veränderte Marienbild und seine massenhafte Verehrung weisen auf eine neue Erlösungsfrömmigkeit, auf ein Bedürfnis nach Erneuerung und Heilsgewißheit hin, das für die Kirche, sofern es in den überall erstarkenden Ketzerbewegungen ausbrach, zur Bedrohung werden mußte. Dieser neue Trend ging vom städtischen Bürgertum aus, ebenso die neue Marienlehre als einer seiner Bestandteile. Dem kriegerischen Adel des frühen Mittelalters lag die Verehrung einer Frauenfigur ebenso wie die neue Erlösungssehnsucht fern, und die Bauern huldigten neben dem Christentum und gegen es gerichtet weiterhin eher ihren archaischen Fruchtbarkeitsgöttinnen und Dämonen. Der neue, von den Städten ausgehende Erlösungstrend ließ aber eine ungebrochene Verehrung von alten Vegetationsmüttern nicht mehr zu und führte zur Überformung heidnischer Gottheiten im Sinne des Christentums. Als entsprechend geeignetes Objekt der Anbetung erwies sich Maria.
Die Marienverehrung erscheint vor diesem Hintergrund eher als ein Phänomen, das sich mit dem Aufblühen der mittelalterlichen Städtewirtschaft und -kultur ausbreitete. Sie ist im Zusammenhang zu sehen mit dem erstarkenden Selbstbewußtsein des Bürgertums und mit seinem Einfluß auf das bis dahin streng gehütete Bildungsmonopol der katholischen Kirche. >Die Verehrung der Gottesmutter paßte zu den neuen Bedürfnissen und zum Zeitgeist<, gibt selbst ein dem Katholizismus verbundener Kirchenhistoriker zu.[29]
Die Marienverehrung wurde anfänglich nicht von der Feudalkirche getragen, sondern von den Armutsbewegungen und Reformorden, die zunächst selbst in die Nähe zur Ketzerei geraten waren, bis sich ihre Nützlichkeit für die kirchliche Inquisition herausstellte. Seit dem 10./11. Jahrhundert wurde die Marienverehrung offiziell von der Kirche assimiliert und entfaltet und führte im Extremen zur übertrieben schwülstigen Madonnenmystik, die den zölibatär lebenden Priestern auch eine Kompensationsmöglichkeit ihrer sexuellen Unterdrückung geboten haben mag.[30]
Die zunehmende ökonomische Bedeutung des Bürgertums beeinflußte die Darstellungen Marias in Richtung auf einen noch vorsichtigen, widersprüchlichen Naturalismus. Zwar erschien sie immer noch eher als himmlisches Wesen in verklärter Menschlichkeit, doch ihr Äußeres orientierte sich bereits am gotischen Schönheitsideal. Wenn man die Kleidung und Haltung gotischer Madonnengestalten untersucht, z.B. die goldenen Spangen am Mantel als >Abzeichen der Ehrbarkeit<, Schleier, Krone, Goldschmuck usw.,[31] wird deutlich, daß die Damen der höfischen Gesellschaftskreise als Modelle der Madonnengestalten fungierten. Allerdings waren diese Damen >bei weitem nicht so modisch herausgeputzt wie einige Madonnen<.[32]
Der noch vorsichtige gotische Naturalismus wurde in der Renaissance weiter entwickelt und führte u. a. zur Herausstilisierung von >Weiblichkeit< an den Madonnenfiguren. Maria war als vornehme Dame, als königliche Jungfrauen- und Mutterfigur weiterhin freundlich und lächelnd, dies aber >nicht ohne Koketterie<.[33] Ihr Bild wurde im ausgehenden Mittelalter vorsichtig sexualisiert und glich sich damit noch einmal der höfischen Mode an, die z.T. offen erotische Absicht ausdrückte.[34] Man erkennt hier eine Tendenz wieder, die Frauen allgemein zu Sexualobjekten gemacht hat. Selbst Maria, die Mutter Gottes, blieb davon nicht ganz verschont - ein erstes Indiz ihrer Säkularisierung. Sie verlor immer mehr ihre Übermenschlichkeit.
>Die Vornehmheit in Haltung und Gesichtsausdruck wurde bürgerlich. .. Maria zeigt sich nicht mehr in hoher Würde auf einem königlichen Throne, sondern ist zu einer sorgsamen Mutter geworden ...<<.
Auch ihre Kleidung, z. B. Mieder, Brustlatz und Hauben, näherte sich derjenigen bürgerlicher Frauen an, ein Ausdruck der fortschreitenden Säkularisierung Marias. Das entsprach ganz dem Bewußtsein der Renaissance, die Kunst mit bürgerlich-weltlichen Motiven anzufüllen und selbst Marias Leben im bürgerlichen Alltag stattfinden zu lassen.
Das heißt: Man produzierte Abbildungen von Maria und Kind oder vor allem von Maria und ihrer Mutter Anna, deren Kultus an die Seite, der Marienverehrung trat,[36] häufig nach dem Vorbild bürgerlicher Handwerksmeisterfrauen, in deren Arbeitsbereich sich bereits eine Vorform der modernen Hausarbeit fand.
Zur zunehmenden Sexualisierung der Madonnengestalten, zur Betonung ihrer Weiblichkeit gehörte die fortschreitende Verniedlichung ihrer Gesichtszüge, die denen des Kindes immer ähnlicher wurden. An den Mariengestalten können wir nicht nur die Geschichte der Kindheit als besondere Existenzform feststellen, sondern auch die Entstehung von >Weiblichkeit< als dem der Kindheit ähnliche. Die Domestizierung von >Weiblichkeit< im historischen Prozeß, die Festschreibung der Frauen auf einen unterdrückten gesellschaftlichen Status, der die >Schwachheit< des weiblichen Geschlechts impliziert, zeigt sich in der Verfeinerung der Gesichtszüge der Madonnen.
>Auch die in der Geschichte des Patriarchats ranghöchste Frau, die es je gegeben hat, Maria, die ,Muttergottes', wurde in das unausgewachsene, unausgeprägte Kindchenmuster, das Köpfchen meist schräg haltend, oft lächelnd, mit völlig passivem, leicht verblödeten Ausdruck gepreßt<.[37]
Im scheinbaren Gegensatz zur Säkularisierung der Mariendarstellungen steht die Tabuisierung der Geburtsszene. Maria kniet zumeist vor dem auf unbegreifliche Weise ins Leben getretenen Christuskind und wird im Gegensatz zu früheren Darstellungen nicht mehr als Gottesgebärerin oder Wöchnerin gezeigt. Die Geheimhaltung des Geburtsvorgangs korrespondiert mit der vorrückenden Scham- und Peinlichkeitsschwelle im Entstehungsprozeß der bürgerlichen Gesellschaft. Mit dem ausgehenden Mittelalter rückte die Frage der >unbefleckten Empfängnis< in den Mittelpunkt der theologischen Spekulationen. Nicht nur Jesus, auch seine Mutter sollte als attraktives Aushängeschild der Gegenreformation ohne Sünde ins Leben getreten sein. Den Aufgaben der Gegenreformation, mithilfe der Kunst für den Katholizismus zu werben, wurde allerdings erst das Barock mit seinen oft überladenen, aufdringlichen Bildinhalten und bewegten, aufwühlenden Linien gerecht.[38]
Einfache Marienstatuen und schlichte Abbildungen befriedigten nicht mehr, >weil sie zu wenig Effekt machten und zu wenig Affekt äußerten<.[39] Man fügte lebhaft bewegte Engel und Putten, Wolken und andere effektvolle Dinge, Mariensymbole oder auch kirchliche Autoritäten in Mariendarstellungen ein. Jetzt waren es im bürgerlich-partriarchalischen Sinne >schöne< Frauengestalten, die modisch und reizvoll eingehüllt in kostbare Kleider sinnig lächelnd für den Katholizismus warben.
Vergleichen wir diese strahlenden Frauengestalten oder auch die zurückhaltenderen Schönheiten der Gotik mit der materiellen Situation der Frau in der entsprechenden Zeit, so wird deutlich, daß insgesamt ein madonnenähnlicher weiblicher Sozialisationstyp, gekennzeichnet durch >weibliches<, zartes, oft kokettes Aussehen, durch Empathie, Liebesfähigkeit und Demut, noch kaum existierte, sieht man von den wenigen Frauen der aristokratischen Herrschaftskreise einmal ab. Die Frage, warum Maria nach diesen für fast alle Männer so schwer erreichbaren und doch anscheinend so heftig begehrten Vorbildern geprägt wurde und nicht etwa nach dem der harten Realität entsprechenden Frauentyp, möchte ich nicht allein mit der Tatsache beantworten, daß die Kultur im Mittelalter das Monopol des Klerus war, der wiederum die Herrschaft des Adels ideologisch absicherte; Maria bot sich als das Wunschterritorium par excellence an, auf das sich herrschaftsbedrohende Wünsche richten konnten, die sich dann in himmlische Regionen verflüchtigten.
Es stellt sich die Frage, warum die Errichtung des >Wunschterritoriums Maria< von Seiten der katholischen Kirche ausgerechnet vom 12. Jahrhundert an notwendig wurde und im 13. Jahrhundert die Glanzzeit der Marienverehrung hervorbrachte. Gegen welche revolutionären Wünsche war es gerichtet?
Diese Fragen verweisen auf die Legitimationskrise der katholischen Kirche seit dem 11. Jahrhundert, verursacht durch das Erstarken verschiedener Ketzerbewegungen, die insgesamt zum Zweifel an der heilsvermittelnden und kulturverwaltenden Autoritätsstellung der Kirche führten.
Obwohl strukturelle Gleichheiten der Sekten bestanden (z. B. bezüglich der Berufung auf das Urchristentum, der Ablehnung kirchlicher Sakramente, einer mehr oder weniger radikalen Ablehnung feudalistischer Eigentumsverhältnisse und bezüglich einer rationalistischen Ausrichtung, die sich etwa im radikalen Biblizismus zeigte), muß etwa vom 14. Jahrhundert an zwischen einer bäuerisch-plebejischen und einer bürgerlichen Ketzerei unterschieden werden.[40] Die erste stand häufig in Verbindung mit einem Aufstand und ging in ihren Inhalten meist weiter als die bürgerliche, indem sie die Herstellung christlicher Gleichheit für die ganze Gesellschaft forderte. Diese Sekten übten die denkbar schärfste Kritik an den feudalistischen Eigentumsverhältnissen.
Da die Kritik sich aber regelmäßig ins Religiöse verflüchtigte, erschien die Befriedigung des halb bewußten Wunsches im Religiösen erreicht, während die realen Herrschaftsverhältnisse unangetastet blieben. Hier drückt sich die Ahnung der für die unteren Volksschichten bestehenden Unmöglichkeit aus, die Gesellschaft nach ihren Bedürfnissen umzugestalten, denn die sich ökonomisch und politisch emanzipierende Klasse war das Bürgertum.
- >Die Antizipation des Kommunismus durch die Phantasie wurde in der Wirklichkeit eine Antizipation der modernen bürgerlichen Verhältnisse<.[41]
Die historische Aussichtslosigkeit einer gesellschaftlichen Umwälzung im Sinne der Bauern, Plebejer und Handwerker bei gleichzeitiger Fortexistenz ihrer tiefen Unzufriedenheit mit den feudalistischen Verhältnissen ist einer der Gründe für die Flucht der Sekten in die Mystik. Doch man sollte sich von der Mystik der Sekten nicht über ihren Rationalismus täuschen lassen, denn:
- >all das, was für die Kirche irrationalistisch begriffene Voraussetzung ihrer Herrschaft ist, wird von den Sekten rücksichtslos der Prüfung durch die Ratio unterzogen und zerstört<.[42]
Die nun überall, besonders in den Städten erstarkende Ketzerbewegung war eine grundsätzlich revolutionäre Bewegung, deren Antizipation bürgerlicher Vernunft und Rationalität ein utopisches Element zum Inhalt hatte. Einige Riten, Praktiken und Lebensformen neumanichäischer Sekten beinhalteten konkret ein Stück Utopie. In ihnen äußerte sich eine Art >sinnlicher Widerstand<,[43] am sichtbarsten z. B. im Libertinismus der >Brüder und Schwestern zum freien Geiste<. Die Sektenbewegung bot den Frauen eine Alternative zu ihrer allgemein unterdrückten gesellschaftlichen Stellung. Darin ist neben der Versorgungskrise im hohen Mittelalter eine weitere Ursache des breiten Frauenzustroms zur Häresie zu sehen. Er wurde im Norden, besonders im niederländischen und belgischen Raum von der Kirche durch die Anerkennung der Beginenanstalten [44] und die Gründung von Frauenklöstern in kirchliche Bahnen geleitet und kontrolliert. In andern Gegenden aber, etwa in Südfrankreich, strömten die Frauen scharenweise in die häretischen Sekten.
- >Ohne diesen antipatriarchalischen Aufbruch der Frau ist weder die Entstehung des Marienkults noch diejenige des Hexenwahns verständlich<.[45]
Wo die Integration dieser häretischen Frauenbewegung nicht gelang, führte die brutale Verfolgung der Ketzerinnen durch die Inquisition zu einem Bestandteil der Hexenvernichtung. Weibliche, aufbegehrende Wünsche wurden hier direkt und mit äußerster Gewalt bekämpft. Es ist eine These von Klaus Theweleit, daß im Gegensatz dazu die aufbegehrenden Wünsche von Männern im Patriarchat auf subtilere Weise unterdrückt werden: durch die Errichtung eines >Wunschterritoriums< mit den Körpern begehrter, jedoch nie erreichbarer Frauen. Hier ist zu fragen, inwieweit gerade die unirdische Gestalt der Maria noch wirkungsvoller als die ihrer Vorbilder, der Damen aus den aristokratischen Kreisen, als eine Begrenzung männlich-revolutionärer Wünsche fungierte. Für diese Wünsche gab es ja durch die Entfaltung der gesellschaftlichen Produktivkräfte, die Entstehung der Warenproduktion, durch Entdeckungen anderer Länder und Ausweitungen des Handels viele Anstöße, die letztlich zur Auflösung feudaler Machtstrukturen führen sollten.
Sollte Maria ihnen >den Riegel vorschieben<? Nicht umsonst ist eines ihrer Symbole das der verschlossenen Pforte zum Paradies, welches zugleich in ihrer Gestalt gegenwärtig ist und lockt. Weit verbreitet waren z.B. im 14. Jahrhundert sogenannte Pestbilder, auf denen Maria ihrem leidenden erwachsenen Sohn die Brust darbietet. Vor allem das Bild der stillenden Madonna, zumal in Zeiten großen materiellen Elends, war ein Sinnbild der Erlösung, der Fülle, des Genusses und der Befriedigung elementarer Wünsche. In Maria verkörperte sich in positiver Form, d.h. als lockendes Paradies, der Mangel, den der Aufbegehrende empfand.
Die Geschichte der Verehrung Marias wäre unvollständig ohne die andere Seite der Verkörperung dieses Mangels in Gestalt des negativen Hexenbildes. Der Versuch zur Beherrschung der inneren Natur, die im Zivilisationsprozeß notwendig wurde, lief über die Aufspaltung des Frauenbildes in die reine, vergeistigte, himmelhoch zum >Wunschterritorium< erhöhte Figur der Jungfrau Maria und in die der Hexe, der Inkarnation aller leiblichen Sünden. Sie mußte in Gestalt unzähliger realer Frauen für die Unerreichbarkeit Marias büßen. Betroffen von den Verfolgungen waren zunächst vor allem unterprivilegierte Frauen, z. B. (aufständische) Bäuerinnen, Frauen der Ketzerbewegung, Fahrende und Prostituierte sowie Hebammen und Volksärztinnen.
Das Bild der Hexe
Einen Erklärungsansatz der Hexenverfolgung [46] liefert, analog zur Marienverehrung, die Legitimationskrise der katholischen Kirche. Das Hexenbild entstand in diesem Zusammenhang als Deutungsmuster für alle vom Dogma abweichenden Glaubensinhalte und -praktiken. Den als Hexen verfolgten Frauen wurde damit eine Sündenbockrolle zugeschrieben, die geschickt von den Widersprüchen im Innern der Kirche ablenkte. Doch meiner Ansicht nach lassen sich die Verselbständigung des Hexenwahns und der Verfolgungen in der Neuzeit und ihre Praktizierung durch weltliche, frühbürgerliche Mächte mit dieser Interpretation allein nicht erklären. Die Ausdehnung der Verfolgungen in der Neuzeit wird erst verständlich, wenn wir in der Hexe eine Person sehen, in der die Lockungen der noch unbeherrschten Natur wirken, die Genuß und rauschhafte Glückszustände durch das Bejahen und Ausleben der Sinnlichkeit verheißt. In dieser Funktion ist die Hexe eindeutig ein Instrument des Teufels,[47] denn wo Natur und Körper verteufelt werden wie im Christentum, bedeutet die Versöhnung mit der eigenen Sinnlichkeit Apostasie. Bezeichnend für patriarchalische Denkstrukturen ist es, daß Frauen/Hexen als Repräsentantinnen des sündhaften, bösen Prinzips angesehen wurden, weil ihre Praktiken der herrschenden katholischen Meinung zufolge ausschließlich den einen Zweck des Schadenszaubers (maleficien) haben konnten. Doch selbst hier mußte sich die Hexe noch einmal einer männlichen Macht unterordnen: Satan, ihr Geliebter und Gebieter, ist männlich. Der christliche Gott hätte keine Frau als Widersacher geduldet.
>Teufelspakt< bzw. >Teufelsbuhlschaft< waren die Kernpunkte der Anklage gegen Hexen.
Weitere Vorwürfe beinhalteten: sexuelle Ausschweifungen von erotisch gefärbten Tänzen, Festen und Riten bis hin zu Homosexualität, Sodomie und Inzest. Der Realitätsgehalt dieser Vorwürfe liegt vermutlich in den einen >sinnlichen Widerstand< ausdrückenden Praktiken einiger neumanichäischer, vor allem libertinisti-scher Sekten und in der relativ aufgeschlossenen Haltung der Landbevölkerung gegenüber sexuellen Angelegenheiten. Die Bedürfnisse des Körpers wurden den Anklagen zufolge auf den von den Hexen veranstalteten nächtlichen Sabbaten in primitiven Orgien radikal ausgelebt. Hier praktizieren alle Beteiligten den Genuß in Form von Rückkehr zu Lebensformen, in denen sich die Trennungen und Grenzen zwischen den einzelnen verwischten und sich ein Eins-Sein mit der Natur im Zustand der Wildheit wiederherstellte. Auf dem Sabbat galt eine andere Ordnung: das Chaos. Es ist nach patriarchalischer Vorstellung weiblich. Die Frauen hatten im Ritus tatsächlich eine hervorragende Stellung inne.[48]
Weitere Vorwürfe gegen Hexen bezogen sich auf die Zauberei, genauer: den Schadenszauber, d.h. etwa: auf Kindstötungen, rituellen Kannibalismus, Hexenflug und Ketzerei. Aus der Vereinheitlichung und Zusammenfassung aller o.g. Vorwürfe, die in früheren Zeiten isoliert gegen einzelne Personengruppen erhoben worden waren, zum einzigen Vorwurf der Hexerei entstand das Hexenbild, das als ein Deutungsmuster für alle Störungen der natürlichen, göttlichen und später der gesellschaftlichen Ordnung fungierte. Im 15. Jahrhundert war es mit dem >Malleus maleficarum< (1487) [49] abgeschlossen und lieferte in der Folgezeit die Legitimation für die massenhafte Vernichtung von Frauen durch die kirchliche Inquisition.
Der Höhepunkt der Verfolgungen liegt in Europa etwa zwischen 1560 und 1630, in einer Zeit, in der die verschiedenen Kämpfe der untergehenden feudalistischen Gesellschaft ebenfalls ihren Höhepunkt erreichten. Hier sei nur an die Reformation und Gegenreformation, an Bauernkriege und Kämpfe zwischen Zentralmacht und Fürsten erinnert.[50]
Durch die Zerstörung der alten Bindungen und alten Produktionsweisen im Prozeß der ursprünglichen Akkumulation vertiefte sich die Kluft zwischen Individuum und Gesellschaft und die Entfremdung zwischen dem Menschen und der Natur. Die Natur - zunehmend ein Objekt der Ausbeutung - kann nun nicht mehr länger eine Legitimationsgrundlage für die gesellschaftliche Ordnung liefern, wie etwa noch in der thomistischen Lehre. Im Feudalismus erschienen die gesellschaftlichen Verhältnisse aufgrund der Naturalform der Arbeit noch als natürliche und persönliche. Die Freisetzung des Individuums in eine Welt, die immer sinnloser und schlechter erscheinen mußte, führte dagegen zur tiefgreifenden kollektiven Verunsicherung der Menschen in der Neuzeit, zur Angst vorm Rückfall in ältere Lebensformen und ins Chaos sowie zum Haß, zur Zunahme von Gewalt und Grausamkeit gegen alle, die sich der aufkommenden bürgerlich-rationalen Ordnung nicht integrieren wollten oder konnten. Die genannten Bewußtseinsveränderungen wirkten sich auf das Frauenbild wie folgt aus: Im neuzeitlichen Hexenbild ist die Angst des sich historisch entwickelnden bürgerlichen Mannes vor der Rache der unterdrückten Natur, von der er sich im Zivilisationsprozeß distanzieren mußte, als vom Teufel gelenkter Zerstörungsakt gegenwärtig. Im Zusammenhang mit der radikalen Ausrottung alles Abweichenden, Nicht-Konformen, alles Anderen ist die Verselbständigung des Hexenwahns zu begreifen, denn über das Hexenbild gelang es, durch Personalisierung Gefahren und Schuld zu benennen, zu deuten und abzuwehren.[51] Das negative Hexenbild paßte ins Alltagsbewußtsein der Bevölkerung. Außer den kirchlichen Mächten befaßte sich zunehmend eine bürgerlich-weltlich orientierte Intelligenz mit dem Ausbau, der Aktualisierung und der theoretischen Fundierung des Hexenmusters. Ärzte und Rechtsgelehrte mischten sich in das Geschäft ein und machten den Theologen die Opfer streitig. Ihre Beteiligung an den Verfolgungen hatte eine Verwissenschaftlichung und Spezialisierung der Methoden zur Folge, was sich z.B. an der Einführung der Nadelprobe und der Entstehung des spezialisierten Berufsstandes der >Hexenstecher< nachweisen läßt.
Auf dem Höhepunkt der Verfolgungen erlebte das tradierte Hexenbild eine Reihe von Aktualisierungen und theoretischen Erneuerungen. Als Beispiele nenne ich hier lediglich die gegensätzlichen Ansätze von Johannes Weier und Jean Bodin.
Johannes Weier (1515-1588), Hofarzt des Herzogs von Cleve, argumentierte mit einer Theorie der weiblichen Melancholie. In seinem an alle weltlichen und geistlichen Regenten gerichteten Appell, der beinhaltete, die bedauernswerten, melancholischen Opfer des Teufels mit Nachsicht zu behandeln, widerlegte er jeden einzelnen Vorwurf gegen Hexen. Er führte die >Verbrechen< der Hexen auf ihre Phantasieproduktionen zurück, auf die Einflüsterungen des Teufels, die nicht der Realität entsprachen. Weier unterschied zwischen den bedauernswerten, meist melancholischen Besessenen, >so doch kein sonderbare missethat begange<, denen durch Lebenswandel, Gebet, Fasten, Opferdienst und Almosen geholfen werden könne, und den >Gifftbereitern<, die unbedingt bestraft werden müßten, >indem ihr Rauch gegen Himmel geschickt< werden solle.[52]
Er differenzierte und widerlegte damit das tradierte, einheitliche Hexenmuster des >Malleus maleficarum< von Insistoris und Sprenger, denen er sich >weiter denn weiß und schwarz / Fewer und Wasser / Tag und Nacht / ja Himmel und Erden< entfernt wußte.[53] Der Glaube an den Teufel als böse, verführerische Macht und an die grundsätzliche Schlechtigkeit des weiblichen Geschlechts wurde aber auch von ihm noch nicht aufgegeben. Aus seinen Differenzierungen folgt lediglich die Forderung nach einer genaueren Beweisführung in den Hexenprozessen, bei der man sich nicht mit den auf der Folter abgelegten Geständnissen zufrieden geben dürfe. Mit seinem Plädoyer auf Unzurechnungsfähigkeit der Besessenen argumentierte Weier zum ersten Mal von einem noch vorwissenschaftlichen psychiatrischen Standpunkt aus.[54]
Gegen seinen die Hexen entschuldigenden Ansatz wandte sich der Jurist Jean Bodin (1529-1596) mit seinem >Kompendium des Hexenglaubens<. Bodin, ganz der sexistischen Tradition des Hexenhammers verhaftet, begründet die >weibliche< Neigung zu maleficien mit der bedrohlichen Sinnlichkeit der Frauen55:
Ihre Verbrechen geschähen >auß krafft und macht einer Viehischen begirlich-keit / welche das Weib dahin ahntreibet / damit es seinen begirden genug thue oder sich reche<56.
Wir finden hier die alten Argumente des >Hexenhammers< neu aufgelegt. Dementsprechend trat Bodin für die erbarmungslose Verfolgung aller Hexen ein, denn sie beabsichtigten seiner Meinung nach, vorsätzlich beständig maleficien zu verüben.
Bodin kann als ein typischer Vertreter derjenigen Herrschaftsschichten angesehen werden, die sich mit der Manufakturepoche herausbildeten und etablierten. Seine zutiefst bürgerliche Einstellung zeigt sich an der Einschätzung der Frau als Naturwesen, das geformt und beherrscht werden müsse. Die Herrschaft des Mannes über die Frau entspräche der Herrschaft des Geistes über die Natur, der Herrschaft der Vernunft über die Sinnlichkeit und des Körpers als Grundlage jeder menschlichen Gesellschaft. Alle, die sich der unbeherrschten Natur überließen, sich weigerten, ihre Triebe und Bedürfnisse entsprechend der bürgerlichen Moral zu unterdrücken, seien zu strafen, vor allem aber die Hexen, weil sie sich willentlich mit dem Teufel verbündeten. Bodin ging vom freien Willen und der Verantwortlichkeit der Hexen für ihre wissentlich begangenen bösen Taten aus und entwickelte damit zum erstenmal einen modernen juristischen Tatbegriff.
Obwohl Bodin Weier mit aller Vehemenz bekämpfte und ihm gegenüber sogar endlich selbst den Verdacht der Hexerei äußerte, gehören beide Theorien, Bodins Begriff Zweck-Mittel geregelter, schuldhafter Verbrechen und Weiers entschuldigendes Plädoyer auf Unzurechnungsfähigkeit, zusammen. Es sind nach Claudia Honegger Entwürfe zum frühbürgerlichen Menschenbild: einerseits das seine Handlungen selbständig planende, Konsequenzen bedenkende und für sie verantwortlich stehende Subjekt, andererseits der Mensch als Objekt von außer ihm wirkenden Gesetzen, die auch in ihm selbst in Gestalt der Unterdrückung seiner eigenen Natur scheinbar unabhängig vom subjektiven Willen wirken.
Die radikale Infragestellung des Hexenglaubens, das sei hier ausblickend erwähnt, leistete erst die Aufklärung. Durch sie erhielt aber nicht nur die Hexe, sondern auch ihr christlicher Verfolger den Todesstoß, denn das Wunder, auch das christliche (auch Maria) wagte nicht mehr aufzutreten, >oder wenn es noch einmal das Wagnis unternimmt, wird es ausgepfiffen<.[57] Der Teufel gewann unter dem Gesichtspunkt des wissenschaftlichen Aufruhrs - er repräsentierte außer der Natur auch die Logik und Vernunft -, aber er verlor unter dem Aspekt des alten, finstren Hexenwesens. Die Aufklärung ist gegen allen Schein jedoch nicht das dem Mythos starr entgegengesetzte Gegenteil:
- >Das Prinzip der Immanenz, der Erklärung jeden Geschehens als Wiederholung, das die Aufklärung wider die mythische Einbildungskraft vertritt, ist das des Mythos selber<.[58]
Die auffälligste Neuerscheinung des Hexenwahns an den Opfern selbst ist zur Zeit seines Höhepunktes das Auftreten von Besessenheit, von der vor allem Nonnen heimgesucht wurden. Auch Johannes Weier gehörte 1563 einer Kommission an, die eine im Kloster >Nazareth< in Köln ausgebrochene Epidemie untersuchte: Die Nonnen hatten krampfartige Anfälle, in denen sie z.T. Koitusbewegungen ausführten.[59] Die Opfer dieser Krankheit stammten immer mehr aus dem städtischen Bürgertum und dem Adel. Die Töchter dieser Stände klagten meistens einen Mann, oft einen Priester an, sie verführt zu haben. An die Stelle der mächtigen Hexe trat das unschuldige, mit satanischen Mitteln verführte Opfer, das geschändet und sitzengelassen wurde. Nicht mehr die Hexe selbst schloß den Pakt mit dem Teufel, sondern der Verführer, um sein Ziel zu erreichen.
- >Neben der aktiven ruralen Hexe, die weiterhin grausam verfolgt wird, gibt es nun das passive Opfer, in dessen Körper fremde und unkontrollierbare Mächte wüten<.[60]
Die genannten Veränderungen des Hexenbildes betreffen insgesamt die Macht der Hexe, die von nun an für immer geringer gehalten wurde. Mit ihrer Entmachtung zerfaserte nach und nach der Vorwurf der Hexerei wieder in die einzelnen isolierten Vergehen, aus denen das Hexenmuster bis zum 15. Jahrhundert kreiert worden war, z.B. Fluchen, Gotteslästerung, Sodomie, Giftmischerei, Betrug usw. Dazu kam die Gruppe der Melancholikerinnen und Besessenen, Objekte und Opfer des Teufels in Gestalt von Ärzten, die sich ihrer nun annahmen. Damit ist der Widerstand der Hexe, den sie nicht nur der Kirche als Ketzerin, heidnische Zauberin und lebensbejahende Ärztin, sondern auch der frühbürgerlichen Herrschaft und instrumenteilen Vernunft in Form von >sinnlichem Widerstand< und archaischer Produktionsweise der Magie entgegensetzte, gebrochen.
- >Sie galt in keiner Weise fürderhin als Subjekt der Naturaneignung, sondern als Objekt der Naturbeherrschung<.[61]
Einige archaische und zugleich utopische Elemente der Magie lassen sich wie folgt charakterisieren:[62] Die Magie regelt die Beziehung des Menschen zur äußeren Umwelt und zu sich selbst in anderer Weise als etwa die bürgerliche Warenproduktion, die hier als ihr Gegenteil angenommen werden soll.[63] Die magische Produktionsweise impliziert eine Verbindung des Wunsches mit seiner Realisierung, die Vergangenheit und Zukunft miteinander verknüpft, indem sie vom vergangenen Wunsch ausgeht, alle aktuellen und gegenwärtigen Momente des unmittelbaren Eindrucks durchläuft und sich auf die zukünftige Wunscherfüllung richtet.[64] Diese Bewegung folgt den von den menschlichen Bedürfnissen erzeugten Zeitrhythmen, die unmittelbar eingehen in die Rhythmen der Natur. Sie steht damit der verwertbaren, linearen Zeit entgegen. Ihre Zeit ist die zyklische. Sie beginnt und endet nie, denn jeder Zyklus entsteht aus einem andern Zyklus und mündet wieder in einen neuen ein, folgt einer Kreisbewegung. In diesem Sinne ist zyklische Zeit Wiederholung, aber kein Zyklus reproduziert sich in rigoroser Strenge.[65] Doch Magie hat nicht nur der zugrunde liegenden Zeitstruktur nach etwas mit Wiederholung zu tun, sondern auch inhaltlich. Die Zauberin nähert sich den Naturobjekten über die Mechanismen der Verdoppelung, der sympathetischen Angleichung und Wiederholung.[66]
Durch eine intensive und produktive Verbindung der inneren mit der äußeren Natur werden im magischen Aneignungsprozeß Trennungen von Subjekt und Objekt immer wieder durchbrochen: Magie beinhaltet eine Aufhebung der Trennung von >Innen< und >Außen<. Das bedeutet zum einen die Überschreitung der Grenzen zwischen der inneren Realität der Triebe und Träume und der äußeren Wirklichkeit, zum andern aber auch eine Aufhebung der Grenze zwischen den Sitten und Ordnungen einer bestimmten Kultur und allem außer ihr, vor ihr Existierenden: den scheinbar überwundenen Kulturen und Zeitaltern z. B. Die Frau als Hexe überschreitet diese Grenzen, repräsentierte daher für den Christen des Mittelalters das Chaos der Wildheit, das wie gesagt auf dem Sabbat produziert wurde, für den bürgerlichen Mann der Neuzeit verkörperte sie magisch-mimetische Produktionsweisen, die es zu überwinden und beherrschen galt.[67]
Wenn auch das mit einer magischen Produktionsweise implizierte Verhältnis zwischen Mensch und Natur menschlicher erscheinen mag als die Quantifizierung und Ökonomisierung aller Gegenstände seit der Entstehung der kapitalistischen Warenproduktion und des Geldes, historisch gesehen setzt sich gegenüber der Einheit des Menschen mit der Natur ihre Unversöhnbarkeit durch. Das meint letztlich die Notwendigkeit der Arbeit, die uns auf die Spitze getrieben erscheint in der gegenwärtigen Trennung von Lust- und Leistungsprinzip.
Wir müssen bedenken, daß sich in der Beschwörung der weiblichen Magie als einem vermeintlich letzten Naturreservat eine neue Sündenbock-Strategie andeutet.[68] Wer die archaische Macht der Frauen in einer Zeit der wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Krisen beschwört, der übersieht, daß die Frau/Hexe nach der Enteignung von ihrer magischen Macht auch ihrer selbst nicht mehr mächtig war und sich zum Objekt von Männern eignete, die sie >insgesamt als Teil des unorganischen Leibs' der Erde, auf dem ihre Produktionen sich ereignen, gesehen und benutzt haben<.[69]
Ausgehend von dem eingangs erläuterten erweiterten Produktionsbegriff geht es hier nicht nur um materielle Produktionen im engeren Sinne. Mit dem Bild der Frau bis hin zur Gewalt an ihrem Körper, am Material >Weiblichkeit<, kreierten die um Macht ringenden patriarchalischen Kräfte bei der Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft das Bild eines neuzeitlichen Individuums in Gestalt von Maria und Hexe. Diese Produktionen ereigneten sich perverserweise an dem Geschlecht, das nach seinem Ausschluß aus dem Handwerk und Handel und aufgrund der erheblichen rechtlichen Verschlechterungen der Situation der Frau (u.a. wegen der Rezeption des Römischen Rechts70) längst aus den gesellschaftlich relevanten Machtbereichen verdrängt war. Die >materiellen< Produktionen mit dem Leib der Frauen werden deutlich an seiner härteren Funktionalisierung als ein Instrument der Bevölkerungspolitik des Kameralismus.[71]
Vorausgegangen war die Enteignung der Frau/Hexe von ihrem medizinischen Wissen und die Entfremdung von ihrem Körper und ihrer Gebärfähigkeit. Einige Bestandteile dieses Entmachtungsprozesses sind: Kontrolle der Hebammen seit dem 15. Jahrhundert durch männliche Stadtärzte mittels Hebammenordnungen, Einschränkungen und Verbote von Kindbettfeiern und ausgelassenen Frauenfesten, Kontrolle der Geburtenregelung durch ein Verbot von Abtreibungen u.a. Seit dem 14. Jahrhundert war es den männlichen >Buchmedizinern< gelungen, sich auf Kosten der heilkundigen Frauen und Hexen, die die Medizin einst begründet hatten, zu etablieren. Ihr von der Kirche unterstützter Kampf gegen die heilkundigen Frauen stellt neben dem Kampf gegen die Ketzerinnen und die weibliche Handwerkskonkurrenz einen weiteren realen Strang der Hexenverfolgungen dar.[72] Die schreckliche Eskalation der Verfolgungen beim Untergang der feudalistischen Gesellschaft bezeichnet Silvia Bovenschen >als eine zweite Phase patriarchalischer Machtergreifung<.[73]
Der Objektstatus der Frau wird ebenso wie ihre domestizierte Naturhaftigkeit deutlich am Bild der neuzeitlichen Mutter, in der die Säkularisierung der Hexe wie der Maria abgeschlossen ist.
Das neuzeitliche Mutter-Ideal
Dieser neue Muttertyp wurde in der Reformation entworfen und gepredigt. Er ist in Zusammenhang zu setzen mit den Veränderungen des frühbürgerlichen Haushalts, d.h. mit der Entstehung einer Vorform der modernen Hausarbeit im Arbeitsbereich der Handwerksmeisterfrau, die mit der Ausgrenzung von warenproduktiven Tätigkeiten aus ihrem Arbeitsfeld zusammenfällt. Er korreliert außerdem mit der kontinuierlichen Abwertung der rechtlichen Stellung der Frau im Hause seit dem 14. Jahrhundert.
In der Neuzeit entwickelt sich der frühbürgerliche Haushalt zur Keimzelle der Gesellschaft: Der Hausvater repräsentierte mit seiner unantastbaren Gewalt über Frau und Kinder schon den absolutistischen Herrscher. Es stellt sich die Frage, ob die Frau, abgesehen von ihrer ökonomischen Funktion, die der kostenlosen (Re-)Produktion der Arbeitskraft dient, noch eine andere Bedeutung innerhalb der o.g. Hierarchie zukommt.
Ich gehe zunächst aus von der These, daß bürgerliche Herrschaft sich letztlich weniger durch direkte äußere Gewalt als vielmehr durch deren Internalisierung, durch innere psychische Grenzen aufrecht erhält. Die Errichtung einer dieser Grenzen vollzog sich z. B. durch eine neuartige Funktionalisierung und Codierung der Sexualität und Sinnlichkeit, die die Ausrottung durch die Hexenverfolgung und durch die Blutgesetze noch überlebt hatte.
Ich will versuchen, diese These mit Luthers Hausmutter-Ideal in Verbindung zu bringen: Luther propagierte eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, derzufolge >das Weib für das Hauswesen, der Mann aber für Politik, Kriege und Rechtshändel< geschaffen sei, und predigte die Mutterschaft als rechten, von Gott geschaffenen Beruf der Frau74. Nicht eine quantitative Kinderproduktion, sondern auch die qualitative Erziehung und Verantwortung sind ihm ein Zeichen wirklicher Mütterlichkeit und Mutterliebe. Dementsprechend forderte er Frauen schon vor der großen Stillbewegung der aristokratischen Oberschichten zum Stillen auf:
- >Muttermilch ist der Kinder beste Nahrung Trank und Speise, denn sie nähret wol<.[75]
Die veränderte zwischenmenschliche Beziehung drückt sich auch in dem von Luther vertretenen Monogamie-Ideal aus:
- Ein Ehebruch der Frau kam einer Sünde >gegen Gott, gegen den Heiligen Geist, gegen das Staatswesen und gegen den Hausstand (gleich). Denn die Ehebrecherin bringt einen andern Erben ins Haus hinein<.[76]
Diese Begründung veranschaulicht das Interesse des bürgerlichen Mannes, sein akkumuliertes Vermögen noch nach dem Tod weiterhin in seinem Sinne und für seine Familie wirken zu lassen. Nach Klaus Theweleit steht hinter einer solchen Begründung der Monogamie noch ein weiteres gesellschaftliches Interesse, welches ich eingangs bereits genannt habe: Die Frau fungiert, eingesperrt ins Innere des Hauses, ins sog. Private, als erweiterte Grenze des männlichen Ichs, als eine seiner Grenzen gegen die Welt und damit als Absorbtionsfaktor seiner Wünsche.
Wenn man auch in Luthers gegen das Zölibat gerichteter Verteidigung des Ehestandes als >süßestes<, >keuschestes<, >natürliches< und >liebliches< Gottesgeschenk [77] einen gewissen Fortschritt sehen kann, zumal sich die Betroffenen freiwillig zur Heirat entschließen sollten, so bedeutet die von ihm geforderte absolute Unterordnung der Frau unter patriarchalische Macht einen Rückschritt in zutiefst mittelalterliche Rechtsauffassungen, die an die Muntgewalt erinnern. Mit der von ihm eingeleiteten Propagierung des Mutter-Ideals erfuhren hausfrauliche Tätigkeiten zwar eine gewisse Achtung, andererseits war damit aber auch der Auftakt zur Diffamierung berufstätiger oder intellektueller Frauen gegeben.
>Es gibt keinen Rock, der einer Jungfrau so übel steht, als wenn sie klug sein will<.[78]
Sein Antifeminismus steht in nichts den Aussagen der patriarchalischen Kirchenväter (er selbst beruft sich oft auf Paulus) oder dem Sexismus des >Hexenhammers< nach. Auch er scheint in der Angst vor bzw. dem Haß auf eine von männlicher Vormundschaft freie weibliche Sexualität begründet zu sein. Von Prostituierten nahm er z.B. an, sie seien:
- >krätzig, räudig, stinkend, garstig und französisch ... Daß doch ein guter Gesell den andern warne! Eine solche französische Hure kann zehn, zwanzig, dreißig und mehr frommer Leute Kinder vergiften, darum ist sie als eine Mörderin und schlimmer als eine Vergifterin zu rechnen<.[79]
Und als Ehebrecherin galt bereits eine Frau, >da sie schamlos, sittenlos ist, ihrem Mann nichts zu Gefallen tut und herumläuft, wohin sie will<.[80] Es versteht sich von selbst, daß diese Frauen von der Reformation mit gleichem Haß verfolgt wurden wie von der katholischen Kirche. Lediglich auf die ins Haus verbannte, gehorsam dienende Frau konnte die Jagd nach und nach eingestellt werden, ihr unterdrückter Status bedeutete kaum noch Gefahr. Zum Gegenbild dieses gezähmten Frauenideals eignete sich immer weniger die alte mächtige Hexe, deren Bild seit der Romantik, abgehoben von der empirischen Realität der Frauen, in den Bereichen der Mythen, Märchen und Poesie herumspukt. In diesen Welten, in denen mimetische Produktionsweisen ein Untergrunddasein führen dürfen, konnten auch die Hexe und ihre Schwestern überleben. Die entsprechenden Kontrastbilder der bürgerlichen Mutter waren von nun an die u. a. von Luther entworfenen: Prostituierte, Ehebrecherinnen, Intellektuelle und auch Hysterikerinnen, Besessene und sogenannte Geisteskranke, zu denen die Hexe säkularisiert wurde.
Luther und die Reformatoren entwarfen zunächst unabhängig von der Kirche und tendenziell gegen sie gerichtet ein eigenes, neuzeitliches Frauenideal und schenkten der Marienverehrung keine Beachtung mehr. Maria war trotz der Versuche, sie zur bürgerlichen Hausmutter zu säkularisieren, noch zu sehr Göttin, dazu jungfräulich, wenn auch Mutter, allerdings Mutter Gottes und nicht die eines >Stammhalters< oder Gebärerin einer Arbeitskraft. Aus diesen Gründen mußte Luther den Marienkult letztenendes scharf ablehnen, und er verlor im Zuge der Reformation an Bedeutung. An Marias Stelle trat nach und nach das oben beschriebene Hausmutter-Ideal.
Es bleibt zu ergänzen, daß dieser Entwurf, der zum Ideal der Mutter und Hausfrau als Berufsbild führt, seiner Zeit noch weit voraus war, denn die meisten Frauen in der Neuzeit blieben auf ein eigenes Einkommen angewiesen, da der Verdienst des Mannes kaum ausreichte. Im gleichen Prozeß, in dem Maria über die adelige Dame der Gotik zur frühbürgerlichen Hausmutter säkularisiert wurde, begann sich das Bild der Mutter ganz allmählich von der Realität abzuheben und zum Ideal zu erhöhen. Einige Tugenden Marias gingen im Laufe der Geschichte in das bürgerliche Mutterideal ein. Es entwickelte sich von der sparsamen, tüchtigen und resoluten Hausmutter der Reformation zur vorsichtig sexualisierten und geschmückten, lockenden, madonnenhaften >Einzigen< der bürgerlichen Liebe. Diesem Ideal zufolge verkörperte die Frau immer mehr das Nicht-Stoffliche der Dinge, ihre Seele:
- >Sie ist die Seele des Hauses, der Familie, des häuslichen Herdes<.[81]
Am vorläufigen Ende der Entwicklung steht als Synthese der Kontrastbilder >Hexe< und >Maria< das Bild der für den Hausgebrauch gezähmten bürgerlichen Frau, die es dem Mann ermöglicht, >ohne großes Risiko schwarze Messen zu zelebrieren, in denen Satan angerufen wird, ohne geradezu eingeladen zu sein<.[82] In diesem Bild vereinigen sich madonnenhafte Tugenden: Liebesfähigkeit, Demut, Gehorsam, Empathie, Schönheit und Reinheit, mit Eigenschaften der entmachteten Hexe: Hysterie, Melancholie, eine gewisse Portion Klugheit, eine Prise Leidenschaftlichkeit und Erotik, gerade so viel davon, daß es dem bürgerlichen Mann nicht zur Bedrohung gerät.
- >Zwischen diesen polaren Gegensätzen (von Hexe und Madonna, F. H.) bewegen sich nun eine ganze Schar von schillernden Gestalten, bemitleidenswerte, hassenswerte, schwache, engelhafte Frauen, Sünderinnen, Opfer, Kokotten, Teufelinnen ... Hier hat er im eigenen Hause ein Wunderwesen, von dem er sich mit wenig Aufwand berauschen lassen kann. Ist sie Engel oder Dämon? ... In einer Stufenleiter vom Guten zum Bösen hin verkörpert sie in ihrer Person alle moralischen Werte und ihr Gegenspiel. Sie ist Stoff des Handelns und behindert es zugleich, die Macht des Mannes über die Welt und sein Scheitern an ihr<.[83]
Dieses bürgerliche Frauenideal fungiert wiederum und immer noch als >Wunschterritorium<, als Versickerungsanlage entgrenzender Wünsche, und es reproduziert einen Mangel:
- >Es ist dem Mann gelungen, sich die Frau dienstbar zu machen, aber gleichzeitig hat er ihr auch das genommen, was ihren Besitz erwünscht machen konnte. Ist die Frau der Familie und der Gesellschaft eingeordnet, so strahlt ihre Magie nicht heller auf, sondern sie verflüchtigt sich; wird sie in die Lage der Dienenden hineingezwungen, so ist sie eben nicht mehr jene ungezähmte Beute, in der sich die Schätze der Natur zu verkörpern schienen<.[84]
Es dürfte deutlich geworden sein, daß sich im Laufe der Geschichte alle genannten Entwürfe zur Weiblichkeit von Maria und Hexe bis hin zu ihren säkularisierten Gestalten und Kontrastbildern angleichen und wie Mosaiksteinchen zum Bild >Frau< nebeneinander und übereinander zusammenfügen. Charakteristisch für die bürgerlichen Verhältnisse ist, daß nun die Natur zunehmend zum Bestimmungsmoment des Weiblichen wird, wobei dem bürgerlichen Bewußtsein entgeht, daß der objektive Zusammenhang der gesellschaftlichen Totalität ihm als naturwüchsig entstanden erscheint. In diesem Denken fallen die natürliche und soziale Mutterschaft zusammen und geraten dann zur >natürlichen Mütterlichkeit< oder zum naturgegebenen >wahren Frauenberuf. Der steht gegen alle andern denkbaren Entfaltungsmöglichkeiten weiblicher Produktivkraft und zwingt die Frauen in der Alternative >Mutterschaft oder Beruf bzw. in dem schlechten Kompromiß einer sog. Doppelbelastung einen individuell unlösbaren Konflikt auf. Zu fragen ist nun abschließend, wie die im neuzeitlichen Mutterbild sich andeutende Synthese von Hexe und Maria bezüglich des modernen Hausfrauenbildes aussehen könnte. Hierzu einige Thesen:
- Die Kontrastbilder >Mutter< und >Intellektuelle< gleichen sich durch eine zunehmende Professionalisierung und Verwissenschaftlichung der Haushaltsführung und Kindererziehung an. Man betrachte nur die Flut von Zeitschriften und populärwissenschaftlichen Büchern zu Fragen der Kindererziehung und zu Partnerschaftsproblemen und den bis zur Zeit der Sparbeschlüsse expandierenden Bereich der (z.T. staatlich getragenen) Eltern- und Familienbildung.
- Die Gegenbilder >Mutter< und >Prostituierte< nähern sich an in der Problematik der Prostitution in der Ehe. Damit meine ich, daß jeder nicht aufgrund der Lust der Frau zustandegekommene und für sie befriedigende Geschlechtsverkehr in der Ehe tendenziell Prostitution darstellen kann. In einem solchen Fall stellt sie sich dem Mann zur sexuellen Verfügung im Tausch gegen ihren Arbeitsplatz als Hausfrau und gegen materielle Sicherheiten, weil sie aufgrund der Unbezahltheit der Hausarbeit bzw. des erschwerten Zugangs von Frauen zum außerhäuslichen Arbeitsmarkt die Kosten für ihre eigene Reproduktion nicht selbst aufbringen kann.
- Das Bild der Mutter und das der psychisch Kranken gleichen sich an u. a. im sogenannten Hausfrauensyndrom, in Leiden, Depressionen und psychischen Störungen zahlreicher Hausfrauen, die wegen der alltäglichen Monotonie ihrer Arbeit und vor allem wegen der Isolation an ihrem Arbeitsplatz im wahrsten Sinne des Wortes verrückt werden könn(t)en.
Am Ende dieser Überlegungen steht die Erkenntnis, daß Weiblichkeit in dem von mir beschriebenen Zeitraum in bestimmter Form immer diskriminiert und unterdrückt war. Am deutlichsten ist das am negativen Hexenbild und dem Versuch, die ihm entsprechenden Frauen in dem riesigen Feldzug gegen das weibliche Geschlecht zu Anfang der Moderne auszurotten. Doch selbst in Gestalt der göttlichen, mächtigen Maria kniete bereits die Mutter vor dem Sohn und erkannte dessen, des Mannes Überlegenheit an. Mit andern Worten: Schon der Marienkult bedeutet >die Rehabilitierung der Frau durch die Vollkommenheit ihrer Niederlage<.[85] Eine Verehrung und Akzeptierung der Weiblichkeit ist im Patriarchat nur möglich, nachdem dem Weiblichen alle frühere Macht genommen war. So gesehen sind selbst die scheinbar noch relativ mächtigen Muttergottesgestalten Vorläuferinnen der nahezu vollständig entmachteten bürgerlichen Hausfrauen. Eine Aufgabe und Notwendigkeit für uns Frauen sehe ich darin, all diese genannten Zuschreibungen, die auf Diskriminierung, Verzerrung und Beherrschung des wie auch immer historisch und klassenspezifisch unterschiedlich definierten >Weiblichen< hinauslaufen, zu zerstören und zu durchbrechen. Wir können und wollen weder Hexe, noch Madonna, weder (>nur<) Mutter und Hausfrau, weder bloß intellektuelles >Mannweib<, noch gefühlsbeherrschtes >Naturwesen< sein. Die Kritik an diesen und vielerlei andern Weiblichkeitsbildern trifft nicht nur ihre jeweiligen Inhalte, sondern die Bildproduktion selbst: Jedes Bild ruft ein Gegenbild auf den Plan und macht damit deutlich, daß es nur errichtet werden konnte aufgrund von Abspaltungen und Ausgrenzungen der je gegensätzlichen Elemente. Mit solchen Bildern, seien sie auch noch so positiv gemeint (z. B. auch manche unsrer gegenwärtigen Vorstellungen von Emanzipiert-Sein) ist uns nicht geholfen, weil sie auf Ausgrenzung und Verfolgung des Abweichenden, Nicht-Konformen basieren und damit tendenziell Gewalt implizieren.