I. Weibliche Natur als Bildungsauftrag
In der Pädagogik war die Mutter immer das Leitbild zur Erziehung der bürgerlichen Mädchen. Mütterlichkeit galt zwar als natürliche Bestimmung, immer aber auch als erzieherische Aufgabe. Als Gegengewicht zur Anwendung weiblicher Arbeitskraft in der Industrie mit ihrer immanenten Tendenz zur Nivellierung von Geschlechtsunterschieden konstituiert sich das Leitbild von Mütterlichkeit. Die weibliche Berufstätigkeit, wie moderne Erwerbstätigkeit überhaupt, hat sich zugleich mit der weiblichen Hausarbeit entwickelt, d. h. die Frau als Erwerbstätige und als Hausfrau entstehen zusammen (vgl. HAUSEN, in: Rosenbaum 1978). Deshalb muß die Bildung zur Weiblichkeit immer unter diesem Doppelaspekt der weiblichen Arbeitskraft für die Anwendung im Betrieb und Büro wie in der Familie als Hausfrau und Mutter betrachtet werden.
An der Pädagogik EDUARD SPRANGERs läßt sich exemplarisch das pädagogische Verständnis von Mütterlichkeit als einer zu bildenden weiblichen Eigenschaft darstellen (SPRANGER 1965; SPRANGERs Bedeutung für die Ausbildung mehrerer Generationen von Lehrerinnen und Sozialpädagoginnen ist wohl unbestritten, so daß sich an ihm Aktualität und Wirkungsgeschichte unserer Position gleichermaßen darstellen lassen). SPRANGER differenziert die Mutterliebe in drei Stadien: die nährend-pflegende, bildende und mitlebende Liebe. Er nimmt an, daß im weiblichen Gemüt die Fähigkeit, "sich mit dem Kind eins zu fühlen" (nach F. FRÖBEL), bei der Frau viel stärker als beim Mann entwickelt ist. FRÖBEL und mit ihm SPRANGER stehen in der Tradition der idealistischen Geschlechterphilosophie, die an die Ergänzung des weiblichen und männlichen Wesens zum Wohle der Menschheit glauben und dies aus Naturrecht ableiten.
"Die Natur hat das so gewollt, weil die Frau die Brücke zum Kind bilden muß aber auch deshalb, damit die Weltdinge nicht ihre Seele verlieren" (ebenda, 121).
Die Mutterliebe ist für SPRANGER das größte Symbol des Überirdischen im Irdischen (ebenda, 147), aber sie ist nicht allein biologisch mitgegeben, sondern man muß ihr bei den jungen Mädchen heraushelfen, sie vertiefen und vergeistigen. Das gilt besonders für die bildende und mitlebende Stufe der Liebe, in der die Mutter ihre Selbstverwirklichung im Eigenverständnis für den Sohn (bei SPRANGER ist immer nur von der Mutter-Sohn-Beziehung die Rede) findet. Vor allem für die stellvertretende Mütterlichkeit in sozialen Berufen gilt, daß der bei den Frauen vorausgesetzte Keim entwickelt wird. Damit sind zwei. für die Mädchenbildung wesentliche Prämissen gesetzt. In der Entwicklung der Ideologien zur Unterdrückung der Frau können sie als Endpunkte einer neuen, nun abgeschlossenen Phase gesehen werden: Erzieher haben eine nie endende Aufgabe in der Mädcheabildung, weil die Mädchen aus ihrem rohen Naturzustand in eine vergeistigte Form der weiblichen Existenz emporgehoben werden müssen.
Für SPRANGER ist ohne Frage, daß die Frau den Pflegeinstinkt, "das Veredelnwollen als eine Naturanlage mitbringt" (ebenda, 228). Dazu kommen noch eigentümliche Erziehungskräfte:
"... sie schafft aus einem Einheitspunkt heraus, in dein die Einzelleistung der Seele noch ungeteilt ist ... sie reicht tiefer und unmittelbarer in den Nährzusanimenhang hinab ... Die Frau ist metaphysischer als wir" (die Männer, d. V.) (ebenda, 224).
Im Gegensatz dazu wird der Mann als im Einzelnen und Bestimmten lebend vorgestellt:
"...er unterscheidet und löst auf, er gestaltet und will. Die Frau ist ahnungsvoll, sie schaut das Ganze im einzelnen und setzt die kleinen Vorkommnisse des Tages in nähere und fernere Beziehungen zu einem höheren Wertsinn. Darin aber liegt die größte Erziehungskraft, die wir kennen" (ebenda, 236).
Diese besondere Eignung der Frau zur Erzieherin, muß nach SPRANGER in einer besonders behutsamen Ausbildung gepflegt werden. Das "Gesellschaftliche... jede Agitation - zu viel Beschäftigung mit der Politik ist für den Erziehungsgeist ungünstig, vor allem aber alle Spezialisierung., die zur Routine führt" (ebenda, 237), aber auch die seelenlose Arbeit verhindert die Fähigkeit zum Emporbilden anderer.
Da das objektive Sosein, d. h. hier die Eingliederung der Frau in das Erwerbsleben, freilich auch nicht ignoriert werden kann, muß eine "Konvergenz von seelischem Trieb und sachlicher Anforderung" gemeistert werden, die freilich "nie ganz glücken" kann. Wenn schon der Auftrag im heutigen Berufsleben nur vom Arbeitgeber erteilt wird - für SPRANGER ein armseliger Ersatz für das, was ein beruflicher Auftrag für einen Menschen sein könnte - dann muß das für die Mädchenbildung und vor allem für die Beschäftigung von Frauen heißen, daß man nach Tätigkeitsfeldern sucht, die der weiblichen Eignung besonders entsprechen. Daß hierfür Tätigkeiten als Erzieherin oder alle Arbeit im Kontakt mit Menschen in Frage kommen, ist eine logische Konsequenz der dargestellten Prämissen. Aber auch bei Arbeiten, die mit einer rein sachlichen, i. e. männlichen Auffassung durchzuführen wären, läßt sich Weibliches retten und die besondere Eignung der Frau anwenden.
"Die Frau legt von ihrem Wesen nach mehr von ihrer Seele in den Beruf hinein". Es "werden natürlich für solche Funktionen Frauen besonders gesucht, für die eine gesammelte Sorgfalt und persönliche Hingabe wichtiger sind als Weitblick, ständige Umstellung, plötzliche Initiative. Die moderne Sekretärin ist eine wunderbare für die Frau geschaffene Stellung" (ebenda, 95).
Wenn auch SPRANGERs Einschätzung der sachlichen Anforderungen an die Arbeit einer Sekretärin fragwürdig sein mögen, zeigt doch diese Art der Anwendung, daß sich das Bildungsideal der geistigen Mütterlichkeit weit über den Erzieherinnenberuf hinaus als Leitbild selbst der beruflichen Bildung für Frauen entwickelt hat.
Wir meinen, daß dem Bildungsideal der geistigen Mütterlichkeit die Schlüsselrolle bei der Entwicklung und Herausbildung des weiblichen Sozialcharakters zukommt. Wir wollen im folgenden die verschiedenen Phasen und Entwicklungsschritte nachzeichnen, in denen sich das Ideal der geistigen Mütterlichkeit in sozialen Berufen durchsetzt und verändert.
II. Die müßige, doch tätige Bürgersfrau des 19. Jahrhunderts
Das Leitbild der bürgerlichen Frau ist das der Mutter, die soziale Arbeit leistet. Sie übt diese Tätigkeit doppelt aus: im Haus und in der Wohlfahrtspflege.
Obgleich dieses Bild in der Literatur nie dargestellt wird, war es präsent in den Königinnen und der deutschen Kaiserin, die als Vorbilder für die bürgerlichen Frauen galten. Sie kehrten allesamt ihre Liebestätigkeit öffentlich hervor. Charaktereigenschaften wie Opferbereitschaft, Güte und Dienst am Volk wurden als nachahmenswerte Eigenschaften auch für die bürgerlichen Frauen angesehen. Die Apothekersfrau in der Kleinstadt, bürgerliche und adelige Frauen waren in den Vaterländischen Frauenvereinen organisiert, mit der Kaiserin als Vorsitzender.
Nach der Statistik der Frauenorganisationen im Deutschen Reich (I. Sonderheft zum Reichs-Arbeitsblatt 1909, 15 ff.) waren 1908 ca. eine Million Frauen in einem Verein organisiert, davon war der überwiegende Teil in ehrenamtlicher Wohlfahrtsarbeit - privater Liebestätigkeit - engagiert. Diese Situation zeigt die Kraft, die das Bild der Frau als Mutter im außerhäuslichen Bereich hatte und wie verbindlich das Prinzip der geistigen Mütterlichkeit um die Jahrhundertwende war. Wie groß das Interesse an der Verbindlichkeit dieses Frauenbildes als allgemeinem Bildungsziel war, zeigt das nicht nachlassende Bemühen um die Einrichtung des sozialen Dienstjahres für alle Mädchen: erst die soziale Verpflichtung stärkt in den Mädchen mütterlichen Geist und gibt ihnen das Recht auf Bildung.
Mit der endgültigen Durchsetzung des bürgerlichen Familienmodells nach dem Ersten Weltkrieg wird diese Auffassung von weiblicher Bildung auch in der Arbeiteraristokratie (SPD und AWO) verbindlich. Die AWO ist die passende Institution, in der die zur Hausfrau aufgestiegene Proletarierin ihre klassengemäße Wohlfahrtsarbeit leistet und in diesem spezifischen Sinn das Ideal der geistigen Mütterlichkeit für die Arbeiterklasse etabliert.
Die gesellschaftliche Bedeutung der sozialen Arbeit als Statussymbol für die bürgerlichen Frauen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts läßt sich aus verschiedenen Wurzeln erklären. Die bürgerliche Frau eiferte um der gesellschaftlichen Anerkennung willen der adeligen Dame nach, die schon immer als Zeichen ihrer traditionellen Stellung und ihrer staatspolitischen Verantwortung der Wohlfahrtsarbeit verpflichtet war. Gekoppelt wurde dieses adelige Vorbild in der Übergangsepoche der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit der protestantischen Ethik des Bürgertums: einerseits mußte der Bürger beweisen, daß seine Frau nicht arbeitet als Zeichen seines eigenen Wohlstandes und als Angehöriger der gehobenen Schichten (die Frau als Standessymbol). Andererseits stand dieser Müßiggang im Gegensatz zur protestantischen Ethik, wobei hier die Versorgung des bürgerlichen Haushalts nicht als Nicht-Arbeit bezeichnet werden soll, aber sie galt auch schon damals als Tätigkeit und nicht als Arbeit im öffentlich gültigen Sinn. Die müßige Frau war also Zeichen der Zugehörigkeit zur gehobenen Klasse, der Leisure Class (VEBLEN, 1957). Als reines Modepüppchen hätte die Frau allerdings im Widerspruch zu den Werten der protestantischen Ethik gestanden, zumal Verschwendung dem ökonomischen Denken des Bürgertums widersprach, Verschwendungssucht kennzeichnete ja gerade den Adel. Daraus entwickelte sich das Bild der bürgerlichen Frau als einer müßigen, aber dennoch tätigen Frau.
III. Wechselwirkung von öffentlichem Einfluß und Häuslichkeit
Die weibliche Kraft, "die Mütterlichkeit", bisher das zentrale Argument der Gegner der weiblichen Emanzipation, um die Frauen an den häuslichen Herd zu fesseln und aus der Öffentlichkeit auszuschließen, wurde um die Mitte des Jahrhunderts gleichsam zum Ariadnefaden, der die Frauen in die Öffentlichkeit führen sollte. Die Frauen der Fröbel- und frühen Frauenbewegung trugen weibliche Arbeit in die Öffentlichkeit, indem sie Kindergärten und Ausbildunsstätten gründeten. So verdeutlicht der Aufruf zur Gründung des Vereins für Familien- und Volkserziehung im Jahre 1871 die enge Verbindung von Mütterlichkeit und der Entwicklung des Kindergärtnerinnenberufs:
"Kein Beruf aber ist dem weiblichen Geschlecht angemessener als derjenige, der dem Mutterberuf am nächsten kommt, der Beruf der Kindergärtnerin, der Erzieherin des heranwachsenden Geschlechts... Denn nicht jedes Mädchen kann und soll Kindergärtnerin werden, aber jede Mutter soll es bis zu einem gewissen Grade sein können" (GOLDSCHMIDT 1911, 9).
Sie drehten den Spieß um und machten "die Mütterlichkeit" zum Ausgangspunkt ihres Handelns, indem sie Rechte aus dieser zugeschriebenen Eigenschaft ableiteten. Auf der Generalversammlung des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins 1872 wurde gefordert, die Frau solle "Rechte und Pflichten ... in jeder Beziehung erhalten und zu ihrer Ausübung befähigt werden durch Erziehung und Bildung" (OTTO 1890, 23).
Obgleich die Forderungen - auch die nach wissenschaftlicher Ausbildung - sich weitgreifend anhörten, mußten sie dennoch an der Grenze weiblichen Rollenverhaltens stehenbleiben: sollten sie doch kein Hindernis werden für die Ausübung des "natürlichen" Berufs der Frau, der Ehe (ebenda, 24), im Gegenteil, die Bildung der Frau würde in ihren Auswirkungen glückliche Ehen fördern (ebenda, 26).
Die Beschäftigung und Ausbildung von Frauen für soziale Arbeit (Wohlfahrtsarbeit) spielt eine Schlüsselrolle in dem Prozeß der Bildung zur Weiblichkeit, indem sie das Ideal von geistiger Mütterlichkeit zum verbindlichen Leitbild der Frauen werden läßt.
Dabei sind zwei Phasen in der Entwicklung dieses Bildungsprozesses zu unterscheiden
- die Konstituierung des Leitbildes und Durchsetzung als bürgerliches Frauenideal,
- die Propagierung für die breiten Volksschichten und die Übernahme der Kontrolle zur Einhaltung durch die bürgerlichen Frauen selbst.
Die Erwerbstätigkeit von Frauen, ihre ehrenamtliche und familiale Arbeit in sozialpädagogischen und sozialen Tätigkeitsbereichen muß selbst als Bildungselement angesehen werden. Bildungsprozeß ist dabei eine umfassende Veranstaltung - Leben als Bildungsprozeß - weit über die enge Bedeutung von Erziehung zum Mädchen (weibliche Fertigkeiten) hinaus, weil die Tätigkeit im sozialen Bereich unter dem Aspekt der Bedeutung, den sie für die Frauen selbst gewinnt, eine andere Funktion hat als die gesellschaftliche Anwendung der weiblichen Arbeit.
Am Beruf der Kindergärtnerin wird sinnfällig, wie durch die Propagierung der geistigen Mütterlichkeit im Rahmen der FRÖBEL-Pädagogik Frauen in die öffentliche Elementarerziehung eingebunden wurden, indem sie als Volkserzieherinnen und in den bürgerlichen Familien selbst, d. h. ehrenamtlich, bezahlt oder privat und unbezahlt, arbeiteten. Diese Tätigkeit war eingebettet in die gesamtgesellschaftliche Notwendigkeit, die Elementarbildung zu verbreiten und bestimmte Fertigkeiten, vor allem das abstrakte Denken als notwendige Voraussetzung für die Teilnahme breiter Schichten am industriellen Fertigungs- und Distributionsprozeß als Arbeitskräfte vorzubereiten.
Aus der Sicht des Staates (oder in einer gesamtgesellschaftlichen Betrachtung) hatte die soziale Tätigkeit und die Propagierung des Bildungsideals der geistigen Mütterlichkeit eine doppelte Funktion, nämlich die Realisierung des Hausfrauentyps Hausfrau und Mutter ebenso zu gewährleisten wie das damit ausgeprä2te weibliche Arbeitsvermögen in dem immer bedeutsainer werdenden Bereich öffentlicher Erziehung als Berufsarbeit zu etablieren. Aus der Perspektive der Frauen ergab sich jedoch eine andere Funktion. Sie erhielten Zugang in den Bereich der Öffentlichkeit und Erwerbsarbeit, zur Bildung überhaupt tind konnten zugleich am bürgerlichen Eheideal festhalten. Der staatlichen Doppelfunktion entspricht damit zugleich. eine weibliche Doppelstrategie, durch die sich die in der Frauenbewegung organisierten Frauen (gleichsam als Speerspitze des emporstrebenden weiblichen Bürgertuins) einen nachhaltigen Einfluß auf politische und wirtschaftliche Verhältnisse erhofften: die geistige Mütterlichkeit "zur Veredelung von Staat und Gesellschaft". Es muß hinzugefügt werden, daß sich das soeben Festgestellte vorwiegend auf den Allgemeinen Deutschen Frauenverein und später auf die im Bund Deutscher Frauenvereine zusammengeschlossenen Gruppen bezieht.
Konsequent aus dem Beruf der Kindergärtnerin entwickelte sich ca. 50 Jahre später auf dem Hintergrund einer entwickelteren kapitalistischen Wirtschaftsverfassung, zunehmender Verstädterung und partiell gelungener Durchsetzung des kleinbürgerliclien Familienmodells im Proletariat die Wohlfahrtspflegerin. Ihre Funktion bestand vorwiegend darin, die häuslichen Normen im Volk durchzusetzen, d. h. die proletarische Tochter zur Arbeiterin, vor allem aber zur Hausfrau und Mutter zu erziehen oder diese zu beraten (vgl. SIMMEL 1980).
Die auf Frauen gerichteten Aktivitäten hatten einen volkserzieherischen Charakter. Diese soziale Arbeit richtete sich als Unterstützungshandlung und als pädagogische Interveiition an Frauen und deren Kinder, an Alte und Kranke, d. h. Menschen, die nicht direkt den staatlichen Ordnungszusammenhang bedrohten, die aber die Legitimität des liberalen und sich zunehmend auch sozial verstehenden Staates durch ihre einfache Existenz in Frage stellten.
Die weibliche Perspektive für diese Tätigkeiten lag zum einen in einer weiteren Durchsetzung des mütterlichen Einflusses auf den Staat als politische Perspektive und zum anderen in der öffentlichen Anerkennung der Hausarbeit, die der Berufsarbeit gleichwertig angesehen sein sollte. Damit sollte die öffentliche Anerkennung der Frau als weiblichem Menschen durchgesetzt werden, wie sie das Ideal, und die politische Perspektive der Frauenbewegung war, die nicht der Gleichmacherei, sondern sich der Gleichheit bei Wesensunterschied der Geschlechter verpflichtet fühlte.
In der Wohlfahrtspflege verstanden die Frauen soziale Arbeit als Bildungsprozeß, in dem sich die gesellschaftspolitische Bildung unmittelbar an die lebenspraktischen Fertigkeiten bindet. Die sozial gebildete und einfühlsame Frau sollte als Hausfrau in die Lage versetzt werden, im engeren Familienkreis, in der Nachbarschaft oder der ehrenamtlichen Wohlfahrtspflege im Verständnis von "geistiger Mütterlichkeit" zu wirken. Sie konnte diese Tätigkeit als Familienmutter oder Tochter aus wohlhabendem Hause nur ehrenamtlich, später als ledige Frau aber auch in einem sozialen Beruf ausüben.
Mit dieser Festlegung auf eine spezifisch soziale öffentliche Wirkung von Frauen war zugleich auch immer eine Beschränkung des weiblichen Rechts auf Bildung verbunden, denn das Menschenrecht der Frau auf Bildung (ein geistiger Mensch zu werden) war nur unter der Voraussetzung statthaft, daß sie auch ihre weibliche Eigenart darüber nicht vergaß. Indem sich die Frauen mit der Betonung von Weiblichkeit und ihrer Bereitschaft, für soziale Arbeit zuständig zu sein, das Recht auf Bildung erkämpften, beschränkten sie die Frauen auf das Idealbild der Mutter und damit ihre Chancen auf eine allseitige persönliche Entfaltung. Das zeigt sich nicht nur in den hauswirtschaftlichen Fächern der Mädchenschulen, sondern besonders in der Übernahme von sozialpädagogischen und sozialpflegerischen Ausbildungsgängen an den weiblichen Lyzeen (im besten Fall war das Realgymnasium mit einem KindergärtnerinnenSeminar verbunden).
Die Frauenbewegung hatte die Einsicht, daß die Frauen - ausgeschlossen von Kriegsgeschäft und vom Staatsgeschätt - menschliche Fähigkeiten entwickeln können, die zur Erhaltung der Menschheit unverzichtbar sind. Sie forderten, daß diese geleisteten Beiträge zur Menschheitsentwicklung wie ihre konkrete Arbeit im Haushalt oder dann auch in der Erwerbsarbeit gleichermaßen anerkannt wird. Soweit stellten sie unveränderliche und emanzipatorische Forderungen und insoweit ist auch die Bildung zur Weiblichkeit, wie sie von der Frauenbewegung etwa im gesamten Bereich der sozialen Arbeit - Bildung durch und für die Arbeit zugleich - emanzipatorisch und gegen kapitalistische Rechenhaftigkeit, ja sogar ganz explizit gegen die Männer gerichtet.
Die Frauen, die Wohlfahrtspflege auch als eine besondere Ausdrucksweise der Frauenbewegung verstanden, nahmen dabei in Kauf, daß sie zur Aufsicht über andere Frauen eingesetzt wurden. Was in der Frauenbewegung als Solidarität mit den ärmeren Schwestern verstanden wurde, verkehrte sich zur Aufsichtspflicht der wohlhabenden Frauen und Töchter über die Frauen des Volkes. Mit der geliehenen Autorität der staatlichen Ordnung fungierten sie mehr als Ersatzväter denn als mütterliche Schwestern. Sie wurden in Familien eingesetzt, in denen die Männer ihre Aufgaben nicht mehr wahrnehmen wollten oder konnten. Was sich als Hilfe für verwahrloste Jugendliche und Kinder verstand, geriet zur Kontrolle und Disziplinierung von Familienmüttern. Fürsorgerischer Eingriff wurde zum Stigma, dokumentierte den eklatanten Mißerfolg familiarer Mütterlichkeit. Was fälschlicherweise ein Wohlfahrtsmatriarchat zu sein vorgibt, ist in Wirklichkeit die Aufrechterhaltung des weiblichen Unterdrückungszusammenhangs. Sozialarbeit legitimiert also nicht in erster Linie die Ausbeutung der unteren Klassen (HOLLSTEIN/MEINHOLD 1973), sie legitimiert die Tatsache, daß alle Frauen potentielles Klientel sind, sobald sie sich. außerhalb des männlichen Schutzes oder als Opfer männlicher Gewalt außerstande sehen, ihre familialen Pflichten wahrzunehmen und rechtfertigt insoweit dann auch die Klassengesellschaft über die Basis Familie.
IV. Biologische Bestimmung statt Sexualität
Ein weiteres Dilemma ergab sich aber daraus, daß die weiblichen Versuche zur Humanisierung des Lebens aus der wesensgemäßen Bestimmung der Frau abgeleitet wurden und damit auf die schiefe Ebene einer biologistischen Argumentation gerieten, die sich schließlich auch gegen die bürgerlichen Frauen selbst richtete.
Im Kampf um die Berufstätigkeit der Frau strebte die Frauenbewegung Berufe an, für die eine besondere weibliche Eignung postuliert wurde. Außer Erziehungsarbeit im weitesten Sinne wurden darunter pflegende und sorgende Tätigkeiten verstanden. Wissenschaftliche Ausbildung wurde dann für wünschenswert gehalten, wenn damit Tätigkeiten verbunden werden konnten, die das Einfühlungsvermögen der Frauen erforderten oder andere Gründe, wie etwa beim Medizinstudium, vorlagen. So sprach für die Ausübung des Arztberufes durch Frauen die Abneigung der Patientinnen, sich von männlichen Ärzten behandeln zu lassen. Im Kampf um derartige weibliche Tätigkeitsbereiche wurde aber - obwohl an Erwerbsarbeit als Alternative zur Hausfrau und Mutter gedacht war - immer auch zugleich das Hausfrauenideal bestärkt, weil von der weiblichen Bestimmung ausgegangen wurde. Was also als Emanzipation im beruflichen Bereich wirkte und auch so gedacht war, hat sich immer auch auf die Pflicht der Frauen zum Wäschewaschen und Strümpfestopfen im Haushalt ausgewirkt und nicht so sehr zu einer gesellschaftlichen Anerkennung oder gar größeren Wertschätzung der Hausarbeit beigetragen.
Indem die Frauenbewegung auch an der Hausarbeit die emotionalen und pädagogischen Anteile im Leitbild der geistigen Mütterlichkeit betonte, folgte sie dem gleichen Interpretationsmuster, das auch die männliche Gesellschaft für die Hausarbeit hat. Die stofflichen Qualitäten, die krude und harte Arbeit wurde ebenso unsichtbar gemacht, sie stand nicht so mittelbar im Dienst am Nächsten, für den es die Hausfrau besonders zu achten galt. Hier wirkten sich Hierarchie von Hand- und Kopfarbeit als eine von Herz- und Handarbeit ebenso auf die Frauen aus. Sie werteten die materielle Basis der Hausarbeit ab, indem sie die andere Seite als allgemeines weibliches Ideal aufwerteten. [1]
Dieser ganze Prozeß der Bildung zu und durch soziale Arbeit geht noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von der geistigen Mütterlichkeit als einem Bildungsideal aus, das die biologische Fähigkeit zur Mutterschaft erst menschlich veredelt.
Die Rezeption der Fröbelschen Pädagogik ist dafür beispielhaft (TWELLMANN 1972, Bd. I, 74).
Es ist zunehmend im 19. Jahrhundert zu beobachten, wie die biologische Fähigkeit der ideologischen Absicherung der sozialen Einbindung der Frau in die Familie dient und damit den Ausschluß von öffentlicher und politischer Teilnahme zugleich auch den Ausschluß von Bildung legitimieren soll. Im Zuge der Durchsetzung von formaler Gleichheit nach dem Ersten Weltkrieg muß der Ausschluß von Bildung und politischer Macht nicht mehr über formale Verbote erfolgen, sondern war gleichsam naturwüchsig durch den Sozialcharakter der Frau gesichert. Zwar galt geistige Mütterlichkeit noch immer als auszubildende soziale Qualität, durch die Frauen erst ihrer biologischen Bestimmung gerecht werden könnten, doch wird mit der Polarisierung der Geschlechter dieser Bildungsaspekt immer mehr in den Hintergrund gedrängt: aus der Fähigkeit wird die Bestimmung mit biologistischer Argumentation. Mütterlichkeit als soziale Eigenschaft, als Korrektiv von Männergesellschaft wird in die Pflicht zur Mutterschaft im. Dienst am Volk - zum Dienst an der Rasse im Nationalsozialismus - pervertiert.
In diesem grob skizzierten Wandlungsprozeß mausert sich nach. 1945 das Bildungsideal der "geistigen Mütterlichkeit" wieder zur sozialen Verpflichtung der Frau, gesellschaftliche Mißstände mit mütterlicher Hand zu lindern und dem seelenlosen Alltag der Männer wärmenden Atem einzuhauchen.
Die Wohlfahrtspflegerin selbst symbolisiert ein Neutrum: sie vereinigt die männliche Autorität des Staates mit der geistigen Mütterlichkeit sie ist der Prototyp der asexuellen Frau: nicht nur weil sie zumeist ledig und kinderlos ist, sondern der Preis für ihre Anerkennung als öffentlich wirkender Mensch. ist der Verzicht auf Sexualität. Dieser Frauentyp, gebildet zur geistigen Mütterlichkeit, mußte Sexualität verleugnen, um überhaupt gesellschaftlich anerkannt zu werden; er bestimmt bis heute das Bild der Mutter, aber auch das Bild der Frau als Kumpel und Kollegin, vor allem in gehobenen Berufen und in der politischen Öffentlichkeit. Geistige Mütterlichkeit macht die Frau zu einem biologistisch determinierten Geistwesen.
Zugleich wird damit die weibliche Sexualität abgespalten vom Frauenideal als Ware verfügbar. Im Zeitalter des Bubikopfs nach dem Ersten Weltkrieg stehen sich schließlich zwei Modelle weiblicher Emanzipation gegenüber. Die Frauenbewegung ringt um die Stärkung des weiblichen Kultureinflusses, versucht das alte Leitbild der geistigen Mütterlichkeit vergeblich den Einflußformen der parlamentarischen Demokratie anzupassen (vgl. BÄUMER 1920).
Daneben steht das Modell der unpolitischen und ungebundenen jungen Frau, die, jenseits von Familie und ernster Pflichterfüllung versucht, das Leben in vollen Zügen zu genießen.
Beide Modelle erweisen sich als Fallen für die weibliche Emanzipation. In keinem findet sich die Frau als ganzer Mensch akzeptiert.
Man kann die Ausblendung von Sexualität aus der Strategie der Frauenbewegung sicher auch als Verweigerung einer Sexualität, die nicht die ihre ist, interpretieren. Das würde bedeuten, daß die Frauen ganz und gar darauf verzichtet haben, sich überhaupt als sexuelle Wesen zu erfahren und diesen Verzicht schließlich auch im politischen Programm der Emanzipation festlegten,. Das Vorbild von Luise Otto ist Maria Magdalena (z. B. Luise Otto über Luise Aston: TWELLMANN 1972, Bd. 2,8 5 ff.). Hier mischte sich bürgerliche Prüderie mit einer weiblichen Verweigerungsstrategie. Diese von vielen Frauen mehr oder weiger bewußt praktizierte Verweigerung sexueller Unterwerfung konnte aber nicht offensiv gewendet werden. Das Ideal der Mütterlichkeit als Wesen der Frau war schließlich auch an die biologische Funktion des Kindergebärens gebunden. Zwischen den gesellschaftlichen Bildern der Frau, der Heiligen und der Hiire, der Wissenden und der Schwätzerin, wählten die Frauen der Frauenbewegung das der Heiligen und Wissenden. Sie zogen sich mit ihrer Strategie der Verweigerung (die gebrochen blieb) auf die durchgeistigten höheren Werte zurück und wurden unantastbar.
Damit allerdings konnten sie im begrenzten Ausmaß Einfluß erringen. Zudem aber konnte das mühsani errungene Terrain auf einer neuen Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung flugs wieder in die reale Welt der Männer integriert und die weiblichen Fähigkeiten instrumentalisiert werden.
Bis heute bleibt die Frage offen, ob partielle Veweigerungen überhaupt geeignet sind, Frauen mehr Macht zu geben. Genauer muß gefragt werden, worauf Frauen sich zurückziehen, wenn sie sich verweigern. Es ist zweifelhaft, ob dies Fähigkeiten sein könnten, die den Frauen schon zugeschrieben worden sind. Am Beispiel der Mütterlichkeit in der frühen Frauenbewegung wurde die Ambivalenz als positiv gewendete, historisch erworbene Kompetenz von Frauen sichtbar und zur diskriminierend gebrauchten "weiblichen" Natur. In den Tendenzen zur neuen Mütterlichkeit in der neuen Frauenbewegung kommt das alte weibliche Bildungsideal zweifelsohne wieder zum Vorschein. Es ist heute verbunden mit einer Bewegung zum Spirituellen und Mystischen, hinter dem unschwer der Glaube an eine "besondere" weibliche Natur zu erkennen ist. Es bleibt zu hoffen, daß wir Frauen der neuen Frauenbewegung nicht das fatale Erbe der alten Frauenbewegung auch darin antreten, daß wir uns selbst zu politischer Hilflosigkeit verdammen, wenn politische Wachsamkeit am Platze wäre.