Das Schulerlebnis der bayerischen Mädchen

Vor 1750 war Bildung im allgemeinen auf den Klerus und die höheren Stände beschränkt. Während der Aufklärung jedoch wuchs eine pädagogische Literatur heran, die sich mit der Erziehung des Volkes beschäftigte. Dem Staat, den Lehren der Aufklärung nach, nützte ein Publikum mit einem gewissen Bildungsniveau. Stark von diesen Lehren beeinflußt, förderten seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts mehrere Regierungen deutscher Staaten die Verbreitung von Schulen. Mit der Einführung von Schulpflichtigkeitsgesetzen und Schulkommissionen fing der Staat an, in allen Phasen der Erziehung eine Rolle zu spielen.
Die Kirche, die ihr Monopol über Erziehung gefährdet sah, wurde vor die Alternative gestellt, entweder ganz zurückzutreten oder zusammen mit dem Staat, das Erziehungs- und Bildungsniveau zu heben.
Nach dem Wiener Kongreß, unter der Aufsicht von Regierungen die ihr möglichstest taten, den Ständestaat zu restaurieren, wollte das deutsche Bürgertum in aller Ruhe das gutbürgerliche Leben wieder genießen. Die Wiederherstellung des Friedens erlaubte den Deutschen ihre Energien auf das Private zu richten.
Die Mehrheit der Leute interessierte sich kaum für Politik. Ihr Leben war auf Familie, häusliche Freude, auf das Alltägliche ausgerichtet. Kurz nach 1850 kommt der Ausdruck Biedermeier für diese Zeit auf. Biedermeier war ursprünglich sarkastisch gemeint, als Angriff auf die spießbürgerlichen Tendenzen dieser Epoche. Aus der Retrospektive erscheint der Biedermeier nicht ganz so lächerlich. Die Beidermeierzeit steht zu Deutschland wie das "Age of Victoria" zu England, gekennzeichnet durch die Sitten des bürgerlichen Standes. Die patriarchalistische Familie steht mitten drin, umrissen von Gott, Kirche und Staat. In der Literatur dieser Epoche kehren bestimmte Themen immer wieder vor. Im Rahmen dieses Aufsatzes möchte ich zwei dieser Biedermeier Themen hervorheben: die Wichtigkeit, die der Erziehung der Jugendlichen beigemessen wurde, wie auch die Stellung der Frauen und Mädchen in der Gesellschaft. Diese beiden verwandten Aspekte wurden durch einen gemeinsamen Nenner verbunden: die Erziehung des weiblichen Geschlechts.
Das Ideal der guten deutschen Hausfrau stammte nicht nur von zu Hause, sondern wurde erst recht in den Mädchenschulen gepflegt. Es ist die Absicht dieser Arbeit, dieses Zusammenspiel zwischen Heim und Schule am Beispiel von zwei Mädchenschulen in München, die um die Zeit des Wiener Kongresses gegründet wurden, zu untersuchen. Eine Betrachtung der Lehrpläne, ein Blick auf die Gedanken der Eltern, der Lehrkräfte und des Aufsichtspersonals der Schulen erlaubt uns das Schulerlebnis der Mädchen zu rekonstruieren. Dieses Bild ist natürlich nur ein Mikrokosmos. Trotzdem ist es wohl möglich, daraus Schlüsse zu ziehen, die für das allgemeine Schulerlebnis der Mädchen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gelten.
Die Alte Garde sah natürlich große Gefahren in der Erziehung der Mädchen. Erstens war der Schulbesuch von Mädchen schädlich für ihre Gesundheit. Weiterhin gab es moralische Bedenken: könnten sich Mädchen gegen schlechte Einflüsse auf der Straße wehren? Und dann: falls Mädchen sich überhaupt für eine Ausbildung eigneten, dann sollten sie doch von ihren Müttern zu Hause unterrichtet werden. [1] Wankelmütige, die von der Durchschlagkraft dieser Argumente nicht überzeugt waren, wurden daran erinnert, daß Männer schließlich keine gebildeten Mädchen als Frauen gebrauchen konnten. Wenn eine gebildete Frau ihre Interessen in der Ehe weiter verfolge, darüber waren sich die Fachleute einig, würde das häusliche Leben für den Mann fürchterlich. [2]
Obwohl die abträgliche Meinung über Mädchenerziehung häufig anzutreffen war, gab es auch Leute, die sich diesem Urteil nicht anschlossen. Ein Reformplan aus dem Jahre 1793 behauptet, daß:

Eine bessere Erziehung und Bildung des weiblichen Geschlechtes ist unstreitig das Hauptbedürfnis unseres Zeitalters. Außer diesem fordert uns das ganze weibliche Geschlecht noch zu anderseitigen Hilfe auf. es bittet und fleht um Versorgung. Beim, Anblick des Schicksales des weiblichen Geschlechts muß uns das Herz bluten. Der Freiheit beraubt, sich nach Belieben einen Stand zu wählen, ist jedes Mädchen durch Modegesetze gebunden zu warten, bis sie ein Mann wählt. Erhält sie diese Wahl nicht, muß sie oft in Elend und Not schmachten, da ihrem Geschlechte beinahe alle Nahrungswege von dem männlichen entrissen sind. Wird sie zum Ehestand gewählt, ist oft die Sklaverei ihr Los. [3]

Mit der Gründung neuer Schulen verfolgte der Staat natürlich seine eigenen Interessen. Aber gleichzeitig gab er damit dem städtischen Mittelstand die Gelegenheit, als Förderer einer fortgeschrittenen Mädchenerziehung - in Grenzen - aufzutreten. Stimmen, die Mädchen wie Jungens jedoch eine gleiche Ausbildung einräumen wollten, kamen nicht auf. Was sollte unter "richtiger Mädchenerziehung" verstanden werden?[4]
Viele meinten, daß eine gute Ausbildung den Charakter der Mädchen prägen würde. Weitere Vorteile einer fortgesetzten Ausbildung für Mädchen, so argumentierten ihre Befürworter, waren die besseren Berufsqualifikationen, die, im Falle trüber Heiratsaussichten, die Suche nach einer Anstellung erleichterten.
Mädchen, die in häusliche Dienste traten, waren einerseits vom 12. bis 16. Lebensjahr schulpflichtig, andererseits schien aber in zahlreichen Fällen ihre Dienstherrschaft den Schulbesuch zu verhindern. Eine fortgesetzte Ausbildung unter staatlicher Kontrolle würde diesen Mißstand beseitigen. Ferner wäre das Argument zu berücksichtigen, daß schwere Hausarbeit viele junge Leute zum Krüppel mache: es wäre daher am besten, wenn sie länger in der Schule blieben, eine bessere Erziehung bekämen und ihre Gesundheit schonten. [5] Die bürgerliche Gesellschaft konnte schließlich keine untauglichen Mitglieder brauchen. [6]
Solche Äußerungen über Mädchenerziehung klingen schon fortschrittlich. Aber bei Genuß der einschligigen Literatur drängt sich der Verdacht auf, daß selbst ihre Befürvorter der Mädchenerziehung Schranken setzen wollten. Mädchen sollten eine "geeignete Erziehung" bekommen. Es wurde als selbstverständlich angenommen, daß Mädchen Gattinnen und Mütter werden wollten. Haushaltskunst stand im Mittelpunkt von jeder Erörterung von Lehrplänenund fächern. Aber eine einfache haushälterische Erziehung war nicht genug. [7] Es sollte einen Lehrplan geben, der rein auf Mädchen zugeschnitten war:

Eines dieser Gesetze ist auch das, daß man nicht zu Vielerlei gleichzeitig lehre, und daß man den ganzen Lectionsplan möglichst vereinfache. Denn manche Lehrgegenstände werden besser gelegentlich bei anderen erlernt. So zum Beispiel beweist es wenig pädagogische Kunde, wenn in den Lectionsverzeichnissen für Töchteranstalten die Mythologie figuriert. Was dem Mädchen von solchen Kenntnissen Noth thut, faßt es ohnehin am besten mit anderen Belehrungen auf, zum Beispiel in der Geschichte. Mit der Anthropologie verhält es sich ebenso. Mehr wird in unsern Zeiten von Kenntnissen in der Physik und Chemie nebst den wichtigsten aus der Technologie verlangt, inwiefern sie in der Haushaltung nützlich sein können. Denn die Kenntnisse aus dem ökonomischen Fache liegen dem Berufe, der Hausfrau doch am nächsten. Nur sei aller Unterricht für Mädchen in allem diesem nicht strenge wissenschaftlich, sondern mehr in das Leben eingehend. [8]

Die Schulen sollten die Familie nie ersetzen. Aber um das alltägliche Leben widerzuspiegeln, sollten die Mädchenschulen eine erweiterte Familie für die Schülerinnen bilden. Man hielt es für wichtig, ein freundliches Milieu, besonders in den N4ädchenpensionaten zu fördern. Nur so bekamen die Mädchen eine Erziehung, die nicht nur praktisch, sondern auch häuslich orientiert war. [9]
Außer den Fachleuten interessierten sich zwei Gruppen in der Gesellschaft für die Mädchenerziehung und den Zustand der Schulen: die Eltern der Schülerinnen und die betreffenden Beamten bei der Regierung. Obwohl im 19. Jahrhundert Knabenerziehung wichtiger genommen wurde, gab es Eltern, die sich für die bessere Erziehung ihrer Töchter einsetzten. Klagte ein Vater, "Unsere Töchter sind von aller besseren Bildung ausgeschlossen ... aus dem ABC-Unterricht werden sie ohne Gnade an den Kochherd, in die Kinderstube, in das Putzzimmer verstoßen." [10] Selbst im ländlichen Indersdorf - 30 km von München findet man Anzeichen dieses elterlichen Interesses. Die Salesiannerinnenschule des Ortes wurde im Zuge der Klostersäkularisierung von 1803 geschlossen. Die Eltern der betroffenen Schülerinnen beschränkten sich nicht nur auf einen massiven Protest, sondern forderten die Nonnen auf, eine neue Töchterschule zu eröffnen. Vor vollendete Tatsache gestellt, genehmigte das Staatsministerium des Innern drei Jahre später schließlich diesen elterlichen Alleingang. [11] In Anbetracht der Religionsfeindlichkeit der Montgelas'chen Regierung war dies eine erstaunliche Konzession.
Der Tätigkeitsdrang vieler Eltern dehnte sich auch auf den' Unterricht als solchen aus. In einer Beschwerde klagten die betroffenen Eltern:

... daß ihre Kinder in Aufsätzen oder gar "Abhandlungen" Gedanken producieren sollen über Gegenstände, die weit über ihren Horizont gehen. Darin kommen unglaubliche Mißgriffe vor. Zwölfjährige Mädchen sollen über den Ursprung der Tragödie, über den Werth der Tugend, über den Reiz kindlicher Unschuld schreiben.

Andererseits wollten einige Eltern, daß ihre Töchter eine Erziehung genießen, die ihnen selbst in ihrer Jugendzeit versagt war. Während die Eltern die äußerliche vielseitige Ausbildung in der Schule betont sehen wollten, warf dies besondere Probleme für ehemalige Klosterfrauen auf, die von ihrer Eignung her für die Bildung des inneren Menschens sorgten. [13]
Das Thema Mädchenerziehung wurde ferner durch den Staat bereichert. Seit der Aufklärung wuchs das Interesse der Beamten an Erziehungsfragen. Die Schulen wurden unter die Aufsicht des Staates gebracht. Nur der Religionsunterricht blieb der Kirche. [14] Es hat Auseinandersetzungen gegeben, ob der Staat sich überhaupt um Mädchenerziehung kümmern sollte, weil Frauen schließlich nicht in Staatsdienste eintraten. [15] Trotzdem hörte man von der Notwendigkeit, daß die Mädchen eine gut staatsbürgerliche Erziehung bekommen sollten. Die Mädchen waren doch patriotisch und konservativ, ein Vorteil für den Staat: Auch das weibliche Geschlecht hat einen wesentlichen und wichtigen Antheil an der Erziehung für den Staat. Es ist also durchaus konservativ in seiner politischen Grundrichtung, und in diesem Sinne ist es zugleich einer der ersten Vertreter eines Systems der Nationalerziehung. [16]
Dank solcher Erziehung, die natürlich unterschiedlich für jeden Stand ausgerichtet werden mußte, konnten die Mädchen gute Frauen, Mütter und selbst Staatsbürger(-innen) werden. [17]
Es stellt sich die Frage, inwiefern diese Erziehungserlebnisse gewisse Einflüsse auf die Geisteshaltung der Mädchen hinterlassen haben. Wie haben Lehrkräfte und Lehrpläne eine auf ihr Geschlecht bezogene Haltung in den Mädchen gefördert? Von den Mädchen erwartete man nicht nur Lerneifer, sondern auch Gehorsamkeit. Sie sollten ihre Eltern und besonders das Alter ehren. Natürlich hatten schon von jeher elterliche Einflüsse einen großen Eindruck auf die Mädchen gemacht, ein Eindruck der durch Schtflpflichtigkeitsgesetze und das Schulerlebnis bekräftigt werden sollte.
Kurz nach der Jahrhundertwende, im Laufe der Klöstersäkularisation wurde Mädchenerziehung in Bayern weitläufig diskutiert. Interessierte Beamte beschäftigten sich mit Erziehungsreformen. Dem Rat pädagogischer Experten der Aufklärungsepoche folgend, führte die bayerische Regierung Schulgesetze ein. Der Ideen der Aufklärung sind in Bayern erst duch die Arbeit Maximilian von Montgelas eine Bresche geschlagen worden. In seinem Programm das altmodische Kurfürstentum zu rationalisieren, war die Erziehungsreform ein Hauptthema. Im Jahre 1802 führte seine Regierung die allgemeine Schulpflicht ein und weitete diese ein Jahr später auf Sonn- und Feiertagsschulen aus. [18] Obwohl Montgelas kein besonderes Interesse an Mädchenerziehung zeigte, gab es während seiner Amtszeit, besonders zwischen 1802 und 1809, Gesetze und Reskripte, die die Basis für die Gründung von Mädchenschulen und ihre Führung darstellten. [19] Diese sahen es als selbstverständlich an, daß die Geschlechter getrennt blieben. Die Mädchen sollten von der Rohheit der Jungen verschont werden. [20] Der bayerische Lehrplan von 1804 legte genaue Richtlinien für das Verhalten der Lehrkräfte fest. Dieser Plan enthält spezifische Hinweise für den Unterricht an Mädchenschulen. [21]
Am besten bestände der Lehrkörper an Mädchenschulen nur aus Lehreriiinen. Durch die Aufhebung der Klöster wurde die Zahl fähiger, weiblicher Lehrkräfte stark herabgesetzt, da Nonnen nicht automatisch für den staatlichen Lehrdienst zugelassen wurden. Der Staat begann zur gleichen Zeit Lehramtskandidaten zu prüfen. Die Frauen, die einen staatlichen Lehrschein bekommen wollten, mußten ein Privatstudium unternehmen, um sich für diese Prüfung vorzubereiten. Ein Beispiel einer Prüfungsfrage aus der Zeit wurde von Kreszenz Rapp wie folgt beantwortet:

Warum wählt man für Mädchen-Schulen weibliche Lehrerinnen?
Die Mädchen erfordern eine sanfte, etwas zartere Behandlung als die Knaben; weil ihnen die Natur den Keim der Sanftmuth und der Schüchternheit, als die edleste Gabe für ihre Geschlecht, in ihr Herz gepflanzte/: versteht sich solche Schüchternheit, die die weibliche Sittsamkeit zur Begleiterin hat:/ Wer kann also diese weiblichen Gefühle, die seine Delikatesse, welche in ihr ganzes Wesen verwebt ist, besser behandeln als eine selbst von ihrem Geschlechte? Diese weiß jene Gefühle am besten zu entwickeln: denn sie trägt sie selbst in ihrem Busen. Sie kann daher den Mädchen ihre Leidenschaften mehr bezähmen, ihre edlen Gefühle mehr zur reinsten Tugend bilden, als ein Lehrer, der nur aus Büchern weibliche Delikatesse kennt. [22]

1814 eröffnete die bayerische Regierung eine Präparandinnenanstalt, um weltliche Lehrerinnen auszubilden. Das Ziel dieser Anstalt war jedes zweites Jahr 12 bis 15 Absolventinnen heranzubilden. Die Präparandinnenanstalt schloß im Jahr 1825, als ihr Lehrprogramm von der höheren Töchterschule in München übernommen wurde. An der Notwendigkeit weiblicher Lehrkräfte in den Mädchenschulen wurde lange festgehalten. In 1836, erschien eine Ministerial-Entschließung, die wieder dieses Thema ansprach. [23] Trotz dieses frommen Wunsches gab es an den Mädchenschulen weiterhin immer Lehrer.
Wie wurden diese Einstellungen Mädchenerziehung gegenüber an einer Schule in die Tat umgesetzt? Um diese Frage näher zu beantworten ist es nötig, bestimmte Beispiele zu beschreiben.
Max I Josef zeigte großes Interesse für Erziehungsfragen in seinem Königreich. Die weibliche Erziehung lag ihm besonders nah, weil er Vater von sieben Töchtern war. Die Schulreformen am Anfang seiner Regierungszeit zielten auf die Gründung weltlicher Schulen ffir Knaben und Mädchen hin. In München wurden zwei staatliche weibliche Erziehungsanstalten gegründet, das Max Josef Institut und die Nymphenburger Schule. Durch die Gründung mehrerer Kreisanstalten sollte die Mädchenerzieh-ung in Bayern auf eine breitere Basis gestellt werden. Leider sind diese Pläne nicht zu Stande gekommen, wegen Mangels an Geld. [24]
Das Max Josef Institut hatte den höchsten Rang unter den bayerischen Mädchenschulen inne. Eng mit der königlichen Familie verbunden, wurde die Schule im Jahr 1813 zum Anlaß des königlichen Geburtstages eröffnet. [26] Sie war nur für die Töchter des höheren Standes bestimmt. [27] Die Anstalt sollte als Musterbeispiel gelten. Ein Jahr vor der Eröffnung äußerte Montgelas seine Meinung daß:

Wenn der Plan des Instituts dem Zwecke desselben entsprechen soll, so darf er sich nicht bloß auf äußere Formen und auf Unterricht beschränken, sondern er muß die innere Bildung der Zöglinge, die eigentliche Erziehung derselben, mit steter Rücksicht auf ihre künftige Bestimmung, zugleich damit vereinigen. Das Institut muß eine Unterrichts- und zugleich eine Bildungs-Anstalt seyn, die ganze Verfassung und Einrichtung des Hauses muß zu jenen Tugenden führen, welche die jungen Frauenzimmer an ihren künftigen verschiedenen Beziehungen als Vorsteherinnen des Hauswesens als Gattinnen, als Mütter, als Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft auszuüben haben, jeder Anlaß muß benützt werden, gute Gesinnungen und edle Gefühle zu erwecken und erhalten ... [28]

Vor der Eröffnung des Instituts stellte sich die Frage inwiefern die Anstalt einen französischen Charakter haben würde. Beamte sowie Eltern sahen mit Mißtrauen, daß die erste Vorsteherin eine Französin war. Montgelas meinte, daß die Schule für deutsche Töchter sein sollte. Die Schülerinnen dürften zwar die französische Sprache erlernen, aber nicht auf Kosten ihrer Deutschkenntnisse. [29]
1813 wurde das Institut unter der Leitung von einer Madame Chardoillet und zehn französischen Lehrerinnen eröffnet. Diese Lehrkräfte sorgten für die weiblichen Künste und auch das Alltägliche des Schullebens, zum Beispiel die Aufsicht bei den Mahlzeiten und in den Schlafräumen. Für Unterricht in Religion, Deutsch, Rechnen, Zeichnen, Schönschreiben, Tanzen und Musik wurden Lehrer angestellt. Die Schülerinnen waren zwischen sechs und siebzehn Jahren alt, und bei der Eröffnung waren sechzig eingeschrieben. [30]
Ungeachtet der Sorge der bayerischen Beamten, richtete die Vorsteherin die Schule nach französischem Nuster ein. [31] Sogar eine französische Schule, Ecouen, diente als Vorbild. [32] Der erste Lehrplan versuchte jedoch bewußt etwaige französische Einflüsse in der Schule einzudämmen. Die Provisorischen Gesetze der Schule sahen vor, daß:

Die Muttersprache wird nach Grundsätzen gelehrt. Ein gleiches gilt von der französischen Sprache. Man wird Sorge tragen, daß die Zöglinge beide Sprachen richtig und geläufig sprechen und schreiben lernen. [33]

Die Lehrkräfte sollten den Schülerinnen tiefe Religiosität und Pflichtgefühl ans Herz legen. Neben dem Religionsunterricht für beide Konfessionen waren Deutsch, Französisch, Geschichte, Geographie, Naturgeschichte (Kräuterkunde), Rechnen, Zeichnen, Musik, Handarbeit und Tanzen als Unterrichtsfächer in dem Lehrplan, enthalten. [34] Englisch und Italienisch wurde in der III. Klasse gelehrt. Ziel blieb das übliche: die Mädchen für ihr Leben als Hausfrauen und Mütter vorzubereiten:

Mit besonderer Sorgfalt wird man zur Hauswirtschaft anleiten und für jene Verrichtungen vorbereiten, welche die Mädchen einst als Gattin und Hausmutter zu besorgen haben. Sie müssen Kleider und Weißzeug selbst anfertigen. Ältere Zöglinge müssen jüngere pflegen und ankleiden, sind für Ordnung und Reinlichkeit derselben verantwortlich. Die Unterrichtsstunden sind Vormittag, am Abend Näh- und Strickstunden, wobei Leseübungen stattfinden. [35]

Weil die Finanzierung des Max Josef Instituts von der bayerischen Regierung und daher aus öffentlichen Geldern bestritten wurde, kommt es als Thema in den Ausführungen der Abgeordneten in der bayerischen Kammer vor. Geldmangel hat die Anstalt nicht zu fürchten. Aber es gab kritische Äußerungen über das Institut. Die "französische Form" der Schule stand im Weg aller Bestrebungen, den Mädchen eine nationaltreue Erziehung angedeihen zu lassen. Es schien als ob der beanstandete französische Einfluß mit der Zeit schwächer wurde. Ein Bericht aus dem Jahre 1847 sprach von dem Unterricht in Geographie, Geschichte, und der deutschen Sprache, und wie diese in den Mädchen einen Sinn für ein deutsches Vaterland erwecken würden. [36]
Aus diesem kurzen Überblick läßt sich ersehen, daß die Traditionen des alten Ständestaates in diesem Institut weiter gepflegt wurden. Die Mentalität Bayerns in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts war nahezu die gleiche, die in Frankreich in der Zeit vor der Revolution herrschte. Die Töchter der höheren Stände wurden als tüchtige, religiöse Hausfrauen und Mütter erzogen; obendrein hatten sich die Mädchen französische Sprachkenntnisse und Sitten angeeignet. Sie waren für das Leben ihrer Gesellschaftsschicht vorbereitet.
Die höhere Töchterschule in München, durch die Bemühungen einiger Bürger zu Stande gekommen, bietet ein zweites Beispiel. Im Sommer 1820 stimmte die bayerische Regierung dem Vorschlag zu, eine höhere Töchterschule für die Mädchen der mittleren Stände zu eröffnen. Nach dem Bericht der Lokalschulkommission sollte diese höhere Töchterschule "nicht früher eröffnet werden..., als bis sie durch eine hinlängliche Zahl von Abonnenten gedeckt ist". [37] Dieser Vorbehalt war auf der Sorge begründet, daß die Töchterschule, anders als das Max Josef Institut, dem staatlichen Schulfond zur Last fallen könne. [38]

Die Schule wurde im Dezember 1822 als erste städtische Mädchenschule in Bayern eröffnet. Ein großer Vorteil für die Schülerinnen bot sich daran, daß die Töchterschule eng mit der Bürgerschule für Knaben verbunden war.

Die Töchterschule erhält dadurch 1. einen tüchtigen Lehrerstand, 2. einen guten Arithmetikunterricht mit gleichem Stoffausmaß wie die Bürgerschule; sogar die Grundbegriffe der Geometrie, Zeichnen und Realien, daß ist, Geschichte, Erdkunde, Naturlehre, werden gelehrt, 3. ein ausgewähltes Schülerinnenmaterial durch Einführung einer Aufnahmenprüfung. [39]

Aus dem ersten Jahresbericht kommt die Auskunft, daß siebzig Matrikulantinnen eingeschrieben waren, von denen achtzehn wieder austraten und siebenundzwanzig die Note sehr gut verdienten." [40] Um in die Schule aufgenommen zu werden, mußten die Mädchen das zwölfte Lebensjahr schon zurückgelegt und die Grundschule mit einem sehr gut absolviert [41] haben. In dieser Schule arbeiteten die Lehrkräfte in enger Verbindung mit den Eltern. Die Eltern wurden auf regulärer Basis in die Schule eingeladen, um dort den Unterricht beizuwohnen. Die elterliche Zusammenarbeit mit dem Lehrkörper sollte das Schulerlebnis mit dem Alltäglichen zu Hause verbinden. [42] Zwar wurde dieses elterliche Engagement allgemein als lobenswert empfunden, aber ein Schulinspektor im Jahr 1823 klagte, daß die Eltern die häuslichen Tugenden zu sehr betonten. [43] Am Ende des Schuljahres fand eine mündliche Prüfung statt. Die Eltern der Töchter durften dabei sein. [44] Im Herbst 1824 befürworteten einige Eltern die Zulassung eines dritten Kurses an der Schule. Die Lokalschulkommmission leistete diesem Vorschlag Widerstand, weil die Schule ihr Ziel, daß heißt, die Fortsetzung des Elementarunterrichts, gut genug erfüllte. [45]
Der Lehrplan der höheren Töchterschule unterschied sich von dem des Max Josef Instituts durch seine pragmatische Ausrichtung. Neben den üblichen Lehrfächern Deutsch, Schönschreiben, Geographie, Geschichte, Rechnen, Handarbeiten, und Naturgeschichte, wurde praktischer Unterricht in Behandlung des Flachses und Hanfes, Zucht der Küchengewächse und Pädagogie in den Lehrplan aufgenommen. Es war unbestreitbar, daß diese Erziehung darauf hinzielte, aus den Mädchen tüchtige Bürgersfrauen und Mütter zu machen, aber andere Betätigungen nicht ausschloß. Es wurde vom Stadtrat Simon Spitzweg und anderen eingeräumt, daß einige der Mädchen den Wunsch haben könnten als Lehrerinnen ausgebildet zu werden. [46] Spitzweg sah keine Ursache zu:

befürchten... daß dadurch die künftigen Bürgerinnen zu gelehrt, und für ihre eigentliche Bestimmung unbrauchbar werden möchten, denn unstreitig kleideten Kenntnisse die Frauen eben so gut, als den Mann; und außerdem wird es jeder Bürgerin namhaft zu statten kommen ihren Kindern die erste Lehrerin zu werden, und denselben in den verschiedenen Schulgegenständen zu Hause nachhelfen zu können. [47]
Die Kochkunst und ähnliches sollten die Schülerinnen außerhalb der Schule lernen. [48] Leider ist die Entwicklung der Schule und ihres Lehrplans nach dem Tode Spitzwegs (gegen 1830) zum Stillstand gekommen. Um die Schülerinnenzahl zu erhöhen, wurde die Aufnahmeprüfung aufgehoben. [49]

Ein Dokument aus den Akten dieser Schule verdient besondere Betrachtung. Der Bericht für das Schuljahr 1824/25 gibt uns Aufschluß über die Wünsche einiger Schülerinnen wie sie ihr Leben nach der Schulentlassung gestalten wollten. Aus einer Klasse von sechzig Schülerinnen, wollten immerhin sieben Lehrerinnen werden, fünfzehn Haushaltungsgeschäfte leiten, und eine weitere einen Beruf ergreifen, in dem sie ihre Französischkenntnisse anwenden könne. [50] Wenn es solche Auskunft über die Schülerinnen des Max Josef Instituts gegeben hätte, wäre sie anders ausgefallen.
Welche Schlüsse können aus diesen Beispielen gezogen werden? Es ist nicht zu leugnen, daß beide Schulen ihre Schülerinnen für eine bestimmte Geschlechtsrolle, gute Frauen und Mütter zu werden, erzogen. Die Unterschiede zwischen den Anstalten spiegeln die Unterschiede zwischen den Gesellschaftsgeschichten, denen sie dienten, wider. Das Max Josef Institut war nur für Mädchen der höheren Stände bestimmt, während die höhere Töchterschule auf den mittleren Stand ausgerichtet war. Bei der Töchterschule ist es möglich, über Frauenberufe, wenn auch nur in einem engeren Sinn, zu sprechen. Dort waren doch erste Spuren von der gleichberechtigten Erziehung für Mädchen und Knaben vorhanden. Aber in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wäre diese Art der Gleichberechtigung wohl kaum von jemandem ernst genommen worden. Es gab zwar Vorkämpferinnen dieser Idee, unter denen die Norddeutsche BETTY GLEIM eine besondere Stellung einnimmt. In ihrem Buch Erziehung und Unterricht des weiblichen Geschlechts (1810) schrieb sie:

Das Mädchen soll also erstlich gebildet werden als Mensch und zum Menschen, zweitens als Weib und zum Weibe, und für den möglichen Beruf einer Gattin., Mutter und Hausfrau. Allein es muß noch ein drittes hinzugekommen, wenn es sich auf Erden frei, froh und glücklich fühlen soll ... Dieses Mittel besteht einzig darin: man erteilte dem Mädchen wie dem Knaben eine Berufsausbildung. [51]

Die bayerischen Schulen jedoch haben die Mädchen für ein Leben vorbereitet, das den Erwartungen ihrer Gesellschaft und Schicht entsprach. Diesen Frauen ist der häusliche Friede, zusammen mit Mann und Kindern, ein nachzueiferndes Vorbild. Sie konnten Lesen und Rechnen um den Haushalt zu führen. Aber als Frauen sollten sie nicht unbedingt ein Interesse für das öffentliche Leben zeigen. Dieses Weltbild ließ nichts übrig für die unverheirateten Frauen. Aber schon solch ausgefallene Gedanken waren unerhört, weil sie in direktem Konflikt mit dem Vorbild der gut bürgerlichen Familie der Biedermeierzeit standen.
Mit der Turbulenz der 48er Revolution und der Verbreitung industrieller Arbeit und Probleme wird das Bild der Biedermeler-Familie in den Hintergrund gedrängt. Erst im Bann der gesellschaftlichen Veränderungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand eine geistige Welt, in welcher neue Gedanken, wie die Gleichheit der Frauen, Platz fanden. Erst in dieser Zeit werden tiefgreifende Verbesserungen in der Mädchenerziehung in Deutschland wirklich sichtbar.

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