Frauenarbeit und Wirtschaftslage 2

Die Bedeutung der Frauenarbeit in der Volkswirtschaft

(1931/32)

Wir verstehen unter Wirtschaft die planmäßige Versorgung der Menschen mit Gütern. Zu wirtschaftlichen Gütern gehört alles, was in seiner Menge hinter dem Bedarf der Menschen zurückbleibt, also produziert werden muß. Zu ihnen gehören nicht nur materielle Objekte wie Nahrungsmittel, Kleidung, Wohnung, sondern auch Immaterielles wie Theateraufführungen, wissenschaftliche Arbeiten, ärztliche Dienstleistungen, Dienstleistungen für Krankenpflege, für die Erziehung der Jugend u. a. Volkswirtschaft ist die Wirtschaft innerhalb einer bestimmten, staatlichen Schicksalsgemeinschaft.
In die Volkswirtschaft ist die Frau auf zweifache Weise verflochten: einmal indem sie selbst als Herstellerin bzw. Verkäuferin von Gütern auftritt: Arbeiterin, Krankenschwester, Gelehrte, Lehrerin ist, also indem sie Berufe innerhalb der Volkswirtschaft ergreifet. Das andere Mal indem sie als Käuferin in der Volkswirtschaft Güter dem Markte entnimmt, entweder für sich allein oder - wie es meist der Fall ist- auch vertretend für Mann und Kinder. Die Frau ist also als Produzentin und Konsumentin in die Volkswirtschaft verflochten.
Als Konsumentin hat die Frau einen Einfluß auf die Richtung der Produktion in der Volkswirtschaft. Nichts kann auf Dauer hergestellt werden, was sie nicht nachfragt. Sie hat es dadurch also in der Hand, bestimmte Produktionen zu fördern; Auslands- oder Inlandsware, mit Maschinen oder durch Handwerk hergestellte Erzeugnisse zu kaufen. Die Frauen Amerikas versuchten bereits durch Gründung einer national consumers league ihren Einfluß auf die Arbeitsverhältnisse geltend zu machen. Diese Liga boykottierte z. B. Waren, die durch ungenügend bezahlte Arbeit hergestellt waren, um dadurch höhere Löhne für die Heimarbeiterinnen zu erzwingen. Hier liegen für Frauenorganisationen noch weite Möglichkeiten.
Als Produzentin kann die Frau, wie die Geschichte zeigt, in sehr verschiedenem Maße in die Volkswirtschaft verflochten sein. Bereits im Mittelalter gab es eine Zeit, in welcher die Frau innerhalb der durch Zünfte geregelten Wirtschaft gleichberechtigt neben dem Manne zu wirken begann, bis sie durch den Mann, im Kampf um einen verknappten Nahrungsspielraum, aus ihrer Position wieder verdrängt wurde. Auch in der Gegenwart besteht ja die Tendenz, die Frau zurück, ja sogar überhaupt möglichst aus den Berufen in der Volkswirtschaft herauszudrängen. Nähme sie doch dem Manne in der jetzigen Zeit der Arbeitslosigkeit die Erwerbsmöglichkeiten.
An und für sich ist es vom Ganzen der Volkswirtschaft aus gesehen gleichgültig, wer arbeitet! Immer muß der Arbeitende, ob Mann oder Frau, die nicht Arbeitenden direkt oder vermittelst Umweg über Staat und Gemeinde mit ernähren. Doch scheint - vom Ganzen aus gesehen - die Arbeit des Mannes in der Volkswirtschaft wertvoller, weil er die Familie gründet, wobei die Agitation gegen die Frauenarbeit dann noch weiter auf den Argumenten basiert, daß die Arbeit der Frau in der Volkswirtschaft von vornherein ein Eindringen in die Berufssphäre des Mannes gewesen sei und daß die Frau »von Natur«, in die Familie oder nur in eine geringe Zahl spezifisch weiblicher Berufe gehöre.
Kann man das erstere dieser beiden letzten Argumente zum großen Teil auch, wie Elisabeth Schwarzhaupt dargelegt hat, [4] durch den Hinweis als nichtig aufzeigen, daß die Frau ja nur den von ihr früher im Hause geleisteten Vorrichtungen, die ihr durch die Maschine genommen wurden, in die Volkswirtschaft nachgewandert sei, so scheinen die beiden anderen Argumente immer noch eine ungeheure Stoßkraft zu besitzen. Auch bei Frauen! Daher wird die augenblickliche Krise in der Volkswirtschaft wiederum zu einer Krise unserer beruflichen Position in der Volkswirtschaft, und dies zeigt uns wiederum, wie tief der Einzelne und das Ganze miteinander verflochten sind. Was jedoch für das Einzelleben gilt, gilt auch für eine Bewegung. Jede Krise kann fruchtbar werden, wenn um Kräfte zu ihrer Überwindung gerungen wird, Kräfte, die letzten Endes aus Selbstbesinnung erfolgen - ich erinnere an die Lehre vom Wert des Leidens in den Religionen - Kräfte, die dem Menschen, ihn ein für alle Mal erhöhend, auch nach der Überwindung der Krise bleiben.
Darum ist es notwendig, daß wir Frauen uns in der jetzigen Krisis die alte Frage erneut stellen, welche Bedeutung unsere Mitarbeit in der Volkswirtschaft besitzt. Ist die Bedeutung derselben eine derartige, daß wir trotz des verengerten Nahrungsspielraumes das Recht auf Berufe fordern können, auch wenn dieselben Opfer fordert, weil vom Ganzen aus gesehen, diesen Opfern höhere Vorteile gegenüberstehen?
Welche Vorteile bietet die Frauenarbeit? Sie bietet - das hat die Frauenbewegung in ihrem ersten Stadium immer wieder betont der Frau den Vorteil tieferer Persönlichkeitsausbildung. Sie bietet ihr erstens den Vorteil innerer Freiheit und Wahrhaftigkeit. Sie, die diesen Beruf ergreif en kann, braucht nicht um jeden Preis zu heiraten. Sie ist infolgedessen nicht gezwungen »zu gefallen« und kann im Leben unbekümmert um das Urteil ihrer Umwelt in verantwortungsvoller Selbstbestimmung ihren Weg gehen. Zweitens bietet der Beruf auch der nicht heiratenden Frau Entfaltung ihrer Kräfte und lehrt sie zugleich dabei doch Selbstzucht üben.
Denn jeder Beruf erfordert Hingabe und Opfer, erfordert Überwindung von Reibungen und Ärger, und Durchhalten auch in) enen Zeiten, in denen wir den Bezug auf das verlieren, was uns an unseren Beruf kettete, erfordert Kampf mit uns selbst, um diese innerliche Beziehung wiederzugewinnen. Trägt die Frau doch noch größere Verantwortung als der im Beruf stehende Mann, der jeder Fehler, den sie macht, nicht ihr allein, sondern heut noch meist den Frauen als Ganzes zur Last gelegt wird. Und schließlich bahnt die Berufsarbeit der Frau ihr durch die Bewährung im Beruf - sei es durch die eigene, sei es durch die anderer Frauen - den Weg zum Selbstvertrauen. Wir wissen heute, daß die Frau schöpferisch ist. Früher konnten die Ideen der Frau sich nur über Anregungen des Mannes auswirken[5]
Der Grund liegt nicht nur darin, daß der Frau die intellektuelle Schulung und die Kenntnisse fehlten, um ihre neuen Blickpunkte auszugestalten. Wenn in die menschliche Bewußtseinssphäre ein »Einfall« stattfindet - das Wort ist typisch für den Vorgang des hier Irrationalen: Gjellerup läßt seinen Helden einmal sagen, er »fange« Gedanken - so muß ein auf Vertrauen wurzelnder Glaube das jahrelange schwere Ringen um die Ausgestaltung unterstützen. Wo dies Vertrauen fehlt, erlischt der Funke, wird der Gedanke vielleicht überhaupt nicht »gefangen«. Und dies Vertrauen hat den Frauen, die überall im Leben auf den zweiten Platz gedrängt wurden, gefehlt und rief nun den Anschein weiblicher Unproduktivität hervor.
Dies Selbstvertrauen wurde und wird den Frauen heute durch die Leistungen der Frau geschenkt, sodaß sie nun nicht nur am Gegebenen mitarbeiten, sondern das Leben wirklich im tiefsten Sinne mitgestalten können. All das sind allgemeinmenschliche Werte, die bei der Frau durch ihre Mitarbeit in der Wirtschaft realisiert werden. Vergessen wir aber nicht das Problem, von dem wir ausgingen! Die Vorteile, die durch die Frauenarbeit realisiert werden, sollen die Opfer überwiegen, die diese auf der anderen Seite hervorruft.
Und diesen Vorteilen stehen bei Arbeitslosigkeit des Mannes nicht nur mangelnde Familiengründungen, sondern auch Nachteile in der Volkswirtschaft gegenüber, die seine Persönlichkeit treffen. Das Gefühl überflüssig zu sein, Kräfte nicht verwerten zu können, das Demütigende des Bittens und Suchens um Arbeit, der Verfall ungenützter Fähigkeiten und Kenntnisse, das Niederdrückende des Unterstütztwerdens durch andere, all das lastet nun auf ihm. In einer Zeit knapper Arbeitsgelegenheit steht, wenn die Frau arbeitet, also dem plus an Persönlichkeitswerten bei der Frau ein minus an Persönlichkeitswerten bei dem Manne gegenüber.
So scheint sich zwischen den Geschlechtern im Augenblick ein reiner Interessenkampf abzuspielen. »Du oder ich!« Einer muß die Nachteile tragen und unsere Frauenorganisationen erscheinen nun als reine Kampforganisationen getragen vom Geschlechtsegoismus, als reine Zweckverbände für unsere Interessen, damit die Last der wirtschaftlichen und seelischen Not in der gegenwärtigen Krise nicht auf unsere Schultern gewälzt wird. Aber so ist es nicht! Das Zurückdrängen der Frau ist für das Ganze der Volkswirtschaft weder belanglos, noch vorteilhaft. Und diese Auffassung, daß die Frauenarbeit in der Volkswirtschaft für das Ganze Bedeutung hat, hebt unsere Bewegung weit über den Geschlechtsegoismus hinaus, gibt uns das Recht, Erreichtes zu verteidigen und die Arbeit der Frau außerhalb der Familie auch in dieser Zeit knapper Arbeitsgelegenheit zu fordern!
Denn rückschauend in die Vergangenheit können wir, diese vereinfachend, erkennen, daß die Geschichte sich in Gegensätzen bewegt, daß mit einem zu allen Zeiten vorhandenen Allgemeinmenschlichen sich ein historisch Wandelbares mischt. Die Menschen denken zu verschiedenen Zeiten anders, ihr Lebensgefühl ist ein anderes, ihre Religionen, ihre Wirtschaft sind zu verschiedenen Zeiten ganz verschieden. So ist nach Levy-Brühl die Denkweise der Naturvölker eine von der unsrigen völlig verschiedene. Sie scheint uns widerspruchsvoll, den logischen Gesetzen nicht zu gehorchen, denn die Welt wird von ihnen mystisch erlebt und nach dem Gesetz der Partizipation erfaßt[6]
So klafft zwischen dem Mittelalter, in welchem sich alles unter die Kirche beugte, und in welchem dem Irdischen als der Bühne, auf der die Menschen nur kurze Zeit eine Rolle zu spielen hatten, nur geringer Wert zukam, und der Gegenwart mit ihrer Lebensbejahung und ihrem Streben nach Lebensgenuß eine tiefe Kluft. So wechseln die Stilepochen: Romanisch, Gotisch, Renaissance und Barock. Es gibt ferner Zeiten, wo man im Einzelnen das Höchste zu erkennen meint und Zeiten, wo man ihn nur als dienendes Glied höherer Ganzheiten erfaßt. Es gab weiter Zeiten, in denen die Frau im Mittelpunkt des Lebens stand, Oberhaupt der Familie, Priesterin, Kriegerin und Herrscherin. Sie allein alles ordnend und bestimmend, bis ihre Vorherrschaft das Matriarchat - allmählich vom Manne gebrochen wurde, dadurch die Lebensgestaltung für Jahrhunderte an ihn überging und diese damit zugleich auch ein völlig anderes Gepräge bekam[7]
Diese gegensätzliche Bewegung der Geschichte lehrt uns zweierlei. Erstens: daß es für unsere augenblicklich herrschende Lebensform, welche mit der Renaissance beginnt, keine Ewigkeit gibt. Sie ist geworden und wird auch wieder vergehen. Diese augenblicklich herrschende Lebensform hat im Großen und Ganzen folgendes Gepräge: Ihr gilt der Einzelne als das Höchste. Ferner schenkt sie dem Einzelnen in allen Dingen fast unbegrenzte Freiheit, stellt das Verstandesmäßige am höchsten, ist atheistisch, bejaht den Lebensgenuß und zeigt dadurch einen Vorrang der Wirtschaft wie nie eine Zeit zuvor. Überließ der antike Mensch die Wirtschaft als minderwertig dem Sklaven und diente selbst nur dem Staate, drängte das Mittelalter die Wirtschaft auf einen Teil des Tages zurück und strebte der Einzelne in der Wirtschaft auch nur nach einem festumgrenzten, standesgemäßen Einkommen, so besteht im Gegensatz zu all diesem heute ein uferloses Streben nach Geldgewinn bei jedem Einzelnen und die dadurch hervorgerufene Konkurrenz in der Volkswirtschaft nutzt die menschlichen Kräfte in einer Weise aus, daß dem Menschen die Freude am Schaffen, sowie die Fähigkeit, tiefere Werte in seiner Freizeit zu genießen, völlig verloren geht. So schlägt das unbegrenzte Streben nach Lebensgenuß den Lebensgenuß selbst tot. Der Natur und den Mitmenschen entfremdet, schwankt das Leben der meisten Menschen zwischen Erschöpfung im Beruf und Aufpeitschung in der Freizeit hin und her.
Möglichst hohe Zahlen imponieren, und der Sinn für Form ist verloren. Denn Form heißt Bezogensein auf eine Mitte, heißt Begrenzung und Eigenart der Gestalt. Und all dies ist bis zu einem Punkte gekommen, daß das Gefühl entsteht -ich erinnere an die Jugendbewegung - »So kann es nicht weitergehen!« Die Gegenwart bietet daher nicht nur das Bild einer wirtschaftlichen, sondern viel länger schon das Bild einer schweren, kulturellen Krise. Kritiken unserer Zeit mehren sich und Prophezeiungen, daß wir einem Untergang des Abendlandes entgegengingen. Aber nur dann wären wir dem Untergang geweiht, wenn es uns nicht gelänge, neue Lebensformen zu finden. Mit neuen Werten - das zeigt die Geschichte - kann auch immer wieder eine neue Jugend gefunden werden!
Die Geschichtsbetrachtung lehrt uns zweitens, daß wir Frauen dem Leben einmal ein ganz bestimmtes, den späteren Jahrhunderten fremdes Gepräge gegeben haben; ein Gepräge, das ohne Zweifel mit aus unserer weiblichen Eigenart entsprang. Zwischen den Gegensätzen, die das Leben hervorbringt, die miteinander ringen, sich ergänzen und ablösen, ist der Gegensatz männlich-weiblich der eine. Die Kette der vergangenen Jahrhunderte war spezifisch männlich gestaltet. Die Aufgabe der Frau als Produzentin und Konsumentin muß es sein, ihre Eigenart in der Volkswirtschaft zur Geltung zu bringen.
Ihre Aufgabe muß es sein, daß die kommende Zeit kein Untergang, sondern ein Unibruch wird. In der vom anderen Geschlecht gestalteten Welt ist sie - die bis dahin zurückgedrängt war - auf Grund ihrer weiblichen Eigenart noch Trägerin bisher nicht realisierter Werte. Darum fordern wir nicht aus Geschlechtsegoismus, sondern im Hinblick auf das Ganze auch in dieser Zeit knappen Nahrungsspielraums das Aufrechterhalten der Frauenarbeit trotz der Opfer, welche diese erfordert. Aus diesem Grunde ist unsere Frauenbewegung - wie Gertrud Bäumer einmal gesagt hat wirklich zutiefst »Bewegung«, das heißt etwas Lebendiges, etwas, das schaffen und gestalten will; ist sie eine Kulturbewegung. Aus diesem Grunde sind unsere Frauenvereine nicht nur Kampforganisationen; sind sie nicht eine Summe durch äußeren Zweck zusammengeschlossener Einzelner, sondern stellen sie eine innerliche Verbundenheit, eine Gemeinschaft, durch die Erkenntnis einer Aufgabe dar. Einer Aufgabe, die lange war, bevor wir Einzelne waren, denn Leben ist über einer letzten es tragenden Einheit Mannigfaltigkeit, ist sich entfaltender Reichtum der Formen! Und darum fordern wir auf Grund unserer fraulichen Eigenart nicht nur das Aufrechterhalten der Frauenarbeit in der jetzigen Wirtschaftskrise, sondern die Mitarbeit der Frau in der Volkswirtschaft schlechthin, für alle Zeit!
Was aber ist die Eigenart der Frau? Müssen wir das nicht klarstellen, wenn wir das Leben mittels unserer Eigenart gestalten wollen? Und doch ist es unmöglich, darauf eine Antwort zu geben. Sicher ist eines. Der Gegensatz männlich und weiblich ist nicht der Gegensatz Verstand / Gefühl. Das ist viel zu trivial und zudem falsch. Verstand ist das für das Handeln beider Geschlechter zur Verfügung stehende Werkzeug. Die heutigen Frauen lassen es, wenn sie die richtige Schulung erhalten haben, an gedanklicher Schärfe im Vergleich zum Manne nicht fehlen. Was das Erfassen der weiblichen Eigenart so schwer, ja unmöglich macht, gilt für viele Dinge im Leben. Was ist an einer Erscheinung zeitbedingt und daher änderbar, was drängt dagegen als ewige, überzeitliche Gestalt zur Realisierung? Frühere Zeiten haben z. B. an der Bibel alles für ewige Wahrheit gehalten. Unsere Zeit tendiert dahin, alles zu historisieren. Das sind extreme Antworten! Dazwischen liegen unendlich viele Möglichkeiten, wo man die Schnittlinien zwischen dem Zeitlichen und dem historisch Bedingten ziehen kann.
Auch bei der Frau. Bei manchen Völkern heißt es, daß die Frau keine Seele habe oder daß sie »von Natur« keinen Verstand besitze oder daß ihre Weiblichkeit »von Natur« aus mit Schwäche gepaart sei. Wir belächeln das heute und bewundern z. B. an den Arbeiten einer Sigrid Undset und an den an die Gesänge der alten Propheten gemahnenden Gedichten einer Gertrud von Le Fort die Kraft, die ihrer Weiblichkeit für uns keinen Abbruch tut. Während frühere Zeiten alles an der Frau ihrer Zeit für ewig frauliche Eigenart hielten, besteht im Gegensatz dazu heute in der Psychologie der Versuch, eine zeitlose weibliche Eigenart überhaupt abzuleugnen. Was wir bei der Frau als weiblich ansähen, das seien nur Eigenschaften Unterdrückter, Reaktionserscheinungen der sozialen Lage. So zeigten unterdrückte Völkerschaften ebenfalls die sonst für typisch weiblich gehaltenen Eigenschaften: Demut, Weichheit, Ängstlichkeit, Gefallsucht usw.
Wir wissen heute, wie eng Persönlichkeit der Forscher und Arbeitsergebnisse zusammenhängen. je nach den Persönlichkeiten der Forscher hebt sich ihnen an der Welt anderes heraus. jene suchen hinter allem Wechsel, hinter dem Bunten und Vielfachen das Einheitliche im Strom der Zeit, diese nur das Gegensätzliche und Verschiedene; und sie halten ihre Sichten dann jeweils für das allein Richtige. In Wirklichkeit bietet die Welt in Fülle beides.
Hatte die Frauenbewegung im ersten Stadium mehr das Allgemeinmenschliche an der Frau betont und darum Gleichberechtigung gefordert, so ist die Gleichberechtigung uns jetzt nur noch Mittel, um durch unsere weibliche Eigenart neben dem Manne die Welt zu gestalten. Beides ist kein Widerspruch. Wie in der Natur der Baum neben der Gemeinsamkeit mit allem Lebendigen in Struktur und Rhythmus seiner Zweige eine ihm zu Grunde liegende, nur ihm eigene Form realisiert, die Wind und Wetter, Zeit und Ort nur modifizieren, aber nie völlig abändern können, so liegt auch uns Frauen nicht nur als Einzelpersönlichkeiten, sondern als Gattungswesen neben dem menschlich Allgemeinen auch eine nur uns eigne Form der Persönlichkeit zu Grunde, die Zeit und Ort ebenfalls nur modifizieren, aber nie völlig abändern können; ein uns zur Realisierung gesetztes Wesen. Zwar werden wir niemals im Stande sein, durch Grübeln oder Selbstbeobachtung unsere weibliche Eigenart erfassen zu können. Was ist an der Lebensgestaltung des Matriarchats fraulicher Eigenart zuzuschreiben, was der frühen Kindheitsstufe der Menschheit?
Nicht einmal mit »Mütterlichkeit« wie sie s-Ich in der Kunst einer Käthe Kollwitz und in den Ideen einer Maria Montessori offenbart, scheint mir die Eigenart der Frau voll erfaßt zu sein, denn von der Mütterlichkeit aus kann man die Welt noch sehr verschieden erleben und gestalten. Weiß die Birke um die Eigenart ihrer Form, die sie zu entfalten hat? Geben wir dem Keime Licht und Luft, und er wird sich unbewußt entfalten! Denken wir auch nicht etwa, wir müßten nun alle etwas Besonderes darstellen.
Es liegt viel Größe um einen schlichten Menschen! Unsere Eigenart wird sich von selbst im Erleben und Ringen bei der einzelnen Frau offenbaren, bei der Geschäftsfrau, der Arbeiterin an der Maschine, der Landfrau und Angestellten. An jenen Punkten, wo das Leben uns vor Scheidewege stellt, seien sie auch noch so geringfügig, wird nicht nur Zeitgebundenes, sondern auch ewige Wesenheit des Fraulichen zur Verwirklichung drängen; und zwar umsomehr, je mehr wir uns an jenen Wendepunkten von unserer Umwelt nicht beeinflussen lassen.
Sie wird zur Lebensgestaltung drängen, ohne daß wir nun unsere Entscheidung mit einem Kennzeichen versehen müßten. Kann manche Frau im Beruf auch nur sehr, sehr wenig die Umwelt gestalten; Geschichtliches wird nicht von heute auf morgen, aus tausenden von Frauengenerationen und Millionen von Frauenherzen wird unsere Eigenart in verantwortungsvollem Ringen allmählich emportauchen und sich schließlich doch symbolisieren im Werk.
Aus dieser unserer spezifisch fraulichen Eigenart folgt jedoch nicht, daß wir nur das Recht auf sogenannte spezifisch weibliche Berufe innerhalb der Wirtschaft haben oder überhaupt nur in die Familie gehören. Aus zwei Gründen nicht. Einmal weil diese Eigenart ja eben garnicht völlig feststeht, sodaß das, was man als »weiblichen Beruf bezeichnet, selbst in der Geschichte schwankt. Es hat Zeiten gegeben, wo man im Theater Frauen durch Männer darstellte, wo auch die Erziehung der Kinder der Frau bis auf ein Minimum genommen war. Dann aber auch zweitens - und das soll ganz besonders betont werden - weil sich die einzelnen Lebensgebiete gar nicht streng voneinander sondern lassen. Auch hier muß auf Ausführungen G. Bäumers verwiesen werden.
Nehmen wir einmal an, die Eigenart der Frau wäre mit »Mütterlichkeit« voll erfaßt, so würde daraus doch noch nicht die Festlegung der Tätigkeit der Frau allein auf die Familie folgen. Die Familie selbst ist ja beeinflußt von der gesamten Wirtschaft: Der Mensch in der Familie ist der gleiche wie der Mensch in der Wirtschaft. Was ihn hier formt, wirkt sich auch dort aus. So muß die Ermüdung langer Arbeitszeit des Vaters auch auf das Verhältnis zur Frau und Kindern ausstrahlen. Der Zusammenhang der Eintönigkeit des Berufs mit der sexuellen Frage ist ja bekannt. Ebenso der der Regelung des Berufs-z.B. der Gestaltung der Fabrikräume - mit der Gesundheit der Familie, der Höhe des Erwerbs des Mannes mit der Kinderarbeit und der Heimarbeit der Mutter.
Und dann vor allem ist ja die Familie nicht nur eine seelische, sondern auch eine Konsumtionsgemeinschaft. Die Familie verbraucht, was in der Wirtschaft hergestellt wird. Sie bewohnt die Häuser, sie gebraucht die Möbel usw. und das Leben in der Familie ist davon abhängig, ob diese dem Markt entnommenen Güter beim Verbrauch wirklich Freude und Kräfte fördern - die Einwirkung des Spielzeugs auf die Entwicklung des Kindes ist z. B. von der Montessori auf gedeckt - oder ob die Familie, wie es heute bei den ärmeren Schichten meist der Fall ist, verhältnismäßig teuren Kitsch verbrauchen muß. Der eingangs erwähnte Einfluß der Konsumentin auf die Richtung der Produktion ist immer nur auf dem Wege der Wahl zwischen schon Angebotenem möglich, denn wenn die Familie etwas braucht, muß von dem Angebot irgend etwas gekauft werden. Daher kann wirklich Neuartiges nur aus der Sphäre der Produktion selbst kommen. Will also die Frau z. B. für die Familie wirken, so müßte sie eigentlich als Produzentin in der Wirtschaft in allen Sphären wirken. Daran müssen wir unbedingt festhalten: das Ideal wäre, daß wir in jedem Beruf neben dem Manne unsere Eigenart zur Geltung bringen!
Vergleichen wir zum Schluß ganz kurz die Frauenbewegung mit der Arbeiterbewegung, speziell der marxistischen: zwei Bewegungen, die sich miteinander verschlingen, denn die Frauenbewegung umfaßt u. a. auch die Arbeiterin. Beide sind die größten Bewegungen der Gegenwart. Beide sind ausgelöst durch das Zeitalter der Technik, denn die Maschine zerstört das Handwerk und verengert zugleich den Arbeitskreis der Frau im Hause. Beide sind in ihrem Ziel auf das Ganze ausgerichtet, dem auch die Arbeiterschaft, soweit sie von der marxistischen Arbeiterbewegung erfaßt wird, glaubt - ob mit Recht oder Unrecht, - ist hier irrelevant - indem sie ihr Klasseninteresse vertritt, zugleich eine historische Aufgabe zu erfüllen, die über ihr Klasseninteresse weit hinausgeht: die Menschheit mit der Änderung der Eigentumsordnung in den Zustand gesellschaftlichen Friedens überzuführen.
Das gab der Arbeiterbewegung den ungeheuren Schwung, diese Verankerung ihres Handelns in einer höheren Aufgabe. Beide, marxistische Arbeiterbewegung wie Frauenbewegung, bauen ferner auf Geschichtsbetrachtung auf jene gründet sich auf die materialistische Geschichtsauffassung, wir verweisen auf die Zeit des Matriarchates als Beweis für die Möglichkeit einer Lebensgestaltung durch die Frau. Beide Bewegungen blicken zugleich auf Zeitloses wie auf Gegensätzliches in der Geschichte.
Doch bei diesen beiden letzten Punkten liegen zugleich tiefgreifende Unterschiede. Soweit es sich um »Zeitloses handelt, glaubt die marxistische Arbeiterbewegung an blinde, kausale, ewig wirkende Naturgesetzlichkeit in der Geschichte. Wir dagegen sehen auf die ewig geformte Natur, auf das zielstrebige Drängen in ihr, Wesenheiten zu realisieren.
Soweit es sich um »Gegensätzliches« handelt, berücksichtigt die marxistische Arbeiterbewegung den Klassenkampf, wirtschaftliche d. h. diesseitig bedingte Gegensätze; Gegensätze, die aus der Welt geschafft werden können und ihrer Ansicht nach auch aus der Welt geschafft werden. Wir sehen im Glauben an unsere Eigenart den Gegensatz männlich-weiblich und damit ewig unaufhebbare, miteinander in höherer Einheit sich ergänzende Gegensätzlichkeiten, die, als Letztes nicht mehr durch Irdisches bedingt, der Welt zu Grunde liegen. Und damit ist im Gegensatz zu der auf Wissenschaft aufbauenden Arbeiterbewegung unsere Bewegung letzten Endes im Metaphysischen verankert! Mittels unserer Eigenart die Welt auch außerhalb der Familie zu formen - denn die Welt ist auch uns als ein Erbe übergeben - das erleben wir zutiefst als ein inneres Gebot, als einen höheren Sinn unseres Lebens, in uns hineingelegt.
(...)

Frauenarbeit im Dritten Reich

Einschränkende Bestimmungen nach der
»Machtübernahme« und ihre Auswirkungen

(1937)

(...)

Die Arbeitsgebiete der Frauen sind im einzelnen festgelegt in den von der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung niedergelegten Richtlinien für Berufsberatung. Es wird darin gesagt, daß es für die Wirtschaft notwendig und für die Frauen selber nützlich sei, vor der Verheiratung Lohnarbeit zu verrichten, daß jedoch die Frauen hauptsächlich in Gewerben beschäftigt werden sollten, in denen ähnliche Arbeiten wie im Haushalt in Frage kommen.
In ländlichen Gegenden können Frauen veranlaßt werden, auf dem Gebiete des Schulungswesens und in den sozialen Dienstzweigen Beschäftigung zu finden. Eine ausgewählte Anzahl von Frauen werden immer noch zu den Universitäten zugelassen, es wird jedoch als ihre erste Pflicht betrachtet, auf dem der Frau eigenen Gebiet für die Förderung der nationalen Kultur zu wirken. Um die Arbeit unverheirateter und verwitweter Frauen kommt man natürlich nicht herum; die Zahl dieser Frauen, die auch heute noch infolge des Krieges hoch ist, nimmt jedoch ab, so daß die den Frauen speziell zugewiesenen Arbeitsgebiete genügen sollten, um in Zukunft diese Arbeitskräfte zu absorbieren.
In Wirklichkeit läuft die angeführte Tendenz darauf hinaus, daß die Frauen überall dort noch arbeiten können, wo ihre Arbeit und billige Arbeitskräfte benötigt werden, daß sie jedoch nicht mehr Gelegenheit haben, auf allen Arbeitsgebieten mit den männlichen Arbeitern zu konkurrieren oder in freien Berufen Beschäftigung zu finden. Nachdem der Nationalsozialismus den Wirkungskreis der Frauen umschrieben hat, hat er mit der ihm eigenen brutalen Energie dafür gesorgt, daß dieser Wirkungskreis nicht überschritten wird.

a) Ehestandsdarlehen

Eine der ersten Maßnahmen zwecks Zurückziehung der Frauen aus der Lohnarbeit ist die von der deutschen Regierung durch das Gesetz vom 1. Juni 1933 eingeführte Gewährung von Ehestandsdarlehen. Die Darlehen erreichen die Höhe von Rm. 1000,-, die in Form von Gutscheinen zum Ankauf von Einrichtungsgegenständen Frauen zur Verfügung gestellt werden, die unter Aufgabe ihres Berufs eine Ehe schließen, und zwar unter der Bedingung, daß die Frau keine Lohnarbeit mehr annimmt, solange das Einkommen des Mannes nicht unter 125 Mk. pro Monat sinkt.
Die Darlehen werden zinslos gewährt und sind rückzahlbar in monatlichen Teilzahlungen von 1%. Bei der Geburt eines Kindes vermindert sich der zurückzuzahlende Darlehensbetrag um 25%. Diese Darlehen sollen finanziert werden durch eine spezielle Steuer auf unverheiratete Personen, deren Ertrag auf 220 Millionen Reichsmark pro Jahr geschätzt wird.
Obwohl der durch Darlehen gewährte Durchschnittsbetrag laut einem Artikel der »Sozialen Praxis« vom 12. April 1934 von 730 Rm. und im August und September 1933 auf 560 Rm. im Februar 1934 gefallen ist und die Höchstsumme von 1000 auf 800 Rm. herabgesetzt wurde, überstieg die Zahl der Darlehensgesuche die Schätzungen dermaßen (194485 zwischen August 1933 und Mitte Februar 1934 - während Mit 200 000 Gesuchen für das ganze Finanzjahr gerechnet wurde), daß die Ergebnisse der Steuer nicht ausreichten, allen Gesuchen stattzugeben.
Um dem Hauptzweck des Gesetzes näher zu kommen, wurde deshalb am 28. März 1934 ein Gesetz erlassen, in dem verheiratete Frauen, die ein Darlehen erhalten haben, die Wiederaufnahme irgendwelcher Beschäftigung verboten wird, solange der Ehegatte den Bestimmungen der Arbeitslosenversicherung zufolge nicht unterstützungsbedürftig betrachtet wird und solange das Darlehen nicht voll zurückbezahlt wurde. Durch neue Anweisungen des Finanzministers an die lokalen Behörden ist das übliche Maximum der Anleihen am 7. März 1934 auf 500 Rm. herabgesetzt worden.

b) Propaganda für hauswirtschaftliche Beschäftigung
und das hauswirtschaftliche Jahr

Große Anstrengungen sind gemacht worden, um die Zahl der im Haushalt gegen Lohn beschäftigten Frauen zu vermehren und die Frauen auf diese Weise dem Arbeitsmarkt zu entziehen. Dies wurde angestrebt, indem man versuchte, die Arbeit anziehender zu gestalten und durch Gewährung von Konzessionen an die Arbeitgeber zur vermehrten Einstellung von Hausgehilfinnen anzuregen. Auch wurde verschiedentlich in diesem Sinne ein Druck ausgeübt.
Einer der ersten Schritte zur Erleichterung der Einstellung von Hausbediensteten war das Gesetz vom 12. Mai 1933, durch das die Hausgehilfinnen aus der Arbeitslosenversicherung ausgeschlossen und die Beitragssätze für die Invalidenversicherung ermäßigt wurden. (Inzwischen sind die Hausangestellten wieder in die Versicherung aufgenommen worden.) Die Herabsetzung der Beiträge war natürlich eher ein Geschenk an die Arbeitgeber als an die Angestellten, da der Arbeitgeber der Verbindlichkeiten gegenüber der Arbeitslosenversicherung enthoben wird, während die Hausgehilfin praktisch in die Unmöglichkeit versetzt wird, aus freien Stücken ihre Stelle aufzugeben. Dem besagten Gesetz folgte am 1. Juni 1933 ein weiteres, in dem es u. a. heißt, daß Hausgehilfinnen bei der Einkommensteuerveranlagung, der Arbeitgeber die Stellung von minderjährigen Kindern einnehmen.
Andererseits wurden - wenigstens auf dem Papier - ernsthafte Versuche gemacht, durch Regelung der Arbeitszeit, der freien Tage und Ferien etc. einen Anreiz zur Ergreifung dieses Berufes zu schaffen. Am 10. Juli 1934 gab der Treuhänder der Arbeit für Brandenburg Richtlinien für die Regelung der Arbeitsbedingungen der Hausgehilfinnen heraus, denen zufolge jeder Hausangestellten ein gesundes und anständig eingerichtetes Zimmer zur Verfügung gestellt werden soll. Die Hausgehilfin hat auf Grund dieser Verordnung ferner das Recht auf wenigstens 8 nächtliche Ruhestunden, angemessene Zeit für die Mahlzeiten, einen freien Nachmittag und Abend pro Woche und einen freien Tag jeden zweiten Sonntag oder öffentlichen Feiertag. Endlich wird bestimmt, daß Hausgehilfinnen nach 6 Monaten Dienstzeit Recht auf 4 bezahlte Ferientage, bzw. auf 10 Tage nach zweijähriger und auf 14 Tage nach dreijähriger Dienstzeit haben.
Ähnliche Bestimmungen wurden im Juli 1934 für andere Gebiete Deutschlands erlassen, so für Westfalen, Schlesien, Ostpreußen und Hessen. Ähnliche Anordnungen folgten in Pommern, Sachsen, der Nordmark, Bayern und Mitteldeutschland.
Laut »Berliner Tageblatt« vom 7. Mai 1935 wurden in verschiedenen Teilen Deutschlands Lehrgänge für Hausgehilfinnen eingerichtet.
Trotz all dieser Maßnahmen und der Anordnungen der Deutschen Arbeitsfront, wonach die zuständigen Behörden die Ausbeutung der Hausgehilfinnen streng verfolgen sollen, scheint das Los der Hausgehilfinnen nicht wesentlich gemildert worden zu sein. Die Abteilung für Hausgehilfinnen des Frauenamts der Deutschen Arbeitsfront stellt sogar selber fest, daß die meisten Arbeitgeberinnen noch voller konservativer Ansichten und überlebter Klassenvorurteile seien, und daß zahlreiche Versuche festzustellen sind, die Richtlinien der Treuhänder zu umgehen. Die gleiche Instanz verurteilt auch die festgestellten Bestrebungen zur Drückung der Löhne der Hausgehilfinnen, indem sie die wachsende Zahl der auf Grund der neuen Gesetzgebung einsetzenden Bewerbungen ausnutzen.
Gleichzeitig werden Schritte unternommen, um die Hausarbeit im allgemeinen zu popularisieren. Weiblichen Angestellten in öffentlichen Diensten in Preußen, die eine Haushaltungsschule zu besuchen wünschen, wird für diesen Zweck ein Jahr unbezahlter Urlaub gewährt. Versuche werden gemacht, schon in einem früheren Stadium Interesse für die Hausarbeit zu wecken: ein Ende 1935 vom preußischen Unterrichtsminister ergangener Erlaß bestimmt, daß ab Ostern 1937 Mädchen nicht in die Oberstufe höherer Lehranstalten aufgenommen werden können, die nicht eine Prüfung in den einfachsten Hausarbeiten bestanden haben.
Ein ausgesprochenes Druckmittel wurde angewandt durch die Einführung des »hauswirtschaftlichen jahres« im Jahre 1934. Durch diese Verordnung wird es Hausfrauen ermöglicht, während eines Jahres Mädchen aufzunehmen, die ihnen bei der Hausarbeit und Kinderpflege an die Hand gehen. Löhne gelangen nicht zur Auszahlung; die Hausfrau kommt nur für die Krankenversicherungsbeiträge auf, und nach einer Probezeit von 6 Monaten sind das Mädchen und der Arbeitgeber durch eine Art Lehrvertrag gebunden. Am Ende des hauswirtschaftlichen Jahres legt das Mädchen eine Prüfung ab und die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung nimmt es auf sich, das Mädchen als Hausgehilfin oder in irgend einem anderen Frauenberuf unterzubringen.
Im Jahre 1935 meldete jedoch das »Berliner Tageblatt«, daß die getroffenen Anordnungen nicht immer die gewünschten Resultate zeitigten, da die in Familien untergebrachten Mädchen nicht immer die fachliche Schulung und moralische Erziehung erhalten, die sie erwarten. Wenn man bedenkt, daß die Gelegenheiten zu rücksichtloser Ausbeutung fast unbegrenzt sind, ist diese Feststellung nicht überraschend.

c) Freiwilliger Arbeitsdienst für Mädchen und Landjahr

Obwohl der Arbeitsdienst in Deutschland für Männer und Frauen eingeführt wurde, wurde er für Frauen nicht für obligatorisch erklärt. Gesetzlich ist er auch heute noch nicht obligatorisch - mit Ausnahme der Mädchen, die die Universität besuchen wollen. Hingegen ist der freiwillige Arbeitsdienst erweitert worden, und von Zeit zu Zeit werden Hinweise für die zwangsweise Rekrutierung veröffentlicht.
In einem am 27. Januar 1934 veröffentlichten offiziellen Zirkular wird gesagt, daß mit dem Frauenarbeitsdienst hauptsächlich der Zweck verfolgt werde, »die weibliche Jugend für die Aufgaben als künftige Hausfrau und Mutter zu erziehen, und gleichzeitig den Zielen der Bevölkerungs- und Wirtschaftspolitik zu dienen, welche die weiblichen Arbeitskräfte von den gewerblichen und kaufmännischen Berufen in den Haushalt und die Landwirtschaft überzuführen suchen«.
(...)
Im Zusammenhang mit dem Problem des Arbeitsdienstes mag auch das sogenannte Landjahr erwähnt werden. Mädchen, die dieses Landjahr absolvieren, müssen ein Jahr auf einem Bauernhof Dienst tun, wobei sich das Entgelt auf die Unterkunft und Verpflegung beschränkt. Es findet auf diesem Gebiet keine Überwachung statt; die Mädchen werden scheinbar einfach den verschiedenen Bauern zugewiesen. Ihre Behandlung, die Festsetzung der Arbeitszeit und der Arbeitsbedingungen, werden den einzelnen Bauern überlassen, womit der Ausbeutung natürlich Tür und Tor geöffnet sind.

d) Spezielle Einschränkungen für Frauen in freien Berufen
und in den öffentlichen Diensten

Angesichts der allgemeinen faschistischen Tendenz für die Behandlung der Frauen, die nicht so sehr darauf gerichtet ist, sie von Erwerbsarbeit als vielmehr von höheren Stellen fernzuhalten, ist es selbstverständlich, daß die Einschränkungen in den freien Berufen und öffentlichen Diensten besonders scharf sind.
Auf diesen Gebieten haben die Frauen in Deutschland nach dem Kriege zahlreiche Vorteile errungen. Die Frauen hatten das Stimmrecht, saßen im Reichstag und bekleideten wichtige Posten in den öffentlichen Dienstzweigen und freien Berufen. Die Leitung von Mädchenschulen, die vor dem Krieg meistens von Männern ausgeübt wurde, wurde immer mehr Frauen übergeben. Diese Umstellung, die einer fortschreitenden Zivilisation angemessen ist, wurde durch den Faschismus, der der Ansicht ist, daß die Frauen von öffentlichen Diensten ferngehalten oder in untergeordneten Stellen belassen werden sollten, vollständig rückgängig gemacht.
Durch das bereits erwähnte Gesetz vom 30. Juni 1933 wird bestimmt, daß Frauen unter 35 Jahren keine feste Anstellung im Reichsdienst erhalten können. Die Bestimmung der Weimarer Verfassung, durch die jegliche unterschiedliche Behandlung der Frauen im Staatsdienst in Gehaltsfragen aufgehoben wurde, ist rückgängig gemacht worden.
Einem Rundschreiben des Innenministers vom November 1933 zufolge sind eine große Zahl weiblicher Beamter, Lehrer und Angestellten der verschiedenen Länder und Gemeinden nach dem Umsturz entlassen worden.
Ein Erlaß vom 4. Oktober 1934 bestimmt, daß jugendliche Arbeiter beider Geschlechter unter 25 Jahren alImählich durch männliche Arbeiter über 40 Jahre ersetzt werden sollen. Durch Erlasse vom 10. und 28. August 1934 wird männlichen Arbeitern über 40 Jahre bei der Arbeitseinstellung der Vorzug gegeben. Diese Bestimmungen gelten für Arbeiter und Angestellte der öffentlichen Dienste, die nicht im Beamtenverhältnis stehen.
Nachdem in den Jahren 1919-1933 die Zahl der als Leiterinnen von Mädchenschulen beschäftigten Frauen ständig zugenommen hatte, ist im Lehrberuf in den letzten Jahren ein starker Rückgang der weiblichen Arbeitskräfte festzustellen. Durch ein vom preußischen Unterrichtsminister im April 1934 erlassenes Dekret wird bestimmt, daß freie Lehrstellen an öffentlichen Mädchenschulen von kriegsverletzten männlichen Lehrern besetzt werden sollen. Es wurde festgelegt, daß das Verhältnis zwischen weiblichen und männlichen Lehrkräften in höheren Mädchenschulen zwei zu drei sein soll.  Früher bestand die Regel, daß mindestens die Hälfte der Lehrstellen, für die akademische Bildung nötig ist, weiblichen Lehrkräften zugewiesen werden soll. Praktisch war das Verhältnis sogar fünf zu drei.
In Bayern wurde ein Dekret herausgegeben, durch das 13 der 17 katholischen Lehrerinnenseminare aufgelöst und die Zulassung neuer Schüler für 1935 und 1936 verboten wurde.
Außerdem wurde es Mädchen, die Ostern 1936 die Schule verlassen, verboten, den Lehrberuf zu ergreifen. Dieses Verbot wurde zunächst für ein Jahr ausgesprochen.
Durch Dekret vom 10. Januar 1936 wurde es Frauen untersagt, den Beruf eines Richters oder Staatsanwalts zu ergreifen. Um besondere Härten zu vermeiden, ist jedoch beabsichtigt, Gerichtsassessorinnen bei besonderer Eignung in den oberen Dienst bei Gerichten und Strafvollzugsbehörden zu übernehmen. Dieser »obere Dienst« bedeutet nicht die auf akademischer Ausbildung beruhende höhere Laufbahn, sondern eine nicht auf akademischer Bildung beruhende, also untergeordnete Stufe.
Es sind nicht nur zahllose Einschränkungen für die in den öffentlichen Diensten und freien Berufen beschäftigten Frauen eingeführt worden, sondern die Ergreifung freier Berufe ist stark gehemmt worden durch die Beschränkung der Frauen in der höheren Ausbildung. Diese Tendenz stimmt durchaus mit Hitlers Ansicht überein, daß bei der Erziehung der Frauen das Hauptaugenmerk auf die körperliche Ausbildung gelenkt werden soll, ferner auf die moralische und erst zuletzt auf die geistige Erziehung, mit anderen Worten, daß das höchste Ziel weiblicher Erziehung die Vorbereitung zur Mutterschaft sein soll.
Durch ein Gesetz vom 25. April 1933 wurde die Zahl der Studenten für das Jahr 1934 auf 15 000 beschränkt. Auf weibliche Studenten sollen dabei nur 10% entfallen. (Überdies müssen sie, wie bereits erwähnt, 6 Monate Arbeitsdienst geleistet haben.) Die Zahl der Studentinnen weist im Jahre 1933/34 einen deutlichen Rückgang auf im Vergleich zu 1922/23. Dieser Rückgang beträgt in der medizinischen Fakultät 22%, im zahnärztlichen Beruf 25%, im Apothekerberuf 15%, in der juristischen und philosophischen Fakultät (Erziehung inbegriffen) 47,9%, Nationalökonomie 35 %, in der Betriebslehre 40,8 %, in der Physik 52, 5 %, in der Chemie 53% und in der Geographie 58%.

e) Einschränkungen für verheiratete Frauen und
auf dem Gebiete des Doppelverdienens

Da verheiratete Frauen fast überall von den Gegnern der Frauenarbeit besonders hart getroffen werden, ist es nicht verwunderlich, daß die verheirateten Frauen unter der Politik der Nazis speziell zu leiden haben. In völliger Mißachtung der unbestreitbaren und - wie man meinen sollte - durchaus einwandfreien Tatsache, daß die Mehrheit der verheirateten Frauen aus bloßer wirtschaftlicher Not in Lohnarbeit steht, hat die Naziregierung die verschiedensten Druckmittel angewandt, um die Frauen ihrer Beschäftigung zu berauben.
Die übliche Methode der Verunglimpfung der Arbeit der verheirateten Frauen ist die Kritik gegen den Doppelverdienst, d. h. gegen die Tatsache, daß Mann und Frau in Erwerbsarbeit stehen. Angesichts der Wirtschaftskrise wandten sich schon vor der Machtergreifung Hitlers verschiedene Kreise dagegen, daß verheiratete Frauen den Männern die Arbeit wegnehmen, besonders in jenen Fällen, wo der Ehegatte nicht auf den Mitverdienst der Frau angewiesen ist.
Eine der ersten Maßnahmen der Naziregierung war das Gesetz vom 30. Juni 1933, das die Entlassung verheirateter Beamtinnen im Reichs-, Landes- und Gemeindedienst sowie öffentlichen Körperschaften für den Fall vorschrieb, wo für den Unterhalt dieser Frauen durch das Einkommen der Familie gesorgt ist. Die Reichsbahngesellschaft, die Reichsbank, die öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften und Verbände wurden ebenfalls ermächtigt, die Bestimmungen des Gesetzes auf ihre Angestellten anzuwenden.
Die diesbezüglichen Verordnungen wurden durch das Gesetz für den Staatsdienst vom 27. Januar 1937 bekräftigt, in dem u.a. festgelegt wird, daß weibliche Beamten bei ihrer Verheiratung entlassen werden können, wenn ihr Lebensunterhalt durch die Heirat sichergestellt erscheint.
Dem Gesetz vom Juni 1933 folgten zahlreiche Maßnahmen, durch die verheiratete Frauen aus der Erwerbsarbeit ausgeschaltet wurden. Wir geben nachstehend einige Beispiele.
Die Unterrichtsbehörde in Hamburg entließ über 100 festangestellte verheiratete Lehrerinnen und kündigte 68 verheirateten Lehrerinnen, die nicht zum festangestellten Lehrpersonal der Schulen gehörten. Weibliche Angestellte der Gemeindebehörden in Erfurt wurden aufgefordert, ihre Stellen freizumachen, damit ihre unbeschäftigten Verlobten Arbeit erhalten können und somit die Heirat möglich wird. Private Unternehmen wurden aufgefordert, diesem Beispiel Folge zu leisten. Der Treuhänder von Bremen machte Mitteilung von einem übereinkommen in einer Tabakfabrik, durch das verheiratete Frauen durch ihre unbeschäftigten Männer ersetzt werden sollten.
(...)

f) Andere Maßnahmen

Abgesehen von den behördlichen Maßnahmen gegen die Erwerbsarbeit der Frau, sind zahlreiche unoffizielle und ungeregelte Versuche zu verzeichnen, die in die gleiche Richtung gehen.
Die Leitung der Reemtsma Zigarettenfabrik in Altona hat sich z.B. verpflichtet, jeder unverheirateten Frau, die ein Jahr im Betriebe tätig ist und ihre Beschäftigung vor Ende 1933 durch Verheiratung aufgibt, 600 Mark auszuzahlen und sie durch erwerbslose Männer zu ersetzen. Ähnliche Anordnungen wurden in einer Zigarrenfabrik in Bremen getroffen.
Das von den Behörden mit ihrer Kampagne gegen den Doppelverdienst gegebene Beispiel wurde von Unternehmerorganisationen mit Begeisterung nachgeahmt. Die deutsche Bergwerkszeitung berichtete vor einiger Zeit, daß die Abschaffung des Doppelverdienstes eine der von den Unternehmern zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit vorgeschlagenen Maßnahmen sei. Die Hamburger Industrie und Handelskammer richtete ein Rundschreiben an ihre Mitglieder, in dem u. a. die Entlassung von Doppelverdienern und die Ersetzung von Frauen durch Männer angeregt wird. Textilfabriken in Sachsen beschlossen, weibliche Arbeitskräfte so viel als möglich vor dem 31. März oder dem 30. Juni 1934 zu entlassen. Laut einem Brief des Manchester Guardian vom 7. Februar 1934 werden in der Seidenindustrie junge Männer unterrichtet, um den Platz von Frauen einzunehmen. Sogar in der Textilindustrie, in der stets mehr Frauen als Männer beschäftigt waren, ist somit eine Kampagne gegen die Frauenarbeit unternommen worden.
Beiläufig mag auch auf kollektive Bestimmungen für die Hutindustrie und in einigen Distrikten für Ziegeleien hingewiesen werden, denen zufolge für Frauen und Männer die gleichen Lohnsätze festgelegt werden, um auf diese Weise die Frauenarbeit bei schweren Arbeiten auszuschalten. Es ist nicht bekannt, ob diese Bestimmungen irgendwelchen Einfluß gehabt haben.

II. Auswirkungen

a) Allgemeines

Im allgemeinen kann man sagen, daß, wenn das Naziregime wirklich das Ziel verfolgte, die Frauen in den Haushalt zurückzuführen, auf diesem Gebiete tatsächlich Erfolge erzielt wurden. Es ist ein Rückgang der Frauenarbeit festzustellen - wahrscheinlich war dieser Rückgang sehr bemerkenswert in den freien Berufen und höher bezahlten Stellen im allgemeinen; wenn jedoch die Erwerbsarbeit als Ganzes genommen wird, war dieser Rückgang sehr gering und stand in keinem Verhältnis zu den gemachten Anstrengungen sowie der gemachten Propaganda.
Was die Ehestandsdarlehen betrifft, so sind in der Zeit vom August 1933 bis Januar 1937 700 000 solcher Anleihen in der Höhe von durchschnittlich 600 Mark gewährt worden. Bei der Bekanntgabe dieser Zahlen teilte der Staatssekretär des Finanzministeriums, Reinhardt, Mit, daß auf diese Weise ungefähr 500 000 Heiraten ermöglicht wurden, die sonst nicht in Frage gekommen wären. Es wird ferner geschätzt, daß aus den 500 000 Ehen 500 000 Kinder hervorgingen, was bedeutet, daß in den Ehen mit Ehestandsdarlehen zweimal so viel Kinder geboren wurden wie in Ehen ohne finanzielle Beihilfe. Welches auch der Einfluß der Ehestandsdarlehen auf den Beschäftigungsgrad der Frauen sein mag, auf alle Fälle war das Resultat dieser Bestrebungen in erster Linie eine Vermehrung der »wehrbaren« Bevölkerung, d. h. eine Vermehrung des zur Verfügung stehenden Menschenmaterials.
Was die Hausangestellten betrifft, so ist es interessant festzustellen, daß die Zahl der weiblichen Hausangestellten laut »Neuer Vorwärts« (v. 31. 1.1937) von 1438 000 auf 1249 000 zurückgegangen ist.
Die Art und Weise, wie die Richtlinien der Regierung befolgt wurden, wird sehr deutlich durch einen Fall illustriert, in dem ein Arbeiter wegen Rohstoffmangels entlassen wurde. Als er sich für seine Wiedereinstellung einsetzte, veranlaßte das Gericht die betreffende Firma, den Arbeiter wieder einzustellen oder eine Entschädigung zu zahlen. In der Begründung des Urteils wurde gesagt, daß, wenn auch Entlassungen nötig gewesen sein mögen, die Knappheit der Rohstoffe zunächst zur Entlassung einer Arbeiterin hätte führen müssen, da die Regierung auf dein Standpunkt stehe, daß die Frauen allmählich aus solchen Betrieben ausgeschaltet und in den Haushalt zurückgeführt werden sollen, um ihre eigentliche Berufung als Hausfrauen und Mütter zu erfüllen.
Die Firma legte Berufung ein, wobei sie geltend machte, daß die Entlassung für die Frauen ebenso hart gewesen wäre, die im allgemeinen ihre Familie zu ernähren haben; schließlich schenkte sie aber klaren Wein ein, indem sie beifügte, daß die niedrigen Löhne der Frauen für die Firma pro Jahr eine Ersparnis von Tausenden von Mark bedeutete. Die Berufung wurde verworfen und das Urteil, demzufolge Frauen zuerst entlassen werden sollen, bestätigt.
Was die Kampagne im allgemeinen betrifft, so war man sich bald darüber klar, daß es technisch unmöglich ist, plötzlich alle Arbeiterinnen aus der Erwerbsarbeit auszuschalten. Es war für die Nazis ein harter Schlag, daß in Erwerbsarbeit stehende Frauen oft sehr geschickte Arbeitskräfte und auf gewissen Gebieten den Männern sogar überlegen sind. Der Treuhänder für Ostpreußen erließ sogar im September 1933 eine Warnung gegen übereilte und kurzsichtige Beschlüsse. Der Reichsinnenminister erhielt bis zum 13. Oktober 1933 zahlreiche Klagen wegen der allzu strikten Durchführung der Maßnahmen gegen die Beschäftigung von Beamtinnen und Lehrerinnen. Der Minister ging sogar so weit,in einem Rundschreiben festzustellen, daß Arbeitsunterbrechungen durch die Ersetzung von weiblichen durch männliche Stenographen eingetreten seien.
Er bestimmte deshalb, daß diese Stellen auf den Anwartschaftslisten nicht zu jenen gezählt werden sollen, die den Männern vorbehalten bleiben sollen. Auch im Bericht der deutschen Fabrikinspektion wird mitgeteilt, daß die Versuche der Ersetzung von Frauen durch Männer in verschiedenen Industrien fehlgeschlagen sind. Zündholzfabriken waren gezwungen, die im Jahre 1933 entlassenen weiblichen Arbeitskräfte wieder einzustellen, da die an ihre Stelle getretenen Männer die Arbeit nicht so gut leisteten. Auch Kabelwerke haben festgestellt, daß Männer nicht die gleiche Fingerfertigkeit haben wie Frauen.
(...)

IV. Arbeitsbedingungen

(...)
Wenn es darauf ankommt, aus Arbeitern Höchstleistungen herauszupressen, sind alle hochtönenden Phrasen über den Schutz der Rasse vergessen und werden die Frauen unter schandbaren Bedingungen beschäftigt. Was z. B. die keramische Industrie betrifft, in der es durch die freien Gewerkschaften gelungen war, die Beschäftigung von Frauen an Brennöfen zu verbieten, muß nun vom Arbeitsminister zugegeben werden, daß Frauen an Brennöfen mit ungeeigneten schweren Arbeiten beschäftigt werden, »insbesondere zum Eintragen von bis zu 25 und 30 Kilo schweren gefüllten Kapseln in die Brennöfen«. Er weigert sich jedoch, das von der Fabrikinspektion verlangte Verbot zu erlassen, weil »es nicht durchführbar und auch nicht erforderlich« sei. Es wird lediglich von der Fabrikleitung verlangt, das Tragen schwerer Lasten »nach Möglichkeit« durch Männer ausführen zu lassen.
Aus der Fischkonservenindustrie wird gemeldet, daß »durch die unvorhergesehene Anhäufung von Fischwaren ein Zustand eintrat, in welchem im Hinblick auf die Versorgungslage des Volkes tariflich festgesetzte Bestimmungen nicht mehr eingehalten werden konnten. Die achtstündige Arbeitszeit mußte fast ausnahmslos überschritten und fast durchschnittlich die Sonntagsarbeit zur Aushilfe herangezogen werden.
Arbeitszeiten bis zu 16 Stunden waren keine Seltenheit. Der Gesundheitszustand der Beschäftigten, die sich zu 90% aus weiblichen Hilfskräften zusammensetzen, bedeutete eine Gefahr für sie selbst und auch für den Nachwuchs. Wenn die weiblichen Gefolgschaftsmitglieder 16 Stunden und darüber in feuchten und kalten Räumen ohne genügende Schutzkleidung zum Teil schwerste Arbeit verrichten mußten, so mag man daraus erkennen, wie leichtfertig mit der Gesundheit der deutschen Frau gewirtschaftet wurde.«
Es gibt überdies in verschiedenen Industrien einen offensichtlichen Mangel an gelernten Arbeitern, was auf die große Zahl der in der Rüstungsindustrie beschäftigten Arbeitskräfte zurückzuführen ist. Gewisse Industrien wurden deshalb veranlaßt, männliche Arbeitskräfte durch weibliche zu ersetzen, so insbesondere in der Ziegelei- und keramischen Industrie. Desgleichen wird eine Kampagne zur Überführung weiblicher Arbeitskräfte in die Landwirtschaft gemeldet.
Aus diesen wenigen Beispielen geht demnach hervor, daß, wenn Frauenarbeit benötigt wird, alle Erwägungen darüber, ob die Arbeit für die Frauen geeignet ist, oder ob nicht Rücksicht genommen werden soll auf die Aufgabe der Frau zur Erhaltung der Rasse, über Bord geworfen werden.
Es gibt fortlaufend offizielle Berichte über die Nichteinhaltung der kollektivvertraglichen Bestimmungen. Der Treuhänder der Arbeit für Niedersachsen berichtet z. B., daß viele Firmen die in Kraft stehenden Bestimmungen nicht »restlos befolgen«. In der von der Arbeitsfront herausgegebenen 1. Maiausgabe des »Ruhrarbeiters« vom Jahre 1936 wird ausdrücklich festgestellt, daß die »Bestimmungen der Tarif - oder Betriebsordnungen nicht restlos eingehalten werden.
Nicht allein, daß den Arbeitern der ihnen durch die Tarifordnung zustehende Lohn vorenthalten wird, es werden darüber hinaus Bestimmungen über Überstunden, Zuschläge, Nachtarbeit, Frauen- und Männerarbeit ... usw. verletzt«. Es wird festgestellt, daß es im Hinblick auf die ausländische Konkurrenz teilweise unvermeidlich war, »die tariflichen Mindestvorschriften im Wege von Ausnahmebestimmungen durch die Treuhänder der Arbeit zu lockern«.

V. Schlussfolgerungen

Nach dem Vorangegangenen ist es nicht überraschend, festzustellen, daß die Todesfälle unter den Mitgliedern der Krankenversicherung von 2,05% im Jahre 1932  auf 2,70% im Jahre 1935 gestiegen sind. Es ist auch bezeichnend, daß sich die Zahl der Krankheitsfälle von Berufskrankheiten in den vier Jahren der Naziherrschaft nahezu verdoppelt hat, d. h. von 7133 im Jahre 1933 auf 13 944 im Jahre 1936 gestiegen ist. Auch die Zahl der Betriebsunfälle hat zugenommen, und zwar um 25% im Jahre 1933, während die Zahl der Beschäftigten nur um 10% zugenommen hat, so daß das offizielle Argument in bezug auf die Zunahme der Erkrankungen und Unfälle widerlegt ist.
Während die soziale Fürsorge in den meisten zivilisierten Ländern Fortschritte gemacht hat, ist sie im Land, wo die Kanonen vor der Butter kommen, rücksichtslos abgebaut worden. Die Sterblichkeitsziffer unter den Versicherten und ihren Familien ist stärker gestiegen als bei der ganzen Bevölkerung. Die Arbeiter müssen wie üblich die großen Lasten auf sich nehmen, und unter den Arbeitern sind es die Frauen, die am härtesten getroffen werden. Nach allem Gerede über die Rückführung der Frau in den Haushalt und über ihre Bestimmung als Mutter stellen wir fest, daß nicht weniger als 31% aller in Beschäftigung stehenden Personen in Deutschland Frauen sind und dieser Prozentsatz höher ist als in Frankreich, Großbritannien und USA.
Die lebhafte Kampagne gegen die Beschäftigung der Frau hat sie nicht in den Haushalt und zu größerer Sicherheit geführt, sondern hat lediglich zur Folge, daß sie aus den besser bezahlten Stellungen in die schlecht bezahlten Berufe abgeschoben wurden. Die Arbeit in diesen Berufen, in denen die Löhne schlecht und die Arbeitszeiten lang sind, ist der Gesundheit der Frauen sehr abträglich. Ungünstige Ausnahmebestimmungen gegen die Arbeit der Frau haben die Frauenarbeit billiger gemacht und die Nachfrage nach Frauen in allen Industrien erhöht. Dadurch sind auch die Löhne der Arbeiter gedrückt worden. Die Folge ist, daß die Männer nicht genügend verdienen, um eine Familie erhalten zu können, und Frauen somit zur Arbeit gezwungen werden. So schließt sich der Kreis faschistischer Politik.
Es gibt Zeichen, daß die Frauen, die Hitler zur Macht verhalfen, sich allmählich ihres Irrtums bewußt werden. Eine Nazijournalistin sagt in diesem Sinne, daß die Frauen heute wehrlos den Männern ausgeliefert sind, die die ganze Macht des Staates in ihren Händen halten. Von anderer Seite wird gesagt, daß denkende Nationalsozialistinnen zu bedauern beginnen, daß sie aus ihrem Nationalstolz heraus die Männer zu den unumschränkten Beherrschern des Schicksals der Frau und der Nation erhoben. Da diese Aussprüche von Leuten kommen, die dem Faschismus zur Macht verhalfen, sind sie für die Frauen demokratischer Länder eine hinreichende Warnung vor dem Schicksal, das sie unter einem faschistischen Regime erwartet.

Der Leipziger Frauen-Gewerbeverein
[1898/99]

Wer zu irgendwelcher Tageszeit die oberen Räume des Hauses Königsstraße 26 in Leipzig betritt, findet dort ein überaus reges Leben und Treiben. Es ist die Heimstätte des Leipziger Frauen-Gewerbevereins. Es war ein guter und fruchtbarer Gedanke, der ihn im Jahre 1892 ins Leben rief. Seinen Ursprung verdankt er einer Anregung von Frl. von Alten, Frl. Büttner und Frl. Dan; seine jetzige hohe Blüte seiner derzeitigen Vorsitzenden, Frau Anna Schmidt.
Der Frauen-Gewerbeverein ist eine eingetragene Genossenschaft, deren Ziele und Mittel, auf die knappe Form des Status gebracht, sich also darstellen:
Die Zwecke der Genossenschaft sind:
a) Erweckung des Bewußtseins der Gemeinschaftlichkeit der Fraueninteressen unter den Frauen,
b) gründliche Beruf sbildung der Frauen,
c) Befreiung der Frauenarbeit von allen ihrer Entwicklung entgegenstehenden Hindernissen,
d) Förderung des materiellen Wohles der Vereinsmitglieder.

Diese Zwecke verfolgt die Genossenschaft durch:
a) Arbeitsnachweis und Stellenvermittlung,
b) Versammlungen,
c) Einrichtungen, welche Frauen den Besuch von Unterrichtskursen, Fach- und Fortbildungsschulen erleichtern,
d) Petitionen an gesetzgebende Körperschaften und Behörden,
e) Hilfskassen.
Das Statut war bald gemacht; nun galt es, ihm den entsprechenden Ausdruck in der Wirklichkeit zu verleihen. Das ist, besonders wenn man die kurze Lebenszeit des Vereins in Betracht zieht, in überraschender Weise gelungen. Eine große Anzahl von Mädchen ist innerhalb der sechs Jahre seines Bestehens zu gewerblichen Berufen herangebildet, sehr vielen Frauen ist lohnende Arbeit verschafft und durch mannigfaltige Einrichtungen den Mitgliedern des Vereins geistige Erhebung und gesellige Freude zu teil geworden.
Wenn nun auch der rührigen und mit seltenem Organisationstalent begabten Vorsitzenden, die als Schwester von Auguste Schmidt von dem der Familie erb- und eigentümlichen »Vereinssinn« entschieden ihr gut Teil abbekommen hat - sie ist auch im Vorstand des so segensreich wirkenden Hausbeamtinnenvereins - in erster Linie diese günstigen Resultate zu verdanken sind, so hätten sie doch nicht erreicht werden können ohne das thätige Interesse eines begüterten Leipziger Bürgers, dessen Gemeinsinn die Stadt verschiedene bedeutende Schöpfungen verdankt. Er ermöglichte vor allem die Einrichtung einer ständigen Verkauf sstelle für weibliche Handarbeiten. Diese war schon im Oktober 1894 von der Mitgliederversammlung beschlossen worden, da man nur auf diese Weise die Löhne für solche Frauenarbeiten allmählich heben zu können glaubte. Dem Verein, der nur einen Mitgliedsbeitrag von einer Mark jährlich erhebt, wäre solche Einrichtung bei den hohen Leipziger Ladenmieten unmöglich gefallen; auch die durch einen Bazar beschafften paar tausend Mark hätten nicht weit gereicht. Daß dem Verein die Deckung des Deficits auf drei Jahre hinaus garantiert wurde, ermöglichte das Wagnis, das schon heute als gelungen zu bezeichnen ist, da man nahe daran zu sein scheint, den Umsatz von 20000 Mark jährlich zu erzielen, der die Selbsterhaltung der Verkauf sstelle in sich schließt. Schon heute ist der bescheiden aussehende Laden in der Universitätsstraße 4, der aber wahre Schätze der feinsten und mühsamsten Handarbeiten in sich birgt, eine mit Vorliebe auf gesuchte Stätte für solche Frauen, die gediegene Ware bei unaufdringlicher, fachkundiger und zuvorkommender Bedienung suchen.
Aber den kleinen Laden segnen auch Tausende von Frauen, die im Kampf des Lebens stehen und sonst Mühe haben würden, für ihre Arbeit Absatz zu finden. Bei so manchem kostbaren wie einfachen Stück kann man nicht umhin, seiner Entstehung nachzudenken, es, wie man heut sagt, bis in sein erstes Milieu hinein zu verfolgen. Manche Sorge mag es fernhalten, mancher knappen Existenz zu etwas Spielraum verhelfen.
Die Erfahrungen, welche die Kommission für die Verkauf sstelle machte, führten sie darauf hin, daß es an guten Weißnäherinnen von Beruf fehle. Es wurde daher am i. Oktober 1896 eine Stube für Wäschekonfektion errichtet, der eine geprüfte Handarbeitslehrerin vorsteht. Diese Einrichtung hat sich vorzüglich bewährt. Obwohl das Lehrgeld sehr gering ist, decken sich Einnahmen und Ausgaben, und es glebt so viel Arbeit, daß auch Weißnäherinnen in Lohn genommen werden können. Der Arbeitstag ist achtstündig. Auch diese Einrichtung ware nicht möglich gewesen, wenn der Verein nicht seit dem ersten Oktober 1895 die ebenso schön wie zweckmäßig eingerichteten Räume des Hauses Königsstraße 26 als Heim und Sammelpunkt von seinem gütigen Helfer zur unentgeltlichen Verfügung erhalten hätte. Hier fanden nun auch die schon am i. Oktober 1893 begründeten Fortbildungskurse ihre Heimstätte. Sie wollen außer einer allgemeinen Fortbildung besonders die Vorbildung für den kaufmännischen Beruf geben; es sind daher in den je nach der Vorbildung der Schülerinnen auf 1-11/2 Jahren berechneten Kursen eine Anzahl von Pflichtstunden festgesetzt. Der Unterricht findet nachmittags von 58 und abends von 8-io Uhr statt. Bei den Abendkursen ist die Wahl der Fächer ganz frei. Zur Zeit finden Kurse statt in Deutsch (3 Abt.), Litteratur (4 Abt.), Geographie (2 Abt.), kaufm. Korrespondenz (3 Abt.), Rechnen (3 Abt.), Buchführung (3 Abt.), Geschäftskunde (3 Abt.), Stenographie (3 Abt.), Französisch (4 Abt.), Englisch (3 Abt.) Außerdem wird der Chorgesang eifrig gepflegt. Ein herrlicher Flügel von Bechstein wurde dem »Heim« geschenkt, um sowohl dem Gesangsunterricht zu dienen, wie die Sonntagsunterhaltungen zu fördern.
Obgleich für die Schulräume weder Miete und Heizung noch Beleuchtung zu bezahlen ist, decken die sehr niedrig gestellten Schulgelder nicht ganz die Ausgaben für Lehrerhonorare, Anschaffungen, Bedienung u. s. w. jedoch verzichten einige Lehrerinnen auf das ihnen zustehende Honorar, wodurch es bisher ermöglicht wurde, die Kurse in den verschiedenen Abteilungen weiter zu führen, ohne das Schulgeld zu erhöhen. Um die Schüierinnen besser fördern zu können, wird die Zahl derselben für die einzelnen Kurse auf höchstens 20 beschränkt; eine Einrichtung, die sich unsern Staatsanstalten zur Nachahmung empfehlen dürfte.
Die größe und segensreichste Schenkung erhielt der Verein am 20. Oktober 1895. Es ist dies eine reich ausgestattete Bibliothek, die über 1 200 Bände belehrender wie unterhaltender Art enthält. In zwei behaglich eingerichteten Lesezimmern, die wie alle Räume des Heims in elektrischem Lichte strahlen, findet sich täglich eine Anzahl eifriger Leserinnen ein, um Belehrung und Anregung zu suchen; an 30 Zeit- und Fachschriften liegen, übersichtlich in Fächer geordnet, für sie bereit. Wie fleißig die so gebotene Gelegenheit benutzt wird, davon giebt wohl am besten die Thatsache einen Begriff, daß die Bibliothek vom i. November 1895 bis 31.Dezember 1897 von 10761 Leserinnen besucht worden ist. Und die Zahl dieser Leserinnen ist noch in stetigem Steigen begriffen; oft sind beide Lesezimmer dicht besetzt. Eine angestellte Bibliothekarin, die täglich, auch Sonntags, von 3-10 Uhr anwesend ist, erweist sich besonders den)üngeren Mädchen vielfach als Helferin und Beraterin bei der Auswahl ihrer Lektüre. je nach ihrem Ermessen darf sie auch eine kleine Sammlung von Büchern und Zeitschriften zu häuslicher Lektüre ausleihen. Der Verein unterhält auch eine Stellenvermittlung, die für die kurze Zeit ihres Bestehens schon gute Resultate ergeben hat, nicht nur in Bezug auf die Zahl der vermittelten Stellen, sondern vor allem auch durch den Umstand, daß viele junge Mädchen dadurch mit dem Verein bekannt werden und dort Anschluß finden; besonders den von außen kommenden wird so ein Schutz und Halt und des Sonntags Erholung und Anregung geboten.
Jeden Sonntag Nachmittag findet nämlich unter Leitung einer Vereinsdame von 5 -10 Uhr eine gesellige Unterhaltung statt, bei der musikalische oder deklamatorische Vorträge oder eine kleine belehrende oder erziehliche Vorlesung geboten wird. Um 7 Uhr wird Thee und Backwerk gereicht. Der Thee wird unter Anleitung einer erfahrenen Vereinsdame abwechselnd von je vier jungen Mädchen bereitet, die auch das Geschirr wieder reinigen und ordnen. Nach dem Thee werden heitere Spiele vorgenommen oder es wird getanzt. Für die, welche sich nicht an der allgemeinen Unterhaltung beteiligen wollen, stehen in einem Nebenzimmer eine große Anzahl Spiele zur Verfügung, wie Schach, Halma, Quartett u. a. Von den älteren Mitgliedern ziehen sich viele in die Stille der Lesezimmer zurück.
Diese Sonntagsunterhaltungen, die »von allem Zwange außer dem der guten Sitte« frei sind, werden sehr besucht; im letzten Winter waren häufig 100-12o Theegäste anwesend. Das Programm jeder Sonntagsunterhaltung wird in ein Buch eingetragen, auch die Namen der die Unterhaltung leitenden Dame sowie der Theedame und ihrer Helferinnen. Da auch die Zahl der Theegäste notiert wird, glebt das Buch dem Denkenden Gelegenheit, allerlei Interessantes zwischen den Zellen zu lesen. Außer den Sonntagsunterhaltungen finden während des Winters noch sechs größere Unterhaltungsabende statt, die gewöhnlich von 5oo-6oo Mitgliedern besucht werden. An den belehrenden Vortrag schließen sich stets mit großem Beifall aufgenommene musikalische und deklamatorische Darbietungen an. Der letzte Unterhaltungsabend wird als Familienabend betrachtet, sodaß auch Väter, Ehemänner und erwachsene Brüder teilnehmen können.
Der Verein besitzt auch eine Darlehns- und Hilfskasse, die aus freiwilligen Gaben begründet worden ist; sie hat den Zweck, den Mitgliedern in augenblicklicher Verlegenheit zu helfen. Die Verwaltung dieser Hilf skasse hat f ast nur erf reuliche Erf ahrungen zu verzeichnen. Die Darlehen werden meistens pünktlich, oft genug mit großen persönlichen Opfern, zurückbezahlt. Es zeigt sich auch hier wieder, daß gerade bei den Frauen dieser unbernittelten Klassen ein außerordentlich feines Ehrgefühl anzutreffen ist.
Die letzte Schöpfung des Vereins ist eine Kranken- und Begräbniskasse, die sich aber zu einer besonderen Genossenschaft gestalten mußte. Nur Mitglieder des FrauenGewerbevereins, und zwar nur solche, die in Leipzig wohnen, werden aufgenommen. Es gibt für die Beiträge drei Klassen, in denen das Krankengeld wöchentlich je neun, sechs oder drei Mark beträgt.
Das sind die äußeren Grenzen, die der Verein augenblicklich seiner Wirksamkeit gezogen hat. Ein tüchtiger Geist, der Geist seiner Leiterin, erfüllt ihn und giebt sich in seiner Entwicklung kund, der noch lange kein Endziel gesetzt sein dürfte.
Elisabeth Winter

Deputation deutscher Frauen
beim Reichskanzler
[1902]

Die fortschrittliche Frauenbewegung in Deutschland empfand mit einer gewissen Schärfe die geringe Berücksichtigung, welche trotz unverkennbarer Fortschritte bezüglich der Stellung der Frauen auf manchen Gebieten, gerade die wesentlichsten Forderungen bezüglich der Vereinsfreiheit, der Mädchenschulbildung und der übergriff e der Polizeiwillkür auf Grund der Reglementirung der Prostitution bisher von Seiten der gesetzgebenden Körperschaften gefunden hatten. Insbesondere hat der jahrelange, sehr energisch geführte und erst jüngst wieder in mehr als 80 Eingaben geäusserte Protest gegen die Beschränkung der Theilnahme an politischen Vereinen kürzlich beim Reichstage eine gegen frühere Beschlussfassungen im rückschrittlichen Sinne abweisende Bescheidung erhalten und der Bundesrath hatte überhaupt noch nicht für nöthig befunden, diese Angelegenheit, welche thatsächlich den wichtigsten Lebensnerv der Bewegung berührt, einer Erörterung zu unterziehen. Der Deutsche Verein für Frauenstimmrecht, dessen Vorsitz in Händen der Verfasserin (Anita Augspurg) dieser Zeilen liegt, hatte daher den Entschluss gefasst, die Cardinalpunkte des frauenrechtlerischen Programmes direct vor dem Kanzler, als der höchsten verantwortlichsten Persönlichkeit des Reiches, zu Gehör zu bringen. Seine Anregung fand lebhafte Zustimmung bei den Frauen im Reiche, von denen eine Anzahl zu der am 20. März anberaumten Audienz beim Kanzler auf telegraphischen Ruf herbeieilte. Verhältnisse und Umstände schränken allerdings bei solchen Gelegenheiten stets den vorhandenen Willen zur persönlichen Beteiligung wesentlich ein, jedoch waren neben den vielen, die nur schriftlich ihre Sympathie mit dem unternommenen Schritte bekunden konnten, circa 3 5 Frauen aus Berlin und mehreren deutschen Städten zur Stelle und zwar waren es Frauen der verschiedensten Berufsclassen: Lehrerinnen, Arbeiterinnen, Reichsund städtische Beamte, Doctores dreier Facultäten, Schriftstellerinnen, Handelsangestellte u. s. w.
In einer Vorconferenz war die Vorsitzende des Vereines für Frauenstimmrecht zur Sprecherin und waren die von ihr zu erörternden Punkte bestimmt worden. Mit den Unterschriften aller Theilnehmerinnen versehen, ward eine kurze Zusammenfassung derselben schriftlich dem Reichskanzler überreicht, während die Sprecherin sich etwas eingehender über die einzelnen Gegenstände verbreitete und vor allem die von den Frauen zu jedem Punkte gegen die gesetzlichen Körperschaften oder die Verwaltungsbehörden zu erhebenden Beschwerden vorbrachte. Der Wortlaut des überreichten Textes ist der folgende:

  • »Die Versammelten bitten im Namen vieler deutscher Frauen um die Vorlage eines Reichsgesetzes, dahin lautend:
    Die vereinsrechtlichen Beschränkungen der Frauen sind in allen deutschen Bundesstaaten aufgehoben. Sie bitten ferner um Aufhebung von Ziffer 6 des § 361 R. St. G. B., dessen Wirkung ein unerträgliches Ausnahmegesetz für alle deutschen Frauen bedeutet; sie bitten endlich: dass durch Reichsgesetz bestimmt werden möge, dass nach vollgiltig abgelegter Maturitätsprüfung das weibliche Geschlecht das gleiche Anrecht auf Immatriculation an Hochschulen habe, wie das männliche; dass bei der in Aussicht gestellten Reform des Mädchenschulwesens in Preussen eine Anzahl sachverständiger Frauen zur Mitarbeit herangezogen werden; dass der privaten Initiative bei Reformversuchen für Mädchenschulen durch Conzessionsversagung seitens des Cultusministeriums nicht länger hindernd in den Weg getreten wird; dass die Errichtung obligatorischer Fortbildungsschulen für Mädchen eingeleitet werde.«

Der Reichskanzler gab darauf etwa folgende Antwort:

  • »Ich danke Ihnen für Ihre freundlichen beredten Worte, ich danke Ihnen für Ihr Erscheinen und bitte Sie, davon überzeugt zu sein, dass ich mir der ausserordentlichen Bedeutung und des grossen Ernstes der Frauenfrage wohl bewusst bin. Was die angeregten Punkte betrifft, so werden Sie selbst wissen, dass ich, wo es sich um die hinsichtlich des Vereinsgesetzes geltenden Bestimmungen handelt sowie auch um den betreffenden Paragraphen, welcher so schmerzliche Erscheinungen zur Folge hat, nicht allmächtig bin; vielmehr ist dies Alles gebunden an die Bestimmungen der gesetzgebenden Körperschaften; ich kann in dieser Beziehung nur Reformversuche anregen.
    Was die Frage der Frauenbildung betrifft, so ist dieselbe in Verbindung mit den Grundlagen der Volkserziehung vom Cultusministerium in Erwägung gezogen. Es ist Ihnen bekannt, welche Stellung zu dieser Frage der Cultusminister einnimmt. Eine nachdrückliche Unterstützung der Mädchenschule von Seite der Unterrichtsverwaltung wie von Seite der Stadtgemeinden ist in Aussicht genommen, und durch neue Lehrpläne werden im Unterricht verschiedene Verbesserungen angestrebt.
    Dagegen verhält sich die Unterrichtsverwaltung ablehnend hinsichtlich der Errichtungen von besonderen Mädchengymnasien sowie Aufnahme der Mädchen in die höheren Lehranstalten sowie gegenüber der Coeducation. Gegen die Errichtung solcher Anstalten erheben sich Bedenken, dagegen sind versuchsweise sechsjährige Gymnasialcurse genehmigt und weitere Erfahrungen nach dieser Richtung hin gesammelt worden.
    Hinsichtlich des berührten Punktes: die Zuziehung von sachverständigen Frauen zur Berathung, bin ich dafür, diese sehr wichtige Frage anzuregen und zu sehen, ob es möglich sein wird, dass Frauen zugezogen werden. jedenfalls können Sie meines Interesses sicher sein. Ich werde, so weit es an mir ist, dasselbe beim Bundesrath und Reichstag zum Ausdruck bringen.«

Man hatte alle Ursache, mit dem Tone wie mit dem Inhalte der Antwort des Reichskanzlers zufrieden zu sein. Denn wenn auch voraussichtlich nicht eine unmittelbare Wirkung völlig im Sinne der vorgebrachten Wünsche zu erwarten sein wird, so ist doch durch den Verlauf der Dinge die Annahme bestätigt worden, dass der Verein für Frauenstimmrecht wohl daran gethan hat, an die höchste Stelle des Reiches zu appelliren und vor der öff entlichkeit kund zu thun, dass die deutsche Frauenbewegung gesonnen ist, sich in der Gesetzgebung und in der allgemeinen Anerkennung den Platz im Volksleben zu erobern, der ihr gebührt als einer socialen Strömung, die berufen ist, wesentlich an dessen gesunder Entwicklung mitzuwirken.
Anita Augspurg

Aufruf des Vereins zur Vertretung
der Interessen der Arbeiterinnen
(1885)

An die Arbeiterinnen Berlins!

Arbeiterinnen! Eine jede von Euch weiß, wie traurig die Verhältnisse sind, unter denen Ihr lebt. Ein Lohn wird Euch gezahlt, der Eurer Menschenwürde spottet und Euch in beständiger geistiger und materieller Abhängigkeit erhält. Überflüssig wäre es, ein Wort mehr oder eine Zahl zum Beweise hinzuzufügen: Die tägliche Not und die tägliche Entbehrung lehren eine jede von Euch bitter und scharf genug, daß Euer Lohn der gedrückteste, daß Eure Arbeit die schlechtbezahlteste ist.
Nun kommt noch hinzu, daß wegen dieser ihrer schmachvollen kargen Entlohnung die Frauenarbeit die gefährlichste Konkurrentin der Männerarbeit ist. In jeder Branche, in welche die Frau eindringt, ist ein Sinken des Lohnes unausbleiblich, der männliche Arbeiter wird von der neuen, billigeren Arbeitskraft beiseite geschoben, er ist verdrängt, wird arbeitslos, und die Folgen nun, das törichte Widerspiel, daß der »Ernährer«, so gern er schaffen möchte, untätig zu Hause sitzt, die Frau aber in die Fabrik muß, um ihre Kinder vor Hunger zu schützen. Diese Zersprengung der Familie, diese Vernichtung jeder Sittlichkeit, diese Gefährdung der kommenden Geschlechter- sie liegen vor den Augen aller, die sehen wollen! An uns Frauen ist es, nicht länger mehr mit dem Gleichmut der Gewohnheit der Entwicklung des Unheils zuzusehen, das uns und das ganze Volk bedroht. Wir müssen uns aufraffen und im Namen der Gerechtigkeit eine Forderung erheben, deren Erfüllung Rettung verheißt die Forderung der Lohngleichheit der Männer- und Frauenarbeit!
Wohl liegt das Ziel fern, und der Weg ist ungebahnt, aber es gibt ein Mittel, zu erreichen, was wir wollen. Dieses Mittel heißt: Vereinigung. Arbeiterinnen Berlins! Wir rufen Euch zu: Vereinigt Euch! Reiht Euch ein in einen großen Bund, der in gemeinsamer Arbeit und in aufopfernder Tätigkeit durch die Kraft aller die Not der einzelnen besiegen wird.
Bereits hat sich hier ein Verein gebildet, der sich die Wahrung der Interessen der Arbeiterinnen zur Aufgabe gemacht hat. Tretet alle diesem Verein bei!
Schwach sind wir, solange wir nicht zusammenhalten, solange wir nicht erkannt haben, daß wir uns organisieren niussen, daß unsere Lage nur durch die gewaltige Kraft der Masse gebessert werden kann. Aber wir sind stark und wir sind eine Macht, wenn wir vereint und geschlossen vorwärts gehen, von einem Willen getrieben und von einem Gedanken beseelt, der da ist: höherer Lohn für die weibliche Arbeit!
Die nächste öffentliche Arbeiterinnenversamrnlung findet am Freitag, dem io.d.M., abends 8 Uhr, im Konzerthause »Sanssouci«, Cottbuser Str. 4, statt. Gäste haben Zutritt. Beitrittserklärungen zum Verein werden in der Versammlung entgegengenommen. Das Eintrittsgeld beträgt 25 Pf, der monatliche Beitrag 20 Pf.
Der Vorstand des Vereins zur Vertretung der Interessen der Arbeiterinnen

Die Bewegung der Berliner Plätterinnen
und Wäscherinnen
(1900)

Die »alte Waschfrau«, die trotz weißer Haare gesund und zufrieden am Waschf aß steht, ist in Poesie und Prosa von den bürgerlichen Sängern der »Genügsamkeit« oft genug als Verkörperung dieser Tugend gepriesen worden, die den Habenichtsen dringend anempfohlen wird, weil sie den Besitzenden so bequem und einträglich ist. Die »junge Plätterin« und das »Waschmädchen« aber wurden und werden gefeiert als reizende, billige Liebchen flotter, lebenslustiger Bürgersöhne, denen die frischen, sauberen Proletarierinnen zur Kurzweil eines »Verhältnisses« gerade gut genug dünken.
Wie wenig stimmen die thatsächlichen Lebensverhältnisse der Wäscherinnen und Plätterinnen zu dem Bilde von der alten, aber noch rüstigen Frau, die zufrieden und heiter bei freudig getaner Arbeit ihrem Ende entgegensieht. Wie wenig stimmen die thatsächlichen Verhältnisse zu dem Bild von dem jungen, rothwangigen, übermüthigen Ding, das unter Lachen und Scherzen fast, wie zum Spiel, am Plättbrett oder am Waschfaß steht. Die »alte Waschfrau« ist in der Regel ein von Rheumatismus, Krampfadern, Hals- und Lungenleiden geplagtes Weib, und den »jungen Plätterinnen und Wäscherinnen« sind nur zu oft die Kennzeichen der Blutarmuth, Bleichsucht und Tuberkulose ins Antlitz geprägt. Schwere Sorgen um des Lebens Nothdurft beladen die Einen wie die Anderen. Bei harter Frohnarbeit, die oft in halbdunklen Kellerräumen und Hinterhäusern von Früh bis Abends bei künstlichem Licl-it verrichtet werden muß, inmitten von ungesundem Dampf und Brodem, in einer überhitzten Atmosphäre, die von den Ausdünstungen der feuchten Wäsche geschwängert ist; bei niedrigen Löhnen, die kaum zur Fristung der armseligen Existenz ausreichen: geht Frische, Gesundheit und Frohsinn bald zum Teufel, und Genügsamkeit und Zufriedenheit wären unter solchen Umständen keine Tugenden, sondern verhängnißvolle Laster.
Wer die Arbeitsbedingungen der Plätterinnen und Wäscherinnen kennt, wer da weiß, wie schwer ihre Arbeit ist, wie höchst gesundheitsschädlich die Umstände, unter denen sie meist verrichtet wird, wie lange ihr Arbeitstag, der sich oft zur Arbeitsnacht ausdehnt, wie kärglich ihr Lohn, der muß es deshalb mit aufrichtiger Freude begrüßen, daß die Berliner Plätterinnen und Wäscherinnen in eine Bewegung für bessere Arbeitsbedingungen eingetreten sind.
Der erste Mahnruf zum Streben nach einer Hebung der Lage ertönte aus Charlottenburg. Die »Gleichlielt« brachte den Bericht über jene Versammlung der Plätterinnen, welche glänzend verlief und zur Gründurig eines lokalen Vereins führte, der sich erfreulich weiter entwickelt. Dem Beispiel der kleinen Schwesterstadt ist Berlin gefolgt. Der sehr tüchtige und thatkräftige Leiter des >~Vereins der Wäsche- und Kravattenbranche« rief die nahe verwandten Gewerbe der Plätterinnen und Wäscherinnen zur gewerkschaftlichen Arbeit auf. Und die Gerufenen kamen. In hellen Haufen eilten sie herbei, als hätten sie nur des erlösenden Wortes geharrt, das sie aus ihrer Vereinzelung rufen, in die allgemeine Bewegung der kämpfenden Arbeiterklasse einreihen sollte. Plötzlich wurde es den Plätterinnen und Wäscherinnen bewußt, daß es ihr eigenes Wohl und Wehe sei, um das es sich handle. Daß sie so spät zu dieser Erkenntniß erwachten, ist nicht wunderbar. Greifen ja häufig auch die besser für den Kampf gerüsteten Männer nicht eher zu dem Mittel der Selbstvertheidlgung, der Koalition, als bis ihnen die äußerste Noth die Waffe in die Hand drückt. Wie viel schwerer noch fällt der erste Schritt den Frauen, den geduldigen Seelen, welche meinen, daß eine Last, die ohne Murren so lange geschleppt wurde, auch weiter getragen werden müsse.
Eine zweite Anregung zu einer Bewegung für bessere Arbeitsbedingungen fand, nachdem die dumpfe Ergebung erschüttert worden war, guten Boden. Die zunehmende Preissteigerung im neuen Jahre, namentlich für Kohlen und Koaks, veranlaßte die Inhaber der Plättstuben, einen neuen, höheren Tarif zu vereinbaren, der zu Pfingsten veröffentlicht wurde und seitdem im Kundenverkehr gilt. Nun wollte es den Plätterinnen nicht in den Kopf, daß nur die Meister für die Preissteigerung schadlos gehalten werden sollten und nicht auch sie, die doch jeden Pfennig Mehrausgabe so schwer empfinden.
In einer sehr gut besuchten und gutgestimmten Versammlung der Neuplätterinnen wurde die Sachlage erörtert und der Beschluß gefaßt, eine Versammlung der Altplätterinnen (so genannt, weil sie alte, d. h. gebrauchte Wäsche plätten, im Gegensatz zu den Neuplätterinnen, welche für die Wäschefabriken arbeiten) einzuberufen. Daß für die Versammlung einer der größten Säle Berlins gewählt wurde, erschien als Wagniß, da die Plätterinnen bis dahin jeder Organisation entbehrten. Erfreulicherweise erwies sich der Saal nur eben groß genug, um die Menge derer zu fassen, welche herbeiellten, um ihre eigene Versammlung zu besuchen, ihre eigenen Beschwerden vorgebracht zu hören. Man sah es Vielen an, man hörte es aus manchem Munde, daß eine Versammlung zum ersten Mal aufgesucht worden war. Nichts hatte bisher den meisten Plätterinnen und Wäscherinnen ferner gelegen, als Agitation, Vereinswesen und ähnliche »gefährliche Dinge«. Aber auch die Gleichgiltigsten lassen sich aufrütteln und wachrufen, wenn ihre Lage immer dringender Abhilfe und Besserung heischt. Mit großer Erregung und hochgespannter Aufmerksamkeit folgten die Versammelten den Worten der Referentin, Frau Ihrer, und ihre große, persönliche Antheilnahme verrieth sich sowohl in dem stürmischen Beifall zu dem Referat, als bei den Ausführungen der Gegner in dem gleich stürmischen Widerspruch.
Die bisherigen Löhne der Plätterinnen müssen durch ihre Niedrigkeit Staunen und Entrüstung erregen. Sie stellen sich, wie folgt: Für das Dutzend Oberhemden 7 5 Pf., das Dutzend Westen gleichfalls 75 Pf., das Dutzend Chemisetten 30 Pf., das Dutzend Paar Manschetten 3c' Pf., das Dutzend Kragen 2o Pf. Die Löhne bleiben sich im Allgemeinen gleich. Für Damenblousen (Oberhemd) ist dagegen die Entlohnung sehr wechselnd, sie steigt von 15 Pf. für 2 Stück - ein Preis, der leider nicht selten ist, - auf 25 Pf., für 2 Blusen, ja zuweilen auch für 1 Bluse allein. In)edem Falle ist es die Hälfte des Preises, den die Kundschaft zahlt, den die Plätterinnen als Lohn erhalten.
Wenn die Dürftigkeit des Lohnes eine annehmbare Wocheneinnahme nicht immer ausschließt, so liegt die Erklärung dafür in der übermäßig lang ausgedehnten Arbeitszeit, der charakteristischen und so verhängnißvollen Begleiterscheinung der Hausindustrie. Die Arbeiterschutzgesetze, welche die Arbeitszeit in den Fabriken etwas gekürzt und geregelt haben, haben leider vor den handwerksmäßigen und hausindustriellen Betrieben Halt gemacht. In der Folge haben die Plätterinnen und Wäscherinnen, die vielfach in den allerungesündesten Arbeitsstuben und Arbeitsräumen, unter ohnehin schon schlechten sanitären Verhältnissen schaffen, ungemessen lange Arbeitszeit. In Berlin sind Arbeitswochen von 92 Stunden keine Seltenheit, in Charlottenburg kann es gar passiren, daß die Plätterinnen sich loo Stunden wöchentlich abrackern müssen. Fast in allen Plättstuben gilt die Nacht vom Sonnabend zum Sonntag als ein regelrechter Arbeitstag. Wenn die Arbeit bis Nachts 2 Uhr und länger gedauert hat, so kommt es obendrein wohl noch vor, daß die Meisterin am nächsten Morgen heftig über die Langschläferei und Unpünktlichkeit der Arbeiterinnen schilt.
Wenn Wäscherinnen und Plätterinnen von Hause aus auch noch so robust sind, schon nach wenigen Jahren stellen sich allerhand Berufskrankheiten ein: Kopf - und Magenleiden bei den Plätterinnen; Blutarmuth, Rheumatismus bei den Wäscherinnen, Krampfadern, Unterleibsleiden, geschwollene Füße, Krankheiten der Athmungsorgane und Schwindsucht bei den einen und anderen. Lange Arbeitszeit, schwere Arbeitsleistungen, ungesunde Arbeitsräume und dürftige Ernährung in Folge des kärglichen Verdienstes wirken zusammen, um im Laufe weniger Jahre auch die festeste Gesundheit zu zerrütten.
Der Sachlage entsprechend wurden behufs Besserung der Arbeitsbedingungen des Gewerbes von den Versammelten drei Forderungen aufgestellt: höherer Lohn, kürzere Arbeitszeit und Unterstellung der Arbeitsstuben unter die Fabrikinspektion.
Wie die »Gleichheit« bereits berichtete, wurde eine fünfzehngliedrige Kommission gewählt, deren Aufgabe es war, einen Lohntarif auszuarbeiten, die Forderungen betreffs Verkürzung und Regelung der Arbeitszeit zu formullren und diesbezügliche Vorschläge einer zweiten Versammlung der Wäscherinnen und Plätterinnen vorzulegen, die 14 Tage nach der ersten, am 26. Juni, stattfinden sollte.
Diese Versammlung ist nun vorüber. Wie ihre Vorgängerin, so erfreute auch sie sich eines massenhaften Besuches seitens der Plätterinnen und Wäscherinnen. Ein Hauch von Energie und fester, willensklarer Entschlossenheit wehte durch den großen, dichtgefüllten Saal. Die Kommission legte den Versammelten folgenden Entwurf der aufgestellten Forderungen vor.

1. Entlohnung:
Akkordlohn für Plätterinnen.

In jedem Punkt der Forderungen äußerten Arbeiterinnen wie Meister und Meisterinnen ihre Meinung. Erstere nahmen jeden einzelnen Punkt einstimmig an, letztere stimmten nicht mit. Sie hatten in der Zwischenzeit selbst einen Lohntarif ausgearbeitet, welcher den Arbeiterinnen eine Lohnerhöhung von 25 bis 30 Prozent bot. Vor Pfingsten, als die Meister die Kundenpreise erhöhten, hätte dieser Tarif vielleicht Aussicht gehabt, von den Arbeiterinnen angenommen zu werden. Jetzt kam er zu spät. Plätterinnen und Wäscherinnen erklärten der Konzession der Meister gegenüber um so eifriger und energischer, an ihren eigenen Forderungen festzuhalten, als sie großes Gewicht auf die Verkürzung der Arbeitszeit legen. Sie wollen sich nicht länger mit dem Mißstand abfinden, daß Abends die Arbeit nicht endet, daß sie erst spät nach Mitternacht todtmüde, wie zerschlagen dem armseligen Heim zuwandern. Sie haben sich darauf besonnen, daß sie nicht bloß Wasch- und Plättmaschinen sind, sondern lebendige Menschen, mit einem Recht auf Gesundheit, Muße, Bildung, Familienglück und Erholung. Tüchtige Arbeit muß nicht nur tüchtigen Lohn beanspruchen, vielmehr auch tüchtige Ruhe zur Stärkung und Erfrischung von Körper und Geist.
Von der Erkenntniß durchdrungen, daß nur ein einheitliches, planmäßiges Handeln, das von einer festen Organisation geleitet wird und an ihr einen Rückhalt findet, der eingeleiteten Bewegung zu Erfolgen zu verhelfen vermag, nahmen die Versammelten folgende Resolution an:

  • »Die heute, 26. Juni, in Kellers Festsälen tagende, von ca. 1500 Personen besuchte Versammlung der Alt-Plätterinnen und Wäscherinnen in Berlin erklärt, daß nur durch festes Zusammenhalten ein planmäßiges Arbeiten möglich ist und verpflichtet sich, der Organisation aller Arbeiter und Arbeiterinnen von der Wäsche- und Kravattenbranche beizutreten.«

Nachdem die Versammlung entschieden hatte, gingen Lohnkommission und Organisation freudig an die ihnen zugefallene Aufgabe, den Arbeiterinnen möglichst auf dem Wege gütlicher Verhandlung bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen. Vom 27. Juni an konnten alle Wäscherinnen und Plätterinnen im Bureau der Lohnkommission Tarif zettel mit den aufgestellten Forderungen erhalten. Diese Zettel sollten den Meistern und Meisterinnen vor£relegt werden, die sich bis zum 7. Juli durch Unterschrift zur Einhaltung der geforderten Arbeitsbedingungen zu verpflichten hatten. War bis zum Ablauf der festgesetzten Bedenkzeit die Unterschrift nicht erfolgt, der Tarif also abgewiesen, so galt vom 3 0. Juni ab die Kündigung des Arbeitsverhältnisses seitens der Arbeiterinnen. Durch die letztere Bestimmung wurde die 14tägige Kündigung gewahrt. Die Plätterinnen und Wäscherinnen sind der erhaltenen Losung gemäß vorgegangen. Nur ein kleiner Teil der Unternehmer hat die Forderungen bewilligt. Die Verhandlungen zwischen der Lohnkommission und einer Kommission der Unternehmer haben zu keiner Verständigung geführt. Um einen friedlichen Verlauf der Bewegung zu sichern, haben nun die Plätterinnen und Wäscherinnen auf Vorschlag der Lohnkommission das Einigungsamt des Gewerbeschiedsgerichts angerufen. Die Inhaber der Wäschereien und Plättestuben sind dem Vorschlage beigetreten. Die Wäscherinnen und Plätterinnen haben in einer Versammlung die Lage erörtert und über die weiterhin zu unternehmenden Schritte beschlossen. Ihre Vertretung vor dem Einigungsamt wurde Genossin Ihrer, vier Plätterinnen und dem Vorsitzenden der Organisation, Genossen Trinks, übertragen. Die Verhandlungen vor dem Einigungsamt beginnen am 13.Juli. Wir wünschen ihnen besten Erfolg.
Nach den Berichten der Lohnkommission ist die Situation den Arbeiterinnen günstig. Es mehrt sich die Zahl der Meister, welche die Forderungen bewilligen. Der Arbeitsnachweis des »Vereins der Wäsche- und Kravattenbranche« kann der Nachfrage nach Arbeiterinnen zu den neuen Bedingungen nicht genügen. Die Stimmung unter den Plätterinnen und Wäscherinnen ist vorzüglich. Die Organisation ist entschlossen, ihnen mit Rath und That kraftvoll zur Seite zu stehen. Die Lohnkommission erklärt es in der Folge für ein schändliches Manöver, daß sogenannte »parteilose« Blätter, wie »Lokalanzeiger«, und »Morgenpost«" verkünden, die Bewegung werde im Sande verlaufen.
Überall, wo Arbeiterinnen und Arbeiter am eigenen Leibe erf ahren, was Ausgebeutetwerden bedeutet, da wird man auch von ganzem Herzen mit den Plätterinnen und Wäscherinnen sympathisiren, welche sich nach einer menschenwürdigeren Existenz sehnen. Aus dem Verständnis für ihr trauriges Loos, aus der Sympathie für ihre so gerechtfertigten Bestrebungen wird im Falle der Noth, im Falle des Kampf es treue, opf erf reudige Hilf sbereitschaft erwachsen. Der Verlauf und der Ausgang der in Fluß gekommenen Bewegung ist in der Hauptsache von den Wäscherinnen und Plätterinnen selbst abhängig. Erlischt ihr Wille nach günstigeren Arbeitsbedingungen nicht einem Strohfeuer gleich, halten sie vielmehr mit Festigkeit, Ausdauer und vor allem mit unerschütterlicher Einmüthigkeit fest, was sie mit hochflammender Begeisterung als Ziel erkoren, so können Erfolge nicht ausbleiben. Die Wäscherinnen und Plätterinnen von Neu-Isenburg haben ihren Berliner Schwestern der Frohn und des Leidens durch einen lange Wochen dauernden Kampf schon vor Jahren gezeigt, welche Siege durch Einigkeit, Ausdauer und treues Festhalten an der Organisation errungen werden können. Die Lohnerhöhung bei kürzerer Arbeitszeit, welche die Wäscherinnen und Plätterinnen der Pariser Vororte erst kürzlich ihren Unternehmern abgetrotzt haben, beweist das Gleiche. In England haben die Wäscherinnen und Plätterinnen ihrer Agitation und Organisation eine Reihe werthvoller gesetzlicher Schutzmaßregeln zu verdanken, welche bessere sanitäre Verhältnisse in den Wäschereien geschaffen haben. Wenn die Wäscherinnen und Plätterinnen im Verlaufe ihrer Bewegung erkennen lernten, daß es für sie nicht gilt schweigend zu leiden und:zu dulden, vielmehr agitirend, kämpfend für Besserung zu wirken, wenn sie sich von der Bedeutung des Zusammenhalts überzeugen und die Wichtigkeit der gewerkschaf tlichen Organisation erfassen, so ist das ein Gewinn, der nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Der Hinblick auf die gegenwärtig erhobenen Forderungen, die Rücksicht auf weitere Verbesserung der Lage und auf eine dauernde Sicherung der errungenen Vortheile, aber auch das heiße Begehren nach Aufklärung, nach dem Wirken in einer Gemeinsamkeit, nach dem Empor der Persönlichkeit aus der Enge und dem Dunkel einer nothbelasteten Existenz, aus der Kälte der Vereinsamung, kurz das Streben nach einer Antheilnahme an allen materiellen und geistigen Errungenschaften der Kultur, predigt den Plätterinnen und Wäscherinnen eindringlich: Organisirt Euch!
Mit großer Genugthuung können die Berliner Wäscherinnen und Plätterinnen einen schönen Erfolg ihrer Bewegung verzeichnen. Sie haben nicht blos eine ansehnliche Erhöhung ihrer Löhne errungen, sondern auch die geforderte Verkürzung und Regelung ihrer Arbeitszeit. Ihren Sieg verdanken sie ihrem kraftvollen und einigen Vorgehen und der geschickten, klugmaßvollen Leitung der Bewegung. Von Anfang an schien es, als hätten die Inhaber und Inhaberinnen der Wasch- und Plättstuben nicht übel Lust, sich den Forderungen der Arbeiterinnen gegenüber auf einen protzig ablehnenden Standpunkt zu stellen, jeden Ausgleich zurückzuweisen und zum Kampfe zu treiben. Die Arbeiterinnen hatten ihre Forderungen unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist gestellt und schon am 4. Juli erklärten sie sich in einer imposanten Versammlung zur Anrufung des Einigungsamtes und zu gütlichen Verhandlungen mit ihren Arbeitgebern bereit. Erst am 11. Juli und nach ziemlich heftigen Auseinandersetzungen gelangten die Inhaber der Wasch- und Plättstuben zu dem gleichen vernünftigen Entschluß. Die von etwa 5oo Arbeitgebern und Arbeitgeberinnen besuchte Versammlung, welche friedliche Verhandlungen mit den Vertretern der Arbeiterinnen beschloß, war anfänglich von einer sehr gereizten und kampf lustigen Stimmung beherrscht. Die Ausführungen des Referenten, die ruhig und sachlich waren und zur Anrufung des Einigungsamtes mahnten, fanden bei den Versammelten nur wenig Anklang. Mit großer Schärfe, ja mit Gehässigkeit wendeten sich mehrere Redner gegen die Forderungen der Plätterinnen und kündigten den Kampf an. »Wir denken gar nicht daran, vor das Einigungsamt zu gehen.« »Einen Streik glebt es ja gar nicht.« » Laßt sie nur kommen. Wenn sie streiken wollen, werden wir das Publikum darüber aufklären, mit welcher Frechheit man uns die Haut über die Ohren ziehen will.« In diesem Tone und Geiste waren die Ausführungen gehalten, welche stürmischen Beifall fanden. Als Genosse Trinks erklärte, er sei gekommen, um im Namen der Arbeiterinnen die Hand zur Einigung zu bieten, wurde er mit persönlichen Anzapfungen beehrt. Allmälig nahmen jedoch die Debatten einen sacl-ilicheren und friedlicheren Charakter an. Gegen die Forderungen der Plätterinnen wurden besonders folgende Einwendungen erhoben: Die Inhaber der Wäschereien und Plätterelen seien keine Meister oder Unternehmer, sondern ebenfalls Proletarier, Arbeiter, die ihrem Beruf nachgingen, während die Frau die Waschstube leite etc. Richtig i daß die seitherigen Löhne der Wäscherinnen und Plätterinnen einer Aufbesserung bedürften, doch könne dieselbe nicht die Hälfte der stattgefundenen Preissteigerung betragen. Die Preissteigerung sei lediglich mit Rücksicht auf die Vertheuerung des Materials und das Anziehen der Miethen für die Geschäftslokale erfolgt. Die Arbeiterinnen klagen über ungesunde Wasch- und Plättstuben und forderten menschenwürdige Arbeitsräume. Menschenwürdige Arbeitsräume müßten aber unmenschlich bezahlt werden. Man habe die früheren Löhne der Arbeiterinnen bereits etwas erhöht, an dieser Erhöhung werde man festhalten und weitere Forderungen ablehnen. Die Abstimmung über den Vorschlag des Referenten ergab eine große Mehrheit gegen die Verhandlung vor dem Einigungsamt. Da jedoch behauptet wurde, bei der Abstimmung habe ein Mißverständnis geherrscht, so erfolgte ein nochmaliges Votum, welches eine Majorität für die Einigungsverhandlungen ergab. Die Versammlung ernannte ihre Vertreter vor dem Einigungsamt und verpflichtete sie, nicht über die Bewilligung von Lohnaufbesserungen von 12 1/2-33 1/3 Prozent hinauszugehen.
Die Arbeiterinnen nahmen ebenfalls in einer Versammlung Stellung zu den Verhandlungen vor dem Einigungsamt, das ihre Vertreter bereits angerufen hatten. In der Berichterstattung, welche Genosse Trinks vom seitherigen Verlauf der Bewegung gab, sowie in den anschließenden Debatten gelangte es unzweideutig zum Ausdruck, daß die Arbeiterinnen fest entschlossen seien, eine nennenswerthe Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen zu erringen auf Grund einer Verständigung mit den Meistern und Meisterinnen, wenn es irgend möglich sei, durch den Kampf gegen die Arbeitgeber, wenn diese keinen Frieden wollten. Der Besitzer einer Plättanstalt erklärte die Forderungen für zu hoch und rieth vom Ausstand ab, da die Arbeiterinnen keine Streikkasse hätten. Der Vertreter der Gewerkschaftskommission, Genosse Körsten, erwiderte darauf, daß die gesammten Gewerkschaften Berlins die für ihr Recht kämpfenden Arbeiterinnen unterstützen und ihre Kasse füllen würden. Er wies nach, daß die erhobenen Forderungen gerechtfertigt und ihre Erfüllung möglich sei, so daß auch das Publikum Partei für die Arbeiterinnen ergreifen und eventuell nicht mehr die höheren Preise zahlen werde. Im Interesse von beiden Theilen empfahl er die Festlegung der Arbeitsbedingungen vor dem Einigungsamt. Wäscherinnen und Plätterinnen, welche das Wort ergriffen, schilderten anschaulich ihre traurige Lage und betonten die Entschlossenheit der Arbeiterinnen, an den formulirten Arbeitsbedingungen festzuhalten. Mit der Vertretung der Wäscherinnen und Plätterinnen vor dem Einigungsamt wurden betraut die Genossinnen Bukkow, Hill, Ihrer, Seeger und Genosse Trinks.
Die Verhandlungen vor dem Einigungsamt fanden, wie wir bereits mitteilten, am 18. Juli im Bürgersaal des Rathauses statt. Es ist bezeichnend für die Stimmung, welche in den beiden Lagern herrschte, daß der Vertretung der Arbeiterinnen freie Hand behufs einer Verständigung gelassen war, daß die Vertreter der Arbeitgeber dagegen gebundene Marschroute hatten und in keinem Falle über die Bewilligung von 3 3  1/3Prozent Lohnerhöhung hinausgehen sollten. Die Forderungen der Wäscherinnen und Plätterinnen wurden in sehr geschickter, ruhiger und sachlich überzeugender Weise von den gewählten Vertreterinnen und Genossen Trinks vertheidigt. Die Auseinandersetzung mit den Vertretern der Geschäftsinhaber währte gegen zwei Stunden. Sie hatten die Mitglieder des Einigungsamtes genügend darüber belehrt, daß den Arbeiterinnen viel weitergehende Zugeständnisse bewilligt werden müßten, als jene dürftigen Konzessionen, zu denen sich die Meister bereit erklärten. Nach 2 1/2stündiger Berathung schlug das Einigungsamt einen Vergleich auf Grund folgender Bedingungen vor:

I. Es sollen vom Montag, den 16.Juli cr., ab im Akkord an Plätterinnen gezahlt werden, für

1. Oberhemden . . . . . . . . . . . . pro Dutzend 1,20 Mk. gestärkt oder Falten nach übereinkunft.
2. Westen . . . . . . . . . . . . . . . . . pro Stück 0,15 Mk.
3. Kragen . . . . . . . . . . . . . ....... pro Dutzend 0,30 Mk.
4. Manschetten . . . . . . . . . . . . pro Dutzend 0,40 Mk.
5. Chemisettes . . . . . . . . . . . . pro Dutzend 0,40 Mk.
6. Damenoberhemden mit Kragen
und Manschetten . . . . . . . . . pro Stück 0,25 Mk.
II. An Plätterinnen ist von demselben Zeitpunkt ab an Wochenlohn ohne Kost durchschnittlich ein Betrag von 18 Mk. zu zahlen.
III. Wäscherinnen erhalten ebenfalls von demselben Zeitpunkt ab durchschnittlich
a) pro Tag 2,50 Mk. und Kost, oder b) pro Tag 3,50 Mk. ohne Kost.
IV. Die Arbeitszeit dauert im Sommer von 7-7 und im Winter von 8-8 Uhr mit einer einstündigen Mittagspause und einer halbstündigen Pause je Vor- und Nachmittags.
V. Sollten von einigen Arbeitgebern höhere Löhne gezahlt werden, wie hier vereinbart, so dürfen Herabsetzungen nicht vorgenommen werden.
Vl. Zur Regelung etwaiger zukünftiger Differenzen und zur Vermeidung von Streiks und Aussperrungen soll innerhalb vier Wochen eine Kommission gebildet werden. Dieselbe hat sich zusammenzusetzen aus fünf Arbeitgebern beziehungsweise Arbeitgeberinnen und fünf Arbeitnehmern beziehungsweise Arbeitnehmerinnen. Den Vorsitz soll als Unparteiischer ein Richter des hiesigen Gewerbegerichtes führen.
VII. Maßregelungen dürfen aus dieser Lohnbewegung von keiner Seite vorgenommen werden.

Die Vertreter beider Parteien erklärten sich mit den vorgeschlagenen Bedingungen einverstanden und unterzeichneten das Einigungsprotokoll. Bemerkenswerth ist, daß die Vertreter der Arbeitgeber im Verein mit sämmtlichen zu hörenden Meistern einstimmig erklärten, verantworten zu wollen, daß sie entgegen ihrem Auftrag sich zu weitergehenden Bewilligungen an die Arbeiterinnen verstanden hätten. Die Verhandlungen hatten ihnen die Überzeugung aufgedrängt, daß es nothwendig sei, höhere Lohnsätze und vor Allem auch eine Regelung und Verkürzung der Arbeitszeit zuzugestehen.
Am 23.Juli versammelten sich die Wäscherinnen und Plätterinnen, um den Bericht der Genossin Ihrer über die Verhandlungen vor dem Einigungsamt entgegenzunehmen und zugleich eine Antwort auf die Frage zu geben: »Was gedenken wir in Zukunft zu thun, um das Errungene festzuhalten, das noch Versagte bald zu erobern?« Genossin Ihrer betonte, daß die Arbeiterinnen mit dem erzielten Erfolg zufrieden sein könnten, vorausgesetzt, daß der Vergleich von den Arbeitgebern respektirt werde. Diese Respektirung zu erzwingen, sei Sache der Wäscherinnen und Plätterinnen, ihrer Wachsamkeit, Ausdauer und vor Allem ihres organisirten Zusammenhaltens. Es gelte nicht nur die höheren Löhne festzuhalten, ganz besonders wichtig sei es, die verkürzte und geregelte Arbeitszeit streng durchzuführen. Für die Wäscherinnen und Plätterinnen, welche durch ihre ungesunde Beschäf tigung so zahlreichen Körperleiden überliefert würden, sei die Verkürzung der Arbeitszeit von höchster Bedeutung. In jeder Wasch- und Plättanstalt müsse eine Bekanntmachung angeschlagen werden, welche sich auf die Regelung der Arbeitszeit und die Ablieferung der Wäsche bezieht. Der Zehnerkommtssion liege die ständige Kontrolle darüber ob, daß die vereinbarten Bedingungen eingehalten werden. Und neben und mit ihr wird die Gewerkschaftsorganisation das Recht der Arbeiterinnen vertheidigen. Der Anschluß der Wäscherinnen und Plätterinnen an den,» Verein derarbeiter undarbeiterinnen der Wäschebranche« sei das sicherste Mittel, die Errungenschaften zu behaupten und in Zukunft zu vervollständigen. Die Genossen Trinks und Ahrend sprachen in dem gleichen Sinne.
In einer einstimmig angenommenen Resolution erklärten alle Anwesenden die Vereinbarungen vor dem Einigungsamt zu billigen und mit aller Kraft für Durchführung der neuen Arbeitsbedingungen und Stärkung der Organisation wirken zu wollen. Als Vertreterinnen der Arbeiterinnen in der Zehnerkommission wurden gewählt: Frau Buckow (für die Wäscherinnen), Fräulein Scheel, Fräulein Seeger, Frau Drechsler und Frau Hill (für die Plätterinnen). An diese Kommissionsmitglieder sind alle Beschwerden über Nichteinhaltung der Vereinbarungen sofort zu richten, ihnen sollen auch Verstöße gegen die Gewerbeordnung mitgethellt werden.
Es war gewiß ein schweres und verantwortungsreiches Unternehmen, eine Bewegung in Fluß zu halten, welche 2000 bis 2500 Arbeiterinnen erfaßt, die nicht in wenigen großen Betrieben schaffen, sich vielmehr auf etwa 1500 Wasch- und Plättanstalten vertheilen. Das Unternehmen war um so schwieriger und verantwortungsreicher, als die Arbeiterinnen in ihrer Masse ungeschult und undisziplinirt waren, der Organisation ermangelten. Trotz dieser ungunstigen Umstände hat die Bewegung sehr achtungswerthe Erfolge erzielt und zwar erfreulicher Weise ohne daß es zu einem Kampfe gekommen wäre. Die Wäscherinnen und Plätterinnen dürfen sicherlich mit berechtigtem Stolze auf die erzielten Errungenschaften hinblicken, als auf die Frucht ihrer musterhaft entschlossenen, vernünftigen und einigen Haltung. Es ist die Masse der Ungenannten und Unbekannten, welche die Bewegung zum Erfolge trug. Daß aber der Erfolg so rasch und ohne große Schlacht kam, ist ganz wesentlich mit der vorzüglichen Leitung der Bewegung zu danken, der Aufopferung, dem taktischen Geschick, womit die Genossinnen Ihrer und Rosenstengel, die Genossen Trinks und Andere noch für die Sache der Wäscherinnen und Plätterinnen wirkten. Die Leiterinnen und Leiter der Bewegung wie die Massen der Arbeiterinnen haben sich den gestellten Aufgaben glänzend gewachsen gezeigt.
Was die errungenen Erfolge betrifft, so sind die Lohnerhöhungen sehr schätzungswerthe, wichtiger aber noch dünkt uns die Verkürzung und Regelung der Arbeitszeit. Nun gilt es, den neuen Besitz zu vertheidigen und zu mehren. Wie der Verlauf der Bewegung, so predigt deshalb der Hinblick auf die Zukunft den Wäscherinnen und Plätterinnen nachdrücklichst: Organisirt Euch, um die erzielten Vortheile zu sichern und neue Siege zu erkämpfen.