Absage an die herrschende Konvenienzehe

>Er sei dein Herr!< Das Wort besteht,
Wie es von je bestanden!
Weil ich dies Herrentum geschmäht,
Seufz' ich in schweren Banden.
Doch meine Seele bleibe frei
Trotz Fesseln und Gefängnis
Und trage in der Sklaverei
Bewußt ein groß Verhängnis!
Louise Aston (Kerker-Phantasie)

Das zur Liebe vorzugsweise geschaffene Geschlecht
soll gar nicht lieben, sondern vor allen Dingen
sich verheiraten.
Fanny Lewald (Leidensjahre)

Ein heil'ges Fest

[32]O dieser Tag der höchsten Feier,
Der mir das Herz im Busen bricht;
Der höhnend durch der Zukunft Schleier
Mir zeigt des Schmerzes Angesicht!
Ein Schmerz, der nicht in leichtem Beben,
In flücht'gem Vorüberschweben
Die schwarze Trauerfahne trägt
Nein, der ein ganzes, reiches Leben
Mit schonungsloser Hand zerschlägt!

Nicht ahnt's der Kranz in meinen Locken,
Daß ich dem Tode angetraut;
Nicht ahnen es die Kirchenglocken,
Zu läuten einer Grabesbraut! -
Umsonst mit euern milden Tönen
Wollt ihr dem Leben mich versöhnen;
Mich lockt kein festlich heitrer Klang!
Nur meinen Schmerz kann er verhöhnen;
Nur feiern meinen Untergang!

Verkauft ein ganzes reiches Leben,
Das seines Werts sich kaum bewußt,
Mit Träumen, die das Herz durchbeben
In wilder, ahnungsvoller Lust!
Ein glühend Schwelgen, süßes Bangen,
Ein fiebrisch zitterndes Verlangen
Das um das Glück gebietrisch fleht,
Bis von dem kalten Tod umfangen
Das Leben und der Traum verweht!

Du Herr der Welt, du Lebenswürger,
O falsches, gleißendes Metall!
Verlockst du selbst des Himmels Bürger,
Den stolzen Geist, zum Sündenfall?
Die sich nach ew'gen Himmeln sehnen,
Die kühn sich unvergänglich wähnen,
Verkaufen dir ein ew'ges Sein.
Der Priester segnet Schmerz und Tränen,
Er segnet selbst den Meineid ein!

Erlöscht, ihr Kerzen am Altare!
Erlöscht wie meiner Seele Licht!
Das Brautbett wird zur Totenbahre,
Um die man Grabeskränze flicht.
Es tritt auf allen meinen Wegen
Verzweiflung spottend mir entgegen
Mit wildem Blick; mit wirrem Haar;
Verzweiflung sprach den Hochzeitsegen
Sprach ihren Fluch am Traualtar

Fluch diesem Tage höchster Feier,
Der mir das Herz im Busen bricht!
Der höhnend durch der Zukunft Schleier
Mir zeigt des Schmerzes Angesicht!
Ein Schmerz, der nicht in leichtem Beben,
In flüchtigem Vorüberschweben
Die schwarze Trauerfahne trägt
Nein, der ein ganzes, reiches Leben
Mit schonungsloser Hand zerschlägt!

Lebensmotto

[33]Fromme Seelen, fromme Herzen,
Himmelssehnend, lebenssatt;
Euch ist rings ein Tal der Schmerzen,
Eine finstre Schädelstatt!
Mag in schreckenden Gesichten
Bang vor mir das Schicksal stehn;
Nie soll mich der Schmerz vernichten,
Nie zerknirscht und reuig sehn!
Freiem Leben, freiem Lieben
Bin ich immer treu geblieben!

Liebe - von der Welt geächtet,
Von dem blinden Wahn verkannt,
Oft gemartert, oft geknechtet,
Ohne Recht und Vaterland;
Fester Bund von stolzen Seelen,
Den des Lebens Glut gebar,
Freier Herzen freies Wählen
Vor der Schöpfung Hochaltar!
Freiem Leben, freiem Lieben
Bin ich immer treu geblieben!

Und solang die Pulse beben,
Bis zum letzten Atemzug,
Weih der Liebe ich dies Leben,
Ihrem Segen, ihrem Fluch!
Schöne Welt, du blühend Eden,
Deiner Freuden reicher Schatz
Gibt für alle Schicksalsfehden
Vollen, köstlichen Ersatz!
Freiem Lieben, freiem Leben
Hab ich ewig mich ergeben!

Die Türkin

[34]Leise Abendwinde necken
Buhlerisch den Myrtenhain,
Bergen sich in Lorbeerhecken,
Wiegen dort die Blüten ein;
Flattern weiter dann zum Meere,
Das in einer wilden Nacht
Gott als eine Liebeszähre
Einst der Erde dargebracht.

Mild umgaukeln bunte Lichter
Schon des Abends goldnes Tor;
Schweigend aus dem Dorf der Richter
Tritt ein stolzes Weib hervor;
Und auf öder Felsenklippe,
Welche nach den Wogen faßt,
Hält sie - Seufzer auf der Lippe
Eine kurze Sklavenrast.

»Laß die Liebe schnell erblassen,
Die du, Frankensohn, genährt!
Morgen muß ich dich verlassen,
Weil der Sultan mein begehrt.«
Also tönen ihre Worte
Wund hervor aus wunder Brust;
Denn der Herr der Hohen Pforte
Kennt nur schnöde Sinnenlust. -

Sieh! Da bricht durch Wolkenschleier
Hell des Mondes Silberlicht,
Und Stambul in stolzer Feier
Zeigt sich ihrem Angesicht;
Weh! Im Vordergrunde schimmert
Das Serail, von Park umringt
Hörst du, wie das Meer jetzt wimmert,
Das ein edles Weib verschlingt? -

Willst du ihren Tod beklagen,
Mußt du trauern allerwärts;
Denn wo immer Herzen schlagen,
Foltert sie derselbe Schmerz,
Ist das Heiligste geächtet,
Wird der Satzung nur gefrönt;
Jeder Pulsschlag ist geknechtet,
Jedes freie Weib gehöhnt!

Das Wesen der Ehe

[35]Ehe ist die Vereinigung zweier Personen verschiedenen Geschlechts, die innigste Verbindung von Mann und Weib. Die Verbindung zweier Wesen beruht auf der Anziehungskraft. Die menschliche Anziehungskraft nennen wir Liebe; Liebe ist demnach die Grundbedingung der Ehe, da sie die allein wirkende Ursache ist. [...]
Nun fragen wir, wenn die Liebe Bedingung der Ehe ist und Glückseligkeit der Zweck des Lebens, also vor allem auch der der Ehe, was ist die Ursache der Nichterfüllung beider? Weshalb sehen wir mehr Ehen, welche der Zufall, der äußere Zwang schließt, und so wenige, welche auf einer inneren Notwendigkeit beruhen? Mit einem Wort, warum gibt es so viel unglückliche und so wenig, ja beinahe keine glücklichen Ehen?
Wir glauben diese Frage kurz beantworten zu können: die Ursache ist die ökonomische und politische Abhängigkeit des Weibes.
Betrachten wir diesen Gegenstand ernst und fürchten wir nicht den Spott einer oberflächlichen und gemeinen Auffassung, wo es gilt, eine tiefe Wahrheit zu ergründen.
Eine solche triviale Auffassung von der Liebe finden wir in Rottecks und Welckers Staatslexikon unter der Rubrik: »Geschlechtsverhältnisse«. Der Verfasser sagt darin: »Die Liebe sei dem Weibe ein tieferes Bedürfnis als dem Mann. Man habe die Bemerkung gemacht, daß bei dem der Mann dem Drange nach Liebe wenigstens in sinnlicher Beziehung sehr leicht genügen kann, das Weib aber aus physischen und moralischen Gründen demselben zu widerstehen genötigt ist; daher denn diese Erfahrung durchaus noch keinen Beweis für das stärkere Liebesbedürfnis der Frau abgibt.
Allein es ist gar nicht unsere Absicht, dieser Behauptung zu widersprechen; wir möchten im Gegenteil dieselbe benutzen, um die eigne Ansicht daranzuknüpfen.
Der ganze Artikel geht von der Ansicht und dem Bestreben aus, das Weib dem Manne unterzuordnen und alle bezüglich des Weibes bestehenden Rechts- und Sittenzustände zu rechtfertigen. Wir wollen uns nicht auf eine Widerlegung der darin ausgesprochenen Philistermoral einlassen, welche nur gegen das ankämpft, was ihrem Krämergeist und ihrer spießbürgerlichen Lebensansicht entgegensteht. Wir machen nur auf den Widerspruch aufmerksam, welcher darin liegt, das Bedürfnis der Liebe beim Weibe in solchem Grade anzunehmen, daß dessen Nichtbefriedigung Gemütsstörungen veranlaßt, und dennoch das Weib in dem gegebenen Verhältnis festhalten zu wollen, d. h. diese Befriedigung einzig von den äußeren Verhältnissen des Mannes abhängig zu machen; zumal ja bekanntlich diese äußeren Verhältnisse den Mann nötigen, sogenannte Konvenienz-, Geld- oder Vernunftehen zu schließen. Nach dieser Alltagsmoral sind die nicht besitzenden Frauen von der Ehe ausgeschlossen, es bleibt ihnen nach des Verfassers Theorie die Wahl, verrückt zu werden oder --[...]
Die Gründe, weshalb solche niederträchtigen, alles menschliche Gefühl empörenden und Männer wie Frauen entwürdigenden Anstalten notwendig sind diese Gründe aufzusuchen liegt so wenig im Bereich dieser Liberalen von 1830, wie sich dieselben überhaupt nicht mit Ergründung der gesellschaftlichen Mißstände befassen, sondern nur die historische Notwendigkeit und Entwicklung derselben nachweisen. Deshalb wollen wir uns bemühen, diese Gründe aufzusuchen und uns nicht scheuen, dies von einem völlig freien Standpunkt aus zu unternehmen.
Der eine Pol der menschlichen Natur ist, wie bemerkt, der sinnliche, der andere der geistige oder sittliche. Erkennen wir in der Liebe ein Bedürfnis, so muß dasselbe gleichfalls diese beiden Pole haben. Die menschlichen Bedürfnisse beruhen nicht nur auf dem Lebenstrieb, sondern auch auf dem Vervollkommnungstrieb. Das bewußte oder unbewußte Gefühl der Liebe, die Liebesfähigkeit, wird durch das Wohlgefallen an einem entsprechenden Gegenstand gleich einer angefachten Flamme genährt und wächst mit der Zunahme dieses Wohlgefallens zum Verlangen nach Vereinigung. Bestände die menschliche Seele nur aus diesem einen Gefühl, sie würde nur der Liebe ]eben, allein ihre Vielseitigkeit leitet Sinn und Gedanken auf mannigfache Gegenstände, die ihr ebenso Bedürfnis sind. Der Mensch muß darum das Gefühl der Liebe seinen anderen Eigenschaften anreihen und eines mit dem anderen in übereinstimmung zu bringen suchen. Dadurch erhält die Liebe den geistigen oder sittlichen Pol. Je geistig entwickelter die Seele, desto mehr vermag sie ihre Empfindungen zu beherrschen; sie beherrscht die Liebe, d. h., sie sucht sie mit sich selbst in Einklang zu bringen. So wird eine liebebedürftige, heftig verlangende Liebe dieses Gefühl jedem anderen voranstellen, aber sie wird es auf keine dies Gefühl beeinträchtigende Weise zu befriedigen suchen.[...]
Liegt, wie unwiderlegbar, das Bedürfnis der Liebe in der menschlichen Natur, so müssen wir uns bemühen, auch dieses vor allem zu fördern und zu heben, wir müssen diesem Bedürfnis eine den oben angedeuteten sittlichen Zwecken, dem Zweck der ewigen Vervollkommnung, entsprechende Richtung geben. Wir müssen darum nicht, weil in entwickelten Naturen die Kraft zur Beherrschung und teilweisen Unterdrückung dieser Anlage liegt, uns für berechtigt halten, diese Beherrschung oder Unterdrückung der Liebe nach Gutdünken zu fordern; oder deshalb, weil vorzugsweise bei Frauen dieses Verlangen durch eine naturwidrige Erziehung, durch moralische Daumenschrauben und durch die raffinierteste Austötungsmaxime unterdrückt, geschwächt, uberfirnißt ist, uns zu der Annahme verleiten lassen, die Liebe der Frauen lasse sich auf Kommando hier erwecken, dort im Schach halten, hier mit einer Stelle, einer Versorgung erkaufen, dort mit einer äußeren Notwendigkeit bannen, kurz, man könne sie nach Belieben bald soundso viel Grad Wärme entwickeln lassen, bald unter den Gefrierpunkt schrauben. Und wir dürfen ebensowenig uns weiser und besser dünken als die, welche trotz aller Daumenschrauben und Abkühlungsanstalten, die wir gute Erziehung, Sitte, Anstand, Moral nennen, zuweilen den ganzen Destillierapparat in die Luft sprengen. Wir glauben nicht an die Macht der Liebe, weil wir sie so selten Dämme durchbrechen sehen; wir glauben nicht an ihre Berechtigung, weil wir gewohnt sind, sie der Konvenienz opfern zu sehen, und wir glauben nicht an die Macht der Konvenienz, weil sie die Liebe unterdrückt, ehe diese die Kraft zum Widerstand erlangen konnte. »Weshalb der Strom des Genies so selten ausbricht? Da stehen die gelassenen Herren zu beiden Seiten des Ufers und wehren und dämmen, um ihre Kohl- und Krautfelder zu schonen.«
- Wie gewisse Naturprodukte zur Bildung der Knochen, der Muskeln und Nerven erforderlich sind, wie sich dies nach der Individualität, nach Tätigkeit, Zeit, Ort usw. richtet, widrigenfalls die schlimmsten übel daraus entstehen, so ist anzunehmen, daß nicht allein die Entziehung der Liebe, sondern auch die einer bestimmten Individualität widersprechende Ehe die Ursache vieler geistigen und körperlichen Störungen und Abnormitäten ist. [...]
Wir mußten erst begründen können, daß unser Leben ein unmenschliches, naturwidriges ist, wir müssen erst die Bestätigung haben, daß wir uns in einem solchen Zustand physisch und geistig zerfleischen und aufreiben, ehe wir zu einer Reform desselben schreiten; wir sollten erst erfahren, daß und weshalb die Ehe der Liebe, die Entsagung der Befriedigung, die Tugend dem Glück, die Notwendigkeit der Freiheit vorausgehen mußte, um Befriedigung, Glück, Freiheit und Liebe als Lebensbedingungen in den Bau des Lebens aufzunehmen. Die Notwendigkeit der Entbehrung erzeugte die verkehrteste Moral.
Wir scheuen uns, die Berechtigung der Liebe anzuerkennen, sie muß sich in Form und unter dem Deckmantel der Romane einschmuggeln; wir schämen uns der leibhaftigen Sinne, und weil die Sinne in der Unterdrückung roh sind, unterdrücken wir die Sinne als Stempel der Roheit und berauben uns dadurch gerade des Mittels zu ihrer Vergeistigung. Ja, die Verkehrtheit und Unnatur geht so weit, daß wir uns unserer weiblichen Natur schämen, und nicht selten ist dies der Grund, unser Herz der Liebe zu verschließen. Die Nichtachtung des Weibes, ihre gesellschaftliche Unterdrückung, hängt aufs engste mit der Nichtachtung und Unterdrückung der Sinne zusammen. Die Barbarei, welche das Weib zum Eigentum des Mannes machte, ließ nur diese einzige Eigenschaft, nur das Weib im Weibe erkennen; dieses Eigentumsverhältnis ließ die menschliche Natur des Weibes nicht in einer dem Manne entgegengesetzten Erscheinung zur Geltung gelangen. Darum blieb das Weib Sklavin mit allen Eigenschaften einer unterdrückten Menschlichkeit; darum blieb die Liebe Monopol des Mannes und die Ehe das Privilegium der Begüterten, und darum tragen Weib, Ehe und Liebe das Sklavenbrandmal.
Die Treue ist eine notwendige Bedingung zur menschlichen Veredelung. Die nur sinnliche Liebe ist einem steten Wechsel unterworfen; allein da die geistige Liebe zur Entwicklung des Menschen durchaus erforderlich ist und die beiden Geschlechter nicht anders geistig aufeinander einwirken können als durch einen andauernden Austausch ihrer Eigentümlichkeit, so ist die Treue eine sittliche Notwendigkeit. Diese Notwendigkeit darf sich aber niemals auf Zwang stützen, niemals zur Vorschrift werden, indem sie aus der menschlichen Natur von selbst hervorgeht. »Der Staat machte aus der Treue eine Pflicht«, wie die Menschen überhaupt alles, worin sie eine Wahrheit fanden, zum Dogma machten, statt es als Ideal aufzufassen. Das Ideal ist niemals gleich dem Dogma bindend, niemals die Eigentümlichkeit unterdrückend, denn gleich wie die Ehe nur durch die Liebe ihr Ideal erreicht, so kann auch Treue nicht ohne Liebe bestehen. Wo aber Liebe ist, da ist auch Treue; Liebe und Treue ist eins und dasselbe. Die Treue als Ideal ist darum nichts weniger als eine Vorschrift, sondern eine der menschlichen Natur entnommene Wahrheit.
Sobald der Staat seine Einmischung in die Schließung und Trennung der Ehe aufgegeben hat, wird es zweierlei Arten von Ehen geben: beständige und wechselnde. Wir glauben durchaus nicht, daß selbst bei völlig freier Wahl alle Ehen beständig sein werden; allein wenn die Wahl so frei und ungebunden ist wie die unserer Freunde, dann ergibt sich von selbst, daß die Zahl der beständigen Ehen groß sein wird und die wechselnden oder unbeständigen jedenfalls ihrer Natur entsprechender als die jetzigen, indem sie mindestens mit der Überzeugung der Liebe geknüpft sein werden. Die Untretie muß notwendig mit der Zeit ganz verschwinden, und nur in der Jugend, ehe das Herz zu Verstand gekommen ist, wird es bestandlose Ehen geben. Das Herz wird aber alsdann nicht mehr wie jetzt sein ganzes Leben hindurch eine Übereilung, einen Irrtum büßen müssen.
In politischer Beziehung entspricht die Ehe dem Repräsentativsystem. Der Mann repräsentiert die Ehre, die Macht, die Würde, das Ansehen, die Geltung und den Einfluß der ganzen Familie. Die Frau ist, was der Mann vorstellt. Seine Ehre ist die ihre, eine Verletzung ihrer Ehre richtet sich daher nur nach der Art der Verletzung gegen ihn; fühlt er z. B. seine Ehre durch ihre Untreue verletzt, so ist ihre Ehre dahin, nicht im umgekehrten Fall. Nach seiner Achtung richtet sich die Achtung der andern. Er ist der politische, moralische und ökonomische Repräsentant ihrer politischen, moralischen und ökonomischen Stellung. Sie ist nichts, er alles. Er ist der Verwalter ihres Vermögens und zugleich ihr Vormund; sie kann bei Lebzelten nicht über einen Pfennig ihres eignen Vermögens frei verfügen. Der weibliche Rechtsschutz ist eine konstitutionelle Phrase. Da der Mann faktisch alle Gewalt in sich vereinigt, da er der Repräsentant der politischen Souveränetät, der absoluten Monarchie, der unumschränkten Regierung ist, so gleicht der weibliche Rechtsschutz faktisch dem Steuerverweigerungsrecht, das nach Entziehung aller Kräfte dem Beraubten gegen den Räuber bleibt.
Es ist überraschend, wie sich der politische Standpunkt eines Volkes in allen Verhältnissen spiegelt. Der weibliche Rechtsschutz gleicht dem konstitutionellen System wie ein Tropfen Wasser dem andern; Konzessionen, irre Versprechungen,  Palliativmittel [12], die dem Vermögenden und dem Betrüger zum Vorteil gereichen. Mit Sicherheit ist daraus zu schließen, daß alle konstitutionell Gesinnten den gegenwärtigen Standpunkt der Ehe verteidigen, und ebenso ist anzunehmen, daß alle echte Demokraten das demokratische Prinzip, die Vollberechtigung und den Vollgenuß persönlicher Freiheit auch auf dieses Gebiet übertragen werden. Es ist daher eine logische Konsequenz, daß, sobald das demokratische Prinzip den Sieg errungen hat, das Wesen der Ehe eine vollständige Umwandlung erhält.
In der Ehe, diesem Staat im kleinen, ist die Souveränität ein gemischtes Verhältnis, welches sich in der Liebe vereinigt und bei welchem die Beteiligten naturgemäß gleiche Stimmen haben. Den Mann zum Souverän der Ehe stempeln heißt ihn zum Herrn der Liebe machen. Es herrscht bei der Ehe wie beim Staat eine Begriffsverwirrung; man vermengt und verwechselt sie mit vielen ungehörigen Dingen, wie z. B. mit Ökonomie, den Kindern, dem Hauswesen usw. Aber gehören Voraussetzungen, Nebenbegriffe und wenn auch noch so natürliche Folgen zu einem für sich geltenden Verhältnis, einem Naturrecht, einer Naturbestimmung? Ist die Ehe an sich berechtigt, wie z. B. die Volkswahl ohne allen Zweifel, wie können ökonomische, Familien- oder häusliche Rücksichten einen Vollberechtigten ausschließen oder wie kann die Furcht vor Gesetzen, welche solchem Wahlakt folgen, die Wahlfreiheit beschränken? Und doch betrachtet der Staat die Ehe nach dem Wahlzensus, indem er über ein allgemeines Naturrecht, über Schließung und Scheidung der Ehe, entscheiden will. Und in diesem naturwidrigen Eingriff der Staatsgewalt sieht man keinen Eingriff in die persönlichen Rechte!!
Fragen wir nach den Ursachen dieser Einmischung, dann finden wir alle in dem ökonomischen Gesichtspunkt vereinigt, hervorgegangen aus dem uralten Vorrechte des Besitzes und der Gewalt, welchem das Bestreben, bevorrechtigte Personen, Klassen und privilegierte Stellungen zu erhalten und zu beschützen, folgte. Die politische Stellung des Mannes dem Weibe gegenüber ist die des Patriziers zum Plebejer, des Freien zum Sklaven.
Das Bestreben, privilegierte Stellungen zu begrenzen, um sie in kastenweiser Ausschließung zu erhalten, zeigt sich z. B. In dem noch kürzlich für Offiziere erschienenen Verbot, sogenannte Bürgerstöchter zu heiraten, und der ökonomische Einfluß darin, daß das Vermögen solcher Frauen dieses Verbot für einzelne aufhob. - Freie durften keine Sklaven heiraten, Patrizier keine Plebejer. - Dasselbe zeigt die Stellung der Kinder, welche doch unbedingt als vollberechtigte Staatsbürger geboren sein sollten, denn nur die Kinder sind legitim, sind rechtmäßige Erben usw., deren Eltern das Patent der Ehe gelöst haben. - Die Kinder der Unfreien wurden als Sklaven geboren, und die Kinder der halblegitimen Ehen, die des Patriziers und der Plebejerin oder der Sklavin, fielen in die Klasse der Halbfreien.
Auch bei der Trennung der Ehe zeigt die Einmischung des Staats die ökonomische Riicksicht. Nicht der freie Wille, nicht die mangelnde Liebe wird beachtet, sondern die ökonomischen Mängel werden erwogen. Man sucht die pekuniären Zustände der Familie zu schonen, welche durch eine Trennung der Gatten den Stützpunkt verlieren. Man ist schwierig je nach den ökonomischen Schwierigkeiten. Man ist darum immer schwierig, da die Verschmelzung der Ehe mit der ökonomie diese Verwicklung des einfachsten Sachverhältnisses nach sich zieht. Die mangelnde Liebe ist durchaus kein Scheidungsgrund, höchstens der entschiedene Haß, und der Richter, der sich mit dem Wort Liebe befaßt, täuscht sich selbst, denn das allein rechtsgültige Motiv der Scheidung, die mangelnde Liebe, der Wille zur Trennung liegt klar und deutlich in dem Verlangen der Trennung. Nach der Natur der Sache müßte dieses Verlangen, wenn auch nur von einem Teil begehrt, entscheiden, zumal wenn dies der weibliche Teil wäre.
Der Staat verwechselt geradezu seine Aufgabe, indem er z. B. den weiblichen Rechtsschutz dahin ausdehnen müßte, die Trennung der Ehe für die Frau zu erleichtern als sie zu erschweren. Er müßte Vertreter der weiblichen Rechte sein, die Heiligkeit, die Unantastbarkeit der weiblichen Natur schützen, dies fordert die Individualität des Weibes. Er müßte das Weib als Weib, außer ihrer menschlichen auch in ihrer weiblichen Berechtigung auffassen und die letztere nicht zur Beeinträchtigung ihrer persönlichen Freiheit werden lassen; er müßte dieselbe doppelt, gegen die Übergriffe der Außenwelt und gegen die der Männerwelt, wahren und sie daher ebenso gegen den Gatten wie gegen jeden anderen Mann schützen, denn niemals die Gattin, aber stets das Weib muß dem Slttenrechte heilig sein. Allein gerade die sittliche Natur der~ Ehe ist im Staatsrecht bis jetzt nicht zur Geltung gelangt. Wir wollen uns nicht darauf einlassen, die Folgen der staatlichen Einmischung in das heiligste Gebiet der Menschennatur, in das Gebiet der Liebe und der persönlichen Freiheit, zu entwickeln. Wem sind nicht die scheußlichen, alles sittliche Gefühl empörenden Ehescheidungsprozesse bekannt! Wer weiß nicht, daß oft durch Zeugen bewiesen werden muß, daß die Ehe unmöglich ist, daß z. B. Mißhandlungen vorgekommen und bewiesen sein müssen und daß diese wieder nach Stand und Verhältnissen klassifiziert und qualifiziert werden!
Entfernen wir uns mit tiefer Indignation von dieser staatlichen Kloake. Aber lernen wir aus diesen unheiligen Zeichen, daß wir noch im Zustand der Barbarei leben, und ersehen wir daraus, wie das arme unterdrückte Weib auch hier wieder die ganze Schmach einer unsittlichen Politik tragen muß; bedenken wir, daß solche Entscheidungsprozesse stets das Gefühl und meist die Ehre des Weibes verletzen und in vielen Fällen vernichten; bedenken wir, daß die Brutalität, die Gemeinheit eines Mannes die niederträchtigsten Beschuldigungen auf das Weib zu häufen fähig ist und daß die rohe, gemeine Moral des Publikums stets geneigt ist, das unglückliche, verfolgte Weib vollends zu steinigen. Die Ehescheidungsprozesse sind die bündigsten Belege für die Notwendigkeit der Beteiligung des weiblichen Geschlechts an den sie betreffenden Rechts- und Sittenverträgen. Wie können die Männer allein über ein so durchaus gemischtes Verhältnis urteilen und entscheiden? Beides muß durchaus einseitig ausfallen. Der Mann legt den Maßstab des Verstandes an ein Verhältnis, welches durchaus in die Kategorie des Gefühls gehört. Dies ist sehr begreiflich, da das Gefühl des Mannes durch die staatliche Einmischung nicht unmittelbar verletzt wird; er ist derjenige, welcher zu wählen hat, er ist der Besitzende, er ist der sittlich Ungebundene, er ist derjenige, der eine Trennung auf die verschiedenste Weise ermöglichen kann, und endlich wird sein Gefühl selbst bei der widerlichen Scheidung nicht gleich dem der Frau an den Pranger gestellt. Daher ist es ihre Aufgabe, gegen das politische Verhältnis der Ehe mit allen Kräften anzukämpfen, die Freiheit des Herzens zu erringen. [...]
Liebe ist der Brennpunkt des Lebens; in ihr sammeln sich alle Strahlen, von ihr strömt alles Licht aus. Sie ist daher der Reflex oder die Verdoppelung der Natur. In ihrer Verkennung ist die Grundwurzel aller gegenwärtigen Mißstände zu suchen, von ihrer Befreiung oder Verwirklichung ist die Befreiung des Lebens zu erwarten.
Wir verstehen hier unter Liebe nicht die überschwengliche und doch so ohnmächtige Romanliebe, nicht die eitle kokette Selbstliebe, die ihr eignes im Spiegel sucht, nicht die empfindsame Schwärmerei; die sich in blinder Demut selbst verzehrt, kurz keine Liebe, welche gegen die Wirklichkeit poetisch die Augen schließt, um einem eingebildeten Phantom nachzujagen, die mit Rosenblättern eine Bresche zu schießen sucht, die gegen alles ankämpft und doch nichts umstößt, alles verwirft und doch nichts aufbaut. Wir verstehen unter Liebe jene weltbewegende Kraft, jene Macht der innersten Empfindung, die, vom eignen Ich ausgehend, nach einem Halt, einem Ziel, einer Fassung strebt, um mit verdoppelter Kraft, mit Sicherheit und Selbstgenügen das Leben zu durchströmen, zu bewegen und zu befreien.
Die Liebe im höhern Sinn als die Triebkraft des Lebens muß eine große Rolle in der Weltgeschichte übernehmen, wenn sie ihrer innersten Bedeutung nachkommen will; sie muß sich sich selbst zur Aufgabe machen, da von ihrer glücklichen Lösung die Entwirrung aller Lebensfäden abhängt. Sie wird und muß es sein, welche eine Koalition gegen die allgemeine Unnatur und Sklaverei bilden wird, an welche sich Männer und Frauen, Verheiratete und Unverheiratete, alt und jung anschließt, denn Vater und Mutter, Bruder und Schwester, Gatten und Liebende sind mit ihrem ganzen Wesen dabei beteiligt; und die Frauen vor allen werden den innersten Kern dieser Phalanx gegen die allgemeine Unnatur und Sittenlosigkeit bilden, wie sie es bisher waren, welche die Schale unserer Afterkultur ausmachten.
Betrachten wir das Wesen der Liebe in seiner scheinbaren und wahren Beschaffenheit, um daraus die Ursachen zur Vernichtung der einen und zur Verwirklichung der anderen herzuleiten.
Einen geschichtlichen Fingerzeig gibt uns die Geschichte der Liebe, die in Wahrheit noch gar nicht in das Gebiet der Geschichte eingetreten ist, sondern sich noch in dem der Mythe, der Romantik bewegt. Im Altertum war der Begriff Liebe gleichbedeutend mit dem der Ehe. Erst das Mittelalter suchte den Geist der Liebe zu erfassen. Die Minnesänger und die ritterliche Frauenverehrung bilden die Anfänge der Romanflut, in welcher die Idee der Liebe sich atomistisch ansammelte. Die Erfindung der Buchdruckerkunst hat, wie alle Naturwissenschaften so auch die der Liebe erst ermöglicht und dem mystischen Dunkel entzogen; sie hat die Reformation des Lebens theoretisch übemommen und nicht nur einen dreißigjährigen, sondern einen dreihundertjährigen Krieg gegen den Ablaß, gegen Unnatur und Beschränktheit, gegen die Geißelung des sinnlichen Daseins angefacht. So hat sie auch die Reformation der Liebe in der Romantik theoretisch begründet.
Die Theorie des Lebens ist abgesponnen, wir wollen nunmehr das Leben leben. Wir wollen ein Naturleben beginnen, kein heidnisch griechisches, sondern ein seelenvoll menschliches; wir wollen die langersehnte Freiheit der Seele verwirklichen. [...]
Wenn wir in der Seelenlehre voranschreiten, werden wir, wie bemerkt, die Gründe der gegenseitigen Anziehung und Abstoßung aus der Natur auf das Gebiet der Seele übertragen und deutlicher erkennen, daß die menschliche Wahlverwandtschaft ebenso auf bestimmten Gesetzen und Anlagen beruht wie die chemische Verwandtschaft überhaupt und daß dieselbe vorbedingt in der Individualität liegt, wie die Bildung des Auges den Maler vorausbestimmt. Wir werden dann mit überzeugenden Gründen belegen können, daß die Unterdrückung der Liebe, die Begrenzung der freien Wahl ein Verrat an der Entfaltung der Seele, an der indixicluellen Entwicklung ist, daß eine absichtliche Trennung aus politischen oder ökonomischen Rücksichten ein Eingriff in die Freiheit der Natur ist und die Kultur und Humanität zerstört. Um welches beseelte Dasein, um welche idealen Lebensgenüsse wir dadurch beraubt werden, ist unberechenbar, ebenso unnennbar die Folgen der Zerstörung; denn alle jene naturgemäßen Bildungen, welche durch solche von der Natur vorgeschriebene Verbindungen entstehen würden, die äußere und innere Schönheit der Geschlechter, der harmonische Zusammenhang naturwüchsiger Gruppen wird frevelhaft dem Leben entzogen und an deren Stelle treten die Abnormitäten, die verknöcherten und verschrobenen, mark- und saftlosen Körper und Seelen, aus denen die stupide, stumpfsinnige Masse besteht. Wir meinen nicht nur die des niederen Volkes, denn wenn auch hier selten eine Wahlverwandtschaft sich geltend machen kann, so kommen doch bei der untern Volksklasse weniger jene absoluten Mißehen vor wie in den höhern und mittlern Schichten der Gesellschaft; teils weil dort weniger ausgebildete Widersprüche herrschen, teils weil hier jedes natürliche Gefühl systematisch aufgelöst, durch die Lauge konventioneller Vorurteile gleichsam chemisch zersetzt wird.
Die Seele ist ein durchaus elektrisches Wesen, und die Liebe enthält für sie die stärkste Elektrizität; die Seele will und muß immer wieder aufs neue erregt und angezogen werden, um selbst Anziehungs- und Abstoßungskraft oder Elektrizität zu äußern. Deshalb ist die nüchterne Staatsehe, in welcher der Gatte die Gattin als Eigentum auf Lebenszeit an sich gebracht und die Frau sich in die weibliche Versorgungsanstalt eingekauft hat - und darum beide weder um Liebe zu werben noch sich zu vervollkommnen bemüht sind -, der negativste Pol der Liebe. Es läßt sich gar nicht verkennen, daß der Polizeistaat die Liebe als ein rohes Naturprodukt betrachtet, welches nur die Ehe in ihrer gemeinsten Erscheinung ist. Dies ergibt sich daraus, daß er sie denselben Gesetzen unterwirft wie eine Handelsware und die Frau als untrennbare Verkäuferin derselben mit in die Handelsbedingungen aufnimmt, sie doppelt straft, wenn sie den Vertrag bricht usw.
Man sucht gewöhnlich die Abhängigkeit der Frauen durch das Vorurteil der Unselbstäniigkeit zu rechtfertigen. Allein wenn wir die Gestaltung des Lebens menschlicher - nicht nur männlich - wollen, dann erscheint der Mann ebenso unselbständig wie die Frau. [...] Allein die einseitige Auffassung der Bedeutung des weiblichen Geschlechts, welche dieses Gefühlsoder Seelenleben nicht zur freien Entfaltung kommen läßt, die es zum Echo des Mannes macht, die es seinen Beistand mit der ganzen Eigentümlichkeit bezahlen läßt, dies führt zu allen Verirrungen über die weibliche Natur und über die Bedeutung der Geschlechtsverhältnisse, zu allen Erniedrigungen des Verkehrs, und in Verbindungen mit der Abhängigkeit des Weibes führt es die Frau bedingungslos in die Gewalt des Mannes, läßt ihn seine übermacht auf die naturwidrigste und naturschändendste Weise mißbrauchen und läßt das Weib vom vegetativen, polypenartigen Dasein zu der tiefsten Entwürdigung und Entartung sinken.
Sobald gewöhnliche Männer - und dies ist bis jetzt die große Mehrzahl - in die Region des Weibes geraten, verwechseln sie diese mit Dienstbarkeit, und Liebe mit niederer Sinnlichkeit. Das Gebiet der Frauen ist ihnen nicht einmal ein Utopien, eine unbekannte Größe, sondern die unwandelbare Region der untergeordneten Triebe der rohen Natur.
Ist aber die Liebe ein Bestandteil unserer geistigen Natur, dann nimmt sie die erste Stelle ein unter den Seelenkräften, welche zur Entwicklung des Menschen bestimmt sind: dann ist sie der Seele verwandt und Bedürfnis wie das Licht dem Auge. Und wie das Licht um so heller leuchtet, je reiner die Atmosphäre ist, wie es zur Erweckung einer höheren Vegitation beiträgt, wie Menschen, Tiere und Pflanzen freier, schöner, in belebterer Mannigfaltigkeit prangen, so muß die wahre Liebe auch auf die Entfaltung des Gemütes wirken, den Geist wecken und befreien und ihn zu einer höheren, einer beglückenderen Anschauung befähigen. Die Liebe wird die Seele von jener düstern Stimmung, von der tiefen Melancholie befreien, die wie ein Alp auf den Gemütern lastet denn sie allein wird den Mut haben, den Kerker zu sprengen.[...]
Und für die Liebe, die aus der heißesten Sehnsucht nach Befriedigung entspringt, für diesen Durst der Seele, welches Asyl weist er [der Philister] dieser an? Die Zwangsanstalt der Staatsehe, d ieses ökonomisch politische Asyl der Unfreiheit. Die Liebe kennt er nicht, sie steht nicht in seinem Staatslexikon, er kennt nur »Geschlechtsverhältnisse«, legitime und illegitime.
Und doch ist es die Geißelung der Vernunft, die Tortur des Lebens, die Liebe zu beschränken, zu verbieten; es ist der schändlichste Mord, denn es ist ein Seelenmord! Nur in der Liebe findet die Seele vollkommne Befriedigung, nur durch sie wird die Seele gehoben, gestärkt, geläutert, zu allem Hohen befähigt und vor allen Verirrungen bewahrt. Und diesen echt menschlichen, sittlichen Trieb, diese Befreiung der Materie, diese Vergeistigung der Sinne ist mit dem höchsten Zoll belegt, mit der Vernichtung der Liebe, mit der Staatsehe.
Es ist nicht nur unvernünftig und naturwidrig, die Liebe zu begrenzen, es ist das fluchwürdigste Verbrechen, welches der Staat an seinen Angehörigen begeht. Man bestraft Raub und Mord als Beeinträchtigung des Eigentums, und man raubt und mordet gesetzlich des Menschen seligstes und teuerstes Gut, sein innerstes Gefühl. Die Folter ist abgeschafft, und doch sind die physischen Qualen nichts gegen die geistige Folter eines gequälten und zerstörten Herzens. Nicht alle Menschen empfinden diese Qualen in gleichem Grad bei gleichem Druck; nicht alle sind, fähig, wahrhaft zu lieben. Aber wer sich in diesem Bereich umgesehen hat, wird schauderhafte Erfahrungen eingesammelt haben. Abgesehen von dem Lebensglück, welche die Liebe zu erreichen befähigt wäre, sind die Zerstörungen, welche die Unfreiheit derselben erzeugt, hinreichend, jedes menschliche Herz zum tiefsten Mitgefühl und zur lautesten Empörung zu treiben.
Ja, es ist Zeit, daß sich auch das Weib erhebt, für die Liebe und für das Weib kämpft; es ist Zeit, daß wir den Schleier vom Bild der Wahrheit reißen und die Verzweiflung des Herzens in seiner ganzen Nacktheit enthüllen! Krämerseelen, Schacherer, Wucherer, Seelenverkäufer! ihr, die ihr die Liebe verdammt und dafür von ihr verdammt seid, eure vertrockneten Herzen, euer starres Gemüt, die Leerheit eures Daseins rufen wir zu Zeugen, ihr vom Schmutz der Alltäglichkeit erzeugten Sumpfgeburten, eure Sumpfmoral ist es, welche die Liebe begeifert und zu sich herabzieht; ihr, die ihr den Flug des Vogels im reinen Äther zügellos, frech nennt, weil er nicht gleich euch an der Erde kriecht, sich nicht mit eurem Elemente verbinden will, ihr, die ihr Ideal und Wirklichkeit auseinanderreißt, auf euch falle der Fluch jener gemordeten Seelen!
Ein Blick auf diese Opfer wird uns zeigen, wie auch hier wieder die größere Zerstörung auf die weibliche Seite fällt.
Da die Beschränkungen der Ehe die sanktionierte Ehe den Frauen häufig unmöglich machen oder die Liebe als Zoll der Ehe fordern, so muß die Mehrzahl auf die eine oder andere Art zum Opfer jener Gewalt der Liebe werden. Diese Opfer zerfallen in mehrfache Kategorien: Die moralischen Opfer sind teils solche, die sich dem Gefühl rückhaltslos und unbedingt ergeben, teils die, welche es in den Mantel der Gesetzlichkeit hüllen. Erstere sind jene verlorenen Geschöpfe, die, ein Spielball der Not und des Elendes, der Verwahrlosung und des angebornen Triebes nach Glück, nach Befriedigung, dem nächsten Zufall als Beute anheimfallen, in der Unmöglichkeit, innerhalb der Gesetze und Sitten in eine naturgemäße Bahn einzulaufen; jene vorausbestimmten Opfer, die nach allen Richtungen hin ausgestoßen und verworfen, notwendig in die bodenlose Tiefe der Herabwürdigung sinken. Die andere Art derselben ist die, welche sich an die gesetzliche Ehe anklammert wie der Schiffbruchleidende an den kahlen Felsen. Die letztere Art fällt in die Kategorie der sogenannten Vernunftehen, die wir später genauer betrachten müssen.
Diese beiden Arten von Opfer sind es, die mit einer Mischung von beiden das Leben bilden; sie sind die überw'egende Mehrzahl. Was ist begreiflicher, als daß dieser das ganze Dasein durchziehende Gifthauch der unterdrückten und verpesteten Empfindung das Leben in jenes elektrische Meer von Feindseligkeit, Falschheit, Hinterlist, Neid, Wut und Rache, von Schmerz und Verzweiflung umwandelt, in jene gespannte Atmosphäre, worin sich einzelne Teile verkrusten in Ehe, Familienleben, Häuslichkeit, in Erziehung usw., rings umgeben von feindselig zersetzenden Elementen, innerlich zerrissen, zerspalten und zerklüftet, in jenes Staats- und Gesellschaftsleben, das von steten Erschütterungen äußerer Stürme und unterirdisch tobender Elemente beängstigt, mühselig seine dürftigen Pflänzchen pflückt, seine ungastlichen Hütten baut, in steter Erwartung des ausbrechenden Vulkans. [...]
Wir sehen alle Verhältnisse in Frage gestellt, wir sehen sie alle dem Einsturz nahe. Religiöse, politische und soziale Zustände müssen eine Umwandlung erfahren da der sie belebende Geist entflohen ist. Wie der Begriff Staat nur durch Verwirklichung der Demokratie erfüllt wird, so wird das gesellschaftliche Leben, die innere Ordnung des Staates nicht eher erreicht werden, bis die Liebe, die Grundbedingung aller menschlichen Verbindungen, der Inbegriff und die Spitze aller persönlichen Freiheit, befreit ist vom ökonomisch politischen Zwang, bis die Regelung ehelicher Verhältnisse den Rechtsverhältnissen entzogen und den allein Beteiligten übergeben ist. Und nicht eher kann dies geschehen, bis die Frauen diese Aufgabe begriffen und sich, als die Zumeistbeteiligten, dem Gesetz der Bewegung, den Gesetzen der Liebe naturgemäß anschließen. [...]
Da das weibliche Geschlecht gleich der besitzlosen Klasse der unter den bestehenden Einrichtungen am meisten leidende Teil ist, da dasselbe nicht nur der Mehrzahl nach physisch und moralisch verwahrlost, seiner Anlagen und Kräfte selten bewußt, viel weniger sich derselben in menschlicher Würde zu bedienen befähigt ist, da dasselbe seiner weiblichen Natur zufolge eine doppelte Beachtung verdient, so nehmen wir vor allem die ökonomische Unterstützung des Staats für das weibliche Geschlecht in Anspruch.
Der Staat oder die Gesellschaft übernimmt daher die Verpflichtung einer besonderen Fürsorge für das Weib. Er erkennt in der weiblichen Natur ein besonderes Recht auf Schutz und Beistand. - Dies ist in dem weiblichen Rechtsschutz bereits angedeutet. - Er unterstützt Anstalten, die den weiblichen Fähigkeiten einen angemessenen Spielraum der Tätigkeit und die Mittel zur ökonomischen Unabhängigkeit gewähren.
Damit aber die Frau nicht in dasselbe Abhängigkeits- und Mißverhältnis zur Gesamtheit gerät, wie sie sich jetzt zum Manne verhält, ist es nötig, daß sie gleich dem Manne über diese ihre eigenen Angelegenheiten selbst bestimmt, sie selbst anordnet wie ausführt. Und zu diesem Zweck muß sie sich gleich andern Besitzlosen ihrer nächsten Kräfte, ihrer Verstandeskräfte, bedienen lernen und sich mit andern Frauen über Zweck und Mittel verständigen. Wir dürfen nicht abwarten, bis uns der Staat die politische Freiheit entgegenbringt und die Männer die Mittel zur ökonomischen Unabhängigkeit für uns beraten. Wir selbst müssen die Begründung unserer Rechte übernehmen und durch die Begründung unseres Vermögens die überzeugung der Ausführbarkeit unserer Forderungen beibringen. Dadurch fördern wir unsere eigne wie die allgemeine Unabhängigkeit.
Sobald wir wissen, was wir wollen, stellen wir dem Staat unsere Forderungen. Wir nehmen z. B. das Recht der Erziehung des weiblichen Geschlechts vorzugsweise in Anspruch und verlangen zu diesem Zweck pekunläre Unterstützung zur Errichtung großartiger, ineinandergreifender Anstalten. Wir übernehmen die Sorge für die Pflege der kleinsten Kinder bis hinauf zu den materiellen und geistigen Anforderungen erwachsener Frauen.
Wir errichten höhere Bildungsanstalten und verbinden theoretische und praktische Zwecke, z. B. medizinische Wissenschaften mit Verpflegungs- und Krankenanstalten; polytechnische Institute und den Betrieb aller dahin einschlagenden praktischen Tätigkeiten; eigne Anfertigung von Handelsgegenständen und den Verkauf derselben; wir übernehmen den Betrieb der vereinzelten Haushaltungsgegenstände, ordnen sie fachweise und ermöglichen dadurch den Frauen die Betätigung an einer größeren und umfassenderen Wirksamkeit und an den Mitteln des Erwerbs; wir unternehmen Reisen zu Kunst- und wissenschaftlichen wie gesellschaftlichen Zwecken; kurz wir suchen uns nach Neigun~ und Bedürfnis am großen Ganzen zu betätigen und uns auf eigne Füße zu stellen, nach eignem Gutdünken zu handeln und eignen Anforderungen zu entsprechen.
Die ökonomische Befreiung des Weibes wird den segensreichsten Einfluß auf die Neugestaltung des Lebens haben, dadurch wird eine der Kultur und Zivilisation entsprechende Sittlichkeit im engeren und weiteren Sinn erreicht werden können. Wir behaupten, daß die größten Opfer, diesem Zweck gebracht, nur Saatkörner gegen Fruchtfelder sind. Von der Befreiung des Weibes hängt die Befreiung des Lebens ab, denn gerade daß die ökonomische Selbständigkeit der Frauen größere Schwierigkeiten verursacht, gerade daß sie größere Anforderungen macht, beweist, daß hier die größten Mißstände zu beseitigen sind. Und geht man einmal von dem Recht und der Notwendigkeit persönlicher Freiheit aus, dann muß, wie bei einem kranken Körper, der am meisten leidende Teil zuerst geheilt werden. [...]
Die Vernunft bewährt sich durch das richtige Erfassen der Verhältnisse. Eine Vernunftehe zu sein ist daher die Bedingung jeder Ehe. Allein die sogenannten Vernunftehen sind die frappantesten Bilder der Widersinnigkeit unserer Vernunftansichten; indem gerade das Vernunft genannt wird, worin sich der Gipfelpunkt aller Unvernunft manifestiert. Und dennoch sind die Vernunftehen vernünftig zu nennen, sind sie zu empfehlen. Denn wenn mir nur die Wahl bleibt, mich entweder in die Wogen des Meeres zu stürzen oder von einem wilden Tier, Zufall genannt, zerrissen zu werden, ist es vernünftiger, sich der Gnade eines unvernünftigen Elements zu ergeben, als der tierischen Macht der Unvernunft, der gesetzlosen Macht tierischer Triebe anheimzufallen.
Der See kann sich, der Landvogt nicht erbarmen.[13]
Der Landvogt aber, der über Glück und Ehre des Weibes schrankenlos gebietet, das ist die Zügellosigkeit und Barbarei, welcher das Weib durch die gesetzliche Knechtung und die Herrschaft des Geldes über die Vernunft, über Ehre, Gut und Leben unterworfen ist.
Ja, die Vernunftehe ist der einzige Hafen, in welchen das vom Sturm gepeitschte Schiff der weiblichen Natur mit allen Segeln einzulaufen sich bemühen muß, gleichviel, ob das Schiff einen unheilbaren Leck erhalt, gleichviel, ob es sich und andere zerstört. Die Vernunftehe ist das künstlich gespannte Netz, in welches das gescheuchte Reh, von allen Seiten gejagt und gehetzt, einspringt, gleichviel, ob es sich mit Leib und Leben in die Gewalt der Machthaber begibt.
Wir haben die Liebe als die einzige, wahre und höchste Bedingung der Ehe bezeichnet. Diese Liebe kann sich je nach der Person in höherem oder niederem Grade offenbaren, als enthusiast'sche Begeisterung oder als gemütliches Wohlgefallen; unfehlbar aber ist die Achtung die erste Bedingung dieser Liebe. Ohne Achtung beruht jede Liebe auf Irrtum des Geistes oder der Sinne. In der Vernunftehe nun wird die Liebe entschieden verneint, die Achtung in Frage gestellt, sie ist nicht Bedingung, sondern zufälliger Gewinn, Dreingabe. Denn in der Vernunftehe ist ja nicht das Wesen der Ehe die Ursache der Verbindung, sondern das von außen Treibende: der materielle Vorteil. Es fehlt demnach der Geist der Sache. Wo aber die belebende Ursache fehlt, die geistige Vereinigung, da muß notwendig auch die geistige Wirkung fehlen, der geistige Verkehr, der Austausch, das Wechselverhältnis. Wo die Selbstachtung fehlt, wo die Nichtachtung des eignen Wesens vorwiegt, wo die Manifestation dessen, was man liebt und achtet, ausbleibt, da muß durch das Fortbestehen eines solchen Verhältnisses das eigne Selbst immer tiefer sinken. Und so ist es. Weib und Mann sinken, ihr Tätigkeitstrieb erschlafft, der lebende Impuls fehlt, sie werden nur noch von äußeren Einflüssen getrieben; sie treiben nicht, sie lassen sich treiben, sie leben nicht, sie lassen sich leben, sie lassen sich ausbeuten von den Verhältnissen. Sehen wir dies nicht in unsern heutigen Ehen, welche fast durchgängig Vernunft- oder Konvenienzehen sind, Ehen, welche der Zufall, die Übermacht der äußeren Verhältnisse geschlossen?
Durch die Vernunftehe bekenne ich also meine Ohnmacht in Besiegung äußerer Schranken, ich bekenne die Unterordnung meines Geistes unter die Materie, ich bekenne die Oberherrschaft der tierischen Natur über die menschliche; ich entäußere mich demnach meines menschlichen Wesens, welches in der Bekämpfung und Besiegung der als unmenschlich erkannten Schranken besteht.
Die Vernunftehe ist das Zeichen der Hülflosigkeit. Man sucht in ihr Geld, Gut, Stellung, Einfluß, Ehre, Ansehen, kurz etwas zu erlangen, was man nicht besitzt und doch zur Betätigung unsers Wesens besitzen muß oder möchte. Ohne die Herrschaft des Geldes über den Menschen, ohne die Unterdrückung und Beeinträchtigung seiner natürlichen Forderungen, ohne die Unterordnung des Menschen unter die Verhältnisse, welche bestimmt sind, den Menschen zu heben, kurz ohne die Verkehrtheit der Dinge wäre eine Vernunftehe unmöglich. Sie ist demnach entweder ein Rettungsanker des Lebens oder ein Mittel zum Zweck des bessern Lebens. Sie widerspricht dem Wesen der Ehe, der Liebe, welches absoluter Selbstzweck des Menschen ist. Sie ist ein trügerischer Tauschhandel, bei welchem der Zweck für das Mittel zum Zweck vertauscht wird. Sie ist ein durchaus unsittliches Verhältnis, indem materielle Dinge nur gegen materielle Dinge ausgetauscht werden dürfen und sittliche nur gegen sittliche, sich selbst gleiche, so die Ehe nur gegen die Liebe. Sie entspricht weder dem Wesen der Ehe noch dem von Mann und Weib, noch dem der Liebe, noch dem der Freiheit oder Befreiung. Die Liebe fehlt, vielleicht besitzt sie ein anderer, vielleicht fehlt auch die Achtung, noch mehr, vielleicht herrscht Nichtachtung vor, und der Priester spricht den Segen über diesen Fluch - und die Ehe ist rechtsgültig, das Weib ist geachtet, geehrt. Sie hat Liebe, Selbstachtung, Vernunft, Sittlichkeit, Schamhaftigkeit - alles, alles verleugnet, sie hat sich unter Bedingungen verkauft, schlimmer als ein Weib, das sich instinktmäßig wehrt, wenn es aus seinem Element gerissen wird. Zu was hat sie also ihre Vernunft, ihr menschliches Erbteil, gebraucht? Um sich unter die Bestie zu erniedrigen, um sich selbst zu vernichten.
Und dennoch ist die Vernunftehe vernünftig.

Was hat man aus der Ehe gemacht

[36]»Also weil der Herr Geheimrat mich gestern geistreich gefunden hat, soll und muß ich ihn heiraten?« fragte Clementine und sah dabei lachend ihre jüngere Schwester, die Frau des Professors Reich, an, die ganz erhitzt auf dem Sofa ihres Wohnzimmers saß.
»Darum allein nicht«, entgegnete diese, »aber du darfst diese Verbindung nicht ausschlagen wie alle andern, die sich dir boten. Der Geheimrat von Meining ist ein sehr geachteter, gebildeter und reicher Mann; er ist freilich fünfzig Jahre alt, du bist aber schon siebenundzwanzig, was kann denn passender sein? Du hast mir selbst gesagt, daß du an dein früheres
liebenswürdigen, sondern auch für einen ehrenwerten Mann; was willst du denn eigentlich, Clementine?«
»Ich will nicht lügen, Marie! Ich will, ich kann es nicht, und je achtungswerter mir der Geheimrat erscheint, um so weniger möchte ich ihn täuschen; ich kann nicht heiraten, quäle mich nicht. [...]
Ich hasse die Ehe nicht; im Gegenteil, ich halte sie so hoch, daß ich sie und zugleich mich zu erniedrigen fürchte, wenn ich dies heilige Band knüpfte, ohne daß mein Gefühl teil daran hätte. Was kann es Beglückenderes geben, als mit einem geliebten Manne sein Leben hinzubringen? Für ihn zu sorgen, seine Freuden und Leiden zu teilen; zu wissen: Alles, was mein Herz bewegt, alles, was mich berührt, teilt und fühlt mein bester Freund mit mir? Beide leben dann ein doppeltes Leben. Oh! ich habe mir das oft sehr schön gedacht, ich habe es heiß gewünscht, und ich halte heute noch die Ehe für den einzigen Weg, der den Menschen zu der größten Vollkommenheit führt, die seiner Individualität möglich ist. Darum aber kann ich den Gedanken an eine gleichgültige Ehe nicht ertragen, weil sie für mich eine unglückliche wäre; und ich habe es nie begreifen können, wie in der Ehe irgend etwas die Menschen aneinanderkettet, als ihr Herz. Die Ehe ist in ihrer Reinheit die keuscheste, heiligste Verbindung, die gedacht werden kann; rein, wie ein Engel des Lichts, geht das Weib aus den Armen ihres geliebten Gatten hervor, und wenn man mir, nach dem katholischen Ritus, die Madonna die reine Mutter Gottes nannte, hat für mich ein rührend tiefer Sinn darin gelegen, ein ganz anderer Gedanke, als die Kirche ihn will. Ja! die Ehe ist rein! und aus der Umarmung liebender Gatten kann ein göttlicher Mensch, ein Retter der Welt entstehen.
Aber was hat man aus der Ehe gemacht? Ein Ding, bei dessen Nennung wohlerzogene Mädchen die Augen niederschlagen, über das Männer witzeln und Frauen sich heimlich lächelnd ansehen. Die Ehen, die ich täglich vor meinen Augen schließen sehe, sind schlimmer als Prostitution. Erschrick nicht vor dem Worte, da du mich zu der Tat überreden möchtest. Ist es nicht gleich, ob ein leichtfertiges, sittlich verwahrlostes Mädchen sich für eitlen Putz dem Manne hingibt oder ob Eltern ihr Kind für Millionen opfern? Der Kaufpreis ändert die Sache nicht; und ich gestehe dir, ich würde das Weib, das augenblickliche Leidenschaft und heißer Sinnentaumel hinreißt, groß finden gegen diejenige, die das Bild eines geliebten Mannes im Herzen sich dem Ungeliebten ergibt, für den Preis seines Ranges und Namens.«

Eine »passende Partie« für Fanny Lewald

[37]Ich sollte zuvorkommender, sollte naiver, gelegentlich auch verlegener sein, denn so wie ich wäre, so ernsthaft und sicher und bestimmt, könne ich den Männern nicht gefallen; und zu gefallen müsse ich suchen, da sich sonst nicht leicht jemand finden dürfte, der sich ein Mädchen mit soviel unversorgten Geschwistern aus einer nicht bemittelten Familie zur Frau erwählen würde. [...]
Ich hörte einmal, daß [der Vater] mit einem Bekannten davon sprach, wie sehr lieb es ihm sein würde, für mich »eine passende Partie« zu finden, und wie er mich zum Teil deshalb mit sich genommen habe. Ich hätte vor Scham und Zorn aufschreien mögen in dem Augenblicke. Ich kam mir wie eine elende Ware vor, die man auf aen Markt führte, weil sich zu Hause kein Käufer dafür gefunden hatte, und ich wurde dadurch jedenfalls weder naiver noch heiterer, noch liebenswürdiger gemacht.[...]
[...] eines Vormittags [...] sah ich den Vater mit zwei anderen mir unbekannten Männern bei einem Glase Wein am Fenster sitzen [...]. Darin lag an und für sich nichts Auffallendes, denn es kam öfter vor, daß der Vater einen seiner Geschäftsfreunde, wenn er längere Auseinandersetzungen mit ihm hatte, in die Wohnung hinauf nötigte. Ich machte also eine Verbeugung und wollte in die Nebenstube gehen, in welcher ich etwas zu besorgen hatte, aber mein Vater rief mich an und stellte mir die Herren vor.
Der Ältere war ein Kaufmann aus einer Provinzialstadt, der andere, ein Mann in der Mitte der dreißiger Jahre, ein zum Landrat erwählter Assessor, der in einer der unwirtbarsten Gegenden der Ostprovinzen seinen Wohnsitz hatte. Wir wechselten einige Worte miteinander, ich machte die gewöhnliche Frage, ob die Herren länger in Königsberg verweilen würden, und erhielt die Antwort, der Altere, der Onkel, würde abreisen, der Neffe wolle sich, da er die Stadt nicht kenne, einige Zeit in derselben umsehen, und der Vater lud ihn darauf ein, am nächsten Tage, da dies ein Sonntag war, mit uns zu essen.
Auch das war nur ganz in der Ordnung, aber mir schoß plötzlich der Gedanke durch den Kopf, das könne der mir zugedachte Bräutigam sein, und ich hatte mich nicht geirrt. Der folgende Mittag brachte mir denn seine nähere Bekanntschaft.
Es war niemand von den gewöhnlichen Sonntagsgästen geladen, wahrscheinlich damit der Prätendent sich um so ungestörter geltend machen konnte, und er tat das auch auf seine Weise. Er erzählte von den hübschen Honoratiorenkränzchen in seinem Wohnorte, beschrieb sein Haus, sprach von seinen angesehenen Verwandten in Berlin und Breslau, und daß er hoffe, bald versetzt und nicht immer Landrat in seinem jetzigen Kreise zu bleiben. Dazwischen nannte er die schönen Hyazinthenspezies, die er erziehe, und schilderte ausführlich und liebevoll das Vergnügen, Krebse bei Fackelschein zu fangen. Das half mir und ihm aber gar nichts, er mißfiel mir über alle Maßen. Seine untersetzte Gestalt und ein Ausdruck satter, hochmütiger Selbstzufriedenheit, eine gewisse zuversichtliche und landläufige Sprechweise und die anmaßende Sicherheit, mit der er sich mir gegenüberstellte, würden ihn mir unangenehm und antipathisch gemacht haben, hätte ich auch nicht eines anderen Mannes Bild und eine leidenschaftliche Liebe für denselben im Herzen getragen; und ich sah meinen Vater, der sonst für Unarten, wie mein Prätendent sie hatte, ein nachsichtsloser Richter war, fortwährend darauf an, ob er den Mann denn nicht ebenso widerwärtig fände als ich selbst. Aber der Vater sowohl als die für das Komische leicht zugängliche Mutter schienen diesmal völlig blind. Der Assessor-Landrat kam in dem Laufe der folgenden Tage noch verschiedene Male wieder, meine Schwestern machten ihre Scherze über ihn, die Eltern lobten ihn, und ich war im tiefsten Innern empört und erbittert darüber, daß man nur daran denken konnte, mir einen Mann zum Gatten zu geben, den beide Eltern sicherlich nicht zu unserm Umgangskreise gezogen haben würden, hätte er mich nicht zur Frau zu nehmen gedacht.
Endlich an einem Nachmittage kam das Stubenmädchen mit der Meldung zu mir, der Herr lasse mich bitten, auf des jungen Herrn Stube zu kommen. Jetzt wußte ich, was mir bevorstand, und mit klopfendem Herzen, aber mit fester Überzeugung von dem, was ich zu tun hätte, stieg ich die drei Treppen hinauf.
Ich fand meinen Vater allein und sehr bewegt. Er sagte, ich würde mir denken können, weshalb er mich rufen lassen. Der Assessor habe ihn um meine Hand gebeten, und er wünsche und hoffe, daß ich mich bereit finden lassen würde, sie anzunehmen. Diese Redeform, die ganz gegen meines Vaters sonstige Ausdrucksweise verstieß, gab mir deutlich kund, daß er selbst von meinem Bewerber nicht eben eingenommen war, und ich erklärte unumwunden, daß es mir leid tue, meinem Vater seinen Wunsch und seine Hoffnung nicht erfüllen zu können.
Er schwieg einen Augenblick und bemerkte danach: »überlege dir die Verhältnisse, mein Kind! Du bist nicht mehr jung, du bist fünfundzwanzig Jahre. Ich befinde mich leider nicht in der Lage, dir ein Vermögen zur Mitgift zu geben, man weiß, daß ich kein reicher Mann bin, und ich habe fünf Töchter außer dir. Zwei davon sind bereits erwachsen, die andern werden es in wenig Jahren sein, und sechs erwachsene Töchter können sich in einem Hause nebeneinander nicht wohl befinden. Der Assessor wählt dich um de'ner selbst willen, das wird vielen reichen Mädchen nicht zuteil, und du hast als Frau eines Landrates, der sicher eine gute Karriere machen wird, eine ehrenvolle Stellung und ein gesichertes Auskommen; ganz abgesehen davon, daß eine Frau selbst in einer nicht ganz glücklichen Ehe noch immer besser daran ist als ein altes Mädchen.«
Ich fragte, ob der Vater diese letztere Erfahrung an seiner jüngsten Schwester gemacht habe, deren unglückliche Ehe uns allen stets ein Gegenstand des Kummers gewesen war. Er erwiderte mir, der Assessor sei ein Mann von Bildung, den man mit dem Manne meiner Tante nicht zu vergleichen habe, und fügte dann hinzu: »Ich weiß nicht, welche Wünsche und Erwartungen du in dir hegst, ich glaube aber, daß sie unbegründet sind, und du könntest es vielleicht später bereuen, die Hand eines Ehrenmannes ausgeschlagen zu haben. Ein Ehrenmann aber ist der Assessor nach allem, was ich selbst von ihm gehört und über ihn erkundet habe.
Die Unterhaltung ging so eine Weile fort. Mein Vater war sehr weich und äußerst gelassen. In mir wogten die verschiedensten Empfindungen auf und nieder. Ich wollte gern auch gelassen bleiben, aber das Herz schlug mir, daß ich kaum atmen konnte, und in den Schläfen hämmerte mir das Blut. Ich mußte solchen Heiratsvorschlägen ein für allemal ein Ende machen, das fühlte ich. Ich erklärte meinem Vater also, daß nichts mich bestimmen könne, eine Heirat ohne Neigung einzugehen, und sagte, wenn er mich zu einer solchen zu überreden gewünscht, wenn er die Absicht gehabt hätte, aus mir nichts zu machen als eine der Frauen, die sich für ein gutes Auskommen einem Manne verkaufen, so hätte er mir die Erziehung nicht geben dürfen, die ich von ihm erhalten, so hätte er mich nicht selbständig werden lassen müssen. Mir sei eine Dirne, die sich für Geld verkaufe, wenn sie nichts gelernt habe und ihre Familie arm sei, nicht halb so verächtlich als ein Mädchen, das genug gelernt habe, um sich zu ernähren, und sich für Haus und Hof verkaufe.
Diese Vorstellung, daß mein Vater, den ich so unsäglich liebte, mich zu zwingen, mich ins Unglück zu stoßen dachte, um, wie ich es in meiner Empörung nannte, der Sorge für mich zu entgehen, brachte mich außer mir.
»Du willst mich zwingen, wie willst du das machen, lieber Vater?« fragte ich. »Meinst du mich einzusperren oder mich hungern zu lassen? Oder was kannst du mir tun, wodurch ich mich zu einer Erniedrigung meiner selbst bewegen lassen würde? Bin ich dir zur Last, lieber Vater, so sage es, und ich will gehen und mir mein Brot selbst verdienen, da du mir ja die Mittel hast angedeihen lassen, es zu können; und es wird vielleicht für mich und für uns alle am besten sein, wenn das geschieht.
Meinem armen Vater traten die Tränen in die Augen, er mochte darauf nicht vorbereitet gewesen sein, und es mochte ihm plötzlich der Gedanke kommen, daß ich nicht mehr glücklich in seinem Hause und überhaupt nicht glücklich sei. Er nahm mich bei der Hand und sprach mit der Stimme, die mir so unwiderstehlich war: »Fanny! wer denkt denn daran! Aber ich bitte dich, dein Vater bittet dich darum, diese Heirat einzugehen, du würdest mich und die Mutter sehr glücklich dadurch machen.«
Ich fing zu weinen an. Den Vater mich bitten zu hören und nicht ja sagen zu können, zerriß mir das Herz. »Quäle mich nicht, lieber Vater!« flehte ich, »ich kann nicht! ich kann nicht heiraten!«
Mein Vater saß auf dem Sofa, ich stand vor ihm. Er hatte den Kopf auf die Hand gestützt. Mit einem Male stand er auf. »Also das ist dein letztes Wort, es bleibt bei nein!« - »Ich kann nicht anders!« wiederholte ich. »Gut denn! also nein! und ich will hoffen, daß du es später nicht einmal bedauerst.« Er küßte mich und ging hinaus, als ich ihm folgen wollte, gab er mir die Weisung zurückzubleiben. »Beruhige dich erst und wasche deine Augen, damit man im Hause nicht sieht, daß du geweint hast!« sprach er und ließ mich nach wiederholter Umarmung zurück.
Und ich blieb zurück, um meine Verzweiflung in heißen, bittren Tränen auszuweinen. Elender als in der Stunde habe ich mich in meinem ganzen Leben nicht gefühlt. Ich habe in spätern Jahren manchen großen Schmerz durchlebt, aber es waren reine Schmerzen. Ich habe manche Herzenskränkungen erfahren, aber sie taten nicht so weh, denn sie kamen mir nicht von einem Vater, den ich mit einem wahren Kultus liebte. Es ist mir viel Unbilliges, viel Unvernünftiges zugemutet worden, indes es kam dann von Personen, die mich nicht so kannten, wie ich mich von meinem Vater gekannt wußte oder glaubte, und sie konnten nicht ermessen, wie sie mit ihren Forderungen gegen meine eigenste Natur verstießen.
Mir war der Boden unter den Füßen weggezogen, ich hatte zu niemandem mehr Vertrauen, nicht zu meinem Vater, nicht zu meiner Tante. Ich sagte mir nur immer: »Wie überlästig muß ich in unserm Hause sein, wie wenig muß selbst der Vater mich kennen, wenn er mich fortstoßen, mich zwingen will, unglücklich zu werden, nur um mich nicht mehr versorgen zu müssen.«
Es war ganz vergebens, daß ich mir vorhielt, wie die meisten Eltern in gleichem Falle das gleiche tun würden, wie die und jene meiner Bekannten den guten Landrat mit tausend Freuden zum Manne nehmen, wie die meisten Leute finden würden, daß ich eine höchst annehmbare Heirat ausgeschlagen hätte. Ich hielt mir alles Allgemeine vor, um für das Persönliche einen Trost daran zu finden, aber es wollte nicht verschlagen. [...] All der Jammer, all die Kränkung, all die zornige Empörung, welche aus tausend Frauenherzen den Aufschrei nach Emanzipation hervorgebracht haben, ich habe sie von jener Stunde an nicht zu empfinden aufgehört, bis ich erreicht, was ich bedurfte, mich vor der beleidigenden Zumutung zu sichern, welche in den Worten liegt: »Was soll denn aus dir werden?«
Diese Worte, die jeder sich für berechtigt hält, einem unbemittelten Mädchen zuzurufen, schließen ganz einfach und selbstverständlich den Gedanken in sich: »Was soll denn aus dir werden, wenn du dich nicht mit oder ohne Liebe, mit allem, was du bist, für den Preis deines Lebensunterhaltes einem Manne in die Arme wirfst?«
Wer aber unsere sozialen Einrichtungen, unsere geselligen Sitten und unser Familienleben, so wie sie jetzt sich gestaltet haben, zu lobpreisen vermag, wenn diese Frage einmal an ihn gerichtet worden ist, der hat nicht viel in sich von dem wahren Ehrgefühl und Schamgefühl, ohne die weder Mann noch Frau sich selbst achten oder wahre Achtung verdienen können.

In tausend Fällen ist die Trennung einer Ehe
eine hohe, sittliche Tat

[38]»Glauben Sie denn nicht«, rief er, »daß in tausend Fällen die Trennung einer Ehe eine hohe, sittliche Tat sein könne, ja, daß sie in solchen Fällen zu einer heiligen Pflicht werden kann?«
»Gewiß!« sagte der Präsident, »denn im Grunde ehrt jede Ehescheidung den Gedanken der Ehe.«
»Wenn zwei Menschen empfinden, daß sie dem Gedanken einer wahren Ehe nicht genügen können, daß sie innerlich getrennt sind, daß sie eigentlich nie zueinander gehörten und sich nur aus jugendlichem Mißverstehen verbanden, sollen diese lebenslang zusammengeschmiedet bleiben? Sollen sie mitsammen leben, Unfrieden, Gram und vielleicht am Ende noch eine wahre und edle Liebe für einen andern Gegenstand im Herzen?« fragte Alfred heftig. [...]
»Es ist die Schuld der weiblichen Erziehung und unserer mißgestalteten Verhältnisse. Nicht die Liebe ist es, was die meisten verlangen, es ist die einträgliche Stelle einer Hausfrau, das gesicherte Dasein einer solchen. Sie heiraten, um den Tand zu besitzen, den Flitter, an dem ihr Herz hängt, der sie beglückt; sie wollen glücklich sein, nicht glücklich machen. Jene Liebe, welche die Harcourt uns zeigte, die einzig wahre, die will nichts für sich, als lieben und leben dürfen für den Geliebten!«
»Nicht auch dem Geliebten ganz zu eigen sein, ihn ganz ihr eigen nennen?« fragte Alfred. »Glauben Sie, daß es eine wahre Liebe gibt, die nicht nach gänzlicher Vereinigung strebt? Ich halte das für ihr Kennzeichen. Schelten Sie mich engherzig, eigensüchtig ich muß es ertragen. Ich hasse alle Entsagungstheorien. [...]«
»Jene Verbindungen, die aus Habsucht und tausend andern Rücksichten geschlossen, mit dem ehrbaren Namen einer >rechtmäßigen Ehe< die ungezügelte Freiheit des Lasters hell lgen, widerten mich an. Mich dü~tikte die Fessel unwürdig, die man sich mit einem Eide auferlegt. Waren doch so viele nur zu bereit, die drückende Kette zu lockern, sich so frei darin zu bewegen als möglich. Ich habe die Ehe in ihrer jetzigen Form tief verachtet. Man setzt einen Preis für die gegenseitige Liebe fest, man zügelt dies Gefühl bis zu der Stunde, in der ein fremder Mann, ein Priester, erlaubt, daß man sich angehören dürfe. Dann werden fremde Menschen zu festlichem Gelage vereint; in perlendem Wein erhitzen sich die Geister, freier und kühner werden die Scherze der glückwünschenden Männer vor dem beleidigten Ohre der zitternden Braut, und mitten aus dem wilden Gewühl entführt sie der Bräutigam zu den Mysterien der Liebe, wie ein Sultan die Odaliske, und das freche Lächeln der Hochzeitgäste begrüßt am nächsten Morgen die Neuvermählte. Das nennt man Sitte, das nennt man Keuschheit und Zivilisation! das heiligt die Kirche, das beschützt der Staat!
Wie tief entwürdigt erschien mir in solchen Augenblicken das Weib, wie roh die Menschen, die solche Hochzeitsfeier heilig nennen! Wie glücklich, wie rein fühlte ich mich in dem Gedanken, einem geliebten Manne zu gehören ohne Eid und Schwur; sein geworden zu sein in einer Stunde seligster Entzückung, in der wir die Welt im Herzen trugen, die heiligste Welt der Liebe, die keiner geputzten Hochzeitzeugen bedarf, weil sie das Recht zu gänzlicher Vereinigung in sich selbst besitzt!
Ich habe geglaubt, der Mensch bedürfe keines andern Zwanges; die Erkenntnis des Wahren, die Liebe, das Recht, das seien die Gesetze, das sei die Religion für den Denkenden. Ich wollte nicht heimlich tun, was ich für Recht hielt, ich wollte nicht geduldet werden durch scheinbare Unterwerfung unter die Sitte. Frei und stolz, habe ich gesagt, so handle ich, und ich handle recht, weil ich weiß, daß ich nie von dem Wege wahrer Pflicht und wahrer Ehre weichen werde. [...]«
»Aber was geht das den Staat an, ob zwei Menschen, die sich nicht mögen, miteinander leben oder voneinander gehen?« fragte Eva. »Da der Staat jene Frau nicht gefragt hat, ob sie ihren Mann auch möge, als die Eltern sie zu einer Heirat gegen ihre Neigung zwangen, so hat er doch auch jetzt gewiß nichts danach zu fragen, wenn sie den aufgedrungenen Mann nicht mag und sich von ihm trennt.«
»Die Ehe und das Familienleben sind die Grundlage eines Staates, und er hat deshalb die Pflicht, sie zu schützen«, sagte Theophil.
»Was heißt das, die Ehen schützen, wenn man eine Frau so unglücklich werden läßt als die, von der Sie eben berichtet haben? Die Frauen sollte man beschützen, sie sollte man fragen, wenn man neue Gesetze über die Ehe entwirft«, rief Eva, »und nicht Gesetze geben, die einer Unglücklichen befehlen, das harte Joch zu tragen, wenn es ihr zu schwer wird. Es ist schlimm genug, daß Eltern und Verhältnisse ein Mädchen zwingen können, sich gegen ihren Wunsch zu verheiraten; der Staat braucht nicht die Ungerechtigkeit hinzuzufügen, daß er verlangt, man solle verheiratet bleiben mit einem Manne, den man nicht liebt, nicht achtet, den die Frau hassen muß, wenn er sie gegen ihren Willen zu fesseln begehrt.
»Das ganze Gesetz hat darum etwas so Gehässiges«, sagte Theophil, »weil es nicht wie ein Schutz- sondern wie ein Strafgesetz aussieht. Es betrachtet die Personen, die auf Scheidung klagen, wie Übeltäter, die man zu ihrer Pflicht zwingen, wie Verbrecher, die man bestrafen müsse, während in den meisten Fällen mindestens der eine Teil so unglücklich ist, daß man ihn so schnell als möglich erlösen sollte. Die Zahl der Eheleute, die sich aus Leichtsinn trennen, wie es in den Gesetzentwürfen heißt, möchte sehr gering sein; größer ist schon die Zahl der Ehen , die ohne Überlegung geschlossen werden. Dies zu verhindern aber vermag der Staat nicht, und er kann es nicht einmal wollen. [...] Glückliche Ehen möglich zu machen muß sein Ziel sein, nicht unglückliche Ehen zusammenzuhalten. Im Gegenteil ließe sich eher behaupten, daß, da es vernünftiger Grundsatz des Staates ist, den Übeltäter, gegen den die große Staatsfamilie sich beschwert, von der Gesamtheit auszuscheiden, weil er ihre Rechte kränkt und sie durch sein Beispiel entsittlicht, so müsse der Staat auch, auf Verlangen einer Familie, diese von einer Person befreien, die ihr Wohlergehen verhindert.« [...]
Auch Alfred hatte bis dahin schweigend zugehört, jetzt richtete er sich empor und sagte: »Inwiefern der Staat sich zu berücksicht'gen hat, mag ich augenbl'cklich nicht erörtern. Mir fällt aber, sooft das Thema berührt wird, ein Ausspruch Rahels ein, den man als Motto über alle Schriften setzen sollte, welche sich gegen das neue Ehegesetz erklären. Sie sagt: >Die höchste Schmach einer Frau, die tiefste Erniedrigung ist es, daß sie Mutter von Kindern werden kann, deren Vater sie haßt und verachtet.< Mit den wenigen Worten drückt die feinfühlende, scharfsichtige Frau alles aus, was sich gegen die Unsittlichkeit einer Ehe sagen läßt, an der das Gefühl keinen Teil mehr hat, die man gegen den Wunsch der Gatten zusammenhalten will. Und wenn der Staat die wichtigsten Zwecke durch Aufrechthaltung einer solchen Ehe zu erreichen glaubte, sie würden zu schwer erkauft durch das Elend, das sie über den einzelnen verhängen, durch die Knechtschaft, zu der sie ihn zwingen wollen.«

Eine »glänzende Partie« für Faustine

[39]»Von Liebe wußte ich nichts weiter, als was in den Dichtern steht, und das ist, solange man es nicht auf einen bestimmten Gegenstand überträgt, etwas so Farbloses wie das Prisma, ehe man es zwischen Auge und Sonne hält. Ich liebte meine Bilder, meine Bücher, die Blumen, die Vögel, die ganze Natur, die ganze Menschheit, den guten Gott, der dies samt und sonders geschaffen hat - alles en bloc. Meine Tante am wenigsten; denn sie war intrigant, und solche Charaktere stoßen mich von Grund aus ab, weil ich ohne Waffen gegen sie bin, mögen sie mich gewinnen oder mir schaden wollen. Ich fühle mich bei ihnen beklemmt wie irgendein scheues Tierlein des Waldes, das die fangende Schlinge ahnt. Ich hatte Scheu vor meiner Tante. Die Männer waren mir am liebsten, welche am besten tanzten und dabei nicht allzu fade plauderten. Huldigungen verlangte ich nicht - vielleicht darum wurden sie mir oft zuteil in der oberflächlichen Manier, die zwischen ganz jungen Leuten stattfindet. Nur Graf Obernau behandelte die Sache ernster. Er war Rittmeister, siebenundzwanzig Jahr alt, aus vornehmem Geschlecht, sehr reich und sehr schön - wenn man dies Prädikat den regelmäßigen Zügen, der stolzen Gestalt und guten Haltung beilegen will, welche in manchen Familien selbst dann noch erblich sind, wenn schon der Adel der Gesinnung und die Kräftigkeit des Blutes erloschen, die zuerst diesen Stempel ausprägten. Ich gefiel diesem Manne auf eine mir ewig unerklärbare Weise, d. h., er verliebte sich am ersten Abend, wo er mich bei der Tante sah, dermaßen in mich, daß er auf dem Heimritt zu einigen Kameraden sagte: >Der Teufel soll mich holen, wenn das nicht meine Frau wird.< Seine Kameraden zweifelten durchaus nicht daran, da eine so glänzende Partie wie Obernau schwerlich abgewiesen wird und er überdies ein sogenannt guter Mensch war, jedem Geld borgte, jedem im Duell sekundierte, keinen Spaß verdarb und nebenbei von solcher Schwäche war, daß jeder, der in seine Launen einzugehen und ihm ein wenig zu schmeicheln verstand, ihn lenken konnte wie ein Kind. Solch ein Kamerad, der vornehm und reich ist, außer den guten Konnexionen [14] auch noch den stets gefüllten Beutel hat und obenein das gute Herz, welches mit beiden aushelfen läßt wird von allen jungen Männern zärtlichst geliebt. Kaum hatte Obernau mir sultanisch das Schnupftuch zugeworfen, so würde kein junger Mann, zehn Meilen in der Runde, sich zwischen ihn und mich gestellt haben. Es war gleichsam ein allgemeines schweigendes übereinkommen, daß er und ich füreinander paßten und gehörten. Obernau und immer Obernau war vor meinen Augen und an meiner Seite oder schwirrte vor meinem Ohr; denn der Tante konnte nichts Erwünschteres kommen als seine passionierte Neigung, und sie trug Sorge, mir von ihm stets in einem Ton zu reden, der Eindruck auf mich machen mußte. Nämlich zuerst lobte sie seine guten Eigenschaften, dann beklagte sie den bösen Einfluß, welchen schlechte Ratgeber und eigennützige Freunde in seinem wohlwollenden, vertrauenden Herzen gewonnen, und schloß endlich damit, eine gute, edle Frau könne ihn leicht zu sich emporheben und ihn zu einem neuen, bessern Menschen umwandeln - und das sei der herrlichste Beruf des Weibes. Ich hatte zwar kein Vertrauen zu dem Herzen meiner Tante, aber großes zu ihrer Klugheit. Was sie da sagte, kam mir verständig und gut vor und ist es auch, wenn nur das Weib, welches sich diesem heroischen Beruf widmet, in sich klar, fest und abgeschlossen genug ist, um nicht selbst dabei herabgezogen zu werden. Ich armes, unerfahrnes Geschöpf, ohne Leidenschaft, ohne Schmerz - diesen zwei Binde- und Löseschlüsseln des Wesens -, konnte das damals nicht in überlegung ziehen. Ich dachte, was die ganze Welt gut und zweckmäßig finde und was einen Menschen glücklich mache, das müsse ich tun, und ich verlobte mich mit Obernau. Wollte ich sagen, er sei mir gleichgültig oder gar zuwider gewesen und ich sei zu dieser Partie beredet oder gezwungen: so würde ich lügen. Nein, ich war ihm recht gut und gab ohne Widerstreben seiner Werbung Gehör. Ich wollte ja auch meine herrliche Bestimmung erfüllen und recht etwas Gott und den Menschen Wohlgefälliges vollführen. überdas sah ich meine seit drei Monaten verheiratete Schwester äußerst glücklich mit einem Manne, der mir unerträglich schien; daraus zog ich den Schluß, der grade umgekehrt richtig ist: der Mann sei am liebenswürdigsten in der Ehe - und die Anstalten zur Hochzeit wurden gemacht.
Je näher aber der Zeitpunkt kam, desto beklommener ward mir. Ich, die nie träume, die nie eine bange Vorempfindung des Gewitters spüre, wandelte umher, als solle ein quälender Traum in Erfüllung gehen oder ein Unwetter losbrechen. Wenigstens bilde ich mir ein, daß diese Schwüle, diese Schwere, diese Angst ohne Grund und ohne Namen denjenigen heimsuchen müsse, welcher Traum und Ahnung kennt. Zu wem sollte ich reden? die Tante liebte nicht Erörterungen der Gefühle, wenn sie Entscheidungen herbeiführen konnten, welche ihren Absichten widersprachen; sie wies sie nie ab, doch mit schlauer Geschicklichkeit Wußte sie stets sie zu vermeiden. Meine Schwester, wie gesagt, war verheiratet- das war eine unübersteigliche Scheidewand zwischen uns. Sie war jetzt die Frau eines Mannes, nicht meinesgleichen, kein Mädchen mehr! kaum daß sie mir noch wie meine Schwester vorkam. Es gibt eine Jungfräulichkeit des innern Seins, rührender und reizender als die, welche der Myrtenkranz repräsentiert, weil sie unendlich seltner ist. Aber leider! leider! geht sie oft vor dieser und fast immer mit dieser verloren! sie widersteht nicht der materiellen Genußsucht. Meine Schwester war in kurzer Zeit ganz fraulich worden, verloren in ihren Familien- und HausInteressen, und mit unendlichem Behagen sich darin zurechtsetzend, wie der Vogel auf seinem Nest. Sie gehörte zu den weiblichen Wesen, die von der Geburt an, möchte ich sagen, Frauen sind und im Hause Wurzel fassen und Blüten treiben. Sie ist glücklich dabei geworden, weil Temperament, Sinnesart, Charakter mit ihrem Schicksal Hand in Hand gingen und weil man von ihr sagen darf - was ich jedoch nie ohne einen leisen Schauder auszusprechen wage - sie würde jeden Mann glücklich gemacht haben - und dies wird doch zuweilen als Lob von einem Mädchen gesagt! Nun, ich habe es nie verdient. -
Aber an wen sollte ich mich wenden in meiner Herzensangst? Sehr verständig, wie mir scheint, wendete ich mich an Obernau und sagte ihm an einem schönen Abend, wo wir allein im Garten waren und die melancholische Herbstnatur mit heimziehenden Wandervögeln und herabrieselnden Blättern mich noch trauriger stimmte, daß ich ihn lieber nicht heiraten wolle. >Ein romanhafter Mädchengedanke!< antwortete er spöttisch wegwerfend. Ich verstummte blöde und sann acht Tage lang darüber nach, ob er nicht wirklich recht habe. Bisweilen kam es mir auch so vor, aber als über diesem Besinnen der Hochzeitstag mir bis auf vierzehn Tage nahgerückt war, so fand ich, Obernau habe unrecht, und abermals verkündigte ich ihm meinen Entschluß und bat ihn dringend, mir mein Wort zurückzugeben. Statt der Antwort sprach er: >Ini, du siehst zum Küssen lieblich aus, wenn du bittest! ich wäre ein großer Narr, wollte ich deinen Willen tun.< Indessen da er sah, daß ich weinte, fragte er, ob ich einen andern, etwa den und jenen, den er nannte, heiraten wolle. Zufällig waren das närrische, fade, dümmerliche Leute, und Obernaus Frage kam mir possierlich vor - oder war es nervöse Aufregung - kurz, ich brach in lautes Lachen aus, und Obernau sagte beruhigt und beruhigend. >Wenn du keinen andern lieber hast, so kannst du mich mit gutem Gewissen heiraten.~ Trotz dieser Versicherung war aber immer eine Stimme in mir wach, die mir zurief: >Tu es nicht!< Und zum dritten Mal, doch nun unter tausend heißen Tränen und mit bangem Flehen, bat ich um meine Freiheit. Da wurde er endlich anders, er gab das spöttelnde, scherzende Wesen auf, womit er bisher meine Einwendungen zunichte gemacht, er beschwor mich, ihn nicht grenzenlos unglücklich zu machen, er liebe mich zu sehr, um von mir lassen zu können, er wolle alles tun, alles sein, was ich gut und recht fände, er lag zu meinen Füßen, er weinte ich hatte in meinem Leben weder ihn noch irgendeinen Mann in solcher Bewegung gesehen, es machte einen schauerlichen, gewaltigen Eindruck auf mich, ich dachte kindisch: >Wohlan, lieber unglücklich sein als unglücklich machen!~ - nicht wissend, daß in der Ehe eins aus dem andern folgt - ich bat ihn tausendmal um Vergebung und wünschte nun selbst den Hochzeitstag mit einer fieberhaften Ungeduld herbei, in der Hoffnung, mein Schicksal müsse sich lieblicher in der Entschiedenheit, als in der Erwartung stellen. lch ward seine Frau. Der Stab war über mich gebrochen! - so kam ich mir vor, so komme ich mir noch jetzt vor, wenn ich an den Moment denke, von welchem doch schon manches Jahr mich trennt.
Gibt es denn auf der ganzen weiten Gotteswelt eine Schmach, weiche der gleichkommt: einem Manne zu gehören, ohne ihn zu lieben? O ich glaube, ein ganzes Leben von Verworfenheit wird mit diesem Begriff bezeichnet. Doch nein! nein! ich irre mich! ich war ja seine Frau, am Altar ihm angetraut - dann hat es nichts zu sagen - für die Menschen.« Sie lachte in sich hinein. [...]
»Aber ach! als Abnormität wird es betrachtet! Krankhaft an Leib oder Seele, verschroben, überspannt nennt man eine Frau, nachdem man sie ohne Barmherzigkeit in die Arme des ersten besten, der sie nach ihr ausstreckt, geliefert hat und sie nun mit unüberwindlichem Entsetzen wahrnimmt, was von ihr gefodert wird, was sie gewähren soll. Von einer Million Ehen wird eine aus Liebe geschlossen. [...]
Ich kam mir selbst unmenschlich entwürdigt vor durch die Leidenschaft, die ich erregte, ohne sie zu teilen, und das Geschöpf, welches der Mann mit dem Fuß vom Sofa auf die Straße schleudert, schien mir weniger erniedrigt, als ich mich fühlte - denn es steht außer dem Gesetz, denn es macht keinen Anspruch auf Ehre; aber ich, unter dem Schirm des Gesetzes, umringt von jeder Schutzwehr, welche der Ehre heilig, jung, unverdorben, sittlich rein, ich sah mich plötzlich in der Gewalt eines Menschen, dessen furchtbares Recht über mich dadurch geheiligt sein sollte, daß er in einer Kirche vor vielen Zeugen gelobt hatte, es immer zu üben. Was ging das mich an? Ich mußte ihm das Recht geben: nur so begriff ich es! nur so konnte es nicht entadelt werden. Ich sah bisweilen die Leute ganz erstaunt an, wenn sie mich mit Achtung behandelten - die übrigens der vornehmen, reichen Frau nie fehlt - ich hätte fragen mögen: was fällt euch ein! der willenlose, dumpf gehorchende Sklav', zählt der mit in der menschlichen Wesenreihe? und steht mir's nicht wie ein Brandmal auf der Stirn, daß ich Sklavin bin? Ich hüllte mich in meinen Gram wie in ein Panzerhemd und waffnete mich mit meiner Erbitterung w'e mit einem scharfen Schwert und behandelte die Männer mit einem übermut, mit einer Verachtung, vor welche sie in den Staub fielen und in Anbetung gerieten. Aber ich, die weit sehnlicher wünschte, einen Gegenstand der Liebe und Verehrung zu finden, als es zu sein, zerfiel mit mir sel bst immer unheimlicher, immer tiefer, je greller der Widerspruch zwischen der äußern Erscheinung und dem innern Sein sich gestaltete. Ich wurde von meinem Mann geliebt und empfand für ihn den unbesieglichsten Widerwillen. Die Welt huldigte mir, indessen ich mir selbst verächtlich vorkam. Man pries meine Verhältnisse glücklich und beneidenswert, und ich fühlte mich in ihnen unaussprechlich elend. Hätte ich wenigstens den Trost gehabt, Obernau etwas über sein leeres, wüstes Treiben zu erheben, so würde mir das einigen Mut eingeflößt haben. Doch die Sklavin dient dem Gebieter nur, wenn er es befiehlt; außerdem ist sie ein Spielwerk, welches unbeachtet im Winkel steht. Ich will gern glauben, daß es mir auf einem gewissen Wege sehr leicht geworden wäre, unumschränkte Herrschaft über ihn zu gewinnen; allein, konnte ich meinen Gemahl nicht ehren, so mochte ich ihn doch wenigstens nicht beherrschen, nicht diese Flitterkrone für den Preis erkaufen, den er darauf gesetzt haben würde. Ich ging meine Wege, er ging die seinen. Er bekümmerte sich gar nicht um mich, sobald ich nur zu gewisser Stunde nicht fehlte. Ich war ja seine Frau, und er liebte mich! folglich, welche Ehre für mich! [...]
Bisweilen kam er in tiefer Nacht heim, der Himmel mag wissen, aus was für Gesellschaft! Hatte der Wein seinen Kopf montiert, so überstieg seine Brutalität alle Vorstellung.«

Eine in jeder Hinsicht »exzellente Partie«

[40]»Heiraten Sie!« »Wen denn? Sie haben gewiß jemand im Sinn.«
»Da Sie fragen, gesteh ich's ein. Aber raten Sie doch, wen!«
»Es ist zu schwer, Ihre Gedanken zu raten; also?« »Eine in jeder Hinsicht exzellente Partie: Werffen.«
Ilda fuhr zusammen: »Werffen? welch ein Einfall! er denkt so wenig wie ich daran - hoffe ich; oder haben Sie einen Auftrag?« - Sie fixierte den Baron.
»Keineswegs!« erwiderte er gelassen; »ich würde nur diese Partie für beide Teile höchst vorteilhaft finden,«
»Ich verheirate mich nicht um des Vorteils willen, sondern - gar nicht. Und vollends Werffen!«
»Nun, Werffen? sehr reich, sehr talentvoll, sehr hübsch ...« -
»Freilich! eine Masse guter Eigenschaften! aber was will das sagen! Nicht diese oder jene Eigenschaft fesselt uns, sondern die ganze Persönlichkeit.«
»Aber er gefällt aller Welt.« »Eben darum nicht mir.«
»Das nenne ich Caprice, Eigensinn, Ungerechtigkeit.«
»Wie Sie wollen! aber ich liebe ihn nicht; und da ich einmal ohne Liebe verheiratet und sehr elend gewesen bin, so werde ich nicht zum zweitenmal diese Torheit begehen.«
»Es würde jetzt vielleicht keine Torheit sein, denn Sie sind älter geworden, ernster, fester.«
»Wohl bin ich älter geworden«, sagte Ilda, und Tränen traten in ihr Auge - »wohl weiß ich, daß ich, ohne Jugend und Schönheit, keine Ansprüche habe, um geliebt zu werden; also wird es mir doppelt schwer einzusehen, weshalb ich mich verheiraten soll.«
Der Baron dachte im stillen: es ist doch seltsam, wie die Frauen empfindlich im Punkt des Alters sind. Laut sprach er:
»Man heiratet, um einen festen Stand in der Gesellschaft zu haben.« »Wie könnte der der reichen Gräfin Schönholm fehlen.« »Um einen großen Namen glänzend zu tragen.«
»Der Name Ilda Schönholm hat einen guten Klang.«
»Um im Schutz und Schirm eines treuen Freundes zu sein.«
»Nach außen hin bedarf ich keines Schutzes, und vor mir selbst kann mich niemand schützen als ich selbst.«
»Um die Freuden der Häuslichkeit zu genießen.«
»Sie sprechen ja wie die Leute in Ifflandschen Schauspielen« - sagte Ilda allmählich belustigt durch den Ernst des Barons - »die langweilen mich außerordentlich.«
»Um allerliebste Kinder zu haben« - fuhr er unermüdlich fort, entschlossen, ihr alle Vorteile auseinanderzusetzen.
Ildas Lächeln verschwand, um ihren Mund zuckte etwas wie Schmerz oder Verachtung; dann sah sie den Baron fest an und fragte: »Verstehen Sie das, Baron, wenn ich sage: Man kann es ertragen, ohne Liebe Gattin zu sein; aber Mutter - nimmermehr!«
Der Baron sagte verblüfft: »Weshalb sollte ich das nicht verstehn?«
»Weil die Männer, überhaupt die Menschen, in diesem Punkt etwas schwer von Begriffen sind und meinen, Kinder zu haben sei das Höchste, was eine Frau erwünschen könne. Wenn Sie mich aber verstanden haben, so ist unser Gespräch zu Ende.«

Ich fordere das Recht, mir selber mein Glück
oder mein Unglück zu schaffen

[41]Sie krankte an dem Unglück einer Ehe, und dieses eheliche Unglück, es gab ihr nicht einmal Emotionen und himmelstürmende Verzweiflung, sondern es verwundete sie nur Tag um Tag, Stunde um Stunde mit kleinlichen Nadelstichen, es rieb nur ganz langsam ihr Herz wund, statt es zu zerreißen, es prickelte sie nur mit ganz kleinen, unscheinbaren Dornen, statt sie mit einem einzigen Dolchstoß zu töten. Sie blutete daher langsam und ungesehen aus tausend kleinen Wunden ihre Lebenskraft aus, und statt eines einzigen großen Schmerzes, welcher in seiner Schwere zugleich etwas Erhebendes besitzt, hatte sie nur tausend kleine Leiden, die ihre Energie zerdrückten, und ihre Seele lähmten.
Aber sie hatte noch die Kraft, nicht unglücklich sein zu wollen, nicht untätig die ermatteten Hände ineinanderzufalten und zu Gott zu beten, daß er den Tod sende, um sie zu erlösen.
Sie wollte sich selber erlösen, sie wollte leben und in der Würde des Menschentums leben!
»Ich will nicht mehr unglücklich sein, ich will nicht!« sagte sie endlich ganz entschlossen, und ihr Antlitz nahm einen tapfern und kühnen Ausdruck an. Mag das Argste über mich hereinbrechen, mag er mich töten, es ist immer noch besser, als so zu leben!« [...]
Und so wandte sie sich an den General Monk.
»Ich bin eine Tochter dieses Landes, dessen Beschützer Sie sind. Sir, ich fordere meinen Anteil an Ihrem Schutz!«
»Und was fordern Sie?«
»Meine Freiheit!« rief sie mit lauter, energischer Stimme.
Monk lächelte.
»Wie mich dünkt, macht man Ihnen diese nicht streitig«, sagte er. »Dieses Zimmer ist kein Gefängnis!«
»Und dennoch bin ich hier wie überall gefangen, denn ich schleppe die unsichtbare Kette meines Galeerentums mit mir, wohin ich auch gehe! Mylord, ich fordere die Freiheit meiner Seele, die Ungebundenheit meines Schicksals, ich fordere meine Selbständigkeit und das Recht, mir selber mein Glück oder mein Unglück zu schaffen!«
»Und wer verweigert Ihnen dies Recht?« fragte Monk.
»Mein Gatte!« sagte sie tonlos.
»Ah, Sie sind vermählt!« rief Monk mit einem sarkastischen Lächeln.
»Ja, ich bin vermählt!« sagte sie, »und ich will es nicht mehr sein. Ich will Ihnen nicht erzählen, wie das alles gekommen! Das paßt nicht für Sie! Was küminert den General Monk das Unglück einer Frau! Aber dieses Unglück ist das Los aller Frauen Englands, wir tragen alle dieselben Fesseln, wir leiden an denselben Martern! Mylord, erleichtern Sie uns diese! Sie wollen eine neue Welt begründen, fangen Sie damit an, daß Sie die unnatürlichen Gesetze der alten zerreißen! Machen Sie frei, was unfrei war.«
Und indem sie so sprach, blickte sie mit flehendem Ausdruck in das Antlitz Monks.
Aber sie sah keine Teilnahme in diesem Angesicht, sondern nur ein leises, ironisches Lächeln.
»Ah«, sagte sie mit einer Art verzweiflungsvollen Zornes, »Sie lachen über mich und mein Begehren, welches Ihnen vielleicht phantastisch und töricht scheint. Ich frage Sie aber, Mylord, wenn ich jetzt zu Ihnen käme und sagte: >General Monk, Sie sind groß, Sie sind mächtig, und der König wird tun, was Sie begehren. Ich flehe also zu Ihnen um Gnade! Man hat mich zum Tode verurteilt, man will mich lebend auf das Rad flechten. Retten Sie mich, machen Sie, daß der König mich begnadigt, und mir das Leben schenkt.< Sir, wenn ich mit dieser Bitte zu Ihnen käme, würden Sie das natürlich und dem Momente anpassend finden?« »Ich würde das sehr natürlich finden!« sagte Monk. »Nun denn, mein General, dies ist meine Bitte, und sie ist also eine natürliche! Man hat mich zum furchtbarsten, entsetzlichsten Tode verurteilt, zum Tode der Sklaverei, man will mich lebendig auf das Rad der Schmerzen flechten, nur daß es nicht mein Körper, sondern meine Seele ist, welche man morden will! Ich schreie also zu Ihnen um Gnade, um Erbarmen, und indem ich es tue, spreche ich für alle diese gemarterten, zertretenen, in den Staub geschleuderten Seelen, welche man Weiber nennt! Mylord, geben Sie uns unsere Freiheiten wieder, welche Cromwell uns geraubt hat. Wir rnüssen wenigstens das Recht haben, das Unglück von uns abschütteln zu können, wenn wir auch vielleicht nicht befähigt sind, das Glück zu finden! Sir, es seufzen so viele Unglückliche unter diesen Fesseln ehelicher Sklaverei. Nehmen Sie diese Fesseln weg, geben Sie ein Gesetz, welches diese Bande sprengt, indem es anerkennt, daß die Ehe gelöst werden kann, daß sie es muß, wenn die Herzen und die Seelen sich geschieden haben. Geben Sie ein solches Gesetz, und Sie werden damit der Ehe ihre Heiligkeit und der Liebe ihre Freiheit wiedergegeben haben! Es heißt die Ehe entheiligen, wenn man sie zu einer unauflöslichen Kette macht, welche selbst dann nicht zersprengt werden darf, wenn sie uns nur an eine Hölle der Schmerzen angeschmiedet hat, es heißt die Liebe zu einer Sklavin erniedrigen, wenn man sie zwingen will, zu bleiben, wo sie nicht sein will, und sich zertreten zu lassen unter den rohen Fußtritten eines Barbaren. O Mylord, sein Sie also barmherzig, sein Sie menschlich! Geben Sie den Frauen ihre Würde wieder! Dulden Sie es nicht, daß man sie zu Sklaven erniedrigel Der Mann hat das Recht, auf offenem Markte sein Weib zu verkaufen, und das Weib sollte nicht einmal das Recht haben, den Schutz der Gesetze zu beanspruchen und sich von dem zu trennen, welcher nicht mehr ihr Geliebter, sondern ihr Henker ist? [...]
O Mylord, es ist eine alte heilige Gewohnheit, daß jeder neue Herrscher den Antritt seiner Regierung mit einem Gnadenakt bezeichnet, indem er allen denen, welche zum Tode verurteilt sind, das Leben schenkt und ihnen Amnestie bewilligt. Ich erflehe diese heilige Gewohnheit auch für mich, für mein ganzes Geschlecht! Mylord, möge der König uns eine Amnestie verleihen, indem er dieses schmachvolle Ehegesetz löst und gestattet, daß sich diejenigen scheiden, welche nichts mehr bindet als die äußere Form und der äußere Zwang.«