»Eine Tochter!« rief Eustach verwundert, »eine Tochter!
welch ein höchst befremdlicher Einfall!«
»Eine Tochter ist auch ein Geschöpf Gottes«,
sagte Cornelie mit einem melancholischen Lächeln.
»Das älteste Kind in einer Familie muß stets ein Sohn sein!« rief Eustach.
Ida Hahn-Habn (Zwei Frauen)Wir Frauen verlangen jetzt von der neuen Zeit ein neues Recht;
nach dem versunkenen Glauben des Mittelalters Anteil
an der Freiheit dieses Jahrhunderts;
nach der zerrissenen Charte des Himmels einen Freiheitsbrief für die Erde!
Louise Aston (Meine Emanzipation, Verweisung und Rechtfertigung)
Freiheit für alle
[13]Wo wieder aber ward der Ruf vernommen: »Für Alle Freiheit!«,
klang es fast wie Hohn,
Denn für die Männer nur war er gekommen Im Wettersturm der Revolution.
Denn schien auch Joch auf Joch hinweggenommen,
Und stürzte auch in Trümmer Thron um Thron.
Dem Männerrecht nur galt das neue Ringen,
Das Frauenrecht blieb in den alten Schlingen.Wohl grüßten freie Männer sich als Brüder,
Nur Bürger gab es, nicht mehr Herr und Knecht;
Wohl sangen sie der Liebe Bundeslieder
Und fühlten sich als ein erneut' Geschlecht.Doch auf die Schwestern blickten stolz sie nieder,
Der Menschheit Hälfte blieb noch ohne Recht,
Blieb von dem Ruf. »Für alle!« ausgenommen
Ihr muß erst noch der Tag des Rechtes kommen.Der Frauen Schar, die in den Staub getreten,
Ward nur erhoben an des Glaubens Hand.
Die besten lernten fromm zum Himmel beten,
Weil ja die Erdenwelt sie nicht verstand;
Die andern aber ließen sich bereden,
Sie seien nur bestimmt zu Spiel und Tand,
Es sei ihr höchstes Ziel, im süßen minnen
Des ganzen Lebens Inhalt zu gewinnen.Doch wiederum wird einst der Ruf erklingen
So wie vor Gott sind wir auf Erden gleich!
Die ganze Menschheit wird empor sich ringen,
Zu gründen ein erneutes Liebesreich,Dem Weibe wie dem Mann sein Recht zu bringen,
Zu wahren mit des Friedens Palmenzweig.
In lautrer Wahrheit stolzem Siegesschalle Tönt's noch einmal.
»Erlösung kam für alle!«
Mein Programm als Mitarbeiterin
einer Frauenzeitung
[14]Gleichheit vor dem Gesetz des Weibes mit dem Mann. Das Weib muß überall als mündig erklärt werden und vor Gericht dafür anerkannt, seine Sache selbst vertreten zu dürfen wie in gleichem Fall der Mann (die Geschlechtsvormundschaft, in Sachsen abgeschafft, besteht noch in einigen deutschen Staaten - sie muß sofort aufgehoben werden). Die Gleichheit vor dem Gesetz darf auch durch die Ehe (wie es jetzt geschieht) nicht aufgehoben werden. Wie es jetzt ist, gehört das Weib dem Mann mit allem, was es besitzt. Es hat kein Recht, frei über sein Gut zu verfügen, es muß erst die Zustimmung des Mannes haben. Dieser aber kann es verprassen, verschleudern nach seinem Belieben - dem Weibe wird kein Schutz gegen diesen Raub - und wenn der Mann die zu einer Bettler'n gemacht, die er nur um ihres Reichtums willen heiratete, so gibt es doch kein Gesetz, das sie schützte oder ihn richtete, nicht einmal das der öffentlichen Meinung, denn diese hält hier am angeerbten Vorurteil, und meist von Männern ausgesprochen, steht sie auf der Seite des Mannes. Das Gesetz, statt den schwächeren Teil zu schützen, drückt ihn jetzt doppelt. Dies Recht des Stärkeren darf nicht mehr ausgeübt werden,
Ich fordere, daß Frauen bei denjenigen Gesetzen, welche sie selbst betreffen, eine Stimme haben. Ich fordere diese Stimme für sie auch da, wo es gilt, Vertreter des ganzen Volkes zu wählen - denn wir Frauen sind ein Teil dieses Volkes. Wenn jetzt aber Z. B. ein Wahlgesetz lautet: Alle mündigen Staatsangehörigen sind Wähler - die Frauen aber gleichsam durch eine schweigende Übereinkunft von diesem Recht ausgeschlossen sind, so heißt dies einfach, die Frauen für unmündig erklären. Ein Recht, das jetzt den Unwissendsten im Volke zusteht, muß auch für das Weib da sein.
Ich meine, ist das Weib durch keine beschränkende Erziehung mehr in seiner eigensten Entwicklung gehemmt, ist es geistig frei geworden und zum sozialen Bewußtsein gekommen, so wird es auch bürgerlich frei werden, so müssen ganz von selbst alle kleinlichen Schranken fallen, welche ihm jetzt die freie Bewegung verwehren wollen. Dann wird auch die Ehe wieder zu ihrem natürlichen und darum heiligen Rechte kommen, sie wird aufhören, eine Versorgungsanstalt zu sein, und wird der schöne sittliche Bund zweier Menschen werden, welche die Liebe zu einem Ganzen macht. Bei gleicher Berechtigung wird das Weib die zärtlichste Gefährtin sein, das Verhältnis von Herrn und Magd, das jetzt die meisten Ehen entwürdigt, wird nimmermehr stattfinden können. Wo dem Weibe sich ein Wirkungskreis fürs Allgemeine erschlossen, da wird es auch, wenn es Jungfrau bleibt, nie mehr über ein verfehltes und zweckloses Leben zu klagen haben. - Sehen wir doch schon jetzt, wie kein Mann von Wahrheit und Ehre dem Weibe, das zum sozialen Bewußtsein gekommen, die Gleichberechtigung im höheren Sinn verweigert, sondern es mit Freuden zu seiner Gefährtin im Dienste des Fortschritts, der Hurnanität macht. Und so meine ich, wenn aus den Ausnahmen eine Regel geworden, wenn alle Frauen zu großen Anschauungen und zur Erkenntnis ihrer allgemein menschlichen Bestirnmung gekommen sind, wird es sich von selbst verstehen, daß die Frauen Hand in Hand wirken mit den Männern, nicht mehr als ihre Dienerinnen, sondern beide als Ebenbürtige, nur ein jedes in dem ihm von der Natur (nicht mehr, wie jetzt, von blinden Vorurteilen und rohen Gebräuchen) angewiesenen Kreis.
Es ist die Fahne der Humanität, die ich entfalte Humanität ist der Weg zur Freiheit und die Freiheit selbst.
Die männliche Bevormundung
[15]Das weibliche Wesen ist in unserem Staats- und geselligen Leben gänzlich verneint. Der Beweis wird uns nicht schwerfallen, die Tatsachen selbst sind Zeugen, Kläger und Richter. Die Frauen sind unterdrückt und arm; denn wenn ich über die größten Reichtümer zu gebieten habe und sie im Sinne eines anderen verwenden muß, kann sich meine Eigentümlichkeit nicht dabei betätigen. Ich bin dann nur des Königs Schatzmeister. Wir wollen hier die Folgen nicht weiter entwickeln, die Korruption, die Erkaufung des ganzen Wesens, die Beeinträchtigung aller, aller Fähigkeiten, die Hemmung und Unterdrückung jeder freien, also jeder bessern Empfindung, der Mangel an Einfluß, die Nichtachtung, die Beeinträchtigung jedes Willens, die Rücksichtslosigkeit des Mannes, die Unmöglichkeit, nach Neigung und Geschick sich auszubilden, sich geistig zu entwickeln, die unbedingte Hingabe an den Mann, die daraus folgende Mißehe, die Unfähigkeit, die Erziehung der Kinder zu leiten, deren Anlagen zu erkennen, die Mittellosigkeit, das Erkannte in die rechte Bahn zu leiten usw. usw.
Sie ist völlig rechtlos. Sie hat gar keinen unmittelbaren Einfluß auf die Gesetze. Die Gesetze können nur dann im Sinne derer abgefaßt sein, für die sie bestimmt sind, wenn diese sich selbst dabei beteiligen, wenn diese selbst oder deren Vertreter unmittelbar von ihnen gewählt und unbedingt in ihrem Sinne handeln, ihrem Willen entsprechen. Ist dies nicht, dann ist der Vertreter Vormund und nicht Organ. Mag der Vertreter eines geknechteten, seiner Rechte und seines eigenen Willens unbewußten Volkes anders handeln, als seine Wähler erwarten, er tut es auf seine Gefahr; der Wille der Wähler muß stets frei sein; wenn er sie nicht überzeugen kann, muß er dem weichen, in welche jene ein höheres Vertrauen gesetzt haben. Aber dieser Grundsatz ist noch nicht einmal allgemein anerkannt; wie weit ist es noch, bis man dessen Anwendung auf das weibliche Geschlecht ausdehnt!
Wo man aber noch nicht einmal daran dachte, diesen Grundsatz auf die andere Hälfte der Menschheit anzuwenden, wie können da die Gesetze auch nur entfernt in deren Sinne gegeben sein?! Man wandte bisher ein, es sei ja das eigene Interesse des mit dem Weibe so innig verbundenen Mannes, dessen Rechte und Anforderungen als die seinen zu betrachten. Sophistischer Einwand! Ist denn ein Mann für die Wünsche aller Frauen bedacht und nicht vielleicht nur für die der ihm zunächststehenden? Dann wäre der Fürst der sicherste Bürge und Vertreter seines Volkes und dieses dürfte sich sorglos und vertrauensvoll in die väterlichen Arme legen. Schmachvolle Logik einer geknechteten Generation, eines nie erwachten Selbstbewußtseins, das, weil es das Ich nicht achtet, dieses auch nicht fürchtet, das seiner Freiheit, seiner Menschenwürde beraubt durch die Selbstsucht derer, denen es Weihrauch streut, und doch diese Selbstsucht nicht sieht, wo es gilt, sich ihrer zu entledigen.
Der Mann ist der Fürst des Weibes, der absolute Monarch, der unumschränkte Gebieter in ihrem Bereich, nicht einmal die Scheinrechte der konstitutionellen Phraseologie sind auf das Weib anwendbar. Worin sollten die Garantien der nicht allein nicht gesetzlich bestehenden, nicht einmal rechtlich anerkannten Rechte bestehen?
Arm und rechtlos, gesetzlich und grundsätzlich unterdrückt, physisch zum Kampfe ungeeignet, geistig verwahrlost, in ihren Rechtsgründen nicht rechtsgültig, in ihren Mitteln beeinträchtigt, verhöhnt, verspottet, mit allem Gewicht einer ihr feindseligen Lebensmoral verdrängt und verfolgt - wo soll sie Kräfte sammeln, wo pflügen und säen ohne Land? Wächst ihr ein Saatfeld auf der flachen Hand? Und dennoch wird sie pflügen und säen und ernten tausendfaltig, wie kein Arbeiter im Weinberge des Herrn.
An George Sand
[16]O naht mit Lorbeerkränzen, naht mit Palmen!
Der Freiheit Majestät ist neu erwacht;
Ein Evangelium kam über Nacht,
herniederrauschend in Gewitterpsalmen;
Und was vom alten Wahn umnachtet
Nach Rettung und Erlösung schmachtet:
Das eile zu des neuen Geistes Fahnen!
Das streu ihm Blumen auf die Siegerbahnen!Nicht Jeanne d'Arc mit Frankreichs Heldensöhnen
Hat sich dem neuen, heil'gen Kampf geweiht;
Nicht Königen, nicht Völkern gilt der Streit:
Den freien Menschen gilt es jetzt zu krönen!
Nicht winkt der Andacht Lebenssonne,
Das Bild der himmlischen Madonne;
Ein andres Bild wird schützend uns umschweben,
Aus andern Zügen spricht ein andres Leben.Mag jener Traum die Träumenden beglücken;
Längst schwand dahin der Heil'gen Wundermacht.
Es ziehn die Irdischen zur Freiheitsschlacht,
Es gilt des Geistes machtvoll Schwert zu zücken!
Empor, aus trauriger Betörung! Empor, in heiliger Empörung!
Ein Heldenweib, mit flammenden Panieren,
Wird euch zum Sieg, wird euch zur Freiheit führen!Auf ihren Bannern glänzt im Morgenlichte
Das freie Weib, das keinem fremden Wahn,
Das nur dem eignen Geiste untertan,
Dem Losungswort der neuen Weltgeschichte!
Das freie Weib, es schmückt die Fahne!
Von Sünden frei, weil frei vom Wahne,Dem Vater Wahn mit seiner Tochter Sünde,
Dem blöden Vater mit dem blöden Kinde.
Doch all der Kampf, der in der Brust der Frauen
So schmerzensreich, doch zukunftsvoll, sich regt,
Der schon im Schoß ein schönres Leben trägt,
Das wir nur ahnen, nur prophetisch schauen:-
Du zaubertest sein mächtig Walten
In lebenskräftige Gestalten!
Den Kampf der Zeit in ihren echten Töchtern
Vermachtest du den spätesten Geschlechtern!Du heiligtest mein Sinnen und mein Trachten,
Du gabst mir Mut in einsam herber Qual;
Berührt von deines Geistes Zauberstrahl,
Kann kühner ich der Menge Spott verachten:
Mag sie vor goldnen Kälbern beten,
Und frevelnd lästern die Propheten;
Ich steh bei dir, verhüllt vor ihren Blicken,
Auf freien Höh'n in heiligem Entzücken!
Das Recht der freien Persönlichkeit
ist in mir beleidigt
[17]Eine Frau, die ihre Privatangelegenheiten vor das Forum der Öffentlichkeit bringt, muß entweder grenzenlos eitel sein oder von der äußersten Notwendigkeit zu diesem Schritte gezwungen werden, einer Notwendigkeit, gegen welche sich aus falschem Schamgefühl zu sträuben ebenso feig als ehrlos wäre. In diesem letzten Falle befinde ich mich. Vielfache Verleumdungen in öffentlichen Blättern, die meinen Namen mit Bewegungen und Tendenzen in Verbindung brachten, die mir teils gänzlich fern liegen, teils nie in der brutalen Weise, die man mir Schuld gibt, von mir vertreten wurden; zuletzt die Maßregel der Polizei, die mich in Folge jener öffentlichen Denunziationen aus Berlin verwies: alles das berechtigt, ja zwingt mich, mit einer Rechtfertigung vor dem Publikum aufzutreten, um meine Ehre zu retten und von der öffentlichen Meinung den Schutz zu erbitten, den die Gewalten des Staates dem schutzlosen Weibe hartnäckig versagten. [...]
Wir Frauen verlangen jetzt von der neuen Zeit ein neues Recht; nach dem versunkenen Glauben des Mittelalters Anteil an der Freiheit dieses Jahrhunderts; nach der zerrissenen Charte des Himmels einen Freiheitsbrief für die Erde!
Unser höchstes Recht, unsre höchste Weihe ist das Recht der freien Persönlichkeit, worin all unsre Macht und all unser Glauben ruht, das Recht, unser eigenstes Wesen ungestört zu entwickeln, von keinem äußern Einfluß gehemmt; den innern Mächten frei zu gehorchen, die Harmonie der Seele durchzubilden, ma sie auch ein Mißklang scheinen gegenüber dem herrschenden Glauben der Welt.
Wer dies Recht der Persönlichkeit antastet, begeht einen brutalen Akt der Gewalt; wer unser Fühlen und Glauben, das Resultat unserer Schicksale, unser höchstes Eigentum, aus dem Allerheiligsten unseres Herzens herausreißt auf den Markt, auf die Gerichtsstube, vor den Pöbel, mag er auch die Waage der Gerechtigkeit in den Händen halten: der versündigt sich gegen das wahre Heil unserer Seele; der begeht einen Tempelraub, einen Gottesfrevel, von dem ihn die richtende Geschichte nimmer freisprechen kann. Dies Recht der freien Persönlichkeit ist in mir beleidigt; so stehe mir die einzige Schutzwehr der freien Rede zu! Meine Sache spricht für sich selbst, sie ist ihr eigner Advokat. Doch ist sie nicht bloß meine Sache. Ihr Interesse ist ein allgemeines, Denn, wenn äußere Gewalt schon das Denken und Glauben des Weibes strafbar findet: wie steht es da mit der geistigen Freiheit der Männer? Darum übergebe ich diese Blätter dem Publikum, als einen Beitrag zur Charakteristik der neuesten preußischen Gewissensfreiheit und zur Geschichte der Verweisungen. Die polizeilichen Maßreglungen der Männer haben durch ihre Alltäglichkeit den Reiz des Pikanten verloren; so muß es als ein glücklicher Einfall, als ein Witz des Schicksals erscheinen, durch die außergewöhnliche Ausweisung einer Frau eine interessantere Variation zu dem abgeleierten Thema zu liefern. Denn da der Mensch aus Gemeinem gemacht und die Gewohnheit seine Amme ist, so gewöhnt er sich auch an jede Art der Sklaverei und sucht sich zuletzt in der Entwürdigung selbst heimisch zu fühlen. Da bedarf es des Ungewöhnlichen, um ihn aus seinem Schlummer emporzureißen, um ihm seine ganze Erniedrigung und Knechtschaft in ihrer ertötenden Wahrheit zu zeigen. - O du schönes Griechenland mit deinen untergegangenen Göttern! Deine Altäre und Tempel sind zertrümmert, dein heiteres Leben ist versunken, und nur sein schwacher Nachglanz lebt in den Werken der Dichter und in der Sehnsucht edler Gemüter: - geblieben ist, was deine Geschichte geschändet, die finstere Gewalt, die sich zur Richterin aufwirft über freie Geister; die einen Sokrates den Giftbecher trinken läßt und eine Aspasia wegen Gotteslästerung vor die Schranken ruft! Die Geschlechter vergehen und die Völker und ihre Götter; aber der Wahn ist unsterblich! -
Die Verweisung
[18]Ein vielbewegtes Leben lag hinter mir, als ich im August vorigen Jahres meinen Aufenthalt in Berlin nahm. In früher Jugend mit einem Manne verheiratet, der meinem Herzen fremd, ehe die Ahnung der Liebe in mir lebendig geworden; im Besitze alles äußern Glücks, in der Mitte der glänzendsten Verhältnisse allein und unglücklich, lernte ich schon früh das moderne Leben in all seinen Konflikten und Widersprüchen kennen und bald, auch den gewaltigsten Gegensatz, der das Herz einer Frau vernichtet und einmal die soziale Weltordnung aus ihren Angeln zu heben droht, den Gegensatz zwischen Liebe und Ehe, Neigung und Pflicht, Herz und Gewissen.
Die Frauen, denen ein ruhiger Besitz und ein idyllisches Glück geworden, werden diesen Gegensatz nicht begreifen, weil sich ihnen zu schöner Harmonie verschmilzt, was bei mir feindlich auseinander liegt. Sie werden mich als eine Abenteuerin verdammen, die, untreu dem eignen Herzen und einem gesetzlich anbefohlenen Glück, in aller Unruhe eines stürmischen Lebens den Frieden sucht, den ihr die heimatliche Stätte, des Weibes eigenster Wirkungskreis, nicht zu gewähren vermochte. Doch vom sichern Ufer aus läßt sich leicht der Sturm beschwören und verachten, mit dem auf offner See das schwankende Schiff vergebens kämpft. Ich habe durchfühlt, was die Prophetenstimrne eines George Sand den zukünftigen Geschlechtern verkündet; den Schmerz der Zeit, den Wehruf der Opfer, welche die Unnatur der Verhältnisse zu Tode foltert. Ich weiß es, welcher Entwürdigung eine Frau unter dem heiligen Schutze des Gesetzes und der Sitte ausgesetzt ist; wie sich diese hülfreichen Penaten des Hauses in nutzlose Vogelscheuchen verwandeln und das Recht zum Adjutanten brutaler Gewalt wird! -
Doch ich schreibe weder einen Roman noch eine Biographie. - Unsere Ehe wurde geschieden. Aus dem allgemeinen Schiffbruche meiner höchsten und teuersten Güter und Interessen rettete ich nichts als den festen Entschluß, durch freien Blick und starken Sinn mich über das Schicksal zu stellen, durch Bildung des Geistes das Herz zu stählen, und seine Unruhe gefangenzuhalten durch die Ruhe des in sich selbst befriedigten Gedankens. Das war meine Absicht, als ich nach Berlin zog, angeregt von der jungen lebendigen Wissenschaft, um in dem geistvollen Kreise ihrer Vertreter die Wunden zu vergessen, die mir das feindliche Leben schlug. Auch wollte ich mich bilden und sammeln zu literarischer Tätigkeit, die ich ja nicht aus eitlem Dilettantismus ergriff, sondern zu der mich meine Schicksale machtvoll hindrängten, weil ich in dem eigenen Erlebnis das allgemeine Los vieler Tausende erkannte, und schärfer, bis zur Vernichtung, ausgeprägt, so daß mir die tödliche Macht unserer Verhältnisse am klarsten geworden. Berlin, mit dem reichen geistigen Leben, die Stadt des Gedankens und der Intelligenz, schien mir am geeignetsten zu meinen Zwecken, zur Erfüllung meines literarischen Berufes. Ich erhielt, nach Angabe meiner Verhältnisse, in denen alle gesetzliche Bedingungen erfüllt waren, ohne Schwierigkeiten eine Aufenthaltskarte von der Polizei.
Am 12. Februar 1846 war diese Aufenthaltskarte abgelaufen, und ich schickte an jenem Tage zur Polizei, mit der Bitte, sie zu erneuern, erhielt aber keine neue Karte, sondern die Weisung, selbst zu kommen. Da ich krank war, ließ ich mir durch meinen Arzt, Herrn Dr. Perle, ein Attest ausstellen, welches ich, mit der nochmaligen Bitte um Erneuerung der Karte, dem Präsidium einsandte. Mein Gesuch wurde abermals ignoriert. Einige Tage darauf erschien ein Polizeibeamter Goldhorn, im Namen des Polizeirates Hofrichter, »um einige Fragen an mich zu richten«. Gleichzeitig teilte er mir mit, daß man meine Karte nicht verlängern wolle, weil mehrere anonyme Briefe an das Präsidium, ja, an Se. Majestät den König selbst, über mich eingegangen seien, in denen ich beschuldigt wurde, die frivolsten Herrengesellschaften zu besuchen, einen Klub emanzipierter Frauen gestiftet zu haben und außerdem nicht an Gott zu glauben. Dann spräche gegen mich die Widmung der Gottschallschen Gedichte[8] »Madonna und Magdalena«, in denen ähnliche Tendenzen gefeiert würden, deren Verwerflichkeit der Rezensent in den »Blättern für literarische Unterhaltung« aufs bündigste nachgewiesen. Ich suchte diesem Beamten, so gut es ging, eine bessere Ansicht über mich und mein Leben beizubringen und schrieb dann an den Polizeipräsidenten von Puttkammer selbst. In diesem Schreiben setzte ich auseinander, wie mein Glauben und Denken mein Eigentum sei und niemanden etwas angehe; wie jene anonymen Briefe nur von einem persönlichen Feinde herrühren könnten, und bat um Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis, weil meine literarische Tätigkeit, besonders das baldige Erscheinen meiner Gedichte, der »Wilden Rosen«, mich in Berlin fesselten und meinen Aufenthalt daselbst nötig machten.
Ich wies nach, daß man mir nur insofern Unsittlichkeit zum Vorwurfe machen kann, als es unsittlich sei, Zigarren zu rauchen und mit wissenschaftlich gebildeten Männern umzugehen; und schloß mit der Bitte, mir zu gestatten, auch fernerhin eine Einwohnerin des sittlichen Berlins zu heißen, sowie etwaige Formfehler in meinem Schreiben zu übersehen.
Auf Grund dieses Schreibens wurde ich Ende Februar auf das Präsidium vor dem Deputierten Stahlschmidt beschieden, welcher mich ersuchte, so lange im Vorzimmer zu warten, bis der Regierungsrat Lüdemann, der eigentlich mit mir zu sprechen hätte, seine anderweitigen Geschäfte beseitigt und für meine Angelegenheiten Zeit gewonnen. Inzwischen unterhielt sich Herr Stahlschmidt höchst freundlich und gemütlich scherzend mit mir, brachte die Rede auf Religion und auf Ehe und veranlaßte mich durch die verschiedensten Kreuz- und Querfragen, wenn auch in scherzender Form, doch meine innersten Ansichten auszusprechen. Ich nahm deshalb keinen Anstand, mich frei zu äußern, weil ich nach der Art und Weise, wie diese Fragen getan wurden, dies Gespräch für ein durchaus privates halten mußte. Nachdem unsre Konversation zu Ende war, führte mich Herr Stahlschmidt in das Zimmer des Regierungsrates Lüdemann und überreichte diesem zu meiner größten Oberraschung ein Protokoll mit den Worten: »Dies ist das Glaubensbekenntnis der Madame Aston!« Dies Protokoll, das man während meiner Unterhaltung mit Herrn Stahlschmidt ohne mein Wissen niedergeschrieben, wurde mir nun vorgelesen. Ich war erschrocken und befangen - eine Befangenheit, die bei einem Manne lächerlich, gewiß bei einer Frau zu entschuldigen ist, welche in die Staats- und Polizeiwissenschaft keine tiefer eingehende Studien machen konnte und mit der Methode der preußischen Administration gänzlich unbekannt war. Aus dieser Befangenheit und Angstlichkeit weigerte ich mich, das Protokoll zu unterzeichnen, und gab erst dem freundlichen Zureden des würdigen Herrn Lüdemann nach, der im gutmütigsten Tone mich versicherte, es tue meiner Sache keinen Schaden, wenn ich unterschriebe, er gäbe sein Wort darauf. Das Wort eines Regierungsrates schien mir hinlängliche Bürgschaft für die Wahrheit; denn ich wußte nicht, daß »Worthalten« in das Alte Testament der Staatswissenschaften gehöre und seit Machiavell aus der höhern und niedern Politik verbannt sei. In meiner Naivetät, in meinem guten Glauben unterschrieb ich das Protokoll und widerlegte schon dadurch die Anklage des Unglaubens.
Inzwischen hatte ein müßiger Korrespondent der »Deutschen Allgemeinen Zeitung« aus Stoffmangel meine Person und Gesinnung zu einem sozialistischen Debüt benutzt, meinem unschuldigen Zigarrenrauchen eine welthistorische Bedeutung beigelegt, aus beiläufig ausgesprochenen Ansichten kühne Weltverbesserungspläne gemacht und, ohne das Einschreiten der Polizei, eine organisierte Berliner Frauenemanzipation in Aussicht gestellt. Dieser Korrespondent schien sich mehr an der Genialität seiner produktiven Phantasie, an der Kühnheit seiner Kombinationen und an den allgemeinen Schrecken, den sie verbreiteten, zu ergötzen als an eine förmliche Denunziation zu denken, obgleich dies der einzig passende Namen für seinen Korrespondenzartikel ist.
Am 21. März erhielt ich wieder eine Verfügung, auf der Polizei zu erscheinen, wo mir Herr Assessor Koppin mündlich den Befehl erteilte, »Berlin binnen 8 Tagen zu verlassen, weil ich Ideen geäußert und ins Leben rufen wolle, welche für die bürgerliche Ruhe und Ordnung gefährlich seien«.
So wurde mir von der Polizei eine Wichtigkeit beigelegt, die ich selbst mir beizulegen nie gewagt hätte, denn wie kühn müßten die Träume einer Frau sein, welche sich für eine staatsgefährliche Person hielte.
Schon um jener traumhaften Selbstüberschätzung zu entgehen, wandte ich mich am 23. März an den Minister von Bodelschwingh und ersuchte ihn in nachfolgendem Schreiben um Aufhebung jenes Befehls:
- Hochwohlgeborener Herr!
Hochgebietender Herr Staatsminister!
Seit dem August vorigen Jahres halte ich mich an hiesigem Orte auf, und bin am 5. März d. J. bei dem Polizeipräsidium um das Niederlassungsrecht für die Residenzstadt Berlin eingekommen, worauf mir am 21. dieses Monats auf dem hiesigen Präsidium eröffnet worden ist, daß das Niederlassungsrecht mir nicht bewilligt werden könne, daß ich vielmehr binnen 8 Tagen den Berliner Polizeidistrikt zu meiden habe, weil ich Ansichten geäußert und ins Leben rufen wolle, welche für die bürgerliche Ruhe und Ordnung gefährlich seien.
Gegen die Ausführung dieser Verfügung, welche für mich höchst traurig sein würde, da ich eben im Begriff stehe, durch Herausgabe einer von mir gedichteten Liedersammlung eine literarische Laufbahn zu beginnen, welche meine und meiner Tochter Lage bedeutend zu verbessern verspricht, erlaube ich mir Ew. Exzellenz hohen Schutz untertänigst anzuflehen. Als Grund meiner Ausweisung werden die Ansichten angeführt, welche ich zu Anfang dieses Monats in einem Gespräche mit dem Deputierten Stahlschmidt über Religion und Ehe geäußert, wobei freilich von meiner Seite in keiner Art Vorsicht und Rückhalt beobachtet wurde, da ich das Gespräch für ein durchaus privates und konsequenzloses zu halten berechtigt war; nicht aber für ein Examen, dem man meinen Glauben und meine Überzeugung unterwerfen wollte. Dieser Glauben und diese Ansichten sind mein eigenster Besitz; sie sind eine natürliche Folge der unglückseligen Verhältnisse, die ich durchlebt, der schmachvollen Behandlung, die ich erduldet habe; und ich kann nicht glauben, daß man bei der Gewissensfreiheit, die in Preußen jedem Untertanen gestattet wird und welche der Stolz der Nation ist, mir aus meinen Ansichten einen Vorwurf machen kann, ehe es nicht gewiß oder wenigstens wahrscheinlich geworden, daß diese Ansichten mich dahin führen, etwas gegen die Gesetze des Landes Verstoßendes oder für die Ruhe Gefährliches zu unternehmen. Zu dieser Annahme aber liegen gegen mich keine Gründe vor; es sind keine Tatsachen, keine von mir begangenen Handlungen bekannt, welche, dies zu beweisen, geltend gemacht werden könnten.
Nach den Verhandlungen, welche ich auf dem hiesigen Präsidium beiwohnen mußte, scheint es mir, daß besonders zwei Umstände zu dem für mich so harten Beschluß geführt haben könnten; nämlich erstens: die an mich gerichtete Widmung zweier von Herrn R. Gottschall verfaßter Gedichte »Madonna und Magdalena« und zweitens: ein in der »Deutschen Allgemeinen Zeitung« abgedruckter Korrespondenzartikel, welcher auf mich gedeutet wird; sowie einige verleumderische anonyme Briefe, welche über mich an das Polizeipräsidium geschickt sind.
Was jene Widmung betrifft, so kann man unmöglich daraus die Folgerung ziehen, daß ich die in jenen Gedichten enthaltenen Ansichten zu vertreten habe. Hinsichts der anonymen Briefe aber habe ich bereits einem Hochlöblichen Polizeipräsidium die sehr trübe Quelle angegeben, aus welcher dieselben wahrscheinlich stammen.
Meine genügende Existenzmittel habe ich nachgewiesen, so daß von dieser Seite kein Grund zu meiner Verweisung genommen werden kann.
Als geborne Preußin, als Tochter eines hohen Geistlichen, im Bewußtsein meiner Schuldlosigkeit und im Vertrauen zu Ew. Exzellenz Weisheit und Humanität wende ich mich an Ew. Exzellenz mit der ehrfurchtsvollen Bitte, meinen fernern Aufenthalt in Berlin hochgeneigtest gestatten zu wollen.
In tiefster Verehrung verharre ich Ew. Exzellenz gehorsamste
Louise Aston,
geb. Hoche.
In Folge dieses Schreibens kam mir am 24. April folgende Verfügung des Ministeriums des Innern zu:
- Auf die Vorstellung vom 23. v. M., wird Ihnen eröffnet, daß das Ministerium die Verfügung des hiesigen Königlichen Polizelpräsidiums, wonach Ihnen die Erlaubnis zur Niederlassung in Berlin und zur Fortsetzung Ihres Aufenthaltes hierselbst versagt worden ist, für gerechtfertigt erachten muß und daß es daher bei dieser Verfügung sein Bewenden behält.
Berlin, den 24. April 1846.
Ministerium des Innern.
Zweite Abteilung:
von Manteuffel.
An die separierte Aston, Louise,
geb. Hoche.
hier.
Da der kurze Geschäftsstil eine Auseinandersetzung der Gründe nicht zu erlauben schien und doch grade in solcher Auseinandersetzung für zweifelhafte Fälle der einzige Trost und die einzige Beruhigung liegt, so beschloß ich an demselben Tage, den Minister um eine Audienz zu ersuchen, in der Hoffnung, wenigstens gesprächsweise die Gründe zu erfahren, welche meine Verweisung notwendig machten, um mich dann ruhiger in das Unvermeidliche zu finden. Auch täuschte mich meine Hoffnung nicht. Nur waren die Motive anderer Art, als ich erwartete. Während die Polizei als Motiv meine Ideen anführte, die der bürgerlichen Ordnung gefährlich seien, und mich verwies, damit ich nicht andere verführe und in Berlin Proselyten für meine Unsittlichkeit mache, schien der Minister aus einem ganz entgegengesetzten Beweggrunde zu handeln: aus unbedingtem Wohlwollen gegen mich, aus Fürsorge für mein persönliches Wohl, für das Heil meiner Seele; kurz, aus jener väterlichen Gesinnung, durch welche die preußische Regierung ihre echte Christlichkeit bezeugt und sich die kindliche Liebe und Ergebung ihrer Untertanen zu erwerben weiß. So sehr mich diese Freundlichkeit, diese Sorge für mein zeitliches und ewiges Heil rührte; so war ich doch zu bestürzt und verwirrt, um gleich in passenden Worten meinen Dank äußern zu können. So läßt sich mein Benehmen in dem folgenden Dialoge rechtfertigen, den ich getreu aus dem Gedächtnisse nachschreibe:
Minister: Sie haben sich so frivol und außergewöhnlich benommen, Madame Aston, daß ich mich wundern muß, wie Sie es wagen, gegen Ihre Verweisung zu protestieren.
Ich: Ich weiß nicht, was Ew. Exzellenz frivol nennen?
Minister: Warum stellen Sie Ihrem Glaubensbekenntnisse voran, daß Sie nicht an Gott glauben? -
Ich: Weil ich nicht heuchle, Exzellenz!
Minister: Man muß Sie an einen kleinern Ort verweisen, wo Sie der Verführung nicht so ausgesetzt sind, um wahrhaft für Ihr Seelenheil zu sorgen.
Ich: Aber meiner schriftstellerischen Karriere wegen ist mir der Aufenthalt in Berlin wünschenswert, wo ich stets neue geistige Anregung finde.
Minister: In unsrem Interesse ist es keineswegs, daß Sie Ihre künftigen Schriften, die gewiß so frei wie Ihre Ansichten sind, hier verbreiten.
Ich: Nun, Exzellenz, wenn sich erst der preußische Staat vor einer Frau fürchtet, dann ist es weit genug mit ihm gekommen!
Minister: Ich bin beschäftigt - (Ab.)
So hatte diese Unterredung für mich auch kein weiteres Resultat; außer der Erkenntnis, wie wohlmeinend man durch meine Verweisung meiner Seele den Weg zum Himmel bahnen wolle, die sie leichtsinnig verscherzt und durch eigne Kraft nicht mehr zu finden imstande sei. Meine Angelegenheit schien aus dem Gebiete der Jurisprudenz auf das der Theologie hinübergespielt, ein Tausch der Fakultäten, bei dem meine Sache allerdings im Himmel gewann, auf Erden aber augenscheinlich verlor. Ich konnte mich daher auch hiebei nicht beruhigen und wandte mich am 28. April, als an die letzte Instanz, an Sr. Majestät den König in folgender Immediateingabe:***419.1.9**
- Allerdurchlauchtigster großmächtigster König!
Allergnädigster König und Herr!
Ew. Majestät wollen diese meine untertänige Zuschrift mir allergnädigst zugute halten und einer gerechten Prüfung unterwerfen.
Ich bin preußische Untertanin, Tochter des verstorbenen Konsistorial-Rats und Superintendenten Hoche, zu Gröningen, eines Mannes, der 34 Jahre seinem Könige und Lande treu gedient hat.
Nach einer neunjährigen, für mich sehr unglücklichen Ehe mit dem Fabrikbesitzer Aston, aus England, gegenwärtig in Burg, sah ich mich genötigt, endlich eine Scheidung von demselben durchzusetzen.
Ohne Eltern, ohne irgendeinen besondern Schutz, stehe ich jetzt seit zwei Jahren mit einer vierjährigen Tochter allein da; nach einem Leben in sehr glänzenden Verhältnissen auf die allerdings zureichende, jedoch viele Einschränkungen und Entbehrungen bedingende Alimentation von seiten meines geschiedenen Mannes angewiesen. Zur Verbesserung meiner ganzen Lage, hauptsächlich aber, mir die Mittel zu einer sorgfältigen und anständigen Erziehung meines Kindes zu schaffen, habe ich meine Zeit, besonders das letzte Jahr in Berlin, damit zugebracht, mich teils durch eigene Studien, teils durch den Umgang wissenschaftlich gebildeter Leute zur Schriftstellerin heranzubilden. Beides: meine schriftstellerische Laufbahn und die Erziehung meines Kindes, ließ mich den Aufenthalt im Mittelpunkte des geistigen Verkehrs der Monarchie wünschen - das Leben auf einem Dorfe würde mir jede geistige Anregung fernhalten; meinem Kinde die Gelegenheit einer sorgfältigeren Ausbildung benehmen.
Auf mein deshalb bei einem hochlöblichen Polizeipräsidium den 5. Februar d. J. eingereichtes Niederlassungsgesuch hieselbst ward mir nicht allein eine abschlägige Antwort, sondern auch die Weisung, den Berliner Polizeidistrikt binnen 8 Tagen zu verlassen und fernerhin zu meiden.
Als Gründe dieser Maßregel wurden mir Bestrebungen zur Last gelegt, welche die bürgerliche Ruhe gefährden sollten.
Als Beweise dieser Bestrebungen »Ansichten über Religion und Ehe«, welche ich gesprächsweise, ohne Ahnung eines polizeilichen Examens geäußert. Ferner eine Anzahl anonymer Briefe an ein hochlöbliches Polizeipräsidium, ja, an Ew. Majestät, meinen allergnädigsten König, selbst.
Wahrscheinlich auch hat man die Widmung des Gottschallschen Gedichtes »Madonna und Magdalena« und einen verleumderischen Korrespondenzartikel der »Deutschen Allgemeinen Zeitung«, herrührend von einem persönlichen Feinde, zu einer Anklage gegen mich benutzt; denn beides war meinen Polizeiakten beigeheftet.
Ebenfalls kann meine Verwechselung mit einer hier in männlicher Kleidung in Restaurationen umherziehenden Engländerin mir bei einer hochlöblichen Polizeibehörde geschadet haben.
In einer an Sr. Exzellenz den Herrn Minister von Bodelschwingh gerichteten Eingabe vom 23. März dieses Jahres bat ich, eine Aufhebung des gegen mich erlassenen Dekretes gnädigst veranlassen zu wollen, indem ich als Verteidigung gegen die nur mutmaßlichen und die mir angegebenen Klagepunkte vorstellte: daß ich keinesweges die Tendenz mir gewidmeter Werke zu vertreten habe; daß die anonymen Briefe, welche schon als solche kein Grund einer Anklage sein könnten, wahrscheinlich mit dem Korrespondenzartikel aus ein und derselben Quelle persönlicher Anfeindung geflossen seien; daß ich endlich den von mir ausgefragten Ansichten bisher in keinerlei Weise Gestalt und Verbreitung zu schaffen gesucht; es sei denn durch eine Gedichtsammlung, welche mit Genehmigung einer hochlöblichen Zensur binnen kurzem von mir publiziert werden würde: daß aber diese Ansichten der Ausdruck einer Gedankenrichtung seien, wie sie durch unglückliche Schicksale, durch ein halbes verfehltes Leben, wohl erzeugt werden könne, ohne darum vielleicht mehr zu sein als eine Übergangsperiode zu einer andern, vielleicht glücklicheren Überzeugung.
Als Antwort auf diese Eingabe erhielt ich am 24. April einen Bescheid des hochlöblichen Ministeriums des Innern, daß die polizeiliche Verfügung in Kraft bleibe und ich binnen 8 Tagen Berlin zu räumen habe.
Ein Gesetz vom Jahre 1843 gibt jedem preußischen Untertanen das Recht, sich da niederzulassen und zu wohnen, wo er die Mittel seines Unterhaltes nachzuweisen imstande ist. Nur Vergehen, welche Zuchthausstrafe nach sich ziehen, sollen dieses Recht aufheben.
Ich habe einem hochlöblichen Polizeipräsidium die hinreichende Existenzmittel nachgewiesen; von einem wirklichen Vergehen kann nicht einmal der Verdacht gegen mich vorhanden sein!
Durch die gegen mich gerichtete Maßregel der Ausweisung jedoch wird mir, da niemand an die mir nicht einmal schriftlich mitgegebenen Motive der Behörde glauben kann, ein Makel angeheftet, der nicht allein eine Schmach für meine überall geachtete, von der Gnade Ihrer Majestät mehrfach geehrte Familie sein würde, sondern auch mir, einer hülflosen, vom Schicksale oft und tief gebeugten Frau, die unverdiente Verachtung meiner einzigen Angehörigen und - welchen Wohnort ich auch wählen mag meiner nächsten Umgebung zuziehen würde.
Zu der hülflosen Lage, in welche mich die Kosten des Umzugs und der neuen Einrichtung versetzen müssen, kommt noch die Aussicht, in keinem größern Orte, und zwar aus denselben Gründen, welche mich hier verstoßen, von der Polizei gelitten zu werden.
Ein Mann findet sich schnell in eine neue, von seiner frühern ganz verschiedene Lage oder hat die Kraft, seine neuen Verhältnisse selbst seinen Bedürfnissen gemäß zu gestalten; einem Weibe wird das unendlich schwer.
Verwaist, ausgeschlossen von allem, was mich interessiert und geistig belebt hat; keines Vergehens bewußt und doch der Verachtung preisgegeben; nach der trübsten Vergangenheit ohne Hoffnung auf meine, ja nicht einmal auf meines Kindes Zukunft: wage ich es, die Gnade Ew. Majestät für mich anzuflehen, unterfange mich, meinen allergnädigsten König und Herrn mit der Bitte zu behelligen, Seiner Weisheit und Gerechtheit die Gerechtigkeit meiner Sache prüfend unterwerfen zu wollen.
Könnte mein ernster Wille, weder durch Tat noch Wort den Verordnungen eines hohen Magistrats und einer hochlöblichen Polizei zuwider handelnd zu scheinen, bei Ew. Majestät für mich sprechen: ich lege ihn zu Ew. Majestät Füßen.
In der höchsten Bedrängnis, als Weib, ohne Schutz und Zuflucht, wende ich mich vertrauensvoll an Ew. Majestät und unterwerfe in Demut die Gestaltung meiner ganzen Zukunft der hohen Weisheit und allgenannten Milde meines königlichen Herrn.
Ich ersterbe Ew. königlichen Majestät
alleruntertänigste Dienerin,
Louise Aston.
Berlin, den 28. April 1846.
Ich habe diesen Brief, der eigentlich nur eine Wiederholung der vorhergehenden Eingaben ist, nur der Vollständigkeit wegen mitgeteilt. Der Leser sieht daraus wenigstens, daß ich keineswegs, wie der scharfsinnige Korrespondent der »Deutschen Allgemeinen Zeitung« bemerkt, ein so großes Verlangen darnach trug, als Märtyrerin der Emanzipation aus Berlin gewiesen zu werden.
Ob die Antworten auf Immediatgesuche an Sr. Majestät den König immer durch den Mund eines Polizeibeamten kundgetan werden, weiß ich nicht; ich erhielt nach einiger Zeit von seiten der Polizei den mündlichen Bescheid, daß mein Gesuch nicht berücksichtigt werden könne und ich Berlin binnen acht Tagen zu verlassen habe.
Nachdem ich so alle preußische Instanzen durchgemacht, wende ich mich an eine höhere: ich wende mich in allerletzter Instanz an das deutsche Volk!
Das Weib im Konflikt mit den
sozialen Verhältnissen
[19]Louise Aston bringt teilweise in Broschüre das Schicksal ihres äußerlichen Lebens zur Kenntnis des Publikums. Auf ihre innere Gemütswelt vor dem Forum der Öffentlichkeit einzugehen findet sie sich einstweilen noch nicht berufen. Es gilt auch in diesem Falle nur, die Stellung des Weibes innerhalb der Gesellschaft zu vertreten, denn da sogar diese ihm verweigert, da das geschmähte, selbst nicht einen Stein mehr findet, sein müdes Haupt niederzulegen, so gilt es vorläufig, seine äußeren Rechte gegen die Gewalten dieser Erde offen zu verteidigen und sich gegen die erhobenen Anschuldigungen zu rechtfertigen.
Warum auch sollte das Weib überhaupt die schweigsame Dulderin fortan noch sein? Warum noch länger die demütige Magd, »die ihrem Herrn die Füße wäscht« - warum noch länger die christlich duldende Magd eines Herrn, der zum Despoten ihres Herzens geworden ist, weil er selber ein Knecht ward?
Die Stimme dieses Büchleins rief manche Schläferinnen wach, die von dem Brodeln ihres Kochtopfes am Herde noch nicht zu tief eingenickt waren. Sie rief manche stille Trägerin, die blutend unter dem Joch des sozialen Elendes ringt, das ungeahnt und ungekannt auf den Frauenherzen lastet, zum Bewußtsein des letzten Rechtes ihrer hinsterbenden Kraft, damit sie sich aufraffe und ermanne, um mindestens nur noch laut ihr Geschick anzuklagen. Sie goß ihnen Mut in die zagen Seelen, an die Festen des alten übertünchten Tempelbaus, der mit den Myrten geopferter Bräute sich schmückt und mit dem Heiligenscheine von tausend innerlich gebrochenen Ehebündnissen prunkt, zu rütteln - und sei es auch nur an einem Steine dieses morschen Gebaus. - [...]
Ihr Frauen, die Ihr Euch willig an ein »Glück« gewöhnen lerntet, nach welchem Ihr wahrlich niemals Sehnsucht im jugendlich erglühten Busen getragen habt. Begreift es, daß Euer erlogenes Glück Euch zu lächelnden Sklavinnen gemacht hat; Ihr seid gefühllos geworden gegen andre und gegen Euch selbst, denn Ihr fühltet den Skorpion nicht einmal mehr, der an Eurem eignen Herzen nagt und Euch um Euer bestes Herzblut betrügt. Ihr nennt Glück, was nimmer auch nur noch ein Schatten von Glück ist. Schmäht das Weib nicht, das die Fesseln Eurer von Euren Götzen geheiligten Eide brach - die reichen Säle hinter sich ließ und in die Kammer ihrer stillen Armut trat, um an der Bahre ihres dahingestorbenen Jugendglücks in keuscher Witwenschaft ihr Trauerjahr zu verbringen. oh, schmäht es nicht, wenn es, anstatt das reiche Leben in schwelgerisch betäubenden Genüssen zu vergeuden, vorzog, in das Leben, das ernste, hineinzuziehen, mit ihm zu wagen und zu streiten - wenn es länger nicht heuchlerisch Verrat an sich und an der Liebe beging, sondern floh - floh vor der Lüge und ihrem Wahn. [...] Unbeschreiblichen Nöten und Ängsten ist Louise Aston ausgesetzt gewesen. Das Ärgste aber, was ihr in ihrer äußeren Stellung widerfahren konnte, war die Verweisung der Hauptstadt, ihres bisherigen Aufenthalts. [...]
Es drängt uns unwillkürlich, die staatsgefährlichen Träume einer Frau, denen man in der Hauptstadt des mächtigen Königreichs Preußen eine so große Wichtigkeit beigelegt hat, näher kennenzulernen. Wir fragen daher: »Was mag dies Glaubensbekenntnis der Frau Aston Schlimmes enthalten haben, daß die Behörde durch dessen Feststellung genügende Beweismittel in die Hände bekam, um die Ausführung ihres Vorhabens zu begründen?« Nur aus der uns in ihrer kleinen Broschüre dialogisch mitgeteilten Unterredung bei der persönlichen Audienz, die sie vor dem Minister von Bodelschwingh erlangt hat, schließen wir, daß der hauptsächliche Anstoß, den Frau Aston gegeben hat, darin beruht, daß sie ihre religiösen Ansichten frei und laut geäußert. Nachdem S. Exzellenz ihr zuerst den Vorwurf gemacht, daß sie sich so »frivol« und außergewöhnlich benommen habe, daß man sich wundern müsse, wie sie es noch wagen könne, gegen ihre Verweisung zu protestieren nachdem sie einwendet, daß sie nicht wisse, was S. Exzellenz »frivol« nenne, stellt letzterer, ohne weiter auf eine Auseinandersetzung einzugehen, an sie die Frage: »Warum sie ihrem Glaubensbekenntnis voranstelle, daß sie nicht an Gott glaube?« Sie beantwortet dieselbe: »Weil sie nicht heuchle.«[...]
Warum ist solch Bekenntnis in dem Munde eines Weibes gerade so schwer verpönt? Warum soll dem Weibe die Wahrheit verhüllt bleiben, die Wahrheit, die das Erbteil unserer Zeit und die im Kampfe mit der Lüge beginnt, siegreich über sie zu erstehen? Warum erscheinen die Ansichten, die den Männern seit Jahrhunderten bereits angehören durften, einem Staate gerade bet» den Frauen so sehr gefährlich? Etwa weil sie die Macht der Verbreitung dieser Ansichten mehr denn jene in Händen haben und diese in 'Ihrer ausgedehnteren Verbreitung die heutige Weltund Staatsordnung zu erschüttern drohen? - Weil sie mit ihrem Herzblut den besseren Glauben an eine neue Menschwerdung nähren und in der folgenden Generation Euch das gesundere, freiere Geschlecht überliefern können, das sich nimmermehr zu fellen Sklaven knechten lassen wird? - Darum? - ja, darum-, weil die Wahrheit, von den Frauen getragen, als Siegerin hervorgeht, welche Throne und Altare der Tyrannen und Despoten stürzt. Weil die Wahrheit einzig uns frei macht und erlöst aus den Banden der Selbstverleugnung, aus den Fesseln der Sklaverei. Weil die Wahrheit uns befreit von dem trüglichen Wahn, daß wir dort oben belohnt werden für unser Lieben und Leiden, für unser Dulden und Dienen; weil sie uns zu der Erkenntnis bringt, daß wir gleichberechtigt sind zum Lebensgenusse wie unsere Unterdrücker; daß diese es nur waren, die die Gesetze machten und sie uns gaben, nicht zu unserm, nein zu ihrem Nutzen, zu ihrem Frommen. Weil die Wahrheit diese Gesetzestafeln zerschmettert, fortan als Siegerin dasteht und nimmerrnehr die gehetzte Flüchtlingin zu sein braucht, die überall anklopft und die nirgends herbergen kann. Weil dieser Wahrheit, sobald die Herzen der Frauen ihr gänzlich erschlossen sind, der ewige Hort bereitet und das Erbteil für die Menschheit errungen ist.
Und der Tag ist gekommen, wo sie an Eure Herzen anklopft. Öffnet sie weit, weit und nehmt teil an Eurem und Eurer Kinder Erbteil. Bleibt länger nicht die Betrogenen! Ihr bleibt es, wenn Ihr selbst nicht rnutig mit eignen Händen dessen Besitz ergreift. Mit We'hrauchduft will man Euer Sinnen umnebeln, mit glatten Worten Euch betören, in Blütenduft gehüllt Euch Märchen für schlichte Wahrheit darreichen. Geistvolle Sänger haben Eurem Wachen und Denken süßklingende Schlummerlieder vorzugirren, sie haben die Andacht auf der Stirn der Frauen in melodischen Klängen zu lobpreisen gewußt. Und diese Andacht! - ich sage Euch - ist nichts wie Heuchelei und Lüge im Glorienschein, daran Tränen der Entsagung, des Wehs und des Unglücks, ja Tränen der Not, des Grams und des Harms wie Diamanten zitternd funkeln!
Die Andacht, diese Heuchelei und Lüge im Glorienschein, hat das Weib zur Schwärmerin gemacht, und in ihr vergeudet es seine Glut - verträumt es seine Kraft, die unerlässig zum frischen, tätigen Leben ist. In der Andacht, dieser unbestimmten Sehnsucht des Geistes, hat es aufhören müssen zu denken - ach, dem Weibe war ja stets zu denken verboten - da hat es aufhören müssen zu prüfen das Gute, zu spähen nach dem Besten, hat es selbst aufhören müssen zu handeln! In blinder Ergebung hat es sich nur dem Zufall anheimgegeben. Und diesen »Zufall« nennt es die »weise Fügung eines Gottes«, dieses »blinde Ungefähr«, die »höhere Macht«, die da liebend über ihr walten soll!! Oh, tut die Augen auf und seht, wie man mit Euch gespielzeugt hat; ja, tut die Augen auf, da seht Ihr's stündlich, wie Ihr betrogen seid, wie in allem Widerspruch liegt, was man Euch lehrte und gebot. [...]
Was ich einfach und offen und in gedrängtester Kürze als mein Bekenntnis hier aussprach, es ist hundert- und abermals hundertmal von anderen gesagt worden; es ist aber nicht zu Euch hingedrungen, weil es in einer Sprache gesagt war, die nur Auserwählten verständlich und die gleichsam als Hohepriester im Tempel der Wissenschaft dastanden.
Uns ward eine »Auslegung« dieser Hohenpriester und Schriftgelehrten zuteil - aber das richtige, das einfache, klare Verständnis blieb uns vorenthalten! Wir alle sollten ins Heiligtum nicht eindringen und die Wahrheit erkennen, die nun auch die Herzen der Frauen mit Macht ergreift, und uns mit mutigen Händen den Vorhang zerreißen heißt. [...] Erringt Euch Überzeugung von der Wahrheit und durch sie helft rüstig das Werk für die Menschheit vorbereiten. - Wähnt nicht, Ihr Mütter und Frauen, ich lege ein zu großes Gewicht auf Euren Beistand! Wähnt nicht, ich habe mich von den herrschenden Zeitideen berauschen lassen, indem ich die Sorge um jenes erhabene Werk, die Mühen und Arbeiten für dasselbe Euren schwachen Frauenschultern mit aufbürde und die Lösung des Weltgeschicks mit Euch verkünde! Oh, seht Eure Säuglinge, Ihr Mütter, in Euren Armen ruhen! Wollt Ihr sie mit der Ammenmilch der Lüge fortan noch nähren? Wollt Ihr sie nicht an Eurer Brust schon mit dem gesunden Hauche des neuen geistigen Frühlings kräftigen und sie zum heiligen Empfange der vollständigen Wahrheit vorbereiten? An Euch liegt es, sie für die Wahrheit oder - für die Lüge empfänglich zu machen, an Euch, dem freien Vater den freien Sohn zuzuführen, damit er vollende, was und wie Ihr begonnen! - an Euch liegt es, Töchter zu erziehen, die keinen Sklaven jemals mit ihrem Lächeln beglücken werden!
Das >Gesetzbuch der bürgerlichen
Sittlichkeit<
[20]Nach dem Gesetzbuch der bürgerlichen Sittlichkeit ist es nicht schicklich für ein Mädchen, einem Manne mehr Neigung zuzuwenden, als er für dasselbe hegt; und zu lieben, wo man nicht in gleicher Weise wiedergeliebt wird, gilt als entschieden unweiblich und unanständig. Die konventionelle Sitte und Weiblichkeit sind gute Haushalter und gute Rechner, aber sie vergessen bei ihren Moralexempeln, es in Anschlag zu bringen, daß die schöne, glühende Begeisterung, die reine, liebende Verehrung eines bedeutenden und guten Menschen ihren Lohn in sich tragen und daß eine starke Leidenschaft trotz aller Qualen eine Erhebung und ein Glück ist.
Diese verschiedene Anschauungsweise hielt mich von dem weiblichen Teile meiner Familie fern. Mein Bruder fühlte sich von der Heiterkeit und Jugend der jüngern Schwestern lieblicher angesprochen als von mir. Mein Vater hatte sich seit Jahren gewöhnt, seine merkantilischen Angelegenheiten mit ihm durchzusprechen, der Freund und die Stütze der Mutter war er immer gewesen, und ich blieb mir also mit meinen »unberechtigten Ansprüchen«, mit meiner »Überspannung« und mit meiner »gemütlosen Verstandeskälte« augenblicklich mehr als in frühern Jahren selber überlassen, ich war und fühlte mich mehr als je zuvor allein.
Ich war dabei indes nur halb in meinem Rechte. Die Familie wie sie ist, kann nur ein Interesse haben: das Wohlbefinden und das bürgerliche Fortkommen ihrer einzelnen Mitglieder. Was diesen beiden Voraussetzungen entgegen ist, muß sie verwerfen und verwirft sie auch schonungslos. Daß ich mein Leben an eine hoffnungslose Liebe, mein Herz einem Manne hingab, der dies nicht gefordert hatte und es nicht durch seine Hand zu belohnen dachte, war mir immer als eine Torheit und eigentlich als eine Unweiblichkeit, ja oft schlimmer angerechnet worden. Jedes meiner Familienmitglieder hatte sich für ermächtigt und für verpflichtet gehalten, mir dies vorzustellen, und im Grunde waren alle recht wohl damit zufrieden, daß dieser romantischen Verblendung jetzt durch Heinrich selbst ein Ende gemacht worden war.
Wie häßlich, wenn man junge Mädchen
täglich auf der Straße sähe
[21]Man nahm also in der Familie an, ich würde eine alte Jungfer werden, und ich selbst war davon überzeugt. Mit sechzehn Jahren in die Gesellschaft eingetreten, kam ich mir und meinen Bekannten nicht mehr jung vor. Ich hatte neun Jahre in der Gesellschaft gelebt, neun Jahre auf den Bällen getanzt, es waren ein paar Generationen junger Mädchen und Männer an mir vorübergegangen, die ich als Kinder gekannt, während ich schon für erwachsen gegolten hatte. Meine Freundinnen hatten sich zum großen Teil verheiratet, sie waren die einen hübscher und vermögender, die andern nur auf ihre Versorgung bedacht gewesen, ich war übriggeblieben. [...] Mit fünfundzwanzig Jahren galt ich für alt und hielt ich mich für alt! Es war der Mangel an einem Lebensberuf, der das verschuldete.[...]
Daß ich mich als Schriftstellerin versuchen, daß ich mir als Übersetzerin eine Tätigkeit, einen Broterwerb und damit die Möglichkeit freier und völliger Entwicklung schaffen könne, daran muß ich wohl nie gedacht haben, denn ich erinnere mich nicht, in jener Zeit den geringsten derartigen Versuch gewagt zu haben. Mein Sinn war dafür zu gelähmt, es lagen auch solche Gedanken nicht innerhalb des Kreises, in welchem ich mich bewegte, und ich war wieder ganz und gar in das Familienleben und in die Ansichten meines Vaters eingebannt.
Mein Vater machte mir den Vorwurf, daß ich unberechtigte Ansprüche an das Leben erhebe. Meine Mutter, die sich sonst in dergleichen Verhandlungen mit mir nicht mischte, fühlte sich hier auf ihrem Grund und Boden und meinte, es sei traurig, daß mir der rechte Sinn für das Familienleben abgehe. [...] Man fragte mich, wonach ich denn eigentlich verlange. [...]
Ich befand mich also mit meinem Streben, mir selbst zu helfen, vor einer unübersteiglichen Schranke, denn mir standen in jener Zeit noch die entschiedensten Vorurteile meines Vaters entgegen. Der Satz, daß die Frau mit ihrem ganzen Sein und ihrem Tun unter allen Verhältnissen nur dem Hause und der Familie angehöre, war bei ihm so sehr überzeugungssache, daß ich sogar auf eine Mißbilligung stieß, als ich, nach meiner Heimkehr, den mir in Breslau zur Gewohnheit und zum Bedürfnis gewordenen täglichen Spaziergang machen und meine Schwester dazu mit mir nehmen wollte. Der Vater fand es »häßlich«, wenn man junge Mädchen täglich auf der Straße sähe [...].
Hätte man mich in jener Epoche mit einer bestimmten, mich geistig hinnehmenden und körperlich ermüdenden Arbeit, in meines Vaters Comptoir an eines seiner Pulte gestellt; hätte man mich, da ich leidlich zeichnete, an einen Lithographierstein gesetzt und mich arbeiten lassen, hätte man mir die Aufsicht über eine Erwerbschule, oder sonst etwas anvertraut, woran mein natürliches Talent zum Einrichten und Verwalten sich hätte geltend machen können, oder hätte mir ein wohlgeleitetes, auf einen absehbaren Zweck hinführendes Studium offengestanden, ich würde mir wie begnadigt vorgekommen sein. [...]
Was mir auch begegnet war, was ich Unbequemes, Peinliches, Schmerzliches zu ertragen und zu erleiden gehabt hatte, Rahel Levin hatte das alles gekannt, hatte das alles durchgemacht. [...] In jedem ihrer Jugendbriefe fand ich sie wieder, die Schilderung eines würdigen, liebevollen Familienlebens, das doch unter Umständen grade für den einzelnen durch dessen besondere Anlagen und Neigungen zu einer hemmenden Schranke und allmählich zu einer Quelle von Leiden werden kann, Kränkungen, Herzeleid, Liebesschmerzen, den Drang nach freier Entwicklung, sie hatte das alles gekannt, alles durchlebt, alles bestanden und überwunden durch das Festhalten an sich selbst und an der Wahrheit. [...]
Wenn ich, von den Vorurteilen meiner Umgangsgenossen eingeengt, nicht wußte, ob das, was mein.Gefühl mich zu tun antrieb, mit den allgemeinen Schicklichkeitsregeln in Einklang zu bringen sei und ob diese und jene sich herausnehmen würden, was mir unerläßlich dünkte, hielt ich mir Rahels Ausspruch vor. »Damit ein schlechtes Mädchen nicht dumm handeln kann, soll ein gutes eingeschränkt sein! Bewundern Sie die Institution, wenn Sie können.«
Meines Vaters immer wiederholter Ausspruch, daß die Frau nur für das Haus geboren sei, hatte doch so weit auf mich zurückgewirkt, daß ich niemals ernstlich an die Verwirklichung der Träume dachte, welchen ich mich trotzdem fortwährend überließ. [...]
Warum bin ich hier an diesem Platze? Warum in Verhältnissen, in denen alles, was ich als das Beste in mir erkenne, was ich in mir hegen und pflegen möchte, eigentlich ein überflüssiges, wenn nicht gar ein Lästiges ist? Warum wird mir anderseits ein Familienleben zuteil, das Hunderte mir beneiden mögen und das mich nicht mehr glücklich macht, aus dem ich mich fortsehne mehr und mehr?
Ich hatte keine Antwort auf diese Fragen.
Indes meinen Eltern mochte sich doch wohl durch diesen und mancherlei andere kleine Vorgänge die Idee aufdrängen, daß in mir ein Etwas vorhanden wäre, welches der Ausbildung wert, und daß ich eine Natur sei , der man vielleicht mehr Raum für ihre Entwicklung gönnen müsse. Gesund war ich nicht, heiter und zufrieden auch nicht, und mehr oder weniger waren es auch die Mutter und die Schwestern nicht mit mir. Sie hatten mich alle lieb, erkannten alle, daß in mir ei n ernstes Streben, eine ihnen überlegene Begabung vorhanden sei, aber die ganze Art meines Empfindens und Denkens, meine Anschauungen und Verlangnisse waren ihnen nicht angemessen, meine Unzufriedenheit, die ihre Ursache nur in geistigen Motiven hatte und sich also durch äußere Gewährungen nicht beschwichtigen ließ, mußte ihnen lästig sein.
Zum erstenmal spricht eine Frau sich öffentlich
über Gewissensfreiheit aus
[22]Das ganze Leben steht der Frau feindlich gegenüber, und es erfordert nicht nur moralischen Mut, es gehört Begeisterung für eine uns belebende Idee dazu, um allen Hemmnissen entgegenzutreten. [...] Seit der frühsten Jugend schien mir das Dasein nur eine Qual. Ich sah nichts darin als rohe, unzubändige Triebe. Das Leben widerte mich an, und nur der Tod schien mir für alle Erlösung. Und ich gestehe, derselbe Unwille, den ich gegen dei Religion empfand, welche ich als Hauptursache aller Verfinsterung betrachtete, denselben bitteren Groll nährte ich gegen das männliche Geschlecht, in welchem ich nur den Unterdrücker des weiblichen sah.
Alle Religionen des Altertums haben das Weib ausgeschlossen; alle haben das sittliche Prinzip der Gesellschaft verkannt; alle Religionen wurden daher von einer anderen mit Krieg und Mord verdrängt. Alle gesellschaftlichen Einrichtungen haben unbedingt das weibliche Wesen dem männlichen nachgesetzt; alle gesellschaftlichen Einrichtungen wurden durch barbarische Revolutionen gestürzt. Wir sehn einer neuen Entwicklung entgegen, der umfassendsten, welche je die Gesellschaft neu gestaltete. Alle Teile derselben harren einer Umgestaltung.
Welche Zukunft blüht dem weiblichen Geschlecht, dessen Eigentümlichkeit noch nie in ihrer wahren Bedeutung für die Gesellschaft erkannt wurde? Nicht eher wird die Menschheit einer harmonischen Fortentwicklung fähig werden, nicht eher werden jene rohen Triebe sich läutern und edleren Empfindungen Raum geben, bis man allen Teilen der Gesellschaft das Recht gestattet, sich auszusprechen, bis man auf alle Forderungen hört und alle gegeneinander abwägt. Doch die Zeit schweigender Gleichgültigkeit gegen eigne Berechtigung ist vorüber. Was Anerkennung verlangt, muß sich durch die Tat derselben würdig erweisen.
Ich betrachte mein heutiges Erscheinen in diesem Kreise, so unbedeutend es auch in diesem Augenblick sein mag, als eine Tat. Zum erstenmal spricht eine Frau sich öffentlich über das aus, was sie unter Gewissensfreiheit versteht; sie geht mit einem Beispiel voran.
Frauen, fordert gleiche Berechtigung
mit dem Mann
[23]Es wird in neuester Zeit an so manchen Verhältnissen gerüttelt, so manches Unrecht beseitigt, so mancher Unsinn und so manche Herkömmlichkeit abgeschafft; denn man ist überzeugt, daß ein tausendjähriges Unrecht noch keinen Augenblick recht, tausendjähriger Unsinn noch nie vernünftig gewesen ist und bindend sein kann, wenn sie für unzweckmäßig und ungerecht gehalten werden muß.
So wird von dem Parlamente an einem schon längst gefühlten Bedürfnis, nämlich besseren Gesetzen, gearbeitet und die alten, welche nicht mehr genügen, abgeschafft. Ein einfaches, allgemein verständliches Gesetzbuch ist eine herrliche Gabe Gottes, wenn es dem Boden der Gerechtigkeit und Menschenliebe entsprossen ist. Ein solches Gesetzbuch wäre doch wahrlich das würdigste und zweckmäßigste Oberhaupt des deutschen Volkes, denn es ist gerecht gegen jedermann, hat keine Launen noch Leidenschaften, und was das beste ist, es hat nicht fort und fort Gelüste nach Steuern und Abgaben.
Jedenfalls wäre es ein besseres Oberhaupt als diese zwei, drei oder gar fünfköpfige Mißgeburt, welche Gott sei Dank! leblos blieb.
Indem nun an der Gesetzgebung gearbeitet wird und so manche Wünsche und Bedürfnisse schon befriedigt sind, werfen wir auch einen Blick auf die ehelichen Verhältnisse und fragen: ob nicht auch hier eine Veränderpng nötig sei?
Viele Männer und Väter reden für ihre und ihrer Sbhne zukünftige Freiheit, sind aber Stiefväter für ihre Töchter, wenn sie nicht auch für deren Rechte und Freiheiten besorgt sind. Deshalb mögen es die Leser anhören, wenn sich eine Stimme erhebt zugunsten eines Geschlechts, zu welchem unsere Mütter gehören, die uns geboren, zu welchem unsere Töchter gehören, welche verlangen können, daß auch für ihre wie für ihrer Brüder Besserstellung gesorgt wird.
Wohl spricht man viel von Freiheit für alle, aber man ist gewöhnt, unter dem Wort »alle« nur Männer zu verstehen und muß mißtrauisch fragen: Ist auch das weibliche Geschlecht darunter begriffen, oder soll dieses jetzt, wo jeder edle Mensch, nach einer bessern Zukunft strebend, sich gehoben fühlt, soll dies Geschlecht jetzt darben? - Wie! darben? höre ich viele ausrufen. Nimmt es nicht teil an allen errungenen Gütern? Wohl, und dennoch genießt es nur die Brosamen, die von des reichen Mannes Tische fallen. Es ist den Frauen im Leben ein kleiner Wirkungskreis angewiesen, anscheinend klein und unbedeutend, und doch von großem Einfluß auf das Wohl und Wehe der Menschheit; denn ihnen ist die Kinderwelt anvertraut, sie legen das Fundament zum Leben der künftigen Generation und haben in den Herzen der Kinder einen fruchtbaren Acker, auf den sie säen können, sowohl guten als bösen Samen für die Zukunft.
Fraget aber die Gesetze des Landes, welche Stellung den Frauen in diesem häuslichen Kreise eingeräumt ist, und sie werden uns sagen- Sie leben nach gesetzlichen Bestimmungen gegenüber ihren Männern in einem ehrlosen Zustande, sie sind, wenngleich volljährig und ehrenhaft, unter die Unmündigen und Mundlosen gezählt (Landrecht, Satz 1124); sie sind mundtot im ersten Grade den Verschwendern, die zur Mundtotigkeit reif sind (Satz 513), gleichgestellt, also bezüglich ihrer Rechte gleich Leibeigenen ein Null und Nichts, wenn sie nicht durch besondere Verträge sich gegen solche Gesetze zu schützen suchen.
Ja selbst diese Verträge können nicht an Gleichstellung reichen, denn das Landrecht sagt Satz 1388:
»Kein Vertrag darf die Rechte schmälern, die zu der Gewalt des Mannes über die Person der Frau und Kinder gehören.« Alle Rechte, welche man den Frauen einräumt, sind nur Scheinrechte, nur ein Schatten von dem Rechte, welches der Mann besitzt. Der Vermählungsakt ist sonach für das Weib nichts als eine Mundtotmachung während der Zeit des ehelichen Lebens, und leider müssen so manche Frauen im Laufe dieser Zeit bitter empfinden, daß nicht der Schutz, sondern der Druck der Gesetze ihnen zuteil geworden ist.
Kaum hat eine Frau das schwere Werk, die Geburt eines Kindes, vollendet, so nimmt der Mann gesetzlich alle Rechte an dasselbe in Anspruch. Es trägt den Namen des Vaters, denn die Frauen müssen den Namen des Mannes annehmen, haben nicht das Recht, ihren Familiennamen beizubehalten und die Kinder ihres Geschlechts nach ihrem Namen zu nennen; ja es ist ein Kind, das seiner Mutter Namen trägt, ein entehrtes Kind. Eine Frau, welche durch unwürdige Handlungen eine Ehescheidung herbeigeführt hat, verliert bei ohnehin geschärfter Strafe (Satz 298) noch den Namen des Mannes (Satz 299). Sie muß also den Namen ihres Vaters schänden in diesem Falle. Wie aber, wenn sich an den Namen des Mannes solche Handlungen knüpfen, welche eine Ehescheidung zur Folge haben, wer erlöst dann die Frau von dem übel eines schlechten und gebrandmarkten Mannes? Zu was eigentlich dies alles? Man lasse den Frauen ihren Familiennamen, verbunden mit dem Recht, die Kinder ihres Geschlechtes nach ihrem Namen zu nennen, und den Männern ihre Titel. Nach dem Grundrecht Artikel 2 Seite 7 sind alle Titel, welche nicht mit dem Amte verbunden sind, abgeschafft. Es haben die Frauen kein Amt, also gebühren ihnen auch keine Titel.
Könnte nicht jede Familie, sowie sie aus zwei Geschlechtern, oft aus zwei Religionsbekenntnissen besteht, jedes Geschlecht seinen besonderen Familiennamen, die Söhne den des Vaters, die Töchter den der Mutter tragen?
Könnte es nicht jedem Vater besser gefallen, wenn seine Tochter den Namen seiner Frau fortbehält, als daß sie sich nach einem vielleicht sehr mißliebigen Tochtermann nennen muß und er noch obendrein Gefahr läuft, seinen Namen geschändet zu sehen, wenn seine Tochter, nachdem sie dem Elternhause entlassen ist, durch unwürdige Handlungen eine Ehescheidung herbeiführen müßte? Die gesetzlichen Bestimmungen haben freilich gesorgt, daß der Männer Name nicht so bald der Entehrung preisgegeben ist; es ist denselben vieles erlaubt, wofür die Frauen hart gestraft werden. Wißt Ihr denn, Ihr lieben Frauen, daß, indem Ihr Euch Treue von Euren Männern geschworen glaubt am Altare, das Gesetz hohnlachend hinter Eurem Rücken sie derselben entbindet? denn das Gesetz verbietet ihnen nur, im eigenen Hause oder in der Nähe desselben eine Hure (Konkubine) zu halten (Satz 230). Dazu ist noch die Nachfrage nach dem Vater eines unehelichen Kindes verboten (Satz 340) und somit das Ruhekissen der Sünde recht einladend aufgelockert. Nur schade, daß das Gewissen, dieser Engel des Herrn, allen Menschen gesandt, sich mit strafendem Ernste dazwischenstellt und den Sündern zuruft: »Die Hurer und Ehebrecher wird Gott richten.«
Das Kind folgt der Religion des Vaters, obgleich es die Mutter ist, welche demselben durch Erziehung die ersten Begriffe von Religion beibringen soll, an deren Hand es zuerst zur Kirche geführt wird. Der Vater übt während der Ehe alle elterliche Gewalt (Satz 373). Durch diesen Satz ist alle mütterliche Gewalt während dieser Zeit aufgehoben, und alle sogenannten Rechte lösen sich in ihr Nichts auf. Nur mit des Vaters Erlaubnis darf ein Kind das Elternhaus verlassen (Satz 374); nur ein Vater hat das Recht, ein Kind bürgerlich strafen zu lassen (Satz 375) und die Zeit der Einsperrung zu bestimmen (Satz 379). Es ist demnach ein denkbarer Fall, daß ein böswilliger Eheherr mit seinem ungeratenen Kinde gemeinschaftliche Sache machen kann, seine Frau zu quälen. Zwar erlaubt man einer Witwe, in Form eines Ansuchens, ihr mißratenes Kind einsperren zu lassen, jedoch nur unter Mitwirkung zweier Anverwandten des verstorbenen Mannes (Satz 381). Traut man dem Mutterherzen mehr Härte als dem Vaterherzen zu? Ist überhaupt die Entfernung aller mütterlichen Gewalt nicht eine schnöde Ungerechtigkeit, eine unwürdige Herabsetzung der Mutter gegenüber ihren Kindern, besonders in Fällen, wo die Frau achtbar, der Mann dagegen ehrlos ist? Warum sind Blutverwandte weiblichen Geschlechts (als Schwestern) im Familienrate, also in Familienangelegenheiten, nicht zulässig und den angeheirateten männlichen Verwandten nachgestellt? (Satz 408 und 442.) - Bei Heiraten der Kinder genügt die Einwilligung des Vaters, wenn die Eltern verschiedener Meinung sind (Satz 148); es ist also völlig gleichgültig, ob die Mutter einwilligt oder nicht. Bei Lebzeiten des Vaters hat die Mutter nie das Recht, Heiratsansprüche gegen eines ihrer Kinder zu tun (Satz 143).
Eine Frau hat nicht Stimmrecht bei Veränderung des Wohnsitzes (Satz 214), selbst nicht bei solchen Verhältnissen, wo die Existenz aus gemeinschaftlichem Grundeigentum gezogen wird. Sie hat nicht das Recht, vor Gericht zu stehen, ohne Ermächtigung des Mannes (Satz 215), Eheklagen ausgenommen; hat nicht das Recht, selbst bei Güterabsonderung, ihr Eigentum zu verändern, noch zu verkaufen, ohne Bewilligung des Mannes (Satz 217), darf ebensowenig eine ihrer Person zufallende, auch nur kleine Erbschaft gültig in Empfang nehmen, Satz, 776). Es wirkt selbst die Gewalt des Mannes noch nach dessen Tode fort, indem derselbe (Satz 391) das Recht hat, bei Lebenszeiten seiner Frau seinen unmündigen Kindern einen Vormund beizuordnen und die Handlungen zu bestimmen, welche seine Frau allein vornehmen darf. Nicht so die Frau, wenn sie gleichwohl einsieht, daß sie ihre unmündigen Kinder in den Händen eines leichtsinnigen Vaters zurückläßt. Ja selbst von einem an Leib und Ehre gestraften, von ihr getrennten Ehemann muß sie sich noch bevormunden lassen, einerlei ob sie großjährig und ehrenhaft ist oder nicht (Satz 221). Eine Frau kann sich zwar von der Behörde ermächtigen lassen, allein es hängt dann von den Launen des Richters ab, ob sie Herr ihres Eigentums sein darf oder nicht.
Ich höre noch die Klagen einer von ihrem Manne getrennten Frau, welche in dem Hungerjahre 1846 bis 1847 ein Stück ihrer Güter veräußern wollte, um ihr und ihrer Kinder Leben zu fristen; allein ihr Mann gab dies aus Böswilligkeit nicht zu, und das Gericht wies sie darum auch mit ihrem Verlangen ab. Sie war nicht reich genug, um sich die Gunst der Richter zu erkaufen. Eine Frau muß sogar dann um die Ermächtigung der Gerichtsbehörde nachsuchen, wenn sie der Gemeinschaftsgüter bedarf, um ihren Mann aus dem Gefängnis zu befreien oder in Abwesenheit des Mannes ihren Kindern eine Versorgung zu verschaffen (Satz 1427). Hat nun auch eine Handelsfrau das Recht, unter gewissen Umständen ihr Vermögen wegzuziehen (Satz 228), so kann dies nur bei größern Geschäften geschehen, dies meist mit Einverständnis des Mannes, und dann ruht dieses Recht gewöhnlich auf einer Ungerechtigkeit, nämlich auf dem Nachteil der Gläubiger. Dagegen verfügt der Mann allein über das Gemeinschaftsverrnögen. Er kann ohne Einwilligung der Frau verkaufen, verändern und verpfänden (Satz 1421). Er hat die Verwaltung alles eignen Vermögens der Frau (Satz 1428). Er kann alle Rechte der Frau auf Besitz oder fahrende Habe allein gerichtlich austragen (Satz 1428). Wohl kann sich die Frau ermächtigen lassen, den Rechtsstreitigkeiten in ihren Angelegenheiten beizutreten, d. h., wenn der Mann so geneigt ist, ihr mitzuteilen, was er in ihren Angelegenheiten unternimmt, und die Behörde sich bewogen fühlt, sie zu ermächtigen. Der Mann allein verfügt über die ehesteuerlichen Güter während der Ehe. Er allein hat das Recht, die Schuldner und Besitzer derselben zu belangen, die Zinsen und Früchte davon zu erheben und die Kapitalien in Empfang zu nehmen (Satz 1549). Der Mann ist nicht schuldig, für die Ehesteuer Sicherheit zu stellen, wenn er es nicht versprochen hat (Satz 1550). Stimmrecht bei Verwendung des Vermögens des Mannes hat eine Frau nach oben Gesagtem natürlich nicht, wohl aber die Pflicht, nach dessen Tode oder eingetretener Vermögenslosigkeit die Kosten der Kindererziehung und der Haushaltung zu tragen (Satz 1448). Wo bleibt aber ein Recht oder ein Unterpfand für den Satz 1428, nach welchem der Mann haften soll für jeden Abgang der eignen Güter der Frau, wenn er das seine nach Belieben verwenden darf? Soll sich eine Frau dann an das Sprichwort halten: »Wo nichts mehr ist, hat der Kaiser das Recht verloren?« Oder soll eine liebende Mutter vielleicht dafür die tröstende Aussicht hinnehmen, daß sie im Armutsfalle ihre Kinder der Gemeinde aufbürden kann, von welcher sie dann, gewiß sehr menschlich, an den Wenigstnehmenden versteigert werden, wie dies noch häufig geschieht?
Nach oben Gesagtem ist es kein Wunder, wenn Fälle vorkommen, wo verschwenderische Männer, in Gütergemeinschaft lebend, Frau und Kinder an den Bettelstab bringen, wenn Fälle vorkommen, wo der Mann den größten Teil der Einnahme seinen Leidenschaften opfert und die Frau oft nicht weiß, mit was sie den Hunger ihrer Kinder stillen und ihre Blöße bedecken soll, und sich noch obendrein gefallen lassen muß, wenn Gläubiger und Auspfänder sich mit dem bezahlt machen, was sie als Mitgabe aus der Hand ihrer Eltern erhielt. Kein Wunder, wenn Fälle vorkommen, wo der gewissenlose Mann seine Allgewalt benutzt, verkauft und verpfändet und mit dem Erlös sich in einem andern Welttell ein bequemeres Los verschafft, Frau und Kinder samt den Schulden zurücklassend. - Wie gefällt es Euch, Ihr Väter, die Ihr unter Arbeit und Sorgen ringt und schafft, um Eurer Tochter einige Existenzmittel mitgeben zu können? Wie gefällt Euch, ihr Mütter, die Ihr nimmer ruht noch rastet, bis die Aussteuer Eurer Tochter gesponnen und anständig zugerichtet ist, wenn Ihr sehn müßt, wie bald hier ein Tochtermann dem Trunke, dort einer dem Spiele, ein anderer sogar seinen Mätressen das opfert, was Ihr durch Sparsamkeit und Entbehrung errungen?
Gegen eine nichtswürdige Frau sind dem Manne, kraft des Gesetzes, die Waffen in die Hand gegeben, sich zu schützen, und es ist seine eigne Schuld, wenn er dieselben nicht benutzt. Ja, selbst das Faustrecht spukt noch häufig bei ungebildeten Leuten, und manche Frau trägt, als Zeichen der Leibeigenschaft und Sklaverei, zur Ehre des Mannes die blauen Flecken am Leibe, welche ihr gestrenger Eheherr für ein oft unbedeutendes Vergehen ihr beigebracht hat.
Ihr Frauen seid verpflichtet, allenthalben mitzuleiden, zu dulden und auszuhalten; es ist eine heilige Pflicht, folget ihr gerne, aber fraget auch nach Euren Rechten, oder wollt Ihr, als des deutschen Michels würdige Schwestern, zusehen, wie sich der Nacken so mancher Frau beugen muß unter den Streichen ihres gewaltigen Eheherrn? Ihr, die Ihr das Glück habt, mit gerechten und liebevollen Gatten verbunden zu sein; die Ihr in Gemeinschaft mit denselben in Treue und Liebe wirkt für das Wohl Eurer Kinder wie der Gesamtheit, Ihr bedürfet der menschlichen mangelhaften Gesetze nicht, aber vergesset nicht, daß viele Eurer unglücklichen Schwestern, gekettet an tyrannische, verschwenderische und oft sittenlose Männer, unter dem Drucke der Gesetze vielfach leiden müssen. Laßt Euch nicht irremachen durch das Gespötte so vieler, welche die Emanzipation der Frauen (Befreiung aus sklavischen Verhältnissen) dadurch ins Lächerliche zu ziehen suchen, daß sie weibliche Subjekte als emanzipiert anführen, welche sich bei Trinkgelagen durch Rauchen und Zotenreißen hervortun. Es hat jeder Stand und jedes Geschlecht seine Auswüchse, aber man darf wahrlich das nicht in eine Linie bringen, was achtbare Frauen als heilige Menschenrechte verlangen können.
Fordert durch Petitionen seinerzeit in würdiger Haltung gleiche Berechtigung mit dem Manne im häuslichen Kreise, daß Euch dieser kleine Kreis nicht verkümmert werde, daß man Euch nicht als Leibeigene behandle, sondern daß die gesetzlichen Bestimmungen Euch als freie Menschen betrachten sollen. Es ist genug, daß jeder Tag und jedes Jahr seine eigene Plage hat. Hütet Euch wohl, auf dem Wege der Gnade zu erbetteln, was Euch die Gerechtigkeit nicht versagen kann. Erwartet nichts von den Pietisten; sie werden sich, empört über diese weibliche Anmaßung, auf die harten Aussprüche ihres Lieblingsapostels Paulus berufen, welcher von dem Weibe sklavische Furcht und Untertänigkeit verlangt; Aussprüche, die nie aus dem Munde Jesu, des liebevollen und gerechten Erlösers, ganz besonders für das weibliche Geschlecht, gekommen sind; denn »Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die völlige Liebe treibet die Furcht aus, denn die Furcht hat Pein, und wer sich fürchtet, der ist nicht völlig in der Liebe,« (Joh. 4, V. 18).
Wie könnte auch der, der einst das ehebrecherische Weib ihren ehebrecherischen Ankläger gleichstellte, indem er zu diesen sagt: »Wer von Euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie«, wie könnte der Aussprüche tun, welche die eine Hälfte der
Menschheit den Launen und Leidenschaften der andern Hälfte preisgibt!
Die Grundrechte des deutschen Volks sind bereits entworfen; im Fall ihrer ungeteilten Verwirklichung wird wohl im Laufe der weitern Verhandlungen ein Zweig derselben die ehelichen Verhältnisse berühren, es wird sich dann zeigen, ob die Gerechtigkeit und Nächstenliebe oder die Selbstsucht und Eigenliebe siegen. Haben die Frauen gleich nirgends Sitz noch Stimme, so können sie doch um so mehr von dem bessern Teil der Männer erwarten, daß sie auch für ihre Besserstellung reden und wirken; sie werden nicht vergessen, daß jeder Mann ein lebendiger Beweis ist, daß eine Frau um ihn gekämpft, gelitten, ja vielleicht ihr Leben zum Opfer gebracht hat. Es wäre darum eine Schmach für alle edeldenkenden Männer, würden sie nicht redlich mithelfen, daß die Frauen auch der beglückenden Freiheit in allen Verhältnissen teilhaftig werden, sonst müßten die Frauen ihre Sklavenkette von Generation zu Generation hinüberschleifen.
Gewalt ist ihre Sache nicht, mittelst äußerer Waffen können sie ihre Rechte nicht erringen. Nur allein von der ewigen Gerechtigkeit und Liebe können sie Hülfe erwarten; sie wird auch an ihnen zur Wahrheit werden. Möchte bald in Erfüllung gehen, was Eisenstuck[10] aus Sachsen so schön in folgenden Worten ausruft:
»Lassen Sie die aufgehende Sonne Deutschlands leuchten durch alle Winkel und düstern Schluchten, lassen Sie allenthalben jeden Unterdrückten, in seinen Rechten Zurückgesetzten fühlen, daß er in der Vertretung einer Nation von 40 Millionen eine Stütze habe.«
Das Recht ist von Männern erfunden
[24]»Das Recht ist von Männern erfunden; man lehrt sie es deuten und anwenden; unwillkürlich kommt es ihrem Vorteil zugut. Männer dürfen ja alles tun, alles wissen, alles lernen. Sie sitzen zu Gericht und entscheiden, wie Gott selbst, über die Seelen und über Leben und Tod. Sie stehen auf der Kanzel zwischen der Menge, an Wiege und Grab bei dem einzelnen und verteilen Himmel und Hölle. Sie verteidigen das Vaterland, sie umschiffen die Welt - und wir ... wir sehen zu! - Oh, ich hasse sie!«
»Weil sie Dinge tun, die den Frauen unmöglich sind? wie ungerecht!«
»Unmöglich? - schickt die Mädchen auf die Universität und die Knaben in die Nähschule und Küche: nach drei Generationen werdet ihr wissen, ob es unmöglich ist, und was es heißt, die Unterdrückten sein.«
»Also wenn ich zugeben könnte, daß eine solche Umwandlung der Natur durch Erziehung und Bildung hervorzubringen sei, so würden Sie zugeben, daß die Frauen ihre Oberherrschaft mißbrauchen würden?«
»Ganz gewiß, Herr von Ohlen! sie haben alle Fähigkeiten der Männer.«
Gott, wie komisch sind die Männer
[25]Ja gewiß! Der Mann muß herrschen und die Frau gehorchen - dazu ist sie geboren«
»Gott« rief Faustine, »wie komisch sind die Männer! Ganz ernsthaft bilden sie sich ein, der liebe Gott habe unser Geschlecht geschaffen, um das ihre zu bedienen!«
»Zu beglücken!« verbesserte Walldorf.
»Das kommt euch gegenüber auf eins heraus! Der gute Gott schuf nicht das Lamm, damit der Wolf es reisse; und nicht die Fliege, damit der Vogel sie erschnappe - sondern Lamm und Fliege, weil sie in seine Schöpfung gehören und auch ihre Lust am Leben haben sollen. Und die eine Hälfte des Menschengeschlechts wäre geschaffen, damit die andre sie brutalisiere!«
»Welch ein Ausdruck...«
»Ihr wollt winken, und wir sollen kommen - ein Wort sagen, und wir sollen anbeten lächeln, und wir sollen auf die Knie fallen - zürnen, und wir sollen verzweifeln - alles auf allerhöchsten Befehl, den ihr von Gottes Gnaden dekretiert. Was ist das anders als uns brutalisieren? - Ich frage. Das ist euch schon zur Natur worden! In diesem Sinn richtet ihr die bürgerlichen Verhältnisse ein, erzieht ihr die Kinder, schreibt ihr Bücher. Himmel! wenn ich neuere Romane aufschlage, besonders französische, was erdulde ich für Ärger! In ewiger Anbetung, wie der Pater Seraphicus im Faust, schweben die Frauen vor ihren Geliebten, und die lassen es sich gnädig, zuweilen auch ungnädig, gefallen. Könnt' ich nur Bücher schreiben - Ich kehrte das Ding um und brächte den guten alten Sprachgebrauch, der jetzt ganz widersinnig ist: >Er ist ihr Anbeter< wieder zu Ehren. Ich werde es auch gewiß noch tun, nur um meiner Empörung Luft zu machen, und vielleicht gibt mir der Ärger liebliche Inspirationen.«
»Willst du denn, daß die Frauen das Regiment führen?« fragte Adele.
»Nein, ich will nur, daß die Männer mit ihnen umgehen wie mit ihresgleichen und nicht wie mit erkauften Sklavinnen, denen man in übler Laune den Fuß auf den Nacken stellt und in guter Laune ein Halsband oder ähnlichen Plunder hinwirft. Das demoralisiert die Frauen, es stumpft ihr Zartgefühl ab. Heut lassen sie sich eine Brutalität gefallen, um dafür morgen einen neuen Hut zu bekommen. Ich war einmal bei einer Freundin, ihr Mann kam von der Jagd heim, sehr verdrießlich, weil die Schnepfen sich nicht hatten wollen schießen lassen. Er warf sich aufs Sofa und kommandierte: >Charlotte!< - Sie stellte sich. >Knöpfe die Kamaschen ab!< Große, schwere, plumpe, beschmutzte, lederne Kamaschen! Sie tat es. Hernach sagte ich ihr: >Ich war recht verwundert, daß du nicht den Bedienten riefst.< - Sie antwortete: >Das hätte meinen Mann noch verdrießlicher gemacht, und er würde mir nicht den Gefallen tun, meine Rechnung bei dem Juwelier zu bezahlen, was ganz notwendig ist.< - Ich rief: >Du bist ja wie Esau, verkaufst dein Erstgeburtsrecht für ein Linsengericht!< Diesen Vergleich mit Esau hat sie mir, beiläufig gesagt, nie vergeben. Aber diese Behandlung verdirbt die Frauen so, daß, wenn der Mann spricht: >Ich habe Kopfweh, bleibe doch heute abend zu Hause< - so entgegnet sie: >Sehr gern, allein dafür bekomme ich doch dies oder das?<«
Eheliches Gespräch 1
[26]»Du hast ein Naturell wie ich mir die Wilden vorstelle, immer frisch, immer munter, immer bei der Hand - du beneidenswertes Naturkind, du!«
»Ja, so bin ich nun einmal geschaffen«, entgegnete Cornelie gleichgültig.
»Aber Erziehung, Umgebung und Verhältnisse unterstützen eine solche Beschaffenheit oder untergraben.«
»Ich würde doch versuchen, mich gegen das Untergrabenwerden zu wehren«, sprach sie nachdenklich.
»Und womit denn das, meine Nymphe?« fragte Eustach und umschlang sie.
»Mit meinem Willen!« rief sie.
»Halte-là! der Wille ist eine sehr gute Sache; indessen muß eine Frau ihn doch nur mit Maß üben. Der eigne Wille der Frau ist der Tod der Liebe und des Glückes des Mannes.«
»Ich meine keinen eigenen, nur einen freien Willen, lieber Eustach.«
»Und wie unterscheidest du den so fein?«
»Ich bin in Knechtschaft des eignen Willens; der freie Wille gehorcht mir.«
»Hm! das ist gar nicht übel ... Ist recht subtil, allzu subtil fast ausgedacht. Also du denkst bereits?«
»Wie sollt' ich nicht denken? bin ich nicht Mensch?«
»Freilich, Liebchen, freilich bist du das ... aber nur beiläufig; hauptsächlich bist du Weib. Mensch, siehst du, ist ein ganz abstrakter Begriff, eine theoretische Person ohne Basis in der Wirklichkeit, ohne praktische Nutzanwendung auf anerkannte Zustände. Man muß sein Mann oder Weib, Beherrscher oder Diener, immer das, wozu man durch Organisation, Bedingungen und Verhältnisse bestimmt wird. Ein Mensch ist aber zu nichts bestimmt noch bestimmbar. Er repräsentiert in der Schöpfung nur die Klasse der mit Bewußtsein ausgestatteten Geschöpfe... Aber weshalb, Liebchen, denkst du eigentlich? Frage doch mich! das klärt dir das Köpfchen auf und unterhält mich mehr, als ich es sagen kann!«
»Eustach! wie bist du gut! wie bist du liebenswürdig!« rief Cornelie in seinen Armen.
Der Mann ist die Sonne, um die sich das
Planetensystem der Familie dreht
[27][Eustach zu einem Freund:]
»Opfer ist der Mittelpunkt in der Existenz des Weibes ... des guten, unverdorbenen Weibes! die Männer sind nun einmal alle! mehr oder weniger alle! geborne Egoisten, und man darf ihnen das bei Gott nicht zum Vorwurf machen, denn es geht aus der Natur ihres Verhältnisses zum Weibe hervor. Der Mann ist die Sonne, um die sich das Planetensystem der Familie dreht. Er schafft die Familie, er gibt ihr einen Namen, ein Recht, eine Stellung, ein Ansehen. Was die Frau gilt, gilt sie nur durch ihn, denn sei sie schön wie Venus, klug wie Minerva, reich wie Rothschild - wenn sie keinen Mann hat und eine alte Jungfrau wird, so gilt sie dennoch nichts. Dem Haupt der Familie gebühren andre Rücksichten, eine andre Handlungsweise, ein höheres Selbstvertrauen, ein ganz, aber ganz anderer Maßstab! Sehen Sie, aus diesem Bewußtsein entspringt das, was wir Egoismus nennen, lieber Fürst.«
Unterwürfig sei das Weib,
gottesfürchtig und stumm
[28]»Eine Bedingung der Natur ist die Berechtigung des Individuums zu seiner Selbstbestimmung und Selbstentwicklung: das ist Freiheit. [...] Die Weiber, unter strenger Vormundschaft gehalten, sind natürlich Sklavinnen, in Masse, ohne Bewußtsein - wie das die moderne Schablonenerziehung mit sich bringt, bei der abermals das Prinzip der Unberücksichtigung des Individuums vorherrscht; denn in die Form! in die Form! muß das Wesen passen. Das negative und passive Naturell der meisten Weiber macht, daß sie sich in in die Form zu schicken und zuweilen anmutig, bequem und friedfertig darin zurechtzusetzen wissen. Unterwürfigkeit hat man ihnen so lange als höchste Tugend vorgepredigt, daß die einen mit stiller Resignation, die andern im Gefühl ihrer Ohnmacht sich den allgemeinen gültigen Gesetzen [...] unterwerfen. [...] Daß Tausende dabei unermeßlich elend sind, sich abarbeiten im öden Tun, in schnöder Zerstreuungssucht, im bangen Herumtappen nach künstlichem Wirkungskreise, und doch dabei zu keiner Ruhe, zu keiner innern Befriedigung kommen - liegt klar vor unsern Augen. [...]«
»Aber auf der Entwicklung innerhalb der eingebornen Grenzen des Individuums, sei es Mann oder Weib, beruht der Fortschritt der Menschheit; denn einzig und allein Hand in Hand mit ihr kann der Mensch zu jener inneren Befriedigung gelangen, die zugleich sein Lohn, seine Ehrenkrone, seine Bestimmung ist. Sehen Sie, wie dies Bewußtsein sich überall regt! sehen Sie, wie man s) ch der Unterdrückten, der Beeinträchtigten annimmt? für die Polen, für die Irländer, für die Negersklaven, für die Juden sinnt man auf Herstellung ihres Rechts und auf Gleichstellung.
Wer denkt an die Frauen? Niemand!
So müssen sie denn selbst an sich denken - und das, und das allein führt zum besten Resultat.« [...]
»Die Frauen befinden sich jetzt den Männern gegenüber genau in dem Verhältnis des Tiers-état[11] zu der alten Aristokratie vor der Französischen Revolution. Sie fühlen ihre Kräfte, sie fangen an, sich dunkel ihrer Rechte bewußt zu werden; mit der Erkenntnis der eigenen Zustände geht Forschung nach fremden Hand in Hand. Forschung erzeugt Nachdenken, und das erweitert den ganzen Horizont dermaßen, daß mit ihm ein Firmament voll Gestirne über den Geist anbricht, der bis dahin über dem öllämpchen des Angelernten und der Angewöhnung dumpf zusammengekrümmt gesessen hat.« [...]
»Nun«, fragte Cornele ihren Gesprächspartner, »werden Sie uns das in Zukunft gönnen?«
»Ihnen? O gnädige Gräfin, eine Welt voll Frauen wie Sie - und die Männer liegen vor ihnen im Staube!« rief Leonor.
»Das wäre das Albernste, was die Männer tun könnten!« entgegnete Cornelie lachend. »Die Welt hat Raum genug, um zu gestatten, daß Männer und Frauen hübsch aufrecht nebeneinander stehen und einhergehen können. Die mittelalterliche frivole Vergötterung von Frauen ist mir ein Greuel.
Ich habe auch die vollkommene Überzeugung, daß das Christentum keineswegs den günstigen Einfluß auf den Zustand des weiblichen Geschlechts geübt habe, welchen man ihm beizumessen pflegt und welches es hätte haben können - und ich glaube wirklich aus keinem andern Grunde, als weil man ein bißchen pfäffisch den blinden Heiden nichts Gutes gönnen mag. In der alten germanischen Zeit hatte es die Frau viel besser als in unserer modernen; sie war eine Freie, so gut wie der Mann. Sie durfte die Waffen führen und als Schildjungfrau gleich dem Jüngling auf Abenteuer ausziehen. Sie durfte in der Volksversammlung ihre Stimme geben, und oft folgten ganze Völker der Seherin. Sie war die unumschränkte Herrin des Hauses und in dessen wichtigen Angelegenheiten fragte sie durch geheime Zeichen und Lose die Götter um Rat und wurde als ein mit den Göttern vertrautes Wesen voll Andacht verehrt. Mit leerer Hand trat die Braut in das Haus des Gatten; er gab ihr als unabhängiges Eigentum die Morgengabe. - Wo finden Sie für dies alles ein Aquivalent in unserer gebildeten, christlichen Zeit? Auf leidendes Dulden ist ihr Platz in der Gesellschaft berechnet. Eine Frau, die jedes Unrecht, jede Härte, jede Verletzung mit Sanftmut erträgt, die weder Groll noch Erbitterung in sich aufkommen läßt und immer dem Willen des Gatten nachgibt - das ist die beste Frau! eine ganz vortreffliche, eine höchst tugendhafte, ach welch eine fromme Frau! Ich behaupte, daß die Frauen mit diesen Maximen gründlich verdorben werden, denn - sie lernen heucheln und werden sklavisch niedrig gesinnt. Gleich und gleich: so müssen sich die Geschlechter gegenüberstehen und in einem Gleichgewicht, welches aus der sittlichen Basis der Selbstbestimmung und Selbsterkenntnis entspringt, den Vertrag der Ehe miteinander schließen - woraus hervorgeht, daß nicht alles dulden, nicht alles verzeihen, nicht alle Selbständigkeit im Handeln und Denken aufgeben ihre heilige Pflicht wird.«
»Mir scheint, daß Sie gar keine Ahnung von der Eigenschaft haben können, die Treue heißt«, unterbrach er sie.
»Doch!« entgegnete sie ernst, »ich such mir selbst treu zu sein. Ich muß mich durch die Welt hindurchbringen, so frei wie möglich; ich muß mein innerstes Wesen entfalten, so reich wie möglich - das ist mein Streben. Noch ist viel Unentwickeltes, viel Unfreies in mir wenn ich das je vergessen könnte, so wäre ich mir selbst untreu,« [...]
Hat die Frau einen Willen? darf sie ihn haben, ihn äußern? Von der Wiege an wird er gebrochen, unterdrückt, wird sie geübt in Fügsamkeit und Nachgiebigkeit, werden ihr diese Tugenden als die vorzüglichsten ihres Geschlechts gepriesen, und anmutige Geschmeid'gkeit wird ihr als die höchste Grazie zugerechnet.
Eheliches Gespräch II
[29]»Vor drittehalb Jahren sprachst du zu mir: Ich habe unrecht, verzeih mir! Und freudejauchzend, die flüchtige Schwäche gar nicht in Anschlag bringend, schloß ich dich in meine Arme und deckte mit meiner grenzenlosen Liebe dein Unrecht zu«, entgegnete Cornelie. »Abermals, vor wenigen Monaten, sprachst du: ich habe unrecht, verzeih mir! Und ich, unfähig, eine solche überdachte Lüge, eine so planmäßige Heuchelei zu ahnen, ich schloß dich in meine Arme, nicht freudetrunken mehr, aber immer mit derselben tiefen Liebe, die mächtig genug war, um all meine Ängste und meine warnende Wehmut zu übertäuben. Du aber, zum Dank für dies jetzt mir selbst unbegreifliche Vertrauen, gingest aus meinen Armen in die Arme einer anderen Frau, meiner Freundin, unserer Gastfreundin. Wenn der umgekehrte Fall geschehen wäre: Was würdest du tun?«
»Ich würde den Liebhaber meiner Frau erschießen«, entgegnete Eustach eiskalt, »und womöglich sie dazu! ... wenn nicht das - dann sie verstoßen.«
»Das ist das Recht des beleidigten Gemahls, nicht wahr?« sprach Cornelie mit vibrierender Stimme.
»Befiehlst du ein Duell?« fragte er spottend.
Sie stand auf, sah mit unendlicher Verachtung auf ihn herab und sagte: »Da ich mich nicht rächen kann, wie konntest du denn feig und elend genug sein, mich zu entehren!« [...]
»Kann der Gatte tödlich beleidigt werden, so kann der Gattin ein Gleiches widerfahren. Weil dem Weibe kein äußeres Mittel zu Gebot steht, um sich Genugtuung zu verschaffen, so empfindet es doppelt den Verrat. [...] Du bist frei - aber ich, Eustach, ich bin es auch.«
»Frei! Cornelie, lieber Engel, du darfst mir alles vorwerfen, nur keine Tyrannei ...«
»Aber Tyrannenlaune, d. h. den Egoismus bis auf die äußerste Spitze getrieben.«
Er überhörte den Einwand und fuhr fort: »Ich ließ dir stets volle Freiheit, du warst Herrin des Hauses, Herrin deiner Handlungen, Herrin im Gebiet des geistigen Lebens, dessen Entwicklung ich auf jede Weise gefördert habe, Herrin als Mutter, Herrin ... Ja! auch als Gattin - denn Rücksicht, Ehrerbietung, Aufmerksamkeit, die der Herrin gebühren, haben dir nie gefehlt.«
»Du mißverstehst mich, Eustach! Herrin sein ist nicht frei sein. Freiheit ist: der Schutz des Rechts. Die Freiheit begehr ich. Wir stehen nicht zusammen als Herr und Sklavin, so daß etwa der Herr die Sklavin auf den Thron setzen und zu ihr sprechen dürfte: Du sollst meine Königin sein! eine Zeitlang mit ihr Königin spielte, aber dann sie heimlich mißhandelte und nur des Scheines wegen ihr Purpur und Krone ließe, und wenn sie klagte, zu ihr spräche. Was fällt dir ein? sitzest du nicht auf dem Thron? bist du nicht Königin? Nein, so Ist das nicht zwischen uns, Eustach, sondern so ist es: Du und ich - wir sind Pairs: das Recht des einen ist das Recht des andern.« [...]
»Auch ich begehre auf gleichem Fuß zu leben, und daß so sehr viele Frauen es nicht begehren, das eben macht ihre Stellung so jämmerlich.«
»Aber sie behalten dafür die Tugenden ihres Geschlechts, Milde, Geduld, Nachgiebigkeit, Friedfertigkeit...«
»jawohl, Eustach, all die Tugenden, die mit ihrer Schwäche zusammenhängen! Ich aber erkenne nur eine Tugend an, und das ist die Energie
»Meine Geduld ist erschöpft! Ich will nicht in dieser Weise mit der eigensinnigsten, der launenhaftesten, der unweiblichsten aller Frauen leben! möge diese Scheinehe gelöst werden! ... möge daraus entstehen, was da wolle, mir ist's einerlei. Dringst du mir eine unwillkommene Freiheit auf, so will ich wenigstens ganz frei sein.« Cornelie ging darauf ein. Plötzlich rief er- »Nein! wenn ich mich scheide, so heiratest du einen anderen . .. und kein andrer soll mir mein Glück stehlen! - Schwöre mir, Cornelie, daß du keinen andern heiraten willst!«
»Wie käme ich zu einem solchen Schwur? und vollends dazu, ihn dir zu leisten, Eustach?« sprach sie ruhig. »Ich sollte dir mein neues Schicksal verpfänden, nachdem du mein altes zertrümmert hast? eine wunderbare Zumutung.«
»Cornelie!« rief er außer sich, »der Gedanke, du könntest einem andern Mann als mir gehören und ihn durch deine Liebe beglücken - macht mich wahnwitzig! ich lasse mich nie! nie! unter keiner Bedingung von dir scheiden. Du willst mich zur Scheidung zwingen, das seh ich!
Eine Frau, welche die Frechheit hat,
ein denkendes Wesen zu sein
[30]»Die Aufgabe des Weibes ist, andere glücklich zu machen!« sagte der Graf bittend.
»Ah, Sie schwärmen«, rief Aphra mit einem bittern Lachen. »Gehen Sie, ich habe eine andere Aufgabe zu erfüllen! Ich will mich selber glücklich machen! Das ist das erste und heiligste Gesetz der Natur, und der erste Schritt zu diesem Ziel ist, daß ich Sie auf immer verlasse!«
»Worte, sehr schöne Worte!« rief ihr Gatte achselzuckend. »Nur daß diese Worte niemals Taten werden können. Du bist ein Weib, und damit ist deine Selbständigkeit vernichtet und deine Freiheit begraben! Die Gesetze schützen mich in meinen Rechten, und kraft dieser Gesetze mußt du dich meinem Willen fügen und meiner Autorität dich unterwerfen!«
»Ich will nicht!« rief Aphra, in edlem Zorn erglühend. »Ich will frei sein, sagte ich Ihnen, und wie Sie nur nach dem einen, nur nach Geld streben und wie Ihnen jedes Mittel zu diesem Streben recht ist, so verlange und dürste auch ich nur nach einem Ziel, nur nach meiner Freiheit! Was alles habe ich nicht erduldet, was habe ich nicht erlitten in diesem Jahr meiner Knechtschaft! Sie wußten es, daß ich Sie nicht liebte, und Sie zwangen mich doch, Ihre Zärtlichkeit zu dulden! [...] Sie wollten mich nicht bloß entwürdigen, sondern auch vernichten, Sie wollten nicht bloß mein Herz töten, sondern auch meine Seele! Sie forderten von mir Sklavendienste, und in Ihrem niemals gesättigten Durst nach Gold wollten Sie aus Ihrer Gattin eine Sklavin machen, welche Ihrem Hause eine Dienerin ersparen könnte!«
»Die Weiber sind dazu da, um den Haushalt zu führen, und diejenige ist die beste und achtungswürdigste unter ihnen, welche an der Spitze ihrer Mägde arbeitet und, in Küche und Keller schaffend, dem Mann erspart, soviel sie kann!«
»Ja«, sagte Aphra mit einem bittern Lachen, »die Weiber sind dazu da, um die Mägde ihres Hauses zu sein, das Lasttier ihrer Wirtschaft! Ah, warum gab Gott also den Weibern eine Seele, wenn es doch ihr Lebensberuf ist, zu vergessen, daß sie eine Seele haben!«
»Und du verfehltest deinen Lebensberuf«, sagte ihr Gatte. »Du wolltest nicht eine Hausfrau sein, welche in Küche und Keller wirkt und schafft, sondern ein Zwitterding, nicht Mann, nicht Weib, ein Wesen, welches das Antlitz eines Weibes hat und doch die merkwürdige Prätention macht, einen Geist besitzen zu wollen, der sich über den Beruf des Weibes emporhebt. Statt zu kochen, wolltest du verworrene romantische Bücher lesen, ja, ich glaube sogar, es spukte dir zuweilen die alberne Idee im Kopfe herum, selber Bücher zu schreiben. Ha, ha, eine Frau, welche Bücher schreibt, welch ein Wahnsinn! Gott bewahre doch die Welt vor diesem neuen Unsinn und die Männer vor dieser Umkehr aller Dinge. Das Weib ist nicht geschaffen, um zu denken, sondern um zu arbeiten, und ob ihr eine Seele habt, das ist ziemlich gleichgültig, vorausgesetzt, daß ihr einen schönen Körper, einen gehorsamen, unterwürfigen Sinn und zwei kräftige Arme zur Arbeit habt. Da du aber, mein Engel, alle diese letztern Vorzüge besitzt, so werde ich dir deshalb deine Mängel verzeihen und deine kleinen Schwächen zwar nicht dulden, aber sie dir mit Sanftmut und Liebe abzugewöhnen suchen. Um damit gleich den Anfang zu machen, verbiete ich dir zu schreiben. Das ist eine alberne und wahnsinnige Beschäftigung für eine Frau, bei welcher die edle Zeit, welche man nützlich anwenden soll, verschwendet wird. Ich werde dafür sorgen, daß weder Papier noch Dinte in deinem Zimmer ist, und ich werde den als meinen Feind zu strafen wissen, der es dir wider meinen Willen bringt. In meinem Hause bin ich allein der Herr, und das will ich sein und bleiben und damit basta!« [...]
»Und ich sage Ihnen, daß ich Sie niemals als meinen Herrn oder Gatten anerkennen will«, rief Aphra, »ich sage Ihnen, daß dies die letzte Stunde unsers Beisammenseins ist, daß ich die Schwelle dieses Zimmers überschreiten will, um frei zu sein, um dieses Haus für immer zu verlassen und hinfort kein anderes Gesetz als das meines eignen Willens anzuerkennen!« [...]
»Ich würde lieber sterben, als von irgend jemand eine Unterstützung annehmen«, sagte sie, »was ich bin, das will ich lediglich durch mich selbst sein, im Guten sowohl wie im Bbsen. Und muß ich denn wirklich eines Tages eine Unterstützung beanspruchen, nun wohl, so werde ich bei mir selber eine Anleihe machen!« [...]
Indes schien es, als solle es Aphra nicht gelingen, durch sich selber und durch ihre eigene Kraft sich ihre Zukunft zu gründen. [Ihr Roman] war vollendet, es kam nur darauf an, ihn der Offentlichkeit zu übergeben. Aber hier traf sie auf unerwartete Klippen und Hemmnisse. [...]
Vergebens ging sie, mit geknickter Seele, beschämt und zerbrochen von einem Buchhändler zu dem andern hin. Niemand war geneigt, dies Unternehmen zu wagen und das erste Werk eines unbekannten Autors, und zumal einer Frau, zu verlegen.
»Es ist immer ein übles Ding um die Frauenliteratur«, sagte der eine, »die Frauen wollen nichts davon wissen, weil sie dieses Hervortreten einer ihrer Schwestern mit Neid erfüllt, welchen sie klüglich unter der Form gekränkter Tugend verhüllen, und die Männer wiederum lachen über die schriftstellernden Frauen, weil sie in ihrem Stolz vermeinen, nur den Männern sei das Talent und das Recht gegeben, zu dichten und die Erzeugnisse des Geistes zu schaffen! Ich meinesteils verlege nie etwas von Frauen.«
Und nachdem Aphra zwei Tage lang alle diese Demütigungen, diese oft mit Spott und Hohn oder mit Schmeicheleien begleiteten Verneinungen und Weigerungen erduldet, als sie diesen ganzen dornenvollen Pfad eines Autors, der für sein erstes Werk einen Verleger sucht, durchlaufen war, da kehrte sie todesmatt in ihre Wohnung zurück. Ein tiefer, schmerzlicher Groll war in ihr, eine verzweiflungsvolle, wilde Trauer.
»Ich bin ein Weib, das ist mein ganzes Unglück«, sagte sie. »Man hat uns Frauen alles genommen, selbst das Recht des geistigen Schaffens! Wir dürfen nur die Sklavinnen unserer Männer sein und ihnen Kinder gebären, das ist unsere Pflicht und unser Beruf, und wenn wir es wagen, eigne Gedanken, eigne Gefühle, eigne Anschauungen zu haben, dann schreit alle Welt: ein Sakrilegium, ein Sakrilegium! Eine Frau, welche die Frechheit hat, ein denkendes Wesen zu sein und es den Männern gleichtun zu wollen!
Ich aber, ich will es den Männern gleichtun!« rief sie dann mit energischer Kraft. »Ich will frei sein und ungebändigt! In dieser Stunde reiße ich mich los von all diesen beengenden Formen des Herkommens und der Schicklichkeit, in dieser Stunde breche ich mit all den Satzungen, in cile man die Frauen eingezwängt hat. Ich will kein Weib mehr sein, sondern ein freies, fühlendes, denkendes und handelndes menschliches Geschöpf! Ich will das Recht haben, meinem eignen Willen gemäß zu leben, ich will nicht fragen: Schickt sich das? Ich will nicht mehr bangen um das Urteil der Welt! Frei und kühn will ich der Stimme meines Herzens, den Eingebungen meines Geistes folgen, der Wahrheit will ich dienen, die Wahrheit soll mein Gewissen und die einzige Richterin meiner Handlungen sein, und nur das, was nicht bestehen kann vor der innern Wahrheit, das allein werde ich eine Sünde nennen, weiter nichts! Ich will leben, wie es mir gefällt, ich will sein und mich kleiden, wie es mir gefällt, ich will den Stolz haben, kühn dieser ganzen erbärmlichen und kleinlichen Welt entgegenzutreten und ihr zu sagen: Ich verachte dich, und wenn du mich verspottest, so lache ich dazu! Niemand hat sich meiner erbarmt, als ich unglücklich war, ich bin allein der Schöpfer meines Glückes gewesen, und Gott allein und mich selber erkenne ich als den Richter meiner Taten an! Und nun gibt es für mich keine Furcht mehr und kein weibliches Zagen!«
Feministische Konspiration
[31]»Ja, laßt uns einen Bund stiften gegen die Männer«, sagte Aphra glühend, »eine heilige Kabbala der Rache. Wo wir einer Frau begegnen, welche leidet, da wollen wir versuchen sie zu trösten, sie zu heilen und zu erretten, indem wir sie anfeuern, Rache zu nehmen an den Männern, ihnen alles das zurückgeben, was sie uns gegeben an Leid und Schmerzen, und uns alles das zu erkämpfen, was sie uns geraubt an Freiheit und Lebensglück, an Menschenwürde und Menschenehre! Die Ehre, die Freiheit, das Glück und die Liebe, das ist es, was man den Frauen entwandt hat, dieses alles laßt uns wieder erkämpfen!«
»Ja, einen Bund wollen wir stiften gegen die Männer«, rief Barbara glühend, »einen Bund gegen dieses grausame, entartete, wilde Geschlecht, welches sich selbst erhöhen möchte, indem es den Fuß auf unsern Nacken setzt, welches eine Glorie um sein Haupt legt, indem es den Heiligenschein der Unschuld von unserer Stirn raubt, einen Bund gegen die Männer, welche es niemals ehrlich meinen, als wenn sie uns betrügen wollen, und welche uns niemals mehr verachten, als wenn sie uns anzubeten scheinen! Ach, ich hasse die Männer, und ich möchte sie alle vernichten, alle!«
»Und ich auch!« rief Aphra. [...]
»So laßt uns denn schwören, treu aneinander zu halten zu diesem Werke der Rache, einander beizustehen und uns hülfreich zu sein, um es zu erreichen. Wer zu unserm Bunde gehört, der sei unsre Schwester, und wir sind verpflichtet, ihr zu dienen und zu helfen, soviel wir vermögen. Und hört jetzt das Zeichen unseres Bundes! Die linke Hand auf das Herz gelegt, die beiden ersten Finger der Rechten wie zum Schwur emporgehoben, das sei das Zeichen unseres Bundes, und die Parole sei: >Alles für die Frauen.< Wollt ihr das?«
»Ja, so sei es«, riefen Aphra und Barbara.
»So kommt und laßt uns die Hände ineinanderlegen! So! und jetzt laßt uns schwören, treu zu sein unserm Bunde und treu zu halten an unserm Schwur.«
»Wir schwören es! Wir schwören, die Männer zu strafen, und die Weiber zu rächen! [...]
Es gibt so viele Frauen, welche leiden, wir wollen sie zu uns heranziehen und sie trösten, es gibt keinen Mann, welcher nicht gegen irgendeine Frau gesündigt hätte, wir wollen daher Rache nehmen an allen Männern, wir wollen für alle die Judith sein, welche den Holofernes erschlug, nachdem sie ihn geküßt hatte! [...]
Du sagst, ich werde berühmt werden als eine Dichterin! O wie du irrst! [...]
Die Männer werden meinen Namen mit Schmutz bewerfen, weil ich es gewagt habe, in ihre Reihen zu treten und meinen Anteil zu fordern an dem Leben des Geistes, und wenn ich lebte wie eine Heilige, so würden diese kleinlichen und neidischen Weiber kommen, und sagen: >Das ist ein entartetes Weibt Eine Frau, welche keine Kinder gebiert, sondern Bücher schreibt, eine Frau, welche die freche Anmaßung hat, mehr sein zu wollen als wir und sich mit ihrer Feder in der Hand über uns zu erheben, die wir das heilige Zepter des Haushaltes führen und unsern Männern alljährlich ein Kind gebären! Schande über dieses entartete Weib!<«