Im 19.Jahrhundert erlangte die Arbeiterin ein außergewöhnliches Maß an öffentlicher Aufmerksamkeit. Selbstverständlich gab es sie bereits lange vor der Entstehung des Industriekapitalismus. In Europa und Amerika verdiente sie ihren Lebensunterhalt in den Städten und auf dem Land als Spinnerin, Schneiderin, Goldschmiedin, Bierbrauerin, Metallschleiferin, Knopfmacherin, Spitzenklöpplerin, Kindermädchen, Melkerin oder Hausmädchen. Doch im 19. Jahrhundert wurde sie mit nie zuvor dagewesener Aufmerksamkeit beobachtet, beschrieben und dokumentiert. Erst jetzt diskutierte man die Schicklichkeit, Moralität, ja selbst Legalität ihrer Lohnarbeiten. Die Arbeiterin war ein Produkt der industriellen Revolution, nicht etwa weil die Mechanisierung für sie früher nicht vorhandene Erwerbsmöglichkeiten geschaffen hätte (obwohl das auf manchen Gebieten sicherlich der Fall war), sondern weil sie jetzt auf einmal zu einer sichtbaren und problematischen Figur wurde.
Die Arbeiterin geriet in dem Moment in das Blickfeld der Öffentlichkeit, als man sie als ein neu entstandenes und dringend einer Lösung bedürfendes Problem wahrzunehmen begann. Dieses Problem umfaßte sowohl die Bedeutung des Frauseins selbst als auch die Vereinbarkeit von Frausein und Lohnarbeit; man erfaßte und diskutierte dieses Problem in moralischen und kategorischen Begriffen. Ob nun das Objekt der Aufmerksamkeit eine Fabrikarbeiterin, eine arme Näherin oder eine emanzipierte Setzerin war; ob sie als junge, alleinstehende Frau oder als Mutter, alternde Witwe, Frau eines arbeitslosen Arbeiters oder qualifizierten Handwerkers beschrieben wurde; ob man in ihr das extreme Beispiel für die zerstörerischen Auswirkungen des Kapitalismus oder den Beweis für einen möglichen Fortschritt sah, die Fragen, die diskutiert wurden, blieben dieselben: Sollte eine Frau um des Geldverdienens willen arbeiten? Was waren die körperlichen Folgen weiblicher Lohnarbeit, und welchen Einfluß hatte Lohnarbeit auf die mütterliche und familiäre Rolle einer Frau? Welche Arbeit war einer Frau angemessen? Nicht alle teilten die Meinung des französischen Gesetzgebers Jules Simon, der 1860 behauptete, »eine Frau, die Arbeiterin wird, ist keine Frau mehr«; aber die meisten, die an den Debatten über Arbeiterinnen teilnahmen, stellten ihre Argumente in den Kontext eines angenommenen Gegensatzes zwischen Heim und Arbeit, Mütterlichkeit und Lohnarbeit, Weiblichkeit und Produktivität.[1]
Die Debatten des 19. Jahrhunderts beruhten gewöhnlich auf einer impliziten, in den meisten späteren Studien zur Arbeiterin als selbstverständlich übernommenen, interpretierenden »Geschichte« über die industrielle Revolution. (Ich verwende den Ausdruck »Geschichte«, um gegenüber der häufig unterstellten Objektivität die Konstruiertheit von Geschichten über die Vergangenheit hervorzuheben. Es gibt kaum einen Weg, einfach zu erzählen, was geschehen ist; eine jede »Geschichte« bietet eine Interpretation an, indem sie Informationen so anordnet, daß sie einen bestimmten, durchaus begreifbaren Sinn ergeben.) Diese »Geschichte« sah die Ursache des Problems der Frauenarbeit darin, daß während der Industrialisierung eine Verlagerung der Produktion vom Haushalt in die Fabrik stattgefunden haben soll. In vorindustrieller Zeit, so glaubte man, hätten Frauen produktive Arbeit und Kinderaufzucht, Arbeit und Häuslichkeit erfolgreich kombinieren können. Diese Kombination sei dann aufgrund der vermeintlichen Verlagerung der Erwerbsarbeit zumindest schwierig, wenn nicht unmöglich geworden. Deshalb könnten Frauen, so argumentierte man, jetzt nur noch kurze Zeit ihres Lebens gegen Lohn arbeiten. Nach der Heirat - oder spätestens, wenn sie Kinder bekamen — müßten sie ihre bezahlte Tätigkeit aufgeben und dürften allenfalls erneut zur Erwerbsarbeit zurückkehren, wenn ihr Ehemann die Familie nicht allein ernähren konnte. Diese Deutung hatte zur Folge, daß Frauen sich in bestimmte, schlecht bezahlte, unqualifizierte Arbeiten drängten, eine Situation, die dem Vorrang ihrer mütterlichen und häuslichen Verpflichtungen vor einer langfristigen beruflichen Identifizierung geschuldet war. Das »Problem« der Arbeiterin bestand also darin, daß sie als Anomalie galt in einer Welt, in der sowohl die Lohnarbeit als auch die Verantwortung für eine Familie zu räumlich getrennten Ganztagstätigkeiten geworden waren. Die »Ursache« des Problems wurde damit unvermeidlich im Prozeß industriekapitalistischer Entwicklung mit seiner eigenen Logik gesucht.
Ich werde demgegenüber argumentieren, daß die »Geschichte« der Trennung von Heim und Arbeit weniger einen objektiven Prozeß der historischen Entwicklung beschrieb, als vielmehr zu dieser Entwicklung selbst beitrug. Die »Geschichte« lieferte eben jene Legitimierungen und Erklärungen, die das »Problem« der Arbeiterin konstruierten, indem sie von Kontinuitäten zur vorindustriellen Zeit absahen, von der Gleichheit der Erfahrung aller Frauen ausgingen und Unterschiede zwischen Frauen und Männern betonten.
Die von mir kritisierte Interpretation stellte außerdem den qualifizierten Handwerker als den exemplarischen »Arbeiter« dar und blendete dabei die Unterschiede hinsichtlich Ausbildung und Arbeitsplatzsicherheit von Arbeitern ebenso wie die Ähnlichkeiten hinsichtlich Unregelmäßigkeit und Wechsel der Beschäftigungen zwischen Arbeitern und Arbeiterinnen völlig aus. Die Vorstellung, daß Arbeiter ihr Leben lang eine einzige Stellung innehaben, während Arbeiterinnen ihr Berufsleben mehrmals unterbrechen, zwängte eine bei weitem vielgestaltigere Realität (in der einige Frauen durchaus auch langfristigen Beschäftigungen nachgingen und viele Männer ständig den Arbeitsplatz wechselten) in eine einheitliche, höchst spezielle Ordnung. Auf diese Weise wurde dann Geschlecht als einziger Grund dafür genannt, daß es auf dem Arbeitsmarkt Unterschiede zwischen Männern und Frauen gab. Diese Unterschiede aber hätten mit Begriffen des Arbeitsmarktes, mit wirtschaftlichen Fluktuationen und dem sich verändernden Verhältnis von Angebot und Nachfrage ebenso gut erklärt werden können.
Die »Geschichte« der Trennung von Haus und Arbeit wählt Informationen so aus und ordnet sie so an, daß eine bestimmte Wirkung erzielt wird. Funktionale und biologische Unterschiede zwischen Frauen und Männern werden stark hervorgehoben und damit als Grundlage sozialer Ordnung legitimiert und institutionalisiert. Diese Interpretation der Geschichte der Frauenarbeit prägte ihrerseits diejenige medizinische, wissenschaftliche, politische und moralische Auffassung, die als »Ideologie der Häuslichkeit« oder »Doktrin der getrennten Sphären« bezeichnet worden ist. Man sollte diese Interpretation vielleicht besser als einen Diskurs verstehen, der im 19. Jahrhundert das Geschlecht im Sinne einer »natürlichen« Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen konzeptualisierte. In der Tat müßte die Aufmerksamkeit, die man im 19. Jahrhundert dem Geschlecht als Bestimmungsfaktor der Arbeitsteilung widmete, im generellen Kontext der Rhetorik des Industriekapitalismus über Arbeitsteilung gedeutet werden. Arbeitsteilung wurde als die wirksamste, rationalste und produktivste Art der Organisation der Arbeit, des Betriebes und des Soziallebens gepriesen; wann immer es dabei um Geschlecht ging, wurde die Grenze zwischen dem Nützlichen und dem »Natürlichen« fließend.
Mein Interesse gilt diesem Geschlechtsdiskurs, der aus der Arbeiterin ein Objekt der Forschung und ein Subjekt der Geschichte machte. Ich mochte untersuchen, wie das Dilemma von Heim- und Erwerbsarbeit vorrangig in Form von Forschungen über Arbeiterinnen bearbeitet wurde; wie dieses zusammenhing mit der Definition von weiblicher Arbeitskraft als billig und nur für bestimmte Arten von Arbeit geeignet. Arbeitsteilung wurde also als eine objektive, in der Natur gründende soziale Tatsache aufgefaßt. Ich hingegen erkläre ihre Existenz weder mit unvermeidlichen historischen Entwicklungen noch mit der »Natur«, sondern mit diskursiven Prozessen. Unterschiede zwischen den Geschlechtern waren im 19. Jahrhundert keineswegs neu; sie wurden aber auf neue Weise und mit neuen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Wirkungen artikuliert.
Industrialisierung und Frauenarbeit: Kontinuitäten
Die verbreitete »Geschichte« über Frauenarbeit, welche die Bedeutung der Bewegung weg vom Haushalt und hin zum Arbeitsplatz als Ursache betont, beruht auf einem schematischen Modell von der Verlagerung der Produktion vom Bauernhof und vom Hausgewerbe hin zur Fabrik, von kleinen Handwerks- und Handelstätigkeiten hin zu großen kapitalisierten Unternehmen. Viele Historiker haben diese lineare Darstellung ein wenig komplizierter gemacht, indem sie beispielsweise zeigten, daß selbst im Textilgewerbe bis weit ins 20. Jahrhundert hinein Heimarbeit neben mechanisierter Produktion weiterbestand. Doch das Bild von kooperativer Heimarbeit in vorindustrieller Zeit Vater webt, Mutter und ältere Töchter spinnen, während die kleineren Kinder das Garn vorbereiten - blieb bestehen. Dieses Bild trägt zur Konstruktion eines scharfen Gegensatzes bei: zwischen einer vorindustriellen Welt, in der die Arbeit der Frauen informell, oft unbezahlt war und der Familie immer Priorität zukam, und der industrialisierten Welt der Fabrik, die ganztägige Lohnarbeit außerhalb des Hauses erforderte. Produktion und Reproduktion werden für die frühe Zeit als komplementäre Tätigkeiten dargestellt, in der späteren Zeit jedoch als strukturell unvereinbar und Ursache unlösbarer Probleme für Frauen, die einer Erwerbsarbeit nachgehen wollten oder mußten.
Obwohl dieses Haushaltsmodell der Arbeit tatsächlich einen Aspekt des Arbeitslebens im 17. und 18. Jahrhundert beschreibt, ist es dennoch allzu einfach. Auch in der Zeit vor der Industrialisierung arbeiteten Frauen bereits regelmäßig außerhalb des Hauses. Verheiratete und alleinstehende Frauen verkauften Waren auf den Märkten, verdienten Geld, indem sie ein wenig Handel trieben und hausieren gingen, sich gelegentlich als Kindermädchen oder Wäscherin verdingten, Töpferwaren, Seide, Bänder, Kleidung, Metallwaren, Haushaltswaren und Webstoffe herstellten sowie in Werkstätten Kattun bedruckten. Wenn diese Arbeiten nicht mit der Kinderaufzucht vereinbar waren, gaben Mütter ihre Babys eher Ammen oder anderen Pflegepersonen, als daß sie ihren Erwerb aufgaben. Um Geld zu verdienen, übten Frauen zahlreiche Tätigkeiten aus, und sie wechselten auch von einer Arbeit zur anderen. Maurice Garden bemerkt in seinem Buch über Lyon, daß »das Ausmaß der Frauenarbeit eines der hervorstechendsten Merkmale der Lyoner Gesellschaft im 18. Jahrhundert war«.[2] Dominique Godineau beschreibt in einer Studie über das revolutionäre Paris »einen ständigen Wechsel der Tätigkeiten«, der durch die wirtschaftliche Krise, die mit der Revolution einherging, zwar beschleunigt, nicht aber verursacht wurde. »Dieselbe Arbeiterin konnte in einer Werkstatt Knöpfe herstellen, ihre Waren in einer der Verkaufsbuden Rind um die Zentralmarkthallen anbieten oder zu Hause in ihrem Zimmer über Näharbeiten gebeugt sein.«'[3]Zu Beginn des 19. Jahrhunderts ging in Paris schätzungsweise mindestens ein Fünftel der erwachsenen weiblichen Bevölkerung einer Lohnarbeit nach. Selbst wenn die Arbeit in einem Haushalt stattfand, arbeiteten viele Lohnarbeiterinnen - vor allem junge, unverheiratete Frauen - nicht in ihrem eigenen Haus. Hausangestellte, Landarbeiterinnen aller Art, Lehrlinge und Gehilfinnen bildeten eine beträchtliche Gruppe weiblicher Arbeitskräfte, die nicht zu Hause arbeitete. Im englischen Ealing beispielsweise lebten 1599 drei Viertel der Frauen im Alter von 15 bis 19 Jahren, die als Dienstboten arbeiteten, nicht bei ihren Eltern. In den Städten Neuenglands erhielten Mädchen im 17. Jahrhundert ihre Ausbildung, indem sie in die Lehre gingen oder sich als Dienstmädchen verdingten. Junge Mädchen reisten als Kontraktarbeiterinnen allein von England nach Amerika (vor allem in das Tabakanbaugebiet bei Chesapeake), und andere wurden als Sklavinnen von Afrika herübergebracht.
Die meisten Arbeiterinnen der vorindustriellen Zeit waren jung und unverheiratet, und sie arbeiteten typischerweise fern von zu Hause, ganz gleich, welche Art Arbeitsplatz sie hatten. Doch gehörten ebenfalls verheiratete Frauen zu den aktiven Arbeitskräften; auch sie arbeiteten an verschiedenen Orten - auf dem Bauernhof, im Laden, in der Werkstatt, auf der Straße oder zu Hause -, und die Zeit, die sie für die Erledigung häuslicher Aufgaben aufwendeten, hing vom Arbeitsdruck und der wirtschaftlichen Situation des Haushalts ab.
Diese Beschreibung trifft ebenfalls auf die Industrialisierungsperiode des 19. Jahrhunderts zu. Auch zu dieser Zeit waren Arbeiterinnen, wie schon in der Vergangenheit, überwiegend jung und unverheiratet, ob sie nun in dem eher »traditionellen« Bereich der Dienstbotenarbeit oder im schnell wachsenden Textilgewerbe beschäftigt waren. In den meisten westlichen Ländern überwog auch noch während der Industrialisierung die Dienstbotenarbeit die Arbeit in der Textilbranche. In England, der ersten Industrienation, waren 1851 40 Prozent aller Frauen als Dienstmädchen und nur 22 Prozent als Arbeiterinnen in der Textilindustrie beschäftigt; in Frankreich waren die Vergleichszahlen für 1866 22 Prozent Dienstboten und 10 Prozent Textilarbeiterinnen; in Preußen arbeiteten 1882 18 Prozent der erwerbstätigen Frauen im häuslichen Dienst und etwa 12 Prozent als Fabrikarbeiterinnen. Ob es sich nun um Dienstmädchen oder Fabrikarbeiterinnen handelte, immer waren es Mädchen ähnlichen Alters. Tatsächlich kam es in Gegenden, in denen die Industrie junge Frauen in großer Zahl beschäftigte, üblicherweise zu Klagen über Dienstbotenmangel. In der französischen Textilstadt Roubaix waren 82 Prozent der weiblichen Beschäftigten weniger als dreißig Jahre alt; im englischen Stockport war 1841 das Durchschnittsalter von Weberinnen 20 Jahre und 1861 24 Jahre. In den 1830er und 1840er Jahren waren 80 Prozent der in den Fabriken von Lowell, Massachusetts, beschäftigten Arbeiterinnen zwischen 15 und 30Jahren alt; in den 60er Jahren, als Immigrantinnen einheimische Landarbeiterinnen verdrängten, waren die weiblichen Arbeitskräfte noch jünger, nämlich im Durchschnitt 20 Jahre alt. Selbstverständlich waren auch verheiratete Frauen in Textilfabriken beschäftigt, denn in den Textilstädten war die Nachfrage nach weiblichen Arbeitskräften groß, und die Erwerbsgelegenheiten für Männer waren rar. Verheiratete Frauen gingen, ganz gleich, wo sie wohnten, immer irgendeiner Lohnarbeit nach und das nicht notwendigerweise in ihrem eigenen Haus. Für einen Großteil der weiblichen Erwerbsbevölkerung führte die Bewegung also nicht von der Erwerbsarbeit im Haushalt zur Erwerbsarbeit außerhalb des Haushalts, sondern vielmehr von einem Arbeitsplatz zum nächsten. Waren mit einem solchen Wechsel Probleme verbunden - z. B. eine neuartige Zeitdisziplin, lärmende Maschinen, Löhne, die von Marktbedingungen und wirtschaftlichen Zyklen abhingen, profitorientierte Unternehmer -, so waren diese nicht dadurch verursacht, daß Frauen ihr Heim und ihre Familie verließen. (Fabrikarbeit machte es vielmehr oft überhaupt erst möglich, daß Mädchen, die früher bei ihren Arbeitgebern lebten, nun bei ihren Familien bleiben konnten.)
Der von Zeitgenossen und Historikern in den Mittelpunkt gestellte Einfluß der Textilindustrie auf die Frauenarbeit lenkte enorme Aufmerksamkeit auf diesen Sektor, obwohl er während des 19. Jahrhunderts niemals der wichtigste Arbeitgeber für Frauen war. In den »traditionellen« Bereichen der Wirtschaft arbeiteten nach wie vor mehr Frauen als in Fabriken. Verheiratete und unverheiratete Frauen setzten im Kleingewerbe, Kleinhandel und Dienstleistungsbereich die alten Muster der Erwerbsarbeit fort: sie arbeiteten auf den Märkten, in Läden oder zu Hause, sie verhökerten Lebensmittel, transportierten Waren, wuschen Wäsche, vermieteten Zimmer, stellten Streichhölzer und Streichholzschachteln, Papierschachteln, künstliche Blumen, Schmuck und Kleidungsstücke her. Auch für ein und dieselbe Frau konnte die Arbeit an verschiedenen Orten stattfinden. Die englische Strohhutflechterin Lucy Luck erinnerte sich, daß sie »einen Teil der Zeit in der Werkstatt, den anderen Teil zu Hause arbeitete«. In der stillen Jahreszeit, wenn die Geschäfte schlecht gingen, besserte sie ihren Lohn auf durch »Transporte oder Wäsche, und ich habe mich ein paar Mal um das Haus eines Herrn gekümmert, und ich habe Näharbeiten angenommen«.[4] Im Falle von Lucy Luck wäre es falsch zu behaupten, es hätte jemals einen radikalen Bruch zwischen Heim und Arbeit gegeben.
Wie schon im 18. Jahrhundert blieb Näharbeit auch im 19. Jahrhundert ein Synonym für Frauenarbeit. Die alle anderen weiblichen Arbeiten überragende Dominanz der Näharbeiten entkräftet das Argument, daß es zu einer völligen Trennung von Heim und Arbeit und deshalb zu einer Verringerung akzeptabler Arbeitsgelegenheiten für Frauen gekommen wäre. Tatsächlich weitete sich der Bereich der Näharbeiten mit dem Wachstum der Bekleidungs-, Schuh- und Lederbranche aus und sorgte dafür, daß einige Frauen ständig und andere wenigstens hin und wieder Beschäftigung fanden. Die Bekleidungsbranche bot Frauen Beschäftigungen auf unterschiedlichem Qualifikations- und Lohnniveau, wenngleich die Mehrzahl der Tätigkeiten unregelmäßig und schlecht bezahlt war. Im Zuge der Entwicklung der Konfektionsindustrie wuchs in den 1830er und 1840er Jahren nicht nur in Frankreich und England für Frauen auch das Angebot an Heimarbeit, in der eigenen Wohnung oder in einer Werkstatt. Obwohl im Verlauf des Jahrhunderts, in den 50er Jahren in England, in den 80er Jahren in Frankreich, eine Bekleidungsindustrie auf der Basis von Fabrikarbeit entstand, blieb Heimarbeit 'weiterhin vorherrschend. Die Verabschiedung von Schutzgesetzen für Arbeiterinnen in den 90er Jahren, in denen Heimarbeit ausgespart blieb, verstärkte das Interesse der Arbeitgeber an dieser billigen, nicht reglementierten Handarbeit. Heimarbeit erreichte ihren Höhepunkt erst 1901 in Großbritannien und 1906 in Frankreich, und dieser Höhepunkt war keineswegs der Beginn eines stetigen Niedergangs. Viele Städte des 20. Jahrhunderts sind selbst heute noch Zentren der Vergabe von Aufträgen an Zwischenmeister; hier werden die Frauen wie in der Hauswirtschaft des 18. Jahrhunderts und im Rahmen der schlechtbezahlten Heimarbeit des 19. Jahrhunderts für ihre Näharbeit nach Stücklohn bezahlt. In der Bekleidungsbranche ist also, was Ort und Struktur der Frauenarbeit betrifft, das hervorstechende Merkmal nicht so sehr Wandel als Kontinuität.
Die Arbeit der Bekleidungsbranche stellt außerdem das idealisierte Bild von der Heimarbeit in Frage, das unterstellt, diese Arbeit sei für Frauen besonders geeignet, weil sie eine Kombination von Häuslichkeit und Lohnarbeit erlaube. Wenn man die Löhne in Betracht zieht, wird das Bild komplexer. Näherinnen wurden gewöhnlich nach Stückzahlen entlohnt, und die Löhne waren oft so gering, daß Frauen kaum von ihren Einkünften leben konnten; das Arbeitstempo war enorm und die vorgegebene Fertigungszeit kurz. Ob eine Näherin alleine in einem gemieteten Zimmer oder inmitten eines geschäftigen Haushalts arbeitete, gewöhnlich hatte sie wenig Zeit für häusliche Pflichten. Eine Londoner Hemdennäherin erzählte Henry Mayhew 1849, daß sie von dem, was sie verdiene, kaum leben könne, obwohl sie oft »im Sommer von vier Uhr früh bis neun oder zehn Uhr abends - so lange ich sehen kann«, arbeitete. »Meine normale Arbeitszeit dauert von fünf Uhr morgens bis neun Uhr abends - Winter wie Sommer.-1 Daß der Arbeitsplatz zu Hause war, konnte für das Familienleben ebenso schädlich sein, wie wenn eine Mutter tagsüber wegging; das Problem waren aber die unerträglich niedrigen Löhne und nicht die Arbeit selbst. (Selbstverständlich konnte eine Frau, wenn die wirtschaftliche Not nicht so groß war, das Arbeitstempo verringern und Haushaltspflichten mit Lohnarbeit vereinigen. Diese Frauen, eine kleine Minderheit der Näherinnen, dienten womöglich als Bestätigung für den Glauben an eine ideale Vergangenheit, in der Familie und Erwerbsarbeit noch nicht in Konflikt miteinander standen.)
Wie die Bekleidungsbranche, die ein frappierendes Beispiel für Kontinuität zu früheren Praktiken liefert, so haben auch die Bürotätigkeiten bestimmte wesentliche Züge der Frauenarbeit bewahrt. Diese Berufe sind Ende des 19. Jahrhunderts im Zuge des expandierenden Handelsund Dienstleistungssektors entstanden. Sie beinhalteten selbstverständlich neue Aufgaben und erforderten andere Fähigkeiten als die, die man als Dienstmädchen oder Näherin erlernte, sie rekrutierten aber genau die Art von Frauen, die typischerweise schon immer das weibliche Arbeitskräftepotential gebildet hatten: junge, unverheiratete Mädchen. Behörden, Geschäfts- und Versicherungsunternehmen stellten Sekretärinnen, Maschinenschreiberinnen und Registratorinnen ein, Postämter beschäftigten vorzugsweise Frauen zum Verkaufen von Briefmarken; Telefon- und Telegrafengesellschaften bevorzugten weibliche Vermittlungskräfte, Läden und Kaufhäuser rekrutierten Verkäuferinnen, neu organisierte Krankenhäuser stellten weibliches Pflegepersonal ein und staatlich finanzierte Schulsysteme suchten Lehrerinnen. Die Arbeitgeber gaben gewöhnlich eine Altersgrenze für ihre Arbeiterinnen an und machten manchmal Ehelosigkeit zur Einstellungsvoraussetzung, womit sie sich ein ziemlich homogenes Arbeitskräftepotential von unverheirateten Frauen im Alter von bis zu 25 Jahren schufen. Die Art des Arbeitsplatzes mag sich geändert haben, das sollte aber hinsichtlich der Arbeiterin nicht mit einem Wandel der Beziehung zwischen Heim und Arbeit verwechselt werden; für die überwiegende Mehrheit der Betroffenen hatte Lohnarbeit typischerweise schon immer bedeutet, daß sie nicht zu Hause arbeiteten.
Während des 19. Jahrhunderts fand allerdings eine massive Verlagerung von der Tätigkeit im häuslichen Dienst (in Stadt und Land, in Haushalt, Handwerk und Landwirtschaft) hin zu Bürotätigkeiten statt. In den Vereinigten Staaten waren 1870 beispielsweise 50 Prozent der Lohnarbeiterinnen Dienstboten; 1920 waren beinahe 40 Prozent der berufstätigen Frauen Büroangestellte, Lehrerinnen oder Verkäuferinnen. In Frankreich machten 1906 Frauen mehr als 40 Prozent der in Büros beschäftigten Arbeitskräfte aus. Diese Transformation des Dienstleistungssektors schuf ohne Frage neue Beschäftigungen, sorgte aber gleichzeitig für weitere Kontinuität: Die Mehrzahl der berufstätigen Frauen arbeitete nicht in der Produktion, sondern im Dienstleistungsbereich.
Auf Kontinuitäten hinzuweisen bedeutet natürlich nicht, Veränderungen zu leugnen. Zusätzlich zu dem massiven Wechsel von Dienstboten- zu Bürotätigkeiten entstanden neue berufliche Möglichkeiten für Frauen aus dem Mittelstand, dieser neu in die Arbeitswelt eintretenden Gruppe. Es ist durchaus möglich, daß ein Großteil der dem Problem der Frauenarbeit generell gewidmeten Aufmerksamkeit von der wachsenden Sorge herrührte, ob Mädchen aus dem Mittelstand, die Lehrerinnen, Krankenschwestern, Fabrikinspektorinnen, Sozialarbeiterinnen u. ä. wurden, überhaupt noch einen Ehemann finden würden. Diese Frauen hätten in früheren Zeiten auf dem elterlichen Bauernhof oder im elterlichen Betrieb gearbeitet, dabei aber kein eigenes Einkommen erworben. Vielleicht lieferte das Beispiel dieser Minderheit unter den erwerbstätigen Frauen des 19. Jahrhunderts die Grandlage für die Behauptung, daß der Verlust von haushaltsintegrierter Erwerbsarbeit eine Gefahr für die häuslichen Fähigkeiten und reproduktiven Pflichten einer Frau bedeutete. Wenn Reformer über »Arbeiterinnen« als einer einzigen Kategorie sprachen und sich dabei hauptsächlich auf Fabrikarbeit beriefen, haben sie vielleicht ihre Besorgnis über die Stellung der Frau im Bürgertum generalisiert.
Das Argument, daß die Industrialisierung zur Trennung von Heim und Arbeit führte und Frauen zwang, zwischen häuslichem Leben und Lohnarbeit zu wählen, läßt sich also nicht aufrechterhalten. Ebensowenig läßt sich zeigen, daß diese Trennung die Probleme der Frauen verursachte, indem sie diese auf marginale, schlechtbezahlte Tätigkeiten beschränkte. Vielmehr scheint - völlig unabhängig vom Ort der Arbeit - eine ganze Reihe von Annahmen über den Wert der Frauenarbeit die Entscheidungen der Arbeitgeber (sowohl im 18. als auch im 19. Jahrhundert) beeinflußt zu haben. Wo Frauen arbeiteten und was sie taten, war nicht das Ergebnis eines unerbittlichen Industrialisierungsprozesses, sondern zumindest teilweise das Resultat von Arbeitskostenkalkulationen. Ob in der Textil-, Schuh-, Bekleidungs- oder Druckindustrie, ob in Verbindung mit Mechanisierung, Produktionsstreuung oder Rationalisierung der Arbeitsprozesse - die Einstellung von Frauen bedeutete stets, daß die Arbeitgeber entschlossen waren, Arbeitskosten einzusparen. »Je weniger die Handarbeit Geschicklichkeit und Kraftäußerung erheischt, d. h. je mehr die moderne Industrie sich entwickelt, desto mehr wird die Arbeit der Männer durch die der Weiber und Kinder verdrängt«, schrieben Marx und Engels 1848 im Manifest der Kommunistischen Partei.[6] Londoner Schneider erklärten ihre prekäre Situation in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts damit, daß die Meister ihre Konkurrenten unterbieten wollten und deshalb Frauen und Kinder anstellten. Amerikanische Drucker sahen in den 1860er Jahren in der Einstellung von Setzerinnen eine »letzte Strategie der Kapitalisten«, die Frauen »aus der ihnen angemessenen Sphäre« lockte, um sie zum »Instrument im Lohnkampf« zu machen »und so beide Geschlechter auf ein der gegenwärtigen unbezahlten Knechtschaft der Frauen vergleichbares Lohnniveau zu drücken«.[7] Die Gewerkschaften verweigerten Frauen die Mitgliedschaft oder forderten, daß sie die gleichen Einkommen wie die Männer erzielen müßten, bevor sie aufgenommen werden könnten. Die zur Londoner Gewerkschaftsversammlung von 1875 entsandten Delegierten zögerten, eine Vertreterin der Gewerkschaft der Buchbinderinnen zuzulassen, weil »Frauenarbeit billige Arbeit war und viele der Delegierten (...) diese Tatsache nicht außer acht lassen konnten«.[8]
Frauen waren auf billige Arbeit festgelegt, aber nicht alle Formen dieser Arbeit galten als angemessene Frauenarbeit. Man hielt Frauen für geeignet, in der Textil-, Bekleidungs-, Schuh-, Tabak-, Lebensmittel- und Lederindustrie zu arbeiten, es gab aber kaum Arbeiterinnen im Berg-, Maschinen- oder Schiffsbau, auch wenn dort die Nachfrage nach sogenannter »unqualifizierter« Arbeit groß war. Ein zur Weltausstellung von 1867 entsandter französischer Delegierter benannte klar die im Hinblick auf Geschlecht, Materialien und Techniken gemachten Unterschiede: »Für den Mann Holz und Metalle. Für die Frau Familie und Gewebe.«[9] Obwohl die Meinungen darüber auseinandergingen, welche Arbeit für Frauen angemessen sei und welche nicht - und die Meinungen wechselten tatsächlich je nach Zeit und Kontext -, blieb das Geschlecht jedoch immer ein wichtiges Kriterium. Die Arbeit, für die man Frauen einstellte, wurde als »Frauenarbeit« definiert, d. h. sie sollte eieren körperlichen Fähigkeiten und deren natürlicher Produktivität besonders gut entsprechen. Dieser Diskurs führte auf dem Arbeitsmarkt zu einer Arbeitsteilung nach Geschlecht, die bewirkte, daß Frauen auf einige wenige, auf der untersten Stufe der Beschäftigungshierarchie stehende Tätigkeiten verwiesen wurden, in denen die Löhne nicht den Lebensunterhalt sicherten. Zum »Problem« wurde die Arbeiterin, als verschiedene Instanzen die sozialen und moralischen Folgen dieser Praktiken sowie ihre wirtschaftliche Rentabilität zu diskutieren begannen.
Die geschlechtliche Arbeitsteilung:
Produkt der Geschichte, Folge des Diskurses
Wie läßt sich das »Problem« der Arbeiterinnen im 19. Jahrhundert erklären, wenn es nicht mit der »Geschichte« der objektiven Trennung von Heim und Arbeit zu erklären ist? Statt nach besonderen technischen oder strukturellen Gründen zu suchen, müssen wir die diskursiven Prozesse erforschen, die die geschlechtsspezifischen Formen der Arbeitsteilung konstituierten. Das wird zu einer kritischeren und komplexeren Analyse der vorherrschenden historischen Deutungen führen.
Die Identifizierung der Frauenarbeit mit einer bestimmten Art von Tätigkeiten und mit billiger Arbeit wurde im 19. Jahrhundert auf so vielfältige Weise formalisiert und institutionalisiert, daß sie dem »gesunden Menschenverstand« als völlig selbstverständlich erschien. Selbst diejenigen, die den Status der Frauenarbeit verändern wollten, stellten fest, daß sie gegen scheinbar feste »Tatsachen« argumentieren mußten. Diese »Tatsachen« waren nicht objektiv existent. Sie wurden vielmehr über »Geschichten« produziert, die die Folgen der Trennung von Heim und Arbeit betonten. Das geschah durch die Theorien der Nationalökonomen ebenso wie durch die Einstellungspräferenz der Arbeitgeber, die ein klar nach Geschlecht segregiertes Arbeitskräftepotential entstehen ließ. Die Politik der meisten Männergewerkschaften »naturalisierte« sehr wirkungsvoll die »Tatsachen«, indem sie den geringeren Wert der weiblichen Arbeitskräfte wie selbstverständlich voraussetzte. Dasselbe taten die Untersuchungen von Reformern, Ärzten, Gesetzgebern und Statistikern, deren öffentliches Lamentieren schließlich zur Verabschiedung von Arbeiterinnenschutzgesetzen führte. Von den frühen Fabrikgesetzen bis hin zur internationalen Bewegung im ausgehenden 19. Jahrhundert setzte diese Gesetzgebung als erwiesen voraus (und bestätigte damit), daß alle Frauen unausweichlich abhängig und daß Lohnarbeiterinnen eine unübliche, verwundbare und notwendigerweise auf bestimmte Berufe beschränkte Gruppe sind. In diesem allgemeinen Konsens hatten es die abweichenden Stimmen einiger weniger Feministinnen, Gewerkschaftsführer und Sozialisten schwer, sich Gehör zu verschaffen.
Nationalökonomie
Einer der Orte, an dem der Diskurs über geschlechtliche Arbeitsteilung entstand, war die Nationalökonomie. Die Nationalökonomen des 19. Jahrhunderts entwickelten und popularisierten die Theorien ihrer Vorgänger aus dem 18. Jahrhundert. Obwohl es wichtige nationale Unterschiede zum Beispiel zwischen britischen, deutschen und französischen Theoretikern und verschiedene Schulen der Nationalökonomie innerhalb eines Landes gab, waren allen Richtungen bestimmte Grundsätze gemeinsam. So etwa die Auffassung, daß die Löhne der Männer nicht allein für deren eigenen Lebensunterhalt, sondern für den Unterhalt einer ganzen Familie zu reichen hätten, sonst würde, wie Adam Smith feststellte, »die Schicht der Arbeiter (...) mit der ersten Generation aussterben«. Dabei unterstellte er, daß der Lohn einer Frau »nur für ihren eigenen Unterhalt ausreicht, da sie ja auch die Kinder versorgen muß.[10]
Andere Nationalökonomen dehnten diese Hypothese über den Lohn von Ehefrauen auf alle Frauen aus und charakterisierten unabhängig vom Familienstand alle Frauen als naturgemäß in ihrem Lebensunterhalt von Männern abhängig. Einige Theoretiker wiesen zwar darauf hin, daß auch die Löhne von Frauen deren Unterhaltskosten decken sollten, doch andere hielten dagegen, daß das nicht möglich sei. Der französische Nationalökonom Jean-Baptiste Say zum Beispiel argumentierte, daß die Löhne von Frauen immer unter dem Subsistenzniveau liegen würden, weil es immer einige Frauen gäbe, die sich auf die Unterstützung durch ihre Familie verlassen könnten (Frauen gleichsam im »Naturzustand«) und deshalb nicht von ihrem Einkommen leben müßten. Dies hatte zur Folge, daß unverheiratete Frauen, die nicht bei ihren Familien lebten, und Frauen, die alleine für den Unterhalt ihrer Familie sorgen mußten, zwangsläufig arm waren. Nach seinem Kalkül mußten die Löhne der Männer für den Unterhalt der Familie ausreichen und deren Reproduktionskosten decken; die Löhne der Frauen dagegen stellten ein zusätzliches Einkommen dar, das Engpässe zu überwinden half oder Geld zur Verfügung stellte, das über das zum Überleben Notwendige hinausging.[11]
Die Asymmetrie der Lohnberechnung war auffallend: die Löhne der Männer schlossen Lebens- und Reproduktionskosten ein, die Löhne der Frauen erforderten selbst für den Lebensunterhalt einer einzelnen Frau die Aufbesserung durch die Familie. Darüber hinaus sollte das Einkommen der Männer den Lebensunterhalt der gesamten Familie decken, die Kinder ernähren und ihre Ausbildung finanzieren. Mit anderen Worten, die Männer waren für die Reproduktion verantwortlich. Reproduktion hatte in diesem Diskurs keinerlei biologische Bedeutung. Vielmehr war nach Say Reproduktion gleichbedeutend mit Produktion, und beide bezogen sich auf diejenige Tätigkeit, die den Dingen Wert verlieh, die die natürliche Materie in Produkte mit sozial anerkanntem Wert (und deshalb in Tauschmittel) verwandelte. Geburt und Aufzucht der Kinder, Arbeiten also, die von Frauen geleistet wurden, waren Rohmaterialien. Die Transformation von Kindern in Erwachsene, die schließlich wieder imstande waren, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, war das Ergebnis des väterlichen Einkommens; der Vater war es, der seinen Kindern ihren wirtschaftlichen und sozialen Wert gab, indem sein Lohn für ihren Lebensunterhalt sorgte.
Nach dieser Theorie hatte der Lohn des Arbeiters eine doppelte Bedeutung. Er entschädigte ihn für seine Arbeit und gab ihm gleichzeitig in der Familie den Status des Wertschöpfers. Da sich der Wert in Geld bemaß und der Lohn des Vaters die Existenz der Familie sicherte, zählte nur das Einkommen des Vaters. Weder die Hausarbeit noch die Lohnarbeit der Mutter waren sichtbar und relevant. Aus dieser Auffassung folgte, daß Frauen keinen wirklich signifikanten wirtschaftlichen Wert schaffen konnten. Ihre Hausarbeit blieb bei den Diskussionen über die Reproduktion der nächsten Generation unberücksichtigt, und ihre Lohnarbeit wurde immer als selbst für ihr eigenes Auskommen unzureichend beschrieben. Die von der Nationalökonomie beschriebenen Gesetze der Frauenarbeit folgten einer Art zirkulärer Logik, nach der niedrige Löhne sowohl Ursache als auch Beweis für die »Tatsache« waren, daß Frauen weniger produktiv als Männer waren. Einerseits basierten die niedrigen Löhne der Frauen auf der Voraussetzung der geringeren Produktivität von Frauen; andererseits dienten sie als Beweis dafür, daß Frauen nicht so hart wie Männer arbeiten konnten. »Aus der Sicht der Industrie ist die Frau ein unvollkommener Arbeiter«, schrieb Eugene Buret 1840.[12] Und die Arbeiterzeitung L 'Atelier leitete eine Debatte über die Armut der Frauen mit einem Satz ein, der für sie eine Binsenwahrheit darstellte: »Da die Frauen weniger produktiv sind als die Männer (. . .).«[13] In den 90er Jahren des Jahrhunderts schloß der Fabianer SidneyWebb eine lange Untersuchung über die Unterschiede zwischen den Löhnen der Frauen und denen der Männer mit der Bemerkung: »Frauen verdienen nicht nur deshalb weniger als Männer, weil sie weniger produzieren, sondern auch weil das, was sie produzieren, auf dem Markt gewöhnlich geringer bewertet wird.« Er erläuterte, daß diese Bewertung auf nicht ganz rationale Weise zustande kam: »Dort, wo es eine Inferiorität von Löhnen gibt, gibt es auch beinahe immer eine Inferiorität der Arbeit. Und die allgemeine Inferiorität der Frauenarbeit scheint die Löhne der Frauen auch in Industrien zu beeinflussen, in denen eine solche Inferiorität nicht existiert.«[14]
Die Vorstellung, daß die Arbeit von Männern und Frauen einen unterschiedlichen Wert habe, daß Männer produktiver seien als Frauen, schloß Frauen weder aus dem Arbeitskräftepotential der sich industrialisierenden Länder aus, noch fesselte sie die Frauen an den häuslichen Herd. Wenn sie oder ihre Familien Geld brauchten, verließen Frauen das Haus, um Geld zu verdienen. Doch wieviel und auf welche Weise sie es verdienen konnten, wurde zu einem großen Teil von jenen Theorien bestimmt, die Frauenarbeit billiger als Männerarbeit definierten. Ganz gleich, wie die Lebensumstände der Frauen sein mochten - ob sie unverheiratet oder verheiratet waren, einem Haushalt vorstanden oder für den Unterhalt von abhängigen Eltern oder Geschwistern sorgen mußten -, ihre Löhne wurden so niedrig festgelegt, als ob diese bloß zu dem Einkommen anderer Familienmitglieder beizutragen hätten. Selbst wenn ihre Produktivität durch Mechanisierung anstieg (wie etwa in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts in der Strumpfwirkerei der englischen Stadt Leicester), blieben die Löhne der Frauen auf dem gleichen geringen Niveau (im Verhältnis zu denen der Männer) wie zu Zeiten der Heimarbeit. In den Vereinigten Staaten verdienten Frauen 1900 sowohl als halbqualifizierte wie als unqualifizierte Fabrikarbeiterinnen nur 76 Prozent des Stundenlohns der am niedrigsten entlohnten unqualifizierten Arbeiter.
Die Theorien der Nationalökonomie hatten noch weitere Konsequenzen. Indem Ökonomen zwei verschiedene Lohn»gesetze«, d. h. zwei verschiedene Systeme zur Bewertung der Arbeit formulierten, nahmen sie eine Unterscheidung der Arbeitskraft nach dem Geschlecht vor und erklärten dieses Vorgehen als Ausdruck einer funktionalen geschlechtlichen Arbeitsteilung. Indem sie sich auf zwei verschiedene »Naturgesetze - das Gesetz des Marktes und das der Biologie - zur Erklärung der unterschiedlichen Situation von Männern und Frauen beriefen, legitimierten sie außerdem herrschende Praktiken. Selbst diejenigen, die den Kapitalismus und die Situation der Arbeiterin kritisierten, akzeptierten meistens die Gesetze der Ökonomie als unvermeidlich und schlugen Reformen vor, die ihnen Rechnung trugen. Obwohl einige Feministen und Feministinnen forderten, daß Frauen Zugang zu allen Berufen haben und die gleichen Löhne wie Männer
erhalten sollten, traten die meisten Reformer dafür ein, daß Frauen es eigentlich nicht nötig haben sollten, Erwerbsarbeit zu leisten. In den modernen Industrieländern kam es dementsprechend Ende des 19. Jahrhunderts zur Forderung an die Arbeitgeber, das Ideal eines »Familienlohns« zu erfüllen, also Männern einen Lohn zu zahlen, der den Unterhalt auch von Frau und Kindern deckt. Diesen »Familienlohn« zu fordern hieß, die größere Produktivität und Unabhängigkeit der Männer und die geringere Produktivität und notwendige Abhängigkeit der Frauen von den Männern als unvermeidlich zu akzeptieren. Ende des 19. Jahrhunderts sahen sich Frauen stärker als je zuvor auf Billigarbeit festgelegt. Dieses war zunächst nur eine Prämisse der Nationalökonomie. Durch das Zusammenwirken einer vielgestaltigen Gruppe von Akteuren hatte es sich allmählich zu einem immer deutlicheren sozialen Phänomen entwickelt.
Die Schaffung geschlechtlicher Arbeitsplätze
Die Praktiken der Arbeitgeber trugen ebenfalls ihren Teil dazu bei, den Diskurs über geschlechtliche Arbeitsteilung zu konstituieren. Wenn Unternehmer Arbeitsplätze zu vergeben hatten, spezifizierten sie gewöhnlich nicht nur das erforderliche Alter und Qualifikationsniveau, sondern auch das Geschlecht, und in den Vereinigten Staaten auch Rasse und Ethnizität der Arbeiter. In amerikanischen Städten endeten in den 1850er und 1860er Jahren Stellenanzeigen in Zeitungen oft mit: »Iren nicht erwünscht«. Britische Textilfabrikanten suchten »kräftige, gesunde Mädchen« oder »Familien mit Mädchen« für die Fabrikarbeit.[15] In den amerikanischen Südstaaten hatten Mädchen und ihre Familien weiß zu sein. Die hier ansässige Tabakindustrie rekrutierte im Gegensatz dazu fast ausschließlich schwarze Arbeiter. Einige schottische Fabrikbesitzer lehnten es ab, verheiratete Frauen einzustellen; andere waren in ihren Unterscheidungen noch umsichtiger, so zum Beispiel der Direktor der Cowanschen Papierfabrik in Penicnik, der seine Einstellungspolitik 1865 folgendermaßen erklärte: »Um der Vernachlässigung von Kindern zu Hause vorzubeugen, stellen wir keine Mütter von Kleinkindern in unserem Werk ein. Eine Ausnahme gibt es für Witwen oder Frauen, die von ihren Ehemännern verlassen worden sind oder deren Ehemänner nicht imstande sind, den Lebensunterhalt zu verdienen.«[16]
Arbeitgeber beschrieben die von ihnen angebotenen Stellen oft so, als hätten diese geschlechtsspezifische Eigenschaften. Tätigkeiten, die feine, geschickte Finger, Geduld und Ausdauer erforderten, wurden als weiblich bezeichnet, während Muskelkraft, Geschwindigkeit und Qualifikation Männlichkeit signalisierten. Allerdings wurde keine dieser Beschreibungen konsistent auf die ganze Bandbreite der angebotenen Stellen angewandt; tatsächlich waren sie Thema heftiger Kontroversen und Debatten. Das Ergebnis dieser Beschreibungen und Entscheidungen, Frauen nur für bestimmte Tätigkeiten einzustellen und für andere nicht, war die Entstehung der Kategorie »Frauenarbeit«. Auch die Löhne wurden mit einer Vorstellung vom Geschlecht der jeweils betroffenen Arbeitskräfte festgelegt. Mit der Intensivierung der Gewinn-und-VerlustKalkulationen und der Suche nach Konkurrenzvorteilen auf dem Arbeitsmarkt wurde die Einsparung von Lohnkosten in der Tat für die Unternehmer immer wichtiger.
Arbeitgeber entwickelten eine Vielzahl von Strategien zur Senkung der Lohnkosten. Sie führten Maschinen ein, zergliederten und vereinfachten die einzelnen Tätigkeiten im Herstellungsprozeß, verringerten die Qualifikations- (und/oder Schul- und Berufsausbildungs-)anforderungen für ihre Arbeitsplätze, beschleunigten das Produktionstempo, und sie reduzierten die Löhne. Das hatte keineswegs immer die bevorzugte Einstellung von Frauen zur Folge, denn es gab viele Arbeitsplätze, die als ungeeignet für Frauen galten, und andere, in denen der Widerstand der Arbeiter die Einstellung von Frauen undenkbar machte. Doch auch wenn die Tendenz zur Reduktion der Arbeitskosten nicht immer auf eine Feminisierung der Arbeitsplätze hinauslief, bedeutete die Einstellung von Frauen gewöhnlich doch, daß Unternehmer Geld zu sparen versuchten. Der schottische Ökonom Andrew Ure beschrieb die Prinzipien des neuen Fabriksystems 1835 in für Fabrikanten vertrauten Begriffen:
»Tatsächlich ist es das stete Ziel und Bestreben jeder Verbesserung der Maschinerie, menschliche Arbeitskraft entweder ganz abzuschaffen oder ihre Kosten zu reduzieren, indem man die Arbeit der Männer durch die von Frauen und Kindern ersetzt oder die der qualifizierten Handwerker durch die gewöhnlicher Arbeiter. In den meisten Baumwollspinnereien wird die Arbeit ganz von jungen Mädchen ab dem Alter von 16 Jahren erledigt. Wenn man die gewöhnliche Mule durch eine Selfaktor-Mule ersetzt, kann man den größten Teil der Spinner entlassen und lediglich die Jugendlichen und Kinder behalten. Der Besitzer einer Fabrik in der Nähe von Stockport sagt, (. . .) daß er durch eine solche Substitution 50 Pfund in der Woche bei den Löhnen einspart.«[1]
In den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts experimentierten Schuhfabrikanten in Massachusetts in ihren Betrieben mit zahlreichen Veränderungen auf dem Gebiet der geschlechtlichen Arbeitsteilung. So verwandten sie beim Spannen des Leders über den Leisten beispielsweise Fäden statt Nägel und ließen die Arbeit nun statt von Männern von Frauen ausführen; sie führten auch von Frauen betriebene Schneidemaschinen ein. In beiden Fällen waren die Lötine der Frauen niedriger als die der Männer, die sie ersetzten. Als Mitte des 19. Jahrhunderts in den städtischen Zentren immer mehr Zeitungen verlegt wurden, wurden zur Lohnkostensenkung in der Druckindustrie vornehmlich Frauen eingestellt. Die Verleger versuchten außerdem, die mit dem Erscheinen von Morgen- und Abendausgaben der Tageszeitungen gestiegene Nachfrage nach Setzern durch die Ausbildung und Einstellung von Frauen zu befriedigen. Doch der Widerstand der gewerkschaftlich organisierten Drucker schränkte diese Praktiken auf ein Minimum ein und verhinderte wirkungsvoll die Feminisierung des Druckereigewerbes. Nichtsdestotrotz wurden in vielen Kleinstädten auch weiterhin Frauen (zu niedrigeren Löhnen als Männer) in großer Zahl in der Buchdruckerei und Buchbinderei eingestellt.
In expandierenden Bereichen der Berufe mit Fachausbildung und der Angestelltentätigkeit galten Frauen aus vielen verschiedenen Gründen geeigneter als Männer. Als Lehrerinnen und Krankenschwestern hatten sie es, wie man sagte, mit der Pflege von Menschen zu tun, Schreibmaschineschreiben wurde mit dem Klavierspiel verglichen, und als Büroangestellte sollten sie von ihrer Unterwürfigkeit, von ihrer Liebe zum Detail und ihrem Gleichmut gegenüber repetitiver Arbeit profitieren. Diese Wesenszüge hielt man für ebenso »natürlich« wie die »Tatsache«, daß die Kosten der Frauenarbeit notwendigerweise geringer als die der Männerarbeit waren. Die in den 1830er und 1840er Jahren in den Vereinigten Staaten geführten großen Diskussionen über öffentliche Erziehung umfaßten Fragen der Kosten und des allgemeinen Zugangs zu öffentlich finanzierten Schulen. Föderalisten und Jacksonianer waren sich darin einig, daß solche Schulen, so sie denn errichtet werden sollten, nur minimale Kosten verursachen dürften. Jill Conway erklärt die Beschäftigung von Frauen im Schulwesen und den im Vergleich zu den meisten westeuropäischen Ländern geringeren sozialen Status der Lehrer in den Vereinigten Staaten als Folge des Bestrebens, die Kosten so gering wie möglich zu halten. »Das Ziel der Kostenreduzierung ließ die Rekrutierung von Frauen als völlig logisch erscheinen, weil alle an der Erziehungsdebatte beteiligten Parteien darin übereinstimmten, daß Frauen kein Gewinnstreben kennen und für Minimallöhne arbeiten würden.«[18]
Eine ähnliche Argumentation stand hinter der Entscheidung, Frauen in Behörden und Privatfirmen für Büroarbeiten einzustellen. Nach Samual Cohn wurden in Großbritannien Frauen dann eingestellt, wenn es sich um arbeitsintensive Tätigkeiten handelte und außerdem das Angebot an Jungen für Sekretariatsarbeiten knapp geworden war. Hinter der Einstellung von Frauen stand oft eine veränderte Strategie, nämlich der Wunsch, die wirtschaftliche Effizienz zu erhöhen, die Arbeitskosten zu senken und dabei gleichzeitig besser ausgebildete Arbeiter zu rekrutieren.[19] Der Direktor des britischen Telegrafendienstes bemerkte 1871, daß »Löhne, die männliche Vermittlungskräfte lediglich aus unteren Sozialschichten anzulocken vermögen, weibliche Kräfte aus höheren Schichten anzögen«.[20] Sein französischer Kollege, der die Erfahrung der Briten mit weiblichem Personal sorgfältig studiert hatte, sagte 1882, daß »die Rekrutierung von Frauen meist auf einem höheren Bildungsniveau stattfindet, als dieses für neue männliche Angestellte gefordert wird«.[21] Aus ähnlichen Gründen, aber sehr viel zögernder, begann die deutsche Telegraphenverwaltung in den späten 1880er Jahren, Frauen als »Hilfskräfte« (eine Stellung, die sie - sowohl was ihren Rang als auch was ihr Einkommen betraf - von den Männern unterschied) anzuwerben.
Im französischen Telegrafendienst arbeiteten in den 1880er Jahren Frauen und Männer in verschiedenen Räumen und verschiedenen Schichten, vermutlich um den Kontakt zwischen den Geschlechtern und der damit gegebenen Gefahr unmoralischen Verhaltens vorzubeugen. Außerdem unterstrichen die strikt voneinander getrennten Arbeitsplätze den unterschiedlichen Status der Arbeiter und Arbeiterinnen, eine Statusdifferenz, die sich auch in den unterschiedlichen Löhnen beider Gruppen spiegelte. Die Arbeitsorganisation im Pariser Telegrafendienst war gleichzeitig sichtbare Demonstration und Produktion der geschlechtlichen Arbeitsteilung.
Der französische Postdienst begann in den 1890er Jahren in den städtischen Zentren mit der Einstellung von Frauen, was als große Innovation empfunden wurde, obwohl Frauen seit Jahrzehnten in der Provinz Postämter geleitet hatten. Die Postverwaltung machte ihr Stellenangebot für Frauen zugänglich in einer Zeit, als das Postvolumen und der Druck, den Postdienst wirtschaftlich rentabler zu gestalten, ständig größer wurden und als Männer es ablehnten, sich zu den offerierten Löhnen um eine Anstellung zu bewerben. Schließlich schuf man für Frauen eine besondere Beschäftigungskategorie, die dames employees - eine Bürotätigkeit mit festem Lohn und keinerlei Aufstiegsmöglichkeiten. Folge dieser Beschäftigungsbedingungen war eine starke Fluktuation der weiblichen Arbeitskräfte. (Diese Fluktuation war auch das Ergebnis von Alters- und Heiratsbeschränkungen. Für einige Verkaufs- und Bürotätigkeiten war das Alter der Frauen auf 16 bis 25 Jahre begrenzt und der Ledigenstatus Voraussetzung. In England und Deutschland herrschte ein striktes Eheverbot für Angestellte, was die Fluktuation verstärkte und es Frauen unmöglich machte, Ehe und Büroarbeit zu vereinigen.) Hieraus ergab sich ein deutlicher Unterschied in den beruflichen Laufbahnen von Männern und Frauen im Postdienst - ein Unterschied, der die Strategie des Managements spiegelte. Mit den Worten eines Personalchefs:
»Heute gibt es eine Kategorie von Beschäftigten, die in gewisser Weise den früheren Hilfskräften ähnlich sind: die dames employees. Sie haben die gleichen Aufgaben wie Büroangestellte, können aber nicht in verantwortliche Stellungen aufrücken. (. . .) Die Feminisierung ist ein gutes Mittel, um Männern bessere Aufstiegschancen zu verschaffen. Männliche Beschäftigte sind weniger zahlreich, und die Anzahl der verantwortlichen Stellungen steigt der Tendenz nach; es ist deshalb klar, daß Männer nun leichter die Position des Bürovorstehers erreichen können.»[22]
Die räumliche Organisation der Arbeit, die Hierarchie der Löhne, Aufstiegschancen und Status sowie die Konzentration von Frauen in ganz bestimmten Beschäftigungskategorien und in bestimmten Sektoren des Arbeitsmarkts schufen ein nach Geschlechtern segregiertes Arbeitskräftepotential. Die Annahmen, auf die sich diese Geschlechtertrennung gründete - daß nämlich Frauen billiger und weniger produktiv als Männer seien, überhaupt nur zu bestimmten Zeiten ihres Lebens (solange sie jung und unverheiratet sind) und nur zu bestimmten Arten der Arbeit (unqualifizierte, kurzfristige und Dienstleistungstätigkeiten) geeignet seien -, schienen abgeleitet aus dem System der Frauenarbeit, welches jedoch seinerseits erst durch diese Annahmen hervorgebracht worden war. Niedrige Löhne wurden beispielsweise auf das zwangsläufige »Zusammendrängen« von Frauen an den für sie passend erachteten Erwerbsplätzen zurückgeführt. Die Realität eines nach Geschlechtern getrennten Arbeitsmarktes galt dann als Beweis für eine bereits vorher bestehende »natürliche« geschlechtliche Arbeitsteilung. Ich vertrete dagegen die Auffassung, daß es so etwas wie eine »natürliche« geschlechtliche Arbeitsteilung nicht gibt. Solche Teilungen sind vielmehr das Ergebnis von Praktiken, die die Teilungen dann natürlich erscheinen lassen. Die Segregierung des Arbeitsmarktes nach Geschlecht ist hierfür ein Beispiel.
Gewerkschaften
Politik und Praktiken der Gewerkschaften liefern ein anderes Beispiel dafür, wie die geschlechtliche Arbeitsteilung über den Diskurs hergestellt wird. Die Mehrzahl der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter versuchten, ihre Arbeitsplätze und Löhne dadurch zu schützen, daß sie Frauen aus ihren Berufen und langfristig auch vom Arbeitsmarkt insgesamt ausschlössen. Sie hielten es für unvermeidbar und akzeptierten es, daß die Löhne der Frauen niedriger als die der Männer waren, und sahen in den Frauen daher eher eine Gefahr als potentielle Verbündete. Sie rechtfertigten ihre Versuche, Frauen aus ihren Berufen auszuschließen, mit dem Argument, daß Frauen aufgrund ihrer körperlichen Beschaffenheit zur Mutterschaft und zum Hausfrauendasein prädestiniert seien und daß sie aus diesem Grund weder produktive Arbeiterinnen noch gute Gewerkschafterinnen sein könnten. Die Ende des 19. Jahrhunderts allgemein gebilligte Lösung des Problems bestand darin, die für »natürlich« gehaltene geschlechtliche Arbeitsteilung zu erzwingen. Henry Broadhurst erklärte 1877 auf dem Kongreß der British Trade Unions, daß es die Pflicht der Gewerkschaftsmitglieder »als Männer und Ehemänner« sei, »alle ihre Anstrengungen darauf zu verwenden, die Voraussetzungen zu schaffen, daß ihre Frauen in der ihnen eigenen häuslichen Sphäre verbleiben können, statt in Konkurrenz mit den großen und starken Männern der Welt um den Lebensunterhalt zu kämpfen«.[23] Bis auf wenige Ausnahmen einigten sich die französischen Delegierten 1879 auf dem Arbeiterkongreß in Marseille auf eine Position, die Michelle Perrot als »Lob der Hausfrau« bezeichnet hat: »Wir glauben, daß der eigentliche Ort der Frauen nicht die Werkstatt oder die Fabrik, sondern der Haushalt, das Zentrum der Familie, ist.«[24] Nach Ute Frevert äußerte sich der Gothaer Vereinigungsparteitag der Lassalleaner und Eisenacher Sozialdemokraten 1875 »zugleich rigider und differenzierter, als er alle >die Gesundheit und Sittlichkeit schädigende Frauenarbeit- verboten wissen wollte«.[25]
Wie die Arbeitgeber (aber nicht immer aus den gleichen Gründen) beriefen sich auch die Delegierten auf medizinische und wissenschaftliche Studien, um zu zeigen, daß Frauen körperlich nicht in der Lage seien, »Männerarbeit« zu tun; sie hielten außerdem die Moralität der Frauen für gefährdet. Frauen könnten »sozial geschlechtslos« werden, wenn sie Männerarbeiten ausführten, und sie könnten ihre Ehemänner entmännlichen, wenn sie zuviel Zeit außerhalb des Hauses verbrachten, um den Lebensunterhalt zu verdienen. Amerikanische Drucker widersetzten sich den Argumenten ihrer Arbeitgeber, daß das Setzen eine weibliche Tätigkeit sei, indem sie darauf beharrten, daß die für diese Arbeit benötigte Kombination von Muskelkraft und Verstand durch und durch männlich sei. 1850 warnten sie davor, daß das Eindringen von Frauen in ihren Beruf und in ihre Gewerkschaften Männer in ihrem Kampf gegen den Kapitalismus »impotent« machen werde.[26]
Selbstverständlich gab es sowohl Gewerkschaften, die Frauen als Mitglieder akzeptierten, als auch solche, die von Arbeiterinnen selbst gegründet wurden. Letztere gab es vor allem in der Textil-, Bekleidungs-, Tabak- und Schuhindustrie, in denen Frauen einen großen Teil der Beschäftigten bildeten. In einigen Gegenden engagierten sich Frauen in örtlichen Gewerkschaften und Streiks, auch wenn die nationalen Gewerkschaften ihre Teilnahme nur widerstrebend hinnahmen oder gar verboten. In anderen Gegenden gründeten sie landesweit organisierte Frauengewerkschaften und rekrutierten Arbeiterinnen aus einer Vielzahl von Berufen. (Die 1889 gebildete British Women's Trade Union League gründete beispielsweise 1906 die National Federation of Women Workers und hatte bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 etwa 20000 Mitglieder.) Welche Form dieses gewerkschaftliche Engagement auch immer annahm, die Aktivität der Frauen wurde meist als spezifische Frauenaktivität definiert; Frauen stellten - ganz gleich, welche Arbeit sie ausführten - eine von den Arbeitern getrennte Kategorie dar und waren gewöhnlich in eigenen Gruppen oder (im Falle der American Knights of Labor) in »weiblichen Versammlungen« organisiert. In gemischten Gewerkschaften wurden Frauen zudem ausdrücklich untergeordnete Rollen zugewiesen. Nicht alle gewerkschaftlichen Organisationen gingen so weit wie die Associations ouvrieres du Nord de la France, die von 1870 bis 1880 von Frauen, die auf Versammlungen sprechen wollten, eine schriftliche Erlaubnis ihrer Ehemänner oder Väter forderten. Doch viele definierten es als Rolle der Frau, der männlichen Führung zu folgen. Gelegentlich wurde diese Definition mit Erfolg in Frage gestellt, und Frauen erlangten dann - z. B. 1878-87 bei den Knights of Labor - für eine Zeitlang größeren Einfluß. Doch diese Siege brachten keinen Fortschritt, sondern sie änderten nur vorübergehend etwas an der untergeordneten Stellung der Frauen in der Arbeiterbewegung. Ganz gleich, wie aktiv sie an Streiks teilnahmen oder wie überzeugend ihr Engagement in der Gewerkschaft war, Arbeiterinnen konnten die landläufige Meinung, daß sie keine volle Arbeitskraft, d. h. keine Menschen waren, die ihr ganzes Leben lang einer Lohnarbeit nachgingen, nicht entkräften.
Wenn sie sich für eine eigene Vertretung einsetzten, rechtfertigten Frauen ihre Forderungen mit Hinweisen auf Widersprüche in der Gewerkschaftsideologie, die einerseits die Gleichheit aller Arbeiter, andererseits den Schutz des familialen und häuslichen Lebens der Arbeiterklasse vor den verheerenden Auswirkungen des Kapitalismus propagierte. Eingebunden in diesen Gegensatz von Arbeit und Familie, Männern und Frauen konnte die Forderung der Frauen nach Gleichstellung als Arbeiterinnen nur schwer formuliert und ebenso schwer in die Tat umgesetzt werden. Paradoxerweise wurde alles noch schwieriger, wenn die Gewerkschaften die Strategie verfolgten, Frauen im Namen des Prinzips »gleicher Lohn für gleiche Arbeit« auszuschließen. Druckergewerkschaften in England, Frankreich und den Vereinigten Staaten nahmen beispielsweise nur dann Frauen in ihre Reihen auf, wenn sie die gleichen Löhne wie ihre männlichen Kollegen erhielten. Statt also gleiche Bezahlung für Frauen zum Ziel gewerkschaftlicher Arbeit zu machen, wurde gleiche Bezahlung zur Voraussetzung für die Mitgliedschaft. Diese Politik ging nicht nur davon aus, daß Arbeitgeber Frauen beschäftigten, weil sie ihnen niedrigere Löhne als Männern zahlen konnten, sondern auch, daß die Arbeit von Frauen weniger wert sei als die Arbeit von Männern und deshalb niemals gleich vergütet werden könne. Implizit wurde damit die nationalökonomische Theorie der Frauenlöhne übernommen und die Vorstellung, daß es eine »natürliche« Erklärung für die Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern gebe, gebilligt. Aufgrund dieser Überzeugung bestand die Lösung der Drucker darin, Frauen von der Lohnarbeit auszuschließen und die Erfüllung des nationalökonomischen Postulats, daß der Lohn eines Mannes der ganzen Familie ein gutes Auskommen sichern solle, in der Praxis zu fordern.
Im 19. Jahrhundert erlangte die Forderung nach einem ausreichenden Familienlohn immer zentralere Bedeutung in der Gewerkschaftspolitik. Obwohl sie nie ganz erfüllt wurde und verheiratete Frauen auch weiterhin Arbeit suchten, wurde die nichtarbeitende Ehefrau in der Arbeiterklasse zum Ideal der Ehrbarkeit. Von Töchtern erwartete man zwar, daß sie zum Einkommen der Familie beitrugen, aber nur vor der Ehe. Ihr Arbeiterinnenstatus galt als kurzfristige Lösung, nicht als dauerhafte Identität, selbst wenn sie, wie es für viele Frauen zutraf, den größten Teil ihres Lebens mit Geldverdienen verbrachten. Die Arbeiterin wurde als definierbar anders geartet als der Arbeiter vorgestellt. Arbeit sollte Männern die Möglichkeit zu Unabhängigkeit und individueller Identität eröffnen, während sie Frauen vor allem als Pflicht gegenüber anderen zugedacht wurde. Wenn sie jung und unverheiratet war, hatte eine Frau, die Geld verdiente, zum Lebensunterhalt der Familie beizutragen; wenn sie verheiratet war und Kinder hatte, galt ihre Lohnarbeit als Zeichen dafür, daß ihr Haushalt in finanziellen Schwierigkeiten steckte. Die Diskussionen darüber, daß eine bezahlte Arbeit für verheiratete Frauen unschicklich sei, stützten sich auf Verallgemeinerungen über weibliche Physiologie und Psychologie, und dabei wurden verheiratete Frauen mit allen Frauen gleichgesetzt. Infolgedessen wurden Mütterlichkeit und Häuslichkeit zum Synonym von Weiblichkeit; die damit angesprochenen Aufgaben faßte man als wichtigste und ausschließliche Identität der Frauen auf, und dies diente wiederum als Erklärung (nicht als deren Folge) für die Möglichkeiten und Löhne von Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Die »Arbeiterin« wurde zu einer eigenständigen Kategorie; sie erschien weniger als mögliches Mitglied einer Gruppe, die organisiert werden konnte, denn als Problem, mit dem man konfrontiert war. Man drängte Frauen in sogenannte frauenspezifische Berufe und organisierte sie in besonderen Frauengewerkschaften. Diese Situation diente dann als Beweis für die Notwendigkeit, »natürliche« Unterschiede zwischen den Geschlechtern anzuerkennen und wiederherzustellen. Auf diese Weise wurde durch die Rhetorik, Politik und Praxis der Gewerkschaften eine Interpretation der geschlechtlichen Arbeitsteilung institutionalisiert, die Produktion und Reproduktion, Männer und Frauen als Gegensatz deutete.
Gesetze zum Schutz der Frau
Was aus den genannten Gründen in den Gewerkschaften geschah, geschah aus anderen Gründen auch auf staatlicher Ebene. Beides führte im Ergebnis zu einer ähnlichen Konstruktion der geschlechtlichen Arbeitsteilung. Die Regierungen griffen in den Vereinigten Staaten und den westeuropäischen Ländern im Verlauf des 19. Jahrhunderts zunehmend reglementierend in die Beschäftigungspraktiken der Arbeitgeber ein. Die Gesetzgeber reagierten auf den Druck verschiedener Gruppen, die aus unterschiedlichen (manchmal einander widersprechenden) Gründen eine Reform der Arbeitsbedingungen herbeiführen wollten. Die größte Aufmerksamkeit richtete sich auf Frauen und Kinder. Obwohl beide Gruppen auch in der Vergangenheit viele Stunden des Tages gearbeitet hatten, scheint sich die Sorge über deren Ausbeutung erst mit dem Aufkommen des Fabriksystems entwickelt zu haben. Reformer zögerten zwar, »die individuelle Freiheit der (männlichen) Bürger- zu beeinträchtigen, doch bei Frauen und Kindern stellte sich ihnen dieses Problem nicht.[27] Da sie keine Bürger waren und keinen direkten Zugang zur politischen Macht hatten, galten sie als verletzlich und abhängig und deshalb des Schutzes bedürftig.
Die Verletzlichkeit der Frauen wurde ganz unterschiedlich beschrieben: der Körper der Frau war schwächer als der des Mannes, weshalb eine Frau nicht so viele Stunden wie ein Mann arbeiten sollte; Arbeit »verdarb« die Reproduktionsorgane und machte Frauen unfähig, gesunde Kinder zu gebären und aufzuziehen; der Erwerb hielt sie von der Erfüllung häuslicher Aufgaben ab; Nachtarbeit setzte sie sexuellen Annäherungsversuchen am Arbeitsplatz und auf dem Weg dorthin aus; Zusammenarbeit mit Männern oder Arbeit unter deren Aufsicht barg die Möglichkeit moralischer Verführung in sich. Auf den Einwand von Feministinnen, daß Frauen keinen Schutz durch andere, sondern eigene kollektive Aktionen brauchten, antworteten sowohl die Gesetzgeber als auch die Vertreter von Arbeitern und Arbeiterinnen, daß Frauen, da sie von den Gewerkschaften der Männer ausgeschlossen und zur Gründung eigener Gewerkschaften offenbar unfähig waren, eine starke Kraft nötig hätten, die sich für sie einsetzte. Auf der internationalen Konferenz zur Arbeiterschutzgesetzgebung 1890 in Berlin argumentierte Jules Simon, daß Arbeiterinnen »im Namen des evidenten und höheren Interesses der menschlichen Rasse« Mutterschaftsurlaub gewährt werden müsse. Es handele sich dabei, so sagte er, um einen Schutz, den man Personen schulde, »deren Gesundheit und Sicherheit nur durch den Staat garantiert werden kann«.[28] Diese Rechtfertigungen ganz gleich, ob sie körperlich, moralisch, praktisch oder politisch begründet wurden - konstruierten Arbeiterinnen als eine besondere Gruppe, deren Lohnarbeit andere als die typischerweise mit (männlicher) Arbeit verknüpften Probleme aufwarf. Von den ersten Fabrikgesetzen in den 1830er und 1840er Jahren in England bis hin zur Organisierung internationaler Konferenzen zur Propagierung und Koordinierung nationaler Gesetze in den 1890er Jahren wurden Schutzgesetze nicht zur allgemeinen Verbesserung industrieller Arbeitsbedingungen, sondern als eine besondere Lösung des Problems der Frauen(und Kinderarbeit erlassen.
Obwohl die Verfechter dieser Arbeiterschutzgesetze über Frauen (und Kinder) generell sprachen, waren die verabschiedeten Gesetze sehr eng gefaßt. Gesetze, die die täglichen Arbeitsstunden der Frauen einschränkten und Nachtarbeit völlig verboten, bezogen sich gewöhnlich nur auf Fabrikarbeit und solche Berufe, in denen überwiegend Männer beschäftigt waren. Viele Arbeitsbereiche blieben davon völlig ausgenommen, z. B. Landwirtschaft, häuslicher Dienst, Einzelhandel, familienbetriebene Läden und Heimarbeit. Dies waren aber gerade die Bereiche, in denen Frauen - zumindest anfangs - hauptsächlich arbeiteten. In Frankreich waren drei Viertel der Arbeiterinnen von dieser Gesetzgebung nicht betroffen. In Deutschland, Frankreich, England, Holland und den Vereinigten Staaten breitete sich nach der Verabschiedung der Schutzgesetze die Heimarbeit für Frauen stark aus. Maiy Lynn Stewart faßt die Auswirkungen der Gesetzgebung, deren charakteristischstes Merkmal eine lange Liste mit Ausnahmen von der Reglementierung war, folgendermaßen zusammen:
»Die Ausnahmeregelungen kamen der Industrie entgegen, die auf billige weibliche Arbeitskraft setzte; sie beschleunigten die Verschiebung weiblicher Arbeitskraft in nichtreglementierte Bereiche und verschärften so deren Überangebot in rückständigen Produktionszweigen. Die Anwendung des Gesetzes verstärkte diese Effekte. Inspektoren sorgten in männlichen Berufszweigen peinlich genau für die Einhaltung des Gesetzes, während sie in weiblichen Tätigkeitsbereichen Übertretungen nicht zur Kenntnis nahmen. Kurz, die geschlechtsspezifische Arbeitsschutzgesetzgebung billigte und verstärkte die Festlegung der Frauen auf schlechter bezahlte, zweitrangige Tätigkeiten.«[29]
Selbst im Falle der Industriearbeit intensivierten die Gesetze die Trennung von Arbeitern und Arbeiterinnen, um den Betrieb an die nun notwendig gewordenen verschieden langen Arbeitsschichten oder die Trennung von Tag- und Nachtarbeit anzupassen. Diese Unterscheidungen rechtfertigten wiederum Lohnunterschiede und die für Männer und Frauen unterschiedliche Zuschreibung von Merkmalen, Qualitäten und Statuspositionen. Die Schlußfolgerung von Stewart ist zutreffend: »Insgesamt betrachtet war das auffallendste Ergebnis dieser geschlechtsspezifischen Festlegung der Arbeitsstunden eine Verstärkung der geschlechtlichen Arbeitsteilung.«[30] Die Voraussetzung für das Gesetz wurde so zu seiner Folge, und die Kluft zwischen Männer- und Frauenarbeit wurde vergrößert. Nachdem der Staat die Reproduktion zur wichtigsten Aufgabe der Frau erklärt hatte, setzte er auch die Zweitrangigkeit ihrer produktiven Arbeit durch.
Das »Problem« der Arbeiterin
Dank der öffentlichen Debatten über die Beschäftigung von Frauen, die Politik der Gewerkschaften und die Arbeiterschutzgesetze gibt es eine Fülle von Informationen über Arbeiterinnen und deren Situation. Die in Form von Parlamentsberichten, privaten Erhebungen und persönlichen Zeugnissen vorliegenden Quellen können benutzt werden, um zu zeigen, daß Frauen aus den verschiedensten Gründen arbeiteten, um ihren eigenen Lebensunterhalt oder den ihrer Familie zu verdienen; daß sie eine lange Tradition qualifizierter weiblicher Handwerksarbeit (zum Beispiel auf dem Gebiet der Bekleidung oder der Putzwaren) fortsetzten; daß sie für neue Tätigkeiten rekrutiert wurden. Dieses Material kann sowohl als Beleg für das Argument herangezogen werden, daß Arbeit die Unterdrückung und Ausbeutung der Frauen zur Folge hatte, als auch dafür, daß Arbeit den Frauen ein Gefühl von Autonomie, einen Platz in der Welt gegeben hat. Lohnarbeit kann als unmögliche Forderung, notwendiges Übel oder positive Erfahrung dargestellt werden, je nachdem, in welchem Zusammenhang und Bezugsrahmen sie analysiert wird. Im 19. Jahrhundert wurde sie tatsächlich mit all diesen Begriffen geschildert, manchmal von ein und derselben Person zu verschiedenen Zeiten ihres Lebens. Die Französin Jeanne Bouvier (geboren 1856) hatte als Kind nacheinander eine Reihe schrecklicher Arbeitsplätze, zuerst als Dienstmädchen und dann in einer Fabrik. Später arbeitete sie als Näherin in Paris und wurde schließlich eine qualifizierte Schneiderin. Danach schlug sie die von ihr als befriedigend beschriebene Laufbahn einer Schriftstellerin und Gewerkschaftsführerin ein.[31] Ganz ähnlich berichteten in den 1850er und 1860er Jahren geborene Engländerinnen, die für die Women's Cooperative Guild über ihr Arbeitsleben Memoiren schrieben, von verschiedenen Arbeitssituationen: Einige waren extrem ermüdend und ohne Lohn, andere vermittelten ihnen das Gefühl von Zielbewußtheit und Stärke und führten sie zu politischen Bewegungen, die ihnen eine kollektive Identität gaben. [32] Einige Näherinnen erzählten Henry Mayhew, daß nicht die Arbeit selbst, sondern die niedrigen Löhne sie in die Prostitution getrieben hatten, andere träumten davon, einen Mann zu heiraten, dessen Einkommen zum Leben reichte, so daß sie nie wieder arbeiten gehen müßten. Selbst die entsetztesten Reformer bemerkten oft den Stolz und die Unabhängigkeit einiger Arbeiterinnen, die sie als unterdrückt und ausgebeutet beschrieben. Sie argumentierten, daß solche Eigenschaften die häusliche Stabilität ebenso bedrohten wie die körperliche und wirtschaftliche Ausbeutung der Arbeiterinnen. Wenn Gewerkschafterinnen gleiche Löhne für Frauen forderten, gingen sie nicht nur davon aus, daß Frauen auch in Zukunft würden arbeiten gehen müssen, sondern auch, daß sie das möglicherweise sogar zu tun wünschten. D. h. der Wunsch nach einer beruflichen Tätigkeit konnte ebenso wie die wirtschaftliche Notwendigkeit eine Erklärung für die Präsenz von Frauen in der Arbeitswelt sein.
Diese widersprüchlichen Beschreibungen und Interpretationen verschwanden im herrschenden Diskurs der Zeit, der eine Standardfrau konzeptualisierte und Arbeit als eine Vergewaltigung ihrer Natur ansah. Das »Problem der Arbeiterin« zu definieren, hieß arbeitende Frauen nicht als schlecht behandelte Produktionsakteurinnen, sondern als soziale Pathologie sichtbar zu machen. Denn gewöhnlich ging es bei dieser Diskussion weder um die Befriedigungen und Schwierigkeiten, die die Arbeit den einzelnen Frauen bot, noch um die lange und fortdauernde Geschichte der Teilnahme von Frauen an der Arbeitswelt, auch nicht um die Ungerechtigkeit ihrer viel zu niedrigen Löhne, sondern allein um die Auswirkungen körperlicher Anstrengung auf die Reproduktionsfähigkeit ihres Körpers und um die Folgen ihrer vermeintlichen Abwesenheit von zu Hause auf Disziplin und Sauberkeit in ihrem Haushalt. Selbst Vorschläge, die nicht von der Annahme einer Unvereinbarkeit von Arbeit und Weiblichkeit ausgingen, bedienten sich dieser Vorstellung, indem sie die Auswirkungen der Ausbeutung auf das Familienleben oder die Mutterschaft betonten.
Während der in den 1830er und 1840er Jahren in England geführten Debatten über die Factory Acts wies William Gaskell darauf hin, daß Frauen ihre Kinder nicht stillen konnten, während sie in der Fabrik arbeiteten. Andere sprachen von der Unvereinbarkeit zwischen Frau und Maschine wegen des Gegensatzes zwischen Weichem und Hartem, Natürlichem und Künstlichem, Zukünftigem und Gegenwärtigem, Reproduktion der Gattung und Produktion von leblosen Waren. Wieder andere beschrieben die Unmoral, die aus Situationen erwuchs, in denen Frauen harte Arbeiten ausführten, in denen sie der groben Sprache der Männer an gemischten Arbeitsplätzen ausgesetzt waren, den sexuellen Annäherungsversuchen von Vorarbeitern nachgeben mußten und die Armut sie zur Prostitution zwang. Selbst wenn von geringen Löhnen und schlechten Arbeitsbedingungen gesprochen wurde, neigte man dazu, in der Arbeit selbst, vor allem der »öffentlichen« Arbeit außerhalb des Hauses, die Ursache für das Unglück der Frauen zu sehen. Paul Lafargue, Abgeordneter der Parti ouvrier francais, schlug 1892 eine neue Regelung des Mutterschaftsurlaubs für französische Arbeiterinnen vor, die den Frauen vom vierten Schwangerschaftsmonat bis zum Ende des ersten Lebensjahres des Kindes ein tägliches Einkommen sichern sollte. Er empfahl, zur Förderung von Geburten, weil allein dies die »soziale Funktion» der Frauen sei, eine Steuer von den Arbeitgebern zu erheben. Er bot diese Maßnahme als ein Korrektiv zur ausbeuterischen Zerstörung des Familienlebens durch den Kapitalismus an, der »Frauen und Kinder der häuslichen Sphäre entreißt und sie in Produktionsinstrumente verwandelt«.[33] Hier wurde ein progressives Sozialprogramm mit der Berufung auf ein Ideal gerechtfertigt, das vom sekundären Status weiblicher produktiver Arbeit ausging.
Ganz ähnlich nahmen viele Versuche, die Auswirkungen der Lohnarbeit auf eine Mutter und ihre Familie durch die Einrichtung von Tagesstätten und Schulen für Kinder zu mildern, die Form von Notmaßnahmen statt von langfristiger Sozialpolitik an. Einige Reformer suchten Kinderkrippen oder andere, öffentlich finanzierte Institutionen einzurichten, um Arbeiterinnen von ihrer Doppelbelastung zu befreien, andere waren über die hohe Säuglingssterblichkeit und »die Zukunft der Rasse« beunruhigt. Beide Gruppen dramatisierten aber die Notwendigkeit einer Reform mit Berichten über Kindesvernachlässigung durch Babysitter, Pflegemütter oder Ammen, diesen »unnatürlichen« Formen des Ersatzes für die ganztätige Betreuung durch eine Mutter. Selbst die, die in der Frauenarbeit an sich keine Gefahr sahen, schienen implizit von der Forderung auszugehen, daß Hausarbeit eine Vollzeitbeschäftigung sein sollte.
Hausarbeit galt aber nicht als produktive Arbeit. Obwohl die hohe Wertschätzung des häuslichen Lebens den sozialen Status der Frauen verbesssert und ein Loblied auf den affektiven und moralischen Einfluß der Frauen inspiriert hat, galt Hausarbeit weiterhin als Arbeit ohne wirtschaftlichen Wert. Nach Jane Lewis war die Volkszählung von 1881 in Großbritannien die erste, die die Hausarbeit von Frauen aus der Kategorie der Arbeit ausschloß. »Mit der Klassifizierung von Frauen, die zu Hause arbeiteten, als >beschäftigungslos<, sank die Arbeitsrate der Frauen um die Hälfte.« In früheren Statistiken erreichten Männer und Frauen über 20 Jahre das gleiche wirtschaftliche Aktivitätsniveau.[34] Nach 1881 wurden Haushalt und Produktivität als Gegensatz dargestellt. Diese Neuklassifizierung (die später auch in anderen Ländern stattfand) reflektierte weniger veränderte Beschäftigungsbedingungen als vielmehr eine soziale Interpretation des zwischen den Geschlechtern bestehenden Unterschieds. Frauen zu Hause waren keine Arbeiterinnen oder sollten keine Arbeiterinnen sein; selbst wenn sie zu Hause durch Nähen oder andere Arbeiten Geld verdienten, betrachteten Volkszähler diese Tätigkeiten nicht als wirkliche Arbeit, da sie weder »den ganzen Tag« beanspruchten, noch außerhalb des Hauses ausgeführt wurden. Das Ergebnis war, daß ein Großteil der weiblichen Lohnarbeit in den offiziellen Regierungsstatistiken nicht auftauchte, und da sie unsichtbar blieb, konnte sie weder zum Gegenstand der Aufmerksamkeit noch der Reform werden.
Im Diskurs über die geschlechtliche Arbeitsteilung führten die unterstellten Gegensätze zwischen Frau und Arbeit, Reproduktion und Produktion, häuslicher Arbeit und Lohnarbeit dazu, daß die Arbeiterin selbst zum Problem wurde. Das hatte seinerseits zur Folge, daß bei den Diskussionen über Lösungen die Ursache für die Not der Arbeiterin nicht in den Bedingungen ihrer Arbeit, ihren niedrigen Löhnen oder dem Mangel an sozialen Einrichtungen der Kinderbetreuung gesehen wurde, sondern daß man diese vielmehr als Symptome der Mißachtung des »natürlichen« Funktionsunterschieds zwischen Männern und Frauen auffaßte. Das führte wiederum dazu, daß nur ein einziges Ziel als erstrebenswert galt: die weitestgehende Entfernung der Frauen aus langfristiger und ganztägiger Lohnarbeit. Obwohl dieses Ziel in der Praxis kaum erreicht wurde, schränkte es doch die Möglichkeit ein, für die schwierige Situation der Arbeiterinnen praktische Lösungen zu formulieren; denn die eingeschlagene Politik setzte als natürliche und unvermeidbare Tatsache voraus, daß Frauen immer zweitrangige Erwerbspersonen bleiben würden, deren Körper, produktive Fähigkeiten und soziale Verantwortungen sie unfähig machten für eine Arbeit, die ihnen wirtschaftliche und soziale Anerkennung als vollwertige Arbeitskräfte verschaffen würde.
Die Aufmerksamkeit, die die Arbeiterin im 19. Jahrhundert auf sich zog, ist daher nicht so sehr auf die steigende Zahl der weiblichen Beschäftigten, auf einen Wandel ihrer Arbeitsplätze, der Qualität und Quantität ihrer Arbeit zurückzuführen. Entscheidend war dafür vielmehr, daß die geschlechtliche Arbeitsteilung ins Zentrum des öffentlichen Interesses rückte. Dieses Interesse wurde weniger von den objektiven Bedingungen der industriellen Entwicklung hervorgerufen; es half vielmehr, diese Bedingungen zu gestalten, indem es den Produktionsverhältnissen eine geschlechtliche Dimension, den Arbeiterinnen einen zweitrangigen Status und schließlich Heim und Arbeit, Reproduktion und Produktion eine gegensätzliche Bedeutung gab.
Wenn wir die Geschichte der Frauenarbeit als die Geschichte der diskursiven Konstruktion einer geschlechtlichen Arbeitsteilung präsentieren, dann nicht, um das, was geschah, zu legitimieren oder als natürlich darzustellen, sondern um es in Frage zu stellen. Wir öffnen damit die Geschichte für viele Erklärungen und Interpretationen. Wir können fragen, was hätte anders verlaufen können, und wir können auf neue Weise darüber nachdenken, wie Frauenarbeit heute anders wahrgenommen und gestaltet werden sollte.
Aus dem Englischen von Sylvia M. Schomburg-Scherff