»Die Frauen des dritten Standes werden fast alle ohne Vermögen geboren; ihre Erziehung wird sträflich vernachlässigt; Sie besteht darin, sie zu einem Lehrer in die Schule zu schicken, der selbst nichts von der Sprache versteht, die er unterrichtet; dort verbleiben sie so lange, bis sie die Messe auf Französisch und Vespern auf Lateinisch lesen können. Sind die ersten religiösen Pflichten erfüllt, werden sie zur Arbeit angeleitet; im Alter von fünfzehn oder sechzehn Jahren können sie fünf oder sechs Sous am Tag verdienen. Wenn die Natur sie nicht mit Schönheit bedacht hat, heiraten sie ohne Mitgift armselige Handwerker, fristen ihr mühsames Leben in der hintersten Provinz und bringen Kinder zur Welt, die sie nicht aufzuziehen vermögen. Sind sie aber hübsch, ohne Bildung, ohne Prinzipien, bar jeder moralischen Vorstellung, so fallen sie dem erstbesten Verführer zum Opfer, begehen einen ersten Fehltritt, kommen nach Paris, um ihre Scham zu begraben, verlieren sie dort gänzlich und sterben als Opfer ihrer Ausschweifungen.«[1]
Dieses trostlose Bild, das auf die Geschichte mittelloser Frauen aufmerksam macht, vermittelt eine Anfang 1789 an den König gerichtete anonyme »Petition der Frauen des dritten Standes«: Entweder »hat die Natur sie nicht mit Schönheit bedacht« oder »sie sind von Natur aus hübsch«. Im ersten Fall heiraten sie Männer, die ebenso arm sind wie sie, fristen ihr Leben weitab vom städtischen Treiben und erleiden das Schicksal wiederholter Schwangerschaften, ohne die Mittel zu haben, den daraus resultierenden Aufgaben gerecht zu werden. Hat die Frau weder Mitgift noch Schönheit, so ist ihr Schicksal hoffnungslos, trotz Heirat, Kinder und der Arbeit des Ehemannes.
Noch schlimmer war es, keine Mitgift zu haben, aber schön zu sein: Die Schönheit betonte noch ihren Mangel, nämlich den an »Bildung«, »Prinzipien» und »Moral«, welche das junge Mädchen vor den Folgen seines hübschen Aussehens beschützen könnten. »Von einer häßlichen Frau will man nichts«, heißt es in einem Text aus dem 16. Jahrhundert.[2] Die Häßlichkeit einer armen Frau erlaubt eine gleichgültige Betrachtung und macht die Frage nach ihrer Tugend überflüssig, sie löscht ihre sexuelle Identität aus und verhindert ihre Teilnahme am städtischen Leben. Schönheit hingegen ließ die sexuelle Identität einer Frau sichtbar werden, durch die sie zugleich bedroht wurde, und sie verrät ein doppeltes Defizit: sowohl das fehlende Vermögen als auch die mangelnde Erziehung, die es ihr ermöglicht hätten, auf ihre Tugend und den Schutz ihrer Umgebung zu bauen. Die auffällige Schönheit eines armen Mädchens machte es zur leichten Beute: Sobald es in die Öffentlichkeit trat, wurde es von den gierigen Blicken skrupelloser Verführer verschlungen. Der weitere Verlauf war vorhersehbar: ein erster Fehltritt, die anschließende Scham, dann die Flucht in die Anonymität der Städte - Orte maßloser »Ausschweifungen«, wo später die Scham mit dem Körper zu Grabe getragen würde.
Schönheit war verhängnisvoll: »Schöne Männer enden am Galgen, schöne Frauen im Bordell«, lautet ein von Brantôme zitiertes Sprichwort. Verhängnisvoll war sie vor allem für jene Frauen, die kein Vermögen besaßen, aber nicht nur für sie. Man denke nur an die den Frauen gewidmeten Werke der Bibliotheque Bleue, in denen zu lesen war, daß weibliche Schönheit geradewegs ins Verderben und in die Verdammnis führe.[3]
Die obige Petition wirft damit folgende Fragen auf. Zum einen: Was wurde unter »Schönheit« verstanden, und wie wirkte sie, um das Schicksal einer Frau so entscheidend beeinflussen zu können? Zum anderen: Gibt es vom 16. bis zum 18. Jahrhundert in dieser Hinsicht Parallelen oder Unterschiede zwischen Männern und Frauen? Waren diese Unterschiede ein historisches Konstrukt, und betrafen sie die Darstellung oder die Praxis?
Quellen und Voreingenommenheiten
Diese Fragen gehören eigentlich weniger in den Bereich der Geschichtswissenschaft als in den der Phänomenologie und der Soziologie. Der Eindruck von Schönheit oder Häßlichkeit entsteht zumeist in Situationen, die von den Betroffenen nicht benannt werden und kaum Spuren in Archiven hinterlassen. Die Quellenlage erlaubt in der Tat nahezu keinen objektiven Zugriff auf das Geschehen, sondern allenfalls Hypothesen, die aus einer aufmerksamen und genauen Lektüre resultieren.
Erhalten gebliebene Dokumente sind heterogen und kontingent; Bemerkungen über die Ästhetik des Körpers tauchen lediglich bruchstückhaft in Texten auf, wo man sie nicht vermuten würde, beispielsweise in medizinischen Traktaten sowie in Texten, in denen dies selbstverständlich ist (so enthalten Romane aus dem 18. Jahrhundert gewöhnlich eine kurze Beschreibung der körperlichen und moralischen Eigenheiten der Helden). Briefe, Romane und Gedichte, medizinische und philosophische Abhandlungen geben Auskunft über die damaligen Parameter von Schönheit und Häßlichkeit. Ebenso liefern archäologische Untersuchungen von Städten und ländlichen Gebieten und die von den Historikern zahlreich erforschten Hinterlassenschaftsinventare eine Fülle bedeutenden Materials: Funde von städtischen und ländlichen Schmuckstücken, Spiegel, Badezimmer, Pinzetten etc. . .
Doch diese Quellen geben vorzugsweise über die höfische und städtische Gesellschaft Auskunft, weniger über die »dörfliche Kultur«, um einen Begriff von Emmanuel Le Roy Ladurie zu gebrauchen. Die dörfliche Kultur ist weit schwieriger zu erfassen, will man nicht, wie die ersten Volkskundler und wie später auch die Ethnologen, von traditionellen Gesellschaften Rückschlüsse auf das Leben in den ländlichen Gegenden Europas im 19. Jahrhundert ziehen.
Historische Bedingungen müssen in sozialer und geographischer Hinsicht differenziert werden; der Gegensatz Stadt/Land ist allerdings zu einfach, um der Wirklichkeit gerecht zu werden. Die großen Marktflecken (etwa 2000 bis 5000 Einwohner), in denen während der Frühen Neuzeit große Teile der ländlichen Bevölkerung Europas lebten, besitzen ein Zentrum - den Marktplatz -, um das herum sich Kirche, Wirtshaus, Friedhof, die Schmiede und die Häuser der Wohlhabenden gruppierten. Die Zahl der Feier- und Festtage, an denen sich die Menschen in größeren Gruppen zusammenfanden und Neuigkeiten austauschten, lassen eine äußerst komplexe und heterogene Gesellschaft vermuten, mit ebenso intensiven sozialen und kulturellen Kontakten wie in den Städten, auch wenn diese viel seltener beschrieben worden sind. Sogar in die menschenleeren Landstriche gelangten Nachrichten entweder per pedes oder durch Reiter. Historiker kennen zwar kaum Einzelheiten über die spezifischen ländlichen Kommunikationsnetze, das soll aber weder heißen, daß das Land eine von der schriftlichen Überlieferung unabhängige kulturelle Autonomie besessen hätte, noch daß veraltete und abgelegte Lebensformen und Anschauungen der städtischen Eliten fraglos übernommen worden wären.
Wir sollten uns vor einer allzu scharfen Trennung von Stadt und Land hüten. Eine Reihe von ethnologischen und historischen Arbeiten [4] hat aufgedeckt, welche Vorstellungen vom menschlichen Körper die Landbevölkerung hatte: Wissen, das einst Gelehrten vorbehalten war, bildet gemeinsam mit bestimmten sichtbaren Attributen ein autonomes und umfassendes Bedeutungssystem. Dieses System erklärt erst, weshalb eine gewisse Haarfarbe bevorzugt oder abgelehnt wurde (man denke nur an rote Haare). Solche Geschmacksurteile standen keineswegs zwangsläufig im Widerspruch zu den herrschenden Schönheitsidealen innerhalb der städtischen und höfischen Gesellschaft. Unser Anliegen besteht darin, ein solches Sinnsystem einschließlich seiner Veränderungen historisch und geographisch zu verorten.
Am anderen Ende des sozialen Gefüges wurde politische Macht zunehmend mit ostentativer Aufmachung gleichgesetzt. Die europäischen Hofgesellschaften und mit ihnen jede ständische Vertretung bedienten sich vom 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts in erster Linie sichtbarer Zeichen als Symbol ihrer Stärke. Prächtige gefärbte Stoffe, Edelsteine, Gold und zeremonielles Gebaren bannten den Blick des Publikums, der in ihnen geradezu versank. Macht, Heiligkeit. Sonnenlicht waren ebenso wie die Erscheinung einer schönen Frau gesellschaftliche Spektakel, deren Glanz strategischen Zwecken diente. Sämtliche großen Höfe konkurrierten in ihrem Prunk miteinander und suchten ihre Sprache, ihre ökonomische und soziale Ordnung, aber auch ihre ästhetischen Vorlieben in der Welt zu verbreiten. Dieses Verhaltensmuster war charakteristisch für das abendländische Verhältnis zur Macht, wie es sich während dieses Zeitraums herausbildete.
Sowohl in schriftlichen als auch in bildlichen Quellen findet man immer wieder Männer wie Frauen, die Prunk und Pracht zur Schau stellen. Je näher man dem Machtzentaim kam, desto emphatischer und ostentativer wirkte der äußere Schein, die zeremonielle Geste, die sich in einem gigantischen und schwindelerregenden Rahmen (Säle, Paläste, Plätze, aber auch Kopfputz, Schleppen) und im Glanz der Lichter (Lüster, Spiegel, Schmuck, Gold) niederschlug, den Blick einfing und den Atem raubte. Allen voran die geschmückten und geschminkten Frauen, die ab dem 19. Jahrhundert Schmuck und Farben, die ihre männlichen Gefährten inzwischen abgelegt hatten, für sich allein beanspruchen sollten.[5]
Körperliche Schönheit: eine Chance für Frauen?
In der eingangs zitierten «Petition der Frauen« wird Schönheit nicht beschrieben, die bloße Erwähnung von Schönheit genügt, sie mit dem weiblichen Geschlecht in Verbindung zu bringen. Wenn von einer armen jungen Frau gesagt wurde, sie sei schön oder häßlich, so wurde allein damit unweigerlich auf ihr mutmaßliches Schicksal geschlossen. Es gab keinen Grund, den Charakter der weiblichen Schönheit und ihre gesellschaftliche Wirkung näher zu erläutern oder zu problematisieren, vielmehr wurden ganz selbstverständlich die beiden einzig möglichen Schicksale einer mittellosen Frau vorweggenommen: Entweder sie war »hübsch« oder nicht! So verallgemeinernd wird hier der Schönheit im Kontext eines niederen sozialen Niveaus eine bestimmende Rolle zugeschrieben. Im 18. Jahrhundert nämlich beginnt sich allmählich eine zusehends einheitlichere städtische Kultur in Europa zu entwickeln, die ein mit femininen Attributen versehenes Bild von sich entwirft: war die Stadt nicht ein Ort der Kultur, der Hast, der Dekadenz, der Verrücktheiten und Frivolitäten, des eher »weibischen« (im Unterschied zu weiblichen) Scheins, des Verlustes der wahren Werte und Tugenden? Die Stadt selbst war natürlich eine Frau. Chronisten, Moralisten und Romanciers des Ancien Regime beschreiben, wie die kulturelle Angleichung der Stadt an den dekadenten Hof schließlich in Korruption und Perversion endet. Hatten die jugendlich schönen Bauernmägde und Straßenkinder erstmal die Stadt betreten, so galt ihre Schönheit als unwiederbringlich verloren. Unweigerlich bedrohte die Stadt die Schönheit. Wurde sie anfangs noch betont (mittels Schminke, Schmuck und anderer Mittel der Verführungskunst), so wird sie später in ihr Gegenteil verkehrt: schändliche Krankheit, Häßlichkeit und Tod.
Schönheit war ein Geschenk, ein Merkmal, das ähnlich objektiver Art war wie etwa Vermögen oder Bildung. Vermögen und Schönheit, bei der Geburt nach dem Zufallsprinzip verteilt, waren Glücksfälle, die im Rückblick nicht gerechtfertigt, sondern lediglich als Tatsache registriert werden konnten. In den europäischen Märchen waren die Heldinnen meist auch schön. Dabei war ihre Schönheit von unbeschreiblicher Vollkommenheit, gleichsam ein Zeichen göttlicher Gnade, wie die magische Berührung einer Wiege durch den Zauberstab einer Fee. Solche Schönheit ging gewöhnlich mit anderen außergewöhnlichen Gaben einher: Wohlstand, gesellschaftlichem Rang, moralischer Reinheit, die sich in der Klarheit des Gesichts widerspiegelten. So als reichte körperliche Schönheit allein zum Glücklichsein nicht aus, diente sie der Vervollkommnung der »wahren«, angeborenen Privilegien und bestätigte deren Legitimität.
Allerdings war Schönheit in ihrer Wirkung im allgemeinen kein dem Wohlstand vergleichbarer Faktor. Keine ästhetische »Mitgift« konnte das Fehlen einer ökonomischen Mitgift kompensieren. Obwohl Schönheit ein wünschenswertes Pendant zu den übrigen Gaben darstellte, konnte sie einem mittellosen jungen Mädchen - besonders im städtischen Milieu - zum Verhängnis werden. Im Falle eines jungen Mädchens, dessen Vermögen ihm die Mittel an die Hand gab, sich (aufgrund seiner Erziehung und Tugendhaftigkeit) mit einem gewissen Schutz zu umgeben, krönte Schönheit natürlich noch die glücklichen Vorzeichen seiner Geburt.
Für arme Frauen allerdings bedeutete Schönheit ein zusätzliches Risiko zu ihrer ohnehin prekären sozialen Stellung. Häßlichkeit hingegen war wie eine schützende Maske, die vor gemeiner Verführung und Verrat schützte. Machte Schönheit eine reiche Frau noch betörender und begehrenswerter, so konnte sie einer armen Frau zum Verhängnis werden. Not und Elend machten eine attraktive Frau hilflos und lieferten sie dem Verführer aus, den diese Hilflosigkeit besonders anzog, Außerdem gab sie sich, indem sie seinen Verführungskünsten erlag, als »Tochter Evas« unmißverständlich zu erkennen: Ihr Verderben — egal ob durch einen Apfel, ein Juwel oder ein Versprechen herbeigeführt war immer direkte Folge der Erbsünde, die sich auf ewig in den weiblichen Körper eingegraben hatte. Schönheit implizierte ein bestimmtes Schicksal, dem um so schwerer zu entrinnen war, als es mit den grundlegenden Mythen geschlechtlicher Identität innerhalb der Kultur übereinstimmte.
Weibliche Identität manifestierte sich mittels Schönheit, und diese wiederum, indem sie die tautologische Verbindung von körperlicher Präsenz und geschlechtlicher Identität aktivierte, verdeutlichte das Dilemma, in dem Frauen sich befanden. Eine Frau, die arm und häßlich war, interessierte weder den Romancier noch den Moralisten noch den Verfuhrer, weil sie keinerlei kulturelle oder soziale Zuschreibung besaß.
Im übrigen ist das gesellschaftliche Urteil, das eine Frau oder einen Mann als attraktiv definiert, ein komplexes Phänomen, dessen objektive Voraussetzungen schwer zu erfassen sind. Schönheit bzw. Häßlichkeit sind subjektive und kulturbedingte Konzepte, die außerhalb der zumeist stereotypen Urteile nicht erfaßt werden können. Wenn sich derlei ästhetische Aspekte der Beurteilung nicht objektivieren lassen, so ist eine Analyse ihrer Konsequenzen noch problematischer. Es ist in der Tat nicht möglich zu rekonstruieren, inwieweit bei Eheschließungen, Ortswechseln oder sogar beim Eintritt ins Kloster ästhetische Erwägungen eine Rolle spielten.
Die anfangs zitierte revolutionäre Petition wirft eine weitere Frage auf: Welche Rolle spielt Schönheit bei der Bestimmung weiblicher Identität? Welche Rolle spielt Schönheit für die Fremd- und Eigenwahrnehmung und die Erfahrung von Weiblichkeit und Männlichkeit? Eine richtige Frau hatte sowohl »weiblich» als auch »schön« zu sein, sie stellte einen Idealtyp dar - im Weberschen Sinne, einen Typ reich an Bedeutungen. Im Gegensatz dazu waren Häßlichkeit und Weiblichkeit vollkommen unvereinbar. Häßliche Frauen gehörten einer neutraleren, weniger geschlechtsspezifischen Kategorie an und tauchten weitaus seltener in Erzählungen und in der Vorstellungswelt auf.
Die ästhetische Frage: eine taktische Maske?
Wer sich mit der Geschichte der Wahrnehmungen beschäftigt, stellt Unterschiede in Auftreten und Aufmachung der Geschlechter fest, die für manche selbstverständlich sind, für andere hingegen klärungsbedürftige Fragen aufwerfen. Geschlechtsspezifischen Unterschieden im Hinblick auf Bildungschancen, politische Aktivitäten sowie das künstlerische und wissenschaftliche Schaffen wird selten Aufmerksamkeit geschenkt. Was hingegen die äußerliche Aufmachung betrifft (Makeup. Kleidung, Schmuck), so steht die Frau im Vordergrund des Interesses. Einen entscheidenden Anteil an dieser Sichtweise haben die Wissenschaftler selbst, die allzu oft gedankenlos die Paradigmen ihrer eigenen Kultur in ihre Forschungen hineintragen. Dabei täten wir besser daran, den gängigen Mustern, die Weiblichkeit mit äußerem Schein, mit Schönheit und mit Versuchung verknüpfen, zu widerstehen. Das 19. Jahrhundert erlebte den Höhepunkt eines äußerst langwierigen Prozesses der ästhetischen Differenzierung und Abgrenzung: Männer legten alles Unzweckmäßige und Auffällige an ihrer Aufmachung ab: Schminke, langes Haar, grelle Kleidung, Schmuck usw. In Europa kleideten sich die bedeutenden Männer von nun an nüchtern und neutral. Man präsentierte sich der Öffentlichkeit in Schwarz, Grau oder Weiß. Der sozialen Präsenz des Mannes wird damit der Stempel des Seriösen aufgedrückt. Jede Überschreitung wurde mit einem Verlust an Glaubwürdigkeit und Einfluß quittiert.
Wenn Männer im 19. Jahrhundert diese durch die Wahl der Kleidung zum Ausdruck gebrachte Ästhetik des Seriösen vor allem auf der politischen Bühne zur Schau trugen, so war der Erwerb geschlechtsspezifischer Körpersprache diesem Endpunkt der Entwicklung um mehrere Jahrhunderte vorausgegangen. Die Kontrolle über den eigenen Körper, die Distanz untereinander, die stolze Haltung, das Schweigen und die Affektmodellierung waren bekanntermaßen Ziele einer Erziehung, die bereits lange vor dem 19. Jahrhundert die männliche Körperhaltung bestimmt hatten. Zu plaudern, sich leichtfüßig oder heftig zu bewegen, laut zu lachen, einen Schuh, ein Taschentuch oder eine Haarspange zu verlieren waren weibliche Möglichkeiten, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
In Westeuropa war seit dem Ende des Mittelalters die Distanz zwischen der intimen körperlichen Sphäre und der öffentlichen sozialen Sphäre beträchtlich angewachsen. Im 19, Jahrhundert hatte der über vier Jahrhunderte dauernde Prozeß die Unterschiede zwischen den Geschlechtern akzentuiert. Zurückhaltung, Selbstbeherrschung, Kälte, Schweigen, eine gerade Haltung, zurückhaltendes Gelächter waren langfristige kulturelle Erscheinungen, die sich das eine Geschlecht beflissener aneignete als das andere. In der westlichen Welt verbargen sich die politischen Machthaber und Gelehrten in der Öffentlichkeit hinter einer starren Maske seriöser Objektivität und unterschieden sich durch ihre Unbeweglichkeit kaum von dem Hintergrund, vor dem sie standen. Eine Abweichung von dieser ästhetischen Norm - durch ein auffälliges Schmuckstück etwa oder schulterlanges Haar - war ein Indiz für Weiblichkeit, also für eine Mischung aus Schwäche und Perversion, Ohnmacht und Unfähigkeit, Unbeständigkeit und Haltlosigkeit.
Lediglich Künstler entgingen ab dem 19. Jahrhundert diesem strengen Verdikt: Kunst - im Gegensatz zur Wissenschaft und noch mehr zur Politik - hatte seit jeher eine Komponente von Weiblichkeit und damit von möglicher Dekadenz, wie sie eben auch durch die Ästhetik des Körpers zum Ausdruck gebracht werden konnte. In manchen Gesellschaften Europas des 16. bis 20. Jahrhunderts gab es zuweilen Männer, die mittels ihrer äußeren »weibischen« Erscheinung ihre nicht immer reflektierte und nicht immer sexuelle - Abweichung von den geltenden Normen bekundeten. Das »Weibische« wurde jedoch im Hinblick auf die schärfere Trennung der weiblichen und männlichen Sphäre zunehmend stigmatisiert.
Was war zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert in Europa geschehen, daß sich solche geschlechtsspezifischen ästhetischen Vorstellungen herausbilden konnten? Versuchen wir zunächst zu bestimmen, welche Bedeutung der ästhetischen Vermittlung zukam, bevor wir uns den historischen Voraussetzungen für die Entwicklung gewisser Erscheinungsnormen zuwenden.
Ästhetische Informationen und die Folgen der Schönheit
Bunte Blumen, ein am Gürtel getragener kleiner Spiegel, ein Hauch von Rouge auf weißer Haut, das Rascheln von Kleidern, Tüchern und Schals, aufgetürmte Frisuren, die eine aufrechte Körperhaltung betonen, lange Haare als Unterscheidungsmerkmal und natürlicher Schmuck der Frau all dies trug zur Konstruktion des Selbstbilds bei. Es bildete einen Teil des Universums, das bereits vor dem 19. Jahrhundert eng mit der Vorstellung von Weiblichkeit verbunden war. Eine Blume im Haar, frivole und auffällige Accessoires, aufwendiger Schmuck zählten zum kodifizierten Beiwerk, das Ausdruck weiblicher Verführungsstrategie war. Wozu dieser Aufwand? Ausgehend von den Theorien Alexander Baumgartens, der im 18. Jahrhundert eine teilweise noch heute gültige Definition des Begriffs »Ästhetik« formulierte, könnte diese Frage wie folgt beantwortet werden: »Je stärker die Wahrnehmung unterscheidende Merkmale enthält, desto stärker ist der durch sie gewonnene Eindruck. Deshalb hinterläßt eine undeutliche Wahrnehmung, die jedoch mehr unterscheidende Merkmale enthält als eine deutliche Wahrnehmung, einen stärkeren Eindruck; und dasselbe gilt für eine ungenaue Wahrnehmung, die aber mehr unterscheidende Merkmale enthält als eine genaue Wahrnehmung.«[6]
Nicht die klaren und deutlichen Wahrnehmungen, von denen Descartes spricht, sondern die anderen, die dunkel, aber mit bestimmten Merkmalen ausgestattet sind und einen Eindruck hinterlassen, bevor sie einen Sinn ergeben, verfügen über diese Kraft und Prägnanz. Eine schreiende Farbe, ein Differenzkriterium, kurzum jegliche Information ästhetischer Art kann einen dunklen Eindruck hervorrufen bzw. eine undurchsichtige Sachlage eindrücklich machen. Ein Bildfragment, eine Farbe, ein Geruch können die Sinne anregen und bestimmte Assoziationen auslösen.
Der Bereich der Ästhetik ist damit nicht an bestimmte Objekte - Bilder und andere Kunstwerke - gebunden, sondern an eine spezifische Art der Wahrnehmung, die bestimmte Informationen liefert. Der menschliche Körper und das Gesicht sind dabei bevorzugte Objekte dieser Wahrnehmung. Die Wirkung von Schönheit bzw. ihres Gegenteils kommt immer ins Spiel, wenn wir es mit der bildlichen Darstellung oder der Beschreibung eines Menschen zu tun haben. Handelt es sich etwa um eine schöne Frau, so zieht deren Schönheit die Blicke der Öffentlichkeit auf sich. Ihr Erscheinen im gesellschaftlichen Geschehen ist ein einprägsames, aber stilles Ereignis. Dazu eine Stimme aus dem Paris des 18. Jahrhunderts:
»Um seinen Schäfchen beizubringen, daß Geben seliger denn Nehmen sei, bedient sich der gestrenge Pfarrherr oftmals frommer List. Am Morgen noch zog er von der Kanzel wider die Hoffart vom Leder, verdammte all den kleinen Putz, mit dem die Schönen sich zu schmücken pflegten, in Grund und Boden. Des Abends aber schickt er mit dem Klingelbeutel ein ausgesprochen hübsches Mädchen in die Runde, wohl wissend, daß ein schöngeformter Busen und ein niedliches Geschau den Strom der milden Gaben reicher fließen lasse. Sie ist aufgeputzt, und ein Sträußlein ziert ihre entblößten Brüste mehr, als daß es sie verbergen würde; so stellt sie sich an eine Kirchentür oder an eine Gefängnispforte und erheischt von jedem, der an ihr vorübergeht, mit mildem Lächeln Mitgefühl für die Bedürftigen. Den Widerstrebenden hilft sie mit sanftem Zwange nach; sie stellt sich ihnen in den Weg, läßt ihre verheißungsvolle Stimme klingen, zeigt ihre makellosen Zähne, wirft die unwiderstehliche Beredsamkeit eines nackten Armes, eines flehenden Augenaufschlages in die Waagschale [...]. Der Geizhals läßt sich erweichen, und von ihrem Charme sind selbst die Blicke der Ministranten am Altar gefesselt.«[7]
Die reizvolle Schilderung Louis-Sebastien Merciers soll über den soziologischen Gehalt dieser Szene nicht hinwegtäuschen. Die weibliche Schönheit wird hier strategisch eingesetzt, um den Zwecken einer Institution - der Kirche - zu dienen, die sich kritisch zu den Mitteln äußert, welche zur Erreichung ihrer eigenen Ziele angewandt werden. Die Gegenwart der schönen Frau lenkt den Blick ab von ihren eigentlichen, legitimen Gegenständen - dem Altar, dem Thron, der Landschaft - und provoziert diesen Augenblick intensiver Wahrnehmung von Weiblichkeit, deren erotische Implikationen über ihre soziale Verwendbarkeit allerdings nicht hinwegtäuschen dürfen. Der erotische Blick ist eher an dem - weiblichen oder mannlichen - Körper und einem Gesicht interessiert als an einem Sonnenuntergang oder einer architektonischen Form. Diese Erotik stellt sich als virtueller, in der Schwebe gehaltener Eindruck dar. der von seinem Ziel - der Befriedigung sexueller Begierde - abgelenkt und auf einen beliebigen - in diesem Falle frommen - Gegenstand gerichtet werden kann, ohne die komplexe Vermittlung eines Sublimierungsvorgangs. Das Vehikel für eine derartige Ablenkung bietet die ästhetische Wahrnehmung - gleichermaßen evident und rätselhaft. Ähnlich der Rhetorik wirkt die Schönheit einer Frau als Überzeugungsstrategie. Zumindest bewirkt sie jene Ablenkung der Aufmerksamkeit. Angestrebtes Ziel ist hier nicht etwa Sexualität, sondern gesellschaftliche Wirksamkeit.
Es geht darum, den Blick desjenigen einzufangen, der einem Gehör schenken soll. Die weibliche Schönheit ist somit ein Mittel, Aufmerksamkeit zu erregen, bevor es zum eigentlichen Kontakt kommt. Den Blick des anderen einzufangen ist eine der Voraussetzungen für den sozialen Austausch. Jede Prostituierte, die gesehen werden will, ist sich dessen bewußt. Wir können daher sagen, daß der primäre Aspekt der körperlichen Zurschaustellung eher ein funktionaler als ein ästhetischer ist.
Frauen, die die Revolution unterstützten, wurden oft wegen ihres Aussehens angegriffen: »Die konkordentragenden Republikanerinnen sind von furchterregender Häßlichkeit.« Dieser Anwurf wog schwerer, als man gemeinhin anzunehmen geneigt ist. Häßlichkeit schließt Frauen von der Kommunikation aus, die mit dem Austausch von Blicken beginnt. Sich über das Aussehen einer Politikerin oder Wissenschaftlerin zu mokieren, ist ein willkommener Anlaß dafür, von ihrer Person, ihren Worten, Gedanken und Taten abzusehen.
Körperliche Schönheit bot strategische Möglichkeiten für eine soziale Intervention. Die Wirkung von Schönheit war modellierbar. Das Einfangen eines Blickes, sei es auch nur für einen kurzen Moment, öffnete Freiräume für kreative Interaktion. Ein Bettler weiß, daß er nur überleben kann, wenn er die Blicke der Passanten kreuzt. Häßliche Frauen, die immer im Hintergrund agieren, mußten andere Tätigkeiten ersinnen. Der Reiz, der von Schönheit ausgeht, entsteht im Moment eines Blickes, und seine Wirkung beruht auf jenem Durchschimmern, auf der Bereitschaft, ihn vielfältig einzusetzen. Schön zu sein war ein Argument, das um so überzeugender schien, da es keine immanente Bedeutung hatte. In Julius Cäsar macht Portia davon lebhaften Gebrauch: »Auf Knien bei meiner einst gerühmten Schönheit, bei Euren Liebesschwüren (. . .): enthüllt mir (. . .), was Euch so sehr bedrückt (. . .)[8]
Schönheit war eine taktische Maske, die von Frauen mehr oder weniger bewußt und gezielt eingesetzt wurde. Wieviele Stunden wurden nicht damit verbracht, sich zu schminken und diese fragile und vergängliche Maske herzustellen, die durch die Zeit unweigerlich zerstört wurde. Und dennoch zielte diese Strategie nicht lediglich auf die sexuelle Verführung, obwohl sie meistens so interpretiert wurde. Sie war auch ein zwar prekäres, aber effektives Mittel des sozialen Handelns, vor allem dann, wenn andere - rechtliche, kulturelle, ökonomische oder politische - Formen dieses Handelns für Frauen nicht oder nur schwer möglich waren.
Dies läßt eine ständige Manipulation des begehrlichen männlichen Blicks durch die Frauen vermuten: einmal angeschaut, konnten Frauen endlich sprechen. Zudem erregte die von den Frauen in kultureller, technischer und sozialer Hinsicht konstruierte Schönheit nicht das Mißtrauen der Männer, da sie deren ethnozentrischen Vorstellungen von Weiblichkeit entsprach. Den Männern zufolge definierte sich die Frau ja ausschließlich über den Wunsch, ihnen zu gefallen. Damit wird ihr eine spezifische Möglichkeit der sozialen Intervention an die Hand gegeben, bei der Sexualität nur Mittel zum Zweck ist.
Koketterie stellte eine Taktik dar. die weder auf die Vernichtung des Anderen abzielte noch darauf, ihn zum bloßen Werkzeug zu reduzieren, sondern einfach darauf, die eigene Existenz als menschliches Wesen zu behaupten, das - hatte es einmal den Blick des Anderen eingefangen - endlich seinen eigenen Standpunkt, seine Weise des Inder-Welt-Seins vertreten konnte.
Schönheit als strategisches Mittel
»Ich kenne welche, die ein Mädchen sein wollten, ein schönes Mädchen, vom dreizehnten bis zum zweiundzwanzigsten Lebensjahr, und danach ein Mann.« (Jean de La Bruyere) Eine Geschichte der Wünsche, was die menschliche Identität betrifft, kann leider nicht geschrieben werden. Gibt es Gesellschaften, in denen kleine Mädchen davon träumen, in einem bestimmten Alter ein junge zu sein und/oder umgekehrt? Könnten diese Wünsche untersucht werden, wüßten Anthropologen und Historiker sicherlich einiges mit ihnen anzufangen. Nehmen wir den Satz La Bruyeres für das, was er ist: etwas, was ihm in der Mitte des 17. Jahrhunderts zu Ohren gekommen ist, eine Spekulation, die im Plauderton vorgebracht wird. Allein die Bedingungen, die dieser phantasievollen Spekulation zugrundeliegen, sind es wert, analysiert zu werden.
Damit ist die Jugend das Lebensalter, in dem Männer sich vorstellen konnten, eine Frau zu sein, und zwar vom dreizehnten bis zum zweiundzwanzigsten Lebensjahr, wenn die Schönheit vermeintlich ihre Blütezeit erreichte. Dieser Wunsch nach Identifikation war nicht etwa der Wunsch, diese Rolle auch auszufüllen, sondern ihre Vorteile auszuschöpfen. Man nahm an, daß es beneidenswert sei, ein junges, hübsches Mädchen zu sein, weil dieser Zustand einem Macht und Vergnügen schenkte - ein Status, der ähnlich beneidenswert war wie der eines erwachsenen Mannes in einer Gesellschaft, die eigens für erwachsene Männer geschaffen war. Schönheit wurde als das symbolische Gegenstück einer realeren Macht angesehen: die des erwachsenen Mannes. Die Frau war nur zu beneiden, solange sie schön war, denn dann übte sie eine Macht aus, die nicht nur den Wunsch nach Besitz erregte, sondern auch den Wunsch nach Identifikation mit ihr.
Schönheit operierte in dem kurzen Augenblick ihrer ästhetischen Wahrnehmung. Im Brennpunkt aller Blicke rivalisierte die schöne Frau mit den anderen Instanzen der Macht: dem Thron, dem Altar etc. In diesem Sinn bedrohte körperliche Schönheit die Hierarchie, allerdings war es eine leere, rein äußerliche Bedrohung, die mit dem Verschwinden des Objekts gleichfalls entschwand. Wenn das Märchen ein Spiel ist mit dem, was möglich ist und dem, was sein soll, so kann die Schönheit der Schäferin nur im Kontext des Erzählten bestehen: Sie heiratet den Prinzen, weil sie selbst als Prinzessin geboren wurde, und ihre vollkommene Schönheit war das gleichsam magische Zeichen ihrer sozialen Sonderstellung. Die Ordnung des Märchens stellt somit die Ordnung wieder her, das störende, unberechenbare Element der Schönheit erhält seinen angestammten Platz zurück.
Die Ästhetik des Körpers hat ihre Wirkung außerhalb des berechenbaren Kreislaufs des Ökonomischen. Der gesellschaftliche Effekt der körperlichen Schönheit und der ökonomische Prozeß der Herstellung dieses reinen und ephemeren Schauspiels werden mit einem zweifachen Klischee maskiert - dem der weiblichen Eigenart einerseits und der Frivolität, der Eitelkeit des äußeren Scheins andererseits. Die Spiegel, die in den städtischen Interieurs des 17. und 18. Jahrhunderts immer häufiger erscheinen und immer größer werden, die Schmink-und Frisiertechniken, das wissenschaftliche und medizinische Wissen, ein ganzer Komplex von Gegenständen und Praktiken, gesellschaftliche Arbeitszeit, kurz: die unterschiedlichen Bemühungen dienen der Erzeugung des Selbstbilds. Jedoch werden diese verschiedenen Prozesse verdeckt durch die deskriptiven Darstellungen von Schönheit.
Schönheit wurde auf zweierlei Arten beschrieben: Entweder wurde der Körper seziert oder er wurde mit Superlativen überschüttet.[9] Die Blasons [10] über den weiblichen Körper sind ein Beispiel für eine solche Beschreibung. Schönheit wurde mittels eines Zirkelschlusses definiert: Schön ist, was gefällt, und umgekehrt: Was gefällt, ist schön. Sowohl frühere als auch neuere Wörterbücher wiederholen diese nichtssagende Definition. Im Mittelpunkt stand der Ausruf des Erstaunens: ein atemloses »Oh!« der unmittelbaren und überwältigenden Wahrnehmung. So auch in der Paitlegrapbie. on description des beantes d'une danie toulousaine, surnommee la belle Paule aus dem Jahre 1587: Die Schönheit der schönsten Frau aus Toulouse wird nur von ihren Tugenden übertroffen. Auch hier versucht die Lobrede im vertrauten Spiel der Metaphern, den schönen Körper entweder in seinen Teilen oder als Ganzes wahrzunehmen. Gedichte, die der Schönheit einer Geliebten gewidmet waren, verfahren ebenfalls nach diesem Muster.
Aber die Frage einer mehr theoretischen Definition körperlicher Schönheit bleibt bestehen. Beschreibende Analysen sind nicht geeignet, ein Bild dessen zu entwerfen, was von der jeweiligen Kultur einhellig als schön betrachtet wird. Es genügt, »hübsch« oder »schön« zu sagen, um Bilder entstehen zu lassen, die den oben genannten Effekt hervorrufen.
Schönheit ist ein einmaliges gesellschaftliches Ereignis. Die ästhetische Wahrnehmung, die sich während eines Augenblicks ereignet, ist ihre natürliche Basis. Im Moment der Wahrnehmung bleibt alles in der Schwebe. Erotische Spannung erlaubt eine soziale Subversion, die gleichsam virtuell ist und dem Vergessen anheimfällt, sobald sie nicht mehr da ist. Der Augenblick, in dem Schönheit wahrgenommen wird, ist stets vollkommen, kann aber nicht festgehalten wrerden. Jegliche Veränderung dieses Augenblicks würde ein Abfallen vom Ideal bedeuten, eine Antiklimax. Je vollkommener die Schönheit, desto unwirklicher ist sie. Aufblühen kann sie lediglich während einer kurzen Zäsur, in der Erinnerung bzw. der rückblickenden Erzählung. Lichtmetaphern bringen Schock, Betörung, ja Verblendung über das Strahlen der Schönheit zum Ausdruck. Im Rahmen der rhetorischen Regeln und literarischen Konventionen suchen diese Klischees eine spezifische Interaktion zu beschreiben, deren lautlose Intensität das Ergebnis komplexer Strategien ist. Der Kontext, in dem Schönheit in Erscheinung tritt, ist ein höchst prekärer und unwirklicher.
Atemberaubende Schönheit
Die Wirkung der Schönheit läßt sich nicht einfach auf das sexuelle Begehren reduzieren, da sie immer im gesellschaftlichen Zusammenhang wahrgenommen wird. Ein Blickaustausch wirft die Frage nach der angemessenen Einschätzung der jeweiligen Identität, nach dem ersten Eindruck auf. Diese Frage ist entscheidend in einer Gesellschaft, in der Gunst, Verleumdung oder Intrige Leben vernichten bzw. retten können. Knechte und Mägde zum Beispiel waren abhängig von der Gunst ihres Herren, wenn sie eine Familie gründen oder in Ruhe alt werden wollten. Intellektuelle Arbeit bedurfte der Patronage eines Ministers oder einer anderen einflußreichen Persönlichkeit, deren Blick es im Vorzimmer zu erhaschen galt. Einen »Schönheitseffekt« erzeugen zu wollen war weder Ausdruck von Eitelkeit noch eines perversen Verführungswunsches, sondern vielmehr ein waghalsiger Versuch, sich aus einer Notlage zu befreien. Dies galt für beide Geschlechter, wenn auch nicht in gleichem Maße. Seine schöne Stimme öffnete dem jungen Jean-Jacques Rousseau, der als mittelloser jugendlicher Ausreißer auf den Straßen sang, so manche rettende Tür. Der ästhetische Eindruck konnte in der kurzen Zeitspanne eines Blicks erlösen oder vernichten, und genau diese Tatsache wurde in der Petition der Frauen von 1789 formuliert. Für Frauen hatte Schönheit häufig negative Zuschreibungen und weckte überdies den »Wunsch nach Beschmutzung«, nach Zerstörung, wie er von Georges Bataille später beschrieben und vom Marquis de Sade am Ende des hier untersuchten Zeitraums in einer teuflisch vollendeten Version aufgezeichnet wurde.
Sobald Schönheit verschwunden war, wenn ihre mächtige Wirkung vergessen war, wurde sie suspekt. Ihr Körper wurde mit dem Tode assoziiert, der sie in Gestalt eines grinsenden und geschlechtslosen Skeletts umklammert hält, über den Spiegel hinaus fixiert und ihren bereits verfallenen, aber immer noch geschmückten Körper umschlingt. Die Ikonographie des 16. Jahrhunderts zeigt uns Bilder dieses schrecklichen Paares, einen Körper, dessen »Körperlichkeit« um so ausgeprägter ist, als es sich um einen weiblichen Körper handelt, und dessen Vergänglichkeit um so augenfälliger wird, als er schön gepflegt und von weißer Reinlichkeit ist. Die Umarmung durch das Skelett war eine absolute, sie erscheint viel enger als alle Liebesumarmungen, da dieses geschlechtslose Skelett, diese zukünftige Fäulnis, ein Bestandteil des schönen Körpers selbst waren.
Dieses alte Bild verliert während der Renaissance seinen Schrecken, da man die weibliche Schönheit neu zu interpretieren begann. Die Frau wurde von Wasser, Früchten und Blumen umgeben gezeigt, sie badet, betrachtet sich im Spiegel, kämmt ihr lockiges Haar, das sie wie eine goldene Aureole umgibt - alles in einer Atmosphäre fast immaterieller Ausstrahlung, von Spitzen, Schleiern, Geschmeide und Licht. Weiblich und wohlgeformt lächelt sie wie eine Madonna, dabei den Kopf wie diese leicht geneigt. Der Tod ist weniger präsent, die Bedrohung diffuser. Darstellungen »schöner« Körper wurden nach der Renaissance zu einem der großen Topoi im System der europäischen Repräsentationen weiblicher Identität.
Wozu all die Brunnen, Pflanzen, Tiere und verspielten kleinen Hunde, die solchen Szenen körperlicher Darstellung beigegeben wurden und deren integrale Bestandteile bildeten? Wozu die Früchte, die Locken und sanften Rundungen, die sich mit der Vorstellung von Weiblichkeit und Weichheit verbinden? Sanftmut ist eine Eigenschaft, die es dem Betrachter erlaubt, von einem gewissen Lächeln auf dessen Sinn zu schließen, beim bloßen Anblick einer Schulter die Vorstellung zu erwecken, wie sie sich wohl anfühlen mag. Das Geschehene wird in der Phantasie fühlbar. Sanft ist der Blick, der die Seele spiegelt, so sanft wie der geneigte Rücken, der sich bereits unterwürfig beugt. Die geschmeidigen Rundungen appellieren an die Sinne, sie suchen das Erlebnis der Weiblichkeit auf jeder Ebene zu definieren. Wir haben es hier mit einem ganzen identitätsbildenden künstlerischen Programm zu tun, das die gesamte Konzeption dessen, was eine wahre Frau ist, abzubilden versucht. Weiblichkeit wird damit zur erkennbaren Größe, real, selbst wenn man ihr eigentlich nie begegnet, außer in jenen kurzen, isolierten Augenblicken, in denen Schönheit ihre stille Wirkung zeigt.
Somit läuft die intimste und intensivste Erfahrung letztlich Gefahr, die am meisten kodierte und vorhersehbare zu sein. Damit ist jedoch nicht gesagt, daß ästhetische Normen lediglich anerzogen, noch daß sie mit der Muttermilch eingesogen oder etwa offiziell festgelegt werden. Sie sind auch Folge fundamentaler Assoziationsketten, durch die eine Kultur ihre Vertreter dazu befähigt, die Körper der anderen lesbar und erkennbar zu machen.
Die schöne Frau ist auch die wahre Frau, immer mit ihrer Toilette beschäftigt, entblößt, am Wasser liegend, umgeben von Blumen und Früchten, stets weit entfernt von den Zufälligkeiten einer gesellschaftlichen Existenz, von Arbeit und Alltag. Die Ausübung eines Berufs, die Beschäftigung mit einer Wissenschaft oder der Gebrauch der Muskelkraft gelten als unweiblich.
Bilder »wahrer» Schönheit und Weiblichkeit definieren einen eingeschränkten Komplex von Möglichkeiten. Der Körper einer Frau sollte kindlich sein: rund, mit glatter Haut, Grübchen und Locken, voller Freude. Er präsentiert sich inmitten der Natur, fern jeder Zivilisation. Doch gleichermaßen läßt er den Tod, das Vergängliche erahnen: Die Gesichtszüge sind ausdruckslos und schwebend; das Lächeln sanft, doch enigmatisch; körperliche Präsenz gibt sich lediglich formal. Es scheint, als wohnte die Frau nicht in ihrem Körper, als würde die Darstellung ihres Körpers jedes Identitätsmerkmal auslöschen außer dem der »wahren Weiblichkeit» und reinen Schönheit. Schönheit steht hier im Gegensatz zum Hübschen. Ein hübsches Mädchen durfte lebhafter und geschwätziger sein, dunkler und scharfzüngiger, weniger ätherisch und distinguiert - ein Kontrast, der ab dem 18. Jahrhundert in der Literatur immer deutlicher herausgearbeitet wird.
Vollkommene, unveränderliche Schönheit wurde aber auch verdächtigt, leer zu sein, ohne Geist oder Seele, ohne Kultur: schweigsam, weil sie nichts zu sagen hatte. Oder sie entpuppte sich als kalt und trügerisch. Seit dem ausgehenden Mittelalter wurden mit Schönheit viele negative Vorstellungen assoziiert, beispielsweise Grausamkeit oder gar Dummheit. Solche gesellschaftlichen Urteile beeinflußten Texte und Konversationen, prägten Witze und Sticheleien; sie bestärkten und belebten archaische Vorstellungen, bleiben aber dennoch außerhalb der Reichweite historischer Forschungen.
Als Taktik der sozialen Intervention wird Schönheit von jenen Frauen bewußt eingesetzt, die Mühe haben, ihre gesellschaftlichen Ambitionen mit den gleichen Mitteln wie ihre männlichen Gefährten zu realisieren. Ähnlich wie Ruhm, Macht und der Glanz der Sonne blendete und faszinierte sie. Glanz wurde ständig von den politischen Herrschern in Anspruch genommen, die es verstanden, die glanzvollsten Frauen an sich zu binden, da Glanz das materielle Äquivalent von Schönheit darstellt. Ihn zu erwerben setzte kein geringes Budget voraus. Und schließlich manifestierte sich die Schönheit einer Frau nur, wenn sie eingegrenzt wurde durch eine sehr enge Definition von Weiblichkeit: sanft und geschmeidig, schweigsam und dennoch auf vielfältige Art bedrohlich. Während der letzten vier Jahrhunderte wurde die weibliche Bedrohung hinter Euphemismen versteckt. Trotzdem wird eine schöne Frau immer noch der Dummheit verdächtigt, während die intelligente Frau einen Teil ihrer Schönheit dadurch verliert, daß sie die Stirn runzelt, wenn sie über etwas nachdenkt - sofern sie ihre Häßlichkeit nicht dadurch wettmacht, daß sie den »Glücksritter« zum Lachen bringt, jene männliche Figur, die Georg Simmel mit der Kokotte vergleicht. Eine Untersuchung seiner Ästhetik würde ertragreich ausfallen.
Aus dem Französischen von Roswitha Schmid