Einleitung

  Vom 16. bis zum 18. Jahrhundert spielten Frauen in allen häuslichen, wirtschaftlichen, intellektuellen, öffentlichen, konfliktträchtigen oder auch vergnüglichen Bereichen der Gesellschaft eine Rolle. Für gewöhnlich waren sie von ihren täglichen Aufgaben in Anspruch genommen, zuweilen aber auch in Ereignisse verwickelt, die die Gesellschaft formten, wandelten oder auseinanderrissen. Auf allen Stufen der sozialen Leiter besetzten Frauen Räume, mit Ausnahme vielleicht im Krieg - wenn man von der stürmischen Phase der Fronde absieht. Ihre Präsenz wurde von denen kritisch beobachtet, denen sie häufig nicht ganz geheuer schienen.
Abgesehen vom Alltagsleben waren Frauen in hohem Maße auch auf der Ebene des gesellschaftlichen Diskurses und der Repräsentation gegenwärtig, in Mythen und Predigten, in der Wissenschaft und Philosophie. Paradoxerweise war der redundante Diskurs über die Frauen Teil einer Strategie, die dazu dienen sollte, Ordnung in das Universum zu bringen. Diese Strategie wurde von dem Bedürfnis getrieben, Frauen in ihre Schranken zu weisen, sowie von dem unverhohlenen Wunsch, ihre Anwesenheit in eine Art Abwesenheit zu verwandeln bzw. in eine unauffällige Präsenz, die - ähnlich einem ummauerten Garten - auf engstem Raum kultiviert und kontrolliert werden konnte.
Offensichtlich entsprach das, was Männer über sie sagten oder schrieben, keineswegs der Realität von Frauen. Männer hatten lediglich ein Bild vor Augen: das der Frau, die aufgrund ihrer Extravaganz und Maßlosigkeit Unheil verhieß, jedoch wegen ihrer wesentlichen Funktion als Mutter gleichzeitig unentbehrlich war. Die Frau wurde erfunden und definiert durch den gelehrten (und daher männlichen) Blick, der sie unwillkürlich ihrer jeweiligen Identität beraubte. Es überrascht daher nicht, daß die Historiker der Frühen Neuzeit, die sich diesem äußerst turbulenten Zeitalter widmeten, in dem der Staat sich festigte und gleichzeitig starke Einbrüche erlebte (man denke nur an die Religionskriege), die zu einer weitgehenden Erneuerung der politischen und sozialen Verhältnisse führten, lange Zeit die Rolle der Frau darin vernachlässigten. Da die Historiker die Geschichte männlich definierten, waren sie weder bereit, der Geschlechterdifferenz Bedeutung zuzugestehen, noch daran interessiert, eine Gesellschaft zu beschreiben, in der Frauen und Männer sich ihre eigene Geschichte schufen, indem sie sich in unterschiedlichen Rollen bewegten und jeweils eigene Wünsche und Konflikte hatten, aber auch indem es Anlässe gab, bei denen es zu Begegnungen kam, die sie trennten oder zur Konfrontation zwangen.
Will man heute eine andere Geschichte der Frauen schreiben, so muß man sich von einer bestimmten Sicht der Vergangenheit lösen und einen neuen Blick auf die Quellen werfen. Anstatt sich von zeitgenössischen Zeugnissen und Vorstellungen leiten zu lassen, müssen wir, so gut es geht, sämtliche Kenntnisse über die weibliche Realität und die damaligen Texte, die sich mit ihr beschäftigen, vergleichen, wohl wissend, daß beide komplementär und miteinander verflochten sind. Es führt zu nichts, eine Geschichte der Frauen zu schreiben, die sich nur mit deren Handlungen und jeweiligen Lebensweise befaßt, ohne die Art und Weise zu berücksichtigen, wie der öffentliche Diskurs ihr Wesen beeinflußt hat, und umgekehrt. Die Frauen jener Zeit ernst zu nehmen heißt, ihr Handeln auf dem Feld der Beziehungen zu rekonstruieren, die sich zwischen ihnen und dem anderen Geschlecht etablierten, und in dem Verhältnis der Geschlechter ein gesellschaftliches Konstrukt zu sehen, dessen Geschichte zum Forschungsobjekt gemacht werden kann und sollte.
Vom 16. bis zum 18. Jahrhundert fand zwischen Männern und Frauen eine lebhafte Auseinandersetzung statt. Sie entstand vor dem Hintergrund sozialer und politischer Instabilität und des Verfalls, in einer Periode, in der sich die Kirchen in einzelne spirituelle Gruppierungen aufspaltet, in denen neue Glaubenspraktiken gesellschaftlich organisiert werden und die Staaten sich, vor allem im 17. Jahrhundert, dem Merkantilismus zuwenden. Sie entstand auch vor dem Hintergrund religiöser Konflikte zwischen Reformation und Gegenreformation, in denen ganz Europa in Gewalt und Krieg verstrickt wurde. Diese Auseinandersetzung nahm solche Formen an, daß am Ende des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts sogar von der »quereile des femmes» oder vom Krieg der Geschlechter gesprochen wurde. Die Authentizität dieses Konflikts zwischen Männern und Frauen - und der Inhalt der populären Literatur und der Bibliotheque Bleue [1]ist ein lebendiger Beweis dafür - läßt sich somit zweifelsfrei feststellen. Das Thema des hartnäckigen Konflikts zwischen den Geschlechtern stellt eine historische Konstante dar, die sich je nach Epoche und gesellschaftlichen Umständen verändert. Texte, Bilder, Archive führen ins Zentrum des Zwists-. Frauen erscheinen dort als boshaft, unvollkommen, maßlos und teuflisch, todbringend und durchtrieben. Auch wenn sie gelegentlich als sanft und fügsam bezeichnet wurden, so scheinen doch ihre Grausamkeit und maßlose Triebhaftigkeit in den Darstellungen zu überwiegen. Der Ton der Auseinandersetzung ist harsch. In Frankreich antwortet Mademoiselle de Gournay 1622 den Gegnern des weiblichen Geschlechts. Die Precieuses [2] melden sich zu Wort, obwohl sie von Moliere verlacht werden. Descartes macht seinen Einfluß geltend, bis 1673 Poullain de la Barre vier sehr modern anmutende Werke über die Gleichheit von Mann und Frau schreibt. Im 18. Jahrhundert, das manche später das Jahrhundert der Frau nennen sollten, entspann sich ein sehr lebhafter Dialog über weibliche Vernunft und deren Implikationen für die Gleichheit der Geschlechter.
Die hier gewählten Beispiele beziehen sich zwar auf Frankreich, nichtsdestoweniger wurde ganz Europa von den turbulenten Ereignissen und der heftigen Debatte um die Frauenfrage ergriffen. Auch wenn der Konflikt zwischen Mann und Frau ein historischer genannt wird und die Spannungen zwischen der männlichen und weiblichen Welt klar erkennbar sind, dürfen wir dennoch nicht in statischen Begriffen denken. Im Verlauf dreier Jahrhunderte veränderten ökonomische, politische, kulturelle und religiöse Umwälzungen ganz offensichtlich die Beziehungen zwischen den Geschlechtern und den Status der Frau, bestimmten daher ihr Verhältnis zur Welt neu. Protestantinnen und Katholikinnen, zum Beispiel, gehen eigene und verschiedene Wege hinsichtlich der Kultur und des Wissens, was ihnen eine andere Stellung sowohl innerhalb der Familie als auch innerhalb der Gemeinschaft verleiht. Im übrigen ließen sich zahlreiche Frauen von den neuen ökonomischen Verhältnissen, den Epidemien, den Hungersnöten und den Kriegen zum Widerstand oder zum Heraustreten aus denen ihnen zugewiesenen Räumen treiben, was dazu führte, daß sie auf die eine oder andere Art in der Öffentlichkeit präsent waren. Es wäre ein hoffnungsloses Unterfangen, wollte man im einzelnen beschreiben, welche Auswirkungen jene Ereignisse auf die Lebensweise der Geschlechter hatten. Der vorliegende Band will lediglich einzelne Aspekte aufzeigen. Es wird von einem Spektrum der Beziehungen zwischen Mann und Frau die Rede sein, in das beständig die gesellschaftlichen Veränderungen hineinspielen, auch wenn es durch ein Kräfteverhältnis gekennzeichnet ist, das dem weiblichen Geschlecht nicht immer zum Vorteil gereicht.
Da wir Schwerpunkte ausgewählt haben, wie beispielsweise die soziale Konstruktion der Geschlechterdifferenz und das oszillierende Feld der Spannungen zwischen Mann und Frau, ist es notwendig, den Begriff »Spannung« zu klären. Er muß in seiner weiteren Bedeutung gesehen werden: Wenn ein Draht, der zwei Objekte miteinander verbindet, »unter Spannung« steht, wird selbstverständlich angenommen, daß beide Objekte daran beteiligt sind, diese Spannung zu halten. In diesem Sinne werden hier auch die Beziehungen zwischen den Geschlechtern betrachtet - in einem fragilen Gleichgewicht zwischen zwei Welten, die dazu gemacht sind, sich zu verstehen und sich zu verschlingen. Aus dieser Spannung heraus entstehen Konflikte, aber auch Systeme von Arbeitsteilung und Kompensationen, offizielle und inoffizielle Macht, manchmal sogar eine ebenso deutliche Gegenmacht. Dieser Raum zwischen den Geschlechtern ist eine eigene Welt, deren Geschichte dieser Band über drei wesentliche Jahrhunderte zu verfolgen sucht.
Dabei wird es sich nicht um eine chronologische Aufzeichnung der Ereignisse handeln. Die verschiedenen Sichtweisen, die sich mit der Geschichte der Frauen beschäftigen, versuchen, die üblichen Klischees aufzubrechen, nach denen die Frau seit jeher beherrscht wurde und der Mann sich zu ihrem Unterdrücker machte. Die Wirklichkeit ist sehr viel komplexer, so daß es notwendig ist, genauer hinzusehen: Sicherlich gab es Ungleichheit, aber auch eine in Bewegung befindliche Zone, in der Frauen - weder auf schicksalhafte Weise Opfer noch auf außergewohnliche Weise Heldinnen - mit vielfältigen Mitteln daran arbeiteten, aktive Agentinnen der Geschichte zu sein. Im Grunde genommen ist diese Geschichte der Frauen ein Mittel, die Frau als an der Geschichte teilhabend wahrzunehmen und nicht als bloßes Objekt. Wenn man sie so sieht, wechselt man die Perspektiven, analysiert man die Quellen mit einem neuen Blick, liest man unzählige weibliche Versuche und Erfolge, die ein Auge, dessen Blick durch die üblichen Gemeinplätze von der Frau als ewiger Sklavin und dem Mann als ewigem Beherrscher getrübt ist, weder sehen noch erahnen kann. Der Unterschied zwischen den Geschlechtern ist ein Raum: ein Ort, an dem Ungleichheit rationalisiert wird, um sie zu transzendieren, ein Ort der Wirklichkeit, der durch die Ereignisse geformt wird, ein imaginärer und imaginierter Ort, von dem Bilder und Texte auf ihre Weise berichten.
Dieser Band ist keine erschöpfende Kompilierung von Daten und Ereignissen, sondern die Erkundung von bestimmten Problemen und Problemfeldern, die der sozialen Konstruktion der Geschlechterrollen Leben und Bewegung geben, keine lineare Bewegung, vielmehr eine ruckartige, hastige, mit plötzlichen Vorstößen, gefolgt von schwierigen Rückschlägen und Kehrtwendungen.
Obgleich Frauen durch die jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnisse definiert und kontrolliert wurden, beweist die Wirklichkeit des Alltags, daß sie Wege fanden, diesen Zwängen und Beschränkungen zu entfliehen. Deshalb haben wir beschlossen, sie zunächst im Kontext von Arbeit und Alltag anzusiedeln. Dabei ist völlig klar, daß der soziale Raum, in dem sie lebten, in Erscheinung traten und arbeiteten, durch Normen und Verbote markiert war (was sowohl für die arme Bäuerin als auch für die Prinzessin galt, auch wenn diese sich ansonsten so grundlegend unterschieden).
Im ersten Teil werden ihre Präsenz, ihre Aktivitäten sowie religiösen und kulturellen Bestrebungen abgehandelt, die sie als historische Subjekte bestätigen, die mit dem Leben, seinen Risiken, seinen Hoffnungen und Träumen ringen. Den vorliegenden Band mit der Teilhabe von Frauen an der Gesellschaft zu eröffnen ist natürlich gewagt. Wie wir bald sehen werden, stieß der weibliche Alltag immer an die Grenzen, die ihm das gängige Frauenbild setzte: Frauen konnten nicht frei über ihren Körper, ihren Bildungswillen, ihr Schicksal verfügen. In jedem Kapitel begegnen wir unvermeidlich all jenen Konventionen, die das weibliche Rollenmuster rigoros definieren und reglementieren. Es werden verschiedene Lebensweisen vorgestellt, die sich in eine strenge soziale Hierarchie einfügen und den Wirkungskreis von Frauen drastisch einschränken. Ein zweifacher Zwang wird ausgeübt: der des Geschlechts und der der sozialen Gruppe, aus der sie stammten. Teil I beschäftigt sich mit der Herausbildung der Konturen des weiblichen Status und mit den vielfältigen Weisen, in denen eben dieser Status verhandelt und erfahren wurde.
Es handelt sich hier um eine erweiterte Sicht des Alltags: Der Beschreibung der Frau zwischen Arbeit, Ehe und Familie, wie sie zu Beginn dieses ersten Teils erfolgt, entspricht am Ende eine Analyse derjenigen Frau, die aufgrund ihrer Herkunft in die »Politik« eingetreten ist, der Königin und der Prinzessin. Diese ungewöhnliche Aufteilung ist weder durch die Lust am Paradoxen noch durch den Wunsch zu schockieren motiviert. In der Tat handelt es sich hier um die bescheidene Vorstellung einer neuen Konzeption der Geschichtsschreibung. Vom 16. bis zum 18. Jahrhundert nimmt die Frau ohne jeden Zweifel an der »Politik» teil, auch wenn dieses Wort damals natürlich nicht die Bedeutung haben konnte, die es heute hat. Und wer kann dies besser demonstrieren als Prinzessinnen und Königinnen? Es ist zweifellos an der Zeit, die Geschichte der Königinnen und der Frauen des Hofes aus dem Ghetto sehr eingeschränkter Sichtweisen, aus den Anekdoten und Bettgeschichten herauszuholen. Höfische Verbindungen, Mätressen. Gunstbezeigungen, strategische Eheschließungen und Intrigen können durchaus im Sinne eines politischen Funktionierens einer Hofgesellschaft analysiert werden, die mit ihren Anliegen und ihren zahlreichen Schwierigkeiten ringt. Niemand wird übersehen, daß ein Abgrund eine Magd von einer Königin trennt, und der ihnen in diesem Kapitel jeweils zugewiesene Platz soll diese Kluft nicht reduzieren, sie vielmehr betonen und somit zeigen, daß jede weibliche Situation in ihrem sozialen und politischen Kontext analysiert werden muß. Zwischen diesen beiden extremen Gestalten, zwischen Melkschemel und Thron, liegen andere weibliche Wirklichkeiten. Der Körper der Frau, ihr Erscheinungsbild, ihre Sexualität machen sie so anziehend und so gefährlich. Auch hier werden wir sehen, wie sie Normen und wechselnden Moden, aber auch ihren eigenen Wünschen folgt. Die Mechanismen der damit zusammenhängenden Ästhetik und Verführungskraft waren so kodiert, daß das arme, aber hübsche Mädchen großen Gefahren ausgesetzt war, während das arme und häßliche Mädchen überhaupt keine Identität besaß. Was die Erziehung der Mädchen betrifft, so bewegt sich die Gesellschaft, von Notwendigkeit und Mißtrauen geleitet, nur in kleinen Schritten weiter. Der ihnen zugestandene Raum des Wissens war knapp bemessen, damit der weibliche Verstand nicht etwa zum Ausgangspunkt gefährlicher Rivalitäten mit Männern werden konnte. Was das religiöse Leben angesichts der großen Einbrüche von Reformation und Gegenreformation betrifft, so weihten sich manche Frauen Gott und widmeten sich gänzlich der Liebe zum Nächsten und zu Christus. Die Spiritualität dieser Mystikerinnen, beunruhigten sowohl Kirche wie Staat.
Über die Frau wurde so viel geschrieben, daß sich der zweite Teil ganz auf die damaligen Diskurse und Vorstellungen konzentriert. Vor dem Diskurs jedoch steht das Bild, die Ikonographie: Aus diesen drei Jahrhunderten datiert eine Fülle von Bildern - einfache Holzschnitte und Werke bekannter Künstler. Eine Kunstwissenschaftlerin, Francoise Borin, hat eine Reihe von Frauenbildnissen zusammengestellt und erläutert ihre Auswahl in einem eigenen Kapitel: Frauenbilder.
In Literatur, Theater, Philosophie, Wissenschaft und Medizin ist die Frau Gegenstand leidenschaftlicher Auseinandersetzungen, in denen man nach ihrer geheimnisvollen »Natur« sucht, die sich selbst dem medizinischen und wissenschaftlichen Wissen verschloß.
Normverstöße: Hier taucht die Frau wieder auf mit ihrem Drang, der auf ihr lastenden Wirklichkeit und den erstickenden Diskursen über das »Weibliche« zu entfliehen. Aber es boten sich nicht die gleichen Chancen für alle Frauen, und die Muster der Übertretung waren unterschiedliche, je nach sozialer Herkunft. Die Reichen konnten sich gewöhnlich der Ordnung widersetzen, ohne das Gesetz zu brechen; die Armen bedrohten sowohl Ordnung als auch Gesetz, was stets schwere Konsequenzen hatte. Trotz dieser gewichtigen und fundamentalen Differenzen haben wir die weiblichen Versuche, aus der Monotonie des Alltags auszubrechen, in einem Teil zusammengefaßt, in der Absicht, gemeinsame Bestrebungen aufzuzeigen und zu demonstrieren, daß Geschlecht und soziale Klasse untrennbar miteinander verbunden sind.
Die Frauen der wohlhabenden Schichten fanden individuelle Wege, aus der Isolation der ihnen zugedachten Rolle auszubrechen. Wenn sie intelligent und begabt waren, machten sie unerlaubterweise regen Gebrauch von ihren intellektuellen Fähigkeiten, um sich Zugang zur Welt zu verschaffen. Die Salons und die Bewegung der Precieuses schufen Möglichkeiten, nicht nur den Gebrauch ihres Verstandes einzuklagen, sondern auch ihre intellektuelle Teilhabe an der Welt des philosophischen, wissenschaftlichen und politischen Denkens zu manifestieren. Indem sie öffentlich präsent waren, verstießen sie zweifelsohne gegen die Normen, und manche Schriftstellerinnen sollten teuer dafür bezahlen.
Schwerwiegender und zweifellos auch kühner - und verständlicherweise weniger frei gewählt - waren die Normverstöße der Frauen aus dem Volk, ihr Aufbegehren und ihre Rebellionen. Für sie hatte die Flucht aus ihren Verhältnissen meistens Marginalisierung und Kriminalisierung zur Folge. War eine junge Frau mittellos, riskierte sie, zur Prostituierten zu werden, im 16. Jahrhundert Opfer der Horden junger Männer zwecks Bestätigung ihrer Männlichkeit und im 18. Jahrhundert der raffinierten Vergnügungen der Libertins zu werden. Die geschlossenen Mauern der Familie machten Lust darauf, etwas anderes zu erleben, statt unablässig Kinder in die Welt zu setzen: Ehebruch, Abtreibung, Kindsmord, Diebstahl und Familienstreitigkeiten begleiteten die heimlichen Rendezvous - bittere Symptome der Ausweglosigkeit. Im 16. und 17. Jahrhundert gerieten Hexen ins Visier der Richter. Mit ihrem vielfältigen Wissen bewegten sie sich in der Grauzone zwischen christlicher Religion und dem Glauben an die heilenden Kräfte der Erde. Währenddessen nahmen Frauen im Verlauf jener drei Jahrhunderte aktiv an der Seite der Männer an Aufständen und anderen Formen von gewaltsamen Konflikten teil.
Wie man sieht, sind die Prostituierte, die Kriminelle, die Hexe und die Rebellin vier sehr unterschiedliche Gestalten. Trotz ihrer Verschiedenheit entzündeten sie so manchen revolutionären Funken und zeigten Formen des Widerstandes und der Hoffnung auf.
Jegliche Normverstöße verunsicherten, setzten Zeichen, brachten eine Verweigerung, ein Ziel zum Ausdruck, und aus diesem Grund sollen ihre entwickelten oder einfachen, freiwilligen oder unfreiwilligen Ausprägungen diesen Band beschließen.
Die hier gewühlte thematische Struktur verdeutlicht eine Absicht: Die Analyse des Geschlechterdiskurses wird eingerahmt zum einen von einem Abschnitt über das Alltagsleben und zum anderen von einem Abschnitt über das Ausbrechen aus gesellschaftlichen Konventionen. Sie sollen die weiblichen Verhaltensmuster und Denkweisen in ihrem Spannungsfeld zwischen Konformität und Widerstand zum Ausdruck bringen.

Aus dem Französischen von Roswitha Schmid