Die Frauen sind lange im Schatten der Geschichte gelassen worden. Der Aufstieg der Anthropologie und die zunehmende Bedeutung, die der Familie beigemessen wurde, haben ebenso wie die Geschichte der »Mentalitäten«, die dem täglichen Leben, dem Privaten und dem Individuellen eine größere Aufmerksamkeit schenkte, dazu beigetragen, sie aus dem Schatten herauszuholen. Am meisten hat dazu aber die Frauenbewegung beigetragen mit den vielen Fragen, die sie aufgeworfen hat. »Woher kommen wir? Wohin gehen wir?« fragten sich die Frauen, und sie stellten innerhalb und außerhalb der Universitäten Nachforschungen an, um die Spuren ihrer historischen Vorläuferinnen zu finden, vor allem aber, um die Ursprünge ihrer Unterdrückung und die Entwicklung der Beziehungen zwischen den Geschlechtern zu verstehen.
Denn genau darum geht es. Der Titel »Geschichte der Frauen« ist kurz und bündig. Aber wir möchten damit nicht die Vorstellung verbinden,
Frauen für sich seien ein Gegenstand der Geschichte. Wir wollen vielmehr ihre Lebenswelten, ihre Rollen und ihre Macht, ihre Handlungsweisen, ihr Schweigen und ihr Sprechen erforschen; wir wollen die unterschiedlichen Bilder von der Frau - Göttin, Madonna. Hexe... - in ihrer Beständigkeit und in ihrem Wandel erfassen. Deshalb verstehen wir die Geschichte als sozialen Wandel grundlegender Beziehungen: deshalb ist unsere Geschichte der Frauen auch ebenso die der Männer.
Es ist eine Geschichte der langen Dauer. Von der Antike bis heute greifen fünf Bände die chronologischen Zäsuren auf, die die Geschichte des Abendlandes unterteilen. Denn nur um sie geht es. Das Mittelmeer und der Atlantik sind unsere Ufer. Wir wünschen uns gewiß auch eine Geschichte der Frauen des Orients oder Afrikas. Doch es bleibt den Frauen und Männern dieser Länder vorbehalten, sie eines Tages zu schreiben.
Diese Geschichte ist insofern »feministisch« orientiert, als sie von einer grundsätzlichen Gleichheit ausgeht; sie versteht sich aber als offen für verschiedene Deutungen: Wir wollen Fragen aufwerfen, ohne sofort mit formelhaften Antworten bei der Hand zu sein; wir öffnen uns in dieser Geschichte grundsätzlich der Vielfalt, der Vielfalt der Gestalten und Interpretationen.
Unter der Gesamtregie von Georges Duby und Michelle Perrot wurde jeder Band von ein oder zwei Herausgeberinnen eigenverantwortlich betreut. Sie haben die Themen des jeweiligen Bandes zusammengestellt und die Autorinnen und Autoren ausgesucht - eine wohl repräsentative Auswahl unter all jenen, die auf diesem Gebiet in Europa und den Vereinigten Staaten arbeiten.
Mag dieses Werk als vorläufige Bilanz, als Arbeitsmittel, als Ort des Gedächtnisses oder einfach aus Interesse an der Geschichte gelesen werden, diese Geschichte der Frauen im Abendland sollte an der Schwelle des werdenden Europa ihren geistigen Ort haben.
Wir widmen sie unseren Verlegern, deren Unternehmergeist, Aufgeschlossenheit und Großzügigkeit wir dankbar anerkennen.
Aus dem Französischen von Heide Musahl