Die Revolution ist vorüber, und wir haben sie (fast schon) gewonnen

Neue Frauen, neuer Alltag

Seit einigen Jahren mehren sich die Beschwerden über Männer. Sie blockieren und sabotieren die Pläne und Hoffnungen der Frauen in der Öffentlichkeit und im Privaten. Sie helfen nicht mit. Im Haushalt rühren sie keinen müden Muskel. Auch die Gründe für dieses Verhalten wurden ausführlich erörtert, und Mutmaßungen wurden aufgestellt. Wahrscheinlich, meinten die einen, wollten die Männer einfach verhindern, daß sich etwas ändert, waren sie schlichtweg nicht bereit, auf ihre Vorteile zu verzichten. Vielleicht waren sie in Beziehungsdiskussionen und im Zusammenleben so schwerfällig, weil sie einfach begriffen, daß sie damit viel von der Kraft einer Frau verschlingen konnten, und daß eine müde Frau leichter zu handhaben ist als eine energische.
Das alles setzt voraus, daß die Männer listig, hinterhältig und berechnend sind, und vielleicht stimmt das auch. Wir aber sehen die Ursachen für ihre mangelnde Kooperationsfreude und Flexibilität anderswo. Die sind müde! Ausgelaugt von all den vielen Jahrhunderten Weltgeschichte, die sie tragen und machen mußten; müde von der Macht. Diese Macht haben sie ausgekostet in allen nur erdenklichen Varianten, und jetzt ist nichts Neues und Reizvolles mehr daran; fad ist sie, wie ein altes Spielzeug. Sie haben Kontinente erobert, 30jährige Kriege und 100jährige Kriege und erste Weltkriege und zweite Weltkriege und kalte Kriege und Bürgerkriege und Wirtschaftskriege geführt, sie haben abertausende Dinge erfunden und Maschinen gebaut und Berge bezwungen und sich ins Weltall katapultiert. Niemand kann ihnen vorwerfen, untätig gewesen zu sein oder faul. Und nun, das ist doch nur zu verständlich, sind sie ausgelaugt, als Geschlecht gealtert ob all ihrer Mühen. Und da sollen sie noch die Kraft und den Elan haben, den Geschirrspüler auszuräumen? Wir dagegen, wir sind - geschichtlich gesehen - jung. Jung, und noch ganz frisch. Über Belastungen dürfen wir uns nicht schon jetzt beklagen, jetzt geht's erst los. Ist es vielleicht leicht, Imperien aufzubauen, Kolonien zu verwalten, Heere zu befehligen, Expeditionen zu entsenden, Industrien zu schaffen, Welthandel zu betreiben, Völker zu unterdrücken, Kontinente auszubeuten, Minderheiten und Unterschichten in Schach zu halten, Megastädte zu bauen? Und selbst wenn wir in unsrer erst beginnenden Weltgeschichte das alles gar nicht tun wollen, sondern etwas ganz anderes, dann wird es wahrscheinlich - was immer es auch ist - nicht viel erholsamer sein als die bisherige Geschichte unserer Vorgänger, der Männer.
Daß wir jedenfalls einen qualitativen Wendepunkt erreicht haben, das haben die Männer größtenteils schon erkannt, bezeichnenderweise noch früher, als das Gros der Frauen den eigenen Sieg begriffen hat. Wir haben uns durchgesetzt, und wir bemerken es nicht einmal eine bestimmt sehr liebliche Naivität, der wir nun mit der Zeit besser entwachsen sollten. Was für ein Wendepunkt das denn ist, den wir erreicht haben? Den Punkt, an dem die Machthabenden bereit sind, mit uns zu verhandeln. Ein Punkt, bitte schön, auf den alle Revolutionäre hinarbeiten, und wir haben ihn erreicht und freuen uns nicht einmal. So gesehen erinnern Frauen an die unterdrückte Bauernschaft, denen irgendwann einmal Reiter, aus den schon längst revoltierenden Städten Botschaften bringen, in denen sich die Meldungen überschlagen: »Es hat eine Revolution gegeben, jetzt ist sie vorüber, und wir haben sie gewonnen!« Um also richtig und genußvoll wahrzunehmen, was wir da eigentlich erreicht haben, wollen wir einen Schritt zurücktreten und uns den Ablauf einer Revolution vergegenwärtigen. Denn das muß nicht mit Straßenschlachten und Guillotinen ablaufen, sondern kann auch so gehen, wie es zum Beispiel im Osten Europas geschah: durch einen ausdauernden intellektuellen und moralischen Widerstand, getragen vom ausdauernden Unmut eines ungerecht behandelten Volkes. Ein solcher Widerstand erfordert seine Zeit. Die ersten Anzeichen von Unzufriedenheit und Protest werden von der regierenden Macht sofort zurückgewiesen, abgewehrt, mit Gewalt unterdrückt. Die Anführer der Protestbewegung werden verfolgt, verspottet, bestraft, isoliert. Potentielle Sympathisanten werden eingeschüchtert, verschreckt. Was tut ein unterdrücktes Volk dann? Wenn sein Widerstandsgeist überleben soll, dann tut es zwei Dinge. Zwei Dinge, die von Eva Kanturkova in ihrem Buch über Dissidentinnen in der CSSR sehr treffend beschrieben werden. In der großen Mehrheit beugt es sich den herrschenden Umständen, weicht es der Macht aus, beugt es den Kopf. Das mag, merkt Kanturkowa bezüglich der Tschechen an, nicht sehr erbaulich oder inspirierend klingen, aber es ist Teil einer »sachbezogenen, sonst aber strengen Moral ... Moralisch ist, sich zu retten, unmoralisch, sich vernichten zu lassen.« Und daneben gibt es eine Minderheit derjenigen, die sich der Unterordnung verweigern, sich gegenüber der Macht zur Wehr setzen und dafür den Preis zahlen. Und offensichtlich, schließt Kanturkowa, »braucht ein Volk wie das unsere beides: diejenigen, die mit gesenktem Kopf überleben, und diejenigen, die es ablehnen, den Kopf zu senken und dem Überleben auf diese Weise den eigentlichen Sinn geben.«
Auch ein Volk wie das der Frauen brauchte beides. Die einen haben, alle Zeit hindurch und für einen hohen persönlichen Preis, Widerstand geleistet. Die anderen haben sich angepaßt, sich eingefügt und überdauert. Der Streit zwischen Feministinnen und Nicht-Feministinnen ist Schein, nur sichtbar durch die Linse der Machthabenden. Denn die Feministinnen, das waren unsere Dissidentinnen, und die übrigen Frauen, das war unser Volk. Und dieses Volk hat, ein Blick auf die letzten Jahrzehnte macht es deutlich, einen Volksaufstand durchgeführt: einen erfolgreichen. Die Chronik eines politischen Umschwungs, sie beginnt mit dem Protest. Er wird niedergeschlagen, seine Anführer werden identifiziert und bestraft. Das Volk steht nicht zu seinen Anführern, es steht in dieser Phase nie zu ihnen, zumindest nicht laut, öffentlich und in irgendeiner Form, das den armen Anführern nützen würde. Sie sind allein, außerhalb einer winzig kleinen Gruppe Gleichgesinnter geächtet, Härten und Strafen und Mißhandlungen ausgesetzt. Sie werden für verrückt erklärt, isoliert und ausgegrenzt. Die Kraft, an sich und ihre Sache zu glauben, müssen sie in sich selber finden und in einer kleinen, schwachen Bewegung, der sie angehören. Helden werden sie, wenn überhaupt, dann erst sehr, sehr viel später. Die Machthabenden erklären sie zu Konterrevolutionären und zu Gangstern, für irr, für korrupt, für dekadent, für krank und sind bestrebt, das Volk gegen sie aufzuhetzen, mitunter mit Erfolg. Schon um die eigene Sicherheit zu gewährleisten, muß das Volk sich von den Anführern abgrenzen. Und das ist für die Anführer frustrierend und schmerzlich, aber es ist trotzdem gut, denn nur so kann das Volk überleben, um zu einem günstigeren Zeitpunkt zahlreich und einigermaßen schlagkräftig vorhanden zu sein. jede Mitarbeiterin eines Frauenhauses, die verzweifelt ist über die patriarchalischen Abhängigkeiten ihrer Klientinnen, jede Feministin, die sich über Frauen ärgert, deren Gehalt nur infolge der Frauenbewegung halbwegs zumutbar ist und die trotzdem lautstark in der Firma verkündet, »absolut keine Feministin« zu sein, muß sich nur an den politischen Analogien. festhalten, um den Mut nicht zu verlieren. Ins Gefängnis ging Václav Havel auch alleine, und erst, als die Führung ihre Schwäche zeigte, ging das Volk auf die Straße, um ihn zum Präsidenten zu machen. Wissenschaftler, die sich auf das Studium von Revolutionen spezialisiert haben, kennen den markanten Wendepunkt, der den Anfang vom Ende eines totalitären Regimes ankündigt. Wenn ein solches Regime, nachdem es jeden Funken von Kritik gnadenlos erstickt hat, plötzlich eine Bereitschaft zeigt, Konzessionen zu machen, dann fühlt es sich gefährdet und schwach. Und dann dauert es nicht mehr lange, bis es zur Stunde der Wahrheit kommt. In, dieser Stunde der Wahrheit können entweder - wie jüngst in China - die Hardliner das Ruder übernehmen und noch gnadenloser zuschlagen als zuvor. Oder der Widerstand kann seine Chance wittern und sich wie ein Lauffeuer verbreiten, bis er nicht mehr aufzuhalten ist. Der alte chauvinistische Witz, man habe schon einmal einen Fehler begangen., indem man Frauen lesen und schreiben lernen ließ, hat insofern seine absolute Berechtigung. Eigentlich begann es in genau dem Augenblick, unmöglich zu werden, das Patriarchat an der Macht zu halten. Sobald es möglich wurde, Fragen zu stellen, war die Situation nicht mehr haltbar.
Eins nach dem anderen taten Frauen all die Dinge, die sie angeblich einfach konstitutionell nicht schafften: schlossen Universitätsstudien ab, lernten Autofahren und Fliegen. Der Unhinterfragbarkeit des scheinbar Faktischen beraubt, konnte das Patriarchat nur noch mit Macht auf seinen verbleibenden Verboten und Zurücksetzungen bestehen. Damit aber wechselte die Moral langsam aber sicher auf die andere Seite über. Es ist noch immer möglich, bei einer beruflichen Anstellung einen Mann zu bevorzugen, der Frau weniger zu bezahlen, die Ehefrau zu schlagen oder die Partnerin zu nötigen, nach ihrem 40-Stunden-Job den Haushalt und die Kinderversorgung ganz oder weitgehend alleine zu machen. Aber keine dieser Handlungsweisen kann mehr beanspruchen, gerecht oder richtig zu sein, und das ist ein sehr wesentlicher Unterschied ... auch wenn die Frau, der das gerade passiert, wenig Trost darin finden mag. Wir haben lange überlegt, welche Frauen wir für dieses Buch auswählen sollten. Es ging uns darum, nicht die Barrieren und Schwierigkeiten zu erörtern, die Frauen an ihren geplanten Aktivitäten hindern und ihre Ambitionen reduzieren, sondern es ging uns um Frauen, die es dennoch schaffen. Wie sind sie, welche Erfahrungen haben sie gemacht, was bedeutet ihr verstärktes Auftreten für die Frauen im allgemeinen. Und gerade bei dieser, der letzten Frage, waren wir bereits unversehens mitten in den ideologischen Diskussionen. Denn die Frage, welche Rolle - langfristig und politisch gesehen - die Geschlechtszugehörigkeit in der Macht spielt, steht schon lange zur Diskussion. Wird die Politik »anders«, wenn mehr Frauen daran beteiligt sind? Oder kommen sowieso nur Frauen zum Zug, die mindestens so hart und aggressiv sind wie Männer? Oder verändern sich die Frauen, wenn sie aufsteigen, so daß sie am Schluß gar keine ihrer ursprünglichen Eigenschaften mehr haben, sondern verhärtet und verroht sind? Das waren sehr abstrakte Fragen, aber sie stellten uns vor die Notwendigkeit einer Entscheidung. Nach welchen Kriterien sollten wir die Frauen auswählen? Sollten es solche sein, die ganz eindeutig alternative Werte und eine bessere Welt verkörperten? Oder waren wir damit nur genauso ungerecht wie das Patriarchat, das von Frauen immer schon die doppelte Leistung verlangte, wenn wir Frauen nur dann ihre Karriere zugestanden, wenn sie diese ganz uneigennützig für die Verbesserung der Menschheit benutzten? Mit der Zeit klärten sich unsere Grundannahmen, und dieses Problem zumindest löste sich auf. Welche Frauen gehören zur »neuen Sozietät«? Na: potentiell alle. Denn es ist noch gar nicht klar, wie sich diese Sozietät gestalten wird. jetzt ist erst der Punkt erreicht, an dem die alte Ordnung ins Wanken gekommen ist - wo sie sogar schon so sehr schwankt, daß man ihren Fall vorhersehen kann. Was aber darauf folgen wird, das ist noch restlos ungewiß, denn jetzt beginnen erst die Probleme. Und die Chancen. Dann sieht es, was die Frauen anbelangt, nicht anders aus als bei jeder anderen politischen Veränderung. Eine alte Garde tritt ab, und damit beginnt erst der Streit um die neuen Positionen. Wenn im Osten die Kommunisten gehen, geht für die anderen das Spiel erst richtig los: Sozialisten., Sozialdemokraten, Konservative, ethnische Minderheiten, alle sehen ihre Chance gekommen, und erst im Verlauf der Zeit kristallisieren sich die neuen Linien heraus.
Bei den Frauen wird es nicht anders sein. Auch unter ihnen sind die verschiedensten Werte und Weltanschauungen vertreten. Und im übrigen ist auch die alte Ordnung noch bestrebt, sich in die neue Zeit hinüberzuretten, und bildet sich ihre Kader heran. Die alten Eliten treten nicht einfach ab, sondern wandeln ihre Form und ihre Gestalt, um weiterhin mitspielen zu können. Der Feudalismus ist vorüber, jetzt steht Demokratie auf dem Plan? Dann geben sich die alten Großfamilien den Namen einer Partei, und schicken ihre vielen Angehörigen unter diesem neuen Etikett an die alten Schalthebel. Auch diesen Prozeß können wir bereits in der Praxis beobachten. Industrien bilden sich allmählich eine Truppe von Managerinnen heran; rechtsradikale Religionsgruppen finanzieren Frauenbüros und Frauenzeitschriften. Was wir jetzt sehen und bemängeln als die fehlende weltanschauliche Konsequenz der Frauen, ist in Wirklichkeit etwas anderes und sehr Natürliches. Es bilden sich, in rudimentärer Form, auch unter den Frauen all jene Grüppchen und Menschentypen heraus, die auch überall sonst an den Startlinien neuer Gesellschaften stehen. Läuft unser Rennen nach anderen Regeln? Ist es bei uns nicht der Darwinismus, sondern irgendein gnädigerer, milderer Selektionsprozeß, der bestimmen wird, wer zu bestimmen hat? Oder wird es genauso aussehen wie bisher, nur mit mehr weiblichen Gesichtern in den Abendnachrichten? Um all diesen Fragen näher zu kommen, beschlossen wir, an unsere Gesprächspartnerinnen noch keine weltanschaulichen Anforderungen zu stellen. Wir suchten einfach Frauen auf, die überdurchschnittlich aktiv, erfolgreich oder initiativ waren. Frauen, die ihren aufreibenden Alltag zwischen Beruf und Familie und Resten eines persönlichen Lebens aufteilen und wissen, daß es so nicht weitergehen kann. Die Belastung ist zu groß, es gibt zu viele Pannen, die erforderlichen Improvisationen zu zahlreich. Frauen, die neben einem anspruchsvollen Beruf auch noch eine Beziehung zu Kindern haben, leben wie die Pioniere in jung erschlossenen Territorien einer dünn besiedelten neuen Welt. Man kommt an irgendwie, auf abenteuerlichen Pfaden und hat seine gesammelten Besitztümer auf einem Wagen. Man steckt sich Grenzen ab, stellt eine Hütte auf und fängt an, die neue Heimat zu bewirtschaften. Was fehlt, ist die Infrastruktur. Die Gesellschaft mitsamt ihren Institutionen ist noch nicht vertreten, sie ist zurückgeblieben in den Städten und den bereits erschlossenen Gebieten und wartet erst einmal ab, ob aus dem Experiment etwas wird. Daher leben die Pioniere ohne all die Dienstleistungen, die in der Zivilisation sonst üblich und normal sind. Es gibt keine Post. Es gibt keine Straßen. Es gibt keine Polizei, keine Autobusse, keine Krankenhäuser. Mit Nachbarschaftshilfe, Improvisation und Entbehrung müssen die Pioniere sich einen erträglichen Alltag zusammenbasteln. Die neue Generation der berufstätigen Frau ist eine Pionierin in genau diesem Sinne. Für ihre Bedürfnisse gibt es keine passenden sozialen Einrichtungen, denn ihre Lebensweise ist nicht vorgesehen. Die Struktur der Arbeit, die Arbeitszeiten, die Kinderversorgung, die Einkaufszeiten in den Läden, sie alle sind auf eine andere Form des Lebens hin geplant. Die Öffentlichkeit entspricht eher den Bedürfnissen berufstätiger Männer, dann entspricht sie noch der Hausfrau oder der in einem begrenzten Rahmen berufstätigen Frau, aber dem neuen Frauentypus entspricht sie ganz und gar nicht. Kindergärten öffnen zu spät, schließen zu früh und entsprechen vor allem nicht ihren pädagogischen und qualitativen Ansprüchen. Arbeitszeiten sind zu rigide und gehen von einem Menschen aus, der keine anderen Verpflichtungen und Prioritäten hat. So ist diese Frau gezwungen, ständig eigene und neue Lösungen zu finden. Um uns vor Augen zu halten, was für eine massive Belastung das ist, müssen wir uns nur vorstellen, wie sehr wir von gesellschaftlichen Institutionen und Organisationshilfen abhängig sind. Denken wir sie uns einmal weg: Es gibt keine Elektrizitätswerke, wer Stromversorgung haben will, muß sich selber eine Leitung legen. Sie wollen einen Brief oder ein Paket senden? Es gibt keine Post, Sie müssen jemanden finden, der zufällig dorthin fährt oder es selbst hinbringen. Sie wollen ins Büro? Jeden Tag müssen Sie die Anreise von neuem organisieren; es gibt keine U-Bahn, keine Straßenbahn, keine Tankstellen für Ihr Auto. Sie wollen sich informieren über die Tagesgeschehnisse? Zeitungen und Zeitschriften gibt es nicht, aber Sie können ja Ihre Freunde anrufen, um zu erfahren, ob die etwas wissen; doch leider gibt es ja auch kein Telefon, usw. Die neue Frau lebt in einer Welt, in der rechts und links die Dinge und Leistungen fehlen, die sie für den halbwegs reibungslosen Verlauf ihres Alltags brauchen würde. Das ändert sich. Es ändert sich immer, weil es die Natur des Gemeinschaftslebens ist, daß Bedürfnisse dann befriedigt werden, wenn genügend Leute es wollen und brauchen. Ab einer gewissen Siedlungsdichte leitet der Staat den Strom, die Kanalisation, die Gasleitung hin. Wenn er sich damit allzuviel Zeit läßt, organisieren sich die Bürger zu einem Anrainerkomitee und beschweren sich. Auch bei den Frauen, von denen wir hier sprechen, sind die entsprechenden Entwicklungen im Gang. Es ist schon erkennbar, daß ihre Bedürfnisse allmählich registriert werden, daß die Unterhaltbarkeit ihrer Belastungssituation eine organisatorische Antwort erhalten muß. Es ist einfach ineffizient und unmöglich, daß Tausende sich jeden Tag selbst um etwas bemühen, was sich in strukturierter Form besser anbieten ließe: Diese Erkenntnis trafen die Menschen vor Jahrtausenden, und sie ist der Ursprung unseres Lebens in der Gemeinschaft. Die ersten Vorboten einer kollektiven Antwort auf die erforderlichen Unterstützungen der neuen Lebensform sind meist zaghaft und zufällig, weil irgendwo irgendwem das neue Bedürfnis aufgefallen ist und er oder sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten darauf reagiert hat. Ein gutes Beispiel dafür sind die großen Hotelketten, die irgendwann in die Existenz der reisenden Geschäftsfrau entdeckten und daraufhin in der Zimmergestaltung entsprechende Vorkehrungen trafen: Haartrockner und Schminkbeleuchtung im Badezimmer, bessere Beleuchtung in den Gängen und Türspion für den erhöhten Sicherheitswunsch, etc. In Österreich geht die erste, zaghafte Lockerung der Öffnungszeiten im Handel auf die Initiative von Geschäftsfrauen und Kundinnen zurück, die schon lange an der Deckungsgleichheit von Bürozeit und Supermarktbetrieb leiden und das ständige Hetzen unnötig finden. Einige große Firmen richten bereits Betriebskindergärten ein und betrachten günstige Angebote der Kinderversorgung als Magnet, um qualifizierte Frauen anzulocken. Das sind Dinge, die im Alltag der durchschnittlichen betroffenen Frau keine spürbare Erleichterung schaffen. Aber sie sind Signale, daß unsere Gruppe sich allmählich der Größe nähert, die als Schallgrenze für eine gesellschaftliche Ernstnahme gilt. Damit ist der Zeitpunkt gekommen, genauere Vorstellungen zu entwickeln bezüglich der Hilfestellungen und organisatorischen Maßnahmen, die wir uns wünschen würden. Es ist auch der Zeitpunkt gekommen, an dem wir eine Erfüllung dieser Wünsche nachdrücklich fordern können. Berufstätige Frauen in typischen Frauenberufen oder in Berufsrängen, die deutlich unter denen ihrer Männer liegen, ertragen ihre Mehrfachbelastung meist noch irgendwie. Der Herr Professor ist mit der Lehrerin verheiratet und findet das ideal, weil sie nachmittags für die Kinder da sein kann und einen langen Urlaub hat. Der Herr Manager betrachtet den Halbtagsjob seiner Gattin als Therapie, die seiner persönlichen Bequemlichkeit aber nicht allzu sehr in die Quere kommen darf. Bei Frauen in sehr qualifizierten Berufen, die ihren Beruf als persönliche Priorität sehen und die etwa positionsgleich mit ihrem Lebensgefährten sind sehen die Dinge allmählich anders aus. Beziehungsweise, es zeichnet sich ab, daß sie anders aussehen werden. Wie, das ist noch offen, und es gibt verschiedenste Ansätze, Kompromisse und Experimente. Auf jeden Fall können wir eines jetzt schon mit Gewißheit feststellen: Die Zweierbeziehung verändert sich. Bei unseren Interviewpartnerinnen zeichnete sich das, bei allen Provisorien in ihrer Lebensgestaltung, bereits deutlich ab. Manchmal wurde die Beziehung besser, manchmal wurde sie weniger wichtig; anders aber wurde sie in jedem Fall. Frau Sellami-Meslem, die algerische Politikerin, hat es als »Beobachterin« der europäischen Szene vielleicht am deutlichsten von allen gesehen: Es funktionieren die alten Muster der Familienorganisation nicht mehr, und neue müssen gefunden werden. Dieser Prozeß ist eindeutig im Gange. Einige Tendenzen, die jetzt bereits erkennbar sind, wollen wir im folgenden skizzieren.