Unsere Olympiasiegerinnen

Einige der Frauen die wir im Rahmen dieser Recherche kennenlernten, waren sehr anders als die Frauen, die sonst in unserem Umfeld zu finden sind. Sie waren nicht nur in Sparten, mit denen wir sonst wenig zu tun haben: Physik, Finanzwesen, sogar Kernkraft; sondern sie waren auch als Personen und Persönlichkeiten anders. Anfangs machten sie auf uns einen direkt futuristischen Eindruck. Nicht immer waren wir mit ihren Wertvorstellungen oder mit der Art und Weise, in der sie ihr Leben führten, ungetrübt einverstanden. Wir mußten ziemlich viel über sie nachdenken, und unsere Gedanken folgten unter anderem diesen Schritten*. Wenn sie schon gar keine anderen Tugenden in den Augen des immer sehr kritischen feministischen Begutachtungverfahrens hatten, weil sie infolge ihrer politischen und. persönlichen Werte nicht liberal genug waren, dann standen sie zumindest für einen Wert, der uns wichtig sein sollte: die Selbstbestimmung. Unausgesprochen perpetuiert die Frauenbewegung mitunter eine gravierende Ungerechtigkeit. Männer »dürfen« in ihren Augen alles tun, alles sagen, alles denken, weil man sowieso nichts Besseres von ihnen erwartet. Eine Frau aber sollte nicht nur viel leisten und viel erreichen, sondern sie muß sich das Recht dazu auch noch ideologisch »verdienen«, indem sie dann viel aufgeklärter, viel progressiver und viel humaner ist als ihre männlichen Konkurrenten. Das ist aber nicht nur ungerecht. Es ist auch taktisch falsch. Denn wenn uns die Welt so, wie sie ist, nicht gefällt, dann müssen wir sie ändern. Zuerst müssen wir erreichen, daß wir richtig mitspielen können; das heißt, es müssen die Regeln dahingehend geändert werden, daß Frauen uneingeschränkt dabei sein können. Das ist eigentlich schon rein statistisch einleuchtend. Wenn sich irgendwo eine einzige Frau mühselig in einen Vorstand hineingekämpft hat, dann ist die statistische Wahrscheinlichkeit, daß es sich auch noch um eine liberale, engagierte, aufgeschlossene Frau handelt, ziemlich gering. Wenn aber Dutzende oder Hunderte von Frauen in den oberen Etagen anzutreffen sind, dann ist die statistische Wahrscheinlichkeit, daß darunter auch mehrere progressiv-denkende Frauen sind, viel höher. Wir müssen auch zugeben, daß wir von einigen dieser Frauen schlichtweg beeindruckt waren. Ihr Elan, Ihre Hartnäckigkeit, ihre Kraft waren einfach objektiv beachtlich. Schließlich schafften sie es, ein nicht immer wohlgesonnenes männliches Umfeld zu beeindrucken, und das deshalb, weil sie einfach von ihrer Leistungsfähigkeit her imponierend waren. Manche waren in ihrem Herangehen an Dinge und Menschen sehr »männlich«, wobei wir gleich sagen können, was wir darunter verstehen: Sie sahen Probleme, zum Beispiel das sehr bezeichnende Problem der Kinderversorgung und ihrer Mutterrolle, sehr pragmatisch und schienen frei von den Gewissenskonflikten, die viele andere berufstätige Mütter zu Recht und Unrecht quälen; sie hatten ihre emotionale Komponente weit fester im Griff als der weibliche Durchschnitt; sie fanden Freude an gerade den Aspekten des Berufslebens, die von anderen Frauen häufig als Bürde und Nachteil beschrieben werden, wie zum Beispiel Machtkämpfe und Risiken. Trotzdem waren sie in anderer Hinsicht überhaupt nicht männlich. Dazu gehört nicht nur die Optik, der Habitus, die Körpersprache - alles Dinge, bei denen diese Frauen sich überhaupt nicht an ihr vorwiegend männliches Umfeld angepaßt hatten. Sondern dazu gehörte eine Stimmung, die schwer vermittelbar ist. Eine der Frauen, die Management-Beraterin Mae-Folter, sprach diese Komponente von sich aus an und definierte sie als eine Kommunikationsnähe. In der Art, wie sie auf Nuancen hören und Verständnis für unausgesprochene Nebenbedeutungen haben, weisen diese Elitekaderfrauen eher Verhaltensweisen auf, die man auch sonst üblicherweise Frauen zuordnet, als solche, die man Männern zuschreibt. Das ist ein sehr diffuser Punkt, der vielleicht auch nicht sehr wichtig ist, wenngleich er von etlichen Interviewpartnerinnen angesprochen wurde: das nicht konkret definierbare, aber dennoch spürbare Anderssein der Frauen. Die Journalistin Ingrid Kolb hat dazu eine ambivalente Beobachtung gemacht: »Am meisten verstört die Männer das ganz Normale, wenn du kommst und sagst, »So Jungs, jetzt rückt mal ein bißchen zur Seite, ich spiel jetzt auch mit«. Das legt sich mit der Zeit, aber trotzdem ist es interessant, daß das ganz Normale sie am meisten verunsichert. Weit mehr, als wenn du mit irgendeinem weiblichen Klischeeverhalten kommen würdest. Aber vielleicht ist es nicht das Normale, vielleicht ist es ihr Gefühl, daß man nur scheinbar ganz normal und so wie sie ist. Das Gefühl, daß ein Stückchen Unberechenbarkeit dabei ist, das irritiert sie vielleicht. Und sie haben ja recht. Wir ticken wirklich nicht so wie sie, und die meisten von uns möchten es auch in Zukunft nicht tun.« Dieses Anderssein wollen wir hier gar nicht viel ausführlicher erörtern, weil es zu subjektiv und zu vage ist. Aber wir sollten es notieren als einen offenen Diskussionspunkt für die Zukunft. Das Anderssein der Frauen drückte sich auch manifester in manchen gemeinsamen organisatorischen Problemen aus. Das universellste davon ist die Frage der Kinder. Hier ist fast jede Frau damit konfrontiert, mit sehr viel Aufwand eine individuelle Lösung zusammenbasteln zu müssen, die dann letzlich nicht einmal befriedigend ist. Für die jetzige Müttergeneration und deren Kinder ist dieser Tatbestand zwar nicht angenehm, aber politisch ist es eine Tatsache: Die Wahrscheinlichkeit einer politischen Lösung läßt sich fast physikalisch bestimmen als Korrelat zur Menge des Leidensdrucks. Frauen in leitenden Positionen - und deren Mütter, Schwiegermütter und Au-pair-Mädchen - fangen zwar nach wie vor die Probleme auf, bevor diese jemals den Seelenfrieden der Männer und Väter belasten, aber sie tun es nicht mehr mit der Vollständigkeit einer Hausfrau. Erst wenn genügend Personen beiderlei Geschlechts unzufrieden genug geworden sind, wird sich an der Organisation der Arbeit und der Arbeitszeit, an der Qualität und Menge der stützenden Maßnahmen und Organisationen und an der Mißachtung der Lebensqualität von Kindern und Familien etwas ändern. jede Frau, die in einer qualifizierten Stellung tätig ist und ein Kind hat, ist ein Zünglein Unzufriedenheit mehr auf der Waage. Die wichtige Tugend dieser Frauen liegt in ihrer psychischen Pionierfunktion. Dadurch, daß sie die Welt anders sehen als viele andere Frauen, erweitern sie ohne Zweifel die Optionen. Sie sind so etwas wie unsere psychischen Olympiasiegerinnen; viel härter und trainierter und disziplinierter als wir anderen, aber zugleich eine Mannschaft, die wir entsendet haben. Die doktrinären unter uns werden bestimmt finden, daß wir diese Olympischen Spiele boykottieren sollten. Andere werden sich freuen, wenn sie Gold heimbringen für »unser« Team. Und manche werden vielleicht, wie wir, die Entwicklung und die Standpunkte dieser Frauen einfach nur anregend finden als Anstoß für das eigene Denken. In diesem Abschnitt jedenfalls haben wir die ungewöhnlichsten unter unseren Interviewpartnerinnen zusammengestellt. Die erste ist Martine Griffon-Fouco, die höchstrangige Frau der internationalen Kernkraftindustrie, und sie befindet sich im Leitungsstab eines französischen Kernkraftwerks in der Nähe von Bordeaux. Damit haben wir, als Kernkraftgegnerinnen, einen echten Sprung über unsere ideologischen Barrieren getan. Die zweite Frau, Antonella Mae-Folter, hat eine Führungsposition in einer internationalen Managementberatungsfirma. Mit dieser Position geht ein Lebensstil einher, der so manches klassische Managerklischee noch weit übertrifft. Antonellas Arbeitstag teilt sich lässig auf die Kontinente auf, und dazu gibt es noch einen Ehemann, ein Kind und eine gerade aktuelle Schwangerschaft. Die dritte und vierte Frau leben beide in London und waren nach den Interviews für uns gedanklich sofort gepaart durch ihre Unterschiede. Eliza McLachlan, wackere Soldatin in einer großen internationalen Werbeagentur, hat den bestehenden Organisations- und Produktionsverhältnissen gegenüber nur einen einzigen Wunsch: sie will, auf oberster Etage, dabeisein. Anita Roddick dagegen, Chefin eines eigenen Kosmetikkonzerns, hat ein anderes Ziel: Sie möchte den Kapitalismus umkrempeln.

Martine Griffon-Foucon Kursleiterin eines Kernkraftwerkes in Bordeaux

Wir hatten reichlich Zeit, unsere gemischten Gefühle über dieses Interview auszusortieren, denn die Anreise war lang und umständlich. Zuerst nach Bordeaux, dann mit einem Taxi eineinhalb Stunden lang querfeldein über Bäche, durch Dörfer, durch eine schöne französische Frühlingslandschaft, hin zu einem gar nicht idyllischen Ziel: einem Kernkraftwerk. Bzw. zu einem Bauernhaus, ganz in der Nähe des Kernkraftwerks, in dem die Leiterin desselben lebt. Der Kontext der Kernkraftdiskussion ist in Frankreich (noch) ein anderer, die Kontroverse steht dort erst an ihrem Beginn, und die alternativen Energiequellen werden noch weniger genutzt als anderswo in Europa.

Der Kritik an den Gefahren der Kernkraft war Martine Griffon-Fouco sehr aufgeschlossen; als Technikerin und Psychologin sah sie ihre Aufgabe darin, menschlich verursachte Störfälle zu verhindern. Wir trafen in ihr keine Apologetin der Kernkraft, wenn auch keine Gleichgesinnte. Interessant an ihrem Bericht war für uns dann die Dynamik ihrer Familiensituation und die Art, in der eine Frau Eingang in einen völlig männerdominierten technischen Bereich gefunden hatte. Martine ist 36 und hat drei Kinder.

Bei ihrem Anblick können einen futuristische Assoziation ereilen; man denkt vielleicht an Barbarella. Taillenlange blonde Haare, flüssig in mehreren schwierigen Fremdsprachen, Hobbies: Fallschirmspringen und Motorradfahren, charmant, gepflegte Umgangsformen, lockere Atmosphäre im geschmackvollen Landhaus ... wir waren beeindruckt. Wir wünschen sie uns in die Krebsforschung, aber das ist unser Werturteil. Ihr Mann, Manager bei Siemens Frankreich, ist beim Gespräch anwesend und nimmt regen Anteil. Seine Kommentare haben wir, weil sie aufschlußreich sind, beibehalten. »Ich komme aus einer Mittelschichtfamilie. Wir lebten in einem Dorf, meine Mutter hatte dort einen Lebensmittelladen, und mein Vater besaß eine Schnapsbrennerei. In der Schule war ich immer sehr gut, und ich hatte immer einen Hang zu ungewöhnlichen Dingen. . Mit elf meldete ich mich z.B. freiwillig für ein Schulmodell, in dem wir als Fremdsprache Russisch lernten. Später dann war ich auffallend gut in Mathematik und Physik, und wenn man in diesen Fächern gut ist, dann ist ganz klar, daß man Ingenieur wird. Da gab es so wenige Frauen, daß es fast unmöglich schien, das wirklich zu werden, und auch das war ein Anreiz. Aber es war mir nicht eine Berufung, also studierte ich dazu noch Psychologie. Die beiden Studien bildeten einen großen Kontrast, der mir gefiel. Beim Ingenieurstudium waren wir nur zwei Frauen, unter Hunderten von Männern. Bei der Psychologie dagegen waren mehrheitlich Frauen. Für mich hatten beide Situationen ihre Reize. Als ich mit dem Studium fertig war, wollte ich gerne diese beiden Ausbildungen gemeinsam verwerten, und außerdem war mir klar, daß ich nicht als Ingenieur arbeiten wollte. Anfangs war ich nicht ganz sicher, wie das gehen könnte, aber es stellte sich heraus, daß es sich um eine sehr aktuelle Spezialisierung handelte. Denn das Problem des »human factor«, des menschlichen Irrtums, wird immer relevanter. Ich arbeitete für die französischen Elektrizitätswerke, und nach dem Störfall im amerikanischen Kernkraftwerk Three Mile Island wurde dort eine kleine Arbeitsgruppe gebildet, die sich auf Unfälle spezialisieren sollte. Ich war der Chef dieses Teams. Wir machten Interviews mit den Arbeitern in diesem Kernkraftwerk, und wir untersuchten das Design und die Arbeitsbedingungen in vielen verschiedenen Kernkraftwerken, um auf Gefahren- und Fehlerquellen zu kommen. Oft ist es etwas scheinbar Geringfügiges, z.B. daß zwei Knöpfe mit unterschiedlichen Funktionen dieselbe Farbe haben. Die Psychologie der Arbeiter ist sehr schwierig, sehr komplex. Man muß rechtzeitig erkennen, ob jemand überfordert ist, unter Druck steht oder sich langweilt, denn das sind alles Fehlerquellen. Ich arbeite jetzt überwiegend mit Männern zusammen. Ein Unterschied zum Verhalten von Frauen am Arbeitsplatz? Das läßt sich schwer beantworten, glaube ich. Denn es gibt scheinbare Unterschiede, aber die sind nicht so sehr darauf zurückzuführen, daß es sich um Frauen handelt, sondern mehr darauf, daß diese Frauen in untergeordneten Positionen sind. Wenn man es gewöhnt ist, in einer abhängigen Stellung zu arbeiten, hat man einfach auch bestimmte Verhaltensweisen, das hat nichts mit dem Geschlecht zu tun. Für mein Team war es in den ersten Monaten ein Problem, wenn auch kein großes, daß ich die einzige Frau und zugleich der Boß war. Bei mir bemerke ich gewisse Unterschiede zu männlichem Verhalten. Ich, und Frauen überhaupt, glaube ich, behalten Probleme länger für sich. Männer konfrontieren früher, und das ist besser. In mancher Hinsicht ist es dadurch einfacher, mit Männern zusammenzuarbeiten. Aber Frauen haben wiederum eigene Vorteile. Sie haben nicht das Bedürfnis, den großen Chef mit den breiten Schultern vorzuspielen. Auf der anderen Seite wäre es oft besser für mich, wenn mein Verhalten ausgeprägter wäre. Ich bin sehr ausgeglichen, und meinen männlichen Mitarbeitern wäre es, glaube ich, lieber, wenn ich deutlicher meine Reaktionen zeigen würde. Ich habe keine Probleme mit Autorität, ich bin gern in einer führenden Stellung, aber ich kämpfe nicht gerne. Ich ziehe es vor zu warten. Benachteiligung habe ich persönlich eigentlich nicht erlebt. Aber ironischerweise wird mir gerade jetzt, auf diesem obersten Führungslevel, meine Weiblichkeit manchmal zum Problem. Ich soll ja Leiterin des Kernkraftwerks werden. Und manchmal ertappe ich meinen Chef dabei, wie er mich sehr nachdenklich ansieht, und ich glaube, seine Gedanken zu kennen. Er denkt sich: »Was werden die Leute sagen, wenn diese junge blonde Frau Leiterin des Kernkraftwerks sein soll.«

Ihr Mann: Ich glaube, die Männer dort sehen dich gar nicht als Frau. Ich glaube, sie sehen dich als außerirdisches Wesen, als Mutation. So lösen sie ihr Problem mit dir.
Sie: Ja, das kann gut sein. Z.B. habe ich meinen Chef des öfteren dabei beobachtet, wie er Frauen auf die Beine schaut - Sekretärinnen, Assistentinnen und dergleichen. Ich ziehe mich gerne modisch an, und ich war eines Tages einfach neugierig und habe ihn gefragt, ob er jemals meine Beine bemerkt hätte. Er war ganz erstaunt und wehrte das energisch ab: »Nein, niemals!«
Er: Ja, das ist ein Verteidigungsmechanismus, wenn die Wirklichkeit so sonderbar ist, daß man mit ihr nicht zurechtkommt. Ich kenne meine Frau nicht an ihrem Arbeitsplatz, aber ich stelle mir vor, daß es so ist.
Sie: Rollenmodell würde ich gerne sein. Neulich hat eine japanische Delegation meinen Chef ersucht, mich nach Japan zu schicken. Denn die japanischen Männer wüßten, daß ihnen viele Probleme mit ihren Frauen bevorstünden, und ich sollte ihnen erklären, wie sie mit Frauen in qualifizierten Positionen umgehen sollten. Das hat mir gefallen, daß sie schon daran denken, für Frauen einen Platz finden zu müssen. Ich bin keine Feministin.
Er: Doch, das bist du.
Sie: Na, vielleicht. Was ich damit meine, ist, daß ich mich nicht auf das Thema konzentriere. Wenn die Männer an meiner Arbeitsstelle sich wie Machos benehmen, dann beachte ich das nicht und reagiere nicht darauf. Ich sehe schon Unterschiede in den Werten. Wenn mehr Frauen in machthabenden Positionen waren, würde das eine Rolle spielen, ich glaube schon. Es gäbe weniger Waffen, weniger Kriege. Auch am Arbeitsplatz sind sie nicht so exzessiv, nicht so konfliktfreudig wie Männer. Auch die Männer werden moderater, wenn Frauen dabei sind. Meinen Mann habe ich während des Studiums kennengelernt. Er arbeitet für Siemens Frankreich. Das Pendeln ist umständlich, das schon, aber wir haben uns ausgerechnet, daß wir genau so oft getrennt wären, wenn wir beide in Paris leben würden. Denn er ist verantwortlich für Südeuropa und Mexiko und muß viel reisen. Er kommt Donnerstag abend immer hierher, und wir sind drei Tage in der Woche zusammen. Wenn er in Bordeaux einen Job finden würde, würde er auch herziehen, aber es ist nicht leicht, in Frankreich ist alles sehr Paris-zentriert. Mein Mann ist die Person, die mich beruflich am meisten ermutigt und unterstützt.
Er: Ich werde manchmal gefragt, ob ich lieber mit einer erfolgreichen, gebildeten Frau zusammenlebe oder ob ich lieber das Gegenteil hätte, eine traditionelle Ehefrau. Mir fällt es schwer, die Leute zu verstehen, die letzteres wollen. Mir erscheint es viel anstrengender, mit einer traditionellen Frau zusammen zu sein. Eine solche Frau stellt viel mehr Forderungen, vor allem aber verlangt sie Dinge, die du ihr gar nicht geben kannst oder geben willst. Außerdem ist die Verständigung schwierig, weil sie sich in dein Leben und deine Probleme gar nicht hineindenken kann. Gebildete Leute sind besser in der Lage, eine Beziehung zu führen und mit Konflikten umzugehen. Vor allem meine Frau, die hat ja sogar eine Fachausbildung im Umgang mit Konflikten. Was soll so schön sein an einer Hausfrau? Du kommst heim, alles wartet schon auf dich, du bist der König, na und? Ich denke, daß meine Mutter mich in dieser Hinsicht auch schon beeinflußt hat. Sie war auch berufstätig, und schon als Kind bemerkte ich, daß sie offener und zugänglicher war als die Mütter meiner Freunde, die zu Hause waren.
Sie: Ich weiß nicht, ob ich mich privat anders verhalte als in der Arbeit. Vielleicht bin ich zu Hause emotionaler als im Job. Ich mag es gerne, im Haus eine gewisse Wichtigkeit zu haben, Lebensmittel zu kaufen, an den Zahnarzt zu denken. In der Arbeit belastet es mich nicht, d.h. dann nicht, wenn ich weiß, daß alles gut organisiert ist. Als wir zuerst hier herauszogen, war mein Sohn unglücklich, und daher mußte ich auch tagsüber oft an ihn denken. Aber jetzt ist alles gut, und jetzt überlasse ich die Kinder tagsüber der Frau, die sie versorgt, und denke nicht mehr daran. Die Kinder sind jetzt sehr glücklich hier, auf dem Land ist es schön für sie.
Er: Vielleicht ist das ein Modell für die Zukunft. Schließlich ist die Art von Familie, wo Vater und Mutter jeden Abend mit den Kindern zu Hause sind, historisch gesehen sowieso nur eine Episode.«

Antonella Mae-Folter, 34

  • Antonella wird, ähnlich wie ihr Bruder, sehr direkt und gezielt auf Leistung hin erzogen. Es ist nicht besonders schwierig, die Folgen der frühen Prägung zu beobachten. Antonella wird nahegelegt, sich nicht nur gut zu qualifizieren, sondern aus der Masse hervorzustechen und dabei auch keine Schwierigkeiten zu scheuen. Typisch ist schon die gezielte, sehr intellektuell erfolgte Wahl der deutschen Sprache und deutschen Schule, obwohl die Eltern selbst keinen persönlichen Bezug zu dieser Sprache haben. Dabei ist ein Zusammenspiel von Persönlichkeit und Prägung wesentlich; ein anderes Kind hätte gegen die Anforderungen rebelliert, hätte sich durch schlechte Leistungen oder Unglück verweigert, aber Antonella sprach darauf an.

Indem Sohn und Tochter genau gleich gefordert und erzogen wurden und diese Erziehungsvorstellungen in gleichem Maße von beiden Eltern vertreten wurden, kam Antonella auch in keinen Konflikt mit ihrer »Weiblichkeit«; zu Hause war man einstimmig der Auffassung, daß eine Tochter ganz genau dieselbe Zukunft erwartete wie ein Sohn. Diese fehlende Ambivalenz wird vermutlich mit ein Grund sein für das außergewöhnlich stabile Selbstbewußtsein dieser Frau. Eine andere Botschaft, die sich in der Kindheit und Jugend übermittelte, war subtiler und betraf den Zusammenhang zwischen Zuwendung und Anwesenheit. Antonella erlebte ihre Mutter als warm, als Frau, die Geborgenheit spendete und sich mütterlich und gern mit ihren Kindern beschäftigte. Das vertrug sich damit, daß die Mutter zeitlich nicht unbedingt verfügbar war, sondern viel mit dem Vater auf Reisen ging. Wenn sie weg war, gab es immer eine Großmutter. Diese Situation hat Antonella, ohne es im voraus zu planen, wie selbstverständlich im eigenen Familienhaushalt nachgestellt. Sie ist sehr viel weg, kommt aber in keinen subjektiven Konflikt mit ihrem Selbstbild von sich als Mutter. Diese Trennbarkeit von physischem Zusammensein und einer dennoch als intakt und nahe erlebten Beziehung - zu Mann oder Kind - ist ein beachtenswertes und neues Phänomen, das uns in den Interviews öfter begegnet und dann immer auffällt, weil es so ungewöhnlich ist. Noch ein zweites Mal erhält dieses Grundmuster, daß Abwesenheit eine Beziehung nicht negiert, dramatische Verstärkung. Antonellas Vater stirbt, und eigentlich käme es ihr naheliegend vor, ihre Auslandsstudienplätze aufzuschieben und bei der sehr verstörten Mutter zu bleiben. Die Mutter aber besteht darauf, daß Antonella sich nicht aus dem Konzept bringen lassen soll. Die Priorität hat die Tat, nicht das sentimentale Gefühl; Konflikte zwischen verschiedenen Wünschen werden rational entschieden. Interessant ist, daß Antonella aber dennoch nicht das ist, was man als puren Verstandesmenschen definieren würde. Manche Dinge entscheidet sie sehr sachlich und überlegt. So geht sie zum Beispiel an ihre Berufswahl heran. Sie überlegt ganz genau, welche Art von Arbeit ihr nicht gefallen würde - zum Beispiel eine abhängige Arbeit in einem klassischen Angestelltenverhältnis - und denkt darüber nach, wie sich das vermeiden ließe. Der beste Ausweg scheint in einer wirklich unanfechtbaren Ausbildung zu liegen, und die eignet Antonella sich konsequent an. Bei anderen Fragen aber ist sie in der Lage, absolut spontan zu sein; zum Beispiel bei ihrer Ehe. Eine Art »strukturierte Planlosigkeit« ist für viele Frauen dieser Kategorie typisch. Sie haben eine Vorstellung von der ungefähren Richtung, die aber oft nur aus sehr allgemein gehaltenen Kriterien besteht: die Arbeit soll selbständig sein, man möchte keine direkten Vorgesetzten haben, man möchte etwas Internationales machen, es soll mit sozialen Fragen zu tun haben usw. Dann eignen sie sich immer noch sehr zielsicher, die Fähigkeiten und Fertigkeiten an, die mit diesem Zielkomplex zu tun haben: eine Fremdsprache, das Diplom von einer renommierten Post-graduate-Institution u.ä. Und danach folgen sie gelassen auch dem Zufall. Eine ähnliche Lässigkeit zeigen sie gegenüber ihrem Privatleben. Die Parallele in der Schilderung von McLachlan und von Mae-Folter ist auffallend. Beide geben an, keine und schon gar keine frühe Ehe intendiert zu haben. Dann begegnen sie Männern, die ihnen als geeignete Lebenspartner erscheinen, und entschließen sich schnell und leicht zu einer Bindung: in Mae-Folters Fall genaugenommen nach vier Stunden. Ein großer Bonus in diesen Fällen ist das Selbstbewußtsein der Frauen. In einem Alter, in dem die meisten Mädchen schwärmerisch von der großen und wahren Liebe träumen, geht Eliza ganz burschenhaft, »um jemanden aufzureißen«. Egal, wie wir das jetzt finden, in jedem Fall ist diese Haltung anders als die übliche und verrät ein ungewöhnliches Maß an Selbstvertrauen: Es ist Eliza anscheinend ziemlich egal, ob sie möglichst bald einen Heiratspartner findet, entweder weil ihr eine Partnerschaft überhaupt nicht sehr wichtig ist oder weil sie davon ausgeht, daß sich zu gegebener Zeit schon einer finden wird. Von der bei manchen Frauen leider verbreiteten Partnerpanik hebt sich diese Einstellung wohltuend ab. Auch Antonella hat nie die Sorge, daß sie keinen Partner finden könnte. Es scheint im Gegenteil einen Überschuß an möglichen Kandidaten zu geben. Interessant ist in diesem Zusammenhang Antonellas Erläuterung zum Leben in einer Beziehung. Auch da, meint sie, sei Unabhängigkeit wichtig. Und darunter versteht sie, daß man nicht auf Gedeih und Verderben darauf angewiesen ist, daß einen der Partner nicht verläßt oder nicht schlecht behandelt. Das Gleichgewicht, das sie mit einem Partner erreichen will, beinhaltet auch die Überzeugung, daß das Leben - letzlich - auch ohne diesen Partner weitergehen würde. Zweifellos ist das, wie sie es formuliert, eine »mündigere« Form der Partnerschaft. Eine, die Männer immer schon vertreten haben und gegen die Frauen sich innerlich sperren, obwohl sie unter ihrer größeren emotionalen Abhängigkeit leiden. Das starke Selbstgefühl wirkt sich vorteilhaft und prägend auch auf andere Lebensbereiche aus. Die Vorurteile der Männer zum Beispiel werden kühl und diagnostisch nicht als etwas Beleidigendes und Ungerechtes wahrgenommen, sondern als eine Art geistige Behinderung, unter der diese Menschen leiden. Man muß sich damit auseinandersetzen, weil es zum Lauf der Dinge und zur momentanen Beschaffenheit der Welt gehört, aber man muß sich darüber nicht ärgern. Diese Frauen scheinen, und im Gespräch wirkt das ungewohnt und daher streckenweise fast befremdend, in einigen, entscheidenden Punkten anders oder gar nicht so programmiert worden zu sein wie andere Frauen. Diese Punkte beziehen sich in aller Regel auf den emotionalen Bereich und geben diesen Frauen eine ungewöhnliche Festigkeit und Standhaftigkeit.

Dorothea Assig führende Unternehmensberaterin (Additionen) in Berlin

Die Fähigkeit des Durchhaltens erstreckt sich auf alle Lebensbereiche. Wie das funktioniert, zeigt sich am deutlichsten anhand einer Lebensgeschichte. Dorothea Assig leitet in Berlin das Management-Institut Additionen und ist Autorin eines Buchs für Frauen, die sich beruflich selbständig machen wollen. Ihre Erzählung, die im folgenden zusammengefaßt ist, zeigt einige wesentliche Dinge. Aber eine Erkenntnis ist besonders zentral: die Erkenntnis, daß Hürden überklommen und Kursfehler richtiggestellt werden können. Das ist eine Erfahrung, die Dorothea Assig nicht nur im Beruf gemacht hat. Auch eine körperliche Behinderung, die durch einen schweren Unfall entstand, konnte durch hartnäckigen Einsatz und konsequente Disziplin überwunden werden. Das ist nicht gleichbedeutend mit Selbstkasteiung, ganz im Gegenteil. Dorotheas Antrieb zur Gründung einer eigenen Unternehmung kommt von dem dringenden Wunsch, sich ihr »angenehmes« weil freies - Leben zu erhalten, es nicht eintauschen zu müssen gegen ein Leben in institutionellen Strukturen. Was hält Frauen davon ab, das erforderliche Durchhaltevermögen gerade in jenen Bereichen an den Tag zu legen, in denen es ihnen am meisten nützen würde? Dorothea Assig meint, daß die Ursache hierfür in der mangelnden emotionalen Basis der beruflich aktiven Frauen liegt, und engagiert sich für die Schaffung einer Infrastruktur, die Frauen einen solchen emotionalen Rückhalt geben soll. »Wir waren fünf Kinder zu Hause, ich bin die Zweitjüngste. Meine Familie würde ich bezeichnen als deklassierte Mittelschicht. Die Großeltern waren sehr vermögend gewesen, so entstand das Gefühl, wir haben Geld, bloß im Moment nicht. Das war das unausgesprochene Familienmotto. Ich bin dementsprechend erzogen worden, sehr exklusiv, im Internat, mußte ständig ins Theater gehen. Bildung hatte einen hohen Wert bei uns. Wir sind aus Schlesien gekommen, der Vater war Architekt. Entscheidend in der Familie war aber sicherlich meine Mutter. Heute leitet sie Seminare und Projekte für alte Frauen, ist sehr aktiv. Das war sie immer schon, wobei man früher immer das Gefühl hatte, sie wartet darauf, daß mein Vater in Schwung kommt und in der Familie das Ruder in die Hand nimmt. Die Botschaft an mich war jedenfalls: Man muß es selber machen, sonst kommt man zu nichts. Man kann sich auf keinen Fall auf einen Mann verlassen, auch wenn man es vielleicht möchte. Ich bin im Internat von Nonnen erzogen worden. Nach der Mittleren Reife bin ich von der Schule abgegangen, ich war immer der rebellische Typ. Ich habe eine Lehre als Apothekergehilfin absolviert, aber ohne viel Überlegung. Ich fand es furchtbar und fing an, Seminare bei der Gewerkschaft für andere Lehrlinge zu geben. Nach meiner Lehrzeit hatte ich einen schweren Unfall, mit einem gelähmten Bein und Kopfverletzungen als Folge. Ich bin zu meinem Bruder und seiner Frau gezogen, der meinetwegen auf ein Dorf in der Nähe von Mainz übersiedelte, um mich zu versorgen. Ich habe so lange Gymnastik gemacht, jede Viertelstunde, bis ich wieder gehen konnte. Danach machte ich die Aufnahmeprüfung an der Uni und studierte Betriebswirtschaft. Das war ein Fach, in dem damals noch wenige Frauen waren, das war für mich ein Beweggrund. Ich war sehr getragen von der Frauenbewegung. Es war für mich damals kein individuelles Problem, daß ich mich durchsetzen will, sondern es ging mir um die ganze Gesellschaft: Ich habe mich emotional sehr bestimmt gefühlt von dem Klima der großen Veränderung, das damals herrschte. Nach dem Studium war ich viel unterwegs. Ich verbrachte ein Jahr in San Francisco. In einer berühmten Frauenwohngemeinschaft. Ich fuhr nach Indien. Ich schrieb zwei Bücher. Dabei reifte immer stärker der Entschluß, mich selbständig zu machen, denn ich fand mein Leben so interessant, daß ich es auf keinen Fall aufgeben wollte, um statt dessen in einem Unternehmen Kostenrechnungen zu erstellen. Privat habe ich meist in WGs gewohnt. Mit einem Freund. Ich lebe sehr gern mit anderen Menschen zusammen, und der Versuch, mit einem Mann allein zu leben, hat für mich nicht gut funktioniert. Das Familienkonzept, das sich dann schnell einschleicht, liegt mir nicht. Ich brauche viel Zeit für mich selbst, und wenn ich in einer Beziehung nur zu zweit lebe, werde ich träge, verliere meine Initiative. Heiraten möchte ich nicht, obwohl es ganz schön ist, hin und wieder gefragt zu werden. Das Thema Frauen und Selbständigkeit hat mich sehr angesprochen. Vor allem die Frage der emotionalen Komponente einer solchen Selbständigkeit war zu dem Zeitpunkt noch überhaupt nicht entwickelt. Das war meine Ambition, Frauen zu ermutigen, ihnen zum Beispiel beizubringen, Fehler zu verkraften und zu sehen, daß man Dinge und Entwicklungen auch ändern kann. Meine Arbeit fällt in zwei große Bereiche: Frauenförderung und Existenzgründung von Frauen. Wir beraten Unternehmen, wie sie Frauen in Führungspositionen fördern können, machen Kongresse und bieten Coachings an. Da kommen auch Männer hin, die mit Frauen arbeiten und wissen wollen, wie sie ihre Zusammenarbeit mit Frauen verbessern können. Wir arbeiten gezielt auch mit einzelnen Frauen an ihrem beruflichen Aufstieg.
Mein Arbeitstag geht fast immer bis in die Nacht, aber ich erlebe es nicht als Bürde. Ich habe Mitarbeiterinnen, die einen sehr großen Freiraum für eigene Kompetenzen haben. Mein Freund ist beruflich auch sehr engagiert, daher gibt es zwischen uns keinen Streit wegen Arbeitszeiten. Im Augenblick machen Frauen eine sehr schwere Zeit durch. Ich sehe es an den Frauen, die in die Seminare kommen. Sie leiden vor allem an der mangelnden emotionalen Ermunterung, der fehlenden Unterstützung. Sie leben in einer scharfen Trennung zwischen Privatleben und Beruf, und das belastet sie sehr. Dann macht auch die Arbeit weniger Spaß. Diese zwei Lebensbereiche besser miteinander zu verbinden, das ist sicherlich die große Herausforderung momentan. Das sieht jede Frau, aber für jede ist es ein individuelles Problem. In Wahrheit ist es aber ein strukturelles Problem.