Die Bemühungen gingen in Richtung Heterosexualität

Erfahrungen lesbischer Frauen mit Beratung und Therapie

In der schon mehrfach zitierten Umfrage bei lesbischen Frauen in der Kirche[1] wurde unter anderem die Frage gestellt: »Welche Erlebnisse/Erfahrungen hast da mit Beratung/Therapie gemacht?« Ich beginne mit einigen Antworten:

»In der Suchtberatung, die ich wegen meiner Alkoholprobleme aufgesucht hatte, wurde auch über lesbische Liebe gesprochen. Ein Therapeut nahm mein Lesbischsein als Entwicklung hin. Er nahm es nicht so recht ernst, lächelte väterlich und wünschte mir, daß ich mit zunehmender Reife eine Liebesbeziehung zu einem Mann zustande brächte. Der zweite Berater akzeptierte meine Liebe zu Frauen, gab sich vorurteilsfrei und sah im Lesbischsein eine Lebensform, mit der ich zurechtkommen muß.«
»Mir wurde gesagt, daß Lesbischsein Ausdruck der Angst vor Beziehungen zu Männern sei, eine Vorstufe zu wirklicher sexueller Reife.«
»Mein Lesbischsein wird als >neurotisch<, >infantil< abgetan, nicht ernst genommen.«
»Trotz mancher innerer Kämpfe wäre es mir nie eingefallen, mit dieser Frage in eine Beratung, geschweige denn in eine Therapie zu gehen. Das war bei mir zu sehr meine persönliche Sache, ich konnte mir nicht vorstellen, darüber >so irgendwo< zu reden.«
»Beratung oder Therapie habe ich nie genossen, obwohl ich Beratung, nicht Therapie, bitter notwendig gehabt hätte. Ich wußte aber nicht, an wen ich mich wenden sollte, bis ich an die HuK geriet. Hier wurde ich zwar nicht beraten, aber ich konnte mich solidarisch und nicht mehr so vereinsamt fühlen.«
»Ich habe eine 2 - 3jährige Gesprächstherapie mit einem sehr offenen Therapeuten (Mann!) gemacht und ihn als Mensch und Mann sehr positiv erlebt. Er hat mein Lesbischsein als Faktum angesehen, genau wie ich. Wir haben nur darüber gesprochen, wenn es als Bestandteil eines komplexeren Zusammenhanges auftauchte. Ich habe in dieser Zeit sehr viel über mich gelernt.«
»Ich habe in einer Lesbentherapiegruppe mitgemacht, in der wir sehr intensiv an dem Thema Sexualität gearbeitet haben. In meiner jetzigen Frauentherapiegruppe (Tanztherapie) sind wir drei Lesben, und sowohl die Gruppe als auch die Therapeutin haben eine sehr positive Einstellung - ich habe bisher keine Ablehnung diesbezüglich erfahren. Auch in meiner Einzelgesprächstherapie mit einer Therapeutin habe ich erfahren, daß es positiv aufgenommen wurde und keinerlei Versuche gemacht wurden, etwas in die andere Richtung beeinflussen zu wollen.«
»Ich arbeite selber in einer Frauenberatungsstelle, beschäftige mich eingehend mit feministischer Therapie. Für mich war die Aufarbeitung meiner katholischen Erfahrungen sehr wichtig für mein Selbstwertgefühl - ich fühle mich nicht mehr als Sünderin.«
»Nach abgeschlossener Grundausbildung in Beratungsgespräch und Gesprächspsychotherapie bin ich seit einem Jahr in der Zusatzausbildung zur Gesprächstherapeutin. In beiden Gruppen trat/ trete ich offen als Lesbe auf und habe bisher in keiner Weise das Gefühl, deswegen diskriminiert zu werden, eher im Gegenteil. Sehr viel an Eigenarbeit läuft für mich in der Gruppe. In meiner therapeutischen Praxis versuche ich hauptsächlich mit Frauen zu arbeiten und möchte gerne noch mehr in Lesbenkreisen bekannt werden, um diese Frauen - uns - speziell zu unterstützen, weil ich weiß, wie viele Probleme für Lesben in ihrer Beziehung zu heterosexuellen Therapeuten/innen drinstecken können.«
Es gibt bisher noch keine umfassenden empirischen Untersuchungen darüber, wie die Psychotherapie lesbische Frauen »behandelt« noch wie die Psychotherapeutinnen und Therapeuten speziell im kirchlichen Bereich mit lesbischen Frauen umgehen. Die folgenden Ausführungen über dieses »Dunkelfeld« können daher nur exemplarisch sein. Sie beinhalten meine eigenen Erfahrungen als lesbische Frau, meine jahrelangen beruflichen Auseinandersetzungen im Bereich Psychotherapie und die Konfrontation mit zahlreichen lesbischen Frauen in persönlichen Begegnungen, Selbsterfahrungsgruppen und auf Tagungen.
Mir ist bewußt, wie problematisch es im Zusammenhang mit Psychotherapie ist, von den lesbischen Frauen zu sprechen, als handle es sich um eine homogene Gruppe. Die Einstellung gegenüber Psychotherapie und ihre Inanspruchnahme ist abhängig von sozio-ökonomischen Merkmalen wie Schichtzugehörigkeit, Alter, Konfession, Ausbildung, Berufsstand, Lebenssituation und der Frage der Zugehörigkeit zur Frauenbewegung.
In den folgenden Aussagen geht es nicht nur um die Auseinandersetzung zwischen lesbischen Frauen und Psychotherapie im kirchlichen Bereich, vielmehr um grundsätzliche Überlegungen, die eine Diskussion anregen sollen, die längst überfällig geworden ist.
Zunächst will ich kurz auf Psychotherapie allgemein eingehen. Psychotherapie, das ist heute ein Sammelbegriff für ein ständig wachsendes Angebot, das man als »Psychoboom« bezeichnet, ein nahezu unübersichtliches Feld unterschiedlicher Therapierichtungen. Schon 1978 wurden bei den »klassischen« Therapieverfahren 15 tiefenpsychologische, 14 verhaltenstherapeutische, 12 erlebnis- und 5 kommunikationstheoretische Schulen gezählt, dazu gibt es über 200 Organisationen, die psychotherapeutische Ausbildung anbieten.[2] Heute liegt die Anzahl und Vielfalt therapeutischer Angebote bei weitem höher. 

Die unterschiedlichen Versuche, Psychotherapie zu definieren, ergeben keine von den Therapeuten gemeinsam vertretene Definition. Die Diskussion in der Fachliteratur läßt sich so zusammenfassen: Psychotherapie besteht darin, daß eine Person das äußerlich sichtbare, konkret feststellbare Verhalten und das damit verbundene innere Erleben einer anderen Person zu ändern hilft. Diese Veränderung muß einen für die therapierte Person positiven Wert beinhalten. Dabei ist noch nichts über die unterschiedlichen Methoden der Behandlung ausgesagt. Therapie geschieht wesentlich durch den Einsatz psychologischer Verfahren im Rahmen der verbalen und sozialen Interaktion. Dabei ist das soziale, emotionale und verbale Verhalten der Psychotherapeutin oder des Therapeuten von entscheidender Bedeutung.
Was heißt nun aber »positiver Wert« für die Therapeutinnen und Therapeuten und für die lesbischen Frauen, die Therapie in Anspruch nehmen? Kann die Annahme der lesbischen Identität für die Therapie einen positiven Wert darstellen? Sind Therapeutinnen und Therapeuten gewillt und in der Lage, solche Entwicklungen zu unterstützen und anzustreben? Wer setzt die Werte und Normen in einer Therapie? Ist Therapie Anpassung an die gesellschaftlich vorgegebene Norm der Heterosexualität? 
Oder bedeutet Therapie Emanzipation, Befreiung von inneren und äußeren Zwängen? Eine Reihe von Therapierichtungen, dazu zählen psychoanalytische Verfahren, Bioenergetik, sofern sie sich auf ihren Begründer Alexander Lowen beruft, definieren die Ziele einer Therapie eindeutig, sie beinhalten klare Vorstellungen von dem, was als »gestört«, »neurotisch«, »abweichend« gilt. Letzteres kann zum Beispiel für lesbische Frauen bedeuten, von vornherein als »abweichend« oder »psychisch gestört« eingestuft zu werden unabhängig von ihrer jeweiligen Problemlage. Ziel der Therapie bedeutet dann, der traditionellen Rolle als Frau entsprechen zu können, die stets in Relation zur männlichen Rolle definiert wird, das heißt heterosexuell zu werden. Viele lesbische Frauen, vor allem ältere, auch ich selbst, haben damit Therapie als massive Verunsicherung, Zwangsanpassung oder gar Druck erfahren.
Andere Therapierichtungen, zum Beispiel humanistische Ansätze wie die klientenzentrierte Psychotherapie nach Rogers, beanspruchen, keine vorgegebenen Vorstellungen von »normalem« und »abweichendem« Verhalten und damit auch keine eindeutig fixierten Ziele im Sinne eines »normalen« Verhaltens aufzustellen, sie geben vor, sich ganz auf die Bedürfnisse ihrer Klientinnen zu beziehen und sie in ihrem Bestreben nach Selbstverwirklichung zu unterstützen. Ob dieser Anspruch allerdings immer erfüllt wird, das hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab. 

Soviel kann grundsätzlich gesagt werden: Therapie hat wie jedes soziale Handeln auch eine politische Dimension. Therapeutinnen und Therapeuten verhalten sich in der Regel entsprechend ihrer jeweiligen theoretischen Ausrichtung, den wissenschaftlichen Erkenntnissen ihrer Zeit und den institutionellen Bedingungen ihrer Arbeit, ferner entsprechend ihrer Geschlechtsrolle, ihrer Biographie und nicht zuletzt ihrer Bewußtseinslage. Welche therapeutische Richtung also für eine lesbische Frau die geeignete ist, zu welcher Therapeutin oder welchem Therapeuten in welchem institutionellen Rahmen sie gehen soll, läßt sich nur schwer beantworten. Die therapeutische Praxis ist vielfältig und widersprüchlich. So kann es durchaus sein, daß es zwischen der theoretischen Ausrichtung der Therapeutin oder des Therapeuten auf der einen Seite und ihrem konkreten Verhalten in der Therapie auf der anderen Seite zu positiven oder negativen Brüchen kommen kann. Psychoanalytische oder bioenergetische Therapie können eine lesbische Frau ebenso in ihrer Identität stärken wie klientenzentrierte Therapie unter Umständen zu ihrer Verunsicherung beitragen kann und umgekehrt. Das heißt mit anderen Worten, daß auch von seiten der psychologischen und psychotherapeutischen Fachliteratur keine Orientierungshilfen für lesbische Frauen erwartet werden können. 
Wir müssen unsere eigenen Erfahrungen reflektieren und austauschen und uns gemeinsam darauf besinnen, worauf es uns in der Therapie ankommt, sofern wir sie als Möglichkeit der Hilfe zur Selbsthilfe in Anspruch nehmen.
Wie sehen unsere Erfahrungen aus - früher und heute? - 
Bis in die siebziger Jahre hinein war es selbstverständlich, Lesbischsein als »Krankheit« oder » Störung« zu behandeln und lesbische Frauen in die Heterosexualität zu drängen. Der Mangel an Informationen, an öffentlichen und wissenschaftlich qualifizierten Auseinandersetzungen, die geringen Möglichkeiten, Kontakte zu anderen lesbischen Frauen zu finden - es gab weder eine Frauen- noch eine Lesbenbewegung - machte es lesbischen Frauen besonders schwer, eine eigene Identität zu finden. Für kirchliche Instanzen war das Thema »lesbische Frauen« tabu, Lesbischsein galt als »Schuld«, »Sünde«, »vom Teufel besessen sein«, als eindeutig negativ. Die Erfahrungen vieler älterer lesbischer Frauen einschließlich meiner eigenen waren gekennzeichnet von schmerzhaften und bitteren Auseinandersetzungen mit der weitgehenden Ablehnung und Verurteilung einer »christlichen« Umgebung. Als ich mich als Jugendliche zum ersten Mal in eine Frau verliebte und mich vertrauensvoll an einen Pfarrer wandte, bot er mir seine Hilfe an. Die bestand darin, mir klarzumachen, welche Schuld ich auf mich laden würde, wenn ich diesen Gefühlen nachginge. Er betete für mich und mit mir, »daß der Teufel von mir lasse«. Als ich mit Sechzehn erneut in eine Frau verliebt war, wurde ich in eine evangelische Beratungsstelle geschickt. 
Der tiefenpsychologisch orientierten Therapie gingen wochenlange testpsychologische Untersuchungen voraus. Man machte mir klar, ich würde unweigerlich in der Psychiatrie landen, wenn ich meine »Krankheit« nicht behandeln ließe; die therapeutischen Bemühungen gingen eindeutig in Richtung Heterosexualität. Immer wieder wurde ich mit dem Etikett »krank« und »neurotisch« konfrontiert. Mit Zwanzig erklärte mir ein Psychotherapeut, mit dem ich in meiner Ausbildung zu tun hatte, meine Schwierigkeiten seien pubertär, ich wolle nicht erwachsen werden. Er zeigte mir in einer Art »Therapieplan« auf, wie ich es schaffen könnte, endlich mit einem Mann zu schlafen. Dann würden die Gefühle für Frauen automatisch verschwinden, und ich wisse, was eine Frau glücklich mache.
Trotz dieser Erfahrungen bin ich meinen eigenen Weg gegangen. Aber es hat noch Jahre gedauert, bis ich mich von den tiefgreifenden Zweifeln, »nicht in Ordnung zu sein«, erholt hatte. Entscheidend war für mich die Begegnung mit anderen lesbischen Frauen, vor allem aber die Konfrontation mit der Frauen- und Lesbenbewegung, das Erfahren von Solidarität und die Entwicklung eines klaren Frauen- und Lesbenbewußtseins. 
Ferner war es für mich bedeutungsvoll, daß ich mich während meines Studiums ausführlich mit den wesentlichsten wissenschaftlichen Theorien und Untersuchungen zur weiblichen und männlichen Homosexualität (damals gab es noch keine eigene Forschung über Lesbischsein), ihren Voraussetzungen und ideologischen Hintergründen und ihrem heterosexuellen Blickwinkel auseinandergesetzt habe. Heute begreife ich unsere Situation auf dem Hintergrund einer patriarchalen Gesellschaft, in der unsere Unterdrückung eine doppelte ist: die der Unterdrückung der Frauen schlechthin und in besonderer Weise die der lesbischen Frauen. Sehr viele lesbische Frauen haben ähnliche, ja weitaus schlimmere Erfahrungen gemacht. Lesbisch zu sein war ein Makel, ein Stigma, das unter Umständen sogar zu einem Aufenthalt in der Psychiatrie führen konnte. Kaum eine Frau hat Ausnahmen erfahren, wenn sie im kirchlichen Bereich das Gespräch gesucht hat. Es ist von daher kein Wunder, daß sich die Mehrzahl lesbischer Frauen mit der Erkenntnis und Annahme ihrer lesbischen Existenz von kirchlichen Institutionen abgewandt hat, daß sich lesbische Frauen, die sich als kirchlich gebunden verstehen, zunehmend fragen, was sie eigentlich noch an diese Institution bindet.

Was hat sich geändert?

Im Verlauf der letzten fünfzehn Jahre hat es durchaus Veränderungen im gesellschaftlichen und kirchlichen Bereich gegeben, die die reale Situation von lesbischen Frauen (und schwulen Männern) zum Teil einschneidend verändert haben. Einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Situation lesbischer Frauen haben außerkirchliche Strömungen, so vor allem die Frauen- und Lesbenbewegung, geleistet. Es bekennen sich heute mehr Frauen zu ihrem Lesbischsein als in der Vergangenheit. Dies gilt vor allem für jüngere Frauen. Zunehmend begreifen Frauen, die jahrzehntelang heterosexuell gelebt haben, in Ehe und Familie eingebunden waren, Lesbischsein als eine Möglichkeit, sich aus patriarchalen Rollenzwängen zu befreien. Feministische Publikationen sowie Lesbenforschung machen diese Veränderung deutlich.[3] 

Auch im kirchlichen Bereich treten lesbische Frauen (und schwule Männer) verstärkt öffentlich auf, zum Beispiel auf Kirchentagen, auf Tagungen und so weiter. Die Existenz einer Frauen und Männer umfassenden HuK-Gruppe (Homosexuelle und Kirche), in der allerdings nur wenig Frauen vertreten sind, öffentliche Diskussionen, Publikationen und Stellungnahmen sind Beispiele einer veränderten Situation. Als bedeutsames positives Beispiel sei in diesem Zusammenhang auf die Handreichung des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche von Westfalen zum Thema »Homosexualität« verwiesen.[4]
Es finden seit einigen Jahren Fortbildungsveranstaltungen zu dieser Thematik für therapeutische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter statt, es gibt Lesben- und Schwulentagungen, sogar vereinzelt kirchliche Lesben- und Schwulenberatung. Damit ist noch nichts über die Auswirkungen der positiven Ansätze gesagt. Insgesamt läßt sich die Situation im kirchlichen Bereich so einschätzen: Sie ist immer noch weitgehend lesbenfeindlich, so wie sie in großen Teilen auch frauenfeindlich ist, da sich die kirchliche Institution als patriarchale Institution darstellt. Die Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse innerhalb der letzten fünfzehn Jahre, neue gesellschaftspolitische Strömungen, insbesondere die Frauenbewegung, haben unter anderem einen entscheidenden Einfluß auf die Erforschung geschlechtsspezifischen Verhaltens und die Entwicklung neuer Strategien im Umgang mit Frauen ausgeübt.

Der Zuwachs wissenschaftlicher Erkenntnisse innerhalb der Sozialwissenschaften, der Sexualwissenschaft, die Entstehung der feministischen Forschung und Therapie, die Qualifizierung therapeutischer Methoden und die Entwicklung neuer Therapieverfahren, nicht zuletzt auch die Entstehung einer gezielten Homosexuellen- und Lesbenforschung haben dazu beigetragen, den allgemeinen Bezugsrahmen für »abweichendes Verhalten« und die Zielsetzung von Therapie zu verändern. Dies kommt auch in zunehmend positiven Erfahrungsberichten lesbischer Frauen mit Therapie deutlich zum Ausdruck. 

Es würde den Rahmen dieser Ausführungen sprengen, die vielfältigen gesellschaftlichen und fachspezifischen Bedingungen aufzuzeigen, unter denen heute Therapeutinnen und Therapeuten mit lesbischen Frauen arbeiten. So viel soll aber verdeutlicht werden: Insgesamt gesehen geht es in der Fachliteratur vor allem um das Thema Homosexualität, wobei die männliche Homosexualität gemeint ist. Lesbische Frauen werden in der Regel nicht gesondert behandelt.[5]
Fundierte Veröffentlichungen über lesbische Frauen sind immer noch selten. Es besteht durchaus die Tendenz innerhalb der Wissenschaften, die sich mit menschlichem Erleben und Verhalten befassen, Frauen weitgehend zu vernachlässigen. Wissenschaftliche Forschung wird von Männern und damit von patriarchalen Denkstrukturen bestimmt, was auch für die Thematik lesbischer Frauen von entscheidender Bedeutung ist.

Unsere Kritik und Ansprüche an Psychotherapie

Lesbische Frauen zu therapieren stellt an die Therapeutinnen und Therapeuten grundsätzlich und in besonderem Maße in kirchlichen Beratungsstellen, die auf Grund der negativen Erfahrungen mit Kirche von lesbischen Frauen besonders kritisch eingeschätzt werden, hohe Anforderungen.
Innerhalb kirchlicher Institutionen werden Therapeutinnen und Therapeuten dahingehend ausgesucht, daß sie der evangelischen oder katholischen Kirche angehören, daß sie eine positive Haltung zu Glaubensfragen einnehmen, daß sie sich, wie es meist in den Einstellungsgesprächen heißt, dem christlichen Menschenbild verpflichtet fühlen. Was das nun aber für den Umgang mit lesbischen Frauen in Therapieverläufen heißt, ist über die bereits genannten Bedingungen hinaus auch abhängig vom gegenwärtigen Diskussionsstand über lesbische Frauen innerhalb der Kirchen, ist ferner abhängig von der sozialen Kontrolle in der jeweiligen Beratungsstelle, von der Zusammenarbeit mit Pfarrerinnen und Pfarrern und nicht zuletzt vom jeweiligen Mitarbeiterteam. Wir sind nicht länger bereit, uns in Ecken wie »Schuld«, »Irrtum«, »Sünde«, »Fehlentwicklung« und so weiter drängen zu lassen, Opfer für Projektionen der unbewältigten eigenen lesbischen oder homosexuellen Anteile von Therapeutinnen und Therapeuten zu sein. Welche Rolle solche Projektionen in der Diskriminierung gesellschaftlich unerwünschter oder an den Rand gedrängter Gruppen spielen, haben die Sozialwissenschaften im Bereich der Vorurteilsforschung hinreichend untersucht.
Wenn wir therapeutische Angebote in Anspruch nehmen, sollten wir unsere Wahrnehmung sensibilisieren, sehr genau hinsehen und den Mut entwickeln, unsere Ansprüche an Therapie zu artikulieren. Im Folgenden werde ich auf vier wesentliche Problembereiche eingehen, in denen sowohl unsere Erfahrungen mit Therapie als auch unsere Forderungen zum Ausdruck kommen:

  1. Offene und versteckte Abwertung,
  2. Sexismus in der Therapie,
  3. Individuelle versus gesellschaftliche Perspektive,
  4. Lesbische Therapeutinnen.

1. Offene und versteckte Abwertung
Eine negative Einschätzung lesbischer Frauen ist erfahrungsgemäß leider immer noch nicht aus der Therapie ausgeschlossen. Dies wurde zum Beispiel in der Untersuchung an 372 lesbischen Frauen von Brigitte Reinberg und Edith Rossbach zur »Diskriminierung lesbischer Frauen«[6] nachgewiesen. Im Hinblick auf therapeutische Erfahrungen ergab sich folgendes Bild: 20 Prozent der Befragten waren von ihrer Umgebung therapeutische oder medizinische Maßnahmen gegen ihr Lesbischsein empfohlen worden. Bei 9 Prozent der Befragten, die eine Therapie beginnen wollten, wurde diese verweigert. 18 Prozent der lesbischen Frauen wurden mit »Heilungsversuchen« konfrontiert. 3 Prozent erfuhren sogar Angebote »aktiver« (sexueller) Mithilfe durch Therapeuten.
Eine lesbische Frau kann durchaus noch mit Etiketten wie »neurotisch«, »gestört« und so weiter abgestempelt werden. Bei solchen Erfahrungen sollte sie schnellstens die Therapeutin oder den Therapeuten wechseln. Bisher gibt es noch keine anderen Möglichkeiten, sich gegen Diskriminierung in kirchlichen und außerkirchlichen Einrichtungen zu schützen, als individuelle Auseinandersetzungen. Welche »Kraftakte« dazu notwendig sind, davon können unzählige lesbische Frauen berichten. Was immer auch die heterosexuelle Fachwelt offiziell äußern mag, es steht außer Frage, daß es keinen Grund gibt, lesbische Bedürfnisse und Lebensweisen zu stigmatisieren und »wegzutherapieren«.
Lesbischsein ist kein »biologisches Schicksal«, keine »Anlage«, keine »Fehlentwicklung«, ist nicht ausschließlich »das Ergebnis kindlicher Erfahrung«, sondern auch eine Existenzweise, die von Frauen zunehmend in dem Maße gewählt wird, »wie sie als der Ausweg, als konsequente Absage an patriarchale Herrschaftsansprüche erkannt wird.«[7]
Es gibt jedoch auch eine Reihe subtilerer Formen der Diskriminierung als die offene Ablehnung und Stigmatisierung. Besondere Vorsicht ist geboten, wenn Therapeutinnen und Therapeuten grundsätzlich davon ausgehen, alle Probleme seien »rein menschlicher Natur«, es gäbe keine Unterschiede zwischen Lebensproblemen von Heterosexuellen und weiblichen und männlichen Homosexuellen zum Beispiel bei Selbstwertproblemen, Öngsten, in der Partnerinnen- und Partnersuche, in Beziehungsproblemen und so weiter. Diese Sichtweise beinhaltet die Vernachlässigung der Sozialisationserfahrungen lesbischer Frauen in einer zwangsheterosexuellen Umwelt, die Unkenntnis der spezifischen Situation von Frauenbeziehungen, die eigenen Öngste und Schwierigkeiten der Therapeutinnen und Therapeuten, sich auf lesbische Klientinnen angemessen einzustellen, die Verwendung eines allgemeinen Menschenbildes, das seit Jahren innerhalb der feministischen Forschung kritisch hinterfragt wird (siehe die Diskussion um die implizite Gleichsetzung von »Mensch« und »Mann« [8]). Das heißt, lesbische Existenzweise soll nicht als »gleichartig« im Hinblick auf Heterosexualität angesehen werden, sondern es geht darum, ihre Gleichwertigkeit und dennoch ihre spezifische Problemlage aufzugreifen.
Ebenso ist Vorsicht geboten, wenn die Therapeutin oder der Therapeut versucht, herauszufinden, ob überhaupt oder ob ausreichend heterosexuelle Erfahrungen gesammelt worden sind, inwieweit sich lesbische- Frauen ganz bewußt auf Männer eingelassen haben, während heterosexuelle Frauen mit Sicherheit nicht nach ihren grundsätzlichen und bewußt gesuchten Erfahrungen mit anderen Frauen gefragt werden. Viele von uns haben erfahren, daß uns sozusagen das Recht auf lesbische Bedürfnisse abgesprochen wurde, wenn wir nicht zumindest versucht haben, mit Männern klarzukommen. Diese versteckten Formen der Ungleichbehandlung sind deutliche Indizien für heterosexuelle Vorurteile und Diskriminierungsversuche.
Noch etwas gilt es zu beachten: Unter bestimmten Umständen, zum Beispiel bei Schwierigkeiten in der Selbstannahme, kann es wichtig sein, die individuellen Ursachen für unser Lesbischsein verstehen zu können. In diesem Zusammenhang ist es legitim, sich in der Therapie mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen. Eine einseitige Auseinandersetzung mit den Ursachen des Lesbischseins, damit einhergehende Fragestellungen, die eher auf das Erforschen negativer Erlebnisse abzielen, beinhalten hingegen versteckte Formen der Ablehnung und Infragestellung. Die Vorstellung, Lesbischsein sei erklärungsbedürftig gegenüber der selbstverständlichen Annahme von Heterosexualität, deren Ursache nicht nachgegangen wird, weist eine Behandlung auf, die Lesbischsein im Grunde genommen als Fehlentwicklung begreift.

2. Sexismus in der Therapie
Lesbische Frauen werden im Vergleich mit schwulen Männern als weniger »gefährlich« angesehen, weil Frauen schlechthin als weniger gefährlich als Männer gelten. Häufig werden lesbische Frauen eher als stark und fähig wahrgenommen, aber gerade deswegen abgewertet, wie amerikanische Untersuchungen[9] zeigen.
Lesbische Identität verletzt Geschlechtsrollennormen. So werden lesbische Frauen in der Therapie häufig sowohl mit dem Sexismus als auch mit heterosexuellen Vorurteilen von Therapeutinnen und Therapeuten konfrontiert. Eine unabdingbare Voraussetzung in der Therapie lesbischer Frauen ist also die kritische Auseinandersetzung der Therapeutinnen und Therapeuten mit der eigenen Geschlechtsrolle, mit der Situation von Frauen in dieser Gesellschaft, der Kenntnis feministischer Belange und feministischer Therapie, ganz zu schweigen von der Auseinandersetzung mit lesbischer Lebenssituation. Lesbische Frauen werden zunächst einmal als Frauen sozialisiert. Für viele lesbische Frauen ist von daher die feministische Therapie die Alternative zu herkömmlichen Therapieformen. Dies allerdings für alle lesbischen Frauen zu fordern kann problematisch sein:

  • Autonome Projekte sind in der Regel keine Angebote für kirchlich gebundene lesbische Frauen. Einerseits versteht sich nicht jede lesbische Frau als Feministin, andererseits werden ihre spezifischen Belange im Hinblick auf Glaube und Kirche nicht hinreichend berücksichtigt
  • Es gibt bisher zu wenig autonome Frauen- und Lesbenberatungsstellen.
  • Auch feministische Therapie, die die Belange von Frauen mehr als irgendeine andere Therapieform berücksichtigt, ist keine Garantie für uneingeschränktes positives Umgehen mit lesbischen Klientinnen. Es kommt zum Beispiel im wesentlichen darauf an, inwieweit heterosexuelle Therapeutinnen ihre eigenen lesbischen Anteile reflektiert haben.
  • Ferner ist auch feministische Therapie nicht frei von blinden Flecken von Macht- und Abhängigkeitsbeziehungen, kann sie sich gesellschaftlichen Strukturen letztlich nicht entziehen.[10]

Das heißt, feministische Denk- und Handlungsstrategien sollten ihren Stellenwert nicht ausschließlich in sogenannten Freiräumen außerhalb offizieller Institutionen einnehmen, sondern grundsätzlich überall dort, wo mit Frauen therapeutisch gearbeitet wird. Kirchliche Beratungsstellen sollten die Auseinandersetzung mit feministischen Ansätzen nicht nur dem individuellen Interesse ihrer therapeutischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter überlassen oder diese gar darin behindern, sondern sie in ihrer konzeptionellen Arbeit aufgreifen und verfolgen. Alles, was Frauen dient, ihrer Situation entsprechend ihrer Lebensform gerechter zu werden, muß als Minimalforderung auf allen Ebenen erfüllt werden, wenn Kirche für Frauen noch bedeutsam sein will.
Die Frage, welche Rolle das Geschlecht des Therapeuten in der Auseinandersetzung mit lesbischen Frauen spielt, ist schwer zu beantworten. Einige lesbische Frauen haben auch .mit männlichen Therapeuten positive Erfahrungen gemacht, weil sie von ihnen in ihrer lesbischen Identität angenommen und unterstützt wurden. Für lesbische Feministinnen steht es außer Frage, sich nur von frauenbewußten, ja lesbischen Therapeutinnen therapieren zu lassen. In diesem Zusammenhang verweise ich auf die Auseinandersetzungen innerhalb der feministischen Therapie- und der Lesbenbewegung.[11]
 Wie sieht es nun aber mit den lesbischen Frauen aus, für die solche Gedanken noch fremd sind? Tatsache ist, daß sich Frauen als das unterdrückte Geschlecht eher mit ihrer Geschlechtsrolle und deren Implikationen bewußt und kritisch auseinandersetzen und von daher die größere Chance besteht, von einer Therapeutin verstanden zu werden. Lesbische Frauen müssen von daher besonders darauf achten, wie ihre spezifische Situation wahrgenommen wird, wenn sie einen männlichen Therapeuten aufsuchen.
Therapeuten setzen sich aufgrund ihrer Selbsterfahrung von ihrem Anspruch her anders mit sich auseinander als andere Männer. Allerdings sind Therapieformen weitgehend von Männern entwickelt worden, werden Ausbildungsinstitutionen von Männern dominiert, so daß die Frage bleibt, ob patriarchale Strukturen hinreichend hinterfragt werden. Die Entscheidung über die Wahl der Therapeutin oder des Therapeuten kann erleichtert werden, wenn lesbische Frauen sich mit ihrem Selbstverständnis als Frauen befassen.

3. Individuelle versus gesellschaftliche Perspektive
Eine wichtige Rolle in der Therapie lesbischer Frauen spielt die Trennung von psychischen Problemen einerseits und den Belastungsfaktoren lesbischen Lebensstils andererseits, oder besser gesagt, zwischen individuellen und gesellschaftlichen Problemen. Der Therapeutin oder dem Therapeuten muß es gelingen, eine therapeutische Situation herzustellen, in der über die Auseinandersetzung mit der jeweiligen psychischen Konfliktlage der lesbischen Klientin hinaus die besonderen Streßfaktoren ihrer Lebenssituation erkannt und verstanden werden. Damit kann sich die therapeutische Beziehung erheblich verbessern und die Selbstannahme der Klientin gefördert werden. 

Das bedeutet vor allem, daß die Therapeutin oder der Therapeut sich nicht nur oberflächlich in der Situation lesbischer Frauen auskennt, sondern daß sie/er beispielsweise die ganz konkreten Lebensbedingungen im jeweiligen kirchlichen und außerkirchlichen Umfeld wahrnimmt. Dazu gehört, daß sie/ er weiß, wie Gemeindepfarrer, Arbeitgeber und andere mit der Situation umgehen. Darüber hinaus bedarf es intensiver Kenntnisse über Lesbengruppen, Lesbenprojekte, Subkultur, Tagungen und so weiter. Dieses Wissen um die Lebenswirklichkeit lesbischer Existenz ist auch notwendig, um lesbische Frauen in ihrem Selbstfindungsprozeß, ihrem coming-out, unterstützen zu können und konkrete Hilfen zu bieten, sich ein soziales Bezugssystem zu schaffen. 

Es ist ein entscheidender Unterschied, ob lesbische Frauen sich in der Vereinzelung mit ihrer Situation auseinandersetzen oder ihre Erfahrungen als gemeinsame mit anderen Frauen begreifen. Gerade für lesbische Frauen außerhalb der Frauenbewegung ist es schwierig, sich Informationen zu verschaffen. Therapeutinnen und Therapeuten sind unter Umständen die einzigen Personen, denen gegenüber sie ihr Lesbischsein zugeben. Dies gilt ganz besonders für lesbische Frauen, die in kirchlichen Institutionen außerhalb der Großstädte arbeiten.
Diese Ansprüche beinhalten die Forderung nach einer engen Zusammenarbeit therapeutischer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit lesbischen Frauen. Darüber muß innerhalb und außerhalb der kirchlichen Beratungsarbeit verstärkt nachgedacht werden.

4. Lesbische Therapeutinnen
Fühlen sich lesbische Frauen zu einer Therapie motiviert, wünschen sie sich in der Regel eine lesbische Therapeutin. Diese zu finden ist allerdings nahezu unmöglich, es sei denn an einer Lesbenberatungsstelle 
Alle lesbischen Frauen, die ihre Therapie bei lesbischen Therapeutinnen gemacht haben, stellen als besonders positiv heraus, wie gut es getan hat, sich von vornherein von Druck und Befürchtungen befreit zu fühlen und sich von Anfang an auf die anliegenden Probleme konzentrieren zu können. 

Den Lebensstil der Therapeutin als Kriterium anzusehen ist eine heikle Angelegenheit. Dennoch kann es von entscheidender Bedeutung sein, auf eine lesbische Therapeutin zu treffen; sie kann vor allem ein positives Identifikationsmodell darstellen. Wir haben gesellschaftlich gesehen keine Modelle, mit denen wir uns identifizieren können. Daraus ergeben sich auch eine Vielzahl von Problemen, zum Beispiel die Problematik eines Jahre bis Jahrzehnte lang dauernden Coming-out-Prozesses. Orientierung an anderen kann vor allem unsere Selbstannahme unterstützen, wie aus amerikanischen Untersuchungen deutlich wird, kann Mut machen und stärken. 

Darüber hinaus ist es eine enorme Erleichterung, daß lesbische Frauen die Belastungen, den alltäglichen Druck, die Streßfaktoren einer zwangsheterosexuellen Gesellschaft nicht erst »erklären« müssen. 
Wir fordern deshalb von kirchlichen Beratungsstellen:

  • daß sie ihren lesbischen Therapeutinnen ermöglichen, sich ohne jegliche Nachteile und Einschränkungen zu ihrem Lesbischsein bekennen zu können,
  • daß sie langfristig gesehen - und wir sind uns durchaus bewußt, wie lange das noch dauern kann - die Konzeption verfolgen, wenigstens eine lesbische Therapeutin, bezogen auf einen regionalen Sektor, offiziell anzustellen (und für schwule Männer gilt dies analog).

Sehr viele lesbische Frauen haben berichtet, daß sie ihre lesbische Existenz in ihren Therapien »ganz einfach« verschwiegen haben. Aus der Untersuchung zur Diskriminierung lesbischer Frauen geht hervor, daß 12 Prozent der Befragten ihr Lesbischsein grundsätzlich, 18 Prozent teilweise verheimlicht haben. Eine andere empirische Untersuchung an einer evangelischen Beratungsstelle in Düsseldorf[12] zeigt auf, daß die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht wissen, wie viele lesbische Frauen sie behandelt haben. Der größte Teil der Therapeutinnen und Therapeuten kennt keine lesbischen Frauen!
Auf einer Fortbildungstagung der Diakonischen Akademie Stuttgart 1983 mit therapeutischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern über das Thema »weibliche und männliche Homosexualität« war ich betroffen über die Unkenntnis der heterosexuellen Therapeutinnen und Therapeuten über lesbische Existenzweise, obgleich sie beanspruchten, lesbische Frauen zu therapieren.
In den vorangegangenen Ausführungen ging es um grundsätzliche Probleme der Psychotherapie lesbischer Frauen unabhängig von der Anzahl der an der Therapie beteiligten Personen.
In einer lesbischen Paartherapie ergeben sich zusätzliche Probleme. Während ein heterosexuelles Paar in der Regel einer Therapeutin und einem Therapeuten gegenüberstehen, unter anderem zur Verbesserung der Kommunikationsprozesse, aus Identifikationsgründen, ist es eine unumstrittene Tatsache, daß einem lesbischen Paar weder zwei lesbische noch zwei heterosexuelle Therapeutinnen zur Verfügung stehen. Es ist keine Seltenheit, wie die Berichte lesbischer Frauen zeigen, daß sie - wenn überhaupt mit zwei Personen - mit einer Therapeutin und einem Therapeuten konfrontiert sind.
In den Gruppentherapien befinden wir uns als lesbische Frauen einer überwiegenden Mehrheit von heterosexuellen Klientinnen und Klienten und einer heterosexuellen Therapeutin, einem Therapeuten gegenüber, erleben also die gleiche Übermacht heterosexueller Lebensweise wie in unserem Alltag, fühlen uns oftmals in >Verteidigung< und »Offenbarung« hineingedrängt. Keine heterosexuelle Klientin und kein Klient würde dementsprechend in einer lesbischen oder homosexuellen Gruppe ihre/seine Probleme bearbeiten. Für uns soll zumutbar sein, was für andere unzumutbar ist. Hier zeigt sich in besonderer Weise die Ungleichbehandlung unserer lesbischen Existenz, die für Beratungsstellen »selbstverständlich« erscheint.

Zusammenfassend möchte ich sagen: 

Wir können von einer Therapeutin, einem Therapeuten erwarten, daß sie / er mit dem Bewußtsein an die Therapie herangeht, daß die vor ihr/ihm sitzende Klientin eine lesbische Frau sein kann. Nicht alle Frauen sind heterosexuell, die sich dafür ausgeben. Es ist von seiten lesbischen Frauen noch nicht selbstverständlich, ihr Lesbischsein in eine Therapie einzubringen. Jede Therapeutin, jeder Therapeut, die / der sich als heterosexuell begreift, muß sich damit auseinandersetzen, ob sie/er in der Lage ist, lesbische Beziehungen als gleichwertige anzunehmen, und dies in der konkreten therapeutischen Situation zur Geltung bringen. Das heißt aber auch, daß die Kirche als Arbeitgeberin den institutionellen Rahmen für positives Umgehen mit lesbischer Existenzweise möglich macht. Dabei geht es nicht um Forderungen nach größerer Toleranz gegenüber einer »geseIlschaftlichen Randgruppe«, sondern vielmehr um Akzeptanz einer möglichen Lebensform alternativ zur herkömmlichen geschlechtsspezifischen Lebensgestaltung.
Die lesbische Frau, die sich in eine Therapie begibt, sollte versuchen, wesentliche Fragestellungen im Erstgespräch zu klären, und sich nicht scheuen, KIare Forderungen zu stellen. Dabei ist mir durchaus bewußt-, daß nicht in jedem Fall dies von der Betreffenden bewältigt werden kann, zumal wenn sie Schwierigkeiten mit ihrer Identität hat. Vielleicht gelingt es ihr im Verlauf der Therapie, zunehmend auf das Interaktionsgeschehen zu achten und zu erfassen, wie die Therapeutin, der Therapeut mit ihrem Lesbischsein umgeht. Bei negativen Erfahrungen ist ein Wechsel der Therapeutin oder des Therapeuten angebracht. 
 Kann sie sich auf die Therapie einlassen, ist anzuraten - wie es auch von vielen Therapeuten und Therapeutinnen vorgeschlagen wird - sich eine Art Probephase einzuräumen. Die therapeutische Beziehung ist in der Regel ein Prozeß, der sich nicht in einer einzigen Therapiestunde überschauen läßt. Therapie ist immer auch ein schmerzhaftes Geschehen, und überhöhte Erwartungen können zu Fehleinschätzungen führen. Ganz besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang, daß wir lesbischen Frauen verstärkt miteinander ins Gespräch kommen, unsere Erfahrungen mit Therapie austauschen und einschneidende Behinderungen lesbischer Lebensweise öffentlich zur Sprache bringen. Wir sollten uns in Zukunft über Möglichkeiten eines umfassenden Informationsnetzes Gedanken machen. Die Qualität psychosozialer Versorgung für lesbische Frauen ist auch eine Frage von Öffentlichkeit. Bei dem allen muß letzten Endes auch die Frage gestellt werden, welchen Stellenwert Therapie für die lesbische Existenzform grundsätzlich hat: Inwieweit können wir andere Möglichkeiten der Problembewältigung entwickeln? Wo machen wir uns von Therapie abhängig? Ist es sinnvoll, den »Therapieboom«[13] zu unterstützen? Therapie als Hilfe zur Selbsthilfe kann unter bestimmten Lebensumständen für lesbische Frauen ein Weg sein, Konflikte zu verarbeiten und Selbstfindungsprozesse zu unterstützen. Sie kann aber kein Ersatz für politisches Handeln sein. Unsere Interessen müssen wir zunächst einmal selbst wahrnehmen, vor allem im kirchlichen Bereich, bevor sich unsere Lebensbedingungen verändern.